(K)eine ganz normale Familie

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Was die attraktive Erin ihm mitzuteilen hat, stellt das zurückgezogene Singleleben des Collegedozenten Parker Hamilton komplett auf den Kopf: Er hat eine fünfjährige Tochter - die Folge einer längst vergessenen Liebesnacht mit Erins Schwester. Künftig steht Familienleben auf dem Stundenplan …


  • Erscheinungstag 24.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756086
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die Haushälterin steckte den Kopf durch die Tür. „Besuch für Sie. Eine Dame.“

Parker Hamilton machte sich gar nicht erst die Mühe, vom Bildschirm aufzublicken. „Sagen Sie Ihrer Freundin, dass sie ihre Zeit vergeudet.“

Kiki ließ sich nicht so schnell abwimmeln. „Sie sollten den Kasten gelegentlich mal ausschalten“, riet sie ihm. „Sonst werden Sie blind oder noch schlimmer – Sie bekommen irgendwann viereckige Augen.“

Seufzend speicherte Parker seine Datei und drehte sich um. Kiki trug einen fuchsienfarbenen Jogginganzug. Sie besaß Dutzende davon in allen erdenklichen Farben mit den dazu passenden Turnschuhen. Erstaunlich, dachte Parker, dass man auch Schuhe in allen Regenbogenfarben herstellt.

„Wieso sind viereckige Augen schlimmer als Blindheit?“, wollte er wissen.

„Versuchen Sie nicht abzulenken!“, sagte Kiki streng.

„Sie haben damit angefangen“, erinnerte er sie, aber er lächelte dabei. „Ich weiß Ihre Bemühungen um mich durchaus zu schätzen, aber mir ist nicht nach Besuch.“

Kiki schüttelte den Kopf. „Es ist wirklich eine Schande. Aber keine Angst, ich habe es aufgegeben. Die Dame ist zufällig keine Freundin von mir. Ich kenne sie gar nicht.“ Kiki machte eine kleine Pause. „Vielleicht sollten Sie doch mit ihr sprechen.“

Parker atmete tief durch und stand auf. Er war ärgerlich und gleichzeitig auch neugierig, denn normalerweise wurde Kiki problemlos mit jedem unerwünschten Gast fertig.

Er lief die Treppe hinunter und durchquerte die Eingangshalle. Das Haus war eigentlich viel zu groß für ihn, aber er wollte es trotzdem nicht aufgeben. Mit seiner Umgebung kam er inzwischen zurecht – nur mit sich selbst nicht.

Die Besucherin hatte ihm den Rücken zugekehrt und blickte über den weitflächigen Rasen vor dem Haus. Das Haus stand hoch auf den Klippen am Meer.

Die Frau war schlank und hatte schulterlange dunkle Haare mit einem leichten Stich ins Rötliche. Zu ihren Jeans trug sie einen lose fallenden cremefarbenen Pulli und weiße Turnschuhe. Offenbar huldigte sie nicht der Philosophie seiner Haushälterin, dass alle Kleidungsstücke farblich Ton in Ton zu sein hatten.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sie drehte sich zu ihm um. Das Wiedererkennen war wie ein Schock. Sie hatte haselnussbraune, leicht mandelförmige Augen und einen sinnlichen Mund. Wenn sie lachte, bildete sich in ihrer rechten Wange ein Grübchen. Vor fünf Jahren war es gewesen, als ihr Lachen das Haus mit Leben erfüllt hatte.

Mit der Erinnerung kam die Reue – die Reue darüber, wie er sie behandelt hatte. Er hatte sich damals mehr als schäbig benommen, hatte sie skrupellos benutzt, um zu vergessen.

Die Frau sah ihn forschend an, als wäre er ein Fremder. Fünf Jahre waren eine lange Zeit, und genau genommen waren sie ja auch Fremde. Waren es immer gewesen. Sie war konservativer angezogen als damals, fiel ihm auf.

„Hallo, Stacey.“

Seine Besucherin schien einen winzigen Moment zu erstarren, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich bin Staceys Schwester Erin. Erin Ridgeway.“

„Sie sehen sich sehr ähnlich.“

„Erin war meine Zwillingsschwester. Ich muss mit Ihnen reden, Mr. Hamilton. Darf ich hereinkommen?“

„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie.“ Er trat einen Schritt zurück.

Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, aber es erreichte ihre Augen nicht. Parker starrte sie an. Ihre Augen. Sie waren anders als bei Stacey. Zwillinge … hatte Stacey ihm erzählt, dass sie eine Zwillingsschwester hatte? Vielleicht. Er wusste es nicht mehr. Sie hatte ihm so viel erzählt, aber er hatte nicht zugehört. Nie hatte er ihr zugehört. Ihre Stimme hatte den Schmerz in seinem Inneren betäubt, und das war ihm genug gewesen. Was sie gesagt hatte, hatte keine Rolle gespielt.

Er führte Staceys Schwester durch das Wohnzimmer und die hohen Türen ins Freie auf die Terrasse. Es war Ende Juni und angenehm warm.

Parker wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte Stacey seit fünf Jahren nicht mehr gesehen und auch keinen einzigen Gedanken an sie verschwendet, nachdem sie gegangen war. Er versuchte, sich an sie zu erinnern, aber die Bilder blieben verschwommen. Damals hatte er zwar ein schlechtes Gewissen gehabt, aber die Erleichterung hatte überwogen. Keinen Moment hatte er ihr nachgetrauert oder war je auf die Idee gekommen, sich nach ihr zu erkundigen.

Erin setzte sich an den kleinen Terrassentisch und faltete die Hände im Schoß. Parker nahm ihr gegenüber Platz und sah sie forschend an. Immer noch suchte er nach Unterschieden zwischen ihr und ihrer Schwester. Aber es war ein fruchtloses Unterfangen, denn er konnte sich kaum noch an Stacey erinnern.

Erin brach das Schweigen zuerst. „Wahrscheinlich möchten Sie gern wissen, was ich hier will.“

Parker konnte nicht einmal sagen, ob ihre Stimmen gleich klangen. Vermutlich. „Ehrlich gesagt, ja“, gab er zu. „Es ist schließlich schon einige Jahre her, dass Ihre Schwester hier war.“

„Ja, ziemlich genau fünf Jahre.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und holte dann tief Luft. Als wollte sie Mut schöpfen, dachte er. Aber Mut wofür?

„Mr. Hamilton …“

„Nennen Sie mich doch bitte Parker.“

Erin nickte nur. „Ich weiß nicht, wie gut Sie sich an meine Schwester erinnern.“

„Sie hat einen Sommer lang hier gewohnt.“ Oder den größten Teil des Sommers. Bis die Umstände … nein, er sollte ehrlich sein … bis er sie vertrieben hatte. „Wir hatten …“ Er suchte nach Worten. Hatten sie eine Beziehung gehabt? Nein, so konnte man das nicht nennen. „Es gab Missverständnisse“, sagte er schließlich.

Erin sah ihm direkt in die Augen. „Ich verstehe.“

Parker erkannte an ihrem Blick, dass sie genau wusste, was in diesem Sommer passiert war, und was er ihrer Schwester angetan hatte. Gut, er hatte sich nicht sehr anständig verhalten, aber er hatte nichts gegen Staceys Willen getan. Schließlich hatte sie sich ihm ja förmlich an den Hals geworfen, bis er endlich schwach geworden war. Und außerdem war sie kein Kind mehr gewesen, sondern eine erwachsene Frau.

Aber er wusste, dass er sich damit nur selbst beruhigen wollte. Sie war vielleicht volljährig, aber sie war ihm nicht gewachsen gewesen. Das war die unangenehme Wahrheit.

Bevor er noch etwas sagen konnte, erschien Kiki und servierte Kaffee und Gebäck auf einem altmodischen Silbertablett.

Erin schenkte ihr ein Lächeln. „Danke.“

„Keine Ursache. Mr. Hamilton hat leider viel zu selten Besuch.“ Die Haushälterin betrachtete Erin kopfschüttelnd. „Es ist wirklich unglaublich, wie ähnlich Sie Ihrer Schwester sehen.“ Sie schenkte den Kaffee ein. „Sie war eine ganz reizende junge Dame, wenn ich das sagen darf. Immer so fröhlich und lustig. Sie hat viel Leben in dieses alte Haus gebracht. Mr. Hamilton hat ja leider nur seine Arbeit im Kopf.“ Sie warf ihrem Chef einen Blick zu, dem er entnehmen konnte, dass sie ihm noch nicht verziehen hatte, dass er gestern Abend zu spät zum Essen erschienen war und deshalb der Braten viel zu lange im Backofen gewesen war. „Greifen Sie zu“, sagte sie zu Erin und sah ihren Chef streng an. „Und Sie auch.“

