In den Armen des feurigen Playboys (5 in 1)

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DIESMAL MUSS ES LIEBE SEIN von SARA ORWIG
Der reiche Grundstücksmakler Wyatt Sawyer hatte bisher nie Hemmungen, sich auf ein erotisches Abenteuer einzulassen. Doch bei der zauberhaften Grace Talmadge, die sich so liebevoll um seine kleine Nichte kümmert, ist er zum ersten Mal tief verunsichert. Ihre stürmischen Küsse zeigen ihm zwar, dass sie zu allem bereit wäre, wenn er nur wollte. Trotzdem zögert Wyatt, denn diesmal geht es um viel mehr: Sein Herz ist beteiligt! Bevor er mit Grace den letzten Schritt wagt, will er sie um ihre Hand bitten ...

DIE BEZAUBERNDE RIVALIN von LIZ FIELDING
Die elegante India Claibourne ist die schönste Frau, die Jordan Farraday je gesehen hat - aber leider auch seine größte Konkurrentin! Denn er hat sich in den Kopf gesetzt, das Kaufhaus "Claibourne & Farraday", das sich bereits lange im Besitz beider Familien befindet, von nun an allein zu leiten. Wenn bloß nicht India auf dem Chefposten sitzen würde! Und so schmiedet er einen Plan …

LASS MICH DEIN FEUER SPÜREN von LAURA WRIGHT
Eigentlich ist der eiskalte Unternehmer Tanner so ganz und gar nicht Abbys Typ. Doch sein Angebot kann sie einfach nicht ablehnen: Für drei Tage soll sie die Rolle seiner Ehefrau übernehmen - als Gegenleistung vermietet er ihr günstig ein Haus, wo sie ihre geplante Malschule eröffnen kann. Ein leichtes Spiel, denn auf die Idee, dass ausgerechnet dieser Playboy ihr Verlangen weckt, wäre Abby nie gekommen. Ihr Verstand scheint ausgeschaltet zu sein, als sie, wie von fremder Hand gesteuert, jede seiner lustvollen Berührungen zärtlich erwidert ...

EIN HEISSER WUNSCH WIRD WAHR von SARAH ORWIG
Bei diesem Mann werden die Frauen reihenweise schwach: Jason Windover, reich, attraktiv und mit viel Sex-Appeal. Doch bei einer Lady scheint sein Charme nicht zu wirken: Meredith Silver, die temperamentvolle Computerspezialistin, macht ihm energisch klar, dass sie - im Gegensatz zu ihm - von Affären nichts wissen will. Liegt es nur an ihrer kühlen Ablehnung, dass in Jason der heiße Wunsch erwacht, sie für immer in seinen Armen zu halten? Oder hat er sich in Meredith verliebt?

WAG DEN SCHRITT INS GLÜCK von ANNE MATHER
Warum nur klopft Rachels Herz so laut, seit der Unternehmer Gabriel Webb sie in ihrem Café um ein Gespräch bat? Sie wollte das Leben mit ihrer kleinen gelähmten Tochter doch allein meistern. Aber der stolze Gutsbesitzer lässt nichts unversucht, ihr den Alltag sonniger zu machen …


  • Erscheinungstag 06.10.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520430
  • Seitenanzahl 700
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Diesmal muss es Liebe sein erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2003 by Sara Orwig
Originaltitel: „The Rancher, The Baby & The Nanny“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1345 - 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Andrea Cieslak

Umschlagsmotive: GettyImages_Deagreez, Benjamin_Lion

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733729820

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Stallion Pass

„Oh, nein!“ Mit einem Baby auf dem Arm stand Wyatt Sawyer am Fenster seiner Ranch in Texas und beobachtete eine Frau beim Aussteigen aus ihrem Auto. Während sie auf das Haus zuging, betrachtete er sie abschätzend. Er suchte ein Kindermädchen, aber diese junge Frau kam nicht infrage. Das sah er auf den ersten Blick. Sie wirkte selbst noch wie ein Kind. Ihr lockiges rotes Haar war am Hinterkopf aufgesteckt. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr ins Gesicht. In ihrem lässigen grauen Trägerkleid und der weißen Bluse erschien sie ihm wie sechzehn.

„Wie viele Kindermädchen muss ich mir denn noch anschauen?“ Gedankenverloren wiegte er das schlafende Baby in seinen Armen. Voller Zärtlichkeit schaute er auf seine fünf Monate alte Nichte.

„Megan, meine Süße, wir werden schon die richtige Nanny für dich finden. Ich gebe mir die größte Mühe.“ Er hielt sie hoch und küsste sie sanft auf die Stirn. Dann sah er wieder zu der Frau, die sich nun der Tür näherte.

Die helle Maisonne schien in ihr frisches Gesicht. Sie war nicht geschminkt, was ihr junges Aussehen noch unterstrich. Wyatt würde sie nach ihrem Alter fragen müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie auch nur einen Tag älter als achtzehn war, wenn überhaupt. Er musterte sie nochmals von oben bis unten und registrierte nebenbei, dass sie lange Beine hatte. Dabei erinnerte er sich an zwei Bewerberinnen, die echte Schönheiten gewesen waren. Beim Anblick der beiden hatte sein Herzschlag einen Moment ausgesetzt. Doch bereits nach drei Minuten Vorstellungsgespräch war ihm klar gewesen, dass er Megan mit keiner von beiden allein lassen würde.

Er seufzte. Warum war es nur so kompliziert, eine gute Kraft zu finden? Die Bezahlung, die er bot, war spitze. Aber er ahnte, was die Frauen zögern ließ – sie müssten hier draußen auf seiner Ranch leben. Die meisten würden nicht einmal für ein fürstliches Gehalt diese Abgeschiedenheit auf sich nehmen, egal, ob sie vom Land oder aus der Stadt waren. Dann gab es noch die Kandidatinnen, die einen wohlhabenden Ehemann suchten, und Wyatt hatte absolut keine Lust zu heiraten.

Das Klingeln an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Er öffnete und schaute in große grüne Augen, die ihn mit überraschender Schärfe fixierten. Sekundenlang starrten sie sich schweigend an. Eine seltsame Erfahrung für Wyatt. Er blinzelte und betrachtete sie eingehender. Lange Wimpern, lustige Sommersprossen auf der Nasenspitze …

„Mr. Sawyer, ich bin Grace Talmadge.“

„Kommen Sie herein. Nennen Sie mich Wyatt“, sagte er und fühlte sich auf einmal viel älter als dreiunddreißig. Wie lange würde er brauchen, um sie loszuwerden? Er hatte zwanzig Minuten für jede Bewerberin eingeplant, aber dieser wollte er nur zehn geben. Sie konnte unmöglich über einundzwanzig sein.

„Ist das Ihre Kleine?“, fragte sie.

„Meine Nichte, Megan. Ich bin ihr Vormund.“

Grace Talmadge sah auf das schlafende Baby in seinen Armen. „Ein hübsches Kind.“

„Danke, das finde ich auch. Kommen Sie herein“, wiederholte er.

Als Grace an ihm vorbeiging, spürte er den Duft von Zitronen. Ihr Parfüm? Er schloss die Tür und führte Grace durch einen breiten Flur. Die Absätze seiner Stiefel hallten auf dem harten Holzfußboden. Er blieb stehen und ließ ihr den Vortritt in das Wohnzimmer.

Grace blickte sich um, als wäre sie noch nie in einem solchen Raum gewesen.

Wyatt schaute sich ebenfalls in dem Zimmer um, dem er sonst kaum Beachtung schenkte. Es war der einzige Raum, in dem seit seiner Kindheit nichts verändert worden war. Vertäfelte Decke, ein ausgestopfter Luchs, Köpfe von Hirschen und Antilopen an den Wänden, alles Tiere, die sein Vater geschossen hatte. Regale voller Bücher, Bärenfelle auf dem Fußboden, ein altes Gewehr über dem Kamin.

„Sie müssen Jäger sein“, meinte sie und wandte sich zu ihm um.

„Nein, mein Vater war Jäger. Er liebte es, wilde und starke Kreaturen zu erlegen“, antwortete Wyatt mit Bitterkeit in der Stimme. „Setzen Sie sich bitte“, forderte er sie auf, während er sich selbst in einem Schaukelstuhl niederließ. Er bettete das Baby in seiner Armbeuge und fing behutsam zu schaukeln an.

Grace nahm ihm gegenüber in einem dunkelblauen Ohrensessel Platz. Sie schlug die Beine übereinander und faltete die Hände im Schoß.

„Also, Miss Talmadge, können Sie irgendwelche Referenzen als Kindermädchen vorweisen?“

„Nein, kann ich nicht“, erwiderte sie. „Ich bin seit fünf Jahren Buchhalterin in einer Schilderfirma in San Antonio. Der Inhaber möchte sich zur Ruhe setzen und die Firma schließen, daher bin ich auf der Suche nach einem neuen Job.“

Fünf Jahre, das überraschte ihn. Wyatt schloss daraus, dass sie unmittelbar nach der Highschool zu arbeiten angefangen hatte. „Warum bewerben Sie sich als Kindermädchen? Sie wissen, Sie müssten dann hier draußen auf meiner Ranch leben?“

„Ja, das habe ich der Anzeige entnommen.“

„Wenn Sie noch nie als Kindermädchen gearbeitet haben, was qualifiziert Sie dann für diesen Job? Haben Sie viel mit Kindern zu tun?“ Wyatt beugte sich vor. Er war kurz davor, aufzustehen und Grace hinauszubegleiten. Sie hatte keine Erfahrung und kam daher sowieso nicht infrage.

„Nein, das habe ich nicht, aber ich denke, ich kann alles Nötige lernen.“ Ihre Stimme war sanft und beruhigend zugleich, doch Wyatts Geduld war erschöpft. Die vielen Vorstellungsgespräche in den vergangenen Tagen hatten ihn ermüdet.

Er erhob sich. „Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben und hier herausgekommen sind. Ich weiß, es ist ein langer Weg. Aber ich brauche nun mal jemanden mit Erfahrung.“

Grace stand ebenfalls auf und sah ihn an. „Haben Sie denn viel Erfahrung mit der Rolle als Vater?“, fragte sie mit einem leichten Lächeln, das ein Grübchen in ihrer rechten Wange sichtbar werden ließ.

Irritiert schaute Wyatt sie an. „Nein, ich hatte nur keine andere Wahl. Ich bin ein enger Verwandter.“ Er hielt inne, als ihm bewusst wurde, was er damit gesagt hatte. Verwandtschaft war schließlich keine Garantie für Liebe oder Fürsorge.

„Geben Sie mir wenigstens eine Chance, bitte“, drängte sie ihn.

„Warum wollen Sie diesen Job, wenn Sie keinerlei Erfahrung haben? Vielleicht liegt es Ihnen überhaupt nicht, Kindermädchen zu sein.“

Sie warf einen Blick auf das Baby. „O doch. Ich würde liebend gern für ein kleines Kind sorgen.“

„Können Sie denn überhaupt mit Kindern umgehen?“

„Ich habe Cousins, die noch ziemlich jung sind und mit denen ich früher viel zusammen war. Doch sie leben in Oregon, sodass ich sie nicht mehr so oft sehe.“

Wyatt begann, ungeduldig zu werden. „Sie sind nicht zufällig auf der Suche nach einem Ehemann, oder? Denn dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“

Sie lachte. Ihre grünen Augen blitzten. „Keinesfalls! Ich kannte Sie ja nicht einmal, als ich mich auf diese Stelle bewarb. Ich habe eine Freundin in Stallion Pass, die mir einiges über Sie erzählt hat. Daher vermute ich, dass wir beide nicht das Geringste gemeinsam haben.“

Da musste er ihr zustimmen. „Verzeihen Sie meine Direktheit, aber einige der Frauen, die sich hier vorgestellt hatten, waren ganz offensichtlich auf Männerfang. Sie dagegen kennen sich weder mit Kindern aus, noch suchen Sie einen Ehekandidaten. Warum also wollen Sie mit mir und meiner Nichte in dieser Einsamkeit leben? Warum wollen Sie diesen Job?“

„Ich bin aufs College gegangen und muss noch mein Ausbildungsdarlehen abzahlen. Inzwischen habe ich zwar meinen kaufmännischen Abschluss, doch ich möchte irgendwann weiterstudieren. Mit diesem Job könnte ich ein paar Dollar sparen. Sobald Ihre Kleine dann in die Vorschule kommt, kann ich in der Zeit, die sie nicht zu Hause ist, Kurse belegen.“

„Sie planen auf Jahre hinaus. Megan ist noch ein Baby.“

„Die Zeit fliegt, und wenn es so weit ist, werde ich Geld übrig haben. Jetzt bin ich noch dabei, das Darlehen zurückzuzahlen.“

„Das heißt also, wenn Sie Ihren Uni-Abschluss haben, bin ich auch mein Kindermädchen los?“

Grace lächelte und schüttelte den Kopf. „Nein, bestimmt nicht. Ich möchte das Diplom nur zur Sicherheit. Vielleicht finde ich einen Teilzeitjob, während Megan ganztags in der Schule ist. Sollte sich das nicht ergeben, kann ich trotzdem Nutzen aus dem Studium ziehen und für meine Familie und mich die Finanzen regeln.“

„Erzählen Sie mir von Ihrer Familie. Leben Ihre Eltern in San Antonio?“, fragte Wyatt. Nebenbei stellte er fest, dass sie volle, rosige Lippen hatte. Er musste sich anstrengen, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.

„Nein. Sie sind Missionare in Bolivien. Ich habe zwei Schwestern. Prudence arbeitet als Sprachtherapeutin in Austin, und Faith, die Älteste von uns dreien, ist Krankenschwester und betreut ehrenamtlich schwere Fälle in der Psychiatrie.“

Die Warmherzigkeit, mit der sie von ihrer Familie sprach, berührte Wyatt. Er dachte an seine Jugendfreunde Josh Kellogg und Gabe Brant, die ihre Eltern und Geschwister geliebt hatten und wiedergeliebt wurden. Es war für ihn geradezu wie ein Schock gewesen, als er als Kind zum ersten Mal bei Gabe zu Besuch war und entdeckt hatte, dass eine Familie auch herzlich und liebevoll sein konnte.

„Hier habe ich ein Bild von ihnen“, fuhr Grace fort. Sie holte eine Fotografie aus ihrer Tasche.

„Sie tragen ein Foto von Ihrer Familie mit sich herum?“, fragte er überrascht.

„Ja, ich sehe es mir immer wieder gern an.“

Als er das Foto nahm, streiften seine Finger ihre Hand, und er spürte ein leises Kribbeln. Das Bild zeigte ein lächelndes Paar, Händchen haltend, und zwei brünette junge Frauen, ebenfalls lächelnd.

„Das sind Ihre Eltern?“ Wyatt betrachtete den großen, dunkelhaarigen Mann und die schlanke, rothaarige Frau, die für drei erwachsene Töchter viel zu jung wirkte.

„Ja. Tom und Rose Talmadge. Sie haben früh geheiratet.“

„Mit fünfzehn?“

Grace schmunzelte. „Beinahe. Sie waren achtzehn. Also haben Sie sich nur um drei Jahre verschätzt. Es war eine Kinderliebe. Mein Großvater väterlicherseits ist Pfarrer in Fort Worth.“

„Nette Familie“, bemerkte Wyatt.

Grace deutete nun auf die beiden jungen Frauen auf dem Foto. „Das sind meine Schwestern. Sie haben unsere Eltern letztes Jahr besucht, aber ich konnte leider nicht mitfahren.“

„Sie stammen aus einer Familie von Wohltätern, doch Sie selbst machen ein betriebswirtschaftliches Studium und streben einen gut bezahlten Job an?“

„Richtig. Ich bin eher praktisch veranlagt. Jedenfalls habe ich einen guten Sinn für Zahlen, und ich verdiene gerne Geld.“

„Nun, dann haben wir ja doch etwas gemeinsam“, stellte Wyatt trocken fest. „Auch ich verdiene gerne Geld. Allerdings glaube ich nicht, dass Ihnen Ihr Sinn für Zahlen bei der Babypflege nützlich sein wird.“ Er gab ihr das Foto zurück. „Ihre Eltern sehen sehr sympathisch aus.“

„Das sind sie auch“, bestätigte Grace und steckte das Bild wieder in ihre Tasche. „Ich nehme an, Sie halten nicht viel von mir, aber ich komme aus einer soliden, hart arbeitenden Familie, und ich habe gute Zeugnisse. Ich glaube, ich kann es lernen, für das Baby zu sorgen.“

Wyatt war sehr fasziniert von ihr. Dieses sommersprossige Mädchen mit der sanften Stimme bezauberte ihn. Er wusste auch, warum. Abgesehen von der Bindung, die er zu seinem älteren Bruder Hank gehabt hatte, kannte er keine Art von Nähe in seiner Familie. Die Liebe, die Grace in ihrem Elternhaus erfahren hatte, war ihm fremd.

„Okay, setzen Sie sich. Wir reden weiter“, schlug er dann vor.

Sie nahm nun Platz und faltete dann erneut die Hände im Schoß.

„Der Job bedeutet, dass Sie ständig bei mir und Megan auf der Ranch leben müssten“, erinnerte er sie.

Grace nickte. „Gibt es einen Grund, weshalb mich das beunruhigen sollte?“

„Zum einen ist da die Einsamkeit.“

„Die macht mir nichts aus.“

„Für jemanden, der so jung ist wie Sie, ist das ungewöhnlich. In Ihrem Alter geht man doch gern aus und sucht sich einen Partner.“

Sie lächelte ihn an. Das Grübchen in der Wange tauchte wieder auf, und ihre Augen blitzten. „Ich bin nicht auf Männerfang. Und dank Ihrer Nichte werde ich keine Zeit haben, mich isoliert zu fühlen.“

„Sie möchten nicht heiraten?“, hakte er nach.

