Julia Collection Band 106

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FLUCHT IN DIE ARME DES MAHARADSCHAS von JORDAN, PENNY
Als Prinzessin Sophia zu einer arrangierten Ehe gedrängt wird, flieht sie aus dem Palast von Santina - direkt in die Arme des Maharadschas Ash Achari. Auch wenn sich ihr Stolz dagegen auflehnt, ausgerechnet den Mann um Hilfe zu bitten, der einst ihre Liebe zurückwies …

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  • Erscheinungstag 28.04.2017
  • Bandnummer 0106
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709365
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan, Sharon Kendrick, Kate Hewitt

JULIA COLLECTION BAND 106

1. KAPITEL

„Ash …“

Prinzessin Sophia, die jüngste Tochter des Herrscherpaars im Inselkönigreich Santina, hauchte den Namen leise, fast andächtig. Ihn nur zu flüstern, sandte schon heiße Schauer über ihren Rücken.

Ash.

Drei harmlose kleine Buchstaben, die unversehens Erinnerungen an ihre wilde, ungestüme Teenagerliebe wachriefen. Und jetzt schien die Luft um sie herum elektrisch geladen zu sein, obwohl Sophia sich unzählige Male geschworen hatte, etwas Derartiges nie wieder zuzulassen.

Natürlich hatte sie gewusst, dass er eine Einladung zur Verlobung ihres ältesten Bruders erhalten würde. Doch ihm nach all der Zeit im elterlichen Palast in Santina plötzlich gegenüberzustehen, war noch einmal etwas ganz anderes, wie sie gerade feststellte.

Erkannt hätte sie ihn immer und überall. So wie vor wenigen Minuten, obwohl sie ihn nur von hinten gesehen hatte, als er in den Ballsaal geschlendert kam und mit nonchalanter Geste ein angebotenes Glas Champagner ablehnte. Diese typische Kopfhaltung, das dichte schwarze Haar und die Art, wie es sich im Nacken leicht kringelte …

Sehnsüchtiges Verlangen flammte in ihr auf. Sie wollte die Hände in der dunklen Haarpracht vergraben und Ashs Kopf zu sich ziehen, um seinen Mund auf ihrem zu spüren. Ein wohliges Schaudern überlief sie bei dieser verwegenen Vorstellung, und ohne sich dessen bewusst zu sein, fuhr Sophia mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe. Manche Dinge ändern sich wohl nie, dachte sie voller Wehmut.

Eine ganz besondere Art von Sehnsucht, von Begehren, von Liebe …

Ob es daran lag, dass er ihre erste Liebe gewesen war? Aber nur ein Narr würde behaupten, die erste müsste zugleich auch die einzige Liebe sein und bleiben. Und ein Dummkopf war sie ganz sicher nicht.

Ash hatte ihre zart aufflammende Liebe damals im Keim erstickt, indem er sie brutal zurückgewiesen, sie als Kind bezeichnet und ihr erklärt hatte, dass es gefährlich sei, einem Mann seines Alters derart unverblümte Avancen zu machen. Und wie glücklich sie sich schätzen könnte, an einen Ehrenmann geraten zu sein, der zu anständig war, um ihre geradezu sträfliche Naivität auszunutzen.

Wenn er sich wenigstens die Bemerkung verkniffen hätte, aus ihnen wäre auch nichts geworden, wenn sie älter wäre, weil er bereits vergeben war!

Damals hatte Sophia sich geschworen, ihre Liebe zukünftig nur noch jemandem zu schenken, der es auch wert war. Einem Mann, der sie ebenso heiß und aufrichtig liebte wie sie ihn.

Und weil sie diesem Schwur treu bleiben wollte, brauchte sie jetzt Ashs Hilfe, wie sehr sich ihr Stolz dagegen auch auflehnte.

Energisch stellte sie ihren unberührten Drink auf einem Tablett ab und ging auf den hochgewachsenen Mann zu, der ihr immer noch den Rücken zuwandte.

Mitten im überfüllten Ballsaal des Santina-Palasts zu stehen, der auf der malerischen Mittelmeerinsel gleichen Namens lag, erschien Ashok Achari seltsam unwirklich. Aber das lag nicht an dem prachtvollen Anwesen, das der königlichen Familie sowohl als offizielle Residenz wie auch als privates Heim diente.

Nicht die Spur eines Lächelns hellte die markanten dunklen Züge des Maharadschas von Nailpur auf, während er die pompöse Umgebung auf sich wirken ließ. Vor den weit geöffneten Flügeltüren des imposanten Festsaals, der von riesigen Kristalllüstern erhellt wurde, hatten Wächter in königlicher Livree Aufstellung bezogen. Eine mindestens ebenso beeindruckende Truppe der königlichen Leibgarde empfing die ankommenden Gäste bereits am Eingang des Palasts. Sobald die schwere Limousine vorfuhr, mit der er vom Flughafen abgeholt worden war, hatten sie Haltung angenommen und salutiert – als Ehrenbezeugung gegenüber seinem ebenfalls königlichen Stand.

Man scheute keine Kosten und Mühen, um die Verlobung des Kronprinzen von Santina standesgemäß zu zelebrieren.

Um Ashs Mundwinkel spielte ein mokantes Lächeln, während er den Blick über die illustre Gästeschar wandern ließ. Er selbst verdankte seine Anwesenheit dem Umstand, dass Alex und er alte Schulkameraden und immer noch eng miteinander befreundet waren. Obwohl er sich lieber vor der Verlobungsparty gedrückt hätte, da für ihn weit wichtigere Termine anstanden, war der Maharadscha ein Mann mit ausgeprägtem Pflichtgefühl. Und das hatte ihn schließlich dazu bewogen, die Einladung anzunehmen. Trotzdem stand sein Privatjet bereit, um ihn frühestmöglich nach Mumbai zurückzufliegen. Auf keinen Fall durfte er das morgige Meeting verpassen.

So etwas wie Instinkt oder ein sechster Sinn befahl Ash, sich umzudrehen, als eine zierliche Brünette auf ihn zusteuerte.

Sophia.

Aus dem hübschen Mädchen von damals war eine geradezu atemberaubend attraktive Frau geworden. Doch während er sie damals noch vor sich selbst und ihrer Naivität hatte retten müssen, sah er sich jetzt mit einer Sirene konfrontiert, die sich ihrer herausfordernden Sexualität und Wirkung offensichtlich sehr bewusst war.

Dass er momentan wie ein unerfahrener Teenager auf die dargebotenen Reize reagierte, irritierte Ash beträchtlich. Es ärgerte und frustrierte ihn. Unkontrolliertes sexuelles Verlangen machte verwundbar, darum erlaubte er sich eine derartige Schwäche erst gar nicht. Selbstkontrolle ging ihm über alles.

Davon abgesehen … allein der Gedanke, ausgerechnet Sophia könnte ihm den Kopf verdrehen, hatte etwas Lächerliches. Sie war doch gar nicht sein Typ. Woher also das schmerzhafte Ziehen in seinen Lenden? Fast so, als hätte er nie zuvor eine aufregendere Frau als sie gesehen?

Das konnte nur eine Folge der sexuellen Abstinenz sein, die er sich vorübergehend verordnet hatte. Er war ein Mann, sie eine Frau und sein Bett kalt und leer, seit er seiner letzten Geliebten vor einiger Zeit den Laufpass gegeben hatte. Daher war es ganz natürlich, dass Sophias Anblick ihn erregte. Sie sah auch wirklich verführerisch aus, mit der Fülle seidiger Locken, die ihr bis auf den Rücken herabfielen. Dazu die ausdrucksvollen dunklen Augen in dem schmalen Gesicht und aufregende weibliche Kurven genau an den richtigen Stellen.

Aber er wäre ein Narr, wenn er der überzogenen Reaktion seines Körpers mehr Gewicht zubilligen würde, als es tatsächlich der Fall war. Sophias selbstbewusster Auftritt hatte ihn eben überrascht, um nicht zu sagen überrumpelt. Na und?

Tatsache war, dass er im Moment keinen Sinn und keine Zeit für amouröse Verwicklungen hatte, und schon gar nicht mit Sophia, die zielgerichtet auf ihn zukam. Womöglich würde sie sich ihm wieder hemmungslos an den Hals werfen, wie sie es bereits als junges Mädchen getan hatte. Und glaubte man der Yellow Press, war die jüngste Prinzessin von Santina weder spröde noch unnahbar, was möglicherweise sogar ihre Popularität im internationalen Jetset ausmachte.

Aber, wie gesagt, zum Glück entsprach sie nicht seiner Kragenweite.

Nach dem Tod seiner Frau hatte er sein Augenmerk ausschließlich auf extravagante Modeltypen gerichtet. Frauen mit entsprechender Erfahrung, die nicht auf die Idee kamen, mehr von ihm zu erwarten, als er zu geben gewillt war, und sich mit einem kostbaren Abschiedsgeschenk begnügten, sobald das Spiel vorbei war.

Sophia war anders. Das wusste er, weil er sie hatte aufwachsen sehen und sogar zur Zielscheibe ihrer überschwappenden Emotionen wurde. Ein Mann, der mit ihr ins Bett ging, sollte sein Herz besser fest in der Hand halten und …

Ash fluchte lautlos. Unfassbar, wohin sich seine Gedanken verirrten!

„Ash …“ Zum zweiten Mal an diesem Abend sagte sie seinen Namen, und es fühlte sich noch berauschender an als zuvor. Ihn zur Begrüßung zu umarmen, wie es ihr erster Impuls gewesen war, dazu kam Sophia allerdings nicht, weil er ihre Handgelenke einfing und festhielt.

Augenblicklich schoss ihr heiße Röte ins Gesicht. Wie konnte sie nur so dumm sein? Hatte sie denn immer noch nichts dazugelernt? Reichte ihr eine Zurückweisung etwa nicht? Im ängstlichen Bestreben, unbedingt seine Unterstützung zu gewinnen, hatte sie einfach nicht nachgedacht. Doch noch war es nicht zu spät. Sie musste sich nur zwingen, kühl und besonnen aufzutreten. Und souverän.

Dabei hatte sie gar keine Hintergedanken gehabt, als sie ihn umarmen wollte! Immerhin begrüßte sie all ihre Freunde auf diese Weise.

Sophia öffnete schon den Mund, um Ash genau das zu erklären, schloss ihn aber gleich wieder unter seinem kalten, missbilligenden Blick. Da sie ihn auf keinen Fall verärgern durfte, war es besser, ihren Stolz und ihren Ärger herunterzuschlucken. Besonders weil sie jetzt, wo sie ihm direkt gegenüberstand, bemerkte, wie sehr er sich verändert hatte. Wo war der junge unbekümmerte Ash geblieben, dessen Augen herausfordernd funkelten und der so herzlich lachen konnte? Was hatte ihn zu dem kalten Zyniker werden lassen, der vor ihr stand?

