Miranda Lee
JULIA BESTSELLER BAND 175
1. KAPITEL
Flughafen Sydney. Acht Uhr. Ein Freitagabend im März.
„Danke, dass Sie mit uns geflogen sind, Mr. Armstrong“, verabschiedete ihn die Stewardess überfreundlich, als Sebastian das Flugzeug durch den Ausgang der ersten Klasse verließ.
Er nickte und eilte weiter, um vor den anderen Passagieren den Taxistand zu erreichen. Glücklicherweise hatte er nur eine Reisetasche bei sich, sodass er nicht auf weiteres Gepäck warten musste.
Die warme Luft außerhalb des Flughafens traf ihn wie ein Schlag. Kurz dachte er daran, Emily anzurufen und ihr zu sagen, dass er einen früheren Flug erwischt hatte. Doch er entschied sich dagegen. Es war ja nicht so, dass sie für ihn zu Abend kochen musste. Außerdem war er ganz und gar nicht in der Stimmung zu plaudern.
Er wollte nur noch nach Hause.
Emily zitterte die Hand, als sie das Kündigungsschreiben aus dem Drucker nahm und noch einmal durchlas. Es bestand aus nur einigen wenigen Sätzen, für die sie jedoch über eine Stunde gebraucht hatte.
„Es ist die richtige Entscheidung“, murmelte sie und lehnte den Umschlag mit dem Ausdruck gegen den Kalender auf ihrem Schreibtisch. „Die einzig mögliche Entscheidung.“
Denn wie konnte sie weiter als Sebastians Haushälterin arbeiten, da ihr klar geworden war, dass sie sich in ihn verliebt hatte?
Wenn er morgen früh zurückkam, würde sie ihm als Allererstes ihre Kündigung geben. Am Montag würde sie dann der Arbeitsagentur Bescheid geben. Sie würde den Job annehmen, den man ihr heute Nachmittag angeboten hatte: Im neuen Konferenzzentrum nahe Sydneys prestigeträchtigem Darling Harbour wurde eine Direktionsassistentin gesucht. Das Wochenende hatte Emily sich als Bedenkzeit ausgebeten.
Dabei war so viel Zeit gar nicht nötig. Nur ein paar Stunden lang war Emily in sich gegangen und hörte nun auf ihren Verstand, statt auf ihr dummes Herz. Die Entscheidung stand fest.
Sebastians Abwesenheit erleichterte ihr den Entschluss natürlich. Sie freute sich nicht gerade auf seine morgige Rückkehr, vor allem nicht auf den Moment, in dem er herausfand, dass sie kündigte.
Denn er wäre darüber alles andere als glücklich.
Sebastian mochte sie. Daraus hatte er nie ein Geheimnis gemacht. An vielen Abenden hatte er sie eingeladen, mit ihm zu essen oder noch einen Schlummertrunk zu nehmen. Das war es ja gerade, was alles so schwierig machte. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart offensichtlich wohl.
Aber nicht so wohl wie du dich in seiner, rief Emily sich rechtzeitig warnend ins Gedächtnis. Was Sebastian an dir mag, Süße, ist deine effiziente Art, seinen Haushalt zu führen.
Sebastian mochte Angestellte, die taten, was er wollte, wann er es wollte und wie er es wollte. Als letztes Jahr seine persönliche Assistentin gekündigt hatte, hatte Sebastian alles versucht, um sie zum Bleiben zu überreden. Mehr Geld. Bessere Arbeitsbedingungen. Sogar eine andere Berufsbezeichnung hatte er ihr angeboten.
Nichts hatte funktioniert. Die Frau war gegangen und Sebastian tagelang in schlechter Laune versunken.
Innerlich erzitterte Emily bei der Vorstellung, wie Sebastian auf ihre eigene Kündigung reagierte.
Zweifellos würde er ihr als Erstes mehr Geld anbieten.
Aber kein Geld der Welt würde sie zum Bleiben bewegen.
Auch bessere Arbeitsbedingungen sind zwecklos, dachte sie, während sie sich in ihrem wunderschön eingerichteten Schlafzimmer umsah. Der Schreibtisch, an dem sie saß, bestand aus Rosenholz. Überall gab es Antiquitäten und kleine Dinge, die das Herz jeder Frau höher schlagen ließen. Besonders gefiel Emily die Lage der Wohnung. Über der Garage gelegen, garantierte sie eine gewisse Privatsphäre vom Haupthaus.
Und was das fragwürdige Angebot einer neuen Berufsbezeichnung anging …
Es gab nicht viele Synonyme für eine Haushälterin.
Vielleicht Göttin des Heims? Emily verzog das Gesicht.
Aus dem angrenzenden Wohnzimmer drang die Melodie der Standuhr zu ihr. Emily blickte auf ihre Armbanduhr. Acht Uhr. Zeit, zum Haupthaus zu gehen und Fenster und Türen zu kontrollieren. Das tat sie jeden Abend um diese Uhrzeit, wenn Sebastian nicht da war.
Sie nahm den Schlüsselbund vom Schreibtisch und ging zur Wohnungstür. Die Abendluft war immer noch warm. Der angekündigte Wetterumschwung blieb aus.
Lange Zeit blieb sie stehen und blickte zu Sebastians Haus hinüber. Traurig machte Emily sich bewusst, dass sie dies vielleicht zum letzten Mal tat.
Es war ein wunderschöner, im gregorianischen Stil gehaltener Sandsteinbau, errichtet auf der Halbinsel Hunter’s Hill im Norden Sydneys mit fantastischem Blick auf den Parramatta River. Ursprünglich im achtzehnten Jahrhundert erbaut, befand sich das Haus in renovierungsbedürftigem Zustand, als Sebastian es vor einigen Jahren gekauft hatte. Er ließ es liebevoll restaurieren, richtete die Räume mit kostbaren Antiquitäten ein und baute einen Swimmingpool und einen Wintergarten.
Im ersten Stock lagen vier großzügige Gästezimmer und zwei Badezimmer, außerdem natürlich Sebastians eigenes palastartiges Schlafzimmer. Von allen Räumen im Erdgeschoss gelangte man durch Flügeltüren aus Glas auf die angenehm schattige Veranda. Auf der linken Seite des Flurs gab es ein förmlich eingerichtetes Empfangszimmer, das zu einem ebenso förmlichen Speisezimmer führte. Daran schloss sich wiederum der sonnendurchflutete und sehr viel gemütlichere Wintergarten an. Die erste Tür auf der rechten Seite des Flurs öffnete sich zu einem Billardzimmer. Danach folgten das Arbeitszimmer mit Bibliothek, die Küche und ein Wirtschaftsraum.
Auf der Rückseite des Hauses war der Swimmingpool angelegt. Die Kiefern zur Linken schirmten den Bereich von neugierigen Blicken ab und fungierten als Windschutz. Zur anderen Seite hin, ein bisschen abseits vom Haus, lagen die Garagen mit Emilys Wohnung darüber. Eine schmale Treppe, die zu ihrer Eingangstür hinaufführte, endete in dem kleinen Podest, auf dem Emily jetzt stand.
Jenseits des Pools erstreckte sich eine imposante Rasenfläche, die in sanften Kurven zum Fluss hin abfiel. Am Ufer waren ein Bootshaus und eine Anlegestelle errichtet worden. Gegenüber von Sebastians Grundstück erhob sich der Bogen einer beeindruckenden Brücke und bildete die perfekte Kulisse für die ohnehin schon wundervolle Aussicht. Zu dieser späten Stunde erzeugten die Lichter der Brücke und die der Stadt dahinter eine magische, ja fast romantische Atmosphäre.
Bereits an ihrem ersten Arbeitstag hatte Emily sich in diesen Ort verliebt.
Sich in Sebastian zu verlieben hatte etwas länger gedauert, gestand sie sich ein, während sie nun langsam die Stufen nach unten ging. Tatsächlich hatte sie es erst vor ungefähr einem Monat erkannt. Da hatte Sebastian verkündet, dass er und seine Freundin sich getrennt hätten. Lana, ein Supermodel, würde einen italienischen Grafen heiraten.
Emilys überschwängliche Freude über diese Nachricht war ebenso vielsagend, wie ihr Bedauern, sich für den Job als Sebastian Armstrongs Haushälterin verkleidet zu haben. Aber vor achtzehn Monaten war sie verzweifelt auf der Suche nach irgendeiner Arbeit gewesen. Deshalb hatte Emily sich den Ratschlag der Arbeitsagentur zu Herzen genommen. Die Experten meinten, dass Australiens begehrtester Junggeselle keine Dreiunddreißigjährige mit einem hübschen Gesicht und einer sehr guten Figur einstellte.
Offensichtlich versuchte der Magnat, der sein Vermögen in der Mobilfunkbranche verdient hatte, schon seit einigen Wochen eine passende Haushälterin zu finden. Mehrmals hatte er seinen Unmut über die Vielzahl an Bewerberinnen zum Ausdruck gebracht. Seiner Ansicht nach waren die viel zu sexy und aufgedonnert zum Vorstellungsgespräch erschienen.
Also schummelte Emily ein paar Jahre zu ihrem Alter hinzu, färbte sich die Haare mittelbraun, setzte eine Brille auf und schlüpfte in weite Kleidung. Es funktionierte: Sie bekam den Job.
Ein paar Wochen später legte sie die Brille wieder ab. Emily gab vor, auf Sebastians Ratschlag gehört zu haben. Sie behauptete, ihre Augen einer Laserbehandlung unterzogen zu haben. Die braunen Haare und die unförmigen Kleider behielt sie jedoch.
Bis vor einer Woche. Denn so gekleidet hatte sie auf dem Arbeitsmarkt nicht die geringste Chance. Also war sie zum Friseur gegangen und hatte sich das schulterlange Haar professionell stylen lassen. Außerdem hatte sie ein figurbetontes Kostüm aus hellbraunem Wildleder gekauft, dazu ein cremefarbenes Top, das den Ansatz ihrer Brüste freigab.
Sebastian hätte sie kaum wiedererkannt.
Vielleicht sollte sie …
„Nein, nein“, murmelte Emily auf ihrem Weg um den Pool herum. „Ganz egal, was du tust, er wird sich nicht in dich verlieben. Also fang gar nicht erst an zu träumen.“
Tapfer schob sie alle Gedanken an Sebastian beiseite – und ihre nicht existierenden Chancen, jemals seine Aufmerksamkeit zu erregen …, bis sie bemerkte, dass sie mitten in seinem Schlafzimmer stand. Schwierig, nicht an einen Mann zu denken, wenn man sich dem Allerheiligsten seines Liebeslebens gegenübersah. Lanas Parfüm hing noch in der Luft. Ihretwegen war er nun fort.
Seit Emily für Sebastian arbeitete, hatte es nur eine Frau in seinem Leben gegeben: Lana Campbell. Mit Ende zwanzig befand Lana sich auf dem Höhepunkt ihrer Modelkarriere. Die Rothaarige war eine klassische Schönheit und hatte wirklich aufreizende Kurven. Vor allem auf den Laufstegen Italiens feierte sie große Erfolge. Die Italiener mochten keine dürren Models. Zudem war sie intelligent und verfügte über einen scharfsinnigen Verstand. Wenn sie jemanden nicht mochte, konnte ihre Schlagfertigkeit aber rasch in Sarkasmus umschlagen.
Aus irgendeinem Grund konnte sie Emily nicht leiden. Allerdings war Lana klug genug, diese Abneigung vor Sebastian zu verbergen.
Außerdem war sie launisch. In den Wochen vor der Trennung hatte Emily oft Lanas lautstarke Beschwerden über ihre Beziehung mit anhören müssen.
Sebastian liebe sie nicht, hatte Lana ihm einmal schreiend vorgeworfen. Wenn er es täte, würde er sie heiraten. Zumindest würde er sie in sein Haus einziehen lassen.
Wider Erwarten ließ sich Sebastian weder auf das eine noch das andere ein. So einfach war er nicht zu provozieren. Er zeigte seinen Unmut auf andere Weise. Wann immer Lana ihm eine Szene machte, schaute er sie nur kühl an und ging aus dem Zimmer.
Allerdings war Emily sich sicher, dass Sebastian Lana liebte. Dass er vor fünf Tagen nach Italien geflogen war, um sie zurückzuerobern, war der beste Beweis dafür. Wie sich herausstellte, war sein Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt.
Vor einigen Tagen hatte Lana doch den italienischen Grafen geheiratet. Die Einzelheiten waren in allen Boulevardzeitungen zu lesen. Emily seufzte.
Sebastian hatte ihr nur eine kurze E-Mail geschickt.
Lande Samstagmorgen um sieben in Mascot. Bin zu Hause um acht.