„Wenn es sich eines Tages ergibt, warum nicht. Aber wenn nicht, ist das auch in Ordnung.“

Wyatt glaubte ihr nicht eine Minute, dennoch wechselte er das Thema. „Ich habe eine Köchin, die auch auf der Ranch lebt. Doch Sie als Kindermädchen müssten hier im Haupthaus wohnen.“

Sie nickte zustimmend.

„Da dies während der Woche Ihr Zuhause sein würde, möchte ich wissen, ob Sie einen Freund haben.“

„Nein, habe ich nicht. Ich habe mich bisher ausschließlich um mein Studium und meinen Beruf gekümmert, und auch jetzt fehlt mir die Zeit für Verabredungen.“

„Viel zu tun zu haben schließt nicht aus, auch einmal mit einem Mann auszugehen.“

Grace zuckte mit den Schultern. „Na schön. Bisher habe ich niemanden gefunden, der mich wirklich interessiert hat.“

„Wann haben Sie die Highschool beendet?“, fragte er, um diskret ihr Alter herauszufinden.

Sie lächelte. „Ich bin fünfundzwanzig und habe vor sieben Jahren meinen Schulabschluss gemacht.“

Das Baby auf seinem Arm war aufgewacht und begann zu weinen.

„Wie geht es meinem Mädchen?“, fragte Wyatt zärtlich. Er stand auf und klopfte Megan auf den Rücken. „Würden Sie mich bitte für einen Moment entschuldigen? Ich muss die Kleine wickeln und ihr die Flasche holen.“

„Selbstverständlich.“

Wyatt verließ den Raum, und Grace schaute ihm mit gemischten Gefühlen nach. Ihre beste Freundin, Virginia Udall, hatte sie eindringlich vor Wyatt gewarnt und ihr von seinen wilden Jugendjahren erzählt. Wie er von der Highschool geflogen war und wegen seines schlechten Rufs die Stadt hatte verlassen müssen. Grace hatte von seinen Ausschweifungen als Halbstarker gehört, von den Mädchen, die er verführt hatte, von seinen Schlägereien in Kneipen. Das alles wusste Virginia von ihrer älteren Schwester, die mit Wyatt in eine Klasse gegangen war. Grace hatte daraufhin in ihrem Highschool-Jahrbuch geblättert und ein Bild von Wyatt als Schulanfänger entdeckt. Trotz seiner wüsten Mähne war er damals der bestaussehende Junge der ganzen Schule gewesen.

Ohne Zweifel, Wyatt war der attraktivste Mann, den sie kannte. Als er ihr die Tür aufgemacht hatte, war sie einen Moment lang wie erstarrt gewesen. Er hatte dunkelbraune Augen, hohe Wangenknochen, die ihm einen etwas verwegenen Ausdruck verliehen, eine gerade Nase, einen sinnlichen Mund und ein kantiges Kinn. Sein schwarzes Haar war immer noch lockig und hing ihm wirr in die Stirn. Der Mann hatte einfach eine umwerfende Ausstrahlung. Kein Wunder, dass er den Ruf eines Frauenhelden hatte.

Es war schwierig, die Geschichten von einst mit dem fürsorglichen Onkel von heute in Einklang zu bringen. Sie betrachtete die Tierköpfe an der Wand, das Gewehr über dem Kamin, die schweren Ledermöbel und die Bärenfelle. Man sah, dass hier ein Mann lebte, obwohl man ihr erzählt hatte, dass Wyatts Bruder eine Zeit lang mit seiner Frau auf der Ranch gewohnt hatte. Es war sehr seltsam, sich vorzustellen, wie ein Baby über die Bärenfelle krabbelte. Grace überlegte, ob der Raum bereits in Wyatts Kindheit so ausgesehen hatte. Wobei es ihr noch schwerer fiel, sich Wyatt als Kind vorzustellen.

Begab sie sich in die Höhle des Löwen, wie ihre Freundin sie gewarnt hatte? Wenn sie den Job bekäme, müsste sie hier leben, allein mit Wyatt Sawyer und dem Baby. Als sie auf das Haus zugegangen war, hatte sie kurz mit dem Gedanken gespielt, sich einfach umzudrehen und zurück in die Stadt zu fahren. Doch sie wusste, dass Wyatt trotz des hohen Gehaltes, das er bot, schon lange vergeblich nach einem Kindermädchen suchte. Das war für sie Grund genug, ihre Bedenken beiseitezuschieben.

Wyatt kam wieder in das Zimmer zurück. Er hielt das Baby im Arm und gab ihm die Flasche. Vorsichtig ließ er sich im Schaukelstuhl nieder. Zärtlich beobachtete er seine Nichte beim Trinken. Die Liebe, die er für das Kind empfand, war offensichtlich.

„Warum erzählen Sie mir nicht etwas mehr über den Job?“, schlug sie vor.

Er hob den Kopf, als ob er ihre Anwesenheit vergessen hätte. Grace fragte sich, ob er immer noch vorhatte, sie abzuservieren.

„Sie würden hier im Haus wohnen und sich um Megan kümmern. Ich bin tagsüber meistens unterwegs, daher muss ich der Frau, die ich einstelle, voll vertrauen können. Es muss jemand sein, der mit einem Säugling umzugehen weiß und sich liebevoll um ihn kümmert.“

„Ich glaube, das kann ich.“

„Das Leben hier wird ziemlich einsam sein. Vielleicht wären Sie stattdessen viel lieber mit Freunden zusammen oder möchten ausgehen.“

Grace lächelte ihn an. „Sicher werde ich doch auch etwas Freizeit haben?“

„Ja, an den Wochenenden. Dann werde ich mich um Megan kümmern. Ehrlich gesagt, Miss Talmadge, Sie sind mir etwas zu jung. Ich hatte eher an eine reifere Person gedacht, vielleicht eine Großmutter mit viel Erfahrung. Und noch etwas. Falls Sie einen Freund haben, möchte ich nicht, dass Sie ihn hier auf der Ranch empfangen. Ich glaube, ich …“

Plötzlich schob Megan die Flasche weg und begann aus voller Kehle zu schreien. Wyatt versuchte, sie weiter zu füttern, aber sie wehrte ihn ab. Da drückte er sie an seine Brust, klopfte ihr auf den Rücken und redete besänftigend auf sie ein. Als sie jedoch nur noch lauter weinte, erhob er sich und ging mit ihr auf und ab. Doch sie ließ sich einfach nicht beruhigen.

Grace stand nun auf und bot dann ihre Hilfe an. „Lassen Sie mich die Kleine eine Weile halten. Möglicherweise hilft es, wenn sie mal bei jemand anders auf dem Arm ist. Vielleicht sollten Sie ihr auch ein neues Fläschchen warm machen.“

„Ich glaube nicht, dass sie noch etwas will“, meinte er mit einem Blick auf die fast leere Flasche. „Sie trinkt nie ganz aus.“

Grace nahm ihm Megan ab. Sie legte das Baby an ihre Schulter, ging mit ihm umher und klopfte ihm auf den Rücken, wie Wyatt es getan hatte. Megan schrie unaufhörlich. Schließlich begann Grace, ihr leise etwas vorzusingen. Nach ein paar Minuten wurde Megan still, und Grace wanderte weiter mit ihr auf und ab und tätschelte sie.

Inzwischen hatte Wyatt ein neues Fläschchen geholt. Jetzt beobachtete er die Szene. Megan kuschelte sich an Grace, die sich vorsichtig mit ihr in den Schaukelstuhl setzte. „Geben Sie mir die Flasche.“

Sie rückte das Baby in ihrem Arm zurecht und gab ihm die Flasche. Zu Wyatts Erstaunen begann Megan zu trinken, während Grace schaukelte und ihr etwas vorsang.

Wyatt stand da und musterte die beiden. „Für eine Frau, die nichts von Babys versteht, machen Sie Ihre Sache erstaunlich gut“, stellte er fest. „Manchmal dauert es eine Stunde, bis ich sie beruhigt habe.“

„Vielleicht möchte sie mich als Nanny“, sagte Grace und lächelte ihn an. Wyatt musste lachen.

„Ich muss Zeugnisse von Ihnen sehen, bevor wir darüber weiter verhandeln.“

„Ich habe sie in meiner Tasche“, erwiderte sie.

„Bleiben Sie bloß sitzen!“, bat Wyatt hastig. Er genoss die Ruhe und freute sich, dass das Baby zufrieden trank.

„Erzählen Sie mehr darüber, was mich hier erwarten würde“, ermunterte ihn Grace.

„Ich bin abwechselnd hier auf der Ranch oder in meinen Büros in Stallion Pass und San Antonio. Manchmal bin ich für ein paar Tage auf Geschäftsreise. Ich weiß nicht, ob Sie etwas über meinen familiären Hintergrund wissen …“ Er hielt inne und sah sie fragend an.

„Nur sehr wenig“, antwortete sie.

„Ich werde Ihnen kurz etwas über meine Familie erzählen, damit Sie wissen, wie ich zu Megan gekommen bin. Meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war. Mein Vater zog mich und meine beiden Brüder alleine groß. Ich bin der Jüngste. Jake, mein ältester Bruder, verunglückte tödlich mit dem Auto, als er noch auf der Highschool war. Mein Vater ist letztes Jahr verstorben.“

„Das tut mir leid“, sagte Grace.

„Wir standen uns nicht besonders nahe“, erklärte Wyatt. „Megan ist die Tochter meines Bruders Hank. Er und seine Frau Olivia sind kürzlich beim Absturz ihres Privatflugzeugs ums Leben gekommen. Sie hinterließen ein Testament, das mich zum Vormund bestimmt.“

„Ich bin froh, dass Megan Sie als Ersatzvater gefunden hat“, meinte Grace. Unwillkürlich horchte Wyatt auf.

„Sind Sie eigentlich hier in der Gegend aufgewachsen?“, erkundigte er sich. Niemand, der seine Vergangenheit kannte, hätte sich spontan so lobend über ihn geäußert. Wyatt kannte seinen Ruf nur zu gut.

„Ja. Ich habe tatsächlich mein ganzes bisheriges Leben in San Antonio verbracht.“

„Und Sie haben eine Freundin in Stallion Pass, die Ihnen von mir erzählt hat?“

„Ja. Virginia Udall.“

„Ich kann mich an keine Virginia erinnern, aber Sie müssen den Job wirklich bitternötig haben“, bemerkte er zynisch. „Die meisten Leute in Stallion Pass sind durchaus nicht glücklich darüber, dass ich Megans Vormund bin. Die Familie meiner verstorbenen Schwägerin droht sogar mit rechtlichen Schritten, um mir Megan wegzunehmen.“

Grace hob den Kopf und sah ihn unverwandt an. Der Ausdruck ihrer Augen verwirrte ihn. „Für mich ist es offensichtlich, dass Sie Ihre Nichte lieben und nur das Beste für sie wollen.“

„Nun, Sie sind eine Ausnahme. Außerdem können Sie nicht wissen, wie ich mit ihr umgehe. Vielleicht nehme ich sie mit in Kneipen. Sie wissen das doch gar nicht.“

Grace schmunzelte. „Sie würden dieses Baby niemals mit in eine verräucherte Kneipe nehmen. Ich wette, Megan kommt in Ihrem Leben an erster Stelle. Stimmt’s?“

Diese Frau forderte ihn auf ihre ruhige Art heraus. Er erkannte, dass er sie falsch eingeschätzt hatte – etwas, das ihm bei Frauen selten passierte.

„Sie haben recht. Natürlich würde ich das nicht tun. Ich liebe die Kleine jetzt schon so, als wäre sie meine eigene Tochter. Übrigens, für eine Anfängerin machen Sie das sehr gut.“

Grace schaute Megan an, die mit großen braunen Augen zu ihr aufblickte. „Sie ist ein hübsches Baby.“

„Ja, das ist sie“, pflichtete ihr Wyatt mit einem zärtlichen Unterton bei. „Soll ich sie wieder nehmen?“

„Danke, Megan scheint sich bei mir wohlzufühlen. Setzen Sie sich ruhig wieder.“

Wyatt amüsierte sich im Stillen. Grace Talmadge klang, als wäre sie hier zu Hause und er derjenige, der unter die Lupe genommen werden sollte. Er nahm Platz und musterte sie. „Wir sind beide jung. Wenn Sie den Job bekommen und hier einziehen, wird es Gerede geben. Haben Sie das schon bedacht?“

Sie lächelte nachsichtig, so als wären seine Einwände absurd. „Ich kümmere mich nicht um dummes Gerede.“

„Dann haben Sie also keine wilden Gerüchte über mich gehört, bevor Sie hierher kamen?“

„Ich habe natürlich einiges gehört. Aber Sie haben sich ganz im Gegenteil wie ein perfekter Gentleman benommen.“

Wyatt musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen. „Ich kann das Gentleman-Getue auch lassen. Doch ich muss an Megan denken und mich daher unpersönlich und distanziert geben. Noch ein Grund mehr, weshalb ich ein älteres Kindermädchen zu finden hoffte. Um gar nicht erst in Versuchung zu geraten zu flirten.“

„Oh, darüber brauchen Sie sich wohl keine Gedanken zu machen. Männer wie Sie können mit Frauen wie mir nichts anfangen“, versicherte Grace ihm.

„Wenn ich sachlich bleiben wollte, müsste ich über diese Bemerkung hinweggehen, aber irgendwie sind wir vom Thema abgekommen. Männer wie ich?“

„Sie sind erfahren und weltgewandt. Ich nehme an, Sie bevorzugen Frauen, die Ihre Interessen teilen. Ich bin eine Leseratte, ernsthaft und noch einiges mehr, was Männer nicht reizt. Flirten wird also kein Problem sein, weder für Sie noch für mich. Also, wann soll das Kindermädchen anfangen?“

„So bald wie möglich“, antwortete Wyatt, immer noch amüsiert. Auf ihre besonnene Art behielt Grace das Gespräch in der Hand und lenkte es wieder in sachliche Bahnen.

„Ich möchte jemanden, der an einer langfristigen Anstellung interessiert ist, damit nicht noch mehr Unruhe in Megans Leben kommt“, fuhr er fort.

„Dafür kann Ihnen eine ältere Frau auch keine Garantie geben. Ich bin verlässlich, habe Zeugnisse mit sehr guten Noten und hatte weder im College noch bei der Arbeit Fehlzeiten“, erwiderte Grace, während sie mit Megan im Arm behutsam schaukelte.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ihrem jetzigen Arbeitgeber spreche?“

„Er weiß zwar nicht, dass ich mich um diese Stelle bewerbe, aber das geht trotzdem in Ordnung. Ich lasse Ihnen mit meinen Zeugnissen auch seine Telefonnummer da.“

„Vielleicht sollten wir doch schon mal die Details besprechen“, meinte Wyatt. „Sie hätten durchgehend von Montag bis Freitag Dienst. Wenn ich da bin, würde ich natürlich die Abende mit Megan verbringen. Ich möchte ein Kindermädchen, das so gut es geht Mutterersatz ist. Die Wochenenden gehören Ihnen. Ich dulde jedoch keine Freunde auf meiner Ranch und keine wilden Partys.“

„Damit bin ich einverstanden.“

„Also gut. Ich habe noch andere Bewerberinnen. Lassen Sie mir Ihre Zeugnisse hier.“ Wyatt ging auf sie zu, und Grace blickte zu ihm auf. Unwillkürlich stockte ihr der Atem. „Ich nehme Megan jetzt“, sagte er.

Grace gab sie ihm. Dabei berührten sich ihre Hände, und ein Schauer überlief sie. „Sie ist süß.“

„Und steht ganz offensichtlich auf Ihrer Seite“, antwortete er. Als er Megan nahm, verzog sie das Gesicht und fing wieder zu weinen an. „Hey, Baby, was ist denn los?“ Er warf Grace einen frustrierten Blick zu. „Ich weiß nicht, warum sie so quengelig ist. Bei Ihnen war sie ganz ruhig.“ Er ging mit Megan umher und versuchte, sie zu besänftigen. In der Zwischenzeit holte Grace die Unterlagen aus ihrer Tasche.

„Hier sind meine Zeugnisse“, erklärte sie und legte sie auf den Tisch. „Danke für das Gespräch. Ich finde allein hinaus.“

„Einen Moment noch, Miss Talmadge.“

Als sie sich zu Wyatt umdrehte, wurde Megans Weinen noch heftiger. „Pscht, Megan“, murmelte er. Doch die Kleine schrie immer lauter, und ihr winziges Gesicht lief rot an.

Grace setzte ihre Tasche ab und durchquerte das Zimmer, um Wyatt das Baby abzunehmen. Er zögerte, aber dann gab er ihr Megan, die sich tatsächlich sofort beruhigte und an Graces Brust kuschelte.

„Sie möchte Sie anscheinend am liebsten gleich hierbehalten“, meinte er trocken. „Dabei haben Sie noch nicht mal nach der Bezahlung gefragt.“

„Wenn Sie mich einstellen wollen, werden wir uns darüber sicherlich einigen.“

Wyatt nannte die Höhe des Gehalts. Grace starrte ihn verblüfft an, denn der Betrag war astronomisch hoch. „Bei diesem Gehalt dürften Sie doch keine Probleme haben, das passende Kindermädchen zu finden!“

„Leider doch. Frauen scheuen die Einsamkeit hier draußen, es sei denn, Heirat winkt, und das ist nicht der Fall.“ Er verschwieg ihr, dass auch sein fragwürdiger Ruf viele abgeschreckt hatte.

„Jetzt muss ich aber wirklich gehen“, sagte Grace. Sie reichte ihm das Baby und nahm ihre Tasche. Er begleitete sie hinaus, und sie drehte sich noch einmal zu ihm um.

„Danke für das Gespräch. Ich bin sehr interessiert an dem Job“, betonte sie nochmals. Wyatt blieb an der Tür stehen und beobachtete, wie sie in ihren Wagen stieg und davonfuhr, bis nur noch eine Staubwolke zu sehen war.

Nachdem eine Woche vergangen war, ohne dass Grace etwas von Wyatt gehört hatte, schwanden ihre Hoffnungen auf den Job. Nach weiteren drei Tagen kam dann endlich der ersehnte Anruf.