Musst du das wirklich fragen? verspottete sie sich selbst. Er hat seine Frau verloren. Die Frau, die er über alles geliebt hatte …

Bedrückt dachte Sophia an Ashs häufige Ferienaufenthalte im Palast von Santina zurück. Damals war er ein fröhlicher Charmeur voller Elan und Ideen gewesen, an denen er auch die kleine Schwester seines Schulfreunds teilhaben ließ. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich wahrgenommen und akzeptiert gefühlt. Diese Erinnerungen waren es, die sie ermutigt hatten, ihn heute um Hilfe zu bitten, und nicht ihre romantische Jungmädchenschwärmerei für Ash.

Doch langsam begann Sophia daran zu zweifeln, dass ihr Plan tatsächlich so genial war, wie sie geglaubt hatte. Dies war nicht mehr der Ash von früher, und was auch immer für die dunkle Wolke verantwortlich sein mochte, die über ihm zu schweben schien, es schnitt ihr ins Herz. Aber das durfte sie nicht zulassen. Selbst wenn er damals ihr Traumprinz gewesen war – heute erschien er ihr in einem völlig anderen Licht. Und dafür sollte sie dankbar sein, da jetzt keine Gefahr mehr von Ash ausging.

An welche Gefahr denkst du? meldete sich sofort eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf. Etwa daran, dass er es erneut schafft, sich in deine romantischen Tagträume und die verwegenen nächtlichen erotischen Fantasien zu schleichen?

Fast hätte Sophia laut aufgestöhnt. Auf keinen Fall wollte sie den gleichen Fehler ein zweites Mal begehen. Zum Glück war sie inzwischen immun gegen Ash, und so sollte es auch zukünftig bleiben. Immerhin war sie keine sechzehn mehr!

Also holte sie tief Luft und schob das Kinn vor. „Du kannst mich ruhig loslassen, Ash“, informierte sie ihn kühl. „Ich verspreche dir auch hoch und heilig, dich nicht zu berühren.“

Ihn nicht berühren!

Zum Glück hatte Sophia keine Ahnung, welche Tortur allein ihr Anblick für seinen Körper bedeutete. Wenn sie wüsste, dass sein Verstand sich verabschiedet und dafür wilder, zügelloser Lust Platz gemacht hatte. Dass er sie am liebsten ganz fest an seinen harten Leib ziehen würde, damit sie spürte, wie er tatsächlich fühlte? Jetzt, da er selbst Opfer ihrer erotischen Ausstrahlung geworden war, wunderte Ash sich nicht mehr über Sophias zweifelhaften Ruf.

Abrupt gab er ihre Handgelenke frei.

Die fast abfällige Geste bewies ihr, was sie in ihrem Herzen längst gefühlt hatte. Für Ash war jeder körperliche Kontakt zwischen ihnen immer noch ein Tabu.

Ich darf nicht vergessen, dass er trotz allem früher mein Held gewesen ist, der mich schon zwei Mal vor dem sicheren Tod gerettet hat! sagte sie sich beschwörend. Allerdings sprach sein abweisendes, sprödes Verhalten nicht unbedingt dafür, dass er das noch einmal tun würde.

Dabei brauche ich seine Hilfe heute nötiger denn je! Eine erzwungene Heirat mit einem Mann, den man noch nie gesehen hat, dem aber ein übler Ruf vorauseilt, ist schlimmer als der Tod.

Irgendwie musste es ihr gelingen, die unsichtbare Barriere zwischen ihnen zu überwinden, denn ohne seine Unterstützung würde ihr Plan misslingen. Aber wenn er sie nun abwies?

Daran durfte sie gar nicht denken! Vor allem musste sie unbedingt aufrichtig sein. „Ash … da gibt es etwas, das ich dich fragen möchte …“

„Wenn es darum geht, welchen aus der langen Reihe deiner Verehrer du als Nächsten in dein Bett einladen sollst, werde ich dir nicht helfen können, fürchte ich. Am besten, du bleibst bei deiner Taktik, den zu erhören, der die besten Fotos und die dicksten Schlagzeilen verspricht.“

Das kam so unerwartet, dass Sophia zurückzuckte, als hätte er sie geschlagen. Wie konnte er sie so brutal attackieren? Natürlich kannte sie die wilden Gerüchte über sich und ihr angebliches Liebesleben. Aber dass gerade er einen derartigen Müll über sie ausschütten musste! Und ausgerechnet in dem Moment, in dem sie ihn an das unschuldige Mädchen von damals erinnern wollte, das er schon einmal beschützt hatte. Unter diesen Umständen hatte das wohl wenig Sinn.

Außerdem fühlte sie sich durch seine harten Worte verletzt und musste sich auf irgendeine Art Luft machen. „Kehr bloß nicht den Moralapostel heraus! Der einzige Unterschied zwischen uns liegt darin, dass ich meine Liebesabenteuer öffentlich auslebe, während du deinen hinter verschlossenen Türen nachgehst.“

„Und wem von uns beiden würde wohl ein unvoreingenommener Betrachter mehr Ehrgefühl zusprechen, Prinzessin?“, höhnte er.

Sophia nahm die versteckte Beleidigung mit zusammengebissenen Zähnen hin, da sie gute Gründe hatte, die ganze Welt glauben zu machen, sie führe ein ziemlich freizügiges Leben. Gab es einen besseren Weg, um etwas zu verbergen und zu schützen, was sie unbedingt für sich behalten wollte?

Umgekehrt fiel es Ash weitaus schwerer, seine Moral ausgerechnet von Sophia infrage gestellt zu sehen. Besonders weil … ja, warum eigentlich?

Weil er es war, der sie schon einmal vor den Folgen ihrer ausschweifenden sexuellen Bedürfnisse bewahrt hatte? Oder weil er ihr immer noch seine körperliche Reaktion auf sie übelnahm?

„Ich befürchte, diese Art Konversation ist nichts für mich, so angesagt sie in deinen Kreisen auch sein mag“, erklärte er arrogant, da sie nicht antwortete. „Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich möchte mich bei deinen Eltern für den angenehmen Abend bedanken. Da ich morgen früh einen wichtigen Termin in Mumbai wahrnehmen muss, werde ich noch um kurz nach Mitternacht zurückfliegen.“

Was? Er wollte schon so bald wieder verschwinden? Das war neben seinem veränderten Wesen ein zweites Hindernis, mit dem sie weder hatte rechnen noch sich darauf einstellen können. Sophia fühlte Panik in sich aufsteigen. Die erhoffte Tür zur Freiheit schien sich von Minute zu Minute weiter zu schließen.

„Früher warst du umgänglicher, Ash, und wesentlich freundlicher“, platzte sie in ihrer Not heraus. „Erinnerst du dich wenigstens noch daran, dass du schon einmal mein Retter warst? Ich verdanke dir mein Leben …“

Nur tiefste Verzweiflung brachte sie dazu, sich ihm gegenüber derart zu offenbaren.

„Ich … ich weiß sogar, dass du etliche Charity-Projekte unterstützt und vielen hilfst, die in Not sind. Und so, wie die Dinge stehen, stecke auch ich gerade in einer ziemlichen Klemme und … und außerdem habe ich dir bisher noch gar nicht sagen können, wie leid mir der Tod deiner Frau tut. Ich weiß, wie viel dir diese Ehe bedeutet hat.“

Mit jedem Wort, das sie in ihrer Aufregung herunterhaspelte, entfernte er sich weiter von ihr. Sie konnte es spüren und sogar sehen, wie er körperlich zurückwich.

Warum, um alles in der Welt, hatte sie seine verstorbene Frau erwähnt? Es gab keinen logischen Grund dafür. Dabei wollte sie doch nur …

Jeder Gedanke erstarb unter dem sengenden Blick aus den schwarzen Augen, die an einen Krieger aus vergangenen Jahrhunderten erinnerten. Und genauso gefährlich wirkte Ash auch. Kein Zweifel, er war wütend auf sie.

Nur weil sie ihm, wenn auch verspätet, zum Tod seiner Frau kondoliert hatte?

Sophia wusste, wie sehr er die indische Prinzessin geliebt hatte. Doch seit ihrem Tod waren einige Jahre vergangen. Seitdem musste es andere Frauen in seinem Leben gegeben haben. Aber wenn es die echte und einzige Liebe gewesen war …

Wie auch immer, wenn Ash glaubte, sie mit schlechten Manieren und finsterer Miene abschrecken zu können, hatte er sich getäuscht. Wahrscheinlich hielt er sie immer noch für das naive Ding, das zu Tode betrübt war, wenn ihr heimlicher Held sie wieder einmal brüsk in die Schranken wies. Doch die Zeiten waren vorbei.

Ash spürte dem brennenden Gefühl in seinem Inneren nach. Wie konnte Sophia es nur wagen, ihn auf Nasreen anzusprechen? Keiner Menschenseele war es erlaubt, dieses Tabuthema zu berühren. „Ich diskutiere mit niemandem über meine Frau oder meine Ehe“, erklärte er in einem Ton, der Sophia bewies, wie richtig sie mit ihrer Einschätzung lag.

Ash liebte seine tote Frau nach wie vor.

Egal. Anstatt darüber nachzugrübeln, sollte sie lieber einen neuen Schlachtplan entwerfen, um sich doch noch seine Unterstützung zu sichern. Seit sie wusste, dass er zur Verlobungsparty ihres Bruders eingeladen war, hatte sie Ash zu ihrem Retter aus höchster Not erklärt. Und noch war sie nicht bereit, sich so schnell geschlagen zu geben.

Plötzlich war Sophia sehr still, doch Ash ließ sich nicht täuschen. Hinter der äußeren Ruhe spürte er deutlich ihre innere Anspannung.

Als jüngstes Familienmitglied des Königshauses, dazu noch als Mädchen, war sie von klein auf gefordert und häufig überfordert gewesen. So hatte sie diese vorgetäuschte Zuversicht schon in früher Kindheit als Überlebenstaktik entwickeln müssen.

Gegen seinen Willen spürte Ash, wie sein Ärger verebbte.

Inzwischen entschied Sophia, dass sie keine Zeit zu verlieren hatte. „Mein Vater will mich mit einem spanischen Prinzen verheiraten“, fiel sie darum ohne weitere Umwege direkt mit der Tür ins Haus.

Ash stockte der Atem unter dem scharfen Schmerz, der ihm für einen Moment den Atem raubte. „Dann plant dein Vater also eine standesgemäße Vernunftehe für seine jüngste Tochter?“, hakte er verhalten nach und hob betont lässig die Schultern.

„Es wäre eine erzwungene Heirat, und ich habe mich noch nie gern zu etwas zwingen lassen, wie du weißt!“, empörte sich Sophia über seine vorgetäuschte Gleichgültigkeit.