Normalerweise waren seine E-Mails freundlicher. Bei seiner Rückkehr würde er bestimmt nicht bester Laune sein. Keine erfreuliche Aussicht.
Die Frau, die er liebte, an einen anderen Mann zu verlieren, das würde er vielleicht nie verwinden. Obwohl der Himmel allein wusste, was Lana in dem italienischen Grafen sah. Verglichen mit Sebastian wirkte er ausgesprochen hässlich: klein und übergewichtig, mit einem fleischigen Gesicht und runden schwarzen Augen.
Gut, er besaß einen Titel. Und er hatte Lana einen Verlobungsring auf den Finger gesteckt.
Sebastian konnte nicht ernsthaft erwarten, dass eine Frau wie Lana sich mit weniger zufriedengab.
Für Emily stand fest, dass ihrem vierzigjährigen Arbeitgeber sein Leben so gefiel, wie es war. Er mochte seine Freiräume. Und er brauchte es, manchmal alleine zu sein. Australische Männer waren eben so. Italiener hingegen waren gesellige Menschen, bekannt für ihren Familiensinn und ihre Liebe zu Kindern.
An Kinder und Familie zu denken bestärkte Emily nur in ihrer Entscheidung.
Ja, es war definitiv ratsam zu gehen. Zeit, die Zukunft in Angriff zu nehmen, die Emily sich wünschte. Und dieser Wunsch beinhaltete einen Ehemann und mindestens ein Kind.
Vor achtzehn Monaten hatten Ehe und Kinder Emily herzlich wenig interessiert. Von Männern ganz zu schweigen. Sie hatte um ihre Mutter getrauert, die gerade an Krebs gestorben war. Und der Verrat des Vaters, den sie kurz danach hatte entdecken müssen, hatte sie am Boden zerstört.
Aber nach einer gewissen Zeit änderte man die Sicht auf manche Dinge. Wunden heilten und Prioritäten änderten sich. Emily konnte verstehen, warum Lana sich von Sebastian getrennt hatte, um den italienischen Grafen zu heiraten. Leidenschaft und Sex waren nicht das Wichtigste im Leben einer Frau. Dennoch glaubte Emily, ihr wäre es an Lanas Stelle sehr schwergefallen, Sebastians Bett zu verlassen.
„Andererseits hast du nie darin gelegen“, zischte sie sich selbst verärgert zu, wobei ihre Blicke aber nach wie vor von eben jenem Bett angezogen wurden. „Du hast bereits jetzt schon genug Probleme, dem Mann zu kündigen!“
Aber ich werde gehen, schwor Emily sich, als sie aus dem Zimmer eilte.
Okay, sie war also verliebt in diesen Mann. Na und? Verliebt hatte sie sich schon vorher. In diese Ratte Mark, die sie sitzen gelassen hatte, als sie sich um ihre todkranke Mutter gekümmert hatte.
Bestimmt werde ich mich bald in einen neuen Mann verlieben, versicherte sie sich noch einmal auf dem Weg zurück ins Erdgeschoss.
Zuerst jedoch musste sie von hier fort und hinaus in die Welt, die sich so sehr von der Abgeschiedenheit unterschied, in der sie momentan lebte. Ein Konferenzzentrum würde sie jeden Tag mit Dutzenden von begehrenswerten Managern in Kontakt bringen. Wenn sie ihr Haar wieder blond färbte und eine gewisse Summe in körperbetonte Outfits investierte … Sicher würde Emily dann die Aufmerksamkeit einiger Männer erregen. Ihr einziges Problem würde darin bestehen, den Richtigen auszuwählen. Er sollte einen guten Job haben und zu echter Liebe und Treue bereit sein.
Und wenn er nicht ganz so beeindruckend war wie Sebastian, wäre das auch nicht schlimm. Von dieser Sorte gab es eben nicht allzu viele.
Sebastian stach unter allen anderen Männern hervor. Auffallend attraktiv, außergewöhnlich intelligent und mit einem sexy Körper gesegnet. Neben seinen vielfältigen geschäftlichen Aktivitäten war er ein herausragender Sportler. Er kannte sich mit Antiquitäten und Wein aus, wie mit jedem anderen Thema, in das er sich gerade mit Hingabe vertiefte. Er besaß eine eindrucksvolle Bibliothek mit Werken aus vielen Fachgebieten und eine ansehnliche Sammlung an Biografien. Einmal hatte er Emily anvertraut, dass es ihn inspiriere, über das Leben erfolgreicher Menschen zu lesen, über Menschen, die ihren eigenen Weg gegangen und ihres eigenen Glückes Schmied waren.
„Und genau das werde ich auch tun, Sebastian“, verkündete Emily laut und verriegelte die Hintertür. „Ich werde meinen Weg gehen und mein Glück finden!“
Doch trotz aller vernünftigen Vorsätze und mutigen Entschlüsse empfand Emily ein flaues Gefühl im Magen, als sie in ihre Wohnung zurückkehrte. Es war noch zu früh, um ins Bett zu gehen.
Vielleicht sollte sie eine Runde im Pool schwimmen …
Heute Nachmittag war sie schon einmal in das kühle Nass getaucht. Hinter den Einwohnern Sydneys lag gerade der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Obwohl der offizielle Herbstanfang schon drei Wochen zurücklag, zeigte das Thermometer tagsüber noch einunddreißig Grad an. Das Wasser im Pool war angenehm. Die Idee erschien Emily mit einem Mal sehr reizvoll.
Sie ging ins Badezimmer und griff nach ihrem schwarzen Badeanzug, den sie zum Trocknen auf den Rand der Wanne gelegt hatte. Er war noch nass. Bei dem Gedanken daran, den feuchten Stoff über ihren warmen Körper zu streifen, verzog Emily das Gesicht.
Die Vorstellung, einfach nackt zu baden, flackerte in ihrem Kopf auf.
Seltsamerweise hatte sie das noch nie getan. Dabei war sie ein durchaus wilder Teenager gewesen und eine richtige kleine Partymaus in ihren Zwanzigern.
Was ist nur aus diesem Mädchen geworden? „Ich bin auf dem besten Wege, mich in eine alte Jungfer zu verwandeln!“
Diese Erkenntnis gab den Ausschlag. Emily warf den schwarzen Einteiler quer durch das Bad, schlüpfte aus ihren Kleidern und schnappte sich den weißen Bademantel, der an einem Haken an der Tür hing. Ein aufregendes Gefühl breitete sich in ihr aus, als sie die Hände durch die weiten Ärmel steckte und den Gürtel vor dem Bauch verknotete.
Der Mut verließ sie erst, als sie am Pool ankam und sich mit der Tatsache konfrontiert sah, jetzt tatsächlich die Hüllen fallen zu lassen. Eine Ewigkeit stand Emily einfach nur da. Immer wieder versicherte sie sich, dass der Pool vor neugierigen Blicken geschützt und außer ihr niemand im Haus war.
Sebastian wollte nicht, dass seine Angestellten im Haus wohnten. Sie bildete die einzige Ausnahme. Montags und freitags kam eine Putzfrau. Eine ortsansässige Firma kümmerte sich um den Garten, und einmal die Woche reinigte ein Mann den Pool.
Es gab also keinen Grund, nervös zu sein. Niemand würde unerwartet auftauchen, schon gar nicht ihr Arbeitgeber.
Sebastian war ein leicht einzuschätzender Mann, der Wert auf Routine und Pünktlichkeit legte. Wenn er schrieb, er würde morgen früh in Sydney ankommen, dann war das auch so.
Doch als Emily den Bademantel endlich abstreifte, schweifte ihr Blick unwillkürlich zu den Fenstern des Hauses empor. Sie fürchtete sich davor, dass das Licht im oberen Stockwerk plötzlich angehen, Sebastian am Schlafzimmerfenster stehen und zu ihr hinuntersehen würde.
Verärgert über ihre Fantasie, trat Emily rasch an den Beckenrand, streckte die Hände aus und sprang kopfüber ins Wasser. Erst nachdem sie die Hälfte des dreißig Meter langen Bassins zurückgelegt hatte, tauchte sie wieder auf. Sie fuhr sich durch das nasse Haar und schaute noch einmal nervös zu den Fenstern. Erleichtert stellte Emily fest, dass im Haus noch alles dunkel war.
Im Gegensatz zum Pool. Unterwasserlichter erleuchteten das kristallklare Wasser. Emily fühlte sich verletzlich, während sie sich der Erfahrung hingab, nackt zu schwimmen. Wie warme Seide liebkoste das Wasser ihre Haut und ließ sie sich ihres weiblichen Körpers bewusst werden.
Bruststil zu schwimmen fand sie gerade durchaus erotisch. Das konnte Emily in diesem Moment gar nicht gebrauchen. Denn sofort dachte sie nur wieder an Sebastian und an die Sehnsucht, die er in ihr geweckt hatte.
Neuerdings versank sie immer häufiger in Tagträumen. Wie es wohl war, seine Freundin zu sein? Wenn er sie ansah, wie er Lana angeschaut hatte … mit jenem heißen Verlangen in den funkelnden blauen Augen?
Abrupt wechselte Emily zum Kraulstil und schwamm bis zum Beckenrand. An der Einfassung aus Terrakottafliesen hielt sie sich fest und erteilte sich eine weitere Lektion über die Sinnlosigkeit ihrer Liebe zu ihrem Chef.
Je eher sie von diesem Mann fortkam, desto besser!
Sie stieß sich ab und ließ sich auf dem Rücken im Wasser treiben. Nur hin und wieder paddelte sie mit den Händen, um nicht unterzugehen. So im Wasser zu schweben war nicht ganz so erotisch – vorausgesetzt, sie blickte nicht auf ihre Brüste und die verwirrend aufgerichteten Knospen.
Nachdenklich richtete Emily den Blick in den nächtlichen Himmel über ihr. In der undurchdringlichen Schwärze leuchteten unzählige Sterne. Ein Halbmond schimmerte gleißend weiß. Eine Nacht für Verliebte oder für Hexen.
Plötzlich wurde die Außenbeleuchtung des Hauses eingeschaltet. Nach Luft schnappend, wirbelte Emily herum, sodass ihr die nassen Haare ins Gesicht fielen. Sie konnte nicht ausmachen, wer da am Beckenrand stand. Aber die Stimme erkannte sie sofort.
„Was, zum Teufel, machen Sie da, Fräulein, ohne Kleider in meinem Pool?“
2. KAPITEL
Sebastian! Oh verflixt, es war Sebastian!
Was für ein grausames Schicksal führte ihn ausgerechnet jetzt nach Hause?
Emily hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Sollte sie mit den Händen die Brüste bedecken oder sich die Haare aus dem Gesicht streifen, damit er sie endlich erkannte?
„Ich warte auf eine Antwort, Fräulein“, rief Sebastian gereizt.
Dass er sie Fräulein nannte, brachte das Fass zum Überlaufen. War es vielleicht ihre Schuld, dass er früher nach Hause gekommen war? Absolut nicht!
Ungehalten tauchte Emily unter und warf dann den Kopf in den Nacken, sodass die Haare endlich nicht mehr ihr Gesicht bedeckten. Breitbeinig stand er an einer Ecke des Pools, das dunkle Jackett zurückgestreift, die Hände auf die Hüften gestützt.
Er schien sie immer noch nicht zu erkennen.
„Ich bin es, Sebastian“, sagte sie. Ihre Stimme klang viel gefasster, als Emily sich fühlte.
Sebastian hob den Kopf. Auf seiner missbilligenden Miene zeichnete sich erst Überraschung ab, dann Schock.
„Emily? Mein Gott, das bist ja du!“
Sie errötete, als sein Blick wieder zu ihren nackten Brüsten glitt. Tapfer widerstand sie dem Drang, sie zu bedecken. Der Stolz befahl ihr, seine Musterung über sich ergehen zu lassen. Außerdem empfand sie es auch als ungeheuer befriedigend, dass Sebastian sie so anstarrte. Emily wusste, dass sie eine gute Figur hatte. Und Sebastian wusste es jetzt auch.
Aber es war falsch. Sobald Emily die Situation wieder mit allen Hintergründen bewusst wurde, verkehrte sich die Befriedigung gleich darauf ins Gegenteil.
„Ich habe dich noch nicht hier erwartet“, sagte sie ein wenig steif. Allmählich verletzte es sie doch, dass er den Blick nicht von ihrem Oberkörper abwandte.
Wenn es um Sex ging, waren Männer so oberflächlich, dachte sie bitter. Sogar Sebastian.
„Offensichtlich nicht“, erwiderte er. Interessiert betrachtete er etwas unter der Wasseroberfläche.
