Kein Geheimnis kann uns trennen

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Nach Thunder Ridge zurückzukehren war entweder ein Riesenfehler – oder die beste Entscheidung seines Lebens! Nate ist hin und hergerissen, als er Izzy wiedersieht, seine wunderschöne, unvergessene Sommerliebe. Aber warum geht sie ihm bloß beharrlich aus dem Weg?


  • Erscheinungstag 27.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506915
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Thunder Ridge, Oregon

Izzy Lambert hielt sich für eine grundehrliche Person. Und sie hätte ihren letzten Dollar darauf verwettet, dass die meisten Menschen, die sie kannte, ebenso dachten. In ihrem ganzen Leben hatte sie nur zwei Mal die Unwahrheit gesagt. Genau genommen hatte sie die Wahrheit nur verschwiegen.

Lange hatte sie befürchtet, dass ihre Geheimnisse ans Tageslicht kommen könnten, und noch mehr Zeit hatte sie damit verbracht, nach dem Mann zu suchen, dem sie die Wahrheit vorenthalten hatte. Manchmal glaubte sie sogar, ihn zu sehen, etwa …

… im Supermarkt, wo er eine Tüte Milch aus dem Regal nahm …

… in der Schlange vor dem Bankschalter …

… im Wagen hinter ihr am Drive-In-Restaurant …

Einmal hätte sie sich fast an einem Pfannkuchen in einem Restaurant in Disneyland verschluckt, als sie glaubte, ihn in einem der Kellner wiederzuerkennen.

In Wirklichkeit war er es nie gewesen – Gott sei Dank! –, aber jedes Mal, wenn Izzy glaubte, Nate Thayer zu erblicken, begann ihr Herz wie wild zu schlagen, ihr Puls raste, ihr wurde ganz heiß und schwindlig, und im Handumdrehen war sie schweißgebadet.

Wie jetzt, als sie auf der Straße Flyer verteilte, um Passanten und Touristen auf ihr Restaurant The Pickle Jar aufmerksam zu machen.

„Was gibt’s denn da so zu essen?“, wollte eine Frau wissen und wedelte mit dem Flyer. „Nur Salzgurken?“, spielte sie auf den Namen des Lokals an.

„Natürlich nicht. Wir bieten regionale Küche mit regionalen Spezialitäten an. Sehr viel Vegetarisches. Und absolut gesund.“

„Wo liegt es denn?“, fragte eine andere Frau.

„Etwa dreißig Meter in diese Richtung.“ Izzy streckte die Hand aus.

„Und um für Ihr Restaurant zu werben, haben Sie sich als Gurke verkleidet?“, bemerkte ein älterer Herr, dem Schweißperlen auf der Stirn standen, schmunzelnd.

In ihrem Gurkenkostüm war Izzy in der Nachmittagssonne genauso heiß geworden. Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie nicht im Traum daran gedacht, in dieser blödsinnigen Maskerade auf die Straße zu gehen. Aber in einem Marketingkurs für selbstständige Unternehmer hatte sie gelernt, dass Auffallen und Originalität äußerst wichtig waren, um aus der Masse hervorzustechen und die Kundschaft anzulocken.

Eigentlich hatte Izzy Wirtschaftswissenschaften studieren und danach ein eigenes Büro eröffnen wollen, in dem sie in eleganter Businesskleidung mit ihren Klienten verhandelte. Leider aber erfüllten sich manche Wünsche nicht, und Izzy hatte lernen müssen, dass man nur weiterkam, wenn man die Realität akzeptierte. Nun, da sich das Restaurant, in dem sie Geschäftsführerin war, gegen immer mehr Konkurrenten behaupten musste, war Izzy gezwungen, alles Mögliche zu versuchen, um zu überleben. Und eine der Maßnahmen bestand darin, ein lächerliches Gurkenkostüm anzuziehen und sich zum Hanswurst zu machen.

Aber wenn es den Umsatz steigerte, war ihr jedes Mittel recht.