Parker hielt Erin den Teller mit dem Gebäck hin. „Kiki ist eine ausgezeichnete Köchin und kann sehr ungemütlich werden, wenn man ihre Anstrengungen nicht würdigt.“

Erin nahm sich ein Stück Gebäck, aber sie legte es auf ihrer Serviette ab. „Ich wusste nicht, dass meine Schwester hier gelebt hat.“

Parker räusperte sich verlegen. „Das war zu der Zeit ein ideales Arrangement für meine Studenten, da es abends meistens spät wurde.“

Erin rührte langsam in ihrem Kaffee, sagte aber nichts.

Parker lehnte sich zurück. „Hat Ihre Schwester Sie geschickt?“, wollte er wissen.

Erin blickte erschrocken auf. „Sie wissen es nicht? Nein, woher auch.“

Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. „Was weiß ich nicht?“

„Meine Schwester ist vor vier Jahren gestorben.“

Parker stand auf und trat an die Terrassenbrüstung. Dann blickte er übers Meer hinaus. Stacey Ridgeway war tot. Was fühlte er? Mitleid mit ihrer Familie, Reue – die Reue war immer da – und Bedauern, dass er ihr sein Verhalten nicht mehr erklären oder sich entschuldigen konnte. Aber traurig war er nicht. Er hatte sie ja kaum gekannt. Wenn ihre Zwillingsschwester nicht aufgetaucht wäre, hätte er wahrscheinlich nie wieder an sie gedacht.

„Das tut mir leid“, sagte er und drehte sich wieder um. „Es war sicher nicht leicht für Sie.“

„Nein“, sagte Erin. „Ich habe sonst keine näheren Verwandten.“

Misstrauen stieg in ihm hoch, gepaart mit Zynismus. Er war ein wohlhabender Mann. Nicht nur, dass er vor ein paar Jahren seine Software-Firma für ein paar Millionen Dollar verkauft hatte, sondern er verdiente auch heute noch sehr gut – fast peinlich gut – mit dem Entwickeln von Computerprogrammen. Erin Ridgeway wäre nicht die erste Frau, die es auf sein Vermögen abgesehen hatte.

„Der Tod Ihrer Schwester ist sicher sehr tragisch gewesen, aber ich weiß nicht, was das mit mir zu tun haben sollte.“ Wie viel würde ihn die Sache kosten? Selbst wenn diese Frau nie einen Cent sah, so würden doch allein seine Rechtsanwälte ein Vermögen verschlingen.

Erins Hände zitterten so sehr, dass sie ihre Tasse abstellen musste. „Ich weiß, was Sie jetzt denken.“ Das bezweifelte er. „Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich jetzt erst komme.“ Sie sah ihn an. „Aber dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Ich habe erst vor ein paar Wochen von Ihnen erfahren. Stacey hat Ihren Namen nie verraten. Sie fand es nicht fair, Ihnen Verantwortung aufzuladen. Dieser Ansicht bin ich nicht. Aber da ich bis vor kurzem nichts von Ihnen wusste, war ich machtlos.“ Parker sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, über ihre Schwester zu sprechen. „Ich habe Sie gehasst, weil Sie Staceys Leben zerstört haben. Und weil Christie mir einen Strich durch meine Pläne gemacht hat.“

„Wer ist Christie?“, fragte Parker verwirrt. Er wusste immer noch nicht, was er von Erins Erscheinen halten sollte.

Sie öffnete ihre Handtasche und nahm ein Foto heraus. „Ich habe meine Schwester in diesem letzten Jahr nur ein paar Tage gesehen. Nicht einmal Weihnachten haben wir zusammen gefeiert. Sie wollte nicht, dass ich etwas merkte. Bis ich aus dem Krankenhaus angerufen wurde, weil es Komplikationen gab, hatte ich keine Ahnung.“

Parkers Magen zog sich zusammen und eine Ahnung machte sich in ihm breit. „Komplikationen?“

„Meine Schwester starb kurz nach der Geburt ihres Babys. Ihrer gemeinsamen Tochter.“

Seiner Tochter?

Parker starrte Erin an. Er hörte, was sie sagte, aber es schien nichts mit ihm zu tun zu haben. Eine Tochter … er hatte eine Tochter?