Trotzig hob Emily das Kinn. „Ich möchte jetzt aus dem Pool.“
„Wie schade. Ich habe gerade daran gedacht, zu dir hineinzukommen.“
„Was?“
„Nach einem langen Flug gibt es nichts Entspannenderes als ein Bad.“
Dass er bereits aus seinem Jackett schlüpfte und es achtlos zu Boden fallen ließ, versetzte Emily in Panik. Sebastian hatte doch nicht etwa vor, sich ganz auszuziehen und mit ihr nackt zu baden?
„Hast … hast du getrunken?“, fragte sie unsicher.
Er lächelte ein wenig schief, während er mit der Krawatte kämpfte und dann die Knöpfe des blauen Hemdes in Angriff nahm. „Erster Klasse zu fliegen bedeutet auch, die besten Weine serviert zu bekommen.“
Also war er betrunken! Das erklärte zumindest sein untypisches Verhalten. In all den Monaten, die sie für Sebastian arbeitete, hatte er nie die unsichtbare Grenze zwischen Chef und Angestellter überschritten. Selbst wenn sie zusammen zu Abend gegessen hatten, sprachen sie nie über Persönliches oder Privates. Sebastian tat oder sagte nie etwas, das man falsch deuten oder als Beleidigung verstehen konnte.
Offensichtlich war er heute Abend nicht ganz er selbst. Lana zu verlieren musste ihn aus dem Gleichgewicht geworfen haben.
„Mit Alkohol im Blut solltest du nicht schwimmen gehen“, sagte sie.
„Du bist ja da, um mich zu retten.“
„Nein, das werde ich nicht. Ich gehe jetzt.“
„Und wenn ich dich bitte zu bleiben?“
Emily stöhnte auf. Wenn er nur wüsste, wie gerne sie genau das getan hätte!
Doch sie würde sich nicht auf diese Weise ausnutzen lassen …
„Mir gefällt diese Situation nicht, Sebastian“, erwiderte sie scharf.
Er hörte auf, sich auszuziehen, und betrachtete sie eingehend. Dann seufzte er. Es klang müde.
„Du hast recht“, meinte er. „Mein Benehmen ist unangebracht. Bitte entschuldige.“
Noch bevor sie irgendetwas antworten konnte, hatte er schon sein Jackett aufgehoben, sich umgedreht und war durch die Hintertür ins Haus verschwunden.
Emily zögerte nicht länger. Sie schwamm auf die andere Seite des Pools, stemmte sich aus dem Becken und warf den Bademantel über ihren nassen Körper. Dann floh sie den schmalen Steinplattenpfad entlang, die Treppe hinauf und in ihre Wohnung. Dort angekommen, knallte Emily die Tür hinter sich zu.
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie zitterte. Nicht aus Angst. Sondern, weil sie so unglaublich dumm gewesen war!
Beinahe wäre ihre wildeste Fantasie Wirklichkeit geworden … die, in der Sebastian sie liebte.
Wenn ein Mann und eine Frau nackt in einem Pool badeten, war das nie eine rein platonische Angelegenheit. Möglicherweise hatte Sebastian sie nicht mit derselben Leidenschaft angesehen wie Lana. In seinen Augen hatte aber definitiv Verlangen gefunkelt. Daran bestand nicht der geringste Zweifel!
Für ihn wäre es nur Sex gewesen, überlegte Emily. Sie hätte als Ersatz für Lana herhalten müssen, als Trostpflaster für sein männliches Ego.
Na, und wenn schon! Zumindest hätte sie nun gewusst, wie es sich anfühlte, in seinen Armen zu liegen, von ihm geküsst und berührt zu werden.
Und jetzt?
Jetzt blieben ihr nur Frust und Bedauern. Und ihr alberner und verfluchter Stolz.
Tränen traten ihr in die Augen. Warum hatte sie nicht jegliche Zurückhaltung in den Wind geschlagen? Warum musste sie nur so verflixt rational sein?
Jede andere Frau hätte das Angebot angenommen. Und wer weiß? Vielleicht wäre ja etwas ganz Besonderes daraus geworden. Schließlich hatte sie Sebastian eine Menge zu bieten.
Er hat dir nichts Vergleichbares anzubieten, widersprach die Stimme der Vernunft in ihrem Inneren. Keine Liebe …, keine Ehe …, keine Kinder.
Nur Sex.
Du bist heute Abend noch einmal davongekommen, Emily Bayliss. Und gib ihm morgen früh deine Kündigung, und dann nichts wie weg hier!
3. KAPITEL
Der Wecker auf Sebastians Nachttisch klingelte um zehn vor sechs. Er schreckte aus dem Schlaf und stöhnte laut auf. Kaum dass sein Kopf das Kissen berührt hatte, war Sebastian ins Reich der Träume gesunken. Und obwohl er neun Stunden geschlafen hatte, erwachte er mit einem leichten Kater – dem ersten seit Jahren.
Dummerweise konnte er sich nur selbst die Schuld daran geben. Auf dem Heimflug hatte er viel zu viel Alkohol getrunken. Aber irgendetwas hatte Sebastian unternehmen müssen, um die Erinnerung an die Ereignisse in Mailand auszublenden.
Es hatte sogar funktioniert. Bei der Landung gehörte Lana bereits der Vergangenheit an. Und was war dann passiert?
Er erwischte seine tugendhafte Haushälterin nackt im Pool. Und ihr Körper war so vollkommen, dass der Anblick ein glühendes Verlangen geweckt hatte. Das passierte Sebastian immer schon bei so schönen Frauen.
Dabei hatte er sie zuerst gar nicht erkannt. Er hatte sie für ein junges Ding aus der Nachbarschaft gehalten.
Bald war ihm klar geworden, dass er Emily vor sich hatte. In dem Moment hätte er seine überschäumenden Hormone kontrollieren müssen. Stattdessen hatte er ein Verhalten an den Tag gelegt, das an sexuelle Belästigung grenzte.
Aber seine gescheite Haushälterin hatte ihn glücklicherweise auf seinen Platz verwiesen. Sosehr ihn auch das Verlangen nach Emily gepackt hatte, schätzte er sie doch viel zu sehr, als dass er sie wegen einer übereilten Dummheit verlieren wollte.
Während Sebastian die Decke zurückschlug und mühsam aufstand, fragte er sich, ob sie so etwas häufiger tat. Nackt baden. Es schien überhaupt nicht zu ihr zu passen.
Natürlich hatte sie jedes Recht zu tun, wozu sie Lust hatte, wenn er nicht da war. Und genauso konnte sie erwarten, dass sich ihr Arbeitgeber stets wie ein Gentleman verhielt – egal unter welchen Umständen. Mochte die Versuchung auch noch so unwiderstehlich sein.
Obwohl Entschuldigungen nicht oft über Sebastians Lippen kamen, beschloss er, ihr beim Frühstück zu sagen, dass es ihm leidtat.
In der Zwischenzeit sollte er sich endlich anziehen und zum Fluss gehen. Es war Zeit, für sein morgendliches Training.
Sport half ihm immer, den Kopf freizubekommen. Das und die beiden Schmerztabletten, die er gerade schluckte.
Emily trat ans Fenster ihres Schlafzimmers und beobachtete, wie Sebastian dem Pfad zum Bootshaus folgte. Der schwarze Neoprenanzug, den er trug, schützte ihn vor der kühlen Luft, die seit Mitternacht über Sydney lag. Die Sonne ging gerade auf und verwandelte das dunkle Violett des Himmels in ein helles Graublau.
Sie bewunderte Sebastians Hingabe an sein Fitnessprogramm. Nur manchmal fragte sie sich, ob er nicht ein wenig übertrieb. Man würde annehmen, dass er es nach dem gestrigen langen Flug und den möglichen Nachwirkungen heute ausfallen ließ.
Aber nein! Da war er und eilte mit großen Schritten auf das Ufer des Flusses zu. Wie jeden Morgen um sechs Uhr.
Offensichtlich hatte er gut geschlafen und litt nicht unter Jetlag. Seine Haltung war wieder schwungvoll, der attraktive Kopf hoch erhoben. Er sah einfach großartig aus.
Wie konnte ihr allein der Anblick dieses Mannes ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern? Das war doch eine verkehrte Welt, ebenso verkehrt wie das Vergnügen, das sie gestern im Pool empfunden hatte.
Liebe machte die Menschen zu Narren – vor allem Frauen.
Diese Gedanken gaben ihr den Mut, bei der Entscheidung zu bleiben, die sie letzte Nacht getroffen hatte.
Eine Stunde später, Emily deckte gerade den Frühstückstisch, hörte sie, wie die Hintertür geöffnet wurde und wieder ins Schloss fiel. Der Herr des Hauses war zurückgekehrt – wie jeden Morgen um sieben. Glücklicherweise eilte er gleich nach oben, um zu duschen und sich zu rasieren. In dreißig Minuten würde er wieder hinunterkommen.
Ein flaues Gefühl schlich sich in ihren Magen, als sie sich Sebastians Reaktion auf ihre Kündigung vorstellte. Fast feige beschloss sie, den Brief auf den Tisch zu legen, anstatt ihn persönlich zu überreichen.
Um halb acht stand Emily vor der Kaffeemaschine und ging im Geist noch einmal ihre Argumente durch. Da richteten sich mit einem Mal die Härchen in ihrem Nacken auf. Noch bevor sie herumwirbelte, wusste sie, dass Sebastian auf der Schwelle stand.
Und tatsächlich war er da, weltmännisch wie immer in der beigefarbenen Hose und dem langärmeligen schwarz und cremefarben gestreiften Hemd.
Emily versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie hatte nur wenig Erfolg damit.
„Ja?“, fragte sie ernst und dachte, dass kein Mann der Welt das Recht haben sollte, eine so große Anziehungskraft auf jemanden auszuüben.
„Ich wollte mich wegen letzter Nacht entschuldigen“, erwiderte er mit seiner tiefen männlichen Stimme. „Mein Verhalten war nicht richtig.“
„Das ist schon in Ordnung, Sebastian“, gab sie ein wenig gepresst zurück. „Es ist ja nichts passiert.“
Er runzelte die Stirn. „Bist du sicher? Du scheinst heute Morgen ein wenig … mürrisch zu sein.“
„Die Sache ist mir nur peinlich.“
„Es gibt nichts, weswegen du verlegen sein müsstest.“
„Du wolltest erst heute Morgen zurückkommen“, sagte sie halb vorwurfsvoll.
„Ich habe einen früheren Flug bekommen.“
„Du hast mich zu Tode erschreckt.“
„Ich war auch ganz schön erschrocken, eine nackte Nymphe in meinem Pool zu entdecken. Ich habe dich gar nicht erkannt … so ohne Kleider.“
Emily zuckte zusammen. „Bitte, Sebastian, können wir den Vorfall nicht einfach vergessen?“
„Wenn es das ist, was du willst …“
„Ja.“
„Okay“, erwiderte er sachlich. „Ich möchte heute kein großes Frühstück. Nur Toast. Bringst du den Kaffee, sobald er fertig ist?“, fügte er hinzu und ging.
Sie schloss die Augen und wartete. Gleich würde er sie sicher rufen.
„Emily, könntest du bitte herkommen?“, kam er keine dreißig Sekunden später.
Sie straffte die Schultern. Den tröpfelnden Kaffee in der Maschine ignorierend, machte sie sich auf den Weg. Die Hände hielt sie an den Seiten zu Fäusten geballt.
Lass nicht zu, dass er dich zu irgendetwas überredet, befahl sie sich. Sei stark.
Die Tür zwischen Wintergarten und Esszimmer stand offen, wie immer um diese Zeit. Sebastian saß mit dem Rücken zu ihr, doch seine Kopfhaltung und die angespannten Schultern hatten etwas Bedrohliches. Noch bevor sie seine Miene sah, wusste sie, dass er verärgert war.
„Was soll das?“, fuhr er sie an, sobald sie in seinem Blickfeld erschien. In der rechten Hand hielt er den geöffneten Brief mit ihrer Kündigung. „Hast du nicht gesagt, zwischen uns sei alles in Ordnung?“
Sie holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. „Meine Kündigung hat nichts mit gestern Nacht zu tun“, entgegnete Emily ruhig. „Ich hatte den Brief schon geschrieben, bevor du nach Hause gekommen bist. Man hat mir einen anderen Job angeboten, und ich gedenke, ihn anzunehmen.“
„Einen anderen Job?“, wiederholte er, wobei es ihm gelang, gleichzeitig überrascht und beleidigt zu klingen. „Was für einen Job? Ich hoffe inständig, keiner meiner sogenannten Freunde hat dich abgeworben.“ Seine Augen funkelten.