Dieser Ausbruch erinnerte ihn wieder an das überemotionale junge Mädchen von früher, und Ash spürte, wie er weich zu werden drohte. „Findest du nicht, dass du die Situation dramatisierst? Du bist doch kein naiver Teenager mehr, Sophia. Prinzessinnen heiraten nun mal Prinzen, und das schon seit Jahrtausenden. Sie leben in arrangierten Ehen, denen zukünftige Thronerben entspringen, und damit erfüllen sie ihre royalen Pflichten und die Verantwortung ihrem Volk gegenüber.“

Eine derartige Reaktion hatte nicht zu der Angebotspalette gehört, wenn sie in schlaflosen Nächten über ihr Zusammentreffen mit dem Maharadscha von Nailpur fantasiert hatte. Und anfangen konnte Sophia damit schon gar nichts. Was sie von Ash brauchte und erwartete, war tatkräftige Unterstützung.

„Ich dramatisiere gar nichts“, wehrte sie sich. „Habe ich denn als Person, als Individuum kein Recht auf ein selbst gewähltes Leben?“

„Ich bin sicher, dein Vater hat nur dein Bestes im Sinn“, beharrte Ash, der sich auf keinen Fall in derart private Familienangelegenheiten hineinziehen lassen wollte. Warum sollte er auch? Er war ein viel beschäftigter Mann und gerade dabei, einen lukrativen Kontrakt auszuarbeiten und durchzusetzen, der die Zukunft seines Volkes für Generationen sichern würde.

„Absolut nicht! Ihm geht es gar nicht um mich persönlich, sondern allein um eine Verbindung, die in unseren Kreisen als echter Treffer gilt“, protestierte Sophia vehement. „Dabei schreckt er nicht davor zurück, mich dem spanischen Prinzen als fügsame Gattin anzupreisen, die unbedingtes Verständnis für dessen extravaganten Lebensstil aufbringen wird. Als ich meinem Vater sagte, dass ich den Prinzen nicht heiraten will, nannte er mich undankbar und sagte, ich würde mich schon an meinen Ehemann gewöhnen. An einen Mann, der nur zugestimmt hat, mich zu heiraten, weil er unbedingt einen Erben braucht.“ Sie musste eine Pause machen, um kurz Luft zu holen. „Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass sein Hobby darin besteht, sich in den Betten seiner diversen Geliebten zu tummeln?“

„Was dir diese Heirat doch eher schmackhaft machen müsste, Sophia.“ Ashs kalte Stimme troff förmlich vor Sarkasmus. „Denn so sehr unterscheidet sich dein Lebensstil doch gar nicht von dem deines zukünftigen Gatten, oder?“

Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, mit dem Sophia nicht gerechnet hatte und der jeden Tropfen Blut aus ihrem Gesicht weichen ließ. Dabei müsste es ihr doch eigentlich egal sein, was Ash von ihr dachte. Doch so war es nicht.

Trotzdem konnte sie ihm nicht gestehen, wie sehr sie die Denunziationen der Presse und Weltöffentlichkeit schmerzten, ohne mehr von sich preiszugeben, als sie bereit war. „Es ist nicht die Art von Ehe, wie ich sie mir immer erträumt habe“, war alles, was sie herausbrachte. „Ich ertrage den Gedanken einfach nicht …“ Sie stockte und versuchte, die wachsende Panik aus ihrer Stimme zu verbannen. Ash war die letzte Person auf Erden, der sie anvertrauen konnte, was es für sie bedeuten würde, per Gesetz gezwungen zu sein, mit einem Mann intim zu werden, den sie gar nicht kannte. Wenn er wüsste, dass sie …

Nein, es musste ihr Geheimnis bleiben. Ein Geheimnis, das sie schon so lange fest verschlossen in ihrem Herzen bewahrte.

Sophia atmete ein paar Mal tief durch und stählte sich innerlich. „Wenn ich heirate, dann einen Mann, den ich kenne und respektiere“, erklärte sie ruhig. „Er soll mich ebenso lieben wie ich ihn. Und auch unsere Kinder sollen sich geliebt, sicher aufgehoben und glücklich fühlen.“ Zumindest dieses Statement entsprach absolut der Wahrheit.

Und das war es auch, was Ash heraushörte und zähneknirschend akzeptieren musste. Ebenso wie die Wirkung, die Sophias kleine Rede auf ihn hatte. Es lag etwas in ihrer Stimme und ihrem Blick, das ihn gegen seinen Willen berührte und Erinnerungen in ihm wachrief, die er nicht wieder auffrischen wollte.

Wieder auffrischen? verhöhnte er sich selbst. Seit wann muss man etwas wiederbeleben, das nie vergessen war? Das er niemals vergessen könnte …

„Bitte, Ash … du musst mir einfach helfen!“

2. KAPITEL

Ash hatte ein Déjà-vu-Erlebnis. Es waren die gleiche Stimme und die gleichen Worte, die ihm noch nach Jahren in den Ohren hallten. Sie untergruben seine mühsam aufrechterhaltene Selbstkontrolle und öffneten die Türen zur Vergangenheit.

Kurz nach ihrem sechzehnten Geburtstag hatte er Sophia das letzte Mal gesehen. Er konnte sich noch gut an den Schock erinnern, statt der plappernden kleinen Schwester seines Schulfreunds plötzlich ein voll erblühtes Geschöpf auf der Schwelle zum Erwachsenwerden vor sich zu haben. Und das von einer Minute auf die andere! Zumindest war es ihm damals so vorgekommen.

Physisch über Nacht zur Frau geworden, aber mental immer noch so unschuldig und verletzlich wie zuvor, hatte sich die kleine Schwester seines besten Freunds zu einer gefährlichen Verlockung und Herausforderung für jeden Mann aus Fleisch und Blut gemausert.

Nicht weil sie mit vordergründigen Reizen gespielt oder aktiv versucht hätte, sich in Szene zu setzen, sondern weil sie eine Frische und Unschuld ausstrahlte, von der man unwiderstehlich angezogen wurde. Ihr liebenswertes, offenes Wesen, ihre übersprudelnde Fröhlichkeit und unersättliche Neugier aufs Leben waren so ansteckend und mitreißend gewesen, dass Ash sich in Sophias Gesellschaft immer gleich viel jünger und unbelasteter gefühlt hatte. Allein durch ihre Anwesenheit verleitete sie ihn zum Träumen und dazu, sich Dinge zu wünschen, die einem zukünftigen Maharadscha von Nailpur, der seit Kindertagen einer indischen Prinzessin versprochen war, nicht zustanden.

Sich dann auch noch gegen die Bezeugungen ihrer glühenden Teenager-Schwärmerei wehren zu müssen, hätte sicher auch einen Heiligen auf die Probe gestellt!

Was war dem übersensiblen Mädchen von früher in den Jahren dazwischen geschehen, um sie zu dem männermordenden Vamp von heute mutieren zu lassen? Und vor allen Dingen, was ging ihn das überhaupt an? Die Sechzehnjährige, die er hatte beschützen wollen, gehörte in ein anderes Leben und zu einem anderen Mann, der er längst nicht mehr war.

Ohne es zu wollen, fühlte Ash sich in eine Zeit zurückversetzt, die er vergeblich aus seinem Bewusstsein zu löschen versucht hatte.

Schon früh versprach Sophia Santina eine herausragende Schönheit zu werden. Damals haftete ihr noch die süße Anmut eines fast reifen Pfirsichs an, und darauf hatten seine angeborene Ritterlichkeit und das in frühster Jugend anerzogene Verantwortungsbewusstsein reagiert. Deshalb sah er es geradezu als seine Pflicht an, die unerfahrene junge Prinzessin zu beschützen.

Und das nicht nur vor sich selbst, sondern in erster Linie vor ihm und der unerwarteten Erkenntnis, dass Sophia sich zunehmend in eine äußerst begehrenswerte Frau verwandelt hatte!

Ash verspürte plötzlich einen sauren Geschmack im Mund. Bis heute konnte er sich nicht verzeihen, dass er die Wandlung viel zu spät registriert hatte. Wäre er aufmerksamer gewesen, hätte sich eingedenk seines strengen Ehrenkodexes nie so etwas wie Lust oder Begehren im Zusammenhang mit Sophia entwickeln können. Ganz abgesehen davon, dass er damals kurz vor seiner Heirat stand.

„Ash … bitte!“

Die unüberhörbare Panik in ihrer Stimme zog sein Herz zusammen und ließ ihn eine noch finstere Miene aufsetzen. „Sophia …“

„Bitte, Ash, ich brauche dich! Es gibt sonst niemanden, an den ich mich wenden kann!“

„Nein?“, fragte er hart und versuchte, sich innerlich zu stählen. „Was ist denn mit den smarten Typen, die dein Bett mit dir teilen?“

Wieder bewegte sich ihre Konversation in einem gefährlichen Minenfeld, das Sophia unbedingt meiden wollte. „Das ist nur Sex“, erwiderte sie flapsig. „Was ich von dir brauche, ist Hilfe!“

Nur Sex? Nach all den Jahren, in denen sie getrennt gewesen waren, sah er plötzlich wieder das sechzehnjährige Mädchen vor sich, das ihn eindringlich und flehentlich um etwas bat, das er ihr unmöglich geben konnte.

Er glaubte sogar wieder den warmen Hauch des Sommers auf seiner Haut zu spüren und das weiche Gras zu fühlen, auf dem sie gesessen hatten. Vor seinem inneren Auge sah er das dünne weiße Baumwollkleid, unter dem sich Sophias runde Brüste abzeichneten, mit den steil aufgerichteten Knospen, die sich so herausfordernd gegen den dünnen Stoff drängten. Wie sie mit ihren festen, kleinen Fäusten wütend auf seinen Brustkorb gehämmert hatte, weil er sich weigerte, ihr zu zeigen, wie man als richtige Frau liebte … und sich die großen braunen Augen vor unbestimmter Leidenschaft verdunkelten, während er sein eigenes wildes Begehren als unglaublichen Schock erlebte.

„Ich bin die einzige Jungfrau in meiner Klasse!“ Es hatte wie ein Vorwurf geklungen. „Die anderen Mädchen lachen mich schon aus deswegen. Sie sagen, ich wäre ein Baby, und ich will einfach nicht länger warten!“

Den Abgrund, in den er bei diesen Worten zu stürzen gedroht hatte, gab es heute immer noch.

Während er damals voller Scham gedacht hatte, was für ein Vorrecht und Vergnügen es sein würde, Sophia zu geben, wonach sie verlangte, hatte er sie kühl daran erinnert, dass er viel zu alt für sie war. „Es muss doch eine Menge Jungen in deinem Alter geben, die sich darum reißen, dir den Gefallen zu tun.“

„Die will ich aber nicht!“, hatte sie trotzig erklärt, „ich will nur dich!“

Wie sehr hatte Ash sich gewünscht, jünger und nicht der zu sein, der er nun einmal war. Stattdessen versetzte er Sophias romantischer Jungmädchenschwärmerei den Todesstoß, indem er ihr eröffnete, er stehe kurz davor, eine Ehe einzugehen, die bereits in seiner Kindheit arrangiert wurde.

