Julia Exklusiv Band 383

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RIVALEN KÜSST MAN NICHT! von CATHY WILLIAMS

Mehr als einen heimlichen One-Night-Stand hat Millionär Leo Conti nicht im Sinn, als er auf einer Geschäftsreise der betörenden Maddie begegnet. Doch am Morgen danach erfährt er schockiert: Er hat ausgerechnet die größte Rivalin in seinem aktuellen Businessdeal verführt!

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  • Erscheinungstag 07.12.2024
  • Bandnummer 383
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525862
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Williams

1. KAPITEL

Leo Conti saß auf der Rückbank seiner Limousine und betrachtete das altehrwürdige Gebäude am Ende der Allee. Beste Lage, perfekte Größe. Nur der leicht abblätternde Putz verriet, dass die Glanzzeit des alten Dubliner Kaufhauses längst vorbei war.

Doch aus Leos Sicht konnte es nicht besser laufen.

Sein Großvater Benito Conti hatte fast sein ganzes Leben lang vergeblich versucht, in den Besitz dieses Geschäftshauses zu gelangen. Er besaß zahlreiche Grundstücke und exklusive Einkaufszentren auf der ganzen Welt, aber auf dieses eine Gebäude hatte er fünfzig Jahre lang verzichten müssen.

Leo hatte ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Großvater, schließlich hatte Benito ihn großgezogen, nachdem er mit acht Jahren Waise geworden war. Doch er hatte nie verstanden, warum Benito die Jagd nach diesem alten Kaufhaus so zäh verfolgte. Obwohl Leo natürlich begriff, dass es bitter sein musste, wenn man vom besten Freund übers Ohr gehauen wurde.

Solange Leo denken konnte, hatte er miterlebt, wie sein Großvater versucht hatte, Tommaso Gallo das Gebäude abzukaufen.

„Bevor der alte Hund es mir verkauft“, hatte Benito oft geflucht, „lässt er es lieber verfallen! Wenn doch bloß sein verdammter italienischer Stolz nicht wäre! Nun, wenn es verfällt – und das wird es, so wie Tommaso seit Jahrzehnten sein Geld für Alkohol und Glücksspiel aus dem Fenster wirft –, dann stehe ich in der ersten Reihe und lache mir ins Fäustchen! Ehre ist für diesen Mann doch ein Fremdwort.“

Ehre, dachte Leo, während er den schlechten Zustand des Gebäudes in Augenschein nahm, ist ein irrationales Gefühl, das meistens alles verkompliziert.

„James, Sie können sich ein, zwei Stunden freinehmen.“ Leo lehnte sich zu seinem Chauffeur vor. „Besorgen Sie sich zur Abwechslung mal etwas Gesundes zu essen. Sie dürfen nicht immer dieses Fast Food in sich hineinstopfen. Ich melde mich, wenn ich hier fertig bin und Sie mich abholen können.“

„Wollen Sie das Haus denn sofort kaufen, Boss?“

Die Blicke der beiden Männer trafen sich im Rückspiegel. Tatsächlich war sein Chauffeur James einer der wenigen Menschen, dem Leo jederzeit sein Leben anvertraut hätte.

„Erst einmal“, erwiderte Leo, während er die Wagentür öffnete und einen Schwall sommerlicher Hitze hereinließ, „werde ich den Zustand des Ladens unter die Lupe nehmen. Am besten bleibe ich dabei unerkannt. Dann sehe ich, wie weit ich den Preis drücken kann. Wie ich gehört habe, soll der ehemalige Eigentümer bei seinem Tod einen Haufen Schulden hinterlassen haben. Der Erbe wird vermutlich so schnell wie möglich verkaufen wollen, bevor sich überall herumgesprochen hat, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt.“

Leo hatte keine Ahnung, wer der neue Besitzer war. Und er hätte wohl nie vom Tod des alten Mannes erfahren, wenn ihn sein Großvater nicht aus Hongkong zurückbeordert hätte, damit er das Kaufhaus so schnell wie möglich in den Familienbesitz brachte.

„Jetzt fahren Sie schon“, sagte Leo zu seinem Chauffeur. „Und während Sie sich einen Salat besorgen, können Sie auch gleich nach einem Pfandhaus Ausschau halten und den ganzen Schmuck loswerden, den Sie seit Jahren tragen.“ Leo grinste. „Hat Ihnen denn noch keiner gesagt, dass Siegelringe und dicke Goldketten total aus der Mode gekommen sind?“

James verdrehte in gespielter Empörung die Augen, wartete, bis sein Arbeitgeber die Tür zuwarf, und fuhr grinsend davon.

Gut gelaunt ging Leo auf die gläserne Drehtür des Kaufhauses zu. Nur eine Handvoll anderer Menschen folgte ihm, dabei war es Samstagvormittag und überall sonst herrschte geschäftiges Treiben. Allein das verriet schon eine Menge über den Zustand des Kaufhauses.

Vier Etagen Glas und Beton, die nur auf die Abrissbirne zu warten schienen. Leo zog im Geist bereits ein paar Hunderttausend Euro von dem Kaufpreis ab, der ihm eigentlich vorgeschwebt hatte.

Seinen Großvater würde das sicherlich sehr freuen. Es hätte ihn nämlich extrem gewurmt, wenn er einen Spitzenpreis für ein Haus hätte zahlen müssen, das eigentlich schon vor fünfzig Jahren in seinen Besitz hätte übergehen sollen. Aber Tommaso Gallo hatte sich nicht an den Handel gehalten, den er damals mit Benito geschlossen hatte …

Im Erdgeschoss des Kaufhauses ging Leo zur Rolltreppe, neben der sich ein Übersichtsplan für die verschiedenen Etagen befand. Dabei dachte er an das Zerwürfnis der beiden Männer.

Benito Conti und Tommaso Gallo, die aus demselben Dorf in Italien stammten, waren seit ihrer Kindheit beste Freunde gewesen. Gemeinsam waren sie nach Irland aufgebrochen, um dort ihr Glück zu versuchen. Eine gute Chance hatte sich ergeben, als sie von einem Ladengeschäft in einer zentralen Straße von Dublin erfahren hatten, das zu einem Spottpreis zu haben war. Den beiden Italienern war sofort klar gewesen, dass das Grundstück in wenigen Jahren ein Vermögen wert sein würde.

Am vernünftigsten wäre es gewesen, das Geschäft gemeinsam zu betreiben. Stattdessen hatten die beiden Männer nach einer durchzechten Nacht eine Münze geworfen. Der Sieger sollte alles bekommen, der Verlierer nichts. Ein Handschlag hatte die Wette besiegelt und Benito hatte das Spiel gewonnen. Das war der Anfang vom Ende ihrer Freundschaft, denn Tommaso hatte sich gleich am nächsten Morgen Geld besorgt und das Grundstück mit dem Ladengeschäft hinter Benitos Rücken gekauft.

Benito war verbittert nach London gezogen, wo er in wenigen Jahren zu einem vermögenden Geschäftsmann aufgestiegen war. Doch der Wortbruch seines ehemals besten Freundes wurmte ihn noch heute. Schon vor fünfzig Jahren hatte er sich geschworen, das Kaufhaus eines Tages in seinen Besitz zu bringen.

Leo war sich durchaus bewusst, dass er besänftigend auf seinen Großvater hätte einwirken können. Schließlich hatte das Kaufhaus seine Glanzzeit längst hinter sich gelassen und war kaum noch etwas wert. Aber er liebte seinen Großvater von ganzem Herzen und konnte verstehen, warum er sich selbst Jahrzehnte später noch immer nach ausgleichender Gerechtigkeit sehnte.

Für Leo hatte das Gebäude durchaus praktischen Wert. Mit ihm würde er seinen Immobilienbesitz erweitern und seine Geschäfte bis nach Irland ausdehnen können. Sein Großvater hatte ihm bereits zugesichert, dass er das Kaufhaus übernehmen konnte, sobald es sich im Besitz der Familie Conti befand. Benito ging es nur darum, dass der Name Gallo endlich durch den Namen Conti ersetzt wurde …

Leo arbeitete nicht nur als stellvertretender Geschäftsführer für das Imperium seines Großvaters, sondern besaß auch eigene Start-up-Unternehmen und mehrere Software- und IT-Firmen. In Niederlassungen auf der ganzen Welt konnten große Technikunternehmen auf Leos hoch spezialisiertes IT-Angebot zugreifen.

Das Geschäft in der Dubliner Innenstadt eignete sich hervorragend, um einen neuen Markt zu erschließen.

Leo ließ den Blick durchs Erdgeschoss schweifen und überlegte, wie er das alte Kaufhaus auf den modernsten Stand bringen konnte. Als Erstes würde er das Gebäude entkernen lassen. Teppichböden, Holzverkleidungen und wuchtiges Mobiliar waren vor Jahrzehnten vielleicht modern gewesen, aber sobald ihm das Geschäft gehörte, würde er die Relikte der Vergangenheit entfernen lassen. Nachdem er das Schild mit dem Namen Gallo erst einmal auf den Müll geworfen hatte, würde er dafür sorgen, dass auch von dem anderen alten Plunder nichts mehr übrig blieb.

Er wandte den Kopf und überlegte, in welcher Ecke er mit den Umbauarbeiten beginnen würde – da sah er sie.

Die Frau stand hinter einem Verkaufstresen mit Kosmetikprodukten und wirkte so fehl am Platz wie eine kostbare Perle inmitten von billigem Plastikschmuck. Obwohl sie von teuren Tiegeln umzingelt war, wies ihr Gesicht keinerlei Spuren der üblichen weiblichen Kriegsbemalung auf. Mit nachdenklichem Blick schaute sie auf die dunkelroten Cremetöpfe auf dem Glastresen und schob sie hin und her. Vermutlich versuchte sie, diese in irgendeiner ansprechenden Form zu präsentieren. Sie war die Verkörperung einer natürlichen Schönheit, und Leo merkte jetzt erst, dass er bei ihrem Anblick unwillkürlich die Luft angehalten hatte.

Seine Libido erwachte unvermittelt zum Leben. Das war nicht mehr geschehen, seit er sich vor drei Wochen von seiner jüngsten Eroberung getrennt hatte. Das internationale Topmodel hatte nämlich plötzlich angefangen, ihm mit ihren Erwartungen in den Ohren zu liegen. Als sie dann noch von einer festen Beziehung sprach, hatte Leo kurzerhand die Notbremse gezogen.

In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er die Frau seit einer Minute wie ein sexhungriger Teenager angestarrt hatte. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich.

Vor allem, weil diese Frau so gar nicht seinem Typ entsprach.

Sie war groß und gertenschlank. Mehr ließ sich über ihre Figur nicht sagen, denn sie trug die unförmige Einheitskleidung, die das Kaufhaus fürs Personal offenbar vorschrieb. Ihre großen Augen versprühten einen unschuldigen Charme, der bei Leo sämtliche Alarmglocken schrillen ließ. Ihre Haut hatte die Farbe von blassem Karamell, vermutlich hielt sie sich viel im Freien auf. Auch die Farbe ihrer im Nacken zusammengebundenen langen Haare ließ auf ausgiebige Sonnenbäder schließen. Sie waren kaum dunkler als ihre Haut, durchzogen von Strähnen in einem natürlichen hellen Blond.

Sie schien seinen Blick bemerkt zu haben, denn sie schaute plötzlich auf und starrte ihn an.

Ihre Augen …

Sie waren grün und glasklar.

Die körperliche Lust traf ihn wie ein Blitzschlag und er konnte seine Erregung kaum noch verbergen. Im Bruchteil von Sekunden hatte er vergessen, weshalb er überhaupt ins Kaufhaus gegangen war.

Als würde er magisch von ihr angezogen, ging Leo auf die Fremde zu. Sein Jagdtrieb war geweckt, er musste sie einfach haben. Nie zuvor hatte er eine Frau so dringend begehrt wie diese Schönheit. Und was Sex betraf, hatte Leo bisher jede Frau bekommen, die er wollte. Diese Frau hier begehrte er mit jeder Faser seines Körpers.

Je näher er ihr kam, desto hübscher fand er sie. Ihre großen Augen waren leicht mandelförmig und von langen dunklen Wimpern gerahmt, die das Grün noch intensiver leuchten ließen. Ihre vollen, leicht geöffneten Lippen hatten einen sehr sinnlichen Schwung. Und ihr Körper …

Das fürchterlich geschnittene weiße Kleid, das sie in der Taille mit einem Gürtel festhielt, hätte eigentlich ausreichen sollen, um Leos Verlangen im Keim zu ersticken. Stattdessen regte es seine Fantasie an. Er ertappte sich bei dem Gedanken, wie ihre Brüste wohl aussahen, wie sie sich unter seinen Lippen anfühlen würden, wenn sich die Brustwarzen aufrichteten …

„Kann ich Ihnen helfen?“ Maddies Herz schlug wie wild, trotzdem schenkte sie dem Fremden, der sie mit unverhohlenem Interesse anstarrte, ein zurückhaltend höfliches Lächeln.

Mann sieht Frau. Mann fühlt sich von Frau angezogen. Mann begibt sich auf kürzestem Weg zur Frau, weil er nur eins im Sinn hat: sie ins Bett zu kriegen.

Maddie war es gewohnt, dass das andere Geschlecht so auf sie reagierte. Und sie hasste dieses Höhlenmenschenverhalten wie die Pest.

Noch schlimmer war allerdings, dass dieser Mann eine Sekunde lang etwas anderes in ihr geweckt hatte als das Bedürfnis, sofort ihre üblichen Schutzmauern zu errichten.

In jener Sekunde hatte sie eine seltsame Hitze in ihrer Brust gespürt, als würde etwas in ihr schmelzen. Es war ein merkwürdiger Gedanke, der ihr fast ein wenig Angst machte.

„Interessante Frage“, murmelte der Mann und baute sich vor ihr auf.

Der Ausdruck in Maddies Augen schien ihn zu belustigen.

„Suchen Sie nach Pflegeprodukten?“, fragte sie unschuldig. „Dann sind Sie nämlich leider in der falschen Abteilung. Aber ich kann Ihnen gern zeigen, wo Sie fündig werden.“

Der Mann nahm einen der Cremetiegel, die Maddie gerade neu angeordnet hatte, und drehte ihn in der Hand.

„Ist das denn kein Pflegeprodukt?“

Sie nahm ihm den Behälter ab und drehte ihn so herum, dass er das Etikett lesen konnte. „Regenerierende Nachtcreme für die reife Haut ab sechzig“, erklärte sie knapp. „Haben Sie Interesse daran?“

„Oh, Interesse habe ich“, sagte er mit anzüglichem Unterton.

„Dann können Sie die Creme gern mitnehmen und zur Kasse gehen.“ Maddie verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr wurde klar, dass sie errötete. Und ihr war auch klar, dass ihr Körper nicht so reagierte, wie sie es sich gewünscht hätte. Das war ihr bisher nur einmal passiert. Dabei hatte sie tiefe Narben in ihrem Herzen davongetragen. Diesen Fehler würde sie ganz bestimmt kein zweites Mal machen! Schon gar nicht mit einem arroganten, unverschämt gut aussehenden Mann wie diesem Fremden!

„Soll das heißen“, fragte Leo mit rauer Stimme, „Sie glauben mir nicht, dass ich die sündhaft teure Creme für meine Mutter kaufen will?“

„Oh!“ Jetzt errötete sie noch mehr. Sie hatte die Situation völlig falsch eingeschätzt.

Offenbar hatte es keinen Sinn, sich auf diese Weise einen Überblick über sämtliche Abteilungen des Kaufhauses zu verschaffen. Maddie eignete sich einfach nicht zur Verkäuferin. Allerdings hatte sie auch noch nie hinter einem Ladentisch gestanden und versucht, Ware an den Mann zu bringen.

Trotzdem wollte sie so schnell nicht aufgeben. Vor dreieinhalb Wochen hatte sie einen Brief bekommen, der ihr den Atem verschlagen hatte. Sie hatte ihn dreimal lesen müssen, um zu begreifen, was ihr mitgeteilt wurde. Ihr Großvater, den sie nie kennengelernt hatte, war gestorben und hatte ihr sein gesamtes Vermögen hinterlassen. Und zu seinem Vermächtnis gehörte neben einer alten Stadtvilla in Dublin eben auch dieses Kaufhaus.

Noch einen Monat zuvor hatte sie quasi von der Hand in den Mund gelebt und sich gefragt, wie sie die Erinnerung an die letzten beiden Jahre ihres Lebens loswerden konnte. Und dann – aus heiterem Himmel – hatte sie eine Antwort auf alle ihre Fragen bekommen.

Maddie hatte ihr letztes Geld zusammengekratzt, einen Flug nach Irland gebucht und war mit großen Plänen in Dublin angekommen: Sie wollte das Haus und das Geschäft verkaufen und endlich ihren großen Traum verwirklichen.

Sie wollte Kunst studieren.

Mit dem Geld, das sie für den Verkauf der beiden Gebäude bekommen würde, wollte sie sich an einer guten Universität einschreiben. Diesen Lebenstraum hatte sie aufgeben müssen, als ihre Mutter vor vier Jahren schwer erkrankt und zum Pflegefall geworden war.

Jetzt war die Möglichkeit, etwas aus ihrem Leben zu machen, in greifbare Nähe gerückt. Maddie hatte ihr Glück kaum fassen können.

Doch ein Blick in das Kaufhaus und die alte Villa hatte genügt, um den Plan, beides so schnell wie möglich zu verkaufen, sofort wieder aufzugeben. Die Kunsthochschule konnte warten – das Kaufhaus brauchte sofort ihre gesamte Aufmerksamkeit, sonst würde es in kürzester Zeit vor die Hunde gehen.

Der mit der Testamentsvollstreckung beauftragte Anwalt hatte sich drei Stunden Zeit genommen und ihr die Tücken der Erbschaft ausführlich dargelegt. Wie sie von ihm erfahren hatte, stand das Kaufhaus kurz vor der Pleite und die Villa war derart baufällig, dass man meinen konnte, sie würde nur noch von dem Efeu zusammengehalten, der an den Mauern wucherte. Ganz offensichtlich hielt der Anwalt es für das Beste, alles so schnell wie möglich zu verkaufen. Den Kopf schiefgelegt, die Hände auf den Knien, hatte Maddie dem Anwalt zugehört. Zum Schluss hatte sie sich aufgerichtet, ihm fest in die Augen gesehen und gesagt, dass sie ihr Bestes geben wolle, um Haus und Geschäft wieder auf Vordermann zu bringen.

Dafür musste sie sich erst einmal einen Überblick über den Zustand des Kaufhauses verschaffen. Um herauszufinden, was dort alles schieflief, hatte Maddie beschlossen, ein paar Wochen lang in sämtlichen Abteilungen zu arbeiten.

In der Zeit würde sie ein Gefühl für das Geschäft bekommen und neue Ideen entwickeln. Daran glaubte Maddie fest.

Am Anfang hatte es so ausgesehen, als hätte sie nach langer Zeit endlich ihren Optimismus wiedergefunden.

Doch jetzt kamen ihr erste Selbstzweifel. Sie hatte den Kunden vor ihr völlig falsch eingeschätzt. Der unverschämt gut aussehende Mann, der sie aus unfassbar blauen Augen anschaute, machte auf sie den Eindruck eines wohlhabenden, einflussreichen Mannes, obwohl er verwaschene dunkle Jeans und ein Polohemd trug.

Von seinem muskulösen Körper, der lässigen Haltung und dem unverschämten Selbstbewusstsein ging etwas aus, das ihr die Sinne verwirrte …

Wieder spürte sie die verräterische Hitze, das Kribbeln auf der Haut. Sie musste sich unbedingt am Riemen reißen und so tun, als hätte sie Ahnung vom Verkauf.

„Ihre Mutter …“ Sie nahm den Tiegel hoch und blickte kurz auf die Beschreibung auf der Rückseite. „… wird die Creme lieben. Sie ist extrem reichhaltig und mildert kleine Fältchen über Nacht.“

„Haben Sie etwa gerade vorgelesen, was auf der Verpackung steht?“

„Äh, ich bin leider erst seit ein paar Tagen hier und muss mich noch einarbeiten.“

„Sollte Ihnen da nicht eine erfahrene Kollegin zur Seite stehen?“

Der Mann blickte sich suchend um, als erwartete er, dass diese Person aus dem Nichts auftauchte. Die ganze Situation bereitete ihm sichtliches Vergnügen. Er war offenbar daran gewöhnt, dass Frauen bei ihm reihenweise schwach wurden, und schien die Tatsache, dass er jetzt einer Frau gegenüberstand, die kein Interesse an ihm zeigte, als sportliche Herausforderung zu begreifen.

Er legte beide Hände auf die Glasplatte des Verkaufstresens, und Maddie wich leicht zurück.

„Kundenservice: mangelhaft“, murmelte er.

„Wie bitte?“

„Sie müssen Ihrem Chef mal sagen, dass es auf Kunden einen ganz schlechten Eindruck macht, wenn die Angestellten nicht genau wissen, was sie hier eigentlich verkaufen.“

Maddie zuckte zusammen. „Wenn Sie sich umschauen, werden Sie feststellen, dass alle anderen Angestellten schon sehr lange hier arbeiten und sich bestens auskennen. Wenn Sie wünschen, kann ich eine erfahrene Kollegin holen, die Ihnen helfen wird, die richtige Creme für … Ihre Mutter auszusuchen.“

„Ich verrate Ihnen mal ein kleines Geheimnis“, sagte der Mann, ohne den tiefblauen Blick von Maddie zu wenden. „Ich habe gelogen. Ich will nämlich gar keine Creme für meine Mutter kaufen. Sie ist gestorben, als ich noch ganz klein war.“ Sein Tonfall klang ehrlich. „Und mein Vater auch“, fügte er hinzu.

„Oh, das tut mir leid.“

Maddie hatte den Verlust der eigenen Mutter noch immer nicht ganz verwunden. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Er hatte sich aus dem Staub gemacht, bevor Maddie überhaupt laufen gelernt hatte.

Die Geschichte ihrer Mutter kannte sie nur in groben Zügen: Sie war aus Irland weggelaufen und nach Australien ausgewandert. Grund für ihre Flucht war ein Streit mit ihrem Vater gewesen – dem Großvater, der Maddie nun alles vermacht hatte.

Ihre Mutter war eine starke Frau gewesen, sie hatte mit beiden Beinen fest im Leben gestanden. Und noch dazu war sie verdammt stur gewesen …

Vielleicht war sie auch so geworden, weil sie sich allein mit einem Kind in Australien hatte durchschlagen müssen. Maddie hatte sich immer gefragt, ob ihr Großvater wohl einen ähnlichen Charakter gehabt hatte wie seine Tochter. Vielleicht hatte er nur nie versucht, die entfremdete Tochter aufzuspüren, weil er Angst gehabt hatte, sie könnte ihn zurückweisen. Meistens verziehen Eltern ihren Kindern die Fehler, während Kinder den Eltern gegenüber eher nachtragend waren.

Maddie spürte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen, und griff instinktiv nach dem Handgelenk des Fremden. Als sie sich der Berührung bewusst wurde, zog sie die Hand sofort wieder weg. Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, als wäre ein winziger Stromschlag durch sie durchgegangen.

Er hob die Augenbrauen, und einen Augenblick lang hatte sie den Eindruck, er könnte ihre Gedanken lesen.

„Es muss Ihnen nicht leidtun“, sagte er leise. „Gehen Sie heute Abend mit mir essen.“

„Wie bitte?“

„Ich verzichte auf die Gesichtscreme. Ehrlich gesagt glaube ich die vollmundigen Versprechen sowieso nicht. Gehen Sie mit mir essen. Sagen Sie einfach, wann und wo …“

„Sie hatten gar nicht vor, hier irgendwas zu kaufen, stimmts?“, fragte Maddie unterkühlt. Er war also doch wie die anderen Männer, die nichts anderes im Sinn hatten, als sie ins Bett zu bekommen. „Und was das Essen angeht – nein!“

Glaubte er wirklich, sie würde mit einem wildfremden Mann essen gehen? Woher nahm dieser Mensch bloß seine Arroganz?

Maddie ließ den Blick kurz über ihn wandern und wusste die Antwort sofort. Er sah wirklich umwerfend gut aus.

Gesichtszüge wie gemeißelt, dunkles Haar, eine Spur zu lang, was seine verwegene Männlichkeit aber nur unterstrich. Ein durchtrainierter Körper, der aber nicht so wirkte, als würde er stundenlang im Kraftraum vor dem Spiegel stehen und die Muskeln spielen lassen. Und dann erst seine Augen … Er hatte diesen trägen Schlafzimmerblick, bei dem Maddie sich unweigerlich kribbelig fühlte und sich fragte, wie der Abend wohl enden würde, wenn sie seine Essenseinladung annahm.

Sie zwang sich, an ihren Ex-Freund zu denken. Adam hatte ebenfalls sehr gut ausgesehen und war charmant und charismatisch gewesen. Aber er stammte aus der Sorte Familie, die schon immer auf Menschen wie Maddie herabgeblickt hatte. Bei Adam hatte sie eine bittere Lektion fürs Leben gelernt. Und deshalb würde sie ganz bestimmt nicht dem Charme des unverschämt attraktiven Mannes erliegen, dessen Blick das Paradies im Schlafzimmer versprach …

„Wie kommen Sie bloß auf diese Idee?“

Maddie runzelte die Stirn. „Wovon reden Sie?“

„Glauben Sie wirklich, ich hätte vorgehabt, hier etwas zu kaufen? Schauen Sie sich doch mal um. Dieses Kaufhaus geht vor die Hunde. Ich wundere mich, dass Sie auch nur in Erwägung gezogen haben, hier zu arbeiten. Die Situation auf dem Dubliner Arbeitsmarkt muss katastrophal sein, wenn Sie sich mit diesem Job zufrieden geben müssen. Wie es aussieht, hat der Laden nicht mal Geld, um neue Mitarbeiter anständig zu schulen. Sie wurden offensichtlich überhaupt nicht eingearbeitet. Ich bin mir sicher, wenn ich mich hier genauer umschaue, finde ich an jeder Ecke abgelaufene Ware und frustrierte Verkäuferinnen.“

„Wer sind Sie?“

Maddie schaute dem Fremden erstaunt in die Augen. War ihr irgendetwas entgangen?

Leo erwiderte den Blick der Frau. Er hatte vorgehabt, im Laden den anonymen Kunden zu spielen und sich in Ruhe umzuschauen. Den kleinen Flirt mit der Verkäuferin hatte er zwar nicht eingeplant, aber vielleicht konnte er noch Nutzen daraus ziehen. Seine Essenseinladung hatte sie zwar ausgeschlagen, doch davon ließ er sich nicht aus der Fassung bringen. Bisher hatte noch keine Frau lange Nein zu ihm gesagt.

Allerdings …

Er runzelte die Stirn. Diese Frau war nicht wie die anderen.

„Ich wollte mich hier nur mal umschauen“, sagte er. „Ich bin nicht sehr oft in der Gegend, aber selbst ich habe gehört, dass dieses Kaufhaus früher einen legendären Ruf genossen hat.“ Er ließ den Blick kurz durch den Verkaufsraum schweifen. „Das muss wirklich lange her sein. Ich bin jedenfalls alles andere als beeindruckt.“

Der Blick der Frau folgte seinem, doch sie erwiderte nichts. Offenbar war ihr in diesem Moment ebenfalls aufgefallen, wie heruntergekommen die Ladeneinrichtung wirkte.

„Wie ich sehe, geht es Ihnen da nicht anders“, sagte er und schaute ihr wieder in die Augen.

„Wie ich schon sagte, ich arbeite hier noch nicht lange. Aber das Kaufhaus gibt es schon seit fünfzig Jahren. Wir haben übrigens auch verschiedene Souvenirs im Sortiment. Wenn Sie eins kaufen wollen, müssen Sie mit der Rolltreppe in den zweiten Stock fahren. Dort bieten wir Becher, Einkaufstaschen und vieles mehr mit unserem Logo an.“

Bei dem Gedanken an ein geschmackloses Souvenir hätte Leo sich beinahe angewidert geschüttelt. In welchem Jahrzehnt war das Kaufhaus eigentlich stecken geblieben? Oder hatte es deshalb nicht mit der Zeit gehen können, weil Gallo sein gesamtes Vermögen anderweitig verprasst hatte?

„Wenn Sie mehr Geld ausgeben können, empfehle ich eine unserer Ledertaschen. Wir lassen sie exklusiv in Italien anfertigen. Dafür werden nur hochwertige Materialien verarbeitet und …“

„Leider“, unterbrach Leo ihren Redefluss, „werden meine bescheidenen Mittel für eine Ihrer hochwertigen Ledertasche nicht reichen.“

Sie nickte. Eigentlich wirkte er nicht wie einer der armen Schlucker, von denen ihr im Kaufhaus schon zu viele begegnet waren. Aber ein attraktiver Mann konnte auch in zerrissenen Jeans eine Figur machen, als würde er normalerweise einen Designeranzug tragen.

„Aber vielleicht reichen meine Mittel ja für eine der Einkaufstaschen, die Sie erwähnt haben.“

„Zweiter Stock.“

„Bringen Sie mich hin.“

„Wie bitte?“

„Ich möchte, dass Sie mir Ihr Verkaufstalent demonstrieren.“

„Ganz ehrlich“, erwiderte sie, „wenn das hier ein neuer Versuch sein soll, mich zu einem Date zu überreden, dann können Sie es vergessen. Meine Antwort lautet nämlich immer noch Nein.“

Leo fragte sich, ob sie es sich anders überlegen würde, wenn er ihr seinen aktuellen Kontostand verriet. „Sie sind ziemlich eingebildet, oder?“, fragte er und beobachtete zufrieden, wie sich ihre Wangen aus Wut über seine freche Bemerkung rot färbten. „Glauben Sie wirklich, Sie wären so unwiderstehlich, dass ein Mann ein zweites Mal an eine Tür klopft, die ihm soeben ins Gesicht geschlagen wurde?“

„Was fällt Ihnen ein!“

„Nicht vergessen: Ich bin der Kunde und der ist bekanntlich König.“

Er grinste sie an, um ihr zu zeigen, dass er es nur scherzhaft meinte.

Der Anflug eines Lächelns zeichnete sich um ihre Mundwinkel ab.

„Schon viel besser“, sagte er augenzwinkernd. „Also, warum begleiten Sie mich nicht in den zweiten Stock und zeigen mir die Abteilung mit den Souvenirs?“ Er hob beide Hände, als wollte er sich ergeben. „Jetzt wissen Sie, dass keine weiteren Essenseinladungen folgen werden, und können aufatmen. Sie sind neu hier … dann können Sie jetzt bei mir üben, wie man Kunden richtig berät. Ich bin nur für ein paar Tage in Dublin. Sie müssen also keine Angst haben, dass ich hinterher überall rumerzähle, die Neue im Kaufhaus hätte von nichts eine Ahnung.“

Maddie blickte zu Boden, damit er nicht bemerkte, wie sehr sie den kleinen verbalen Schlagabtausch genossen hatte.

In den wenigen Wochen, die sie in Dublin war, hatte sie noch keine Freunde gefunden. Das Gespräch mit dem attraktiven Fremden hatte ihr gutgetan. Normalerweise ging sie nicht mit fremden Männern aus, schon gar nicht mit solchen, die fantastisch aussahen und noch dazu genau wussten, was sie sagen mussten, um den Puls einer Frau in die Höhe zu treiben. Aber dieser Mann hatte ein paar Bemerkungen über den Zustand des Kaufhauses gemacht, die hilfreich sein konnten. Sie musste schließlich herausfinden, was sich die Kunden wünschten. Vielleicht wäre es eine gute Idee, ihn zu begleiten und sich seine Meinung zu den anderen Abteilungen ebenfalls anzuhören.

Er hatte sie gebeten, mit ihm essen zu gehen. Maddie verbrachte zwar nie viel Zeit vor dem Spiegel, doch ihre Wirkung auf Männer kannte sie nur zu gut. Ihr Aussehen hatte ihr bisher jedoch mehr geschadet als genützt. Vor allem bei Adam. Doch sie durfte nicht zulassen, dass die Erinnerung an den unglücklichen Ausgang ihrer Beziehung ihr weiteres Leben überschattete und dass sie bei jedem Mann, der auch nur in ihre Richtung blickte, sofort Reißaus nahm.

Denn der Mann, der sie in diesem Moment so charmant anlächelte, würde sich im Gegensatz zu Adam ganz gewiss nicht als charakterloser Sohn aus reichem Hause entpuppen.

Maddie spürte ein leichtes Kribbeln auf der Haut. Um sich zu beruhigen, atmete sie tief durch und sagte dann mit fester Stimme: „Nun, ich denke, für ein paar Minuten kann mich hier auch eine Kollegin vertreten.“

Ein siegessicheres Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

„Mein … äh … Chef steht da hinten. Ich … äh … muss ihn kurz um Erlaubnis bitten.“

„Ihr Chef?“, fragte er neugierig.

„Ja. Es macht Ihnen doch nichts aus, hier auf mich zu warten?“

„Ich habe alle Zeit der Welt“, erwiderte er, „und ich warte, bis Sie zurück sind.“

2. KAPITEL

Leo hätte die Gelegenheit nutzen und ihrem Chef auf den Zahn fühlen können. Denn sobald er den Laden übernommen hatte, würde er den Mann entlassen, das stand für ihn fest. Aber eins nach dem anderen, dachte er. Sein Großvater hätte das Kaufhaus am liebsten schon längst übernommen, aber er würde sich eben noch bis morgen oder übermorgen gedulden müssen.

Die Verkäuferin bewegte sich mit der Anmut einer Tänzerin auf ihn zu. Mit einem Mal ging ihm auf, dass er ihren Namen noch nicht kannte. Aber das Problem löste er, als sie wieder vor ihm stand und ihr frischer, blumiger Duft seine Sinne berührte.

„Sollten Sie nicht ein Namensschild tragen? Damit ich genau weiß, über wen ich mich beschweren muss, wenn Sie mir eine überteuerte Gesichtscreme verkaufen, von der meine Freundin Pickel bekommt?“

„Sie haben eine Freundin?“

Das unverhohlene Interesse in ihrer Stimme gefiel ihm.

„Das“, fügte sie schnell hinterher, weil ihr wohl bewusst geworden war, dass ihr Tonfall sie verraten hatte, „hätten Sie gleich sagen sollen. Ich hätte Sie sofort in die Abteilung mit den entsprechenden Produkten geschickt.“

Leo zog eine Augenbraue hoch. „Freundin? Nein, das ist eine Rolle, die zurzeit nicht besetzt ist“, murmelte er. „Und damit eins klar ist, die Frauen, mit denen ich bisher ausgegangen bin, hatten mit Sicherheit keine Antifaltencreme nötig. Aber Spaß beiseite, wie heißen Sie denn nun?“

„Madison.“ Sie hielt den Blick stur geradeaus gerichtet, während sie mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock fuhren.

„Madison …?“

„Aber alle nennen mich Maddie. Wir sind da.“

Sie führte ihn zur hintersten Ecke der zweiten Etage, wo verschiedene Artikel mit dem Gallo-Logo zum Verkauf angeboten wurden. Geistesabwesend nahm er einen Stoffbeutel in die Hand, bevor er Maddie ernst anblickte.

„Aus Irland kommen Sie jedenfalls nicht.“ Er legte den Beutel auf den Stapel zurück.

„Nein. Das heißt, nicht direkt.“

Sie schaute ihn an und spürte, wie sich etwas in ihr regte. Obwohl er ein paar Schritte von ihr entfernt stand, war er ihr noch viel zu nahe. Er war so … groß … und strahlte eine Kraft aus, die ihr fast die Luft zum Atmen nahm.

Schnell räusperte sie sich, war aber nicht in der Lage, den Blick von seinem faszinierenden Gesicht zu lösen. „Ich komme aus Australien.“

„Soll das heißen, Sie sind vom anderen Ende der Welt hergekommen, um hier zu arbeiten?“

„Sind Sie immer so … so unhöflich, Mr. …? Himmel, ich weiß noch nicht mal, wie Sie heißen!“

„Damit Sie sich bei Ihrem Chef über mich beschweren können? Ich heiße Leo. Sollen wir uns jetzt förmlich die Hand reichen?“

Maddie verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Ich glaube, ich spreche auch für meinen Chef, wenn ich Ihnen sage, dass wir uns über jede konstruktive Kritik sehr freuen. Nur habe ich nicht den Eindruck, dass Ihre Kritik besonders konstruktiv ist, Mr. …“

„Leo.“ Sein Blick schweifte über die Regale mit dem altmodischen Warensortiment.

Maddie blickte sich ebenfalls kurz um und wäre bei dem Bild, das sich ihr bot, beinahe zusammengezuckt. „Wie ich gehört habe“, sagte sie schnell, „ist der ehemalige Eigentümer erst vor Kurzem gestorben. In den letzten Jahren wurde vermutlich nicht mehr viel in das Geschäft investiert.“

„Ich habe ein paar Erfahrungen im Einzelhandel“, sagte Leo geistesabwesend, bevor er seinen tiefblauen Blick wieder auf Maddie richtete. „Zum Essen lade ich Sie nicht noch mal ein, aber wie ich sehe, gibt es in dieser Etage ein kleines Café. Wenn Sie wollen, setzen wir uns kurz hin und ich gebe Ihnen ein paar kluge Ratschläge.“

„Sie haben schon mal ein Kaufhaus geleitet?“

Leo grinste. „So würde ich das jetzt nicht nennen, aber …“

„Schon verstanden.“

Maddie hatte eine Ahnung, was er mit seiner Bemerkung hatte andeuten wollen. Um über die Runden zu kommen, hatte sie schon oft Aushilfstätigkeiten verrichten müssen. Seine Erfahrungen waren vermutlich ähnlich. Sie schaute ihm in die Augen und lächelte.

Ihr Lächeln traf Leo mit der Wucht eines Faustschlags. Seine Libido meldete sich zurück. Am liebsten hätte er Maddie in die nächste Besenkammer gezerrt und ihr das unförmige weiße Kleid vom Leib gerissen. Er wollte ihre himbeerfarbenen Lippen küssen, ihre Zunge an seiner spüren, ihren Körper Zentimeter um Zentimeter erkunden.

Was war bloß mit ihm los?

„Tun Sie das?“, fragte er, um seine Gedanken wieder in eine sachliche Richtung zu lenken.

„Ja. Ich habe in meinem Leben auch schon alle möglichen Jobs machen müssen. Und Sie können mir glauben, im Vergleich dazu ist das hier der Himmel auf Erden“, erwiderte sie aufrichtig.

Sie setzten sich in Bewegung und gingen in Richtung des kleinen Cafés.

Plötzlich blieb Leo stehen. „Meinen Sie nicht, Sie kriegen Ärger mit Ihrem Chef, wenn Sie sich während der Arbeitszeit mit einem Kunden ins Café setzen?“

„Könnte sein …“

Maddie merkte, dass ihr anfängliches Misstrauen dem Fremden gegenüber verflogen war. Vielleicht lag es an Leos Sinn für Humor, dass sie sich in seiner Gegenwart so entspannt fühlte. Seit der bitteren Erfahrung mit Adam hatte sie eigentlich immer die Straßenseite gewechselt, sobald sie einen Mann nur aus der Ferne gesehen hatte. Sollte sie wirklich zulassen, dass sie die schlechte Erfahrung bis ans andere Ende der Welt verfolgte?

Dublin gefiel ihr sehr gut und sie wollte für immer in Irland bleiben. Aber sie musste aufpassen, dass sie sich nicht bis in alle Ewigkeit in ihr Schneckenhaus zurückzog. Es bestand sonst die Gefahr, dass sie als verbitterte alte Frau endete.

Als sie Leo vorhin gesehen hatte, waren bei ihr sofort sämtliche Alarmglocken angegangen. Aber sie hatte sich getäuscht. Er war nicht reich und hatte sie auch nicht bedrängt, als sie seine Essenseinladung ausgeschlagen hatte. Er war nur für ein paar Tage in der Stadt. Und er hatte ihr in der kurzen Zeit schon ein paar gute Tipps für das Kaufhaus geben können.

Außerdem war er einfach unglaublich sexy …

Sie schaute zu ihm hoch und schluckte, als sich ihre Blicke trafen.

„Wie lange bleiben Sie denn in unserer schönen Stadt?“, fragte sie, leicht außer Atem.

„Vielleicht fahre ich noch heute weiter“, antwortete er schulterzuckend.

„Ich … äh … hätte vielleicht doch nichts dagegen, mit Ihnen essen zu gehen.“ Maddie errötete und schaute weg.

„Darf ich fragen, woher der plötzliche Sinneswandel kommt?“, fragte Leo trocken. „Als ich vor fünf Minuten den Vorschlag gemacht habe, war ich noch der Teufel in Person.“

„Ich …“ Maddie atmete tief ein. „Ich bin noch nicht lange in der Stadt und es wäre nett, ein paar Stunden Gesellschaft zu haben. In den letzten Wochen war ich praktisch immer allein.“

Eine attraktive Frau wie sie, dachte Leo, hat die Einsamkeit sicherlich selbst gewählt. Vermutlich musste sie nur vor die Haustür treten und Männer würden ihr in Scharen Gesellschaft leisten wollen.

Wahrscheinlich war das nicht die Art von Gesellschaft, die ihr vorschwebte. Solche Männer hatten immer Hintergedanken. So wie er selbst auch, als er sie vorhin gesehen hatte. Maddie hatte das sofort erkannt.

Bei ihrer Attraktivität überraschte es ihn nicht, dass sie vor Männern auf der Hut war. Im Prinzip war es bei ihm ähnlich: Wegen seines Reichtums war er dem anderen Geschlecht gegenüber extrem misstrauisch.

Eine feste Beziehung war nicht das, was er suchte. Mit Romantik, Liebesschwüren und dergleichen hatte er nichts am Hut.

Vielleicht hätte er nicht einmal etwas gegen eine Ehe und zwei, drei Kinder gehabt, wenn er aus bitterer Erfahrung nicht gelernt hätte, dass er keiner Frau trauen durfte.

Seine Großeltern hatten eine glückliche Ehe geführt. Und seine Eltern auch, wie er von seinem Großvater erfahren hatte. Tatsächlich waren sie auf dem Weg in die zweiten Flitterwochen gewesen, als der unglückselige Lastwagen in ihren Sportwagen gerast war. Seine Eltern waren noch am Unfallort gestorben …

Nein, er hatte andere Gründe, sich auf keine Beziehung mehr einzulassen.

In dieser Hinsicht spielte er bei Frauen immer mit offenen Karten.

Sex, ein bisschen Spaß haben, das ja. Aber gemütliche Abende vor dem Fernseher und ein Treffen mit den Schwiegereltern in spe? Niemals.

Trotzdem ließ er sich immer nur mit einer Frau zur Zeit ein. War seine Wahl gefallen, dann konnte sich die Dame sicher sein, dass er keine andere anschaute – wenigstens für den kurzen Zeitraum, bevor er wieder mit ihr Schluss machte. Besitzansprüche kannte er bei Frauen nicht. Wozu auch?

Er schaute in Maddies grüne Augen. „Wenn Sie mir sagen, wo Sie wohnen, hole ich Sie ab.“

„Haben Sie ein Auto?“

„Einen ganzen Fuhrpark“, erwiderte er wahrheitsgemäß. „Sie stehen allerdings in London in einer Tiefgarage – unter meinem Penthouse. Aber wenn Sie mir verraten, welche Marke Sie bevorzugen, dann besorge ich das Auto rechtzeitig. Was schwebt Ihnen vor? Ferrari? Range Rover? BMW? Oder doch lieber ein Klassiker wie ein Aston Martin?“

Maddie lachte laut auf. Sein Sinn für Humor gefiel ihr ausgesprochen gut. Seit Langem hatte sie nichts mehr zu lachen gehabt, doch jetzt stiegen ihr tatsächlich Lachtränen in die Augen.

Als sie sich wieder beruhigt hatte, sagte sie lächelnd: „Verabreden wir uns lieber in der Innenstadt. Irgendwo finden wir bestimmt ein nettes, billiges Restaurant …“

„Wollen Sie sich vorab schlau machen? Ich gebe Ihnen meine Handynummer und Sie schicken mir eine SMS, wenn Sie etwas Passendes gefunden haben. Wann wollen wir uns treffen? Um sieben?“

„Sieben klingt gut. Und jetzt muss ich wirklich zurück an die Arbeit.“

„Nur eins noch.“ Leo schaute sie ernst an. „Sie müssen keine Angst haben, dass ich Sie in irgendeiner Form bedränge.“

Maddie errötete, weil sich ein komischer Gedanke bei ihr einschlich.

Wie weit würde sie gehen, falls er sie doch bedrängte?

„Gut“, erwiderte sie, möglichst lässig. „In meinem Leben geht es gerade drunter und drüber und das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist … ist …“

„Jemand, den Sie auf Abstand halten müssen?“

„Nein, ich wollte sagen ›eine Beziehung‹.“

Jetzt lachte Leo laut auf. „Keine Sorge, das Wort Beziehung kommt in meinem Vokabular nicht vor. Also dann, bis später, Maddie.“

Und damit war er verschwunden.

In den Stunden bis zum Feierabend redete Maddie sich ein, sie wäre wegen der Verabredung überhaupt nicht aufgeregt. Sie ging nur mit jemandem essen, der sie zum Lachen brachte. Sie war vierundzwanzig Jahre alt! Wieso sollte sie sich nicht benehmen wie andere Frauen in ihrem Alter? Seit einer halben Ewigkeit hatte sie sich nicht mehr jung gefühlt! Durch die Begegnung mit Leo fühlte sie sich plötzlich so anders – so unbeschwert.

Als Maddie um sieben Uhr abends vor dem Restaurant stand, das sie auf Empfehlung einer Kollegin für das Treffen vorgeschlagen hatte, setzte die Nervosität mit voller Wucht wieder ein.

Sie hatte bewusst darauf verzichtet, sich für den Abend etwas Schickes anzuziehen. Zur ausgeblichenen Jeans trug sie flache, blaue Ballerinas und ein T-Shirt, das vielleicht ein kleines bisschen zu eng und zu kurz war. Wenn sie die Arme hob, blitzte ein schmaler Streifen ihres flachen, braungebrannten Bauchs auf.

Tatsächlich hatte sie eine Zeit lang sogar Designerkleider besessen. Adam hatte es gefallen, wenn sie sich in teure Kleider hüllte, und er hatte ihr Sachen geschenkt, die er gern an ihr sah: verführerische Seidenkleider und extrem hohe Designerstilettos.

Adam hatte es einen Kick gegeben, wenn sich andere Männer nach ihr umdrehten. Und weil sie ihn liebte und ihm eine Freude machen wollte, hatte sie sich seinen Wünschen gefügt.

Nachdem ihre Beziehung so unschön in die Brüche gegangen war, hatte sie die geschenkten Kleider und Schuhe per Boten an die Adresse seines Luxusapartments geschickt und war zu ihrem alten Kleidungsstil zurückgekehrt.

Leo würde sicherlich nichts an ihrer Aufmachung auszusetzen haben. Schließlich war auch er offenkundig nicht mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund geboren worden.

Sie atmete durch, öffnete die Tür der Trattoria und sah sich im überfüllten Lokal um.

Leo, der an einem der hinteren Tische saß, entdeckte Maddie sofort. Wie hätte es anders sein können? Alle Männer im Restaurant hatten sie im selben Augenblick entdeckt wie er. Jeder drehte den Kopf zu ihr um und starrte sie mit offenem Mund an.

Unter den bleichen Gesichtern der übrigen Gäste stach ihr goldener Teint deutlich hervor. Noch aufsehenerregender war ihr langes blondes Haar, das sich in sanften Wellen fast bis zu ihrer Taille ergoss …

Leo erhob sich und Maddie schlängelte sich an den Tischen vorbei und stand schließlich vor ihm.

„Waren Sie schon mal hier?“, fragte er nach der Begrüßung.

Sie schüttelte den Kopf. „Aber das Lokal versprüht typisch italienischen Charme und ist dabei nicht besonders teuer. Wie ich gehört habe, soll das Essen sehr gut sein.“

Sie setzte sich auf einen Stuhl und versuchte, sich nicht von seinem attraktiven Äußeren einschüchtern zu lassen. Im Lauf des Tages hatte Maddie sich eingeredet, er könne unmöglich so gut aussehen wie in ihrer Erinnerung. In Wahrheit sah er sogar noch besser aus.

Zur Beruhigung ihrer Nerven bestellte sie beim Kellner schnell ein Glas Rotwein.

Leo war ein überaus charmanter Gesprächspartner. Fröhlich erzählte er von den vielen Ländern, die er bereist hatte. Offenbar war er ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebte und sich kein Abenteuer entgehen ließ. Und extrem witzig war er noch dazu. Maddie lachte viel und vergaß darüber fast, von dem Antipasti-Teller zu kosten, den sie sich hatten teilen wollen.

„Ich beneide Sie ein bisschen“, sagte sie, als die Teller mit dem Hauptgericht vor ihnen standen und der Kellner Rotwein nachgeschenkt hatte. „Die Welt zu bereisen war schon immer mein Traum. Leider hatten meine Mutter und ich kaum genug, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Einen langen Urlaub hätten wir uns niemals leisten können. Vermutlich ist es wesentlich einfacher, wenn man sich nur um sich selbst kümmern muss. Einen Job, mit dem man die Urlaubskasse auffüllen kann, findet man bestimmt überall.“

„Wenn ich unterwegs bin, arbeite ich eigentlich immer“, sagte Leo. „Aber erzählen Sie doch mal, warum Sie aus Australien geflüchtet sind.“

Der Themenwechsel traf Maddie vollkommen unvorbereitet und sie zuckte innerlich zusammen. Was würde Leo von ihr denken, wenn sie ihm die wahre Geschichte erzählte? Würde er sie in einem schlechten Licht sehen?

„Wer hat behauptet, ich wäre geflüchtet?“, fragte sie und drehte Spaghetti auf ihre Gabel, um ihn nicht anschauen zu müssen.

Leo lehnte sich auf dem Stuhl zurück und betrachtete sie aufmerksam.

Sie spürte seinen Blick förmlich auf der Haut. Weil sie nicht wusste, wo sie hinschauen sollte, betrachtete sie seine muskulösen Unterarme. Ein Riesenfehler! Mit einem Mal fragte sie sich nämlich, wie es wohl sein würde, wenn seine Hände jeden Zentimeter ihres Körpers erkundeten. Ihr Herz begann schneller zu klopfen und sie benetzte die Lippen mit der Zunge.

„Nun …“ Seine raue Stimme sorgte dafür, dass sich bei Maddie jedes Nackenhärchen aufrichtete. „Ich habe nur eins und eins zusammengezählt: Sie sind auf der anderen Seite der Welt gelandet, ohne Freunde oder Verwandte, und haben einen Job angenommen, den man wohl kaum als aussichtsreich bezeichnen könnte. Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Sie vor irgendetwas oder irgendjemanden davongelaufen sind.“

Maddies Wangen färbten sich noch dunkler. „Meine Mutter ist gestorben“, sagte sie leise. „Ich habe sie in ihren letzten Jahren gepflegt. Sie hatte sich einen komplizierten Oberschenkelhalsbruch zugezogen.“ Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen weg. „Leider lief die Operation nicht gut und sie musste viel länger als geplant im Krankenhaus bleiben. Auch danach waren immer wieder Operationen nötig. Jedes Mal, wenn sie gedacht hat, es würde ihr langsam besser gehen, musste sie einen neuen Rückschlag verkraften. Sie hat sich nie ganz davon erholt …“

„Wie alt waren Sie damals?“

„Ich bin gerade zwanzig geworden, als sie gestorben ist.“

„Das muss eine schlimme Zeit für Sie gewesen sein.“

Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war sein Mitleid. Dann würde sie nämlich in wenigen Minuten anfangen zu weinen.

„Erleben wir nicht alle hin und wieder schlimme Zeiten?“, fragte sie schnell. „Sie doch bestimmt auch. Wenn man ein Abenteurerleben führt, bleibt das doch bestimmt nicht aus, oder?“

Leo fand die leichte Röte auf ihren Wangen ganz bezaubernd. Australien? Deshalb hatte ihre Haut diese faszinierende goldbraune Farbe. Im Vergleich zu ihr wirkten alle anderen Frauen im Restaurant blass und blutarm.

„Haben Sie Geschwister?“, fragte er. „Jemand, der für Sie da war, als es Ihrer Mutter nicht gut ging?“

„Nein, ich bin ganz allein. Meine Mutter stammte ursprünglich von hier …“

„Ihre Mutter war Irin?“, fragte er verblüfft.

„Ja. Allerdings war mein Großvater von Geburt Italiener.“

Sie fragte sich, wie er wohl reagieren würde, wenn sie ihm gestand, dass das Kaufhaus, das er vor wenigen Stunden so heftig kritisiert hatte, in Wahrheit ihr gehörte.

„Also sind Sie in das Geburtsland Ihrer Mutter zurückgekehrt?“

„Ich hielt es für eine gute Idee. Ich wollte aus Australien weg, nachdem … nach allem, was dort passiert ist.“

Leo erwiderte nichts, sah sie aber prüfend an.

Der Kellner war an ihren Tisch gekommen und fragte, ob sie Nachtisch wünschten. Sie lehnten ab und baten um die Rechnung.

Maddie langte in ihren Rucksack, nahm ihr Portemonnaie und zog ein paar Scheine heraus.

„Was machen Sie da?“, fragte Leo stirnrunzelnd.

„Mein Essen bezahlen.“ Sie schaute ihn an, als hätte er eine völlig absurde Frage gestellt.

„Wenn ich mit einer Frau essen gehe, dann übernehme ich selbstverständlich die Rechnung.“

Sie drückte die Schultern durch. „Nicht bei dieser Frau. Ich bezahle meinen Anteil. Damit ich niemandem etwas schuldig bin.“

„Wenn ich Sie zu einem billigen Italiener einlade, sind Sie mir ganz bestimmt nichts schuldig.“ Leo warf eine Handvoll Scheine auf das kleine silberne Tablett. „Haben Sie noch nie einen Mann getroffen, der weiß, wie man Frauen behandelt?“ Er stand auf.

Maddie dachte an ihren Ex-Freund. Adam hatte mit Vorliebe alles für sie bezahlt. Blumen, Pralinen, Besuche in teuren Restaurants … Aber seine Geschenke hatten einen Haken gehabt: Er hatte Maddie kontrollieren und in ein Püppchen verwandeln wollen.

„Wollen Sie wissen, ob ich je einen Mann getroffen habe, der seine Brieftasche gezückt und mir hübsche Sachen gekauft hat?“ Sie stand auf und warf ebenfalls ein paar Scheine auf den Tisch. Der Kellner würde sich über das großzügige Trinkgeld sicherlich freuen. „Denn die Sorte Mann habe ich durchaus kennengelernt. Und es ist mir alles andere als gut bekommen. Deshalb bezahle ich mein Essen lieber selbst.“

„Nun, wer wäre ich, andere von ihren lieb gewonnenen Prinzipien abzubringen?“, gab Leo zurück, bevor er sie aus dem Restaurant führte.

Draußen umfing sie samtweiche, warme Abendluft. Nach ein paar Schritten stellte Maddie zu ihrer Überraschung fest, dass sie Leo automatisch in die Richtung ihres neuen Hauses führte. Es lag nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, in einer schönen Allee mit prachtvollen Villen. Allerdings war ihr Haus kleiner als die meisten anderen und hatte dringend ein paar Schönheitsreparaturen nötig.

Sie warf dem großen Mann an ihrer Seite einen Seitenblick zu. Er ist Sex auf zwei Beinen. Plötzlich schämte sie sich, weil sie sein Angebot, ihr Essen mit zu bezahlen, so brüsk abgewiesen hatte. Er hatte doch nur versucht, sich wie ein Gentleman aufzuführen, dabei konnte er sich das Essen vermutlich genauso wenig leisten wie sie.

„Das mit der Rechnung tut mir leid“, sagte sie leise. „Sie haben einfach einen wunden Punkt getroffen.“

Er blieb stehen und schaute ihr in die Augen.

Wieder spürte sie das warme Kribbeln in ihrem Unterleib. Aus Angst, dass er ihr das Verlangen an den Augen ablesen konnte, senkte sie schnell den Blick.

„Ich mach mich wohl besser auf den Weg“, sagte er und schaute die Straße entlang.

„Leo …“, flüsterte sie.

Sie wollte ihn. Ob es nun daran lag, dass sie einsam war oder sich in seiner Gegenwart so unbeschwert fühlte, das hätte sie nicht sagen können. Aber in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie nicht bis an ihr Lebensende die Gefangene ihrer Vergangenheit bleiben wollte.

Vielleicht lag es auch einfach nur an seiner sexy Ausstrahlung, dass sie sich derart zu ihm hingezogen fühlte. Sie hob den Blick und schaute ihm in die Augen.

„Willst du, dass ich dich küsse?“, wechselte er unvermittelt ins Du.

„Nein!“

„Dann hör auf, mich so anzusehen.“

„Wie sehe ich dich denn an?“

„Als würdest du mich am liebsten auffressen. Als würdest du wollen, dass ich dich vernasche.“

„Leo.“

„Wir sind beide erwachsen“, sagte er rau, „daher will ich ganz ehrlich sein. Du bist bildschön und ich will dich mehr, als ich je eine Frau gewollt habe. Ich will dich berühren. Von deinem Geschmack kosten … überall. Aber ich bin nicht der Typ für eine langfristige Beziehung. Wir sprechen hier von einem One-Night-Stand. Wenn dir das zu wenig ist, dann gehst du jetzt besser …“

„Ich habe mir geschworen, mich nie auf einen One-Night-Stand einzulassen“, sagte sie, ging aber nicht weg.

Sie war hin- und hergerissen. Dass sie bei Männern Erfolg hatte, wusste sie, seit sie ein Teenager gewesen war. Aber auf kurzlebige Miniaffären hatte sie aus reinem Selbstschutz immer verzichtet. Tatsächlich war Adam ihr erster Freund gewesen. Und er hatte sie schändlich im Stich gelassen.

Aber davon durfte sie sich nicht ihr Leben lang beeinflussen lassen. Das hatte sie sich erst heute geschworen.

„Würdest du gern auf eine Tasse Kaffee mit zu mir kommen?“, wagte sie sich vor.

Leo zog die Augenbrauen hoch. „Du willst mich. Und ich will dich. Ich nehme das Angebot mit dem Kaffee gerne an, aber ich habe keine Lust auf Spielchen und Rückzieher.“

„Ich auch nicht.“ Wagemutig trat Maddie auf ihn zu, erhob sich auf die Zehenspitzen – und drückte ihre Lippen auf seinen perfekten Mund.

3. KAPITEL

Nach einem kurzen Spaziergang erreichten Maddie und Leo eine Allee mit prachtvollen Villen ganz in der Nähe des Stadtzentrums.

„In einem solchen Haus wohne ich natürlich nicht“, erklärte Maddie. Ihr wurde unangenehm bewusst, dass sie Leo angelogen hatte, als sie sich als einfache Verkäuferin ausgegeben hatte.

Allerdings würden sie nur eine Nacht miteinander verbringen und sich in der Zeit wohl kaum lange unterhalten. Wenn er sie nach dem Haus fragte, würde sie einfach sagen, sie hätte es von einem entfernten Verwandten geerbt.

Bei dem Gedanken an ihren Großvater musste sie unweigerlich auch an ihre Mutter denken. Sie hatte Maddie immer davor gewarnt, sich zu leichtfertig mit einem Mann einzulassen.

„Du wirst natürlich Fehler machen!“, hatte Lizzie Gallo gesagt. „Trotzdem ist es wichtig, dass du eine Beziehung immer in dem Bewusstsein beginnst, dass es die eine, wirklich richtige Beziehung werden könnte.“

Allerdings hatte Maddie sich oft insgeheim gefragt, ob es für ihre Mutter nicht besser gewesen wäre, wenn sie sich bei ihrem Vater mit einem One-Night-Stand begnügt hätte, statt gleich mit ihm nach Australien durchzubrennen. Denn sobald er herausbekommen hatte, dass Lizzie keinen Cent von dem Vermögen ihres Vaters erben würde, hatte er sich aus dem Staub gemacht. Seine Liebe war letztendlich nur geheuchelt gewesen.

„Aber ich habe für diese Beziehung alles gegeben“, hatte Lizzie einmal zu Maddie gesagt, als sie über ihren Vater geredet hatten. „Ich habe es wirklich versucht. Und das ist für mich immer das Wichtigste gewesen!“

Als sie die Beziehung mit Adam eingegangen war, hatte Maddie geglaubt, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Sie war so verliebt in die Vorstellung von Liebe gewesen, dass sie sämtliche Warnhinweise ignoriert hatte.

Aber dieses Mal wusste sie von vornherein, worauf sie sich einließ. Sie würde sich nicht der romantischen Illusion hingeben, in Leo ihren Märchenprinzen gefunden zu haben, um dann später festzustellen, dass sie nur einen Frosch geküsst hatte. Sie würde die Nacht mit einem Mann verbringen, der gleich klargemacht hatte, dass er nicht an einer festen Bindung interessiert war.

Die Häuser, an denen sie jetzt vorbeikamen, waren deutlich kleiner, und am Ende der eleganten Allee bog Maddie in den einzigen Vorgarten ein, der einen verwahrlosten Eindruck machte.

„Nicht unbedingt, was ich erwartet hatte“, sagte Leo beim Anblick des von Efeu umwucherten Hauses.

„Was hattest du denn erwartet?“

Maddie schloss die Tür auf. Die Eingangshalle musste zwar dringend renoviert werden, doch verriet sie noch etwas vom alten Glanz des Hauses. Ein Boden aus Naturstein, eine gewundene Edelholztreppe und eine altmodische Tapete mit großen, vergilbten Flecken, wo Maddie die alten Gemälde mit Jagdszenen abgenommen hatte.

„Etwas weniger … nun, ja, Imposantes.“

„Stört es dich?“

„Nein, warum?“

Sie drehte sich zu ihm um. Leo konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie zu berühren. Er strich mit einem Finger über ihre Wange und zeichnete dann die Konturen ihrer vollen Lippen nach. Als sie leicht erzitterte, lächelte er sie mit unverhohlener Lust an.

„Ich weiß nicht, was es ist. Aber du hast etwas an dir“, flüsterte er, während er mit einem Finger aufreizend über den Ausschnitt ihres T-Shirts fuhr, „das mich nur daran denken lässt, dir gleich hier die Kleider vom Leib zu reißen und dich sofort zu nehmen.“

Maddie hielt gebannt den Atem an. Sie wollte ihn so sehr, dass es fast schmerzte. Ein heißer Schauer durchfuhr sie, als Leo die Hand unter ihr T-Shirt schob und eine ihrer Brüste umfasste. Im nächsten Moment zog er den Spitzen-BH zur Seite und strich mit dem Daumen fest über die harte Brustwarze.

Leo zog die Hand weg, nur um gleich darauf mit beiden Händen unter ihr T-Shirt zu fassen und den BH hochzustreifen. Dabei schaute er ihr tief in die grünen Augen. Als er mit beiden Daumen noch einmal fest über ihre Brustwarzen strich, öffnete sie die Lippen und stöhnte lustvoll auf.

„Gefällt dir das?“

„Hör nicht auf.“

Leo wartete keine zweite Einladung ab. Mit einer geschickten Bewegung zog er ihr das T-Shirt über den Kopf und betrachtete einen Moment lang ihre perfekten Brüste mit den herrlichen, rosenroten Brustwarzen. Er war so erregt, dass er tief durchatmen musste, um sich unter Kontrolle zu halten.

Langsam schob er Maddie in Richtung der Treppe. Als sie mit dem Rücken sanft gegen das Geländer stieß, warf sie den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Dann reckte sie Leo ihren wunderschönen Körper entgegen, damit er ihre Brüste liebkosen konnte.

Er senkte den Kopf und nahm eine ihrer Brustwarzen zwischen die Lippen. Neckend leckte und saugte er daran, während er die andere mit Daumen und Zeigefinger reizte. Maddies lautes Stöhnen erregte ihn zusehends. Diese Frau stieg ihm zu Kopf wie Champagner. So etwas hatte er noch nie erlebt.

Leo ließ von der Brustwarze ab, die nach der ausgiebigen Berührung noch immer pulsierte, nahm die andere zwischen die Lippen und leckte fest darüber.

Maddie ließ die Hände sinken und wollte den Reißverschluss seiner Jeans öffnen, doch Leo hielt sie zurück.

Gern hätte er sich eingeredet, dass er ihre Hände wegzog, weil er die Situation im Griff hatte und das Vorspiel etwas länger auskosten wollte. Aber er musste sich eingestehen, dass er es tun musste, um die am seidenen Faden hängende Selbstbeherrschung nicht völlig zu verlieren. Hätte Maddie ihn berührt, wäre er vermutlich sofort gekommen.

„Was ist eigentlich mit dem Kaffee?“, fragte er heiser.

„Kaffee?“, wiederholte sie atemlos und öffnete blinzelnd die Augen.

Leo lachte und küsste sie auf einen Mundwinkel.

„Du kannst doch nicht einfach einen Mann zum Kaffee nach Hause einladen und dann dein Versprechen nicht halten.“

„Stimmt.“ Sie grinste ihn verwegen an und schlang die Arme kurz um seinen Nacken. Dann zog sie sich unter seinem hungrigen Blick BH und T-Shirt wieder zurecht. Noch einmal bedeckte sie seinen Mund mit heißen Küssen und drang sogar kurz mit ihrer Zunge zwischen seine Lippen.

„Du willst mich verhexen, stimmts?“, flüsterte er an ihrem Mund.

Maddie trat lächelnd einen Schritt zurück und ging den Flur entlang. Leo folgte ihr in eine Küche, die noch aus dem vorletzten Jahrhundert zu stammen schien.

„Wieso wohnst du hier eigentlich?“, fragte er.

Maddie, die gerade Wasser in eine altmodische Kaffeemaschine füllte, hielt mitten...

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

Doch der Wunsch zu schreiben ließ sie nicht los...
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Charlotte Phillips
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