„Ich habe keine andere Stellung als Haushälterin angenommen“, teilte Emily ihm erleichtert mit. „Ich werde Direktionsassistentin im neuen Konferenzzentrum am Darling Harbour. Erinnerst du dich an meinen Lebenslauf? Ich bin gelernte Hotelkauffrau. Einige Jahre habe ich an der Rezeption des Regency Hotels gearbeitet, dann in deren PR-Abteilung. Ich bin also durchaus qualifiziert für den neuen Job.“
Sekundenlang sah er sie eindringlich an, während er mit dem Brief langsam gegen seine linke Handfläche schlug. Schließlich hielt Sebastian in der Bewegung inne und legte das Papier auf den Tisch.
„Und wie ist es zu diesem Angebot gekommen?“, fragte er mühsam beherrscht.
„Ich habe mich bei einer Arbeitsvermittlung gemeldet. Am Donnerstag haben sie mich zu einem Vorstellungsgespräch geschickt, und gestern Nachmittag haben sie angerufen und mir den Job angeboten.“
„Nach nur einer Bewerbung? Du musst großen Eindruck gemacht haben.“
„Offensichtlich.“
„Anscheinend planst du schon länger zu gehen, sehe ich das richtig?“
„Seit ein paar Wochen.“
„Warum, Emily? Ich dachte, du bist hier glücklich?“
„Das bin ich.“
Verwirrung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Dann geht es um Geld? Willst du ein höheres Gehalt?“
„Nein.“
„Mehr Freizeit?“
„Nein.“
„Was ist es dann, Emily? Du weißt, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dich zu behalten.“
Sie hatte ja geahnt, dass er diesen Weg einschlagen würde. Darauf war sie vorbereitet.
„Du kannst mir nicht geben, was ich will, Sebastian.“
„Probier es wenigstens.“
„Ich möchte heiraten und eine Familie gründen, bevor ich zu alt dafür bin. An meinem nächsten Geburtstag werde ich fünfunddreißig und …“
„Einen Moment“, unterbrach er sie brüsk. „Wenn ich mich richtig erinnere, warst du sechsunddreißig, als du hier angefangen hast. Damit wirst du achtunddreißig, nicht fünfunddreißig.“
Emily seufzte. Was für ein dummer Fehler!
„Ich habe gedacht, du würdest mich nie einstellen, wenn du wüsstest, dass ich erst dreiunddreißig bin. Also habe ich bei meinem Alter geschwindelt.“
„Ich verstehe. Und welche anderen Tricks hast du noch angewandt, damit ich dir den Job gebe?“
Sie verzog das Gesicht. Was machte es schon, wenn sie ihm jetzt die ganze Wahrheit sagte? „Die Agentur hat mich angewiesen, nicht zu sexy auszusehen. Also habe ich meine Haare mausbraun gefärbt und eine Brille aufgesetzt. Und ja, ich habe gelogen. Ich hatte gar keine Laserbehandlung. Ich fand es einfach nur lästig, ständig eine Brille zu tragen.“
„Verständlich. Genau aus dem Grund habe ich mich ja der Laserbehandlung unterzogen.“
Als er sich auf dem Stuhl zurücklehnte und anfing, sie eingehend zu mustern, musste sie ruhig bleiben. Sie setzte die gut eingeübte – und in den letzten Wochen oft vorgetäuschte – nichtssagende Miene auf. Insgeheim wollte Emily nichts lieber, als vor den Blicken flüchten, die sie auf sich spürte. Denn er zog sie mit diesen Blicken aus, schaute durch den weiten blauen Trainingsanzug hindurch und sah sie so, wie er sie letzte Nacht gesehen hatte. Ohne auch nur ein einziges Kleidungsstück am Leib.
Es kostete sie alle Willenskraft, nicht zu erröten.
„Was ist denn deine natürliche Haarfarbe?“
„Blond.“
„Und ich nehme an, bevor du angefangen hast, für mich zu arbeiten, war deine Kleidung auch vorteilhafter. Gestern Nacht konnte ich unmöglich übersehen, was für eine gute Figur du hast.“
Hitze schoss in ihre Wangen. Dagegen konnte Emily nichts tun.
„Mein Äußeres war mir damals nicht wichtig.“
„Aber jetzt schon.“
„Ja.“
„Weil du einen Ehemann finden willst.“
„Ja.“
„Und du glaubst, du kannst das nicht, wenn du weiterhin für mich arbeitest?“
„Ich bitte dich, Sebastian. Wenn ich hierbleibe, finde ich nie einen potenziellen Heiratskandidaten. Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber ich habe so gut wie kein Sozialleben. Ich möchte Freunde finden. Bisher hatte es mir nicht viel ausgemacht, das gebe ich zu. Als ich diesen Job annahm, wollte ich mich von der Außenwelt zurückziehen. Ich brauchte Zeit für mich.“
„Ich vermute, du sprichst vom Tod deiner Mutter.“
Emily runzelte die Stirn. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie beim Vorstellungsgespräch hatte erklären müssen, was sie in den letzten Jahren getan hatte und warum sie sich für den Job als Haushälterin bewarb.
„Davon“, erwiderte sie, „und einigen anderen Dingen.“
„Welchen anderen Dingen?“
Allmählich störten seine insistierenden Fragen sehr. „Das ist privat.“
Ein verletzter Ausdruck über die deutliche Abfuhr huschte über sein Gesicht. „Ich dachte, wir wären in all der Zeit Freunde geworden, Emily“, entgegnete er mit entwaffnender Sanftheit.
„Bitte, Sebastian, mach es mir nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist.“
„Du möchtest gar nicht gehen, oder?“
Verzweifelt versuchte sie, ihn nicht die Wahrheit an den Augen ablesen zu lassen. Natürlich scheiterte Emily dabei.
„Ich will auch nicht, dass du kündigst“, sagte er. „Du bist die beste Haushälterin, die ich je hatte. Seit du für mich arbeitest, komme ich immer gern nach Hause.“
Oh Gott …
„Ich muss fort von hier, Sebastian!“
„Unsinn!“, widersprach er und beugte sich vor. „Du musst gar nichts. Es gibt sicher eine Lösung für dieses Problem, mit der wir beide zufrieden sind.“
„Ich wüsste nicht, welche.“
Einen Moment sah er sie unverwandt an, dann blitzten seine blauen Augen auf. Offensichtlich hatte Sebastian eine Idee.
„Wir sprechen beim Mittagessen darüber“, verkündete er.
Verzagt seufzte sie. „Sebastian, es wird dir nicht gelingen, meine Meinung zu ändern.“
„Gib mir die Chance, es zu versuchen.“
Sie biss die Zähne zusammen. Was war er nur für ein unmöglicher Mann!
„Was möchtest du zum Mittagessen?“, fragte sie kühl, fest entschlossen, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.
„Wir gehen essen.“
Emily war perplex. So viel zu ihrem Vorsatz, nicht die Fassung zu verlieren.
„Und ich will, dass du dich so anziehst wie für ein Vorstellungsgespräch.“
„Wie bitte?“
„Du hast diese neue Position doch nicht in diesem Outfit ergattert. Nun, ich muss nach dem Frühstück geschäftlich in die Stadt, aber um die Mittagszeit bin ich zurück. Ich hole dich um halb eins ab.“
„Das ist reine Zeitverschwendung, Sebastian“, sagte sie. Verzweifelt rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie sich nicht aus dem Konzept bringen lassen wollte.
„Ich verschwende nie meine Zeit, Emily“, erwiderte er in einem Tonfall, der sie seltsam frösteln ließ.
Plötzlich hatte sie Angst. Angst, dass sie nach dem Lunch ihre vernünftigen Pläne vergessen und genau das tun würde, was Sebastian von ihr wollte.
„Der Kaffee riecht köstlich“, wechselte er abrupt das Thema. „Du solltest ihn besser herbringen, bevor er in der Maschine verdampft.“
4. KAPITEL
Um neun Uhr verließ Sebastian das Viertel in Richtung Innenstadt. Vielleicht will er in sein Büro, überlegte Emily, während er den silbernen Maserati Spyder aus der Garage lenkte. Der Wagen entsprach in Stil und Leistung genau seinem Besitzer.
Der Firmensitz von Armstrong Industries war in einem Hochhaus in Sydneys Geschäftszentrum beheimatet. In der darunter liegenden Tiefgarage waren Parkplätze für die Mieter des Gebäudes reserviert.
Die leitenden Angestellten von Armstrong Industries mussten nicht mit Bus oder Bahn zur Arbeit fahren. Und natürlich brauchten sie auch die hohen Parkplatzgebühren in der City nicht zu bezahlen. Jeder Mitarbeiter bekam einen eigenen Stellplatz in der Garage.
Als Besitzer und Direktor der Firma verfügte Sebastian über zwei Parkplätze.
Emily wusste das, weil er ihr einen angeboten hatte. Kurz vor Weihnachten hatte sie sich über die katastrophale Parkplatzsituation beschwert. Lana war bei dem Gespräch dabei gewesen und hatte sarkastisch angemerkt, dass Sebastians hin und wieder aufflackernde Großzügigkeit stets mit einem Hintergedanken verbunden war. Sie solle sich besser vorsehen, hatte Lana spöttisch geraten.
Allerdings konnte Emily sich beim besten Willen nicht vorstellen, welchen Vorteil er sich damit versprechen sollte. Insgeheim stimmte sie der anderen Frau allerdings zu. Sebastian benahm sich oft egoistisch – wie die meisten erfolgreichen Männer.
Deshalb war ihr auch klar, dass Sebastians Einladung zum Lunch rein eigennützigen Motiven entsprang. Was Emily wollte, kümmerte ihn nicht wirklich. Nur was er wollte, zählte. Und er wollte keine neue Haushälterin.
Warum er sie ausdrücklich gebeten hatte, sich zum Essen schick zu machen, blieb ihr hingegen ein Rätsel. Was wird er wohl denken, fragte Emily sich, wenn er mich in dem neuen Kostüm, mit gestylten Haaren und Make-up sieht?
Wird er schockiert sein?
Sie hoffte es. Er sollte wie vom Donner gerührt mit offenem Mund stehen bleiben.
Emily sehnte sich nach der Gelegenheit, ihm zu zeigen, dass sie eine attraktive Frau war. Vielleicht nicht so glamourös und sexy wie Lana, aber sie konnte durchaus die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts erregen.
So nervös sie sich auch vor diesem Essen fühlte, endlich war ihre Chance gekommen. Und sie hatte vor, das Beste daraus zu machen!
Um die Mittagszeit sah Emily so gut aus, wie er sie noch nie gesehen hatte. In ihrem Bauch schienen jedoch noch mehr Schmetterlinge als vorgestern zu flattern. Dabei war das Vorstellungsgespräch gestern für ihre Zukunft viel entscheidender gewesen.
Das plötzliche Geräusch des sich öffnenden Garagentors ließ sie zum Fenster eilen, von dem aus sie die Einfahrt überblicken konnte. Emily sah gerade noch, wie Sebastians Sportwagen in der Garage verschwand. Das Tor schloss sich automatisch hinter ihm.
Dass er den Wagen parkte, verwirrte und erschreckte sie. Hatte er seine Meinung geändert? Würde er sie nicht zum Essen ausführen?
Niedergeschlagen stand sie immer noch am Fenster, als an ihre Wohnungstür geklopft wurde. Das ist Sebastian, dachte Emily unglücklich. Gleich wird er mir mitteilen, dass es keinen gemeinsamen Lunch gibt.
Sie nahm sich zusammen. Fest entschlossen, sich nicht wie ein enttäuschter Teenager zu benehmen, ging sie zur Tür. Innerlich bedauerte Emily allerdings, so viel Zeit auf Haare und Make-up verschwendet zu haben.
Nachdem sie ein letztes Mal tief eingeatmet hatte, öffnete sie die Tür, ihr Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt.
Bei ihrem Anblick war Sebastian nicht vom Donner gerührt, und der Mund stand ihm auch nicht offen. Aber er sah sie sehr lange an.
„Genauso, wie ich es mir gedacht habe“, meinte er. Ein zufriedenes Funkeln erschien in seinen Augen, während er sie von Kopf bis Fuß betrachtete. „Du bist nicht gerade ein Mauerblümchen, nicht wahr, Emily? Nicht, dass ich dich je für eines gehalten habe. Es ist unmöglich, hübsche Augen zu verstecken. Und was deine atemberaubende Figur angeht … Ich muss zugeben, die hast du in den letzten achtzehn Monaten sehr gut versteckt. Aber gestern Nacht ist deine kleine List aufgeflogen.“
Emily kämpfte gegen ein verräterisches Erröten an. Sie hatte sich fest vorgenommen, unter allen Umständen ruhig und gelassen zu bleiben.