„Aber das zählt nicht, weil es nur eine Vernunftehe und keine Liebesheirat ist“, lautete ihr unschuldiger und naiver Kommentar, der ihn wie ein Messerstich mitten ins Herz traf.

„Meine Heirat ist allein meine Sache“, hatte er steif geantwortet. „Und was das Thema Liebe betrifft, ich bin mir meiner Pflichten als Ehemann bewusst und werde mit Vergnügen lernen, meine Frau zu lieben, und ihr dabei helfen, meine Liebe zu erwidern. Mit großem Vergnügen sogar …“, hatte er vorsichtshalber hinzugefügt.

Es war eine unnötig grausame Abfuhr gewesen, und dass sie ins Schwarze getroffen hatte, erkannte er an dem waidwunden Blick aus ihren schwimmenden braunen Augen. Aber es waren die Tränen eines Kindes gewesen, das seinen Willen nicht durchsetzen konnte. Zumindest hatte er versucht, sich das einzureden.

Damals wie heute gab es nur einen Weg für ihn. Er musste sich ohne ein weiteres Wort abwenden und gehen. Aber wie sollte er das fertigbringen, wenn sein Körper ihm nicht gehorchen wollte? Seine fatale Schwäche nagte heftig an Ashs Stolz, und trotzdem konnte er den Blick nicht von Sophia losreißen.

In dem goldenen Abendkleid, das ihre zierliche Figur wie eine zweite Haut umschloss, und mit den kastanienbraunen Locken, die ein funkelndes Diadem aus der Stirn hielt, wirkte sie wie eine Göttin. Auf dem anbetungswürdigen Mund schimmerte nur ein Hauch von Lipgloss, und als Sophia sich nun auch noch mit der rosigen Zungenspitze die weichen Lippen befeuchtete, fürchtete Ash endgültig um seinen Verstand.

Er wusste, sie würden wie das Paradies schmecken, und das dünne Seidenkleid stellte für einen Mann, der entschlossen war, diese unglaublichen Brüste zu liebkosen, keine Barriere dar. Doch dieser Glückliche durfte niemals er sein.

Sophia war immer noch die Schwester seines besten Freundes. Sie war voller Leben, Leidenschaft und süßer Versprechungen. Mit ihr ins Bett zu gehen, würde sein Leben nur kompliziert machen.

Und warum überhaupt ein derartiges Risiko eingehen, wenn die schönsten Frauen der Welt vor meinem Bett Schlange stehen? versuchte er sich in Zynismus zu flüchten. Immerhin geht es um Sex und sonst nichts.

Ohne Ashs inneren Aufruhr zu registrieren, warf Sophia einen gehetzten Blick zu dem Tisch hinüber, an dem ihre Eltern mit besonders wichtigen Gästen zusammensaßen. Wie immer war es ihr Vater, der jedermanns Blicke auf sich zog, während ihre Mutter ihm, mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, den blonden Kopf zuneigte. Jeder Zoll die devote, ergebene Gattin, wie ihr Vater es erwartete.

Und wie ihr zukünftiger Ehemann es ebenfalls erwarten würde!

„Mein Vater glaubt immer noch, mich zum Nachgeben zwingen zu können“, sagte Sophia mehr zu sich selbst, „aber da täuscht er sich gewaltig.“

Ash hörte sowohl Kummer wie eiserne Entschlossenheit in ihrer Stimme. Gegen seinen Willen fühlte er sich an einen Kolibri erinnert, der seine schillernden Flügel an den Stäben des Käfigs wund stieß, in dem er gefangen war. Sein verzweifeltes Verlangen nach Freiheit würde damit enden, dass er irgendwann gebrochen am Boden lag. Die Vorstellung war ihm unerträglich.

Während er versonnen Sophias zartes Profil betrachtete, sah er darin immer noch einen Hauch von Unschuld und Verletzlichkeit, ungeachtet allen Klatsches und ihres zweifelhaften Lebensstils. Und gegen besseres Wissen verspürte er plötzlich Mitleid mit ihr, weil er wusste, dass König Eduardo seinen Plan ganz sicher nicht kampflos aufgeben würde. Er war ein alter Traditionalist, als Vater wie als König, der seine Familie mit ebenso fester Hand regierte wie sein Land.

„Du musst doch von klein auf damit gerechnet haben, eines Tages an eine passende Partie verkuppelt zu werden“, sagte Ash betont flapsig, um sein unangebrachtes Mitgefühl zu verbergen.

Sekundenlang war Sophia versucht, ihre Maske fallen zu lassen und ihm zu gestehen, dass für sie immer nur ein Mann infrage kommen würde.

Nein! Das war die romantische Verblendung eines sechzehnjährigen Teenagers gewesen!

Geblieben war der tiefe Wunsch, irgendwann doch noch einen Mann zu finden, der ihre Liebe erwidern würde. Innerlich hatte sie sich längst darauf eingestellt, Geduld zu haben und zu warten, bis dieses Wunder geschah. Denn erst dann, wenn sie vor ihrem Bräutigam stand und ihm ewige Liebe und Treue schwor, würde endlich der Schmerz über Ashs vernichtende Zurückweisung schwinden.

Mit angehaltenem Atem beobachtete Ash ihr lebhaftes Mienenspiel und wurde erneut geradezu von Mitleid überschwemmt. Sophia war ein so gefühlvolles Kind gewesen, liebevoll und freigiebig. Da sie die Liebe ihres Vaters nie wirklich hatte erringen können, hatte sie die aufgestauten Gefühle auf ihn übertragen, mehr war es nicht gewesen. Er hatte sie so gut wie möglich beschützt und war ihr nichts mehr schuldig.

Außerdem ist sie schon lange kein Kind mehr! erinnerte er sich streng.

Jetzt war es Sophia, die gedankenvoll seine düstere Miene betrachtete und allen Mut zusammennahm, um einen letzten Vorstoß zu wagen.

„Ash, alles, was ich von dir will, ist …“ Sie brach ab und schluckte heftig. Es war doch schwerer, als sie gedacht hatte. „Du sollst nur so tun, als wenn du mich willst. Ich meine nicht fürs Bett oder so, sondern als zukünftige Ehefrau, da jedermann weiß, wie dringend Nailpur einen Thronfolger braucht. Und du stehst so weit oben auf der Rangliste, dass mein Vater diesen spanischen Prinzen schon bei der leisesten Chance fallen lassen würde, dich als Schwiegersohn rekrutieren zu können“, haspelte sie in einem Atemzug herunter, ehe der Mut sie verließ.

Zunächst war Ash einfach nur sprachlos. Als Sophia ihn erneut um Hilfe bat, war er davon ausgegangen, dass es sich um das gleiche Anliegen handeln müsste wie damals … was natürlich völlig unsinnig war, wenn er jetzt darüber nachdachte.

Sophia hingegen lag mit der Einschätzung ihres Vaters wahrscheinlich gar nicht so verkehrt. Was für ein kluges Köpfchen sich doch unter den seidigen Locken verbarg.

Angesichts seines veränderten Gesichtsausdrucks fasste Sophia sofort wieder Hoffnung. „Ash, ich brauche dich und flehe dich an, sei mein Ritter in schimmernder Rüstung, so wie ich dich damals immer gesehen habe“, knüpfte sie ganz bewusst an früher an, als Ash sich ihr gegenüber wesentlich zugänglicher gezeigt hatte. „Erinnerst du dich noch an den Tag, als ich dir, Alex und Hassan heimlich zu dem steilen Felsenkliff gefolgt bin?“

Wie sollte er das jemals vergessen können?

„Das ist lange her“, brummte er jedoch abweisend.

„Ich erinnere mich noch sehr gut daran“, Sophias Stimme klang etwas rau und sehr weich. „Damals war ich gerade mal neun Jahre alt. Wärst du mir nicht nachgesprungen, wäre ich ertrunken. Alex hat mich nur ausgelacht wegen meiner Tollpatschigkeit, aber auf deinen Armen habe ich mich sicher und geborgen gefühlt.“

Da war er wieder, dieser verletzliche Ton, der ihm unter die Haut ging und sie beide in einen Kokon alter Erinnerungen einschloss, zu denen niemand sonst Zutritt hatte. Jetzt streckte sie auch noch die Hand aus und legte sie auf seinen Arm.

Ungebetene Bilder überschwemmten ihn. Fantasien von weichen Brüsten, die sich gegen seinen Oberkörper drückten, in dem sein Herz wie verrückt schlug …

Aber das gehört der Vergangenheit an! erinnerte sich Ash zähneknirschend. Heute war er zynisch genug, um zu wissen, dass ein Frauenkörper war wie der andere.

Wie hypnotisiert starrte Ash auf Sophias schmale Finger, die auf dem schwarzen Ärmel seines teuren, italienischen Maßanzugs lagen. Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn sie auf dem Höhepunkt der Ekstase …

Für eine Sekunde schloss er die Augen und spürte einen heißen Schauer über seinen Rücken rinnen.

„Alex durfte sich seine Braut schließlich auch selbst aussuchen“, versuchte Sophia es mit einer neuen Taktik. „Warum soll ich nicht das gleiche Recht haben?“

Dabei hatte die Ankündigung seiner Verlobung nicht nur sie überrascht. Auch Carlotta, der sie sich von allen Geschwistern am nächsten fühlte, war aus allen Wolken gefallen. Aber das gehörte nicht hierher.

„Und du liebst immer noch Nasreen. Warum darf ich dann nicht einen Mann heiraten, der mir ebenso viel bedeutet wie ich ihm?“

Die Leidenschaft, mit der sie argumentierte, bewies Ash nur, wie recht er mit seiner Einschätzung hatte: Jeder nähere Kontakt zu Sophia würde im Chaos enden. In seinem Leben gab es einfach keinen Platz mehr für überschäumende Emotionen. „Meine Ehe ist meine Privatangelegenheit“, erinnerte er Sophia noch einmal, um möglichst viel Distanz zwischen ihnen zu schaffen und sich von unsinnigen Gedanken abzulenken.

Ich habe es schon wieder getan! haderte Sophia mit sich. Ich bin auf privates Terrain vorgedrungen, wo ich nicht willkommen bin. Aber warum? Wirklich nur, weil er Nasreen immer noch liebt?

Warum kann ich mich mit dieser Erklärung einfach nicht abfinden? Es war doch unsinnig, immer noch davon zu träumen, dass sie selbst es wäre, die Ash liebt, oder nicht?

Schon immer galt Sophia innerhalb der Familie als die Schwierige und drohte, ihren Vater damit in den Wahnsinn zu treiben. Doch gerade weil sie sich ihren Ruf als Rebellin hart verdient hatte, war sie nicht geneigt, ihn so leicht aufzugeben, nur weil Ash sie derart kalt musterte.