„Miss Talmadge, hier ist Wyatt Sawyer. Haben Sie einen Moment Zeit?“

„Ja, natürlich“, antwortete sie ruhig, obwohl ihr Herz erwartungsvoll klopfte.

„Ihre Zeugnisse sind gute Empfehlungen. Ich bin beeindruckt. Ich habe mich nach Ihnen erkundigt.“

„Und?“, fragte sie gespannt.

„Ich habe nur Gutes gehört. Also, möchten Sie noch immer unser Kindermädchen werden?“

2. KAPITEL

„Er wird dich ganz sicher verführen. Du wirst schwanger werden, und dann stehst du mit dem Kind da, während er sich eine Neue sucht.“

Grace lächelte Virginia an, die ihr beim Packen zusah. „Keine Sorge. Ich bin nicht sein Typ.“

„Du bist eine Frau. Und das genügt.“

Grace lachte. „Es kommt wohl auf einen bestimmten Typ Frau an. Außerdem glaube ich, dass Wyatt inzwischen erwachsen und verantwortungsbewusst geworden ist.“

„Kerle wie er ändern sich nicht“, wandte Virginia ein. Sie warf ihre langen schwarzen Haare in den Nacken. „Hast du keine Angst, dass er sich eines Nachts in dein Schlafzimmer schleicht und …“

„Nein, habe ich nicht.“

„Du weißt, warum er die Stadt damals verlassen musste. Du kennst das Gerücht, dass er als Siebzehnjähriger ein Mädchen aus seiner Klasse geschwängert haben soll. Kurz darauf ertrank sie. Viele Leute glauben, dass er sie umgebracht hat.“

„Du hast doch gesagt, es war offiziell ein Unfall.“

„Das heißt nicht, dass es auch wirklich einer war. Er soll mit jedem Mädchen in seiner Klasse geschlafen haben.“

Grace drehte sich mit einem Stapel zusammengelegter Wäsche zu ihr um. „Einige dieser Gerüchte sind einfach absurd, Virginia.“

„Nein, das sind sie nicht. Ich habe gehört, dass er mindestens drei uneheliche Kinder hat. Er musste von hier weg. Er hat die Highschool nie beendet.“

„Nun mach mal einen Punkt, Virginia, und hör mir zu. Er zahlt ein tolles Gehalt, mehr als das Dreifache von dem, was ich jetzt verdiene. Ich kann meine Schulden bezahlen und meine Ziele verwirklichen. Und denk mal daran, wie viel ich auch noch sparen kann.“

„Es ist die Sache nicht wert. Geld ist nicht alles“, konterte Virginia.

„Ach, das ist doch lächerlich! Mit meiner Ausbildung kann ich nirgendwo sonst so viel Geld verdienen. Das Baby ist süß, und vor ihm habe ich keine Angst. Wyatt und ich werden uns kaum sehen. Er ist ein viel beschäftigter Mann.“

Virginia verdrehte die Augen. „Du wirst leichte Beute für ihn sein. Bisher warst du nur mit zwei Männern lose befreundet, Grace. Du bist die Unschuld in Person, und er ist ein notorischer Schürzenjäger. Noch dazu der bestaussehende Mann in Texas.“

„Da muss ich dir ausnahmsweise mal zustimmen. Er ist sehr attraktiv.“

„Ein Wahnsinnstyp! Ich habe ihn in der Stadt gesehen. Er ist atemberaubend.“

„Ich werde dich auf die Ranch einladen, damit du ihn kennenlernst.“

„Wirklich? Versprich es!“, rief Virginia begeistert.

Grace lachte. „Es ist also okay, wenn du ihn triffst, aber es ist nicht okay, wenn ich für ihn arbeite?“

Virginia nickte. „Genau. Du wirst als Angestellte mit ihm unter einem Dach leben. Ich dagegen komme nur zu Besuch. Das ist etwas ganz anderes.“ Sie wurde ernst. „Scherz beiseite, ich bin nicht sicher, dass das Geld den Liebeskummer wert ist. Und ich ahne jetzt schon, dass er dich unglücklich machen wird.“

„Ich bin nicht sein Typ, das sagte ich doch bereits.“

„Das wird ihn nicht davon abhalten, dich zu verführen oder dir das Herz zu brechen.“

„Ich werde schon aufpassen. Nun hör bitte auf, dir Sorgen zu machen.“

Virginia stand auf. „Lass mich diesen Koffer zum Auto tragen. Ich werde mir Sorgen um dich machen, Grace. Er ist unberechenbar. Alle Sawyers sind das, und zwei von ihnen sind tot wegen dieser Unberechenbarkeit. Der eine Bruder starb bei einem Autounfall – er soll über hundert Meilen in der Stunde gefahren sein –, und der andere flog mit seinem Flugzeug entgegen allen Warnungen durch einen Schneesturm. Und Wyatt soll schon immer der Wildeste gewesen sein.“

„Ich kümmere mich um das Baby, nicht um ihn. Also mach dir meinetwegen keine Gedanken.“

„Ich weiß, dass du meine Bedenken übertrieben findest, aber ich halte sie für begründet.“

„Wir werden sehen“, meinte Grace und ließ das Schloss des großen Koffers zuschnappen.

Früh am Montagmorgen fuhr Grace langsam durch den schmiedeeisernen Torbogen der Sawyer-Ranch. Meilenweit erstreckten sich zu beiden Seiten des Weges weiße Gatter. Auf den unendlichen Weiden standen vereinzelt Eichen und Zedern. Etwas entfernt auf einem Hügel grasten Rinder. Ein weißes Pferd galoppierte am Horizont. Die Ranch war wunderschön, und Grace freute sich auf ihren neuen Job. An Wyatts schlechten Ruf und Virginias Warnungen wollte sie jetzt nicht denken. Sie folgte der unbefestigten Straße und fuhr über eine Holzbrücke. Die Bohlen ächzten unter den Rädern ihres Wagens.

Grace entdeckte den Cotton Creek, einen schmalen, silbrig glänzenden Bach. Von einer Anhöhe aus fiel ihr sofort das zweistöckige Haupthaus auf. Sie sah weitere kleine Häuser dahinter, eine Scheune und einen Pferch sowie eine Garage für vier Wagen. Das Anwesen machte einen wohlhabenden, gepflegten Eindruck. Als sie schließlich am Haus ankam, standen auf der einen Seite ein schwarzer Pick-up und ein Motorrad, auf der anderen parkte ein schnittiger dunkelgrüner Sportwagen. Grace runzelte die Stirn. Sie hoffte, dass Wyatt nicht auf die Idee käme, das Baby auf dem Motorrad mitzunehmen.

Mit klopfendem Herzen ging sie auf den Eingang zu und drückte auf die Klingel. Bereits den ganzen Morgen war sie aufgeregt, und nun steigerte sich ihre Nervosität noch. Die Tür ging auf, und sie schaute direkt in Wyatt Sawyers dunkle Augen. Sie versuchte, ihn nicht anzustarren. Der Mann war sündhaft attraktiv!

„Ich dachte schon, Sie hätten vielleicht Ihre Meinung über den Job geändert.“

„Im Gegenteil, ich freue mich darauf“, antwortete Grace. Sie nahm den Duft seines After Shaves wahr. Er trug ausgeblichene Jeans und ein T-Shirt.

„Parken Sie Ihren Wagen doch hinter dem Haus“, schlug er vor. „Ich hole Ihr Gepäck.“

Als sie sich umdrehte, spürte sie seinen prüfenden Blick in ihrem Rücken. Befangen eilte sie zu ihrem Auto. Sie trug einen schlichten marineblauen Rock und eine weiße Bluse. Ihr war klar, dass er sie kaum begehrenswert finden könnte. Sie fragte sich, ob er es bereits bereute, sie eingestellt zu haben.

Am Hintereingang kam er ihr entgegen. Er strahlte Energie und Kraft aus. Unwillkürlich dachte Grace an die hässlichen Gerüchte, die über ihn kursierten. „Bleib einfach auf Distanz“, ermahnte sie sich. Sie entriegelte den Kofferraum und stieg aus.

Wyatt nahm ein Gepäckstück unter jeden Arm und eins in jede Hand. Alle ihre Koffer hatten Rollen, aber das schien ihn nicht zu interessieren. Grace hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten.

„Ich zeige Ihnen erst Ihr Zimmer, dann machen wir eine Runde durchs Haus. Die Gelegenheit ist günstig, denn Megan ist gerade eingeschlafen.“

Sie gingen durch eine große Küche mit Terrakottafliesen, rustikalen Eichenmöbeln und hellen Einbauschränken. Der Anblick ihrer neuen Umgebung beflügelte Grace. Im angrenzenden Frühstückszimmer stand ein ovaler Esstisch. Ein großes Erkerfenster, mit Aussicht auf die sanften Hügel, ließ viel Licht in den Raum. Der gesamte Küchenbereich wirkte dadurch einladend und freundlich, ganz anders als das düstere Wohnzimmer, in dem sie das Vorstellungsgespräch geführt hatten.

Grace folgte Wyatt durch einen breiten Flur. Im Vorbeigehen schaute sie in hübsch eingerichtete Zimmer. Sie registrierte ihre Umgebung zwar, doch noch viel mehr interessierte sie sich für den Mann, der vor ihr ging und ihre schweren Koffer trug wie leere Schachteln.

Sie hatte die Bedenken ihrer Freundin beiseitegeschoben, aber jetzt, da sie mit Wyatt allein war, drängten sich ihr unweigerlich Fragen auf. Betrat sie die Höhle des Löwen? Steuerte sie auf Ärger zu, der ihr ruhiges Leben durcheinanderbringen würde? Konnte sie verhindern, sich in ihn zu verlieben, auch wenn er sie kaum beachtete? War an den Gerüchten über ihn etwas dran?

Grace folgte Wyatt in ihr geräumiges, elegant möbliertes Zimmer, wo er die Koffer abstellte. Die Einrichtung war ganz in Weiß und Blau gehalten, und von den großen Fenstern aus hatte man einen herrlichen Ausblick. Grace war einfach hingerissen.

„Das ist wunderschön!“, rief sie aus, während sie sich umschaute und den Raum mit ihrem eigenen kleinen Schlafzimmer verglich.

„Danke“, erwiderte er beiläufig. „Nebenan ist Ihr Bad. Ich führe Sie erst mal weiter herum, dann holen wir Ihre restlichen Sachen. Ich muss Sie vorwarnen. Megan hat sich ein bisschen erkältet. Sie ist seit Tagen quengelig.“

„Das macht nichts. Damit werde ich schon fertig.“

„Das hoffe ich“, erwiderte er. Er musterte sie, als wollte er ihre Gedanken lesen.

„Sie klingen immer noch nicht überzeugt, Mr. Sawyer …“

„Wyatt. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie Grace nenne?“

„Natürlich nicht. Warum haben Sie mich angestellt, wenn Sie an meinen Fähigkeiten zweifeln?“

Er presste die Lippen zusammen, und sie ahnte, dass er wahrscheinlich wirklich niemand anderen gefunden hatte.

„Sie hatten keine andere Wahl, stimmt’s?“

„Ich möchte nur, dass Sie mir rechtzeitig Bescheid sagen, wenn Sie einen Rückzieher machen wollen. Ein schreiendes Baby kann einem ganz schön auf die Nerven gehen“, meinte Wyatt.

„Mir wird Megan bestimmt nicht auf die Nerven gehen“, entgegnete Grace. „Sie ist ein Baby, und das schreit nun mal. Das ist es nicht, was mir Sorgen bereitet.“

Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen und wünschte von ganzem Herzen, dass sie die letzten Worte zurücknehmen könnte. Wyatt hob die Augenbrauen und musterte Grace eindringlich. Am liebsten wäre sie vor ihm in den Erdboden versunken.

„Verstehe, es sind die alten Geschichten, die Sie über mich gehört haben. Der Raufbold von Stallion Pass. Der Weiberheld vom Lago County. Ist es das, was Sie beunruhigt?“

Grace befand sich in einer Zwickmühle. Wenn sie zugab, dass sie sich zu ihm als Mann hingezogen fühlte, wäre das peinlich für sie. Doch sie wollte ihm auch nicht vorschwindeln, dass nur sein Ruf sie störte. Wie hatte ihr diese unbedachte Bemerkung nur herausrutschen können?

„Ich werde es schwer haben, Ihren Ansprüchen gerecht zu werden“, wich sie aus.

Er zog eine Braue noch ein wenig höher. „Ich glaube nicht, dass es das war, was Sie meinten.“

„Vielleicht nicht“, gab sie zu. Sie fühlte, wie sie rot wurde. „Aber ich finde, wir sollten es dabei belassen.“

Wyatt zuckte mit den Schultern und drehte sich um. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen mein Haus.“ Er durchquerte den Raum und öffnete eine Tür. „Nebenan ist das Kinderzimmer. Ich hoffe, das ist Ihnen recht.“

„Natürlich.“ Sie blickte in ein in Rosa eingerichtetes Zimmer mit Zirkusmotiven an den Wänden. Das Baby schlief in seinem Bettchen. Ein Mobile mit Disney-Figuren baumelte von der Decke. Wyatt zog die Tür leise zu. „Mein Reich liegt direkt dahinter. Wir können auch außen herum gehen.“

Diese räumliche Nähe fand Grace beunruhigend. Sie runzelte die Stirn und versuchte, ihr Unbehagen zu verbergen.

Wyatt führte sie über den Flur in sein Refugium, das sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckte. Ein Bücherregal nahm die ganze Wand ein. „Oh, so viele Bücher! Lesen Sie viel?“

„Nein. Ich habe das Haus so von Hank und Olivia übernommen. Die Bücher gehörten ihnen. Ich nehme mir einen Raum nach dem anderen vor und gestalte ihn nach meinen Vorstellungen um.“

Navajo-Teppiche lagen auf dem polierten Holzfußboden vor dem Kamin. Eine Schale mit Schokolade stand auf dem Schreibtisch. Wyatt bot Grace davon an. Als sie mit einem Kopfschütteln ablehnte, nahm er sich ein Stück und stellte die Schale zurück.

„Schön haben Sie es hier“, bemerkte Grace.

„Danke, aber das Lob gebührt nicht mir. Meine Schwägerin hat die Räume eingerichtet. Mein Bruder und seine Frau hielten sich allerdings nicht oft hier auf. In ihrem Haus in San Antonio fühlten sie sich wohler. Das Einzige, was Olivia hier unverändert gelassen hat, ist das Wohnzimmer. Darum werde ich mich als Erstes kümmern. Mit dieser Erinnerung an meine Kindheit möchte ich nicht leben.“

Er klang so verbittert, dass Grace ihn forschend anschaute. „Ihre Kindheit war nicht glücklich?“

„Kaum.“

„Das tut mir leid.“

„Ist lange her“, wehrte Wyatt ab. Dann zeigte er ihr den Rest des Hauses, das von seinem Ururgroßvater gebaut worden war. Im getäfelten Büro deutete Wyatt auf einen Stapel Briefe auf dem ansonsten aufgeräumten Schreibtisch. „Das sind Bewerbungen von Kindermädchen. Ich hätte noch den ganzen Monat lang Vorstellungsgespräche führen können.“

Erstaunt sah Grace ihn an. „Wenn Sie so viele Kandidatinnen hatten, warum haben Sie dann mich angestellt? Waren Sie aus irgendeinem Grund in Eile?“

„Nein. Ich habe die restlichen Bewerbungen flüchtig durchgeblättert. Es war nichts Passendes dabei. Ich hatte den Eindruck, dass die meisten Frauen nur interessiert waren, weil ich reich und allein stehend bin.“

„Und woher wussten Sie, dass das bei mir nicht der Grund war?“

Seine Augen funkelten belustigt. „Sie schickten mir keinen koketten Brief. Im Gegenteil, Sie klangen sehr seriös. Und als ich Sie fragte, ob Sie an Heirat denken, verneinten Sie das. Sollte ich mich etwa geirrt haben?“

„Oh, um Himmels willen, nein!“, antwortete Grace spontan. Als sich sein Mund zu einem Lächeln verzog, fügte sie rasch hinzu: „Es tut mir leid. Ich meinte das nicht persönlich. Für mich ist es eben nur ein Job, in dem Privates keine Rolle spielen sollte.“

„War nur Spaß. Vergessen Sie es. Sie haben gesagt, dass Sie nicht interessiert sind, und ich glaube Ihnen.“ Er nahm die Briefe und warf sie in den Papierkorb. „Außerdem haben Sie einen Draht zu Megan. Das ist entscheidend.“

Plötzlich hörten sie Weinen über das Babyfon.

„Megan ist aufgewacht. Kommen Sie mit.“

Grace lief neben ihm her. Wyatt ließ sie höflich vor sich ins Kinderzimmer eintreten, aber dann überholte er sie, um das weinende Baby hochzunehmen. Als er sich über das Bett beugte, spannte sich das T-Shirt über seinem Oberkörper. Grace beobachtete das Spiel seiner Muskeln auf dem Rücken und an den Armen. Er hatte breite Schultern, eine schlanke Taille und schmale Hüften. Wie sollte sie Tag für Tag mit diesem Mann zusammenarbeiten und dabei kühl bleiben? Schon sein bloßer Anblick verursachte ihr ein leichtes Kribbeln.

„Haben Sie schon mal Windeln gewechselt?“, fragte er sie.

„Oh, ja. Nach meinem Vorstellungsgespräch bei Ihnen war ich ein paar Mal Babysitter bei Freunden, die ein drei Monate altes Kind haben. Da hatte ich Gelegenheit zum Üben.“

„Gut“, meinte Wyatt und legte ihr Megan in den Arm.

Von dem Moment an war Grace bis zum Rest des Tages mit dem Baby beschäftigt. Sie lernte das Haus und ihren Tagesablauf kennen und erfuhr, was Wyatt alles von ihr erwartete.