„Es ist schön, endlich deine wunderbaren Kurven zu sehen“, fügte er hinzu und ließ den Blick zu dem Ansatz ihrer Brüste wandern, der unter dem tief ausgeschnittenen Top sichtbar wurde.
Sobald sie spürte, wie ihre Brustspitzen sich in dem trägerlosen BH aufrichteten, glaubte Emily zu erstarren. Nein, dachte sie wütend. Nein, nein, nein!
„Vielen Dank“, erwiderte sie eisig. „Ich schätze, du hast deine Meinung bezüglich des Lunchs geändert?“
Ihre Annahme überraschte ihn mehr als ihr Aussehen. Er runzelte die Stirn. „Warum sagst du so etwas?“
„Du hast deinen Wagen in die Garage gefahren.“
„Aha, ich verstehe. Nein, ich habe ein Taxi bestellt. Das ist einfacher, als einen Parkplatz am Hafen zu finden. Es wird um halb eins hier sein. Ich sollte mir wohl besser etwas Passendes anziehen, wenn ich mit einer so schönen Lady zum Essen ausgehe.“
Es war zwecklos. Jetzt errötete sie doch. Und das verunsicherte sie zutiefst. Genau wie die Tatsache, dass sie wahnsinnig erleichtert war. Emily freute sich zu sehr, weil er die Verabredung nicht absagte.
„Mit Schmeicheleien wirst du mich nicht umstimmen, Sebastian“, erklärte sie schroff.
„Danke für die Warnung. Aber wenn es um etwas so Wichtiges geht, wie dich bei mir zu behalten, würde ich mich nie nur auf Komplimente verlassen.“
Sie straffte die Schultern, da sie das selbstsichere Funkeln in seinen Augen sah. „Es hat auch keinen Sinn, mir mehr Geld anzubieten. Oder bessere Arbeitsbedingungen.“
„Heben wir uns diese Diskussion für später auf. Das Taxi wird in zwanzig Minuten hier sein. Wir treffen uns auf der vorderen Veranda, einverstanden?“
Emily seufzte. „Na gut.“
„Kein Grund, verärgert zu sein. Im schlimmsten Fall bekommst du ein Mittagessen gratis. Und im besten Fall …“ Er zuckte die Schultern, offensichtlich nicht gewillt, seine Pläne schon jetzt zu verraten. „Ich muss los. Bis gleich.“
Kopfschüttelnd schloss Emily die Tür. Sebastian hatte vor, sie zum Bleiben zu überreden. Nur wie? Die Frage beunruhigte sie.
Während die Minuten bis zu ihrem Treffen verstrichen, musste Emily immer wieder daran denken, dass man nichts im Leben geschenkt bekam. Das galt auch für einen Lunch.
Kurz vor halb eins nahm sie die beigefarbene Handtasche, die farblich zu ihrem Kostüm passte. Äußerlich gefasst machte Emily sich auf den Weg zur Veranda. Mit jeder Treppenstufe, die sie hinunterging, wurde ihr bewusst, wie eng der Rock und wie hoch die Absätze waren.
Obwohl sie sich in ihrem Outfit sehr wohlfühlte, empfand sie doch Erleichterung darüber, dass der Blazer die immer noch aufgerichteten Brustknospen bedeckte. Der Tag war glücklicherweise nicht sonderlich warm, sodass es nicht weiter auffiel, dass sie eine Jacke trug.
Sie verschloss die Hintertür und schlenderte zum vereinbarten Treffpunkt. Unablässig redete Emily sich ein, sie müsse nur die Ruhe bewahren und dürfe nicht zulassen, dass Sebastian ihre Meinung ändere … ganz gleich, was er sagte.
Aber das Problem war nicht, was er sagen würde, drängte sich ihr die beklemmende Erkenntnis auf. Sobald sie die Terrasse erreichte, sah sie ihn. Problematisch war, dass er Gefühle in ihr weckte.
In dem eleganten grauen Anzug, dem blauen Hemd und der silbergrauen Krawatte sah er fantastisch aus. Die braunen Haare schienen noch feucht zu sein, als wäre er kurz unter der Dusche gewesen. Vielleicht hatte er sich sogar rasiert, denn die Haut an seinem Kinn wirkte glatt und weich.
„Ich liebe pünktliche Ladys“, begrüßte er sie mit einem Lächeln.
„Das Taxi wartet“, meinte sie kühl und deutete auf das eiserne Tor zur Einfahrt.
„Ich schließe noch rasch die Vordertür ab“, erklärte er und wandte sich ab.
Als er zurückkehrte und nach ihrem Arm griff, zuckte sie zusammen.
„Komm schon, Emily“, tadelte er sie sanft. „Ich werde dich nicht beißen.“
So also wollte er sie zum Bleiben überreden! Indem er seinen Charme einsetzte. Hinter der Bitte, sie möge sich in Schale werfen, steckte sehr wohl eine Absicht. Es war der heimliche, aber clevere Versuch, Emily die eigene Weiblichkeit bewusst zu machen. Damit wollte Sebastian ihre Gedanken in eine bestimmte Richtung lenken.
Und es funktionierte … natürlich.
„Ich kann immer noch nicht fassen, wie großartig du aussiehst“, fuhr er munter fort, während er sie die Stufen hinunter zur Einfahrt geleitete. „Aber ich finde, du hast recht. Blond steht dir sicher noch besser. Eine dieser kurzen sexy Frisuren, die deinen schwanengleichen Hals zur Geltung bringen.“
„Ich werde daran denken, wenn ich mit meinem neuen Job anfange“, gab sie in fröhlichem Tonfall zurück.
Leider hatte der Hinweis nicht den gewünschten Effekt. Sebastian lachte. „Weißt du, heute Morgen habe ich erkannt, dass du mir sehr ähnlich bist.“
„Ich … dir?“
„Genau. Du tust, was getan werden muss. Du gibst dich keinen Illusionen hin oder siehst die Dinge in einem romantischen Licht. Du bist eine Realistin.“
Nur weil sie in diesem Moment das Tor erreichten, platzte Emily nicht mit der Erwiderung heraus, dass er sie überhaupt nicht kannte. Seit Wochen gab sie sich schließlich romantischen Träumen mit ihm hin!
Indem sie schweigend ins Taxi stieg, übernahm sie die Rolle, in der Sebastian sie sah. Er hielt sie für eine leidenschaftslose Realistin.
Bis der Wagen losfuhr, gelang es Emily, sich wie eine zu fühlen.
So nahe neben dem Mann zu sitzen, den sie liebte, war vernünftigem Denken nicht gerade förderlich. Dass ihr Gespräch einschlief, war ebenso wenig hilfreich. Plötzlich gab es nichts mehr, das sie von ihren wilden Fantasien ablenken konnte.
Plant er etwa, mich zu verführen? Würde er so weit gehen, nur um seine Haushälterin zu behalten? Und wenn er mit mir flirtet, wie soll ich dann reagieren?
Gestern Nacht hatte sie bedauert, nicht mit ihm zusammen gebadet zu haben.
Heute wäre sie wie Wachs in seinen Händen.
Nüchtern betrachtet glaubte Emily allerdings nicht, dass Sebastian so weit gehen würde. Er war kein gefühlloser Schürzenjäger. Oder ein kaltblütiger Verführer. Er war ein Gentleman durch und durch. Aus diesem Grund war sie ja so schockiert gewesen, als er gestern vorgeschlagen hatte, ihr im Pool Gesellschaft zu leisten.
„Hast du den Job eigentlich schon offiziell angenommen?“
Bei Sebastians unerwarteter Frage wandte sie den Kopf. Sie blinzelte ein paar Mal, um ihn klar sehen zu können. Eine Geste, ein Blick, etwas verriet sie.
„Du hast noch keinen Vertrag unterschrieben.“ Er klang erfreut.
Emily setzte eine – wie sie hoffte – unbeteiligte Miene auf. „Montagmorgen rufe ich die Agentur an.“
„Warum hast du nicht sofort zugesagt?“
„Ich wollte die Entscheidung nicht überstürzen.“
„Sehr vernünftig.“
„Das bedeutet nicht, dass ich mich noch nicht entschieden habe, Sebastian“, verteidigte sie ihren Entschluss. „Deshalb habe ich heute Morgen gekündigt. In drei Wochen arbeite ich nicht mehr für dich. Glaub mir.“
„Das tue ich.“
„Was für einen Sinn hat dann dieses Essen?“
„Ich habe vor, dir ein Gegenangebot zu unterbreiten.“
„Was für ein Gegenangebot?“
Er legte den Zeigefinger auf seine Lippen. „Ich sage es dir, wenn wir alleine sind.“
Zuerst konzentrierte Emily sich auf seinen Finger, dann betrachtete sie seine Lippen.
Im Gegensatz zu den eher harten Gesichtszügen war sein Mund sehr sinnlich. Die weichen vollen Lippen hoben sich von den ausgeprägten Wangenknochen, der geraden Nase und einem markanten Kinn ab.
Aber es waren die Augen, die das Gesicht dominierten und jeden Blick auf sich zogen. Strahlend hellblau und umrahmt von einem dunkleren Blau, hatten sie etwas Magisches an sich.
Emily sah auf. Es schien ihr, als würde sie in diesen Augen versinken. Sie würde alles für ihn tun, wenn er sie nur weiter so ansah. Als ob er sie attraktiv fand. Nein, als wäre sie eine begehrenswerte Frau.
Sie konnte den Blick einfach nicht abwenden. Nichts kümmerte sie mehr, nur dieser Augenblick, dieser kostbare, vertrauliche, unglaublich romantische Augenblick.
„Wo soll ich Sie rauslassen, Kumpel?“, fragte der Taxifahrer.
Sebastian wandte das Gesicht ab, und der Moment war vorüber. Und damit kehrte eine Erkenntnis zurück: Ihre Fantasie war schlicht überbordend. Sebastian würde sie nicht verführen. Er würde ihr mehr Geld anbieten.
Ihr Chef war ein Mann, der praktische Lösungen fand. Deshalb würde er nichts vorschlagen, mit dem er sich weitere Komplikationen einhandelte. Die Haushälterin zu verführen wäre ein extrem gefährlicher Weg, vor allem für einen wohlhabenden Mann. Sebastian würde nicht seinen Ruf aufs Spiel setzen oder eine Anzeige wegen sexueller Belästigung riskieren, nur um sie bei sich zu behalten. So wertvoll war sie nun auch wieder nicht für ihn.
„Gleich hier“, beantwortete Sebastian die Frage des Fahrers, und das Taxi hielt unmittelbar neben der Anlegestelle für die Fähren am Circular Quay.
Von hier aus war es nur ein kurzer Fußweg zu den vielen Restaurants und Cafés, die sich um den Hafen gruppierten. Mittlerweile hatte der gemeinsame Lunch für Emily jedoch jeden Reiz verloren. Wenn doch nur alles schon vorbei wäre! Wenn er doch nur schon ihre Entscheidung akzeptiert hätte!
Sie öffnete die Tür des Taxis und stieg aus. Schluss mit den Träumereien, befahl sie sich, während sie auf dem Bürgersteig stehen blieb und darauf wartete, dass Sebastian bezahlte. Keine dummen Fantasien mehr. Sei die Realistin, für die du dich hältst!
„Emily?“
Verwundert drehte sie sich um, als jemand hinter ihr ihren Namen rief.
„Du bist es tatsächlich“, sagte der Mann und kam näher. Auf seinem hübschen Gesicht erschien ein warmes Lächeln. „Mit den braunen Haaren habe ich dich zuerst gar nicht erkannt.“
5. KAPITEL
Emily konnte es kaum glauben! Verrückt, dass sie von allen Menschen ausgerechnet Mark treffen musste!
Offenbar lebte er immer noch in Manly, einem Vorort von Sydney, und nahm die Fähre zur Arbeit. Als Mitinhaber einer Maklerfirma arbeitete Mark manchmal auch samstags. Die Begegnung war nicht ganz so zufällig, wie Emily zunächst gedacht hatte.
„Du siehst großartig aus“, fuhr Mark fort und verschlang sie förmlich mit seinen Blicken.
„Du auch“, gab sie zurück. Insgeheim jedoch wünschte sie sich, er wäre fett oder glatzköpfig geworden in den vier Jahren, seit er mit ihr Schluss gemacht hatte. Doch nein, er sah besser denn je aus.
Nicht so groß oder eindrucksvoll wie Sebastian, aber dennoch attraktiv. Und sehr gut gekleidet – Stil hatte Mark schon immer. Und ein Interesse an gut aussehenden Frauen. Im Moment ließ er den Blick über ihren Körper gleiten. Marks dunkle Augen funkelten in einer Weise, die sie früher geliebt hatte. Damals war sie noch der naiven Überzeugung erlegen, sein Verlangen gelte nur ihr.