Erins Augen drückten die unterschiedlichsten Gefühle aus. Verwirrung, Mitgefühl, Angst … warum Angst? Und was mochte sie in seinem Gesicht lesen?

Parker stand unter Schock und war wie gelähmt – als wäre er in einen eiskalten Fluss gesprungen, und es hätte ihm den Atem verschlagen.

Er versuchte, sich an die Nacht mit Stacey zu erinnern. Aber er sah nur ein verschwommenes Bild vor sich. Scham und Schuldbewusstsein lagen wie ein Nebel darüber. Er hatte an diesem Abend viel getrunken, aber nicht so viel, dass er nicht mehr wusste, dass er mit ihr geschlafen hatte, immer wieder. Und er hatte gehofft, dass er damit die Vergangenheit auslöschen konnte. Stattdessen hatte er sich nur umso klarer daran erinnert.

Aber warum sollte das Kind von ihm sein? Vielleicht wollte Erin Ridgeway ja nur ein paar Dollar für sich herausschlagen.

„Woher weiß ich, dass dieses Kind wirklich meine Tochter ist?“

Erin drückte ihm das Foto in die Hand. „Christie hat Ihre Augen, Ihren Mund … das Temperament hat sie allerdings von ihrer Mutter.“

Noch vermied er es, das Bild anzuschauen. Vielleicht hatte er Angst. Aber vielleicht ahnte er auch schon, dass Erin ihn nicht anlog.

Er wappnete sich für den ersten Blick. Und dann traf ihn der Anblick doch völlig unvorbereitet, und er fühlte sich, als hätte jemand ihm einen Schlag in den Magen versetzt.

Das Foto zeigte ein kleines lachendes Mädchen an einem sonnigen Tag irgendwo in einem Park. Es hatte die Arme in die Luft geworfen und hüpfte fröhlich hoch. Die langen Haare waren zu Rattenschwänzen gebunden und schwangen heftig hin und her.

Das alles erfasste er mit einem Blick. Dann konzentrierte er sich auf das Gesicht der Kleinen. Sie hatte die Augen beim Lachen zusammengekniffen, aber es waren seine Augen. Und es war sein Mund. Auch die Art, wie sie ihren Kopf hielt, war ihm vertraut. Es bestand kein vernünftiger Zweifel daran, dass sie wirklich sein Kind war.

„Wie alt ist sie?“, fragte er heiser.

„Anfang Mai ist sie vier geworden.“

Parker konnte immer nur auf das Bild starren, als wollte er sich jede kleinste Einzelheit einprägen.

„Das muss ein ganz schöner Schock für Sie sein.“

Er zwang sich zu einem Lächeln. „Das ist noch milde ausgedrückt.“ Wieder betrachtete er das Bild. „Ich hatte keine Ahnung.“

„Ich wäre früher gekommen, aber ich habe Staceys Tagebuch mit Ihrem Namen jetzt erst gefunden.“

„Wo ist Christie jetzt?“ Christie … noch hatte der Name einen ganz fremden Klang, aber er gefiel ihm.

„Ich habe sie im Motel bei meiner Freundin Joyce gelassen.“

Parker vermutete, dass sie Geld wollte – Unterhalt, einen Beitrag zum College … Natürlich war er dazu bereit. Er wollte sich nicht vor seiner Verantwortung drücken. Aber darüber konnten sie später sprechen. „Ich will sie kennen lernen.“

Darüber schien Erin sich zu freuen. Das Grübchen in ihrer Wange wurde tiefer. „Gut“, sagte sie nur. „Ich habe Christie noch nicht erzählt, warum wir hier sind, weil ich zuerst wissen wollte, wie Sie reagieren. Es hätte ja sein können, dass Sie mir nicht glauben.“

„Bei dieser Ähnlichkeit? Unwahrscheinlich.“

„Das wusste ich ja vorher nicht. Schließlich könnte sie auch nach einem anderem Mitglied Ihrer Familie schlagen.“

Parker konnte es immer noch nicht glauben, dass er wirklich ein Kind hatte. „Wann kann ich sie sehen?“

Erin sah auf die Uhr. „Es ist jetzt kurz vor elf. Passt es Ihnen, wenn wir um zwei Uhr kommen?“