Nasreen …

Ash wünschte, Sophia hätte den Namen nie erwähnt! Aber sie hatte es getan und ihn daran erinnert, dass er einst geschworen hatte, seine Braut, die seit Kindertagen für ihn bestimmt gewesen war, zu lieben. Es war eine Sache der Ehre gewesen. Eine Pflicht und Verantwortung, die er sehr ernst genommen hatte. Geendet hatte diese Ehe mit Nasreens Tod – einer Tragödie, für die er sich selbst die Schuld gab.

Eines hatte Ash sich damals geschworen: Niemals wieder wollte er Sex und Liebe verwechseln oder miteinander vermischen. Er mochte eine Frau begehren, immerhin war er ein gesunder Mann, aber sie zu lieben, würde er sich niemals erlauben.

3. KAPITEL

Angesichts seiner harschen Reaktion kam Sophia resigniert zu dem Schluss, dass Ash seine verstorbene Frau doch nicht vergessen konnte und Nasreen immer noch nachtrauerte. Wie hungerte sie danach, einmal so ausschließlich und kompromisslos geliebt zu werden – und zwar um ihrer selbst willen und nicht nur, weil sie königlichen Geblüts war.

Eines Tages werde auch ich diese Liebe finden! sagte sie sich selbst.

Und um überhaupt die Chance dafür zu bekommen, durfte sie sich nicht in eine Vernunftehe zwingen lassen, sondern musste unbedingt ihre Freiheit verteidigen.

Ihre leidenschaftliche Natur, die wie glühende Lava unter der brüchigen Gesteinsschicht überkommener Traditionen des Königshauses von Santina brodelte, machte sich in einem plötzlichen Ausbruch Luft. „Meine Eltern glauben nicht an die Liebe!“, zischte Sophia mit sengendem Blick in Richtung des Tischs, an dem das königliche Paar Hof hielt. „Pflicht gegenüber dem heiligen Familiennamen ist alles, was zählt, besonders für meinen Vater!“

Der tiefe Schmerz in ihrer Stimme ließ Ash aufhorchen. Er kannte die Familiengeschichte des Königshauses Santina sehr gut und wusste, warum ihre Stimme bei den Worten „mein Vater“ besonders heiser geklungen hatte.

Aber warum reagierte er plötzlich so übersensibel auf alles, was Sophia sagte und tat? Es gab doch wahrhaftig Wichtigeres als die Luxusprobleme einer hübschen Prinzessin. Zum Beispiel die Schwierigkeiten, die es mit sich brachte, die verwaisten und teilweise maroden Paläste seines verzweigten Familienclans in elegante und lukrative Spa-Hotels umzufunktionieren. Oder den Verkauf königlicher Artefakte zugunsten diverser Hilfsorganisationen, um den Ärmsten der Armen eine adäquate Ausbildung und medizinische Versorgung zukommen zu lassen.

Das war es, was seine ganze Aufmerksamkeit verdiente, und nicht dieses aufreizende Geschöpf, das versuchte, ihn für private Belange einzuspannen.

„Ich bin sicher, dein Vater will nur dein Bestes“, wiederholte er stereotyp, weil ihm langsam die Argumente ausgingen.

„Das Beste für mich, ja?“, höhnte Sophia. Die Bitterkeit in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Für meinen Vater war ich ein Leben lang ein unerwünschtes Anhängsel, und das weißt du auch, da du die … die Gerüchte um meine Geburt ebenso gut kennst wie ich.“

Das stimmte allerdings. Und schon regte sich wieder dieses verfluchte Mitleid in ihm.

Ash war selbst noch sehr jung gewesen, als Alex’ Mutter erfahren hatte, dass er eine Vollwaise war und ihn seitdem regelmäßig in den Internatsferien in den Palast von Santina eingeladen hatte. Und Sophia wurde gerade eingeschult, als ihm zum ersten Mal das Gerücht zu Ohren gekommen war, der König wäre gar nicht ihr leiblicher Vater.

„Immerhin hast du die typischen Santina-Merkmale“, war alles, was ihm momentan dazu einfiel.

„Das hat meine Mutter auch behauptet, als ich sie fragte, ob der englische Architekt, über den jeder tuschelt, mein Vater sein könnte. Aber warum hat mir dann niemand angeboten, einen DNA-Test machen zu lassen, als ich älter war?“

„Das beweist doch eigentlich, dass deine Eltern sich ihrer Sache so sicher waren, dass sie einen Test gar nicht für notwendig erachtet haben, oder?“

„Na bravo … das hätte auch von Carlotta kommen können! Aber als Mutter eines illegitimen Kindes, dessen Vater sie eisern geheim hält, ist das wohl eine natürliche Reaktion.“ Normalerweise sprach Sophia nie so offen über die prekäre Situation ihrer Lieblingsschwester, doch momentan stand sie ziemlich neben sich.

Die Geburt des kleinen Luca hatte natürlich auch ihre Schwester aus der Gunst ihres Vaters katapultiert, Sophia und sie aber nur umso enger zusammengeschweißt. Und das, obwohl Carlotta eine Zwillingsschwester hatte.

Die Erwähnung von Carlottas kleinem Sohn versetzte Ash einen feinen Stich. Als er Nasreen zu seiner Frau und Maharani von Nailpur machte, hatte er sich vor allem eines aus dieser Verbindung ersehnt: ein eigenes Kind.

Doch Nasreen hatte ihn vertröstet und behauptet, sie wolle zunächst die Zeit mit ihm allein genießen. Damals hatte er sich geschmeichelt gefühlt und nachgegeben. Bis er von ihr selbst den wahren Grund erfahren hatte, aus dem sie niemals ein Kind zur Welt bringen wollte.

Natürlich war sein Wunsch nach einem Erben und Nachfolger groß gewesen, aber es hatte noch einen tiefer gehenden Grund für seinen starken Kinderwunsch gegeben. Es war die Einsamkeit, in der er selbst aufgewachsen war. Sie hatte schon sehr früh die Sehnsucht nach jemandem aufkeimen lassen, den er vorbehaltlos lieben konnte.

Eines Tages musste er wieder heiraten und eine aus reinen Vernunftgründen geschlossene Ehe führen, aber die Kinder, die daraus hervorgingen, würden endlich seinen Hunger nach wahrer, aufrichtiger Liebe stillen.

„Tja, das hat wohl tatsächlich niemand von Carlotta erwartet“, war alles, was ihm noch einfiel zu sagen.

„Nein, Carlotta galt immer als die Brave“, gab Sophia zu und schnitt eine Grimasse. „Ich denke, wenn man so etwas überhaupt einer von uns zugetraut hätte, dann wahrscheinlich mir. Versuch jetzt nicht, mir zu widersprechen. Wir wissen beide, dass es so ist“, schnitt sie Ash den Faden ab, bevor er überhaupt zum Zug kam. „Und wenn es mir passiert wäre, hätte ich auf jeden Fall wie Carlotta reagiert und das Baby behalten.“ Plötzlich wurde ihr Gesicht ganz weich. „Luca ist ein echter Schatz. Manchmal wünschte ich sogar, er wäre mein Sohn. Für meinen Vater wäre das allerdings der letzte Nagel zu seinem Sarg von meiner Seite! In dem Fall hätte er mich unter Garantie endgültig enterbt und verstoßen.“

„Immerhin will er dich mit einem Vertreter des Hochadels verheiraten. Könnte das kein Indiz dafür sein, dass er dich doch für seine Tochter hält?“, versuchte Ash, die emotionalen Wogen ein wenig zu glätten, und hätte seine Worte am liebsten gleich wieder zurückgenommen, als er Sophias Blick begegnete.

Zumindest hatte er es geschafft, ihre anstrengende Konversation abrupt zu beenden. Nur richtig freuen konnte er sich darüber nicht.

Als die Stille zwischen ihnen unerträglich zu werden drohte, wandte sich ihm Sophia wieder zu. „Du kennst meinen Vater offensichtlich kein bisschen“, sagte sie rau. „Alles, was er plant und entscheidet, tut er nur für sich und für keinen von uns. So war es immer, und so wird es immer sein. Unsere Gefühle, Ängste und Sorgen bedeuten ihm nichts. Und mich hat er noch nie verstanden. Du könntest mir helfen, Ash, und es würde dich nicht viel kosten. Mein Vater wäre bereit, den spanischen Prinzen wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen, wenn du nur …“

„Ich bezweifle, dass er uns einen derartigen Schwindel abnehmen würde“, protestierte Ash hastig. „Ein paar Stunden vorgespieltes Tête-à-Tête lässt mich doch nicht gleich im Licht eines potenziellen Schwiegersohnes erscheinen!“

„Soll ich es dir beweisen?“

„Ich glaube, wir lassen dieses unsinnige Thema lieber fallen“, wehrte er hastig ab. Nicht nur, dass er dieses ganze Gefühlschaos langsam satthatte, im Grunde war er sogar auf der Seite von Sophias Vater. Auch in seinen Augen besaß eine Vernunftehe mit dem Ziel, die Erbfolge und den Erhalt eines Geschlechts zu sichern, die besseren Chancen auf Langlebigkeit als eine Verbindung aus emotionaler Verblendung.

Man musste sich nur Sophias Eltern ansehen. Trotz aller Gerüchte um den englischen Architekten und Königin Zoe war ihre Ehe immer noch stabil. Außerdem war Sophia inzwischen erwachsen und konnte für sich selbst sorgen.

„Ich muss mich bald verabschieden. Hör zu, Sophia, wenn du mit deinem Vater ruhig und ernsthaft über deine Gefühle redest, bin ich sicher, dass er dir genügend Zeit lassen wird, dich an deinen zukünftigen Ehemann zu gewöhnen.“

Dass sie ihm zum ersten Mal nicht widersprach und ihre Reaktion auf seine tröstenden Worte nur in einem trotzigen Schulterzucken bestand, hätte ihn erleichtern sollen, aber so war es nicht. Fast hätte Ash laut aufgestöhnt.

Erst recht, als er sah, wie durch die heftige Bewegung die hauchdünnen Spaghettiträger von Sophias Seidenrobe über ihre Schultern herabglitten und ihm einen Blick auf ihre vollen Brüste gewährten, der seinen Mund ganz trocken machte.

„Wenn du nicht willst, dass jeder Mann in diesem Raum zu Gesicht bekommt, was eigentlich nur deinem Liebhaber vorbehalten sein dürfte, solltest du irgendetwas mit deinem Kleid unternehmen“, warnte er sie.

Sophia starrte ihn verständnislos an. Dann folgte sie seinem Blick, keuchte erschrocken auf und wich zurück, wobei sie mit der Schuhspitze in den Saum des langen Kleids geriet. Dadurch rutschte die enge Korsage noch tiefer herunter.

Geistesgegenwärtig zog Ash Sophia an sich, um sie vor neugierigen Blicken abzuschirmen, und spürte mit Entsetzen, dass der warme Druck ihrer prallen Brüste eine verheerende Reaktion zur Folge hatte.

„Du … du musst mir helfen“, raunte sie erstickt. „Öffne den Haken in meinem Rücken und zieh den Reißverschluss ein Stück auf, damit ich die Korsage wieder hochziehen kann!“

Ash zählte eisern von hundert rückwärts, während er tat wie geheißen.

„Nicht so weit runter!“, zischte Sophia mit brennenden Wangen, als sie merkte, wie sich ihr Oberteil endgültig verabschiedete. Nur gut, dass es niemand sehen konnte, da Ash sie so dicht an sich gepresst hielt.

„Zieh das Ding endlich hoch, damit ich den Reißverschluss schließen kann“, forderte ihr Retter ungeduldig.

„Wie denn, wenn du mir kaum Luft zum Atmen lässt?“, fauchte Sophia zurück. „Nein, nicht bewegen, sonst kann mich jeder so sehen!“

„Das dürfte für die meisten doch nichts Neues sein“, konnte er sich in seiner Bedrängnis nicht verkneifen und verwünschte sich innerlich, als er Tränen in ihren wundervollen Augen aufsteigen sah. „Verzeih mir, das war eine rüde, überflüssige Bemerkung. Lass mich dir helfen …“

Als sie gleichzeitig versuchten, die goldene Korsage mit den kostbaren Stickereien wieder an den richtigen Platz zu bringen, berührten sich ihre Hände. Ash zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. Dabei streifte er die verführerische Rundung von Sophias Brust, was seinen angespannten Körper vollends in Flammen setzte.

Sekundenlang schauten sie einander atemlos in die Augen. Keiner wagte den Zauber, der sie gefangen hielt, zu durchbrechen.

Sophia war schockiert über ihre heftige Reaktion auf die zufällige Berührung, und Ash focht einen stummen Kampf mit sich selbst aus, den der Ehrenmann in ihm gewann. „Halt jetzt still“, knurrte er, legte noch einmal die Arme um sie und zog den Reißverschluss in Sofias Rücken mit einem Ruck hoch.

Inzwischen war er an einem Punkt angelangt, wo er nur noch an schnellen Rückzug denken konnte, bevor seine Selbstkontrolle ihn noch schmählicher im Stich ließ. Doch dann sah er zu seinem Entsetzen, dass König Eduardo ihnen eindeutige Zeichen gab. Unmöglich, den royalen Befehl zu ignorieren.

„Ich befürchte, dein Vater will uns sehen“, informierte er Sophia mit kaum verhohlenem Seufzen.

Als sie am Tisch eintrafen, reichte man ihnen Champagnerflöten, um auf das junge Glück anzustoßen. Sophia war so darauf versessen gewesen, den Kuppelversuchen ihres Vaters zu entkommen, dass sie darüber fast den eigentlichen Anlass der Party vergessen hatte: Alex’ Verlobung mit Allegra Jackson.

Bobby Jackson, der Brautvater, kam etwas unsicher auf die Füße und polterte eine verschwommene Gratulationsrede in Richtung des jungen Paars. Als er endlich fertig war, hoben alle erleichtert ihr Glas zum Toast, während ringsum spöttisches Raunen als Reaktion auf seinen peinlichen Auftritt zu hören war.

„Ash, wie schön dich nach so langer Zeit wiederzusehen“, hieß Königin Zoe den Begleiter ihrer jüngsten Tochter herzlich willkommen, wobei die Brillanten in ihrer Tiara mit den Kerzen in den Kronleuchtern um die Wette funkelten. Geschickt verbarg sie ihre Verlegenheit und die stumme Missbilligung der neuen Verwandtschaft hinter höflichem Small Talk, während Sophia sich wieder einmal abgeschoben fühlte.

Auch König Eduardo formulierte einen, diesmal allerdings sehr förmlichen Trinkspruch, während Sophia sehnsüchtig zu Ash sah, der sie nicht beachtete.

„… wobei Alessandros Verlobung als eine Art Auftakt zu weiteren Feiern dieser Art hier im Palast angesehen werden darf“, hörte sie plötzlich ihren Vater bedeutungsvoll annoncieren und registrierte erst jetzt, dass er dabei in ihre Richtung schaute. „Ich freue mich, Ihnen allen mitteilen zu können, dass in Kürze auch der Verlobte meiner jüngsten Tochter Sophia in unserem schönen Santina eintreffen wird.“

Sophia war wie betäubt, doch kaum, dass sie sich vom ersten Schock erholt hatte, setzte der Schmerz ein.

Innerhalb von Sekunden war sie von Paparazzi und strahlenden Gratulanten umringt, die sie nie zuvor gesehen hatte. So schwach, hilflos und allein wie in diesem Moment hatte sie sich in ihrem ganzen Leben noch nicht gefühlt.

Instinktiv suchte sie Ashs Blick, doch die Blitzlichter der Fotografen blendeten sie und ließen ihre Augen tränen. Ein Reporter rammte ihr fast ein Mikrofon in den Hals. Offenbar erwartete man von ihr eine Reaktion auf die Ankündigung ihres Vaters.

„Ich …“, stammelte sie.

„Meine Tochter ist sehr glücklich über ihre Verlobung, nicht wahr, Sophia?“

Immer noch unter Schock und gewohnt, sich schlussendlich doch dem Willen ihres Vaters zu beugen, brachte sie nur ein einziges Wort hervor.

„Ja.“

An Königin Zoes Seite nahm Ash die surreale Szene mit äußerst gemischten Gefühlen auf. Die Erkenntnis, dass seine hervorragendste Emotion offenbar Eifersucht auf den unbekannten spanischen Prinzen war, befremdete ihn zutiefst.

„Was für eine Erleichterung, dass sie doch noch Einsicht gezeigt hat“, gab Sophias Mutter neben ihm ihrer Freude Ausdruck. „Der Presseklatsch über sie hat den König sehr geärgert. Die standesgemäße Heirat wird ihr und Santina guttun. Der König ist davon überzeugt, dass der Prinz einen guten Einfluss auf unsere Tochter ausüben und sie wieder an ihre königlichen Pflichten erinnern wird.“

„Hallo, Kleines …“ Sophia wandte den Kopf, als sie eine Hand auf ihrem Arm spürte, und blickte direkt in das besorgte Gesicht ihrer Schwester Carlotta.

„Ich fasse es nicht, dass Vater es wirklich getan hat“, flüsterte Sophia. „Er weiß doch genau, dass ich mich nicht verloben will. Ich kann unmöglich länger bleiben, Carlotta. Ich … ich verschwinde von hier …“

Das gelang ihr zwar nicht gleich, doch als sie endlich in der Sicherheit ihres Zimmers angekommen war, ließ sie den Tränen freien Lauf. Sie zitterte von Kopf bis Fuß, während sie wahllos Kleider, Hosen und Unterwäsche in einen großen Koffer warf, den sie aus ihrem begehbaren Kleiderschrank geholt hatte.

Auch wenn sie keinen konkreten Plan hatte, wusste sie, dass sie keine weitere Nacht im elterlichen Palast bleiben würde.

Als ihr Handy eine SMS meldete, gefror sie zur Salzsäule. Es war eine Nachricht von Carlotta, die wissen wollte, ob mit ihr alles in Ordnung sei. Nach kurzem Zögern verzichtete Sophia auf eine Antwort, weil sie ihre Schwester weder in einen Gewissenskonflikt bringen noch womöglich an ihrer Flucht gehindert werden wollte. In wenigen Stunden würde sie in London sein, wo sie sich zunächst bei Freunden verstecken konnte.

Habe ich überhaupt wirkliche Freunde? fragte sie sich plötzlich beklommen.

Konnte man die aufgedrehte Truppe, die unaufhörlich von Party zu Party zog, überhaupt als solche bezeichnen?

Sie würde neue Freunde finden … und einen Job. Alles, solange sie nur nicht den Mann heiraten musste, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte!

Während sie im Kopf die Checkliste mit den notwendigsten Sachen durchging, schlüpfte Sophia in ein praktisches Kleid mit passender Leinenjacke. Pass, etwas Bargeld … alles da. Kurzfristig einen Platz im Flieger zu bekommen, war dank ihres Namens kein Problem. Mit etwas Glück wäre sie in London, bevor ihr Verschwinden überhaupt bemerkt wurde.

Dort wollte sie endlich ein neues Leben beginnen. Eines, in dem niemand außer ihr die Kontrolle hatte.

„Was? Der letzte Flieger ist bereits weg?“

„Ja, Eure Hoheit. Schon seit Stunden. Wegen der zahllosen Privatjets mussten wir die meisten Flüge stornieren. Die nächste Maschine nach London geht erst morgen früh. Viele Plätze sind allerdings schon von Journalisten belegt.“

Bei der Vorstellung, in Gesellschaft neugieriger Paparazzi reisen zu müssen, wurde Sophia übel. Jetzt war sie nicht nur in einer ungewollten Ehe gefangen, sondern auch noch auf der Insel!

„Vielleicht kann Ihnen ja einer der Partygäste einen Platz in seinem Privatjet anbieten“, schlug die junge Angestellte mit scheuem Lächeln vor.

„Nein danke, ich denke …“ Was immer sie dachte, behielt Sophia für sich, weil ihr einfiel, dass Ash die Verlobungsparty frühzeitig verlassen wollte, um einen wichtigen Termin in Indien wahrzunehmen. „Wissen Sie, ob der Maharadscha von Nailpur schon abgeflogen ist?“, fragte sie mit klopfendem Herzen.

Das Mädchen sah in einer Liste nach. „Der Start ist in zwanzig Minuten, Eure Hoheit, aber der Maharadscha fliegt nicht nach London, sondern nach Mumbai.“

Sophia nickte nur und griff nach ihrem Koffer. Nachdem er wusste, wie sie sich fühlte, und den Auftritt ihres Vaters mitbekommen hatte, würde Ash ihr doch sicher helfen. Er musste es einfach tun! Am besten, sie fragte ihn gar nicht, sondern schmuggelte sich heimlich in seinen Jet und klärte die Angelegenheit später in der Luft. Von Mumbai aus würden sicher jede Menge Flüge nach London gehen.

Trotz ihres glamourösen Lebensstils war Sophia nicht leichtsinnig und hatte sich ein wenig Geld zur Seite gelegt. Auf jeden Fall genug für den Rückflug von Indien nach England, und danach … darum würde sie sich später kümmern.

Falls sich die Sicherheitsbeamten wunderten, dass die Prinzessin allein und mit ihrem Koffer im Schlepptau am Counter auftauchte, der dem Königshaus und seinen Gästen vorbehalten war, ließen sie es sich zumindest nicht anmerken.

Ihre höflichen Ehrbezeugungen stärkten Sophia den Rücken, machten ihr aber auch zum ersten Mal wirklich bewusst, was sie gerade im Begriff war zu tun. Und wie ihre Familie – ganz besonders ihr Vater – dieses skandalöse Verhalten aufnehmen würde.

Wenn sie die ungeschriebenen Gesetze des Königshauses von Santina brach, gab es für sie kein Zurück mehr, ohne dass der König sein Gesicht verlor.

Sophia zögerte nur kurz. Dann tauchte vor ihrem inneren Auge ein Bild auf, in dem sie an der Seite eines Fremden vorm Altar stand. Energisch schob sie das Kinn vor. Plötzlich bekam sie noch Angst, jemand im Palast könnte ihre Abwesenheit inzwischen bemerkt haben und versuchen, sie an ihrer Flucht zu hindern. Mehr brauchte es nicht, um sie durch die Tür hinaus in die kühle Aprilluft zu treiben. Mit festen Schritten lief sie über den roten Teppich, der sie zu dem Privatjet führte, auf dessen Seite das royale Wappen des Maharadschas von Nailpur prangte.

Niemand hinderte sie daran, die schmale Gangway hinaufzugehen. Nicht gewohnt, ihr Gepäck tragen zu müssen, geriet Sophia etwas außer Atem, als sie den schweren Rollcollie ins Flugzeuginnere bugsierte.

Im Vergleich zu anderen Privatjets war die Hauptkabine elegant, aber schlicht und geschäftsmäßig ausgestattet. Offensichtlich nutzte Ash sie in erster Linie als mobiles Büro. Die nächste Kabine dominierte ein großzügiges Doppelbett, eine weitere Tür führte ins angrenzende Bad.

Durch ein Fenster der abgedunkelten Schlafkabine konnte Sophia Ash sehen, der in Begleitung eines uniformierten Stewards mit energischen Schritten über den roten Teppich auf seinen Jet zustrebte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sekundenlang drohte sie in Panik zu verfallen. Doch dann riss sie sich zusammen, überlegte kurz, griff nach ihrem Koffer und zwängte sich, zusammen mit dem unförmigen Gepäckstück, ins angrenzende Bad.

Ein schneller Rundumblick zeigte ihr, dass es ebenso schlicht und praktisch ausgestattet war wie der Rest. Mit einer überraschend großzügigen Duschkabine und allen notwendigen Utensilien zur Körperpflege. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass es im vorderen Teil des Jets ein zweites Bad gab, damit die Chance, bis nach dem Abflug unentdeckt zu bleiben, wenigstens eine reelle war.

Sobald die Tür des Jets sich hinter ihm geschlossen hatte, zog Ash das Jackett aus, setzte sich an den Schreibtisch und klappte seinen Laptop auf. Höchste Zeit, sich auf das Meeting in Mumbai vorzubereiten.

Eigentlich hatte er vor seinem Aufbruch aus dem Schloss noch mit Sophia sprechen wollen, sie aber nicht finden können. Vielleicht war das auch besser, sonst hätte sie ihn womöglich nur weiter gedrängt, ihr zu helfen. Und wenn …

Mit einer ungeduldigen Geste schob er das Notebook von sich und stand auf. Warum wollte dieser brennende Schmerz in seinem Inneren einfach nicht verschwinden? Weder unkontrolliertes sexuelles Verlangen noch Sophia selbst hatten Platz in seinem Leben!

In ihrem Versteck hielt Sophia den Atem an, während der Jet über die Landebahn rollte. Sie holte erst wieder Luft, als der Flieger vom Boden abhob und es absolut kein Zurück mehr für sie gab.

Spätestens morgen früh wusste ihre Familie, dass sie geflohen war. Ihr Vater würde eine Mordswut auf sie haben. Aber wie sollte sie ihm sonst klarmachen, dass sie absolut nicht bereit war, sich vor den Altar zwingen zu lassen?

Behutsam öffnete sie die Tür und lauschte ins Dunkel. Unter der Tür zur Hauptkabine bemerkte sie einen schmalen Lichtstreifen. Sie ging darauf zu, zögerte und blieb stehen. Wenn sie sich nur nicht so schrecklich einsam und verlassen fühlen würde. So lief sie Gefahr, sich Ash womöglich wieder an den Hals zu werfen. Aber diesmal, um Trost und Unterstützung zu suchen.

Erfolglos versuchte Ash, den Steward zu ignorieren, der Jamal ersetzte, weil dieser sich um seine kranke Mutter kümmern musste. Der Mann war ihm suspekt, viel zu beflissen, und wann immer er hochschaute, begegnete er seinem lauernden Blick. Brüsk lehnte Ash den angebotenen Drink ab und schaute auf seine Uhr.

Eine Stunde nach Mitternacht. Eingedenk des Zeitunterschieds würde er gegen neun Uhr dreißig in Mumbai landen. Das Meeting hatte er, um Zeit zu sparen, in sein Penthouse-Büro im Herzen der City verlegt. Nach dem Treffen wollte er so schnell wie möglich nach Nailpur in Rajasthan weiterfliegen, um seinen gewohnten Geschäften nachzugehen.

Sein Handy meldete eine SMS. Ash lächelte flüchtig, als er sah, dass die Nachricht von seinem Freund Hassan kam, der es bedauerte, ihn auf der Verlobungsparty verpasst zu haben. Mit den Jahren trafen Alex, Hassan und er sich tatsächlich immer seltener, da sie alle drei sehr beschäftigt waren. Doch daran war leider nichts zu ändern.

Vielleicht solltest du dich auch verloben und eine Party schmeißen, schrieb Ash zurück und konzentrierte sich wieder auf die Zahlen und Fakten, um die es im anstehenden Meeting gehen würde.

Das Geld, das er aus der Umstrukturierung der familieneigenen Paläste in Luxushotels zu erwarten hatte, war nicht für die Privatkasse gedacht, sondern für sein Volk. Ash lehnte sich in seinem Sitz zurück und dachte an das junge, höchst qualifizierte Managerteam aus dem Agrarbereich, das er vor einiger Zeit zusammengestellt hatte. Gemeinsam arbeiteten sie daran, die Bauern zu überzeugen, ihre Erträge durch den Einsatz moderner Geräte und innovativer Anbaukulturen zu optimieren. Dem Misstrauen und der mangelnden Flexibilität der älteren Landbevölkerung begegneten sie mit Stipendien, die für ihre Söhne und Töchter gedacht waren, damit diese nach einem Agrarstudium in ihre Dörfer zurückkehrten, um die Neuerungen durchzusetzen.

Als der neue Steward aus der Bordküche kam und ihn fragte, ob er etwas essen oder trinken wolle, sah Ash auf.

Währenddessen saß Sophia in der Schlafkabine auf der Bettkante, nagte an ihrer Unterlippe und starrte ins Dunkel. Sie wagte nicht, Licht zu machen, aus Angst entdeckt zu werden, bevor sie einen klugen Schlachtplan parat hatte.

Gerade als sie sich entschlossen hatte, Ash zumindest schon einmal mit ihrer Anwesenheit an Bord zu konfrontieren, hörte sie zwei Männerstimmen aus der benachbarten Kabine und ließ sich gleich wieder aufs Bett zurückfallen. Besser, sie wartete, bis Ash allein war. Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Gähnen. Es war ein langer und emotional unglaublich anstrengender Tag gewesen. Sie fühlte sich ausgelaugt und schrecklich steif.

Und das weiche Bett war äußerst verlockend …

Zu verlockend, um zu widerstehen, beschloss Sophia spontan. Zwei Minuten später hatte sie mechanisch Schuhe, Jacke und Kleid abgestreift und rekelte sich wohlig unter der luxuriösen Bettwäsche aus ägyptischer Baumwolle. Dass ihr die Augen zufielen, merkte sie schon gar nicht mehr.

4. KAPITEL

Vier Uhr. Immer noch würde es Stunden dauern, bis sie in Mumbai landeten. Und die konnte er genauso gut im Bett verbringen, beschloss Ash und klappte den Laptop zu. Er ging in die Schlafkabine und ohne das Licht anzuschalten gleich weiter ins Bad, wo er sich auszog und duschte.

Anschließend zog er einen der beiden Frotteebademäntel über, die an der Tür hingen, machte Licht im Schlafraum und erstarrte, als sein Blick aufs Bett fiel.

„Sophia! Was zum Teufel …“

Sein entsetzter Ausruf riss sie unsanft aus ihrem Schlummer. Benommen rappelte sie sich auf und zog die Decke an sich, um ihren nackten Oberkörper zu verbergen. Wenn ihr Herz nur nicht so heftig schlagen würde.

„Tut mir leid, Ash, aber ich wollte gerade zu dir kommen und dir sagen, dass ich hier bin, als ich dich mit jemand reden hörte. Dann war ich plötzlich todmüde und bin versehentlich eingeschlafen.“

„Unsinn!“, herrschte er sie an. Sophias Anwesenheit in seinem Jet und in seinem Bett war das Letzte, was er momentan brauchen konnte. Die erzwungene Intimität in der engen Kabine und der schlafwarme Duft ihrer nackten Haut erregten ihn gegen seinen Willen. „Das hast du genau so geplant, nachdem ich dir meine Hilfe versagt habe, nicht wahr? Aber ich lasse mich nicht gern zu etwas zwingen, Sophia!“

Unter jedem seiner Worte war sie mehr in sich zusammengesunken. Wie konnte er sie nur eines faulen Tricks und einer Lüge bezichtigen? „Das stimmt nicht!“, rief sie empört. „Als ich zum Flughafen kam, habe ich erfahren, dass wegen der vielen Gäste, die mit eigenem Jet gekommen sind, alle regulären Flüge gestrichen wurden. Dann sagte die nette junge Frau am Counter, du würdest als erster …“

„Und da bist du einfach an Bord spaziert“, vollendete er höhnisch ihren Satz. „Hast du auch nur die leiseste Vorstellung, welche diplomatischen Verwicklungen du mit deiner schwachsinnigen Idee provozierst? Und dabei rede ich nicht allein von deinem Vater! Was glaubst du, wie dein zukünftiger Gatte auf die Nachricht reagieren wird, dass du nur Stunden nach der Ankündigung eurer Verlobung mit einem anderen Mann durchgebrannt bist?“

„Er wird nie mein Ehemann sein. Niemals! Und ich wünschte wirklich, dies wäre nicht dein Jet, Ash. Doch leider hatte ich keine Wahl. Aber ich werde mich nicht für die Ambitionen meines Vaters opfern. Ich will einfach nur nach London. Sobald wir in Mumbai gelandet sind, nehme ich den nächsten Flieger dorthin. Du musst nie wieder etwas mit mir zu tun haben. Ich dachte immer, du wärst etwas ganz Besonderes, Ash. Jemand, an den ich mich wenden könnte, wenn ich in Not bin. Dumm von mir, da ich doch schon einmal brutal von dir abgewiesen wurde, als …“

„Als du mir mit süßen sechzehn deine Jungfräulichkeit angeboten hast, willst du sagen?“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Und jetzt wirfst du mir vor, dass ich so brutal war, dich vor den Folgen deines unüberlegten Handelns zu bewahren, anstatt deine Naivität auszunutzen?“

Sophia schüttelte heftig den Kopf. „Ich …“

„Und genau das beabsichtige ich auch diesmal zu tun“, schnitt er jeden Protest ab. „Ich werde mich nicht zum Handlanger deiner unausgegorenen Fluchtpläne machen. Wieso überhaupt London?“

„Dort habe ich wenigstens Freunde“, kam es trotzig zurück.

„Oder Geliebte?“

„Nein!“ Wenigstens das war die absolute Wahrheit. Hoffentlich hakte Ash nicht weiter nach. Denn ob ihre sogenannten Freunde, die eigentlich eher flüchtige Bekannte waren, ihr tatsächlich weiterhelfen würden, stand noch in den Sternen. Und das war nicht einmal ihr größtes Problem, wie Sophia gerade feststellte.

Jetzt, da der erste Schock vorüber war, wurde ihr bewusst, dass Ash unter dem nachlässig zugeknoteten Bademantel völlig nackt sein musste. Dazu stand er kaum einen Meter von ihr entfernt.

Als er abrupt begann, nervös in der engen Kabine auf- und abzulaufen, folgte sie mit verstecktem Blick jeder Bewegung seines geschmeidigen, kraftvollen Körpers. Wie eine gefährliche Raubkatze in einem viel zu engen Käfig! dachte Sophia schaudernd und starrte wie hypnotisiert auf die dunklen Brusthaare im losen Ausschnitt des weißen Frotteemantels. Wenn Ash weiter so aggressiv herumtigerte …

„Ich werde den Piloten anweisen umzudrehen und …“

„Nein!“ Sophias Panik war so groß, dass sie sich spontan nach vorn warf, um Ashs Arm zu erwischen und ihn zurückzuhalten. Dabei rutschte die Decke herunter, hinter der sie sich versteckt hatte.

Ihre Brüste waren genauso wie in seinen kühnsten Fantasien, die Taille genauso schmal, die Hüften sanft gerundet und der winzige Slip eher Provokation als Kleidungsstück. Ash kapitulierte. Egal wie sehr er versucht hatte, sich etwas vorzumachen, er begehrte diese Frau mit einer Kraft und einem Hunger, die ihm selbst Angst machten. Ihre seidige Haut schimmerte golden im sanften Schein der Lampe und bildete einen perfekten Kontrast zu der blütenweißen Bettwäsche. Und das wortlose, süße Versprechen des weichen warmen Körpers wurde durch das nüchterne, eher maskuline Ambiente noch unterstrichen.

Der Jet sackte unerwartet in ein Luftloch. Sophia, die hektisch versuchte, ihre Blöße zu bedecken, stieß einen erschreckten Laut aus und wurde unsanft über die Bettkante befördert. Instinktiv streckte Ash eine Hand nach ihr aus, zog sie gleich wieder zurück … doch es war zu spät.

Seine Finger trafen auf warme, nackte Haut, und er war verloren. Wie unter einem Zwang beugte er sich vor, umschloss Sophias milchweiße Brüste mit den Händen, neigte den Kopf und küsste fast andächtig eine der rosigen Knospen.

Das durfte nicht passieren, es konnte einfach nicht sein! sagte sich Sophia und gab sich zugleich mit allen Sinnen dem berauschenden Gefühl hin, Ash endlich so nahe zu sein wie in ihren sehnsüchtigsten Träumen. Halbherzig versuchte sie, sich ihm zu entziehen, doch alle Kraft schien sie verlassen zu haben. Stattdessen strömte das Blut heiß durch ihre Adern, und die Gewissheit, endlich am richtigen Platz zu sein, breitete sich wie süßes Gift in ihrem ganzen Körper aus.

Sobald sie Ashs Gewicht auf sich spürte, wusste sie es. Was jetzt folgte, würde den Schmerz darüber, dass er sie damals zurückwies, ein für alle Mal auslöschen.

Bereitwillig bog sie sich ihm entgegen. Ash stöhnte unterdrückt auf. Sie roch nach Vanille und Mandeln und war so weich und einladend, dass ihm ganz schwindelig wurde.

Als es an der Tür klopfte, war er dem Paradies schon so nah, dass er nur schwer in die Realität zurückfand. Ihm blieb kaum Zeit, Sophias Blöße mit der Decke und seine eigene unter dem Bademantel zu verbergen, bevor der Steward die Schlafkabine betrat.

Die Augen des Mannes weiteten sich, während er blitzschnell eine Bestandsaufnahme machte. Bereits im Rückzug murmelte er eine Entschuldigung und informierte seinen Boss noch knapp, dass der Flugkapitän ihm ausrichten ließe, sie würden wegen der unerwarteten Turbulenzen wahrscheinlich eine Viertelstunde später als geplant in Mumbai landen.

Anstatt heißer Lust verspürte Ash nur noch Abscheu und tiefen Widerwillen gegenüber seiner fatalen Schwäche. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können?

„Besser, du ziehst dir etwas über“, sagte er kalt. Stumm und einander den Rücken zugekehrt kleideten sie sich an und gingen in die Hauptkabine.

Wie, um alles in der Welt, hatte es nur zu dieser peinlichen Situation kommen können? fragte sich Sophia und fühlte sich immer noch ganz krank vor Schock. Starr und verkrampft saßen sie nebeneinander und hingen den eigenen Gedanken nach. Sophia hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, bis der Kapitän über den Bordlautsprecher die bevorstehende Landung ankündigte.

Ashs knappe Anweisung, sich anzuschnallen, waren die einzigen Worte, die während der ganzen Zeit fielen. Sein harter Ton verstärkte ihr Unbehagen noch, und der Blick, den der im Hintergrund lauernde Steward ihr zuwarf, während sie mit zitternden Fingern seinem Befehl Folge leistete, trieb heiße Schamesröte auf ihre Wangen. Kein Zweifel, dass der Mann genau zu wissen glaubte, was in der Schlafkabine geschehen war.

Ähnlich wissenden und gleichzeitig lüsternen Blicken anderer Männer sah sich Sophia regelmäßig ausgesetzt. Allerdings stärkte ihr bei derartigen Gelegenheiten die Gewissheit das Rückgrat, noch nie mit einem Mann im Bett gelegen zu haben. Doch eingedenk ihres zügellosen Benehmens von vorhin hatte sie diesen Schutzpanzer selbst zerstört. Für den Rest ihres Lebens würde sie nun der Tatsache ins Auge sehen müssen, dass sie eine ebenso leichte Beute ihrer Begierden war wie die losen Frauenzimmer, für die sie bisher immer nur Verachtung übrig gehabt hatte.

Sophia seufzte. Anstatt einer rosigen Zukunft stand ihr nun ein anstrengender, einsamer Rückflug nach London bevor. Sie konnte nur hoffen, nicht allzu lange in Mumbai darauf warten zu müssen. Mit einem erneuten Seufzer sah sie auf die Uhr. Zuhause würde ihr Mädchen gleich entdecken, dass sie nicht in ihrem Bett übernachtet hatte, und den ganzen Palast in Alarm versetzen.

Obwohl sich ihr Magen bei dem Gedanken verkrampfte, war Sophia sich immer noch sicher, den spanischen Prinzen unter keinen Umständen zu heiraten.

Ash löste seinen Gurt und stand auf. Mechanisch tat sie es ihm nach.

„Mein Koffer …“, rief sie ihm hinterher, als er ohne einen Blick in ihre Richtung dem Ausgang zustrebte.

„Der Steward wird sich darum kümmern.“

„Aber ich will so schnell wie möglich den nächsten …“ Weiter kam sie nicht, da sie in diesem Moment über Ashs Schulter hinweg die Horde von Journalisten und Fotografen sah, die am Fuß der Gangway auf sie lauerten.

„Ich nehme an, auch das gehörte zu deinem Plan!“, zischte Ash ihr zu, der ebenfalls wie festgefroren dastand. „Heimlich weglaufen, nur um dann alle Welt wissen zu lassen wohin!“

„Nein …“, flüsterte Sophia erstickt. „Damit habe ich nichts zu tun.“

Es gab kein Entkommen für sie, konstatierte Ash mit grimmiger Miene und umfasste ihren Oberarm mit hartem Griff. „Los, weiter …“

Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Während sie Seite an Seite die Gangway hinunterschritten, wurden sie von einem wahren Blitzlichtgewitter geblendet. Auf der untersten Stufe prasselten dann die intimsten Fragen auf sie ein.

„Ist es wahr, dass Sie ein Paar sind und Prinzessin Sophia einen Verlobten in Santina zurückgelassen hat?“

„Wollen Sie einen Kommentar zu dem Umstand abgeben, dass Sie beide die letzte Nacht zusammen verbracht haben?“

„Weiß König Eduardo, dass Sie zusammen sind? Oder beabsichtigt die Prinzessin vielleicht, zu ihrem Verlobten zurückzukehren?“

„Hat Ihnen das ‚spezielle Bordprogramm‘ auf dem Flug hierher Vergnügen bereitet, Eure Hoheit?“

Besonders der letzte Kommentar war endgültig zu viel für Sophia. Im instinktiven Wunsch, Schutz und Trost zu finden, barg sie ihren Kopf an Ashs Brust.

„Besten Dank, Darling!“, rief einer der Fotografen, „fabelhafter Schuss!“

„Also hatte ich doch recht“, knirschte Ash zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Das Ganze ist eine Inszenierung! Hast du denn überhaupt kein Schamgefühl? Wenn dir dein eigener Ruf schon nichts bedeutet, kannst du dann nicht wenigstens auf deine Familie und deinen Verlobten Rücksicht nehmen?“

„Ich habe absolut nichts damit zu tun“, verteidigte sich Sophia. Ihre Stimme klang dabei ganz klein und dünn vor Elend. Dass Ash ihr nicht glaubte, schmerzte ebenso sehr wie der Umstand, ihrer Familie unnötig geschadet zu haben. Bisher hatten skandalöse Presseberichte Sophia immer kalt gelassen, weil sie allein die Wahrheit wusste, aber in diesem Fall …

„Ich wollte nur nach London und mich später von dort bei meiner Familie melden. Warum sollte ich dann die Presse alarmieren? Das ist doch unlogisch.“

„Niemand außer dir hatte die Möglichkeit …“ Ash verstummte, als er aus den Augenwinkeln eine Szene beobachtete, die ihn eines Besseren belehrte. Sein Ersatzsteward, den er vom ersten Augenblick nicht hatte leiden können, erhielt von einem der Reporter einen Umschlag, den er sofort in seiner Jacke verschwinden ließ.

„Hier entlang“, befahl Ash grob, zog Sophia mit sich und bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Paparazzi. Offenbar war Sophia doch unschuldig. Zumindest an diesem Desaster! schränkte er gleich für sich ein, während er sie in die wartende Limousine drängte.

„Was soll das?“, wollte sie wissen. „Ich muss am Flughafen bleiben und mich um mein Rückflugticket kümmern.“

Autor

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