Rückblickend vermutete sie, dass er jeder Frau diesen Schlafzimmerblick schenkte.
„Ich habe oft an dich gedacht, Emily“, sagte er und senkte die Stimme – ein Trick, wie sie jetzt wusste, um aufrichtiger zu klingen.
„Und ich an dich, Mark.“
Die frostige Note in ihrer Antwort schien er gar nicht zu bemerken.
„Ach du meine Güte“, rief er plötzlich aus. Sein Blick schweifte von ihrem Gesicht zu einem Punkt über ihrer Schulter. „Das da drüben ist Sebastian Armstrong.“
„Ja, das ist er“, stimmte sie kühl zu. „Er führt mich zum Lunch aus.“ Sie genoss es, seinen bestürzten Gesichtsausdruck zu beobachten.
„Dann bewegst du dich mittlerweile in ziemlich exklusiven Kreisen.“
„Sebastian ist mein Boss.“
„Soll das ein Witz sein? Kann ich dich mal anrufen? Ich brenne darauf, die ganze Geschichte zu hören.“
Es fiel Emily sehr schwer, ihre Wut auf Mark zu verbergen. Wie konnte er es wagen? Dass er auch nur für eine Sekunde annahm, sie würde sich über seinen Anruf freuen …
„Ich glaube nicht, Mark“, erwiderte sie abweisend.
„Nein? Na gut, du hast wohl Besseres zu tun“, sagte er und warf einen säuerlichen Blick in Sebastians Richtung.
„Er ist nur mein Boss, Mark.“
„Warum scheint es ihm dann etwas auszumachen, wenn du dich mit einem anderen Mann unterhältst?“
„Wirklich?“
Tatsächlich wirkte Sebastian verärgert, als er auf den Bürgersteig trat. Aber Mark verschwand bereits um eine Ecke, feige, wie er war.
Emily hasste sich selbst für ihre lächerliche Hoffnung, Sebastian könne eifersüchtig sein. Ihre Fantasie ging allmählich richtig mit ihr durch.
„Hier entlang“, meinte Sebastian gerade, nahm ihren Arm und führte sie sicher durch die vielen, sich eilig auf dem Kai bewegenden Menschen.
Auf dem Circular Quay herrschte stets ein geschäftiges Treiben, selbst an einem Samstag. Seit Jahren war Emily nicht mehr hier gewesen, trotzdem blieb ihr die Gegend vertraut. Schließlich hatte sie einmal ganz in der Nähe gearbeitet. Damals hatte sie in Marks Apartment in Manly gelebt und war jeden Morgen mit derselben Fähre gefahren wie er – nur um jeden freien Moment mit ihm zu verbringen.
Was für romantischen Ideen sie sich damals hingegeben hatte!
Vielleicht war das immer noch so.
Aber nicht mehr lange.
„Also, wer war der junge Mann, mit dem du dich eben unterhalten hast?“, fragte Sebastian. „Und keine Lügen“, fügte er hinzu, noch bevor sie den Mund öffnen konnte. „Ich kann Körpersprache recht gut lesen. Ich erkenne, wenn ein Mann und eine Frau sich einmal etwas bedeutet haben. Er konnte den Blick nicht von dir abwenden. Und du … du schienst außer dir zu sein, ihn zufällig wiederzusehen.“
Emily sah keinen Grund, ihm die Wahrheit zu verschweigen. Obwohl ihn ihr Privatleben absolut nichts anging.
„Mark ist ein alter Exfreund von mir“, gab sie zu.
„Wie alt?“
„Was meinst du?“
„Wann habt ihr Schluss gemacht?“
„Vor vier Jahren, plus minus einen Monat.“
„Was ist passiert?“
„Meine Mutter ist an Krebs erkrankt, das ist passiert“, entgegnete sie aufgebracht. Damit zeigte sie einen Anflug der Bitterkeit, die sie seit Jahren fest unter Verschluss hielt. „Mark gefiel meine Entscheidung nicht, nach Hause zurückzukehren und mich um sie zu kümmern. Davor haben wir zusammengewohnt. Doch mit einer Freundin, die nicht vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche für ihn da war, konnte er nichts anfangen.“
„Anscheinend hast du ihm nicht besonders viel bedeutet.“
„Zu diesem Schluss bin ich auch gekommen“, erwiderte sie seufzend. „Aber es hat sehr wehgetan, in dieser schweren Zeit verlassen zu werden.“
„Du hast ihn sehr geliebt, nicht wahr?“
Emily wünschte, es wäre nicht so. Aber es stimmte. Und es machte keinen Sinn, das zu leugnen. „Ja“, sagte sie schlicht. „Das habe ich.“
„Er ist auch der Grund, warum du seitdem keinen festen Freund mehr hattest, oder?“
Allmählich fühlte Emily sich wegen Sebastians persönlichen Fragen unbehaglich. Sie blieb stehen und betrachtete ihn mit festem Blick. „Könnten wir bitte über etwas anderes sprechen?“
„Ich versuche nur, dich besser kennenzulernen“, entgegnete er.
„Warum? Damit du weißt, welche Knöpfe du drücken musst, um mich zum Bleiben zu überreden?“
Er setzte ein schiefes Lächeln auf. „Du nimmst wohl nie ein Blatt vor den Mund.“
„Ich mag es nur nicht, zum Narren gehalten zu werden.“
„Das weißt du ohnehin zu verhindern, Emily.“
Nein, dachte sie, das ist ganz einfach. Mark hat es getan. Und mein Vater. Und du könntest das auch – viel leichter, als du glaubst.
„Ich hoffe, du versuchst es gar nicht“, meinte sie ernst.
Er runzelte die Stirn, ein nachdenklicher Ausdruck trat in seine Augen. „Das hoffe ich auch.“
„Wie also lautet das Gegenangebot, das du mir unterbreiten wolltest?“, fragte sie. Sie konnte ihre Neugier kaum noch bezähmen. „Jetzt sind wir unter uns. Es gibt keinen Grund, mich noch länger warten zu lassen.“
„Ich denke, wir sollten zuerst das Restaurant aufsuchen“, antwortete er. „Bevor sie unsere Reservierung weitergeben.“
Nur mit Mühe gelang es Emily, ihren Ärger über die weitere Verzögerung zu besänftigen. Sebastian führte sie zu einem nahe gelegenen thailändischen Restaurant. Auf der Terrasse dort genossen sie nicht nur die warmen Strahlen der Herbstsonne, sondern auch die fantastische Aussicht. Als sie endlich unter einem der bunten Sonnenschirme Platz genommen und der Kellner die Bestellung für ihre Drinks entgegengenommen hatte, war Emily mit ihrer Geduld fast am Ende.
„Du kannst dich nicht länger drücken, Sebastian. Raus mit der Sprache.“
„Also gut“, meinte er und sah ihr tief in die Augen. „Aber ich muss dich warnen. Du wirst vielleicht schockiert sein. Versprich mir, dass du ernsthaft über meinen Vorschlag nachdenkst. Du darfst ihn nicht sofort ablehnen.“
„Welcher Vorschlag?“
„Zu heiraten.“
Hätte sie in diesem Moment ein Glas Wein in Händen gehalten, sie hätte es mit Sicherheit fallen gelassen.
Schockiert, das beschrieb ihre Empfindungen nicht annähernd. Entsetzt traf es ebenso wenig. Betäubt war schon besser, umfasste allerdings nicht den wilden Strudel an Emotionen, der in ihrem Inneren tobte.
„Falls ich mich etwas unklar ausgedrückt habe“, fuhr er fort, „mein Vorschlag bezieht sich nicht auf eine geschäftliche Verbindung oder eine bloß auf dem Papier existierende Ehe. Ich möchte eine richtige Ehe mit allen Konsequenzen. Ich weiß, dass du mindestens ein Kind haben möchtest, Emily. Und ich bin bereit, dir zu geben, was du willst.“
Unmöglich konnte er das ernst meinen, überlegte sie benommen. Und doch war es sein voller Ernst. Sie konnte es an seinen Augen sehen.
„Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stieß sie hervor.
„‚Ja‘ wäre ein guter Anfang“, meinte er mit einem kleinen Lächeln.
Sie befeuchtete sich die Lippen und schüttelte dann den Kopf, nicht ablehnend, sondern in völliger Verwirrung.
„Du machst deiner Haushälterin doch keinen Heiratsantrag, Sebastian, nur um sie von einer Kündigung abzuhalten! Das ist absolut verrückt, vor allem für einen Mann, der sehr deutlich gesagt hat, dass er Junggeselle bleiben will. Und eben nicht Vater werden möchte.“
Mehr als einmal hatte Emily mit angehört, wie er das Lana klargemacht hatte. Laut und unmissverständlich.
„Bis jetzt nicht, das ist wahr. Bisher habe ich auch keine Frau getroffen, die ich heiraten wollte. Ich will dich heiraten, Emily.“
„Aber warum? Du liebst mich nicht. Ich weiß, dass du immer noch Lana liebst.“
„Dann weißt du mehr als ich“, erwiderte er kühl. „Ich liebe Lana nicht. Das habe ich nie getan.“
„Warum bist du ihr dann gefolgt?“
Er zuckte die Schultern. „Es gab einige Dinge, die geklärt werden mussten. Dass ich nach Italien geflogen bin, hatte eher mit Neugier zu tun. Und damit, dass ich die Geschichte abschließen wollte.“
Emily war nicht überzeugt. Wenn das der Fall war, wieso hatte er sich dann auf dem Rückflug betrunken? Das sah ihm gar nicht ähnlich. Sebastian trank gern einige Gläser Wein zu den Mahlzeiten. In einem angetrunkenen Zustand wie gestern hatte sie ihn allerdings noch nie vorher erlebt.
Da konnte er behaupten, was er wollte. Er hatte Lana geliebt, und er war noch nicht über sie hinweg.
Ein Kellner trat an ihren Tisch und servierte die Flasche Weißwein, die Sebastian bestellt hatte. Eine Weile verstummte ihr Gespräch. Dadurch gewann Emily die Gelegenheit, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen und halbwegs rational über Sebastians Heiratsantrag nachzudenken.
Natürlich war der Vorschlag absolut ungeheuerlich.
Andererseits war das sehr typisch für ihn.
Auf einen Schlag konnte er so zwei akute Probleme lösen. Seine Haushälterin behalten und den leeren Platz in seinem Bett füllen, den Lana hinterlassen hatte.
Daran zu denken, Lanas Platz einzunehmen, versetzte Emily in wilden Aufruhr. Sosehr sie auch die Aussicht auf Sebastian als ihren Ehemann und Liebhaber erregte, Emily konnte einen entsetzlichen Gedanken nicht abstreifen. Sie würde immer nur die zweite Wahl sein, ein Ersatz für die Frau, die er eigentlich begehrte. Was passierte, wenn er den Verlust überwand? Wenn er feststellte, dass er eine Frau geheiratet hatte, die in keinster Weise seine Leidenschaft so anzufachen verstand wie Lana? Würde er die Scheidung einreichen? Oder von seiner Frau erwarten, die Rolle am Herd zu spielen, während er sich eine Geliebte nahm? Oder zwei?
Sosehr Emily also darauf brannte, Ja zu rufen und die Konsequenzen zu ignorieren, so warnten die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit sie vor einer überstürzten Entscheidung. Wollte sie sich wirklich schon wieder von einem Mann ausnutzen lassen? Ihr Vater hatte sich bemüht, bis er ihre Dienste nicht länger brauchte. Und für Mark galt dasselbe.
Konnte sie darauf vertrauen, dass Sebastian anders war?
Wenn überhaupt, war er in Anbetracht seines Reichtums vielleicht noch schlimmer. Milliardäre fanden es selbstverständlich, ihren Willen durchzusetzen. Nur weil er sich normalerweise sehr freundlich benahm, hieß das nicht, dass er keine dunkle Seite besaß. Alle Männer hatten eine.
Als der Weinkellner sie endlich wieder alleine ließ, glaubte Emily, ihr Kopf würde bersten.
Wie konnte sie Nein sagen? Sie liebte und begehrte ihn.
Diesem Begehren konnte sie kaum widerstehen. Letzte Nacht war sie vor der Chance geflüchtet, mit Sebastian zu schlafen. Wie könnte sie ein zweites Mal weglaufen, ohne es bis an ihr Lebensende zu bedauern?
„Hast du schon ein Gericht gewählt?“, fragte er, als plötzlich ein weiterer Kellner an ihrem Tisch stand.