In drei Stunden erst. Sie würden ihm wie eine Ewigkeit vorkommen. „Ja.“

„Schön.“ Erin stand auf, und er begleitete sie zur Vordertür. „Finden Sie den Weg in die Stadt zurück?“

„Ich habe ja auch hierher gefunden. Außerdem habe ich eine Karte.“ Sie gab ihm die Hand. „Sie werden Christie mögen.“

„Ja“, sagte er mit belegter Stimme. „Und danke. Ich kann es immer noch nicht ganz fassen.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Erin lachte. „Da taucht auf einmal eine wildfremde Frau auf und erzählt Ihnen, dass Sie ein Kind haben, von dem Sie nichts ahnten. Ich finde, Sie haben sich unter diesen Umständen gut gehalten.“

Sie sahen sich an. In einem Punkt hatte sie sich geirrt. Sie war keine wildfremde Frau. Zumindest ihr Gesicht war ihm vertraut. Er konnte sich nur nicht mehr gut genug an Stacey erinnern, um Unterschiede zwischen ihr und Erin wahrzunehmen – falls es überhaupt welche gab. Er betrachtete die zierliche Nase und den großen Mund, der sich jetzt zu einem Lächeln verzog. Dabei bildete sich das Grübchen in ihrer Wange wieder.

„Dann bis später.“

„Ich freue mich schon.“

Parker blickte ihr nach. Ihr Wagen war ein älteres Modell. Sie hatte ihn offenbar nach rein praktischen Gesichtspunkten ausgesucht. Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, fielen ihm noch all die Fragen ein, die er ihr nicht gestellt hatte – zum Beispiel die nach einem Ehemann. Er konnte sich nicht daran erinnern, ob sie einen Ehering trug. Hatte sie Christie nach Staceys Tod adoptiert? Und vor allem: Was würde sie seiner kleinen Tochter über ihn erzählen, nachdem sie ihn gesehen hatte?

Als er ein Geräusch hörte, drehte er sich um. Kiki stand in der Halle, ihre Augen funkelten.

„Und? Was wollte sie?“, fragte sie, als wüsste sie es nicht längst.

„Sie brauchen gar nicht so unschuldig zu tun. Ich weiß genau, dass Sie an der Tür gelauscht haben.“

Kiki kämpfte kurz mit sich, ob sie alles abstreiten und ihre Würde verteidigen sollte, aber dann drückte sie ihn nur herzlich. „Ich freue mich ja so für Sie! Jetzt kommt wieder ein bisschen Leben ins Haus, und Sie werden von ihren blöden Computern abgelenkt.“

„Immer langsam!“ Parker hob abwehrend die Hände. „Niemand hat gesagt, dass Christie zu mir ziehen wird. Ich muss sie doch erst einmal kennen lernen und …“

„Ach, Christie heißt sie? Ich habe leider nicht alles verstanden“, entschuldigte Kiki sich.

„Das nächste Mal reden wir lauter“, versprach Parker trocken.

Kiki überhörte die Spitze großzügig und machte sich unverzüglich an die Planung. „Wir brauchen Kekse, Limonade, vielleicht auch Eis … Wann kommen sie?“

„Um zwei Uhr.“

Sie ging vor ihm auf und ab, ein fuchsienfarbenes Energiebündel. „Andererseits sind zu viele Süßigkeiten nicht gut für Kinder. Ein paar belegte Brote wären vielleicht besser … Na ja, mir wird schon etwas einfallen, machen Sie sich da mal keine Sorgen.“

Parker war, als wäre ihm der Boden unter den Füßen entzogen. In einem einzigen Augenblick war sein Leben auf den Kopf gestellt worden. Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte er wieder etwas in sich – Neugier, vielleicht auch ein bisschen Angst.

Noch drei Stunden, dann würde er seine Tochter kennen lernen.

2. KAPITEL

„Daddy, Daddy“, sang Christie. „Fahren wir jetzt zu meinem Daddy?“

„Ja, meine Süße.“

Christie holte tief Luft, schob die Unterlippe vor und blies sich den Atem über das Gesicht. Ihr Haar flatterte im Luftstrom.

„Warum hat er nicht gewusst, dass er mein Daddy ist?“

„Weil Stacey es ihm nicht erzählt hat.“

„Und warum hast du es ihm nicht erzählt, Mommy?“

„Weil ich nicht gewusst habe, wo er ist.“

„Hat er mich denn nicht im Bauch gesehen?“

„Stacey hat ihm ihren Bauch gar nicht gezeigt.“

„Wie bin ich denn in ihren Bauch gekommen?“

Erin umfasste das Lenkrad fester und unterdrückte ein Aufstöhnen. Ausgerechnet jetzt musste Christie sich Gedanken darüber machen, woher die kleinen Kinder kamen!

„Sieh mal“, sagte sie mit übertriebener Begeisterung. „Da ist schon das Meer!“

Das Ablenkungsmanöver klappte. „Es ist ganz blau. Wo hört es auf?“

„Es hört gar nicht auf. Aber an manchen Stellen bekommt es einen neuen Namen.“

Christie kräuselte die Nase. „Das Meer hat einen Namen?“

„Ja. Hier heißt es Pazifik.“

Christie dachte eine Weile über diese neue Information nach. Erin warf ihr einen Blick zu. Es war unglaublich, wie ähnlich die Kleine Stacey war. Vor allem die Lebhaftigkeit und Wissbegierde hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Die schnelle Auffassungsgabe hatte sie aber auch von ihrem Vater – genau wie den Mund und das Lächeln. Aber die Grübchen waren eindeutig von den Ridgeways.

Parker Hamilton wohnte ziemlich abgelegen. Zuerst hatte Erin es merkwürdig gefunden, dass jemand so isoliert lebte, aber seit sie das Anwesen gesehen hatte, verstand sie es besser. Das altmodische zweistöckige Holzhaus mit seinem steilen Dach und den spitzen Türmchen lag wie ein Zauberschloss inmitten von Bäumen, üppigen Blumen und weiten Rasenflächen gleich am Meer.

„Hat mein Daddy noch mehr Kinder?“, wollte Christie wissen.

„Keine Ahnung. Danach habe ich ihn nicht gefragt.“

Immerhin wusste sie, dass Parker nicht verheiratet war, denn nachdem sie Staceys Tagebuch gefunden hatte, hatte sie Erkundigungen über ihn eingezogen. Offenbar hatte er einen großen Namen in der Computerwelt, seine Firma hatte zu den Branchenführern gehört. Vor einiger Zeit hatte er sie verkauft, arbeitete aber weiter im Softwarebereich. Von seinem Privatleben war nur wenig an die Öffentlichkeit gedrungen. Man wusste nur, dass er Witwer war, von Kindern war nirgends die Rede gewesen.

Erin bog in die gepflasterte Zufahrt ein und atmete tief durch. Die Luft war salzig und herrlich frisch.

„Kannst du das Meer riechen?“, fragte sie Christie.

Christie kräuselte ihre kleine Nase. „Ja. Nach was riecht es?“

„Nach Salz und Sonne.“

„Sonne kann man doch gar nicht riechen.“

„Doch, manchmal schon.“

Christie sah ihre Mommy skeptisch an, widersprach aber nicht. „Das ist aber ein schöner Garten“, sagte sie dann. „Ich finde, Daddy wohnt ganz schön weit weg.“

„Da hast du recht.“

Erin fürchtete sich davor, dass Christie sie fragen könnte, wie es jetzt weitergehen sollte. Aber darüber machte eine Vierjährige sich vielleicht gar keine Gedanken. Sie selbst war immerhin siebenundzwanzig Jahre alt und wusste auch nicht genau, wie sie mit dieser schwierigen Situation umgehen sollte. Natürlich hatte sie sich einen Plan zurechtgelegt, der ihr ziemlich logisch erschien, aber aus Erfahrung wusste sie, dass scheinbar logische Pläne nicht immer auch die besten waren.

Zu beiden Seiten der gewundenen Auffahrt wuchsen üppige Büsche und hohe Bäume, hinter denen unvermittelt das Haus auftauchte.

„Das ist aber ein großes Haus, Mommy“, stellte Christie ehrfürchtig fest.

„Ja, nicht? Und es ist so hübsch. Die Fenster sehen in der Sonne wie richtige Edelsteine aus, findest du nicht?“

„Ja.“

Erin hatte das merkwürdige Gefühl, als sei sie an dem Ort angekommen, den sie ihr Leben lang gesucht hatte. Kein Wunder, dass Stacey sich in das Haus und seinen Besitzer verliebt hatte. Sie war zwar im Vergleich zu ihrer Schwester eher ein nüchterner Mensch, aber selbst sie konnte sich der Atmosphäre nicht ganz entziehen.

Sie parkte den Wagen, und sie stiegen aus. Hier oben war der Meeresduft noch intensiver. Von unten klang das stete Rauschen und Plätschern der Wellen herauf.

Christie hüpfte aufgeregt auf und ab. „Wohnt mein Daddy in dem schönen Haus? Gehört es ihm ganz allein? Darf ich alle Zimmer ansehen?“

Erin lachte. „Eines nach dem anderen. Ja, dein Daddy wohnt hier, und das Haus gehört ihm ganz allein. Und wenn du ihn fragst, zeigt er dir bestimmt alle Zimmer.“

Bevor sie noch mehr sagen konnte, ging die Tür auf, und Parker Hamilton stand vor ihnen.

„Ist das mein Daddy?“, fragte Christie flüsternd und tastete unwillkürlich nach Erins Hand.

„Ja.“

Sie betrachtete Parker mit der ganzen Ernsthaftigkeit ihrer vier Jahre und schaute dann zu Erin auf. „Ich glaube, er ist nett.“ Sie hatte darauf bestanden, für diesen Besuch ihre lindgrünen Lieblingsshorts und das T-Shirt mit dem Fisch darauf anzuziehen. Dazu trug sie grüne Schleifen im Haar.

Erin drückte ihre Schulter und schob sie ein wenig an. „Komm.“

Parker hatte nur Augen für seine kleine Tochter.

Was mochte jetzt in ihm vorgehen? Erin versuchte sich vorzustellen, was sie in seiner Lage denken würde. Aber ihr Gehirn hatte offenbar vorübergehend ausgesetzt, denn sie konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Parker mochte mit seinem dunklen Haar und den dunklen Augen ganz gut aussehen, aber überwältigend schön war er nun auch wieder nicht. Und doch … irgendetwas an ihm ließ ihr den Atem stocken.

Die oberen zwei Knöpfe seines weißen Hemdes standen offen, die Ärmel hatte er hochgerollt. Die engen, abgetragenen Jeans betonten seine schmalen Hüften und die langen Beine. Die Turnschuhe hatten einmal bessere Tage gesehen. Seinen Reichtum sah man ihm wahrhaftig nicht an.

Jetzt machte er eine Bewegung auf sie zu und zögerte dann. Er wirkte unsicher.

Christie sah ihn ernst an. „Bist du wirklich mein Daddy?“

Parker nickte und ging vor ihr in die Hocke. „Ja, Christie. Ich heiße Parker Hamilton.“

„Soll ich nicht Daddy zu dir sagen?“

Parker sah zu Erin auf, als suchte er Rat bei ihr.

Sie lächelte. „Ich denke doch.“

Eine Reihe von Gefühlen wechselte sich in Parkers Gesichtsausdruck ab – Verwirrung, Unbehagen, ungläubige Freude.

Erin konnte sich nur zu gut vorstellen, was in ihm vor sich ging. Ihr war es ja nicht viel anders ergangen, als sie von Christie erfahren hatte. Nur war ihre Nichte damals noch ein winziges Baby gewesen.

„Hast du gar nicht gewusst, dass ich auf der Welt bin, Daddy?“, erkundigte Christie sich jetzt.

Parker schüttelte den Kopf. „Nein. Das habe ich erst heute erfahren.“ Er streckte vorsichtig die Hand aus und berührte ihre Wange.

„Freust du dich, dass ich da bin?“ Wie immer kam sie sofort zum Kern der Sache.

„Und wie!“

„Ich auch.“ Christie schenkte ihm ihr verführerischstes Lächeln. Erin war inzwischen immun dagegen, aber auf Parker wirkte es Wunder.

Er breitete die Arme aus und zog seine kleine Tochter an sich. Christie schlang die Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn. Parkers dunkles Haar bildete einen Kontrast zu mit dem helleren Haar seiner Tochter, das denselben rötlichen Schimmer hatte wie das von Erin und Stacey.

Erin war zwar auf diesen Augenblick vorbereitet gewesen, aber jetzt spürte sie doch, wie ihre Kehle eng wurde.

Christie löste sich von ihrem neu gefundenen Vater und strahlte ihn an. „Du riechst ganz anders als Mommy.“

Vom Haus kam ein Geräusch, und Erin entdeckte die Haushälterin unter der Tür.

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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