„Nachts werde ich mich um das Baby kümmern“, erklärte Wyatt abends, als er Megan das Fläschchen gab. „Sie brauchen die Nachtschicht nur dann zu übernehmen, wenn ich unterwegs bin.“

Während Wyatt die Kleine ins Bett brachte, ging Grace in ihr Zimmer, um ihre Sachen auszupacken. Sie hörte ihn nebenan leise mit Megan sprechen und ihr etwas vorsingen. Eine Weile später knarrte nur noch der Schaukelstuhl.

Es war schwierig, den Mann, der nebenan zärtlich das Baby wiegte, mit dem verantwortungslosen Jungen in Verbindung zu bringen, der in der Highschool eine Mitschülerin geschwängert und sie dann im Stich gelassen hatte. Wenn irgendjemand das Zeug zu einem vorbildlichen, liebevollen Vater hatte, dann war es Wyatt Sawyer. Vielleicht hatten die Jahre ihn verändert.

Es war schon nach Mitternacht, als Grace duschte und dann in ihr kurzes blaues Nachthemd schlüpfte. Sie bürstete sich das Haar, kletterte ins Bett und schlief ein.

Irgendwann wachte sie von Megans Weinen auf. Da Wyatt sich nachts um das Baby kümmern wollte, versuchte sie, wieder einzuschlafen. Aber das Weinen hörte nicht auf, sodass Grace schließlich aufstand. Sie zog ihren blauen Morgenmantel über, eilte ins Kinderzimmer und schaltete eine Tischlampe ein.

„Hast wohl Hunger, meine Süße?“, flüsterte sie. Sie nahm Megan aus dem Bett, um mit ihr in die Küche zu gehen.

In dem Moment riss Wyatt die Tür auf. Er wollte eintreten, sah Grace mit dem Baby auf dem Arm und blieb wie angewurzelt stehen.

3. KAPITEL

Wyatt hatte Megan weinen gehört und war schlaftrunken aufgestanden. Seit über zwei Wochen hatte er keine Nacht mehr durchgeschlafen und war entsprechend erschöpft. Er schlüpfte in seine Shorts und stürzte zum Kinderzimmer. Kaum hatte er die Tür geöffnet, blieb er jedoch abrupt stehen.

Da er aus dem Tiefschlaf hochgeschreckt war, hatte er völlig vergessen, dass Grace im Haus war. Jetzt stand er einer Frau gegenüber, die vollkommen anders aussah als jene, die er eingestellt hatte. Ihr lockiges rotes Haar fiel offen über ihre Schultern. Sie wirkte sinnlich und anziehend. Wyatt spürte, wie Unruhe in ihm aufstieg. Das Baby auf ihrem Arm hatte ihren Morgenmantel mit seiner winzigen Faust beiseitegeschoben. Grace trug ein knappes blaues Nachthemd darunter, das volle Brüste und lange, wohlgeformte Beine enthüllte. Er fing ihren Blick auf. Ihre Wangen glühten. Da wurde ihm bewusst, dass er beinahe nackt war.

„Entschuldigung. Ich hatte jetzt nicht mit Ihnen gerechnet“, sagte er mit heiserer Stimme.

Hastig drehte Grace sich um und hielt ihren Morgenmantel zu. „Ich wollte ihr gerade ein Fläschchen holen. Sie hat nicht aufgehört zu weinen, deshalb bin ich aufgestanden. Ich kümmere mich um sie.“

Mit Megan auf dem Arm lief sie aus dem Zimmer. Verwirrt blieb Wyatt zurück. Er hatte eine wunderschöne Frau engagiert. In dem weichen Licht hatte sie hinreißend ausgesehen. Er rieb sich die Augen und wünschte, er könnte das Bild aus seinem Gedächtnis streichen und Grace wieder nur als unscheinbares Kindermädchen sehen. Aber die Erinnerung ließ sich nicht auslöschen.

„Verdammt“, murmelte er und kehrte in sein Zimmer zurück, um sich eine Jeans anzuziehen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und ging Richtung Küche. „Ich wusste, dass ich eine Hundertjährige hätte einstellen sollen. Eine Großmutter mit grauen Haaren und Erfahrung.“

Grace versuchte, mit einer Hand Babynahrung anzurühren, während sie die weinende Megan auf dem Arm hielt. Sie stand mit dem Rücken zur Tür, drehte sich jedoch um, als Wyatt den Raum betrat. Ihren Morgenmantel hatte sie fest zugebunden, aber er konnte sich den verführerischen Körper darunter immer noch vorstellen.

„Ich habe sie noch nicht gewickelt“, sagte Grace. „Wenn Sie das übernehmen könnten, mache ich inzwischen das Fläschchen fertig.“

„Natürlich“, antwortete er automatisch. Er ging auf sie zu, um ihr das Baby abzunehmen. Als er dicht vor ihr stand, schaute Grace zu ihm auf. Ihr Blick nahm ihn gefangen. Er konnte ihren frischen Duft wahrnehmen, und ihre wilde Mähne lud dazu ein, die Finger darin zu vergraben. Ihr Teint war rosig und wirkte selbst mit den Sommersprossen auf der Nase makellos.

Sein Blick fiel auf ihren sinnlichen Mund. Was würde passieren, wenn er sie jetzt küsste? Die Luft knisterte vor Spannung. Doch Wyatt konnte keine Komplikationen gebrauchen, und deshalb durfte er sein Kindermädchen nicht verführerisch finden.

Er riss den Blick von ihr los und nahm das Baby. Megan hatte ihre kleinen Finger in den Kragen von Graces Morgenmantel gekrallt und zog ihn auf. Für einen kurzen Moment sah Wyatt wieder sanfte Kurven und zarte Haut. Sein Mund wurde trocken. Mechanisch wandte er sich mit dem Baby zur Tür.

„Komm, Megan, ich kümmere mich um dich“, sagte er mit rauer Stimme und eilte aus der Küche.

Wann war er je in seinem Leben vor einer attraktiven Frau davongelaufen? Er war direkt etwas ins Schwitzen geraten, und dabei war Grace noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden auf der Ranch. Er schimpfte leise vor sich hin und wechselte dem weinenden Baby endlich die Windeln.

Als er mit Megan zurück in die Küche wollte, kam Grace ihnen bereits mit der Flasche entgegen. Bei jedem Schritt sprang der kurze Morgenmantel etwas auf und gewährte kurze, verführerische Blicke auf ihre Beine. Wyatt konnte sich nicht erinnern, was sie tagsüber getragen hatte, von ihren schönen Beinen jedenfalls hatte er nichts gesehen.

„Geben Sie mir die Kleine. Ich werde sie füttern“, meinte Grace. „Ich bin nicht müde.“

Wortlos reichte Wyatt ihr seine Nichte. Wieder erregte es ihn, so nah bei Grace zu stehen und sie wie zufällig zu berühren. „Macht es Ihnen wirklich nichts aus?“

„Keine Sorge“, erwiderte sie. „Ich hatte in letzter Zeit viel Schlaf, und ich wette, dass Sie das nicht von sich behaupten können.“

„Stimmt. Danke“, meinte er abrupt und ging wieder in sein Zimmer. Er schloss die Tür, warf sich auf das Bett und schlug mit der flachen Hand auf das Kopfkissen. „Verdammter Mist!“, fluchte er leise.

Graces sanfte Stimme drang zu ihm herüber. Sie sang Megan ein Wiegenlied vor. Das Baby war still, und der Schaukelstuhl knarrte. Wyatt konnte sich die Idylle im Nebenzimmer nur zu gut vorstellen.

Was sollte er tun?

Er stand auf, nahm sich ein Stück Schokolade und trat ans Fenster. Außenlampen beleuchteten das abgezäunte Gelände um sein Haus. Die Bäume dahinter waren tiefschwarze Schatten im hellen Mondlicht. Er konnte es immer noch nicht ganz fassen, dass all das jetzt ihm gehörte. Alles war so schnell gegangen nach dem tödlichen Unfall von Hank und Olivia. Es gab noch so vieles zu bedenken. Zunächst einmal musste er nach Kalifornien, um sich dort um sein Immobilienbüro zu kümmern. Außerdem wollte er nächsten Monat an einem Rodeo in Sacramento teilnehmen. Entweder er zog seine Anmeldung zurück, oder er nahm, wie er es ursprünglich geplant hatte, Megan und das Kindermädchen mit.

Diesen Plan konnte er jetzt vergessen. Nebenan hörte er Grace immer noch leise singen.

Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als ihr morgen zu kündigen. Er würde ihr einfach sagen, dass es nicht funktionierte, und ihr eine großzügige Abfindung zahlen. Er brauchte eine reife, gütige Frau, die selbst schon Kinder großgezogen hatte, und keine junge Rothaarige mit verführerischen Kurven.

Noch nie hatte sich Wyatt in einem solchen Dilemma befunden. Attraktive Frauen hatten immer zu seinem Privatleben gehört, eine so aufreizende Angestellte indes hatte er noch nie gehabt. Er seufzte und ging unruhig auf und ab.

In all den Jahren, in denen Wyatt seinem Vater und Stallion Pass den Rücken gekehrt hatte, waren er und Hank in Verbindung geblieben. Wyatt erinnerte sich, wie sein Bruder ihn wegen des Testaments angerufen hatte. Hank und Olivia hatten Vorsorge für den Ernstfall treffen wollen. Deshalb hatte er Wyatt gefragt, ob er Megans Vormund sein wollte, falls ihnen beiden etwas zustieße. Olivia wäre es nicht recht gewesen, dass ihre Eltern das übernähmen, weil die nur wenig Interesse an ihrer Enkelin zeigten. Außerdem hielt Olivia die beiden für zu alt, um noch ein Kind aufzuziehen.

Wyatt hatte zugestimmt, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Hank und Olivia gleichzeitig etwas passieren würde. Doch das beinahe Unmögliche war geschehen.

Jetzt saß er mit Megan da und brauchte verzweifelt ein neues Kindermädchen. Der Gedanke, erneut Vorstellungsgespräche zu führen, war ihm zuwider. Er wanderte weiter grübelnd durch das Zimmer, bis er auf die Uhr sah und erschrak. Grace hatte zu singen aufgehört, und Megan weinte nicht mehr, aber er konnte immer noch das Knarren des Schaukelstuhls hören.

Er könnte Grace ebenso gut ablösen und sie zu Bett schicken, denn er würde sowieso nicht schlafen können.

Leise öffnete Wyatt die Tür zum Kinderzimmer. Eine kleine Lampe verbreitete immer noch einen schwachen Lichtschein.

Grace saß im Schaukelstuhl. Der Morgenmantel sprang über ihren Knien auf, ihr Kopf war angelehnt. Megan lag auf ihr und hatte ihr Ärmchen um Graces Nacken geschlungen. Grace war schön und verführerisch. Gleichzeitig wirkte sie mit dem Baby auch mütterlich. Ihre Augen waren geschlossen, doch sie schaukelte regelmäßig, sodass er davon ausging, sie war wach.

Er trat näher. Sein Puls raste, und er spürte schon wieder Erregung. Dicht vor ihr blieb er stehen.

„Grace“, flüsterte er. „Warum gehen Sie nicht ins Bett?“

Langsam öffnete sie die Augen, und die Wirkung war wie ein elektrischer Schlag. Funken flogen. Wyatt sehnte sich danach, sie zu küssen. Ein Knistern lag in der Luft, und er konnte sich nicht vorstellen, dass Grace nichts davon merkte.

„Mir geht es gut. Es macht mir wirklich nichts aus, noch aufzubleiben. Warum schlafen Sie nicht?“, murmelte sie schläfrig.

„Ich kann nicht“, entgegnete er barsch. „Da ich sowieso wach bin, kann ich Megan auch nehmen.“ Er wünschte, Grace würde ihm endlich das Baby überlassen und aus dem Zimmer verschwinden. Er musste sie entlassen. Er würde diese Quälerei nicht Tag für Tag und Nacht für Nacht aushalten.

„Ich möchte sie nicht stören“, meinte Grace. „Sie ist zufrieden und kurz vorm Einschlafen. Ich werde sie noch ein bisschen wiegen. Legen Sie sich wieder hin. Wenn Sie nicht schlafen können, trinken Sie etwas heiße Schokolade.“

Wyatt knirschte mit den Zähnen. „Ich brauche keine heiße Schokolade“, erwiderte er unwillig. Er drehte sich um und ging aus dem Zimmer. An der Tür blieb er noch einmal kurz stehen. „Ich fahre eine Runde mit dem Motorrad. Wenn ich vom Hof bin, können Sie die Alarmanlage wieder aktivieren. Napoleon ist aber ohnehin da, und er ist ein guter Wachhund.“

„Machen Sie sich um uns keine Sorgen. Ich schalte den Alarm ein, bevor ich mich wieder hinlege.“

Wyatt mochte gar nicht daran denken, wie Grace ins Bett schlüpfte. In seinem Haus, nur durch ein kleines Zimmer von seinem getrennt. Warum nur hatte er sie eingestellt?

Leise machte er die Tür zu, zog sich ein T-Shirt und Stiefel an und nahm seine Schlüssel. Kurze Zeit später raste er auf seinem Motorrad davon.

Nach zwei Stunden kehrte Wyatt zurück, müde, mürrisch und noch genauso erregt wie zuvor. Noch nie hatte eine Frau ihn so in ihren Bann gezogen wie Grace. Und dabei tat sie nichts. Sie war einfach nur da.

Verführe sie, drängte eine innere Stimme ihn. Auf diese Weise könnte er seine Ruhe finden. Er hätte eine Geliebte im Haus und gleichzeitig ein Kindermädchen.

Nein, unmöglich. Er musste an Megan denken. Früher war ihm sein Ruf egal gewesen, doch um seiner Nichte willen musste er in Stallion Pass ein geordnetes Leben führen. Er durfte ihr auf keinen Fall schaden.

Also lief es erneut darauf hinaus, Grace zu entlassen. Wyatt seufzte. Er würde die Bewerbungsschreiben wieder aus dem Papierkorb holen, bevor seine Haushälterin Mrs. Perkins sie in den Müll warf.

Er schaute kurz nach Megan und war erleichtert, dass sie schlief und Grace nirgends zu sehen war. Auf Zehenspitzen ging er zu dem Kinderbett. Zärtlich hauchte er dem Kind einen Kuss auf die Stirn. Megan hatte sein Leben auf den Kopf gestellt, aber er vermisste nichts, weil er sie unendlich lieb gewonnen hatte.

Er duschte, machte sich einen Drink und warf sich aufs Bett. Es wurde bereits hell, als er endlich einschlief.

Irgendwann wachte Wyatt auf und schaute verwirrt auf die Uhr. Erschrocken setzte er sich auf. Es war halb neun. Er hatte total verschlafen. Megan! Er sprang aus dem Bett, zog seine Shorts an und lief ins Kinderzimmer. Erst als er die Tür aufriss und das leere Bett sah, fiel ihm Grace ein, sein Kindermädchen. Erleichtert atmete er auf, bis die Sorgen wieder auf ihn einstürmten. Heute musste er Grace entlassen.

Er wusch und rasierte sich, zog sich ein weißes Hemd, Jeans und Stiefel an und ging nach unten.

In der Küche hatte Mrs. Perkins Kaffee gekocht und ihm sein Frühstück bereitgestellt. Mit einer Schürze vor dem Bauch wirbelte sie herum, füllte ihm einen Teller auf und steckte ein Stück Brot in den Toaster.

„Guten Morgen, Mr. Sawyer“, begrüßte sie ihn fröhlich und blickte ihn durch ihre Brille an. „Ich habe Miss Talmadge bereits kennengelernt. Sie ist sehr nett. Eine gute Nanny für die kleine Megan.“

„Ja“, antwortete er und dachte dabei an die ihm bevorstehende unangenehme Aufgabe. „Danke für das Frühstück. Sieht lecker aus.“

„Haben Sie wieder nicht genug geschlafen?“, fragte sie ihn besorgt. „Ich dachte, Miss Talmadge hätte sich um das Baby gekümmert.“

„Das hat sie auch, aber ich war trotzdem wach.“

Er beendete sein Frühstück und nahm dann den Kaffeebecher mit in sein Arbeitszimmer. Widerwillig holte er die Bewerbungsbriefe aus dem Papierkorb und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Dann schrieb er einen Scheck für Grace aus und legte ihn in die oberste Schublade. Er würde mit ihr reden, sobald Megan ihren Mittagsschlaf hielt. Abwesend naschte er ein Stück Schokolade und starrte ins Leere. Dabei sah er im Geiste Grace vor sich, wie sie letzte Nacht vor ihm gestanden hatte.

Später erfuhr Wyatt von Mrs. Perkins, dass Grace und Megan im Hof waren. Es war ein milder Sommertag, und er trat hinaus in den Sonnenschein. Er beobachtete die beiden ein paar Minuten. Megan trug einen Sonnenhut mit rosafarbenen Bändchen. Sie saß in der Babywippe und lachte, wenn Grace sie anschubste. Grace trug wieder einen langen Rock und eine weiße Baumwollbluse. Mit den aufgesteckten Haaren wirkte sie wie eine Lehrerin. Aber jetzt wusste er, dass der Schein trog.

Wie dem auch sei. Er durfte sie nicht attraktiv finden. Und er wollte nicht noch so eine Nacht wie die vorige durchmachen. Bis zum Abend würde Grace aus seinem Leben verschwunden sein.

Wyatt dachte an Zoe Elder, die Blondine, mit der er etwas angefangen hatte, als sein Leben durch Hanks Flugzeugabsturz aus der Bahn geraten war. Er könnte Zoe nach Texas kommen lassen und sich abreagieren. Doch im selben Moment verwarf er diesen Gedanken wieder. Er konnte nicht die Andeutung eines Skandals gebrauchen. Er würde mit einem Treffen warten müssen, bis er wieder in Kalifornien war. Dort konnte er tun und lassen, was er wollte, ohne dass es jemanden interessierte.

„Guten Morgen“, grüßte er, als er auf die Babywippe zuging.

„Hallo“, erwiderte Grace, wobei sie ihn kaum anschaute.

„Hallo Megan“, sagte er zu der Kleinen, und sie quietschte vor Vergnügen.

„Möchten Sie eine Pause machen?“, fragte er Grace. „Ich kann Sie eine Weile ablösen.“

„Danke. Ich müsste ein paar Anrufe erledigen. Es wird nicht lange dauern.“ Sie eilte ins Haus.

„Wir müssen dir eine neue Nanny besorgen“, erzählte Wyatt dem Baby. „Eine, die viel, viel älter ist, nicht so sexy, nicht so hübsch, aber genauso nett. Wir werden schon eine finden.“ Schade, dass keine der Frauen, deren Männer auf der Ranch arbeiteten, an dem Job interessiert war. Das hatte er bereits abgeklärt.

Grace kam bald darauf zurück, und Wyatt ging wieder in sein Büro. Mittags fand er die beiden in der Küche. Das Baby saß in seinem Kindersitz am Esstisch, und Grace war gerade dabei, es zu füttern. Sie schürzte die Lippen und beobachtete, wie das Baby den Brei schluckte. Fasziniert blickte Wyatt auf Graces Lippen. Er stellte sich vor, wie es wäre, sie zu küssen. Als ihm bewusst wurde, in welche Richtung seine Gedanken schweiften, räusperte er sich und trat an den Tisch.

„Grace, wenn Megan heute Nachmittag schläft, würden Sie dann bitte einmal zu mir kommen? Ich muss etwas mit Ihnen besprechen.“

„In Ordnung“, antwortete Grace.

„Ich erwarte Sie in meinem Büro.“

Sie nickte und fuhr fort, Megan zu füttern. Das Baby hatte Haferbrei auf dem Kinn und auf dem Lätzchen. Trotzdem war Grace geschickter als er. Seine Laune wurde zusehends schlechter.

Es war halb drei, als Wyatt ein Klopfen an seiner geöffneten Bürotür hörte. Er schaute hoch und sah Grace.

„Kommen Sie herein“, forderte er sie auf. Er legte den Stift aus der Hand und lehnte sich zurück. „Schließen Sie bitte die Tür.“ Er wollte eine Unterbrechung durch Mrs. Perkins vermeiden.

„Nehmen Sie Platz“, sagte er und betrachtete Grace. Sie setzte sich hin und wirkte sittsam wie bei ihrem ersten Gespräch. Doch seit sie letzte Nacht leicht bekleidet und mit offenen Haaren vor ihm gestanden hatte, hatte er ein anderes Bild von ihr. Ihre grünen Augen hatte er von Anfang an faszinierend gefunden, aber jetzt reizten ihn ebenso ihre rosige Haut und ihre sinnlichen Lippen. Auch konnte ihre schlichte Kleidung die schmale Taille und die vollen Brüste nicht ganz verbergen.

„Sie kommen gut mit Megan zurecht.“

„Sie ist ein liebenswertes Kind.“

„Das finde ich auch. Ich liebe sie sehr. So sehr, dass ihr Wohl mir über alles geht.“ Wyatt hielt einen Moment inne. „Grace, es tut mir leid, aber es funktioniert nicht. Ich bin bereit, Sie für Ihre Umstände und Ihre Zeit zu entschädigen, doch ich muss Sie entlassen.“

Er stand auf und hielt ihr den Scheck hin, den er am Morgen ausgestellt hatte. „Das sollte genügen, um Sie über Ihren Ärger hinwegzutrösten.“

Grace ließ sich ihre Enttäuschung nicht eine Sekunde lang anmerken. „Was haben Sie gegen mich einzuwenden?“, fragte sie beherrscht, ohne auf den Scheck zu achten. „Ich bin bis jetzt gut mit Megan zurechtgekommen. Was mir noch an Kenntnissen fehlt, kann ich lernen.“

„Das weiß ich. Trotzdem möchte ich doch lieber jemand Älteres einstellen.“

„Was spricht gegen mein Alter, wenn ich gute Arbeit leiste und Megan mich mag?“

Warum machte sie es ihm nur so schwer? Wyatt musterte sie. „Ich glaube, wenn Sie bleiben, könnten die Dinge zwischen uns kompliziert werden. Ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung …“

Er hielt inne, denn Grace fing zu lachen an. Ihre grünen Augen funkelten amüsiert. Sie erhob sich und winkte ab. „Behalten Sie Ihren Scheck, Mr. Sawyer. Wenn es Sie beruhigt, nenne ich Sie künftig wieder Mister. Wirklich, ich habe kein Interesse an Ihnen! Weder heute noch morgen, niemals!“

„Es mag zwar eingebildet klingen, aber so etwas hat noch keine Frau zu mir gesagt. Warum nicht?“, fragte Wyatt, seltsam enttäuscht.

„Wir sind zwei völlig verschiedene Wesen, um es mal einfach auszudrücken. Ich habe meine eigenen Pläne und Ziele. Irgendwann möchte ich natürlich auch heiraten, jedoch nicht in den nächsten Jahren, da ich noch meine Ausbildung machen werde. Und dann ganz bestimmt nicht Sie!“

„Wegen der Gerüchte, die über mich kursieren?“

„Nun, ja, auch das spielt eine Rolle …“ Grace lächelte ihn beinahe mitleidig an. „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten. Obwohl jemand, der bei Frauen so erfolgsgewohnt ist wie Sie, das sicher verschmerzen kann.“

„Also, was haben Sie gegen mich?“

„Ihr Lebensstil ist mir vollkommen fremd. Zu rasant, zu risikoreich. Wenn Sie der Meinung sind, dass ich nicht gut für Megan bin, werde ich auf der Stelle meine Koffer packen. Aber wenn Sie den Verdacht haben, ich sei hinter Ihnen her, dann lassen Sie uns das bitte ganz schnell vergessen.“

„Und was war gestern Nacht?“ Wyatt konnte sich die Frage nicht verkneifen, obgleich er wusste, dass er sich damit auf gefährliches Terrain begab. „Sie haben nichts empfunden, als wir zusammen waren?“

„Sie sind erfahren genug, um auf sich selbst aufzupassen“, antwortete Grace. Fast schien es ihm, als machte sie sich über ihn lustig. „Ich sehe in Ihnen nur meinen Arbeitgeber. Können wir es nicht einfach darauf beruhen lassen?“

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“ Er musterte sie eindringlich. Was sie sagte, war das eine, ihr Körper indes sprach eine andere Sprache. Ihr Gesicht war gerötet, und sie redete etwas hektisch. Er nahm ihr ihre Reserviertheit nicht ab. Nicht dass er es nicht ertragen konnte, dass eine Frau ihn abblitzen ließ. So eitel war er nun doch nicht. Er hatte allerdings eine andere Reaktion erwartet. Anstatt unter Tränen um ihren Job zu betteln, schien sie ihn beinahe zu verspotten.

„Ich habe die Angewohnheit, ehrlich zu sein“, erklärte sie. „Sie sind ein sehr gut aussehender Mann, Mr. Sawyer. Aber damit hat es sich auch schon. Ich kann durchaus mit jemandem zusammenarbeiten, der attraktiv ist, ohne mit ihm schlafen zu wollen. Und ich bin sicher, das gilt umgekehrt auch für Sie.“

Kindermädchen oder nicht, sie interessierte ihn mit jeder Minute mehr.

„Ich glaube Ihnen nicht.“

„Auch wenn es für Ihr Ego schwer sein mag, das zu akzeptieren, ich bin wirklich nicht interessiert an Ihnen.“

„Sie leben hier mit mir unter einem Dach“, beharrte Wyatt. „Es kann immer wieder Situationen wie letzte Nacht geben. Und dann hätten wir Probleme.“

„Das können wir leicht vermeiden. Lassen Sie mich doch einfach in der Woche die Nachtwache für Megan übernehmen. Wenn Sie sich dann am Wochenende um sie kümmern, kommen wir uns nicht ins Gehege.“

Das Gespräch nahm eine völlig unerwartete Wendung, und er wusste nicht, wie Grace das geschafft hatte.

„Dann war ich letzte Nacht also der Einzige, der das Knistern zwischen uns gespürt hat?“, fragte er sanft und ging auf sie zu. Sie riss erschrocken die Augen auf und holte nervös Luft.

„So ist es.“

„Oh, das glaube ich nicht.“ Wyatt trat noch näher an sie heran und löste die Spange aus ihrem Haar. „Lass dein Haar offen, wie letzte Nacht. Dann siehst du ganz anders aus“, sagte er leise. „Mach die obersten Knöpfe von deiner Bluse auf, damit du der Frau von gestern Nacht ähnelst. Fühlst du immer noch nichts, wenn ich so nahe bei dir bin?“

Grace wurde heiß. Vor Erregung brachte sie kein Wort heraus. Doch sie wollte ihren Job behalten.

„Empfindest du wirklich nichts, Grace?“

„Ich denke, nein“, flüsterte sie.

„Ich denke, ja. Wo ist deine Ehrlichkeit geblieben? Mal sehen, ob du etwas fühlst, wenn ich das hier tue“, raunte Wyatt und zog sie in seine Arme.

„Mr. Sawyer!“

„Zum Teufel damit“, murmelte er und küsste sie.

Grace schloss die Augen. Wyatt ließ seine Zungenspitze über ihre Lippen gleiten. Die zarte Liebkosung setzte sie in Flammen. Sie hatte ihm nicht die Wahrheit gesagt. Und ob sie letzte Nacht die Funken gespürt hatte! Genug, um ein Feuerwerk zu entfachen. Und der Anblick, wie er nur in der Unterhose vor ihr gestanden hatte, erregte ihre Fantasie. Er war sexy und attraktiv und unwiderstehlich, aber sie wollte ihren Job nicht aufs Spiel setzen. Sie hatte die kleine Megan bereits ins Herz geschlossen, die Ranch war ein wunderschöner Arbeitsplatz, und die Bezahlung war fürstlich. Das alles wollte sie auf gar keinen Fall aufgeben.

Also bemühte sie sich, ruhig zu bleiben und keine Reaktion zu zeigen. Doch Wyatt presste sie fest an sich und hörte nicht auf, sie leidenschaftlich zu küssen. Es raubte ihr den Atem. Glühende Lava schien durch ihre Adern zu fließen. Und all ihre Argumente und Gedanken verflüchtigten sich.

„Du fühlst immer noch nichts?“, flüsterte er, bevor er sie wieder küsste.

Unter seinen Zärtlichkeiten wurde Grace schwach. Ein ungeahntes Verlangen erfasste sie. Und dann konnte sie nicht länger widerstehen. Sie schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss. Selbstvergessen spielte sie mit den Fingern in seinen Haaren, ließ sich vollkommen fallen. Die Sorge um ihren Job war verflogen. Sie war verloren.

Doch irgendwann stemmte sie die Hände gegen Wyatts Brust, und er hob den Kopf. Mit seltsamer Intensität sah er sie an. Sein Blick war fast genauso aufwühlend, wie es eben noch seine Küsse gewesen waren.

„Na schön, ich habe etwas empfunden“, gestand sie. Sie versuchte, ihrer Stimme einen energischen Klang zu verleihen. „Aber Sie haben mich geküsst. Wir müssen uns nicht küssen. Ich will es nicht, und Sie wollen es nicht.“

Grace machte sich von Wyatt los. Ihr Herz klopfte immer noch wild. Vielleicht war es die größte Dummheit ihres Lebens, so um ihren Arbeitsplatz zu kämpfen.

„Ich kann mich so kleiden, dass Sie mich gar nicht als Frau registrieren werden. Keiner von uns will eine Beziehung mit dem anderen. Lassen Sie mich die Stelle behalten, es sei denn, Sie sind mit meiner Arbeit unzufrieden. Ich verspreche Ihnen, dass Sie mich nie wieder so sehen werden wie gestern.“

Sein Schweigen beunruhigte sie. Er sah sie lange an, bevor er schließlich sagte:

„Ich weiß nicht …“

„Hören Sie, Sie können jede andere Frau haben. Sie wollen mich nicht. Ich habe Ihre Küsse erwidert, ja, aber das bedeutet nichts. So einfach ist das. Lassen Sie mich meine Arbeit machen, und ignorieren Sie mich. Ich weiß, dass Sie das können. Ich bin nicht unwiderstehlich. Wenn wir über einige Punkte im Tagesablauf noch mal nachdenken, dürfte es keine Schwierigkeiten geben, uns so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Ich habe Megan lieb gewonnen. Der Job ist ideal für mich. Ich will ihn behalten.“

„Was immer auch passiert, ich warne Sie. Ich bin kein Mann zum Heiraten.“

Gereizt funkelte sie ihn an. „Ich warne Sie auch, Mr. Sawyer. Wie ich auch reagiert habe, ich will Sie nicht heiraten und werde es niemals tun.“

Sie taxierten einander wütend. Graces Herz klopfte. Sie brauchte den Job, und Wyatt war der Mann, der darüber zu entscheiden hatte.

„Also, bleibe ich Megans Kindermädchen oder nicht?“

4. KAPITEL

Wyatt ahnte, dass er sich Ärger einhandelte. Er hasste den Gedanken, weiter nach einem Kindermädchen suchen zu müssen. Grace war im Grunde perfekt – oder wäre es zumindest, wenn sie fünfzig Jahre alt wäre, verheiratet und Großmutter.

„Sie haben gesagt, dass ich meine Sache gut mache“, erinnerte sie ihn.

„Na schön. Bleiben Sie, und wir werden abwarten, wie es läuft. In der Woche stehen Sie nachts für Megan auf. Ich übernehme die Wochenenden. Wie finden Sie das?“

„Sehr gut. Ich weiß, wie isoliert Sie hier draußen leben. Falls Sie ein paar interessante, hübsche Frauen kennenlernen möchten, ich habe ein paar Freundinnen, die sich um Sie reißen würden.“

„Nein danke“, erwiderte Wyatt amüsiert. Sein ganzes Leben lang hatte er noch keinen Mangel an Frauen gehabt.

„Wenn Sie mehr ausgingen, wären Sie vielleicht …“

„Vielleicht was?“

Grace errötete. „Sie würden mir vielleicht weniger Aufmerksamkeit schenken. Es gibt vielleicht eine gewisse Leere in Ihrem Leben …“

„Nein, da irren Sie sich. Ich habe eine Freundin in Kalifornien. Sie heißt Zoe. Wir haben immer noch in Kontakt, obwohl ich ja nun schon eine Weile auf dieser Ranch lebe.“

„Gut! Vielleicht sollten Sie Zoe hierher einladen.“

„Ja, vielleicht“, antwortete Wyatt abwesend. Er beobachtete, wie Grace ihr Haar zusammennahm und mit der Spange befestigte. Einige widerspenstige Locken ließen sich nicht bändigen und fielen ihr ins Gesicht. Dadurch wirkte sie viel weicher. Sie hielt die Arme hinter ihrem Kopf, sodass die Bluse über ihren Brüsten spannte.

Vergeblich versuchte er, die Augen von ihr abzuwenden. Wenn er nur einen Funken Verstand besäße, würde er sie auf der Stelle entlassen und aus dem Zimmer gehen.

Stattdessen blieb er stumm stehen und schaute sie nur an.

Grace fing seinen Blick auf und lächelte unwillkürlich, während sie die losen Strähnen einfing. „Mein Haar ist ein bisschen widerspenstig. Ich werde mich jetzt um Megan kümmern. Danke, dass ich den Job behalten darf.“

Sie strahlte ihn nochmals an, bevor sie den Raum verließ. Wyatt starrte ihr wie hypnotisiert hinterher.

„Ich glaube, ich habe gerade den größten Fehler meines Lebens begangen“, murmelte er. Wie sollte es ihm gelingen, sie zu ignorieren? Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

Als Wyatt an diesem Abend mit Megan spielte, saß Grace still am anderen Ende des Wohnzimmers und las. Sie trug ihr weites graues Trägerkleid und eine weiße Baumwollbluse, war blass und ungeschminkt. Dennoch beflügelte sie seine Fantasie so, als würde sie sich im knappen Bikini auf dem Sofa rekeln. Sobald er in ihre Nähe kam, nahm er ihren süßen, blumigen Duft wahr, der wahrscheinlich nur von ihrer Seife stammte. Er fragte sich, ob Grace überhaupt Parfüm besaß. Und obwohl sie nichts tat, beinahe unsichtbar war, zog sie ihn in ihren Bann.

Wyatt holte tief Luft und schaute Grace an. Ihre Augen wirkten groß und unschuldig. Ihr Mund schien ihm verführerischer denn je. „Ich glaube, ich gehe noch ein bisschen mit Megan spazieren.“

„Jetzt noch?“, fragte sie verwundert.

„Der Mond scheint hell, und sie ist gerne draußen. Vielleicht reite ich noch mit ihr aus.“

„Sie werden auf sie Acht geben, ja?“

„Selbstverständlich“, antwortete Wyatt ruhig. „Ich habe reiten gelernt, bevor ich laufen konnte. Bei ihr wird es nicht anders sein.“

„Sie ist noch viel zu klein, um auf einem Pferd zu sitzen, aber Sie sind jetzt ihr Daddy.“

Es war das erste Mal, dass jemand ihn als Megans Daddy bezeichnete, und es hörte sich gut an. „Ihr Daddy“, wiederholte er gedankenverloren. „Es tut mir leid, dass Megan ohne Eltern aufwachsen muss. Sie wird daher in mir ihren Vater sehen, nicht wahr?“

„Sie tut es bereits. Sie liebt sie. Schauen Sie, wie sie Sie anhimmelt.“

Wyatt sah auf das Baby in seinem Schoß. Megan quietschte und guckte ihn vergnügt an. „Wissen Sie, ich liebe sie mehr, als ich je irgendetwas oder irgendjemanden in meinem Leben geliebt habe“, gestand er. „Dabei hatte ich nie mit kleinen Kindern zu tun, und ich wollte auch nie heiraten und Kinder haben.“

„Warum um alles in der Welt nicht?“, fragte Grace mit einem leichten Stirnrunzeln.

„Ich möchte mein Leben nicht ändern. Meine Freiheit geht mir über alles. Außerdem hatte ich immer Angst, so zu sein wie mein Vater. Diese Sorge wenigstens war unbegründet.“ Er blickte Grace an. „Mein Vater war boshaft und gemein.“

„Es tut mir leid, Wyatt … Mr. Sawyer“, verbesserte sie sich rasch.

„Nennen Sie mich Wyatt. Wenn Sie bleiben, werden wir trotz allem viel Zeit miteinander verbringen.“

„Nun, jetzt wissen Sie, dass Sie ein guter Vater sind – gütig, verständnisvoll und zärtlich. Denken Sie an letzte Nacht, als Megan so lange geweint hat. Wie geduldig Sie geblieben sind. Sie sind ein wunderbarer Vater für dieses kleine Mädchen.“

Ihre Worte wärmten ihm das Herz. Er spürte einen Kloß im Hals, dabei hasste er es, wenn er sentimental wurde.

Bisher hatte er sich nur körperlich zu Grace hingezogen gefühlt. Nun aber hatte sie an sein Innerstes gerührt. Er hätte sie doch entlassen sollen. Abrupt erhob er sich, Megan auf dem Arm. „Wir machen jetzt einen Spaziergang.“

Wyatt trat hinaus in den kühlen Abend und drückte das Baby fest an sich. „Megan, du hast vielleicht eine Nanny. Ich wünschte, ich hätte sie heute gefeuert. Aber du magst sie, und sie mag dich. Außerdem ist sie ein gutes Kindermädchen, also ist sie hier und macht mich verrückt. Habt ihr beide etwa vor, mein Leben durcheinanderzubringen?“

Er ging zur Pferdekoppel, obwohl er wusste, dass Megan noch zu klein war, sich dafür zu interessieren.

„Ich weiß, ich sollte dich noch nicht auf einem Pferd mitnehmen, und ich werde es auch nicht tun, jedenfalls nicht so bald. Irgendwann wirst du dein eigenes Pony haben, und dann reiten wir zusammen aus, ob es deiner Nanny nun gefällt oder nicht. Komm, ich zeig dir mein Pferd.“

Die nächsten zwei Wochen bemühte sich Wyatt, Grace so oft wie möglich aus dem Weg zu gehen und dennoch mit Megan zusammen zu sein, wenn er von der Arbeit kam. Die Wochenenden ohne Grace verliefen friedlich, obwohl er sich eingestehen musste, dass er sie ein wenig vermisste. Sie verließ die Ranch am Freitagabend und kehrte sonntags erst spät zurück. Er hatte keine Ahnung, wo und wie sie die Zeit verbrachte.

Am ersten Sonntag im Juni, als Grace abends am Wohnzimmer vorbeiging, rief Wyatt sie zu sich herein. Sie blieb an der Tür stehen. Sie trug wieder ihr graues Kleid und hatte das Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Er hätte gern gewusst, ob sie das ganze Wochenende über so herumlief oder ob sie sich erst vor der Rückkehr auf die Ranch umgezogen hatte.

„Ich muss morgen geschäftlich nach Dallas. Haben Sie Lust, mich mit Megan zu begleiten? Wir würden nachmittags zurück sein.“

„Sie möchten uns beide mit nach Dallas nehmen?“

„Ich habe ein eigenes Flugzeug. Wahrscheinlich haben Sie die Rollbahn auf der Ranch noch nicht gesehen. Ich dachte, es wäre vielleicht ein schöner Ausflug für Sie.“

„Kam Ihr Bruder nicht beim Absturz seiner Privatmaschine ums Leben?“

„Ja, das stimmt.“

„Ich denke, Megan und ich werden lieber hierbleiben. Mir ist das zu gefährlich.“

„Grace, das Leben ist dazu da, gelebt zu werden. Das macht es erst interessant.“

„Mag sein, das ist jedoch kein Grund, leichtsinnig zu sein. Es geht mich zwar nichts an, aber ich hoffe, dass Sie ein Testament gemacht und die Vormundschaft für Megan geregelt haben.“

„Ich arbeite daran“, erwiderte er ein wenig enttäuscht. „Wenn Megan älter ist, werde ich sie auf allen meinen Flügen mitnehmen. Und sobald sie alt genug ist, bringe ich ihr das Fliegen bei.“

Er konnte den Unwillen in Graces Gesicht sehen. „Schön“, sagte sie, machte auf dem Absatz kehrt und ging.

„Verdammt noch mal“, fluchte er leise. Natürlich hatte er ein Testament gemacht. In dem Punkt musste er ihr Recht geben. Es war eine schwere Entscheidung für ihn gewesen, ob er Gabe oder Josh die Vormundschaft antragen sollte. Schließlich hatte er Josh und Laurie gefragt, die spontan zugestimmt hatten und sich sogar geschmeichelt fühlten, dass seine Wahl auf sie gefallen war.

Zwei Tage später kam Wyatt abends von der Arbeit in San Antonio nach Hause. Er war verschwitzt und müde, sehnte sich nach einer kühlen Dusche und einem großen Steak. Als er nach oben ging, hörte er Lachen aus dem Kinderzimmer.

Er blieb an der Schwelle stehen. Megan saß auf einer weichen Decke auf dem Fußboden. Grace kniete, mit dem Rücken zur Tür, vor ihr. Sie hielt sich ein Kissen vor das Gesicht und spielte mit der Kleinen Verstecken.

„Kiek!“, sagte Grace fröhlich, und Megan lachte laut auf. Wyatt hatte seine Nichte noch nie vorher so lachen gehört und amüsierte sich über die beiden. Grace plapperte in Babysprache mit ihr und pustete in ihr flaumiges Haar, bis Megan erneut lachte und Grace den Moment nutzte, sie zu fotografieren.

„So ist es fein! Mit den Fotos werden wir deinen Daddy überraschen. Was für eine Hübsche du bist! Noch einmal lachen.“ Sie verbarg die Kamera und nahm das Kissen, versteckte ihren Kopf dahinter und schaute wieder hervor. „Kiek!“

Megan juchzte. Ihre braunen Augen strahlten, als Grace wieder einen Schnappschuss machte. Wyatts Blick wanderte über Graces Rücken zu ihrem Po. In Gedanken zog er ihr den Jeansrock aus. Ihm wurde plötzlich heiß. Da kreischte Megan wieder vor Vergnügen.

Wyatt betrat das Zimmer und ließ Jackett und Krawatte auf einen Stuhl fallen.

„Ich weiß nicht, wie Sie das machen“, meinte er. „Ich habe sie noch nie so zum Lachen gebracht.“ Er ließ sich neben Grace auf dem Fußboden nieder. „Hallo, Megan.“

Die Kleine strahlte ihn an. Er rollte sich auf den Rücken und nahm Megan hoch. Mit ausgestreckten Armen hielt er sie über sich und schüttelte sie, bis sie vor Freude quietschte.

Grace zückte erneut die Kamera. „Lassen Sie mich ein Foto von Ihnen beiden machen.“ Sie drückte auf den Auslöser. „Jetzt noch eins. Setzen Sie sich hin.“

Wyatt tat ihr den Gefallen und posierte mit Megan. Dann nahm er Grace den Apparat aus der Hand.

„Okay, jetzt mache ich ein Foto von Megan mit ihrer Nanny“, sagte er. Grace hielt Megan an sich, drehte sie so herum, dass sie Wyatt anschaute, und lächelte in die Kamera.

„So.“ Wyatt legte den Apparat weg und nahm Megan. Dann legte er sich wieder auf den Rücken und setzte das Baby auf seine Brust. „Was ist heute alles passiert?“, fragte er.

„Sie hat zum ersten Mal richtig gelacht“, berichtete Grace. „Heute Morgen bin ich mit ihr spazieren gegangen und habe mit ihr draußen gespielt. Dann hat sie das erste Mal Nudeln mit Hühnchen bekommen, Babynahrung aus dem Glas, und es hat ihr geschmeckt.“

Wyatt schmuste mit der Kleinen. „Es ist schön, nach Hause zu kommen.“

„Wie war Ihr Tag?“, fragte Grace.

Wyatt schaute sie an und dann wieder Megan. „Furchtbar. Ich schätze, mein Vater hat die Zügel in den letzten Jahren zu sehr schleifen lassen. Und Hank hat sich auch nicht besonders um die Geschäfte gekümmert. Die Firma gehörte Dad, und ich denke, Hank hat sich da nur so durchlaviert. Keine Ahnung. Hanks Frau stammte aus einer steinreichen Familie. Er hatte es nicht nötig zu arbeiten, und vielleicht hatte er auch keine Lust dazu. Als Kind jedenfalls hat er sich immer um die Arbeit gedrückt.“

„Was sind das für Geschäfte?“

„Wir haben ein Immobilienbüro in San Antonio und einige schlechte Investitionen getätigt. Die Bücher sind nicht korrekt geführt. Ich werde mich von meinem Steuerberater trennen und mir einen anderen suchen.“

„Schade, dass ich noch nicht mein Examen und die nötige Praxis habe“, meinte Grace. „Wo haben Sie gelebt, bevor Sie hierher zurückkamen?“

„In Sacramento, Kalifornien. Ich habe dort immer noch eine Wohnung und meine Firma, ebenfalls ein Maklerbüro. Außerdem bin ich dort für ein Rodeo gemeldet. Im Juli werde ich hier in San Antonio antreten.“

„Im Bullenreiten, nicht wahr? Ich habe gehört, dass Sie sogar schon nationale Meisterschaften gewonnen haben.“

„Ja, das macht mir viel Spaß.“ Wyatt drehte sich auf die Seite und legte Megan behutsam neben sich.

„Sie haben also Firmen hier und in Kalifornien?“, erkundigte sich Grace.

„Irgendetwas davon muss ich wohl abstoßen“, erklärte er. „Sonst wird mir das zu viel.“

„Wer vertritt Sie denn hier auf der Ranch?“, fragte sie, während sie Wyatt mit dem Baby beobachtete. Er war der attraktivste Mann, den sie je getroffen hatte.

„Jett Colby. Sie haben ihn wahrscheinlich noch nicht kennengelernt, doch er ist seit Jahren eine wertvolle Stütze für den Betrieb. Um die Ranch wenigstens brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Übrigens, hat Megan schon etwas zu essen bekommen?“

„Ja, und sie hätte schon lange fertig fürs Bett sein müssen.“

„Essen Sie mit mir zu Abend“, bat er leise.

Überrascht zog Grace die Brauen hoch. „Vielen Dank“, erwiderte sie zurückhaltend, „aber ich denke, ich sollte es lieber nicht tun. Ich möchte keine Komplikationen.“

Wyatt sah sie an. Er war gern in ihrer Gesellschaft, und er wollte heute nicht allein essen. „Haben Sie Angst, dass wir miteinander flirten?“

„Nein“, entgegnete sie. „Das wird nicht passieren.“

„Flirten Sie denn nie? Finden Sie nicht, dass es Spaß macht?“

„Bisher habe ich niemanden getroffen, der mich genügend interessiert hätte. Außerdem bin ich nicht der Typ dazu.“

Wyatt wusste, dass sich Frauen zu ihm hingezogen fühlten. Er hatte noch keine getroffen, die jung, gesund und attraktiv war, die nicht gern ein bisschen mit ihm geflirtet hätte.

Grace saß nur ein paar Schritte von ihm entfernt auf dem Fußboden. Ihre Beine hielt sie unter ihrem langen Rock verborgen.

„Machen Sie mir die Freude, essen Sie heute Abend mit mir.“

Sie schüttelte den Kopf. „Sie sind ein netter Arbeitgeber, und ich möchte, dass es so bleibt – mit Ihnen als mein Chef. Also nein danke.“ Sie erhob sich anmutig. „Ich lasse Sie eine Weile mit Megan allein.“

Enttäuscht und überrascht sah Wyatt ihr nach. Wenige Frauen hatten bisher Einladungen von ihm abgelehnt.

Mit einem Seufzer stand er auf und hob Megan hoch. „Du kommst mit, meine Süße.“

Megan schürzte die Lippen und brabbelte munter. Wyatt lächelte und küsste sie zärtlich. „Du wirst mir Gesellschaft leisten, auch wenn die Unterhaltung etwas einseitig sein wird. Doch wenigstens kann ich nebenbei mit dir spielen und dabei meine Sorgen vergessen.“

Zwei Stunden später suchte Wyatt Grace und fand sie auf der Veranda, die beinahe komplett verglast und wie ein Wintergarten eingerichtet war. Grace saß inmitten von Grünpflanzen auf einem Sofa und las.

„Hallo“, grüßte er. Sie ließ das Buch sinken und sah auf. Er hielt Megan in einem rosafarbenen Schlafanzug auf dem Arm. Er selbst trug jetzt Jeans und T-Shirt.

„Hallo“, erwiderte Grace höflich.

„Megan ist leider wieder aufgewacht. Würde es Ihnen etwas ausmachen, für die nächste Stunde auf sie aufzupassen? Jett hat mich gerade angerufen. Die Jungs haben einen der wilden Bullen und ein paar Pferde im Pferch und wollen heute Abend auf ihnen reiten. Ich möchte mitmachen. Sie können gerne zugucken. Es wird ein Riesenspaß werden.“

Grace schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie so etwas Spaß machen kann.“ Sie nahm ihm das Baby ab und schaute ihn an. „Aber ich bin neugierig genug, um die Sache mal aus der Nähe zu betrachten.“

Eine halbe Stunde später ging Grace mit Megan zum Pferch, wo ein paar Cowboys auf dem Gatter saßen und zusahen. Ein älterer blonder Mann kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu.

„Miss Talmadge, ich bin Jett Colby, Wyatts Vorarbeiter.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich wollte ein bisschen zuschauen.“

„Ein Platz auf dem Gatter ist mit dem Baby nicht zu empfehlen. Am besten, Sie stellen sich dort unter den Baum. Von dort haben Sie alles gut im Blick.“

Nach ein paar Minuten begriff sie, warum sie nicht wie die anderen auf dem Zaun sitzen sollte. Ein Tor öffnete sich, und Wyatt ritt auf einem riesigen wilden Bullen in den Pferch. Das graubraune Tier bockte, warf die Hinterbeine hoch, bäumte sich auf und versuchte den Reiter abzuwerfen. Die Cowboys feuerten Wyatt an und applaudierten, als er sich nur mit einer Hand an dem Bullen festhielt. Grace mochte gar nicht hinsehen und drehte sich weg. Nach ein paar Sekunden wandte sie sich wieder um. Wyatt saß immer noch auf dem Tier.

Endlich sprang er herunter und landete auf den Füßen vor den johlenden Cowboys. Da kehrte der Bulle angriffslustig um. Wyatt konnte sich gerade noch mit einem Satz über den Zaun retten. Die Cowboys hechteten von ihren Plätzen und brachten sich so vor dem wütenden Tier in Sicherheit, das jetzt gereizt schnaubte und mit den Hufen scharrte.

Strahlend kam Wyatt auf Grace zu. „Hallo.“

Sie starrte ihn an. Er wirkte freudig erregt, total entspannt und glücklich. Sie ahnte jetzt, dass er aus dem Bullenreiten und seinen anderen tollkühnen Hobbys Kraft schöpfte. „Mir ist fast das Herz stehen geblieben!“

„Es ist irre. Man fühlt sich so lebendig.“

„Es sah eher so aus, als würden Sie sich jeden Moment den Hals brechen.“

Wyatt lachte unbekümmert und zog seine Lederhandschuhe aus. „Ich habe Durst. Lassen Sie uns zum Haus gehen und etwas Kaltes trinken. Ich nehme Megan jetzt. Glauben Sie mir, auf dem Rücken dieses Bullen vergesse ich meinen ganzen geschäftlichen Ärger.“

„Ich trage Megan. Sie sind ja ganz staubig.“

„Ach, das lässt sich abwaschen. Geben Sie mir mein süßes Baby“, bat er gut gelaunt und nahm Grace die Kleine ab. „Wenn Megan älter ist, möchte ich, dass Sie mich mit ihr zu den Rodeos begleiten. Werden Sie das tun?“

„Das entscheide ich, wenn es so weit ist“, erwiderte Grace. „Sie sind jetzt für Megan verantwortlich. Finden Sie nicht, dass Sie solche gefährlichen Sportarten lieber lassen sollten?“

„Bullenreiten? So gefährlich ist das nicht. Das ist harmloser als Autofahren.“

„Das überzeugt mich nicht.“

„Was tun Sie denn, um zu entspannen, Grace?“

Sie schaute zu ihm auf. Schwarze Locken fielen ihm in die Stirn, und sein Gesicht war verschwitzt. Sie musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. „Ich lese ein gutes Buch.“

„Das ist eine ziemlich ruhige Beschäftigung.“

„Ich sagte es bereits – uns trennen Welten. Sie hätten keine Freude daran, Ihre Freizeit mit Lesen zu verbringen, und ich hätte keinen Spaß an einem Motorrad oder Bullenreiten.“

„Sie mögen solche Hobbys nicht?“

„Mir ist diese Art zu leben fremd. Was reizt Sie denn daran?“

Wyatt zuckte mit den Achseln. „Ich finde es aufregend und spannend. Es sind Herausforderungen, und ich liebe Herausforderungen“, ergänzte er mit einem bezeichnenden Blick auf Grace, sodass sie plötzlich die unbestimmte Ahnung hatte, dass er von ihr sprach.

„Waren Ihre Brüder auch so?“

„Sie waren auf jeden Fall schwer zu bändigen. Ich glaube, anfangs war es hauptsächlich Protest gegen unseren Vater – oder ein Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erringen. Dann merkte ich, dass mir diese Dinge wirklich Spaß machten, und ich blieb dabei. Viele Frauen kann man mit solchen waghalsigen Aktionen wie Bullenreiten oder Fallschirmspringen beeindrucken. Sie wohl nicht, oder?“

„Ich bin in erster Linie vorsichtig. Ob ich Megan zu einem Rodeo mitnehme, weiß ich noch nicht. Aber bis dahin sind auch Sie älter und vielleicht klüger geworden.“

Wyatt lachte und sah auf das schlafende Baby in seinen Armen. „Ich bringe Megan jetzt ins Bett, und dann mache ich uns ein paar kalte Drinks.“

„Geben Sie sie mir. Ich lege sie hin, und Sie können sich inzwischen um die Getränke kümmern“, schlug Grace vor. Sie streckte die Hände aus und nahm ihm Megan ab.

Dabei streifte sie unabsichtlich seine Finger und seine Brust. Die Berührung erregte sie, doch sie hoffte, dass er es nicht merkte. Verlegen drückte sie Megan an sich und eilte mit ihr ins Haus. Wenn sie vernünftig wäre, würde sie nicht zurückkommen, aber sie war gern in Wyatts Nähe und freute sich auf den Drink.

Als sie nach unten kam, hörte sie Wyatt fluchen. Er stand im Flur neben dem Thermostat der Klimaanlage.

„Was ist los?“, fragte Grace.

5. KAPITEL

„Haben Sie es nicht bemerkt, Grace? Im Haus ist es viel heißer als draußen. Entweder ist nur der Thermostat defekt, oder die Klimaanlage ist ganz kaputt. Sie ist alt und hätte längst erneuert werden müssen, aber das nützt uns heute Abend wenig.“

Wyatt hatte den Thermostat teilweise auseinandergenommen und war dabei, ihn wieder zusammenzubauen. „Können Sie mir ein bisschen zur Hand gehen?“, bat er Grace.

Er versuchte, eine Schraube einzudrehen, aber einige Drähte waren ihm im Weg. Grace bog sie zur Seite, sodass er ungehindert arbeiten konnte.

„Danke. Das war es schon“, meinte er und drehte die Schraube nun fest. „Sie können jetzt loslassen.“ Er zog sein T-Shirt aus, wischte sich damit den Schweiß von der Stirn und warf es beiseite. Dabei wandte er ihr den Rücken zu.

Grace erschrak, als sie die Narben sah.

„Was haben Sie denn da?“, fragte sie leise.

„Ach, das verdanke ich meinem alten Herrn“, erklärte Wyatt bitter. „Doch das ist lange her. Die Wunden sind längst verheilt, nur mit den Narben muss ich leben.“

„Es tut mir leid“, sagte sie. Betroffen wurde ihr bewusst, dass er ohne Mutter bei einem gewalttätigen Vater aufgewachsen war.

Wyatt zuckte nur mit den Schultern und wechselte das Thema. „Der Thermostat scheint in Ordnung zu sein. Ich werde wohl eine neue Klimaanlage anschaffen müssen, aber heute Nacht müssen wir improvisieren.“ Er schaute die Treppe hoch. „Da oben wird es unerträglich heiß sein. Am besten, wir schlafen draußen.“

Der Gedanke, in Wyatts Nähe unter freiem Himmel zu übernachten, behagte Grace überhaupt nicht. „Wir können Megan nicht allein im Haus lassen.“

„Nein. Ich werde ihr Bett nach unten bringen.“

„Das geht nicht.“

„Natürlich geht das. Es ist die einfachste Lösung. Kommen Sie und helfen Sie mir. Danach trinken wir endlich etwas.“

Als sie das Kinderzimmer betraten, gab Wyatt Anweisungen. „Sie tragen Megan. Ich nehme die Matratze und hole dann das Bett.“

Grace hob das schlafende Baby hoch. Megan fühlte sich tatsächlich schon ziemlich heiß an. Ihr Haar war ganz feucht. Grace trug sie behutsam nach unten. Draußen hatte es sich inzwischen etwas abgekühlt, und es ging ein leichter Wind.

Grace setzte sich in die Schaukel auf der Veranda. Von ihrem Platz aus beobachtete sie Wyatt, der das Kinderbett unter einer Eiche aufstellte. Sie seufzte. Wyatt war unglaublich attraktiv. Wie sollte sie heute Nacht Ruhe finden? Sie würde sicher kein Auge zutun können.

Schließlich winkte er sie heran. „Alles fertig für die kleine Prinzessin“, verkündete er. „Jetzt werde ich endlich unsere Drinks holen. Was möchten Sie?“

„Nur eine Limonade, bitte.“

Wyatt kehrte kurz darauf mit einem kalten Bier und einem Limonadenglas mit Eiswürfeln zurück. Er hielt eine Tafel Schokolade in der Hand. „Möchten Sie was Süßes?“

Grace schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Wie Sie das zum Bier essen können, werde ich nie verstehen.“

„Wir haben früher nie etwas zum Naschen bekommen. Seit ich auf eigenen Füßen stehe, habe ich immer Schokolade dabei. Doch das ist nicht aus Trotz. Ich liebe Schokolade. So wie die Küsse einer schönen Frau.“

„Nun, Mr. Sawyer, ich mache mir nichts aus Schokolade, und von dem anderen will ich auch nichts wissen“, antwortete sie reserviert.

Wyatt musste lächeln. „Versuchen Sie mich gerade daran zu erinnern, dass ich Ihr Arbeitgeber bin und das Thema Küssen lassen sollte?“

„Ich wusste, dass Sie es begreifen würden.“

Er grinste. „Ich bleibe jetzt bei Megan. Sie können sich in der Zeit für die Nacht fertigmachen. Und wenn Sie zurückkommen, nehme ich erst einmal eine kalte Dusche.“

Als Grace fort war, setzte sich Wyatt in einen Gartenstuhl. Er trank Bier und aß zwischendurch Schokolade. Durch das Mondlicht war es im Hof beinahe so hell wie am frühen Abend. Unten am Pferch leuchteten Laternen, und immer noch hatten einige Cowboys ihren Spaß beim Reiten. Ihr ausgelassenes Gejohle klang gedämpft zu ihm herüber.

Wyatt dachte über den Abend nach. Grace missfiel das Bullenreiten. Ihr missfiel fast alles, was er tat. Und es stimmte, dass sie vollkommen verschieden waren. Aber was hatte sie dann an sich, dass er sich ihr so öffnete? Er hatte ihr heute Dinge erzählt, die er noch nie jemandem anvertraut hatte. Sie war eine wunderbare Zuhörerin. Es war ein schönes Gefühl, nach einem langen Arbeitstag nach Hause zu kommen, das Lachen aus dem Kinderzimmer zu hören und sich mit Grace zu unterhalten.

Sie hatte nicht mit ihm zu Abend essen wollen. Er konnte sich nicht entsinnen, wann eine Frau ihm mal eine Einladung abgeschlagen hatte. Vielleicht hatte er zu viele zu leicht herumgekriegt und überschätzte sich deshalb. Er hatte Grace gesagt, dass er Herausforderungen liebte. Was er ihr nicht gesagt hatte, war, dass er sie als Herausforderung betrachtete. Eine, die er lieber ignorieren sollte, doch er fand die Vorstellung äußerst reizvoll, sie zu erobern. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie er Grace geküsst hatte und wie sie seine Zärtlichkeiten schließlich erwidert hatte.

„Lass die Finger von ihr“, murmelte er vor sich hin.

„Sprechen Sie mit mir?“, fragte Grace hinter ihm.

Wyatt zuckte zusammen und drehte sich zu ihr um. Sie hatte ihr Haar zu einem strengen Knoten aufgesteckt und trug einen Jogginganzug. Er erhob sich langsam.

„Was soll das denn nun? Sind Sie krank? Sie tragen einen Jogginganzug, obwohl wir zurzeit mindestens dreißig Grad haben?“

„Wir werden hier heute Nacht mehr oder minder dicht nebeneinander schlafen, und ich sagte Ihnen doch …“

„Herr im Himmel, Grace! Ziehen Sie sich etwas Leichteres an! Ich werde mich schon nicht auf Sie stürzen.“

Im Dämmerlicht sah er, wie sie trotzig das Kinn hob. „Das weiß ich“, gab sie kühl zurück. „Aber ich habe Ihnen damals versprochen, mich so zu kleiden, dass Sie nicht auf dumme Gedanken kommen.“

„Sie können von mir aus einen Bikini anhaben, ohne dass ich es zur Kenntnis nehmen werde. Das versichere ich Ihnen. Nur ziehen Sie sich endlich um, bevor Sie vor Hitze in Ohnmacht fallen und ich Sie von den dicken Sachen befreien muss.“

Grace machte auf dem Absatz kehrt. Wyatt konnte sich vorstellen, wie ihre grünen Augen wütend funkelten. Er ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken und trank noch einen Schluck Bier. Dabei dachte er an das kurze Nachthemd, das sie an jenem Abend getragen hatte. Natürlich würde er sehr wohl registrieren, was sie anhatte. Er war schon gespannt, was sie sich einfallen ließ.

Nach ein paar Minuten kehrte Grace in einem knielangen Baumwollrock und einem T-Shirt zurück. Wyatt war froh, dass er im Dunkeln saß, denn er konnte es nicht verhindern, dass er sie regelrecht anstarrte. Das enge T-Shirt betonte ihre vollen Brüste, und der Rock enthüllte zur Hälfte ihre schönen Beine. Es fiel ihm schwer, den Blick von ihr abzuwenden.

Dabei sollte er nichts anderes in ihr sehen als das Kindermädchen seiner Nichte. Spröde und jungfräulich – das war sowieso nicht sein Typ. Obwohl ihr Kuss nicht gerade jungfräulich gewesen war.

„So ist es besser“, stellte er betont lässig fest und erhob sich. Diesmal hatte sie ihr Haar nur locker aufgesteckt. Einzelne Strähnen umspielten ihr Gesicht. Sie war wirklich sehr hübsch, doch die meiste der Zeit verbarg sie dies gut.

„Wenn Sie bei Megan bleiben, hole ich jetzt unsere Liegen. Und nehme eine kalte Dusche.“

„Sie brauchen sich nicht zu beeilen“, antwortete Grace. Sie setzte sich in einen Gartenstuhl, schlug die Beine übereinander und trank einen Schluck von der kalten Limonade. Dann schaute sie zu ihm auf. Sie hatte bemerkt, dass er jede ihrer Bewegungen beobachtet hatte, und zog missbilligend ihre Brauen hoch. Wyatt wandte sich ab und ging ins Haus.

Wyatt duschte lange, um sich in jeder Beziehung abzukühlen. Er versuchte, an seine Geschäfte zu denken. Er musste nach Kalifornien. Dabei fiel ihm Zoe ein, aber er verspürte wenig Lust, sie anzurufen. Schon seit Tagen hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Er vermisste sie auch nicht. War ihre Beziehung wirklich so oberflächlich? Er dachte darüber nach und erkannte, dass ihm Zoe in der Tat nicht viel bedeutete. Seit Grace bei ihm war, hatte er Zoe nicht mehr angerufen. Das war natürlich reiner Zufall. Schließlich war er nicht in Grace verliebt. Und selbst wenn, malte er sich bei ihr zurzeit nicht die geringste Chance aus.

Er zog sich saubere Jeans an und holte Grace noch eine Limonade und sich ein zweites kaltes Bier aus der Küche.

Wyatt ging über den Rasen. Grace saß mit dem Rücken zu ihm. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und ihre Beine auf einen Stuhl gelegt.

„Ich habe Ihnen noch etwas zu trinken mitgebracht“, sagte er und reichte ihr das Glas. Dabei streifte er ihre Finger.

„Danke.“ Sie nahm die Füße herunter und zog wieder die Schuhe an.

„Sie können ruhig barfuß bleiben“, bemerkte er leicht amüsiert. Er nahm einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. Er wusste, dass er sie nervös machte und sie in seiner Nähe ständig auf der Hut war, aber je kühler sie sich gab, desto mehr reizte sie ihn.

„Störe ich Sie?“

„Nein, nicht im Geringsten“, erwiderte sie. „Wann kommt Ihre Freundin zu Besuch?“

„Überhaupt nicht. Ich werde mit ihr Schluss machen. Durch den Abstand habe ich gemerkt, dass mir nicht wirklich etwas an ihr liegt. Ich werde sie morgen anrufen.“

„Es wird auch Zeit, dass Sie sich bei ihr melden. Sie ruft nämlich zwei Mal täglich an und fragt nach Ihnen. Sicher wird sie sehr enttäuscht sein.“

„Sie finden wohl gar nichts gut, was ich tue?“

„O doch! Sie sind Megan ein wunderbarer Vater. Ich kann mir keinen besseren Dad für sie vorstellen.“

„Danke“, antwortete er leise. „Das ist nett, dass Sie das sagen.“ Er fühlte sich geschmeichelt. „Schließlich hatte ich kein Vorbild … Na ja, in gewisser Weise schon. Die Väter meiner Freunde waren Vorbilder für mich. Der Vater von Josh hat zum Beispiel dafür gesorgt, dass ich zu Hause nicht mehr verprügelt wurde. Nachdem es einmal besonders schlimm war, kam er zu uns herüber und warnte meinen Vater, mich noch einmal anzurühren. Er war zwar nicht besonders groß und kräftig, aber er musste meinem Dad dennoch Angst eingejagt haben, denn er schlug mich niemals wieder.“

Grace streckte die Hand aus und berührte Wyatt am Arm. „Es tut mir leid. Meine Familie ist so liebevoll, dass ich nicht annähernd nachvollziehen kann, was Sie durchgemacht haben.“ Ihre Finger ruhten nur leicht auf seinem Arm, und trotzdem spürte Wyatt die Berührung mit jeder Faser seines Körpers.

„Genauso schwierig ist es für mich, mir Ihr Leben vorzustellen“, entgegnete er. Am liebsten hätte er ihre Hand festgehalten, doch er beherrschte sich. Da zog sie ihre Finger auch schon weg.

„Meine Familie hat immer fest zusammengehalten“, erzählte sie. „Wir hatten nie viel Geld – vielleicht ist mir Geld deshalb jetzt so wichtig. Meine Eltern leisten seit meinem dreizehnten Lebensjahr Missionsarbeit. Ich habe mit Ihnen in Mexiko, Bolivien und Peru gelebt, bevor ich auf eigenen Füßen stand.“

„Waren Sie schon mal verliebt?“

„Nicht richtig“, gab sie zu.

„Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie etwas versäumen?“

„Weil ich nicht verliebt bin? Wohl kaum.“

„Ihre Eltern führen bestimmt eine gute Ehe. Wünschen Sie sich das nicht auch?“

„Sicher, eines Tages, aber nicht jetzt. Ich bin jung und habe Pläne. Sie haben mal zu mir gesagt, Sie lieben Ihre Freiheit. Nun, bei mir ist es ähnlich.“

„Na schön, aber glauben Sie nicht, dass es sehr aufregend sein kann, auch mal verliebt zu sein?“

„Ich kann mir denken, dass Sie solche Art von Aufregung mögen. Ich dagegen mag es eher ruhiger.“

„Sie haben mir vorhin nicht geantwortet – Sie finden nichts an mir gut, stimmt’s, Grace?“

„Ich habe gesagt, dass Sie Megan ein wunderbarer Vater sind.“

„Dennoch wollten Sie nicht mit mir essen. Weil Sie meinen Lebenswandel missbilligen, oder?“, bohrte Wyatt weiter. Er beugte sich vor, um ihr näher zu sein.

„Wir haben vereinbart, auf Abstand zu bleiben. Ich finde, daran sollten wir uns halten“, erwiderte sie kühl. Doch er merkte, dass sie sich nervös mit der Zunge über die Lippen fuhr.

„Sie würden sich nicht daran halten, wenn ich Ihr Typ wäre?“

„Da haben Sie wahrscheinlich recht“, räumte Grace ein.

Er seufzte und lehnte sich zurück. „Manchmal wundere ich mich, wie freundlich die Leute in der Stadt zu mir sind. Ich denke, das liegt am Geld der Sawyers. Das erleichtert es so manchem, über meine Vergangenheit hinwegzusehen. Wenn Sie Geld so gern mögen, frage ich mich, warum das nicht bei Ihnen funktioniert.“

„Geld ist schon wichtig für mich, aber so wichtig nun auch wieder nicht.“

Wyatt lachte leise. „Also wenn ich Sie bitten würde, mit mir auszugehen, würden Sie mir einen Korb geben.“

„Sicher. Ich würde es ablehnen, weil ich das Kindermädchen bin.“

„Nehmen wir an, Sie wären nicht nur das Kindermädchen. Würden Sie dann mit mir ausgehen?“

„Erzählen Sie mir lieber von den Firmen, die Sie geerbt haben“, entgegnete sie ausweichend. „Welche werden Sie behalten und welche abstoßen?“

„Ich weiß es noch nicht“, antwortete Wyatt. Es amüsierte ihn, wie sie das Thema zu wechseln versuchte. Sie würde unter keinen Umständen mit ihm ausgehen, und wahrscheinlich machte ihm nur die Hitze zu schaffen, dass er immer wieder darauf zurückkam.

„Ich weiß von Gabe, welche Gerüchte in der Stadt über mich im Umlauf sind“, sagte Wyatt. Es sollte ihm egal sein, doch bei ihr wollte er nicht in so einem schlechten Licht dastehen. „Grace, ich habe keine unehelichen Kinder in Stallion Pass.“

Sie schaute ihn an. „Das habe ich auch nicht ernsthaft angenommen. Diese Gerüchte klangen viel zu übertrieben. Wenn alles, was ich über Sie gehört habe, wahr wäre, müssten Sie ein ganzes Rudel Kinder haben.“

„Nein. Nicht ein einziges. Ich habe noch nie ein Kind gezeugt.“

Grace musterte ihn scharf, und er hielt ihrem Blick stand. Er konnte sich vorstellen, woran sie dachte.

„Ich kenne all diese Geschichten. Sie haben sicher gehört, warum ich die Stadt damals verlassen musste.“

„Ja. Man erzählt sich, dass Sie abgehauen sind, weil Sie ein Mädchen geschwängert haben.“

„Das Mädchen starb im gleichen Sommer bei einem Badeunfall.“

„Auch das habe ich gehört.“

„Außer dem Mädchen gab es nur vier Menschen, die die Wahrheit kannten“, erklärte Wyatt. „Mein Bruder Hank, Gabe, Josh und ich. Da Hank tot ist und seine Frau auch, kann ich es Ihnen sagen. Hank war der Vater.“

Verblüfft starrte Grace ihn an. „Ihr Bruder? Warum haben Sie dann jedem erzählt, dass Sie es waren?“

„Hank und Olivia waren verlobt. Olivia gehörte zur feinen Gesellschaft von San Antonio, und Hank hatte Angst, die Hochzeit würde platzen, falls Olivia und ihre Familie von seinem Fehltritt erfahren würden.“

„Sie haben das alles für Ihren Bruder getan?“

„Ja“, gab er zu. „Es hat mich nicht allzu viel Überwindung gekostet. Mein Ruf war sowieso ruiniert. Ich habe damals viel Mist gebaut, aber mit dem Mädchen hatte ich nichts zu tun. Mein Vater machte mir das Leben zur Hölle. Ich wollte die Stadt ohnehin verlassen. Deshalb bot ich Hank an, die Sache auf mich zu nehmen.“

Grace schaute ihn geradezu bewundernd an. „Alle Achtung. Sie haben den Zorn der Leute auf sich gelenkt, nur um Ihren Bruder zu schützen. Sie standen ihm wohl sehr nahe?“

„Ja, näher als sonst jemandem in der Familie. Hank und ich waren zwar nicht immer einer Meinung und grundverschieden, doch wir haben immer zusammengehalten.“

„Und von dieser üblen Geschichte wussten tatsächlich nur Sie, Ihr Bruder und Ihre zwei besten Freunde?“

„Ja. Aber jetzt ist es ist mir wichtig, was Sie von mir denken“, gestand er.

Grace war erleichtert, dass Wyatt nicht so schlecht war, wie man ihr erzählt hatte. Und noch etwas fühlte sie, eine gewisse Nähe. Er hatte sich geöffnet und ihr sein wahrscheinlich größtes Geheimnis anvertraut. Sie war geschmeichelt, dass ihm so viel an ihrer Meinung lag.

„Die Leute in Stallion Pass werden immer denken, dass Sie der Vater waren.“

„Das ist mir egal. Wichtig ist, was die Menschen, die einem nahe stehen, über einen denken. Alles andere ist unwichtig. Meine besten Freunde, Gabe und Josh, kennen die Wahrheit. Sonst gibt es niemanden, der mir etwas bedeutet. Das Mädchen starb bei einem Badeunfall. Ich weiß, dass es Mordgerüchte gab, doch die sind völlig haltlos. Ich war an dem fraglichen Abend bei einem Rodeo, und Hank war mit Olivia auf einer Party.“

„Was haben Sie gemacht, nachdem Sie von hier fortgegangen waren?“

„Alles Mögliche. Im ersten Sommer arbeitete ich auf einem Ölfeld, weil es gut bezahlt wurde. Ich habe hier und da auf einer Ranch gejobbt, wilde Pferde gezähmt, an Rodeos teilgenommen, mich viel in Bars und auf Partys rumgetrieben. Irgendwann landete ich dann in Kalifornien.“

„Und dort?“

„Ich verdiente viel Geld bei Rodeos. Dann traf ich einen Mann, der mir anbot, in seinem Immobilienbüro zu arbeiten. Das Metier war mir von Hause aus nicht ganz fremd, weil auch mein Vater auf diesem Gebiet tätig war. Ich besuchte Kurse, legte die erforderlichen Prüfungen ab und wurde Makler. Als mein Chef sich zur Ruhe setzte, kaufte ich die Firma. Mit dem Geld vom Bullenreiten erwarb ich Häuser und Grundstücke. Immobilien waren zu dem Zeitpunkt günstig. Als die Preise in die Höhe schossen, machte ich gute Gewinne. Mit einigen klugen Investitionen konnte ich mein Vermögen noch vermehren.“

„Ihr Job scheint demnach das Wichtigste in Ihrem Leben zu sein.“

„Um Himmels willen, nein. Er ist nur ein Mittel zum Geldverdienen.“

„Was kommt dann an erster Stelle in Ihrem Leben?“

Wyatt grinste, stellte sein Bier ab und beugte sich wieder vor. „Schöne Frauen. So, und jetzt haben wir genug über mich geredet. Was kommt denn bei Ihnen an erster Stelle, Grace?“

„Ich bin nur Ihre Angestellte, vergessen Sie das nicht. Hätte ich ein Zimmer mit intakter Klimaanlage, dann würde ich jetzt hineingehen. Lassen Sie uns bitte sachlich bleiben.“

„Haben Sie Angst vor mir?“

„Nein, ich habe nur Angst, meinen Job zu verlieren. Und ich habe Ihnen etwas versprochen.“

„Das haben Sie, und Sie haben sich daran gehalten. Doch wollen wir nicht heute einfach die Sommernacht und die Unterhaltung genießen? Deswegen werden Sie nicht gleich Ihren Job verlieren. Sie sind ein gutes Kindermädchen.“

„Danke.“

„Also, was kommt in Ihrem Leben an erster Stelle?“, fragte er sie erneut. Er strich mit einem Finger über ihren Arm.

„Bücher wahrscheinlich. Mr. Sawyer, bitte, Sie müssen die Distanz wahren.“

„Das würde ich tun, wenn ich wüsste, dass ich Ihnen völlig gleichgültig bin. Aber ich glaube, das ist nicht der Fall.“

Graces Herz klopfte heftig, doch sie wollte sich nichts anmerken lassen. Sie beugte sich vor und sah Wyatt direkt in die Augen. „Und ich glaube, dass Sie sich nur deshalb für mich interessieren, weil ich Nein gesagt habe. Sie sind es nicht gewohnt, einen Korb zu bekommen, Mr. Sawyer.“

„Kann schon sein, dass daran ein Fünkchen Wahrheit ist. Aber das war nicht der Grund, weshalb ich heute Abend mit Ihnen essen wollte. Als ich von der Arbeit nach Hause kam, tat mir Ihre Gesellschaft einfach nur gut. Sie ließen mich meinen anstrengenden Tag vergessen. Und ob Sie nun meine Angestellte sind oder nicht, es knistert nun einmal zwischen uns. Das spüren Sie genauso sehr wie ich. Widersprechen Sie ruhig, Grace.“

„Und ob ich das tue. Ich spüre kein Knistern zwischen uns. Da ist nichts. Und selbst wenn, möchte ich keine Ihrer Eroberungen sein, der Sie nach kurzer Zeit überdrüssig werden.“

„Kein Knistern?“, fragte Wyatt sanft. Er legte seine Hand in ihren Nacken und schaute auf ihren Mund. „Du spürst nichts?“

„Nichts“, beharrte sie und wollte sich zurückziehen. Da verstärkte er den Druck seiner Finger und streifte ihren Mund mit seinen Lippen.

„Angst?“

„Keineswegs“, erwiderte sie gespielt gleichgültig, obwohl ihr Puls raste. Natürlich spürte sie das Knistern, doch sie wollte nichts fühlen. Sie wollte kein Sommerflirt sein, nur weil ihr Chef auf der Ranch festsaß und sich langweilte. Aber wie sollte sie ruhig sitzen bleiben, wenn bei seinen zärtlichen Küssen heiße Glut in ihr aufstieg?

„Immer noch nichts, Grace?“, flüsterte Wyatt. Er hielt nur kurz inne und sah sie mit einem verlangenden Blick an, bevor er sie wieder küsste und dabei langsam auf seinen Schoß zog.

Ihr Widerstand wurde immer schwächer. Trotzdem wollte sie wenigstens so vernünftig bleiben und seine Zärtlichkeiten nicht erwidern. Doch unwillkürlich schlang sie die Arme um seinen Hals. Sie lag an seiner nackten Brust, und ihr Körper reagierte unabhängig von ihrem Verstand.

Grace rückte von ihm ab und schaute ihn an. „Sehen Sie. Nichts. Ich bin nicht sexy, und ich wirke nicht auf Männer. Vergessen Sie es.“ Dabei konnte sie kaum atmen, ihr Herz klopfte immer noch heftig, und sie hätte sich ihm am liebsten wieder an ihn geschmiegt.

Sie versuchte, von seinem Schoß herunterzurutschen. Aber Wyatt hielt sie fest. „Du bist sexy und verführerisch. Und ich denke nicht daran, jetzt aufzuhören.“ Er küsste sie wieder, leidenschaftlich, begehrlich.

Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sie war entflammt und verwirrt. Wie lange konnte sie noch widerstehen? Seine Küsse weckten ihre geheimsten Sehnsüchte. Noch nie zuvor war sie so geküsst worden.

Endlich erwiderte Grace seine Liebkosungen. Sie stöhnte leise. Ärgerlich über sich selbst, wütend auf ihn, hasste sie auf einmal Wyatts unerschütterliche Selbstsicherheit.

Sie saß auf seinem Schoß und fühlte seine starke Erregung. Seine Küsse wurden immer fordernder, und sein Atem ging ebenso keuchend wie ihrer. Sie grub ihre Finger in sein dichtes Haar und drängte sich mit ihren Brüsten an ihn. Dabei spürte sie ein beinahe schmerzhaftes Begehren tief in ihrem Innern.

Als Wyatt über ihren nackten Oberschenkel strich, zitterte sie vor Verlangen. Sie wusste, dass sie eine Dummheit beging, dass sie ihren Job, ihre Zukunft riskierte, aber wie konnte sie sich diesem atemberaubenden Zauber entziehen?

Da umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen. Sie öffnete die Augen und begegnete seinem ernsten Blick.

„Jetzt spürst du etwas, nicht wahr?“

6. KAPITEL

„Wie könnte ich dabei nichts fühlen? Sie wissen mit Frauen umzugehen, und ich habe wenig Erfahrung. Ich habe Ihre Küsse nicht herausgefordert. Sie haben mir Ihren Willen geradezu aufgezwungen.“

„Aufgezwungen!“, rief Wyatt verblüfft aus. „Grace, ich habe noch nie in meinem Leben Gewalt bei einer Frau angewendet. Hier – Hände auf meinem Rücken. Widersteh, wenn du nichts spürst.“ Er ließ Grace los, beugte sich jedoch gleichzeitig vor und küsste sanft ihren Hals. Dann fuhr er spielerisch mit seiner Zungenspitze über ihr Ohrläppchen, bevor er seine Lippen zu ihrem Mund wandern ließ. Grace wünschte, er würde sie wieder umarmen und küssen, wie er es vorher getan hatte. Sie wusste, dass ihr Vorwurf unfair war, aber um ihr Gesicht nicht vollends zu verlieren, musste sie so argumentieren.

„Bremse mich, Grace, wenn dir das nicht gefällt. Ich halte dich nicht fest. Es ist nicht eine Spur von Zwang im Spiel“, murmelte Wyatt zwischen Küssen, die er auf ihren Hals hauchte und dann wieder auf ihren Mund.

Sie konnte ihn nicht aufhalten. Sie wollte widerstehen, doch sie konnte es nicht. „Ich weiß, dass es kein Zwang war“, flüsterte sie, vollkommen verloren. Sie schmiegte sich fest an ihn und küsste ihn mit all ihrer aufgestauten Leidenschaft.

Da schlang er wieder die Arme um sie. Erregt presste er Grace an sich und küsste sie innig.

Schließlich machte Grace sich von ihm los, glitt von seinem Schoß, und setzte sich schnell wieder auf ihren Stuhl. Beide rangen nach Luft und starrten sich einen Moment lang an.

„Wir müssen damit aufhören, Mr. Sawyer. Ich bin Ihre Angestellte“, sagte sie mit Betonung auf dem letzten Wort.

Er rückte mit seinem Stuhl an sie heran, schaute ihr ins Gesicht und tippte mit seinem Zeigefinger auf ihr Knie. „Hör mit diesem ‚Mr. Sawyer‘ auf. Ich heiße Wyatt. Und du bist eine sehr begehrenswerte Frau.“ Zärtlich strich er über ihren Hals. „Wie dein Puls rast … Lass uns am Sonnabend zusammen ausgehen.“

Grace schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht verhindern, dass ich auf deine Küsse reagiere, aber es darf nicht mehr daraus werden. Danke für die Einladung, doch es tut mir leid, ich kann sie nicht annehmen.“

„Warum nicht? Es gibt kein Gesetz, das es einem Mann verbietet, sich mit seiner Angestellten privat zu verabreden.“

„Wir sollten es nicht tun, weil wir überhaupt nicht zusammenpassen. Wir sind so verschieden wie Feuer und Wasser. Du magst die Dinge nicht, die mir gefallen, und ich mag nicht, was dir Spaß macht. Ich finde es nicht gut, dass du so leichtsinnig bist. Ich höre dich nachts mit dem Motorrad wegfahren, und du fährst sehr schnell. Du liebst es, auf wilden Tieren zu reiten, du hast viele waghalsige Hobbys. Jetzt aber trägst du die Verantwortung für Megan. Denk bitte daran.“

„Hank änderte seinen Lebensstil auch nicht, und er war immerhin ihr richtiger Vater. Ich finde nicht, dass ich extreme Risiken eingehe. Gut, ich kann aufs Fallschirmspringen verzichten, doch alles andere ist nicht so gefährlich. Außerdem, was hat das damit zu tun, dass ich am Sonnabend etwas mit dir unternehmen möchte?“

„Verstehst du das Wort nein ?“

Wyatt lächelte und streichelte ihre Wange. Dann küsste er sie leicht auf den Mund. Schon wieder fing ihr Herz zu klopfen an. Plötzlich hörte er auf und berührte wieder die Stelle an ihrem Hals, wo ihr Puls heftig schlug. „Deine Reaktion ist es, die mich ein Nein nicht akzeptieren lässt.“

„Such dir eine andere, und küss mich nicht mehr. Soll ich vielleicht lieber im Haus schlafen?“

Er schmunzelte amüsiert. „Nein. Ich weiß, wenn ich nicht erwünscht bin. Ich gehe eine Weile zu den Jungs.“ Er sah ihr tief in die Augen. „Aber eines Tages, Grace, wirst du Ja zu mir sagen. Halb hast du es bereits getan.“ Seine heisere, samtene Stimme war an sich schon eine Liebkosung.

Wyatt erhob sich und ging Richtung Pferch. Grace blickte ihm nach. Es hatte sie ihre ganze Willenskraft gekostet, die Einladung für Sonnabend abzulehnen. Sie sehnte sich danach, mit ihm auszugehen, ihn wieder zu küssen. Wyatt war aufregend, sexy und charmant. Sie hatte noch nie mit einem Mann wie ihm ein Rendezvous gehabt. Doch sie war davon überzeugt, dass sie das Richtige tat. Sie musste aufpassen, sonst würde sie sich noch in ihren attraktiven Chef verlieben. Und selbst wenn sie beide an einer ernsthaften Beziehung interessiert wären, hätten sie keine Zukunft. Sie hatte kein Verständnis für seine tollkühnen Hobbys, und er würde sich nicht mit ihrer ruhigen Lebensweise anfreunden können.

Grace stand auf und sah nach dem schlafenden Baby. Sie schob ihre Liege näher an das Kinderbett heran, legte sich hin und schaute in den Sternenhimmel. Dabei dachte sie an Wyatt. Sie befürchtete, dass sie in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde.

Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, als sie Wyatt zurückkommen hörte. „Grace?“, fragte er leise.

„Ich bin wach.“

„Ich werde noch mal duschen.“

Er ging an ihr vorbei, und sie sah ihm nach. Im Mondlicht bemerkte sie eine blutende Platzwunde auf seinem Rücken.

„Wyatt, bist du verletzt?“

„Ich konnte nicht schnell genug einem Pferdehuf ausweichen. Ist nicht weiter schlimm.“

„Ich möchte Megan nicht allein lassen, aber bring nach dem Duschen etwas Verbandszeug mit, damit ich die Wunde versorgen kann.“

„Schon okay“, wehrte er ab und ging ins Haus.

Nach einer halben Stunde kehrte Wyatt zurück, und Grace schwang die Beine von der Liege und setzte sich hin.

„Komm etwas näher, damit ich dich verarzten kann“, bat sie.

„Na schön“, sagte er resignierend und hielt ihr eine kleine Sprayflasche und einen trockenen Waschlappen hin. „Ich dachte mir schon, dass du darauf bestehen würdest. Dabei ist es wirklich nicht nötig.“

„Dreh dich um und setz dich“, befahl Grace. Sie untersuchte die klaffende Wunde auf seinem Rücken. „Das kann jetzt wehtun, doch die Wunde muss desinfiziert werden. Sieht furchtbar aus.“

Sie sprühte das Antiseptikum auf seine Haut und tupfte mit dem Lappen nach. Wyatt saß da, ohne zu zucken, aber sie wusste, dass es höllisch brennen musste.

„Fertig.“

„Warum kannst du nicht schlafen?“, fragte Wyatt und wandte sich zu Grace um. Sie hatte sich wieder auf einen der Gartenstühle gesetzt.

„Keine Ahnung.“

„Lügnerin“, schalt er sie leise. „Du kannst aus dem gleichen Grund wie ich nicht schlafen.“

„Vielleicht, aber wir werden nichts daran ändern.“

„Okay, dann reden wir eben noch ein bisschen. Ich massiere dir dabei den Rücken. Das wird dir helfen, dich zu entspannen und einzuschlafen.“

„Ich weiß nicht …“

„Ach, was ist denn dabei?“, fragte er. Zögernd kehrte Grace ihm den Rücken zu. Wyatt holte sich einen Stuhl und setzte sich hinter sie.

Sanft begann er, ihre Schultern zu massieren. Sie spürte seine Knie an ihren Hüften und bemerkte, dass er so dicht herangerückt war, dass sie zwischen seinen Beinen saß. Um abzulenken, suchte sie nach einem unverfänglichen Gesprächsthema.

Autor

Sara Orwig

Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...

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