Emily hatte nur sehr oberflächlich in die vor ihr liegende Karte geschaut. Seit Sebastian die Bombe hatte platzen lassen, war sie in Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt gewesen.
„Bestell du für mich“, schlug sie vor, wobei sie eigentlich kaum Appetit hatte. Außerdem wurde ihr langsam heiß. Auf ihre Schultern und Arme fiel der pralle Sonnenschein.
Sebastian bestellte zwei Nudelgerichte, dann stand er auf, zog sein Jackett aus und hängte es über die Rückenlehne seines Stuhls.
Natürlich hatte Emily ihn schon mit weit weniger am Leib gesehen. Sie kannte seine breiten Schultern, den flachen Bauch und die schmalen Hüften. Warum also musste sie ihn dennoch wie gebannt anschauen?
Vielleicht weil sie sich innerlich schon auf den Moment freute, in dem sie ihn ganz nackt sehen würde. Was ja passierte, wenn sie seine Frau wurde. Sie würde ihn anschauen dürfen, solange sie wollte. Und küssen. Und mit ihm schlafen.
Die bloße Vorstellung war atemberaubend, der Gedanke daran unwiderstehlich.
Als sich ihre Blicke über den Tisch hinweg trafen, breitete sich Hitze in ihrem Gesicht aus.
„Du solltest deine Jacke auch ausziehen“, meinte er, glücklicherweise ihre geröteten Wangen falsch deutend. „Moment“, fügte er hinzu, als sie sich, ohne aufzustehen, aus den Ärmeln kämpfte. „Lass mich dir helfen.“
Jetzt musste sie aufstehen. So still wie möglich blieb sie stehen, während er ihr die Jacke von den Schultern streifte. Bildete sie es sich nur ein, oder berührte er die Haut an ihrem Hals absichtlich?
Emily ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und zwang sich, ein wenig zu entspannen. Ihr gelang ein dünnes Lächeln. „Es ist heute wärmer, als ich gedacht hatte.“
Sein Blick streifte ihre nackten Arme und Schultern, dann wieder ihr Gesicht. Sebastians Miene war ausdruckslos, seine Augen auch. Trotzdem schien die Luft zwischen ihnen vor Anspannung zu prickeln.
„Hattest du genug Zeit, um über meinen Vorschlag nachzudenken?“, fragte er mit ruhiger Stimme, während er sie wachsam beobachtete.
„Ja …“
„Gut. Wie lautet deine Entscheidung, Emily? Ja? Oder Nein?“
In Emilys Kopf schrie eine Stimme Nein, während das Herz ihr ein lautes Ja entgegenhielt.
Im letzten Moment wurde ihr bewusst, dass sie gar nichts zu sagen brauchte. Sie würde ihn auf eine Antwort warten lassen. Sollte er ruhig ein bisschen härter dafür arbeiten.
„Wie ich dir schon früher mitgeteilt habe, Sebastian“, erwiderte sie distanziert, „werde ich ungern unter Druck gesetzt. Kannst du mir den Rest des Wochenendes als Bedenkzeit geben?“
„Den Rest des Wochenendes“, wiederholte er langsam und sah alles andere als zufrieden aus.
„Ja. Ich lasse es dich Sonntagabend wissen.“
„Mir wäre lieber, ich wüsste heute, woran ich bin“, stieß er hervor. „Gibt es etwas, das ich sagen oder tun könnte, damit du deine Entscheidung schneller triffst? Vielleicht könnten wir während des Essens über deine Bedenken sprechen, welche auch immer das sein mögen.“
Was war er doch für ein kühl kalkulierender Mann, ging es Emily durch den Kopf. Kein Wunder, dass Lana ihn verlassen hatte. Er hatte keine Ahnung, wie eine Frau fühlte. Oder was sie wollte.
Offenbar war es Zeit, ihm das zu erklären.
„Die Sache ist die, Sebastian, ich habe immer gehofft, aus Liebe zu heiraten.“
„Du hast deinen Mark geliebt“, meinte er ungeduldig. „Glaubst du, du wärst glücklich, wenn du ihn geheiratet hättest?“
„Vielleicht nicht.“
„Liebe als Basis für eine Ehe wird definitiv überbewertet. Schau dir nur die Scheidungsrate in Europa an, wo ja die meisten Ehen aus Liebe geschlossen werden. Fürsorge, Freundschaft und Treue sind weit bessere Kriterien.“
„Und was ist, wenn wir keine Freunde werden?“
„Aber das sind wir doch längst“, erwiderte er. „Wir kommen sehr gut miteinander aus, Emily. Das musst du doch auch sehen.“
„Auf einer platonischen Ebene. Aber was ist mit der anderen?“
Ihre Frage ließ ihn aufschrecken, beleidigt zog er die Brauen zusammen. „Du glaubst, ich könnte dich im Bett nicht zufriedenstellen?“
„Ich weiß es nicht. Das ist es ja. Ich würde keinen Mann heiraten, der im Schlafzimmer enttäuscht“, entgegnete sie mit wunderbar aufrichtiger Miene. „Trotz all seiner Fehler war Mark ein ausgezeichneter Liebhaber.“
Er fixierte sie so lange und intensiv über den Tisch hinweg mit Blicken, bis sie sich wünschte, sie hätte ihn nicht auf eine so alberne Weise herausgefordert. Sebastian gehörte nicht zu den Männern, denen man einfach einen Fehdehandschuh vor die Füße warf.
Vielleicht hatte sie es aus gerade dem Grund getan. Weil sie wusste, dass er reagieren würde.
„Wenn das deine Hauptsorge ist“, sagte er und sah ihr direkt in die Augen, „kann ich dich leicht davon befreien. Verbring heute die Nacht mit mir. Finde selbst heraus, was für ein Liebhaber ich bin.“
Emily unterdrückte den Wunsch, ihn mit offenem Mund anzustarren. Aus reinem Stolz durfte sie sich nicht weiterhin wie ein verliebter Narr verhalten.
„Du bist sehr überzeugt von dir, nicht wahr“, gab sie mit irreführender Ruhe zurück. Wenn er in ihr Inneres blicken könnte, wüsste er die Wahrheit.
„Ich kenne meine Stärken.“
„Aber was ist mit mir? Was ist, wenn du herausfindest, dass ich ein hoffnungsloser Fall im Schlafzimmer bin?“
„Bist du das?“
„Es kommt wahrscheinlich darauf an, mit wem ich zusammen bin.“
„Du magst es, in deine Liebhaber verliebt zu sein?“
„Ich mag es zu glauben, dass sie mich lieben.“
„Liebe und großartiger Sex gehören nicht notwendigerweise zusammen, Emily. Heute Nacht könnte ich dir das beweisen.“
Nein, das könntest du nicht, dachte sie verzweifelt. Denn ich liebe dich. Mit dir zu schlafen wird sich fantastisch anfühlen, ganz gleich, was du tust.
„Ich … ich denke darüber nach“, erfolgte ihre Antwort verhalten.
Plötzlich konnte sie es nicht länger ertragen, hier zu sitzen. Sie musste für eine Weile von ihm fort und allein sein.
„Wenn du mich kurz entschuldigen würdest, Sebastian“, sagte sie, stellte das Weinglas auf den Tisch und griff nach ihrer Handtasche. „Ich möchte mich frisch machen.“
6. KAPITEL
Sebastian sah Emily nach, wie sie vom Tisch floh. Und vor ihm.
Nicht, dass sie rannte. Sie ging. Aber er konnte den Fluchtgedanken in ihrer Körpersprache lesen.
Es lief nicht wie geplant.
Er hatte damit gerechnet, dass sie mit Verwunderung auf seinen Heiratsantrag reagierte. Aber er hatte auch erwartet, dass sie Ja sagte, sobald ihr bewusst wurde, was sie durch eine Ehe mit ihm gewann: Ein wunderschönes Zuhause, das sie immer bewundert hatte. Einen Ehemann, der sie mochte und respektierte. Plus einen Lebensstil, um den die meisten Frauen Australiens sie beneidet hätten.
Er war sogar bereit, ihr ein Kind zu geben.
Und wovon hatte sie gesprochen?
Von Liebe. Und Sex.
Das überraschte ihn. Als seine pragmatische Haushälterin ihn heute Morgen in ihre Pläne bezüglich eines Ehemanns eingeweiht hatte, war kein Wort über Liebe und Sex gefallen. Nur ein Ehemann und ein Kind, bevor sie zu alt war, davon hatte sie geredet.
Keine Sekunde lang hatte er Emily für eine Romantikerin gehalten.
Er steckte die Hand in die Tasche seines Jacketts. Seine Finger umfassten die Schachtel, in der der sehr teure Verlobungsring lag, den er heute Morgen gekauft hatte.
Kurz dachte Sebastian darüber nach, ihn herauszunehmen. Wenn sie zurückkam, würde er ihn ihr präsentieren. Ein großer Diamant brachte normalerweise den Widerstand jeder Frau zum Schmelzen.
Leider war Emily keine gewöhnliche Frau.
Sie unterschied sich von allen Frauen, die er kannte. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er die Aura aus innerer Ruhe und Reife gespürt, die sie zu umgeben schien. Kein Wunder, dass er sie für älter gehalten hatte, als sie tatsächlich war.
Innerhalb kürzester Zeit hatte eine organisierte und friedliche Atmosphäre in sein Haus Einzug gehalten. Mittlerweile verließ Sebastian sich darauf uneingeschränkt.
Nein, nicht nur verließ, er brauchte diese angenehme Stimmung.
Er brauchte Emily weit mehr in seinem Leben, als es bei Lana je der Fall gewesen war. Als Lana ihn verlassen hatte, hatte er wütend und frustriert reagiert. Er war ein besitzergreifender Mann, der nicht gerne losließ oder verlor. Aber dass er auf dem Rückflug gestern zu viel getrunken hatte, war nicht auf ein gebrochenes Herz zurückzuführen. Vielmehr hatte Sebastian aus Selbstekel gehandelt. Die ganze Aktion hinterließ nur ein gutes Ergebnis: Er wusste, dass er Lana nie wiedersehen wollte.
Als Emily dann verkündete, dass sie gehen wollte, war ihm binnen Sekunden eines klar geworden: Er würde alles tun, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Einfach alles!
Kaum hatte sich die Idee einer Hochzeit in sein Bewusstsein geschlichen, hielt er es für die perfekte Lösung. Welche Frau bei gesundem Verstand würde Australiens begehrtesten Junggesellen abweisen?
Emily Bayliss.
So viel zu Lanas abfälliger Bemerkung, seine Haushälterin sei in ihn verliebt. Weiter hätte sie nicht von der Wahrheit entfernt sein können.
Sebastian blieb keine andere Alternative, als mit Plan B weiterzumachen.
Das Problem war nur, dass er keinen Plan B hatte.
Ihm würde schon etwas einfallen.
Wenn es sein musste, konnte er sehr skrupellos sein.
Als Emily aus dem Waschraum zurückkehrte, stand ihre Entscheidung fest. Es war eine sehr kühne Entscheidung, eine, die sie innerlich erschauern ließ. Aber Emily wollte nicht ihr Leben lang bedauern, ihre Chance verspielt zu haben. Wenigstens einmal könnte sie mit dem Mann schlafen, den sie liebte.
Deshalb würde sie auf Sebastians Vorschlag eingehen, die Nacht mit ihm zu verbringen.
Heiraten würde sie ihn deshalb jedoch nicht.
Natürlich durfte sie ihm das nicht im Voraus verraten, weil er das Angebot sonst vielleicht zurückzog. Sie konnte nur hoffen und beten, dass sie am nächsten Morgen den Mut fand, Nein zu sagen und zu gehen.
Denn Sebastian zu heiraten würde nur Qualen und seelische Schmerzen nach sich ziehen. Und davon hatte sie in ihrem Leben bereits genug durchlitten. Emily sehnte sich nach einer Hochzeit, die ihr Ruhe und Frieden brachte, keinem Gefühlschaos.
Zweifellos würde Sebastian ihr jede materielle Freude bereiten und wahrscheinlich auch große körperliche. Doch gegen ihr verletztes Herz und die geschundene Seele würde es nicht helfen.
Die Gerichte wurden gerade serviert, als sie an den Tisch trat. Sehr gut, dachte Emily. Sie konnte über das Essen sprechen und damit die wachsende Anspannung überspielen.
„Man nennt das ‚Betrunkene Nudeln‘“, erklärte er und lächelte. „Ich hielt das für eine angemessene Wahl … hinsichtlich meines Zustands letzte Nacht.“
Hätte nicht der schwerste Gang noch vor ihr gelegen, hätte sie sich nach dieser Bemerkung entspannt. Am liebsten hätte Emily es so schnell wie möglich hinter sich gebracht. Läge der schreckliche Moment nur schon hinter ihr. Bald musste sie Sebastian in die Augen schauen und sagen: Übrigens, Sebastian, ich finde, es ist eine gute Idee, heute Abend mit dir ins Bett zu gehen.