Es war unerträglich heiß in dem grünen Ganzkörperkostüm. Vermutlich mit ein Grund, warum sie keinen ihrer Angestellten hatte überreden können, in dieser Verkleidung auf die Straße zu gehen. Also war sie kurzerhand selbst hineingeschlüpft, um die Werbetrommel für The Pickle Jar zu rühren.

Ein anderer Tourist baute sich vor ihr auf. „Und es ist wirklich so günstig, wie es hier steht?“, erkundigte er sich.

„Noch viel günstiger. Und die Speisen sind noch viel besser.“ Izzy lief der Schweiß in Strömen am Körper herunter – und sie schwitzte noch mehr, als ein Mann aus dem Reisebus am Straßenrand stieg, der wieder einmal Nate Thayer ähnelte. Vermutlich sah sie nur deshalb überall Gespenster, weil sie nichts mehr fürchtete als eine Begegnung mit ihm. Vielleicht sollte sie an weniger stressige Dinge denken als daran, ihm zufällig über den Weg zu laufen.

Konzentrier dich aufs Geschäft, ermahnte sie sich. Dann verschwinden auch die Gespenster.

The Pickle Jar war nicht nur ihr Arbeitsplatz, sondern auch ihr Zuhause geworden. Hier hatte sie zum ersten Mal erfahren, was Familienleben bedeutete. Und jetzt stand das Lokal praktisch vor der Pleite. Aber sie würde das Steuer herumreißen, schwor sie sich. Sie musste es herumreißen. Ihr blieb gar keine andere Wahl.

Izzy verdrängte diese niederschmetternden Gedanken und setzte ihr strahlendstes Lächeln für die Touristen auf. „Ich verspreche Ihnen, Sie werden den Besuch nicht bereuen. Es wird einer der Höhepunkte Ihrer Reise sein.“

Vermutlich hatte Nate Thayer sich die Rückkehr in seine Heimatstadt anders vorgestellt, als Jackson Fleming gegenüberzusitzen, mit dem er in derselben Baseballmannschaft gespielt hatte und der ihm die Ohren volljammerte, weil angeblich alles viel schlechter geworden war. Seine vier Kinder fraßen ihm die Haare vom Kopf, sein Job als Fahrer eines Milchlasters langweilte ihn zu Tode … und der Service im Pickle Jar, in dem die beiden Männer saßen, war auch nicht mehr das, was er einmal gewesen war. Stundenlang, schimpfte Jackson, musste man aufs Essen warten.

Es war Nates erster Besuch in Thunder Ridge seit fünfzehn Jahren. Er hatte vorgeschlagen, dort zu Mittag zu essen. Während Jack über sein Leben nach der Highschool berichtete, ließ Nate den Blick durch das Lokal schweifen. Sein erster Eindruck war: Hier hat sich nicht viel verändert. Er erinnerte sich an die Resopaltheke, an der er oft gesessen hatte, für die Prüfung gepaukt und dabei Softdrinks getrunken und Mixed Pickles in sich hineingestopft hatte, bis Sam Bernstein ein Cornedbeef-Sandwich auf Kosten des Hauses vor ihn hinstellte. „Iss das“, hatte der alte Mann mit dem großen Herzen ihm befohlen, als er ihm zum ersten Mal ein Essen spendierte. „Ich sehe doch, dass du ununterbrochen lernst. Da braucht man zwischendurch etwas Anständiges zu essen. Sieh es als Unterstützung für deinen Collegebesuch. Eines Tages, wenn du mal erfolgreich bist, wirst du mir dafür dankbar sein.“

Er war tatsächlich erfolgreich geworden – als Architekt in Chicago. Immer wenn er an Thunder Ridge dachte, fielen ihm die Bernstein-Brüder ein, und er hoffte, dass sie stolz auf ihn sein würden. Er musste sie unbedingt wiedersehen. Während seines Studiums hatte er ihnen noch ein oder zwei Mal geschrieben, aber dann war der Kontakt abgerissen, und er hatte nichts mehr von sich hören lassen. Umso mehr hoffte er, den beiden Männern jetzt die Hand schütteln zu können.

Die abgebrochene Beziehung zu den Brüdern war jedoch nicht das einzige Problem, das ihm zu schaffen machte. Wobei das andere sehr viel schwerwiegender war. Kurz nachdem er der Stadt den Rücken gekehrt hatte, war Isabelle Lambert ebenfalls weggezogen. Seit fünfzehn Jahren hatte er nichts mehr von ihr gehört. Manchmal hatte er überlegt, nach ihr zu suchen, doch den Gedanken daran immer wieder verworfen.

Dennoch war es unmöglich, nach Thunder Ridge, Oregon, zurückzukehren und nicht an das Mädchen mit den karamellfarbenen Haaren, der zarten Haut und den seeblauen Augen zu denken – Augen, die so groß waren, dass Nate am liebsten darin versunken wäre.

Unwillkürlich hielt er die Speisekarte fester umklammert. Entspann dich, befahl er sich. Denn wenn es um Izzy ging, spürte er selbst nach fünfzehn Jahren noch immer diese seltsame Sehnsucht.

„Haben Sie schon gewählt?“

Nate hatte die Kellnerin gar nicht bemerkt, die an ihren Tisch getreten war. Sie füllte die Wassergläser, stellte den Plastikkrug auf den Tisch und sah ihre Gäste erwartungsvoll an. Auf ihrem Namensschild stand „Willa“ – ein passender Name für die zierliche Person mit den langen kastanienbraunen Haaren und der fröhlichen Miene.

Jack lächelte ihr zu. „Was können Sie denn heute empfehlen? Außer sich selbst?“ Obwohl er verheiratet war und vier Kinder hatte, konnte er das Flirten nicht lassen.

Nate zuckte innerlich zusammen, aber die Frau schien nichts erschüttern zu können. Ungerührt antwortete sie: „Das Ochsenbrustsandwich mit frischem Salat der Saison. Dazu vorab die Hühnersuppe.“

Rasch bestellte Nate das Sandwich und hoffte, sein Freund möge das Gleiche tun, ohne sich noch mehr zum Narren zu machen. Doch der dachte nicht im Traum daran. „Ich nehme ebenfalls das Sandwich. Aber bringen Sie mir bitte auch einen eiskalten Drink, Schätzchen. Denn je länger ich Sie anschaue, desto heißer wird mir.“

„Jack …“, begann Nate mit einem warnenden Unterton in der Stimme, aber der ehemalige Football-Held ließ sich nicht beirren.

Er grinste Nate über das ganze Gesicht an. „Du bleibst doch eine Weile in der Stadt, nicht wahr? Vielleicht hat Willa eine Freundin, und wir könnten zu viert was unternehmen.“

Willa nahm den Wasserkrug und murmelte nur: „Die Sandwiches kommen gleich.“ Nun schienen bei Jack sämtliche Sicherungen durchgebrannt zu sein. Er versetzte der Kellnerin einen Klaps auf den Po und packte sie am Handgelenk. Das Mädchen versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, aber Jack ließ nicht locker.

Plötzlich ging alles so schnell, dass Nate hinterher gar nicht mehr hätte sagen können, was genau geschehen war. Er hörte jemanden ein warnendes „He!“ rufen, und dann tauchte eine große … Salzgurke ??? … neben ihm auf. Gleichzeitig ergoss sich ein Schwall eiskaltes Wasser über ihn und Jack. Das meiste davon bekam Jack ab.

Jack schrie etwas, die Gurke schrie zurück, und dann rutschte sie in einer Wasserpfütze aus. Grüne Beine strampelten, grüne Arme ruderten durch die Luft.

Nate stand auf, um dem Wesen wieder auf die Beine zu helfen.

„Das haben Sie mit Absicht gemacht“, grollte Jack.

„Halt die Klappe“, befahl Nate, als er sich neben das lebende grüne Gemüse kniete. „Bewegen Sie sich nicht“, riet er der Gurke. „Lassen Sie mich erst mal nachsehen, ob Sie sich verletzt haben.“ Aber offenbar war das Kostüm so gut wattiert, dass seine Befürchtung unbegründet war.

Die wütende Gurke zeigte auf Jack. „Verlassen Sie sofort dieses Lokal. Auf der Stelle!“ Dann drehte sie sich zu Nate um. „Und Sie … Sie …“

Sie hielt inne. Die Gurke war definitiv weiblich.

In Sekundenbruchteilen lief Nates halbes Leben vor seinem geistigen Auge ab. „Izzy?“ Er klang fast atemlos, als er den Namen aussprach.

Sie brauchte etwas länger, ehe sie heiser hervorbrachte: „Nate?“

„Du kennst sie?“ Wütend starrte Jack ihn an. „Sie hat mir Wasser über meine teuren Stiefel gekippt.“ Er hob einen Fuß und zeigte mit dem Finger darauf. „Das ist Wildleder, verdammt, und ich habe sie noch nicht imprägniert. Ich möchte sofort den Geschäftsführer sprechen.“

Da es ihm unmöglich war, den Blick von Izzy abzuwenden, spürte Nate mehr, dass sich eine kleine Traube von Menschen um sie versammelt hatte, als dass er es sah. Er hörte jemanden sagen: „Sie ist die Geschäftsführerin“, und dann redeten auf einmal alle durcheinander. Wie aus weiter Ferne drangen die Stimmen an sein Ohr.

Izzy.

Die Tatsache, dass Izzy Lambert vor ihm stand – praktisch am selben Ort, an dem er sie verlassen hatte –, traf ihn wie ein Blitz. Hatte sie nicht geschworen, eines Tages in eine richtige Großstadt zu ziehen, wo sie mehr und bessere Möglichkeiten hatte als irgendwo in Oregon?

„Was ist passiert?“, murmelte er.

„Ich bin in der Pfütze ausgerutscht.“

Er schüttelte den Kopf. Das hatte er nicht gemeint. Aber er zog es vor, seine Gedanken für sich zu behalten.

Man hatte ihm doch erzählt, sie sei weggezogen. Es hatte ihn regelrecht aufgewühlt, und er hatte eine Weile gebraucht, bis er sich mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass sie Teenager gewesen waren, als sie miteinander gingen, und dass ihre Beziehung nur einen Sommer und nicht ein ganzes Leben lang dauern sollte. Dennoch gehörte Izzy Lambert zu den großen Fragen seines Lebens, die immer noch nicht beantwortet waren.

„Lassen Sie mich mal durch. Was ist hier passiert?“

Aus den Augenwinkeln bemerkte Nate ein Paar Khakihosen auf ihn zukommen. Als er hochschaute, sah er den Sheriff. Er hatte die Hände in die Hüften gestützt und schaute amüsiert auf Izzy hinunter.

„Izz! Bist du verletzt?“

„Nein.“

„Okay. Dann steh mal wieder auf.“ Der Gesetzeshüter, ein gutmütig dreinblickender Riese, streckte die Hand aus.

„Warten Sie.“ Nate erhob sich aus der Hocke. Als er aufrecht stand, stellte er fest, dass der Mann etwa so groß war wie er selbst – vielleicht ein paar Zentimeter größer – und wohl auch genauso viel wog. Nate gefiel das amüsierte Lächeln ganz und gar nicht. „Sie sollte erst aufstehen, wenn wir sicher sind, dass sie sich nichts gebrochen hat.“

Einem zufälligen Beobachter mochte das Lächeln des Sheriffs freundlich erscheinen, aber im Blick seiner dunklen Augen, mit denen er Nate musterte, lag etwas Herausforderndes.

„Sheriff Derek Neel.“ Er stellte sich vor, ohne ihm die Hand zu reichen. „Und Sie sind?“

Nate warf Izzy einen Blick zu. Sie hatte die Augen weit aufgerissen. „Ein alter Freund“, antwortete er und spürte eine gewisse Genugtuung, als der Sheriff die Stirn runzelte.

„Muss ein sehr alter Freund sein“, mutmaßte Sheriff Neel. „Ich kenne Izz seit zwölf Jahren. Aber ich kann mich nicht erinnern, Sie schon mal gesehen zu haben.“

Jetzt runzelte auch Nate die Stirn. „Izz“ war wohl nicht lange aus Thunder Ridge fort gewesen. Sie war gegangen, ohne sich mit ihm in Verbindung zu setzen oder eine Adresse zu hinterlassen. Nate war schon nach Chicago gezogen, um aufs College zu gehen, und ganz mit seinem neuen Leben beschäftigt. Henry Bernstein, der Besitzer des Restaurants, war der Einzige, der ihm hätte sagen können, wo Izzy sich aufhielt – aber er hatte behauptet, keine Ahnung zu haben. Also war es Nate unmöglich gewesen, Kontakt zu ihr aufzunehmen.

Wie aus heiterem Himmel stürmten dieselben Gefühle auf ihn ein, die er vor einem halben Leben empfunden hatte – nur kurz, aber sehr intensiv. Die zugeschnürte Kehle, der Kloß im Magen, die Verwirrung, sogar der Wunsch, irgendetwas zu zerdeppern, nachdem er erfahren hatte, dass Izzy weggezogen war. All diese Emotionen waren auf einmal wieder da – ungeachtet der Jahre, die vergangen waren, und der Erfahrungen, die er gemacht hatte.

Izzy schien wie erstarrt zu sein, aber etwas in seinem Blick setzte sie in Bewegung. Sie rappelte sich auf, was durch das unförmige Kostüm nicht gerade leicht war.

Der Sheriff griff nach ihrem linken Ellenbogen, und gleichzeitig schlossen sich Nates Finger um ihren rechten Arm. Ängstlich schaute sie ihn und nicht den anderen Mann an. Ihre weichen, perfekt gerundeten Lippen öffneten sich, und sofort spürte er es wieder – das Begehren, den Wunsch, sie zu besitzen. So etwas hatte er mit keiner anderen Frau erlebt. Nur mit Izzy Lambert.

Sie schien „Danke“ sagen zu wollen, aber aus ihrem Mund kam kein Laut. Stattdessen sah sie ihn nur stumm an. Nur zu gut erinnerte er sich an diesen Blick. So hatte sie ihn immer angeschaut, wenn sie sich nach ihm verzehrt hatte.

Sein Blick fiel auf ihren Körper, obwohl der in diesem lächerlichen Kostüm steckte. Er kannte ihn gut – viel zu gut. Er hatte ihn im Sonnenlicht und im Mondlicht gesehen – und im kalten Neonlicht einer Arztpraxis. Daran erinnerte er sich noch genau.

Sie etwa auch?

Nach all diesen Jahren sollte er eigentlich keine Gefühle mehr für Izzy Lambert haben. Ihre Beziehung war vorbei. Sie hatte als Sommerromanze begonnen und genauso geendet, wie es die meisten vorhergesagt hatten – Nate war in einer anderen Stadt aufs College gegangen, und Izzy …

Er war sich nicht sicher, was genau mit Izzy geschehen war. Er wusste nur, dass ihre Beziehung etwas ganz Besonderes gewesen war, etwas, das viele Paare niemals erlebten. Während eines kurzen Sommers hatten sie erwachsen werden müssen und ihre Unschuld verloren. Vielleicht war das der Grund, warum die Gefühle noch nicht ganz erloschen waren – jedenfalls, was ihn anbetraf. Nie mehr hatte er sein Leben als so intensiv und so leidenschaftlich empfunden wie in jenen Monaten eines längst vergangenen Sommers …

Jetzt fragte Nate sich, ob er vielleicht besser nicht zurückgekommen wäre. Doch unvermittelt, als hätte jemand eine Klimaanlage auf die höchste Stufe gestellt, versiegte die heiße Gefühlswallung.

Izzy hatte der Welt beweisen wollen, zu was sie fähig war – und jetzt stand sie vor ihm als Gurke.

Eine wütende Gurke, die ihrer Kollegin zu Hilfe geeilt war. Plötzlich zuckte es um seine Lippen. Izzy, Izzy … Irgendwie passte die lächerliche Situation zu ihr. Diese Frau war immer schon unvorhersehbar und voller Überraschungen gewesen.

Nate schaute den Sheriff an. Welche Rolle spielte er? War er ein Freund? Ein Geliebter? Vielleicht sogar mehr? Aber wenn sie deine Geliebte ist, möchte ich nicht in deiner Haut stecken, Alter. Denn Izzy sah immer noch ihn an und nicht den Gesetzeshüter.

Nates Beziehung mit Isabelle Lambert mochte seit fünfzehn Jahre zu Ende sein, aber er hatte immer noch das Gefühl, dass es zwischen ihnen knisterte. Und schlagartig wurde ihm klar: Seine Rückkehr nach Thunder Ridge war entweder ein schrecklicher Fehler – oder die beste Entscheidung seines Lebens.

2. KAPITEL

Chaos. In Izzys Kopf herrschte pures Chaos.

Nates Finger umklammerten ihren Oberarm, während er sie zusammen mit Derek auf die Füße stellte. Es hatte vielleicht eine Sekunde oder zehn Minuten gedauert. Aber sie spürte nur Nate … und Angst.

Seine Berührung weckte tausend Erinnerungen in ihr. All die vergangenen Jahre schrumpften auf die Dauer eines Wimpernschlags zusammen. Plötzlich lag sie wieder in seinen Armen, mit dem Rücken an seinen Truck gelehnt. Sie spürte seinen Herzschlag und die Hitze seines Körpers, roch den verführerischen Duft seiner Haut, als er sich ihr entgegendrängte und sein warmer Atem ihr Ohr streifte: „Weißt du, was mit mir passiert, wenn du so nahe bei mir bist?“ Er war der einzige Mann gewesen, der ihr das Gefühl vermittelt hatte, etwas wirklich Besonderes zu sein. Und jetzt, nach mehr als zehn Jahren, in denen ihr Körper sich in einer Art Winterschlaf befunden hatte, erwachten all diese Gefühle zu neuem Leben. Das war gar nicht gut.

Um sich wieder zu sammeln, wandte sie den Blick ab. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Selbst nach all den Jahren, in denen sie nach ihm gesucht hatte, in denen sie befürchtet hatte, ihm irgendwann, irgendwo über den Weg zu laufen, schaffte er es immer noch, sie aus der Fassung zu bringen. Denn er stand tatsächlich wieder vor ihr.

Ihr Herz begann wild zu klopfen, während sich ein Gedanke in ihrem Kopf formte: Sieh zu, dass er verschwindet!

„Schön, dich wiedergesehen zu haben, Nate. Aber jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Das Essen geht aufs Haus.“

Izzy hielt das für eine freundliche Geste, doch Nate sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. „Wir haben noch gar nicht gegessen.“

„Oh. Kein Problem. Dann werden wir euch ein Sandwich mitgeben.“

„Ich hätte lieber was anderes.“ Jack, der Blödmann, der Willa angegrapscht hatte, trat einen Schritt vor. „Und zwar eine Entschuldigung, weil meine Stiefel ruiniert sind. Noch besser wäre allerdings ein angemessener Schadenersatz.“

Izzy starrte den Mann an. Sie hatte gesehen, wie er ihre Angestellte befummelt hatte – eine Frau, die so verklemmt und schüchtern war, dass Izzy sich hütete, in ihrer Gegenwart einen schlüpfrigen Witz zu erzählen.

Nates Freund war ein Riese. Persönlich kannte Izzy ihn nicht, aber der Typ Mann war ihr vertraut. Ihre Mutter hatte immer solche Freunde gehabt: groß, arrogant, hohl im Kopf – und felsenfest davon überzeugt, dass andere genauso von ihnen beeindruckt waren wie sie selbst.

„Schadenersatz. Natürlich.“ Sie nickte. „Der Scheck kommt per Post.“

„Na bitte. Geht doch.“

„Das war ein Witz.“ Einen Moment lang vergaß sie, dass sie immer noch in diesem albernen Kostüm steckte, was die Wirkung ihrer Worte nicht gerade unterstrich. „Und außerdem meine ich, dass Sie sich bei Willa entschuldigen sollten.“

„Willa?“ Sofort stand Derek neben ihr. „Was ist denn passiert?“

„Nichts.“ Verlegen drehte Willa den Ring an ihrem Finger. „Es war ein Missverständnis und kommt nicht wieder vor.“

„Was kommt nicht wieder vor?“ Derek ließ nicht locker. Er war bereit für eine Auseinandersetzung, und Izzy merkte sofort, dass sie besser den Mund gehalten hätte. Derek ging nämlich keinem Streit aus dem Weg, und er war noch dickköpfiger als sie selbst.

„Die Dame hat gesagt, dass es ein Missverständnis war“, schaltete Nate sich ein. Unbeeindruckt von der Dienstmarke des Sheriffs, seiner Statur oder seiner grimmigen Miene, schlug Nate einen beschwichtigenden Tonfall an, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass er keinen Widerspruch duldete. „Lassen wir’s dabei bewenden. Und du, Jack, entschuldigst dich bei Willa.“

Jack stand hinter seinem Freund – in sicherer Entfernung vom Sheriff. „Warum sollte ich mich entschuldigen?“

„Um dein Leben zu retten“, antwortete Nate trocken über seine Schulter hinweg, ohne Derek aus den Augen zu lassen, der ihn wütend anfunkelte.

„Wer sind Sie noch mal?“, wollte er wissen. „Und woher kennen Sie Izzy?“

Ich hätte Klebstoff statt Lippenstift verwenden sollen, sagte Izzy sich mit klopfendem Herzen. Dann wären Nate und sein Freund schon längst auf und davon.

Nates Blick fiel auf Izzy, als er Derek antwortete. „Izzy und ich sind … alte Freunde.“

Bildete sie es sich nur ein, oder hatte er tatsächlich kurz gezögert, ehe er „alte Freunde“ gesagt hatte? Neben Derek standen jetzt auch ihre Kollegen, die bei ihrem Sturz herbeigeeilt waren. Sie wollte keinesfalls deren Neugier wecken.

Daher wandte sie sich an Nate. „Lass gut sein. Ich werde ihm einen Scheck schicken.“

„Nein, das wirst du nicht tun“, konterte Nate barsch. „Er hat sich bei Willa – und bei dir – zu entschuldigen.“ Sein durchdringender Blick ließ sie erschaudern.

„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“, klagte Jack. „Sie hat dich auch nass gemacht.“

Nate beachtete ihn nicht. Stattdessen fixierte er weiter Izzy. „Bleib standhaft. Lass dich nicht von einem Blödmann ins Bockshorn jagen.“

„Hey!“, kam Jacks Protest von hinten.

Autor

Wendy Warren

Wendy lebt mit ihrem Ehemann in der Nähe der Pazifikküste. Ihr Haus liegt nordwestlich des schönen Willamette-Flusses inmitten einer Idylle aus gigantischen Ulmen, alten Buchläden mit einladenden Sesseln und einem großartigen Theater. Ursprünglich gehörte das Haus einer Frau namens Cinderella, die einen wunderbaren Garten mit Tausenden Blumen hinterließ. Wendy und...

Mehr erfahren