Aber die Worte wollten ihr einfach nicht über die Lippen kommen. Sie hielt den Blick fest auf ihren Teller gerichtet.
„Weißt du, Emily, du hast einen wunderschönen Körper.“
Bei diesen sanft gesprochenen Worten sah sie abrupt auf.
Nein, nicht sanft, verführerisch. Genauso verführerisch wie seine Blicke, die er ihr nun zuwarf. Seine dunklen Augen schienen ihr dabei zu versichern, dass er ihr nicht nur etwas beweisen wollte, sondern dass er sie begehrte.
Ihr Mund wurde trocken, das Herz klopfte heftig in ihrer Brust.
„Danke“, brachte sie hervor.
„Du bist eine sehr schöne Frau“, fuhr er unbarmherzig fort. „Bitte glaub nicht, dass ich dich nur gebeten habe, mich zu heiraten, weil ich dich als Haushälterin behalten will. Ich stelle eine andere Haushälterin ein, wenn du mich heiratest.“
„Aber da würde ich nicht zustimmen“, sprudelte es aus ihr hervor, bevor sie darüber nachdenken konnte.
„Du möchtest dich lieber selbst um mein Haus kümmern?“
Auf einmal erkannte sie, was er gerade tat. Er versuchte, sie zu verführen. Und er wollte sie bestechen.
Emily wusste genau, was Sebastian wollte: den Status quo in seinem Haushalt erhalten. Allmählich kamen ihr seine Vorschläge richtig zynisch vor.
Sieh den Tatsachen ins Gesicht, Emily, sagte sie sich. Vor dem heutigen Tag ist er nicht auf die Idee gekommen, dich zu heiraten, oder?
„Das geht mir jetzt zu schnell“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Ich lasse mich nicht zu etwas so Ernstem wie einer Ehe drängen. Allerdings halte ich deinen Vorschlag, eine gemeinsame Nacht zu verbringen, für vernünftig.“
Seine Pupillen weiteten sich, da sie seinen erotischen Vorschlag so gelassen annahm. Eine Weile sah er sie nachdenklich und forschend an.
Nur gut, dass er den Aufruhr in ihrem Inneren nicht mitbekam.
„Ich gehe davon aus, dass du deine Meinung diesbezüglich nicht geändert hast?“, setzte sie herausfordernd hinzu.
Die Andeutung eines Lächelns erschien um seine Mundwinkel. „Absolut nicht.“
„Gut“, erklärte sie sachlich. „Und jetzt sollten wir unsere ‚Betrunkenen Nudeln‘ essen, bevor sie kalt werden.“
Emily begann, mit augenscheinlichem Appetit zu essen. Dabei musste sie sich tatsächlich zu jedem Bissen zwingen. Ein Kloß schien sich in ihrer Kehle festgesetzt zu haben.
Jedes Mal, wenn sie an ihrem Weinglas nippte, hob Sebastian den Blick und musterte sie aus viel zu intelligent blitzenden Augen.
Sosehr Sebastian es auch versuchte, er kam einfach nicht dahinter, was in Emily vorging.
Aber er musste sie bewundern. Welche andere Frau hätte so reagiert?
Ihr fehlender Enthusiasmus über seinen Heiratsantrag und ihre erstaunlich kühle Zustimmung, die Nacht mit ihm zu verbringen, brachten ihn ins Hintertreffen. Eine Position, die ihm ganz und gar nicht gefiel.
Er genoss es, der Boss zu sein. Bei der Arbeit, zu Hause und im Schlafzimmer. Vor allem im Schlafzimmer. Deshalb wurde es Zeit, die Zügel wieder in die Hand zu nehmen.
„Berge oder Meer?“, fragte er, als sie das nächste Mal nach ihrem Weinglas griff.
Abrupt hielt sie in der Bewegung inne, auf ihrer Miene zeichnete sich Verwirrung ab. „Wie bitte?“
„Wohin möchtest du lieber? In die Berge oder ans Meer?“
Sie zögerte einen Moment. „Ans Meer.“
„Dann soll es so sein.“
„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Davon, wo wir die Nacht verbringen. Ich suche uns ein nettes Hotel an der Südküste. Das bedeutet, ich darf keinen Wein mehr trinken. Nicht, wenn ich noch fahren muss.“
„Aber … müssen wir denn wegfahren? Warum können wir nicht hierbleiben?“
„Ich bitte dich, Emily. Ich erwarte nicht, dass du ein Bett mit mir teilst, in dem schon Lana geschlafen hat.“ Heute Morgen war ihm aufgefallen, dass Lanas Parfüm, ein schwerer exotischer Duft, noch betäubend intensiv im Schlafzimmer hing.
Nun, da die Beziehung mit Lana definitiv beendet war, hatte er vor, das gesamte Zimmer neu einzurichten. Nichts sollte zurückbleiben, das ihn an dieses Flittchen erinnerte.
„Aber ich habe gar keine schönen Kleider für einen Ausflug“, protestierte Emily. „Nur die, die ich im Moment trage.“
„Und in denen kannst du durchaus ankommen und wieder abreisen“, erwiderte er. „In der Zeit dazwischen wirst du nicht viele Kleider brauchen.“
Endlich bekam er die Reaktion, auf die er aus war.
Hitze rötete ihre Wangen und bot ihm einen Vorgeschmack auf die Frau, zu der sie vielleicht in seinen Armen wurde. Sein Körper reagierte auf die bloße Vorstellung. Wieder stiegen die Gefühle von letzter Nacht in Sebastian auf, als er Emily nackt in seinem Pool gesehen hatte. Bevor er gewusst hatte, dass es Emily war. Er war fasziniert gewesen von ihrem sinnlichen Körper … und im höchsten Maße erregt.
Heute Nacht würde er diesen faszinierenden Körper berühren.
Er hatte seinen Heiratsantrag absichtlich kühl und geschäftsmäßig formuliert. Denn er glaubte, dass Emily darauf am ehesten ansprach. Allerdings hätte er heute bereits mehrmals am liebsten seinen Pragmatismus aufgegeben und sich für die Höhlenmann-Variante entschieden.
Als sie ihm in dem neuen sexy Kostüm die Tür geöffnet hatte, hatte er weit mehr tun wollen, als bloß einen Ellenbogen zu umfassen. Sebastian wollte sie in die Arme ziehen und Emily küssen, bis sie nichts anderes als Ja zu allen seinen Wünschen sagte.
Auch im Taxi war es ihm sehr schwergefallen, so nahe neben ihr zu sitzen und die Hände bei sich zu behalten. Nur die Tatsache, dass sie nicht alleine waren, hatte ihn davon abgehalten.
Heute Nacht würden sie alleine sein. Niemand würde ihn aufhalten.
Trotzdem besteht meine Mission nicht darin, meine überraschend intensiven Bedürfnisse zu befriedigen, erinnerte er sich. Nein, in erster Linie werde ich Emily die beste Nacht ihres Lebens bereiten.
Sebastian hatte keine Ahnung, was sie mochte … sexuell gesehen. Aber er wusste, was jeder Frau auf der Welt gefiel.
Romantik.
Genau die gab er ihr. Und zwar jede Menge davon.
7. KAPITEL
„Was, in aller Welt, hast du getan?“, fragte Emily ihr Spiegelbild im Badezimmer.
Sie konnte nur noch den Kopf über sich selbst schütteln, ihre frühere Kühnheit war nur noch eine entfernte Erinnerung.
Während der Taxifahrt nach Hause schienen die Ereignisse des restlichen Lunchs bereits in einer Art Nebel zu verschwimmen. Emily hatte nicht viel gesprochen. Sebastian allerdings auch nicht. Nicht, bis sie aus dem Taxi ausgestiegen waren.
„Gib mir ein bisschen Zeit, um alles zu organisieren“, sagte er, während er sie zu ihrer Wohnung begleitete. „Jetzt ist es kurz nach drei. Ich hole dich um vier Uhr ab. Wie gesagt brauchst du nicht viel einzupacken. Vielleicht etwas Bequemes, falls wir einen Spaziergang machen wollen.“
Es war ihr gelungen, genauso gelassen zu bleiben wie er – bis sie alleine in ihrem Apartment war. Und jetzt stand sie hier in ihrem Badezimmer, den Tränen nahe.
Plötzlich musste sie an Mark denken. Und an ihren Vater.
Würden die in einer solchen Situation weinen?
Nicht in einer Million Jahren.
Emily wünschte, sie würde mehr wie ein Mann denken. Ihnen fiel es so leicht, Liebe und Sex zu trennen.
Sie hingegen konnte das nicht. Es gelang ihr nur ziemlich gut, ihre Gefühle zu verbergen. Als sie ihre todkranke Mutter gepflegt hatte, war sie Expertin darin geworden. Emily konnte fast jederzeit eine tapfere Miene aufsetzen und der immer deprimierender werdenden Realität etwas Positives abgewinnen.
Die Erinnerung an den Tod ihrer Mutter brachte sie zur Ruhe. Emily dachte noch einmal über alles nach. Die Situation mit Sebastian war zwar unangenehm, aber nicht gerade tragisch. Zumindest bot sich nun die Gelegenheit, mit dem Mann zu schlafen, den sie liebte. Wie schlimm konnte das sein?
Während sie ihre Tasche packte, klammerte sie sich an ihre neue positive Einstellung. Für den Rest des Tages würde sie ihre Gedanken fein säuberlich sortieren. Nachdem alle emotionalen Überlegungen ausgeschlossen waren, konzentrierte sie sich nur noch auf eine einzige Sache: die Lust des Augenblicks.
Zwei Minuten später klingelte es an der Tür. Emily griff nach ihrer gepackten Tasche und öffnete.
„Oh!“, rief sie, als sie sich Sebastian gegenübersah. „Du hast dich umgezogen.“
„Nur teilweise“, erwiderte er und nahm ihr das Gepäck ab. „Der Anzug ist derselbe. Ich habe nur Hemd und Krawatte weggelegt.“
Stattdessen trug er nun ein sexy schwarzes T-Shirt mit rundem Halsausschnitt.
Emily hatte Sebastian stets für einen gut aussehenden Mann gehalten. Aber überwältigend sexy fand sie ihn erst, seit ihr klar war, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Ihr kam es vor, als würden mit dieser Erkenntnis ihre Augen endlich sehen, was ihr Herz von Anfang an gewusst hatte. Dass ihr Boss über eine körperliche Anziehungskraft verfügte, der keine Frau widerstehen konnte.
Zumindest Emily nicht.
Das Blut pulsierte heißer durch ihre Adern, als sie ihn von Kopf bis Fuß musterte. Was für ein erotischer Mann er war! Emily konnte es kaum erwarten, sich ihm hinzugeben. Heute Nacht würde sie sowohl nehmen als auch geben – ganz ohne Erwartungen. Dass er nicht genauso viel für sie empfand, sollte das Liebesspiel nicht trüben.
„Hast du alles, was du brauchst?“, fragte er und deutete mit einem Nicken auf die Tasche.
„Ich hoffe schon.“
„Dann lass uns aufbrechen.“
„Ich muss noch meine Handtasche holen.“
„Gut, ich gehe schon vor. Wir treffen uns in der Garage.“
Eine Minute später lief sie die Treppe hinunter. Emilys Puls raste vor Aufregung. Stumm befahl sie sich, langsamer zu gehen. Auf keinen Fall benahm sie sich wie ein albernes Schulmädchen vor dem ersten Date.
Trotzdem fühlte sie sich genau so.
Er stand neben der Beifahrertür seines luxuriösen silbernen Sportwagens. Sebastian lächelte, als Emily in die Garage hastete.
„Du bist wirklich eine Frau nach meinem Geschmack“, sagte er und hielt ihr die Tür auf. „Du lässt einen Mann nicht warten.“
Das ist Lanas Domäne gewesen, erinnerte sie sich, bevor sie sich auf den Sitz gleiten ließ. Lana hatte Sebastian ständig warten lassen.
Verflixt. An Lana wollte sie doch gar nicht mehr denken. Andererseits, ging es Emily durch den Sinn, hat er Lana nie gebeten, ihn zu heiraten.
Als er die Beifahrertür schloss, nahm Emily sofort den Duft von neuem Leder wahr. Der Wagen war erst ein paar Monate alt, zuvor hatte Sebastian einen solideren BMW gefahren.
„Ich mag den Geruch neuer Autos“, verkündete sie, nachdem Sebastian hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte.