Lone Star Legends - Liebe zwischen Geheimnissen & Skandalen - 6-teilige Serie

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Drei Familien in Texas verlieben sich zwischen Geheimnissen und Skandalen.

SCHON WIEDER WEHRLOS VOR VERLANGEN

Wir fliegen in meinem Privatjet zum Dinner nach Dallas. Dann reden wir." Madison hat sich wohl verhört! Nach all dem, was zwischen ihr und Jake Calhoun war - Liebe, Leidenschaft, dann Betrug und unendlicher Schmerz -, will er reden? Wo doch jeder weiß, dass die milliardenschweren Calhouns eine gewissenlose Bande ohne Skrupel sind? Aber wie typisch: Mit verführerischen Worten redet Jake einen Abend lang von ihnen beiden und seinen ehrgeizigen Plänen für ihr Anwesen, bis Madison ihm alles glaubt. Und den größten Fehler ihres Lebens zum zweiten Mal macht …

ÜBERZEUGE MICH MIT HEIßEN KÜSSEN

Das ruhige Leben in dem kleinen Ort Verity ist vorbei - das wird Wyatt schlagartig klar, als TV-Moderatorin Destiny Jones sein Büro betritt. In ihrer Show möchte sie über das geheimnisumwitterte Wrenville-Haus berichten. Was für Wyatt aus persönlichen Gründen nicht infrage kommt! Auch wenn die rotgelockte Schönheit mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen versucht, seine Einwände beiseitezuwischen - so leicht macht Wyatt ihr es nicht. Bei ihrem Sex-Appeal könnte er schwach werden. Aber um hinter das Geheimnis zu kommen, muss sie sich schon ein bisschen mehr anstrengen …

EINMAL VERFÜHRT, FÜR IMMER VERLOREN

Eine Frau in Not! Mikes männlicher Beschützerinstinkt erwacht mit aller Macht. Ihr Wagen ist mitten im Nirgendwo liegen geblieben, es regnet in Strömen - wo soll die Fremde bloß hin? Er lädt die bildhübsche Savannah Grayson ein, in seinem Haus zu übernachten. Morgen ist ein neuer Tag, da kann sie hoffentlich weiterfahren … Doch das kann Savannah leider nicht, und plötzlich hat Mike ein Problem. Denn nie wieder wollte er sich verlieben! Warum lässt er sich dann zu einem so atemberaubend heißen Kuss hinreißen, der sein Herz auf eine gefährliche Probe stellt?

DU MACHST SINNLICHE TRÄUME WAHR

Abbys leise Worte sind für Josh wie eine sinnliche Einladung: Natürlich küsst er sie heiß! Denn seit er in ihrem Bed & Breakfast Zuflucht vor einem Blizzard gefunden hat, knistert es zwischen ihnen. Abby ist süß, glaubt an so bezaubernd altmodische Werte wie Liebe und Freundschaft, doch was soll Josh nur tun, wenn der Sturm vorbei ist? Ihre romantische Kleinstadtidylle mit ihr teilen? Kaum vorstellbar. In seine Glamourwelt zurückkehren, in der er als mächtiger Tycoon lebt - ohne Abby? Noch weniger vorstellbar …

SINNLICHE STUNDEN MIT DEM EX

Sara OrwigSinnliche Stunden mit dem ExDiese Frau raubt ihm immer noch den Atem: tiefschwarze Haare, sexy Kurven, intelligent und liebevoll. Rechtsanwalt Nick Milan ist fasziniert von Claire. Nie wird er die Nächte der Lust mit ihr vergessen. Genauso wenig wie die schroffe Ablehnung seines Heiratsantrags und den erbitterten Streit danach. Nun erfährt er, dass Claire die Mutter seines Sohnes ist. Vier Jahre lang wusste er nichts von dem Jungen, jetzt will er ihn auf gar keinen Fall wieder verlieren. Doch bedeutet das, dass er Claire erneut in sein Leben lassen wird?

EINE HEIßE NACHT MIT DEM FEIND

Der Streit mit ihrem Nachbarn Tony Milan dauert schon viel zu lange. Eine neue Strategie muss her! Bei einer Junggesellen-Auktion ersteigert Lindsay einen Abend mit dem Rancher, um ihn nach allen Regeln der Kunst zu becircen. Der Plan scheint aufzugehen - bis Tony sie heiß küsst. Sie kann nicht anders, als sich ihrem Feind mit allen Sinnen hinzugeben. Doch schon am Morgen beginnt der Streit aufs Neue. Mit diesem Mann wird Lindsay nie glücklich werden! Auch wenn sie sich mit jeder Faser ihres Körpers nach seiner Zärtlichkeit sehnt …


  • Erscheinungstag 07.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736118
  • Seitenanzahl 1168
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sara Orwig

Lone Star Legends - Liebe zwischen Geheimnissen & Skandalen - 6-teilige Serie

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by Sara Orwig
Originaltitel: „The Texan’s Forbidden Fiancée“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1927 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Monika Paul

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733722951

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Als in der Kleinstadt Verity, Texas, die Tür der Texas United Western Bank aufging, presste es Jake Calhoun die Luft aus den Lungen. Es war, als hätte ihm jemand die Faust in die Magengrube gerammt. Jahrelang hatte er sich diesen Moment in Gedanken immer wieder ausgemalt. Trotzdem hatte er nicht damit gerechnet, dass es jemals so weit kommen würde. Doch jetzt brannte sich jedes winzige Detail in sein Gedächtnis ein.

Auf der anderen Straßenseite trat Madison Milan hinaus in den Septembermorgen, schaute sich um und erwiderte den Gruß eines Vorübergehenden. Ihr dichtes braunes Haar, das sie mit einem roten Schal zusammengebunden hatte, glänzte in der Sonne. Sie trug Halbschuhe, Jeans und eine Jeansjacke, unter der ein rotes Hemd hervorlugte.

Jake war wie gelähmt. Was er sah, war definitiv kein Produkt seiner Fantasie: Diese Frau stand tatsächlich in voller Lebensgröße keine fünfzig Meter von ihm entfernt. Bei ihrem Anblick packte ihn rasender Zorn. Zu seiner eigenen Überraschung wich diese Wut jedoch nach einer Schrecksekunde einem tiefen Verlangen, einem sengenden, glühenden Begehren. Wie kann es sein, dass ich immer noch auf sie abfahre? fragte er sich. Nach so langer Zeit – und nach allem, was sie ihm angetan hatte.

Unwillkürlich durchfluteten ihn die Erinnerungen. Vor seinem inneren Auge zogen blitzartig und unerbittlich längst vergessene Bilder aus der Vergangenheit vorbei. Madison war das beliebteste Mädchen an der Highschool gewesen, die hübscheste Football-Queen aller Zeiten, die Cheerleaderin mit den tollsten Beinen. Aber dieses Mädchen gab es nicht mehr: Es hatte sich in eine atemberaubend schöne Frau verwandelt. Keiner konnte an ihr vorübergehen, ohne von ihr Notiz zu nehmen, und sie bedankte sich bei allen mit einem Lächeln. Mit dem ein oder anderen wechselte sie auch ein paar Worte. Ob das wohl jedes Mal so war, wenn sie in die Stadt kam? Jake überlegte, während sie sich freundlich lächelnd mit einem hageren, hochgewachsenen Cowboy unterhielt.

Er steckte in der Zwickmühle, das wurde Jake nun klar. Eigentlich hatte er vor, sich Madisons Ranch unter den Nagel zu reißen und die Frau nach allen Regeln der Kunst fertigzumachen. Schließlich war sie eine Milan; genau wie der Rest ihrer Sippschaft war sie falsch, hinterlistig und immer darauf aus, den Calhouns eins reinzuwürgen. Andererseits war sie wunderschön, so unglaublich sexy, die tollste Frau, die er kannte … Sie hatten sich auf der Highschool kennengelernt und auf der Stelle unsterblich ineinander verliebt: Jake, der Quarterback des Footballteams, und Madison, eine von den Cheerleadern.

Als er an diese Zeit zurückdachte, wurden ihm die Knie weich. Sein gesamter Körper schien verrücktzuspielen. Er musste an Madisons weiche Lippen denken, an ihre feurigen Küsse, an ihr seidiges, damals hüftlanges Haar, an ihr Lachen und ihre unbändige Energie. Daran, wie sie sich beim Tanzen an ihn geschmiegt hatte.

Wie ein Blitzlichtgewitter flackerten die Erinnerungen in seinem Inneren auf. Zunächst hatten sie gegen ihre Liebe angekämpft, denn ihre Familien waren seit Urzeiten verfeindet. Aber unweigerlich war es zum ersten Kuss gekommen. Sie hatten miteinander geschlafen; für Madison war es das erste Mal überhaupt gewesen … An all das erinnerte Jake sich so lebhaft, als wäre es erst vor Kurzem passiert, als wären seitdem nicht dreizehn Jahre vergangen. Madison hatte geheiratet, sobald sie die Schule abgeschlossen hatte. Zwei Monate hatte diese Ehe gehalten. Seither war sie Single – so viel wusste er – und inzwischen als Geschäftsfrau vermutlich genauso ehrgeizig wie damals im Sport.

Er musste dringend mit ihr reden. Aber wie sollte er das anstellen? Der Strom der Einheimischen, die alle ein paar Worte mit ihr wechseln wollten, schien nicht abreißen zu wollen. Aus einem Dossier über Madison, das er selbst in Auftrag gegeben hatte, wusste Jake, dass sie einen weißen, viertürigen Pick-up fuhr. Einen solchen Wagen hatte er zwei Blocks weiter westlich vor dem Lebensmittelladen an der Main Street gesehen. Vielleicht konnte er sie dort abfangen.

In dem Moment gelang es Madison, sich loszueisen. Jake folgte ihr in einigem Abstand, bis sie einen Baumarkt betrat. Drinnen entdeckte er sie schließlich bei den Malerfarben. Er holte tief Luft und ging auf sie zu.

Madison Milan durchkämmte die Regale auf der Suche nach dem perfekten Braunton – gebrannte Umbra – für ihr nächstes Gemälde, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Jemand kam auf sie zu. Als sie erkannte, um wen es sich handelte, versteinerte sie. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, dann aber raste es umso schneller. Und sie wurde wütend; sie kochte vor Wut. Dabei hätte sie schwören können, dass sie mit diesem Teil ihrer Vergangenheit längst abgeschlossen hatte.

Das war der Haken daran, dass sie auf die Ranch gezogen war, die ihre Eltern ihr überschrieben hatten. Seit drei Jahren hielt sie sich jeweils im Frühjahr und im Herbst ein paar Wochen lang dort auf. Dabei hatte sie es stets nach Möglichkeit vermieden, nach Verity zu fahren, um nicht aus Versehen Jake über den Weg zu laufen. Jetzt war genau das passiert. Was die Sache noch viel schlimmer machte: Gegen ihren Willen fühlte sie sich zu diesem Kerl hingezogen. Und gerade das wollte sie nicht empfinden, wenn sie Jake Calhoun gegenübertrat.

Er wirkte größer, seine Schultern kamen ihr breiter vor. Er war nicht so schlaksig wie früher, und das stand ihm ganz ausgezeichnet. Mit dem Neunzehnjährigen von damals hatte er nichts mehr gemeinsam.

Wie hatte er sie bloß gefunden? Auf der Straße hatte sie ihn nicht bemerkt. Zufall? Nein, das war unwahrscheinlich.

Jake blieb vor ihr stehen. Sie hoffte inständig, dass er das laute Pochen ihres Herzens nicht hörte.

„Einfach ‚Hallo‘ zu sagen ist hier nicht angebracht, glaube ich“, meinte er, und seine Stimme klang tiefer als in ihrer Erinnerung.

„Wie wäre es mit ‚Tschüss‘? Ich werde weder mit dir noch mit sonst jemandem aus deiner Firma über Probebohrungen auf Milan-Gebiet verhandeln. Schon gar nicht mit einem Calhoun. Ende der Durchsage.“

Damit wollte sie sich abwenden, doch er ergriff ihren Unterarm. Es war eine federleichte Berührung, kaum wahrnehmbar eigentlich. Auf keinen Fall hätte er sie so aufhalten können. Trotzdem traf es Madison mit der Wucht eines Stromschlags. Sie konnte keinen Muskel mehr bewegen, sondern war wie gebannt von dem eindringlichen Blick aus seinen dunklen, braunen Augen.

„Darum geht es auch gar nicht.“

„Willst du etwa die alten Geschichten wieder ausgraben?“, erwiderte Madison. „Davon will ich erst recht nichts hören.“

„Keine Angst“, gab er zurück. Auf einmal wirkte er hart, wütend und verschlossen. Er biss die Zähne zusammen.

Merkwürdig, dachte Madison. Sie selbst war doch die Leidtragende, nicht Jake. Was hatte er ihr vorzuwerfen? Schnell verdrängte sie die Frage aus ihrem Kopf. Es war ihr egal, was er über die Zeit damals dachte. Stattdessen versuchte sie sich darauf zu konzentrieren, was er ihr mitteilen wollte.

„Das ist nicht der beste Ort für ein Gespräch, aber … Es geht um eine Schießerei zwischen unseren Familien, vor langer Zeit auf eurem Land, und um die alte Geschichte von dem vergrabenen Schatz. Hör dir wenigstens an, was ich zu sagen habe. Ich denke, es könnte dich interessieren.“

Madison blieb skeptisch. Vermutlich benutzte er die alte Geschichte bloß als Vorwand, damit sie ihn auf ihr Land ließ. Einer der vielen Tricks, mit denen die Calhouns versuchten, den Milans etwas abzuluchsen. Die beiden Familien bekriegten sich, seit sich ihre Vorfahren kurz nach dem Bürgerkrieg hier niedergelassen hatten. Madison konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Streit von ihrer Generation beigelegt werden würde.

„Ich glaube dir kein Wort. Ich traue dir nicht über den Weg.“ Mehr als ein Flüstern brachte sie nicht zustande, und selbst in ihren Ohren klang es wenig überzeugend. Unfassbar: Ein Blick aus seinen dunklen Augen, und ihr Verstand schaltete sich ab.

„Hör es dir erst mal an, Madison. Es ist wichtig! Ich schlage vor, wir treffen uns irgendwo, wo wir ungestört reden können. Komm zum Dinner auf meine Ranch. Oder ich lade dich in ein Restaurant in Dallas ein. Entscheide du. Hauptsache, es ist ruhig, wir sind ungestört und befinden uns auf neutralem Boden. Es geht auch um deine Familie.“

„Du willst mit mir ausgehen? Vergiss es! Zwischen uns ist alles gesagt.“

„Noch lange nicht. Bitte hör mich an, Madison. Du wirst überrascht sein. Falls du es nicht bist, dann halte ich den Mund und gehe.“

„Egal, worum es sich handelt: Letztendlich dreht sich bei euch Calhouns alles nur darum, die Bohrrechte für das Land der Milans zu ergattern.“

„Natürlich will ich die, aber das spielt in diesem Fall keine Rolle“, erklärte Jake. „Es geht um etwas ganz anderes, und ich bin überzeugt, dass dich das ebenfalls interessiert.“

„Dann spuck es einfach aus.“

Jake schüttelte den Kopf. „Nicht hier, wo wir ständig gestört werden und uns jeder hören kann. Geh mit mir essen, das ist doch keine große Sache. Ich bringe dich auch zurück, sobald du es wünschst.“

„Es macht ja wohl keinen großen Unterschied, ob wir uns hier unterhalten oder in einem Lokal im Ort.“

„Natürlich essen wir nicht in Verity. Wir fliegen nach Dallas. Dort kennt man uns nicht. Wir suchen uns eine ruhige Ecke, wo uns keiner belauschen kann. Und ich bringe dich nach Hause, sobald du es möchtest. Du wirst es nicht bereuen, glaub mir.“

Madison zögerte. Dass ein Milan einem Calhoun nicht vertrauen durfte, hatte sie auf schmerzliche Weise erfahren. Ihrer Ansicht nach konnte Jake nur von ihr die Erlaubnis haben wollen, auf ihrem Grund und Boden nach Öl zu bohren. Und die würde sie ihm unter keinen Umständen erteilen – egal, was er ihr erzählte oder welchen Preis er ihr bot. Andererseits würde er ihr bestimmt nicht zuerst etwas vorschwafeln, um am Ende auf dieses Thema zurückzukommen. Dann wäre das Essen vorbei, ehe die Vorspeise serviert worden war. Genau das machte sie neugierig. Was wusste er über ihre Ranch, das sie nicht wusste?

„Na schön“, willigte sie ein. „Aber wehe, du hast zu viel versprochen.“

„Wäre es denn so schrecklich, einen Abend mit mir zu verbringen?“, fragte er, ohne eine Miene zu verziehen, und bestätigte damit Madisons Skepsis, was seine Aufrichtigkeit betraf.

„Ich finde den Vorschlag ganz schön dreist.“

„Du wirst sehen, es lohnt sich, Madison. Ich hole dich am Sonntag kurz vor sieben ab. Und kein Wort über Bohrungen, versprochen!“

„Wie viel ich auf dein Wort geben kann, weiß ich ja.“ Die Worte rutschten ihr einfach so heraus. Doch zu ihrer Überraschung schienen sie ihn zu treffen, wie sie feststellte, ehe sie ihm den Rücken zudrehte.

Madison brauchte noch zwei kleine Pinsel – aber noch dringender brauchte sie Abstand von Jake. Sie hatte versucht, ihn und die Vergangenheit aus ihren Gedanken zu verbannen. Warum war sie dann aber nicht ganz gelassen geblieben? Woher dieses bohrende Verlangen? Warum mussten wie aus dem Nichts all die Erinnerungen so klar wieder auftauchen, als hätten sie sich erst vor ein paar Monaten und nicht vor mehr als zehn Jahren getrennt? Nur ein Blick auf Jake, und schon waren der alte Schmerz und der Zorn wieder da. Und ebenso diese unglaubliche Anziehungskraft. Immer noch war Jake der attraktivste Mann, den sie kannte. Und immer noch brachte er trotz allem ihr Herz zum Rasen.

Sie beschloss, die Verabredung einfach abzusagen. Sie hatte nicht die geringste Lust, einen ganzen Abend lang mit den alten Kränkungen konfrontiert zu werden. Mit den Erinnerungen an eine Hochzeit, die nie stattgefunden hatte. Das alles nagte ohnehin an ihr. Wann immer sie auch nur an Jake dachte, loderte die Wut in ihr von Neuem auf. Abgesehen davon traute sie ihm nicht über den Weg.

Etwas mehr als ein Jahr lang hatte sie die Warnungen ihrer Familie ignoriert und Jake vertraut. Das war ein Fehler gewesen, den sie mit einem gebrochenen Herzen bezahlt hatte. Deshalb stand eines fest: Auf keinen Fall würde sie Jake erlauben, auf ihrem Grund und Boden nach Öl zu bohren.

Mit raschen Schritten verließ Madison den Baumarkt und begab sich zu ihrem Auto. Die Einkäufe würden warten müssen. Sie wollte schnellstmöglich auf die Double M Ranch zurück; sie musste raus aus dieser Stadt, musste dahin, wo keine Gefahr bestand, Jake erneut in die Arme zu laufen. Eigentlich ließ sie sich selten in Verity blicken. Das Einkaufen übernahmen normalerweise andere, und so würde sie es auch in Zukunft wieder halten. Wenn es bloß genauso leicht wäre, die Gedanken an Jake Calhoun abzustellen!

Stattdessen wurde sie nun von einer wahren Flut von Erinnerungen überrollt. Wegen eines jahrhundertealten Zwists zwischen den beiden Familien hatte Madison in ihrer Kindheit nie ein Wort mit einem Calhoun gewechselt. An der Highschool war ihr Jake allerdings gleich am ersten Tag aufgefallen. Obwohl er drei Jahre älter war als sie, waren sie in der Schule nur zwei Jahrgänge auseinander gewesen. Madison hatte als Kind Privatunterricht erhalten, deshalb hatte man sie eine Klasse überspringen lassen.

Nähergekommen war sie Jake auf einer Party in der Schulturnhalle. Für einen der Tänze mussten sie zwei große Kreise bilden: die Jungs außen, die Mädchen innen. Zum Takt einer Pauke gingen sie so lange im Kreis, bis die Band einsetzte. Dann mussten der Junge und das Mädchen, die sich gegenüberstanden, miteinander tanzen, bis die Musik abbrach und alle wieder in den Kreis zurückkehrten, um einen neuen Partner zu finden.

Madison hatte Jake gegenübergestanden, als die Band zu spielen begonnen hatte. „Oh nein, nicht ein Calhoun!“, hatte sie so laut gesagt, dass alle es hören konnten. Daraufhin hatte sie sich den Jungen neben Jake geschnappt. Jake war nichts anderes übrig geblieben, als sich eine andere Partnerin zu suchen, die allerdings nichts dagegen gehabt hatte: Jake Calhoun war beliebt gewesen und hatte obendrein im Footballteam gespielt.

Als Madison ihm das nächste Mal in der Schule begegnet war, hatte er sich bei ihr bedankt: „Gut, dass du Partner getauscht hast, sonst hätte ich es tun müssen.“ Für den Rest des Schuljahres wechselten sie kein Wort miteinander, aber sie beobachtete ihn und umgekehrt. Im Grund bedauerte sie, dass er ein Calhoun war, denn er war mit Abstand der bestaussehende Junge an der ganzen Schule.

Im zweiten Jahr schloss sich Madison den Cheerleadern an. Einmal ging Jake während eines Spiels an ihr vorüber.

„Hi, hochnäsige Miss Milan“, zischte er, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

„Selber hi, Kotzbrocken Calhoun“, entgegnete sie, und zu ihrem Erstaunen lächelte er.

Am darauffolgenden Montag in der Schule stellte er sich ihr auf dem Flur in den Weg. „Noch mal hi“, sagte er. „In der Schule redest du wohl nicht mit mir. Angst vor deinen Brüdern?“

„Vor denen habe ich keine Angst. Ich habe bloß keine Lust, mit einem Calhoun zu sprechen. Deine Brüder gehen auch hier zur Schule.“

„Angst vor deinen Eltern?“

„Die kriegen nichts mit. Mein Dad hat nur die Arbeit im Kopf und Mom ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen.“

„Dein Vater ist doch Richter in Dallas. Pendelt er jeden Tag?“

„Nein, Mom und er wohnen unter der Woche in Dallas. Meine Brüder und ich wollten aber an der Verity High bleiben, deshalb leben meine Großeltern bei uns auf der Ranch.“

„Das heißt, wir können uns weder hier treffen noch in Dallas. Also komm nach der Schule an den Container. Ich hole dich dort ab, und wir fahren auf ein Eis nach Lubbock. Natürlich nur, wenn du dich traust.“

„Wieso sollte ich mit einem Calhoun ausgehen?“

„Aus dem gleichen Grund, weshalb ich mit einer ganz speziellen Milan ausgehen möchte. Oder hast du Schiss?“

„Wo denkst du hin! Aber musst du nicht zum Training?“

„Ich erzähl dem Coach, dass ich eine Verabredung in Lubbock habe. Wenn du Ja sagst, stimmt das sogar.“

Madison wusste noch genau, wie aufgeregt sie damals gewesen war. Natürlich hatte man sie immer wieder vor den Calhouns gewarnt. Doch als Jake sie mit seinen dunklen braunen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern angesehen hatte, war es um sie geschehen gewesen. Sie hatte tief Luft geholt und genickt.

Mit der Unterstützung ihrer besten Freunde tüftelten die beiden dann einen Plan aus: Ihren Eltern gegenüber gab Madison Steve Reynolds als ihren Freund aus; gegen ihn hatten sie nichts einzuwenden. Jakes Eltern glaubten, er wäre mit Marilee Wilson zusammen. Jake holte Marilee ab, Steve Madison. Daraufhin fuhren sie zu einem Treffpunkt und tauschten die Plätze. Madison verbrachte den Abend mit Jake, Marilee ging mit Steve. Am Ende trafen sie sich wieder und tauschten vor der Rückfahrt noch einmal die Plätze.

Damit war es jedoch vorbei, als Madisons Bruder Tony sie einmal in Lubbock erwischte. Es kam zu einer Prügelei, aus der Tony mit einer blutigen Nase und Jake mit einem blauen Auge und einer dicken Backe herauskam. Weniger handgreiflich, aber mindestens genauso schmerzlich war der Streit zwischen Madison und ihrem Bruder, der damit endete, dass sie wochenlang nicht miteinander sprachen.

Auch ihre anderen Brüder waren nicht begeistert, als sie von ihren heimlichen Treffen mit Jake Calhoun erfuhren. Dennoch schlug Madison alle Warnungen in den Wind. Das Jahr mit Jake wurde die schönste Zeit ihres Lebens. Er konnte tanzen. Und küssen. Sie hatten unglaublich viel Spaß, und Madison lernte die Liebe kennen.

Nach der Schule hatte Jake auf die Mississippi-State-Universität wechseln wollen. Auch viele Jahre später erinnerte Madison sich noch haarklein an den Tag, an dem sie gemeinsam von zu Hause weglaufen wollten. Wie an jedem Samstag hatte sie Jeans und ein T-Shirt getragen. Doch sie hatte außerdem eine Reisetasche gepackt. Darin waren ein knielanges weißes Seidenkleid und passende Pumps, ein Schleier sowie ein spitzenbesetztes Negligé gewesen, das sie auch heute bis ins kleinste Detail hätte beschreiben können. Nachdem ihre übrige Familie sich am späten Abend zurückgezogen hatte, war sie nach draußen auf die Terrasse geschlichen und hatte die Sachen in einem Abfalleimer verbrannt. Für den Fall, dass das Feuer außer Kontrolle geriet, hatte sie mit dem Gartenschlauch in der Hand danebengestanden und sich die Augen ausgeweint. Ohne ein einziges Wort war Jake sang- und klanglos aus ihrem Leben verschwunden. Am Tag darauf war Madison an den Rocky Creek gefahren und hatte den Verlobungsring mit dem Einkaräter in den Fluss geschleudert. Jake Calhoun hatte sie seither nie wiedergesehen.

Madison schüttelte die quälenden Erinnerungen ab und konzentrierte sich jetzt auf die Aufgabe, die sie sich für heute vorgenommen hatte: ein Gemälde für das Büro eines Ölmagnaten in Dallas. Trotzdem kreisten ihre Gedanken ständig um Jake. Auch den ganzen Rest der Woche ging ihr die Arbeit nur zäh von der Hand. Ständig ertappte sie sich dabei, wie sie an den kommenden Sonntag und die Verabredung mit Jake nachdachte. Worüber wollte Jake so dringend mit ihr reden? Es musste wirklich wichtig sein, denn es war ausgeschlossen, dass er sich an sie heranmachen wollte.

Kurz vor sieben Uhr am Sonntagabend wartete Madison in der Bibliothek ihres Hauses auf der Ranch, von wo aus sie die Einfahrt im Auge behalten konnte. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit einem tiefen V-Ausschnitt, das sich eng an ihren Körper schmiegte und knapp oberhalb der Knie endete. Das Haar hatte sie hochgesteckt in der Hoffnung, einen gelassenen, coolen und selbstsicheren Eindruck zu vermitteln – sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie sich auf ein Essen mit Jake eingelassen hatte. Dann sah sie, wie er aus der Limousine stieg und auf das Haus zuging. Bei seinem Anblick bekam sie Herzklopfen. Auf zum Date mit Jake!

2. KAPITEL

Die Sonne stand schon tief am Horizont, als Jake an Madisons Tür läutete. Er war noch nicht oft hier gewesen, denn damals hatten sie kein Risiko eingehen wollen. Selbst wenn Madisons Eltern unterwegs gewesen waren: Es hatte immer noch ihre Geschwister oder die Arbeiter gegeben, die sie hätten anschwärzen können. Nur gelegentlich hatten sie sich dort getroffen, wo die Ländereien ihrer Familien aneinanderstießen.

Jake musterte das Gebäude, als würde er es zum ersten Mal sehen. Das Haus der Milans unterschied sich deutlich von den anderen in der Gegend. Der mit weißen Säulen geschmückte Herrensitz im Kolonialstil erinnerte stark an die amerikanischen Südstaaten. Zwei riesige Eichen flankierten den Eingang. Jenseits des Zauns, der den bewässerten Garten begrenzte, wuchsen dagegen kleinere, viel weniger imposante Mesquitebäume und Kakteen. Diese elegante Villa stand mitten auf einer voll bewirtschafteten Ranch, auf der preisgekrönte Rinder gezüchtet wurden und die aller Wahrscheinlichkeit nach über beträchtliche Öl- und Gasvorkommen verfügte.

Bevor Jake näher an die Tür trat, holte er einmal tief Luft. Ein Abend mit Madison – er konnte es kaum glauben. Insgeheim rechnete er auch jetzt noch mit einer Absage. Erst wenn sie unterwegs waren, würde er aufatmen. Erneut läutete er und lauschte. Und wenn sie in letzter Minute kniff? Als kleine Rache dafür, dass er sie vor dreizehn Jahren hatte sitzen lassen? Am Tag ihrer Hochzeit …

In seiner Magengrube bildete sich der harte Knoten, den er so gut kannte. Auf keinen Fall wollte er über diesen Tag oder sonst etwas in dem Zusammenhang nachdenken. Konzentriere dich aufs Geschäftliche, mahnte er sich im Stillen. Schildere ihr den Fall, iss mit ihr und verfrachte sie schnell wieder nach Hause. Er würde harte Überzeugungsarbeit leisten müssen; doch er hatte ein Ass im Ärmel, mit dem sie sich hoffentlich ködern ließ. Mit dem Anflug eines schlechten Gewissens dachte er an das Geheimnis, von dem nur seine Familie wusste. Gerade als er ein drittes Mal klingeln wollte, schwang die Tür auf … und es verschlug ihm die Sprache.

Vor ihm stand eine unglaublich elegante, atemberaubend schöne Frau. Wieder meldete sich Jakes Gewissen, aber er ignorierte es. Er brauchte sich bloß an die Auseinandersetzung mit Pete Milan zu erinnern, und schon war es um seine Gelassenheit geschehen. Sofort loderte die vertraute Wut in ihm auf. Nur mit Mühe gelang es Jake, die Gedanken an Madisons Vater zurückzudrängen. „Du siehst großartig aus“, stieß er hervor.

„Danke“, erwiderte sie, schien jedoch nicht sonderlich erfreut über das Kompliment.

„Bereit zum Aufbruch?“

„Wehe, wenn es nicht wichtig ist.“

„Sonst hätten mich keine zehn Pferde hierhergebracht“, entgegnete er leise, während Madison nach ihrer Jacke griff. Sie hatte ihn dennoch gehört. Das verriet ihm der finstere Blick, den sie ihm zuwarf. Sie stellte die Alarmanlage scharf und schloss hinter sich ab.

Der Chauffeur wartete bereits neben der schwarzen Limousine und hielt Madison die Tür auf. Sie setzte sich auf die Rückbank. Jake rutschte neben sie, achtete aber darauf, Abstand zu ihr zu halten. Dabei erhaschte er einen Hauch von ihrem Parfüm. Es war ein geradezu betörender Duft mit einer würzigen und zugleich blumigen Note, den er nicht kannte.

Zu seiner eigenen Überraschung hatte Jake die ganze Woche über ständig an Madison gedacht. Im Vorfeld hatte er einen Privatdetektiv auf sie angesetzt; dessen Informationen hatten ihn zunächst kaltgelassen. Doch jetzt, in ihrer Gegenwart … Er musterte sie aus dem Augenwinkel. Von allen Frauen, denen er begegnet war, hatte sie die schönsten Beine. Immer noch.

„Wo fliegen wir los?“, erkundigte sie sich, als die Limousine anfuhr.

„Von Verity aus.“

„In deinem Privatjet?“

„Ja. Die Firmenjets stehen alle in Dallas“, antwortete er. Sie sah ihn aus grünen Augen an, ruhig, ohne erkennbare Gemütsregung. Trotzdem wäre er jede Wette eingegangen, dass sich ihre Gedanken genauso überschlugen wie seine. „Ich habe gehört, du hast eine tolle Karriere als Künstlerin gemacht.“

„Es läuft ganz gut.“

„Es ist ja auch genau das, was du immer wolltest.“ Gegen seinen Willen schwang in seinen Worten eine gewisse Verbitterung mit. „Aber warum vergräbst du dich hier draußen auf der Ranch, wo du doch eine Galerie in Dallas und eine in Santa Fe betreibst?“ Er wollte das Gespräch mit allen Mitteln in Gang halten, bloß um sie weiterhin ansehen zu können. Ihre grünen Augen hatten ihn schon immer fasziniert, aber heute fiel ihm noch weitaus mehr auf – ihr makelloser Teint, ihre vollen Lippen, die er so gerne geküsst hätte. Nur mit Mühe gelang es ihm, den Blick abzuwenden. „Ich kann mir nicht vorstellen, was dich hier hält.“

„Ich bin in Verity aufgewachsen.“ Sie wirkte viel selbstsicherer als zuvor. „Hier bin ich ungestört und kann mich aufs Malen konzentrieren. In der Stadt herrscht zu viel Unruhe. Ein Event jagt den anderen, irgendwer platzt immer rein. Seit meine Eltern mir die Ranch vor drei Jahren überschrieben haben, komme ich normalerweise im Herbst und bleibe bis Weihnachten, dann noch mal für ein paar Wochen ab Mai. Den Rest der Zeit verbringe ich in New Mexico oder in meinem Apartment in Dallas. Wo lebst du eigentlich? Auf deiner Ranch?“

„Schön wär’s. Leider halte ich mich hauptsächlich in Dallas auf, weil sich dort unsere Firmenzentrale befindet. Ich bin ja sozusagen derjenige, der das Ganze zusammenhält. Da bekomme ich kaum mal die Gelegenheit, rauszukommen. Aber ich hoffe, dass ich mich mit vierzig aus dem Geschäft zurückziehen kann. Dann werde ich Vollzeitrancher, davon habe ich schon immer geträumt.“

Madison nickte und schaute eine Weile stumm aus dem Fenster. Der Weg zum Flugplatz im Osten führte über die breite Hauptstraße, die vor der Gründung der Stadt ein staubiger Viehtrieb gewesen war. Nachdem sie die Läden und Geschäfte hinter sich gelassen hatten, kamen sie an den ältesten Gebäuden im Ort vorbei. Ein-, zwei- oder dreigeschossige viktorianische Häuser reihten sich über zwei Straßenblocks aneinander. Sie waren allesamt bewohnt, wie die gepflegten Gärten bewiesen, in denen auch die ältesten Bäume von ganz Verity wuchsen.

Vor dem Ortsausgang passierten sie ein weiteres frei stehendes Anwesen. Madison betrachtete es im Vorbeifahren: Der dreistöckige Holzbau im viktorianischen Stil war von einem meterhohen schmiedeeisernen Zaun umgeben. Das Tor hing schief in den Angeln, viele Fensterscheiben waren zerbrochen. Im Garten wucherte das Unkraut, und die beiden hohen Eichen wurden vom Efeu fast erdrückt.

„Das Wrenville-Haus! Weißt du noch, wie du dich mit Wyatt und ein paar Jungs aus dem Footballteam nachts da reingeschlichen hast?“, fragte Madison.

Jake nickte. „Das haben damals alle gemacht. Und genau wie alle anderen haben wir dabei nichts erreicht – außer, uns vom Sheriff erwischen zu lassen. Sieht inzwischen ja ziemlich verwahrlost aus.“

„Dort sind ja angeblich zwei von unseren Vorfahren ums Leben gekommen. Beide haben um Lavita Wrenville geworben. Ihr Vater hat eine Waffe auf sie gerichtet, und am Ende waren alle drei Männer tot. Es konnte nie geklärt werden, wer wen erschossen hat. Lavita hat vor ihrem Tod gebeichtet, dass einer der drei lang genug gelebt hat, um ihr den Namen des ersten Schützen zu nennen. Es heißt, sie hätte diesen Namen auf einen Zettel geschrieben und ihn gut versteckt. Ich bin wirklich gespannt, ob wir im nächsten Jahr mehr erfahren.“

„Wenn ja, dann wird es dein Bruder Wyatt als einer der Ersten wissen. Im nächsten Jahr kann die Stadt ja anscheinend über das Haus samt Grundstück verfügen. Man sagt, dass Wyatt deswegen das Amt des Sheriffs übernommen hat. Dann ist er an der Macht und kann nach diesem Zettel suchen lassen, wenn das Gebäude abgerissen wird“, meinte Jake.

„Man hat ihn zum Sheriff gewählt, weil ein ehrlicher, vertrauenswürdiger Mann den Job übernehmen sollte“, widersprach Madison. „Lavita hat ein riesiges Vermögen hinterlassen, das sie ebenfalls im Haus versteckt hat. Sollte Wyatt es finden, wird er es der Stadtverwaltung aushändigen. Er wird offenlegen, wer schuld war an der Schießerei.“

Sie atmete durch und fuhr fort: „Ich wüsste nur zu gerne, wie es sich abgespielt hat. Hat der Milan die anderen beiden erschossen? Oder war es der Calhoun? Oder hat der Vater die Kerle, die hinter seiner Tochter her waren, einfach abgeknallt?“

„Oder vielleicht haben alle gleichzeitig abgedrückt“, erwiderte Jake. „Es ist nicht bekannt, wie viele Schüsse insgesamt abgegeben wurden.“

„Es wundert mich, dass nicht genauer ermittelt wurde“, sagte Madison.

„Unsere Familien hatten damals noch viel mehr Einfluss als heute“, erklärte Jake. „Wenn sie die Sache unter den Teppich kehren wollten, dann wurde das so gemacht. Na ja, wir werden es bald erfahren. Bis zum nächsten Jahr ist es nicht mehr lang.“

Madison schüttelte sich. „Was hat euch damals bloß dazu getrieben, ein Stück Papier zu suchen, in dem es um Morde geht, die vor mehr als hundert Jahren begangen worden sind?“

„Wir waren fast noch Kinder. Furchtlos, neugierig … und wir wollten unbedingt ein schickes neues Auto haben.“ Er lächelte.

Dass sie in jener Nacht Todesängste um ihren Bruder und um Jake ausgestanden hatte, verriet Madison nicht.

Die Sonne verschwand hinter dem Horizont, als der Jet abhob. Madison lehnte sich in ihrem Sitz zurück und trank einen Schluck von dem Himbeertee, den ihr die Stewardess serviert hatte.

„Erspar mir den Small Talk, Jake“, sagte sie. „Wozu brauchst du mein Land?“

Ihre Augen waren groß, grün und von einem dichten Wimpernkranz umgeben. Auf Jake wirkten sie geradezu hypnotisch. Ein letzter Sonnenstrahl tauchte Madisons Wangen in goldenes Licht und verlieh ihren vollen Lippen einen rosigen Schimmer. Jake war völlig in dieses Bild versunken. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass Madison auf eine Antwort wartete.

„Dazu müssen wir in eine Zeit lange vor Lavita Wrenville zurückgehen“, gab er schließlich zurück. „In die Zeit, als die ersten Milans beziehungsweise Calhouns sich hier angesiedelt haben. Du kennst sicher die Legende von dem Schatz, der auf deinem Land vergraben sein soll.“

„Die olle Kamelle? Davon hat man sich schon erzählt, bevor ich geboren wurde, und jeder hat irgendwann mal nach diesem Schatz gesucht. Inzwischen gibt es fast niemanden mehr, der die Geschichte nicht für ein Märchen hält.“

„Trotzdem hält sich das Gerücht hartnäckig.“

„Wie willst du einem Kind eine Schatzsuche ausreden? Mein Bruder Tony und seine Freunde haben aus diesem Grund sicher mehrere Hektar Land umgebuddelt. Und Wyatt und du? Ihr wart doch scharf auf das Gold von Lavita Wrenville, und von dem weiß man ebenso wenig, ob es existiert.“

„Stimmt. Jedenfalls haben meine Brüder und ich unser Gelände an der Grenze zu eurer Ranch nach dem Schatz abgesucht. Da ja der Fluss unsere Grundstücke voneinander trennt, hat sich der Grenzverlauf mit den Jahren allerdings ein wenig verschoben. Nun gibt es aus der Zeit meines Ururgroßvaters Henry Calhoun eine grobe Schatzkarte, die wir euch natürlich nie gezeigt haben.“

„Eine Schatzkarte?“ Ungläubig schüttelte Madison den Kopf, aber sie lächelte. Jakes Herz tat einen Sprung. Es war natürlich unmöglich, doch in diesem Moment hätte er sie gerne zum Lachen gebracht, sie in den Arm genommen, mit ihr getanzt und die Vergangenheit einfach ungeschehen gemacht. „Ich hätte nicht gedacht, dass in dieser Geschichte auch nur ein Körnchen Wahrheit stecken könnte.“

„Meistens enthalten solche Anekdoten einen wahren Kern. Irgendwoher muss es ja kommen.“

„Trotzdem. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass auf meiner Ranch ein Schatz verborgen sein soll.“

„So abwegig ist das nicht. In den frühen Tagen der Kolonialisierung waren Verbrechen quasi an der Tagesordnung: Überfälle, Bankraube und so weiter. Die Leute mussten ihre Wertsachen verstecken. Diese Karte ist recht vage und ungenau, und kein Mensch hat bisher etwas damit anfangen können. Dir wird sie wahrscheinlich auch nicht viel sagen. Andererseits kennst du dein Land besser als jeder andere.“

„Woher habt ihr das Ding überhaupt?“

Jake musterte sie eindringlich. Ihre Haut sah so weich, so makellos aus. Im Stillen wünschte er sich, sie würde das Haar offen tragen. „Gute Frage. Sie befindet sich schon seit Generationen in unserem Besitz. Allerdings kann ich nicht ausschließen, dass es sich um eine Fälschung handelt. Dennoch hat bestimmt der ein oder andere meiner Urahnen heimlich auf eurem Grund nach dem Schatz gesucht.“

„Das kann ich mir vorstellen. Die Ranch ist so groß, das würde niemandem auffallen.“ Nachdenklich nippte Madison an ihrem Tee. „Eine Schatzkarte, sieh an. Ich bin ja mit dieser Geschichte aufgewachsen. Doch irgendwann habe ich für mich beschlossen, dass es sich dabei um eines der vielen Ammenmärchen hier in Texas handelt und dass nichts dahintersteckt.“ Sie lächelte versonnen. „Du hättest also gerne meine Erlaubnis, auf meinem Land nach dem Schatz zu suchen?“

„Du weißt noch nicht alles.“ Unter dem prüfenden Blick aus ihren großen grünen Augen fiel es Jake schwer, sich auf die Landkarte, den Schatz und den Zweck dieses Treffens zu konzentrieren. Viel lieber wollte er ganz nahe an Madison heranrücken, die Finger in ihrem Haar vergraben und sie küssen …

Madison beugte sich vor. „Was, Jake? Was hast du mir noch verheimlicht? Warum hast mir denn nie von dieser Karte erzählt? Nicht einmal, als wir zusammen gewesen sind?“

Jake hatte noch immer mit dem Verlangen zu kämpfen, das ihn so plötzlich überrollt hatte. Mit einem Mal erinnerte er sich jedoch an die Vergangenheit, und heiße Wut erstickte seine aufflammendes Begehren. „Weil ich damals selbst nichts davon wusste. Das ist bei uns der Brauch: Erst am einundzwanzigsten Geburtstag erfährt man von der Karte, und dann muss man auch gleich schwören, das Geheimnis zu bewahren.“

„Das klingt vernünftig. Kinder reden.“ Madison lachte. Dieser Klang brachte in Jake erneut alles zum Vibrieren und ließ ihn vergessen, weshalb er hier war.

„Kommt in der Version, die du kennst, eine Schießerei vor?“, erkundigte er sich.

„Soweit ich weiß, ja. Als die Milans und die Calhouns auf der Suche nach dem Schatz aufeinandergetroffen sind, haben wir euch von unserem Grund und Boden verjagt.“

„Weißt du, ob es Tote gegeben hat?“

„Ja. Allerdings war ich ja noch ein Kind. Damals habe ich mich nicht besonders für Geschichten über Leute interessiert, die lange vor meiner Zeit gelebt haben.“

„In der Calhoun-Version kam es an dem Ort, an dem der Schatz versteckt ist, zu einer Schießerei. Dabei sind zwei Calhouns und drei Milans ums Leben gekommen, die dort auch begraben wurden. Das Ganze hat sich ja in einer Zeit zugetragen, bevor die Familien eigene Grabstätten besaßen. Nun, ich würde diese Toten gerne nach Hause bringen. Sollten wir dabei auf den Schatz stoßen, gehört er dir; schließlich befindet er sich auf deinem Land.“

„Alte Knochen willst du?“, fragte sie ungläubig. „Nein, das kaufe ich dir nicht ab.“ Nun schwang Zorn in ihren Worten mit.

„Na ja, nicht nur“, gab er zu. „Angeblich hatte einer der Männer eine Besitzurkunde bei sich, die er beim Pokern gewonnen hatte. In der Version meiner Familie spricht dieses Dokument den Calhouns einen großen Teil vom Land der McCrackens zu, das im Osten an unsere Ranch angrenzt.“

„Einen Teil vom Land der McCrackens“, wiederholte sie nachdenklich. „Wenn das stimmt, dann ist dieses Dokument mit Gold nicht aufzuwiegen.“

„Genau. Jeb McCracken ist ein gehässiger alter Kauz, der mit der ganzen Nachbarschaft im Clinch liegt.“

„Wem sagst du das. Er zahlt seine Rechnungen nicht und hat schon so manches Wochenende im Kittchen zugebracht, weil er eine Schlägerei angezettelt hat. Den würde kein Mensch bemitleiden, wenn er ein Stück Land an dich abtreten müsste.“ Sie musterte ihn grüblerisch. „Aber es waren auch Milans involviert. Was, wenn wir die Urkunde bei einem von ihnen finden? Beanspruchst du sie trotzdem für dich?“

Er schmunzelte. „Nicht, wenn euer Name draufsteht oder wenn wir sie in der Hand eines Milan-Skeletts finden.“

Als Madison nun ebenfalls schmunzelte, konnte Jake es praktisch in seinem Inneren fühlen. Ihr Lächeln, ihr Lachen – damit hatte sie ihn schon immer um den Finger gewickelt. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen und dem Impuls widerstehen, die Hand auszustrecken und Madison zu berühren.

„Ich will auch gar nicht schrecklich viel Zeit investieren“, erklärte er. „Ich möchte nur, dass du mal einen Blick auf die Karte wirfst. Vielleicht erkennst du ja was. Du hast doch sicher Luftaufnahmen von der Ranch. Wenn du eine Vermutung hast, wo der Schatz vergraben sein könnte, würde ich dort gerne mein Glück versuchen. Vielleicht kann ich die Urkunde oder sogar den Schatz finden und bei der Gelegenheit meine Vorfahren in das Familiengrab überführen. Zeitlich passt es bei mir gerade, und meinem Großvater würde ich eine Riesenfreude machen.“

Verwundert schüttelte Madison den Kopf. „So kenne ich dich überhaupt nicht. Warum werde ich den Verdacht nicht los, dass du was ganz anderes im Hinterkopf hast? Zum Beispiel, mein Land auf Öl- oder Gasvorkommen abzuklopfen?“

„Ich will bloß das, was den Calhouns zusteht: die sterblichen Überreste meiner Vorfahren und die Besitzurkunde für das McCracken-Land, falls sie existiert. Keine Landvermessung, das verspreche ich dir.“

„Der Streit zwischen unseren Familien ist ursprünglich durch diesen Schatz entstanden. Unsere Urururgroßväter haben während des Bürgerkriegs in einem verlassenen Haus in Tennessee Gold gefunden. Später hat mein Urahn deinem die Verlobte quasi am Altar weggeschnappt. Sie haben sich um das Gold gestritten und um die Frau gekämpft, die beide geliebt haben. Nachdem ein Milan einen Calhoun getötet hat, haben die Calhouns ein Haus der Milans niedergebrannt, einen Milan getötet und die Frau entführt. So ging das immer weiter. Inzwischen haben wir aber ja eine Art Waffenstillstand erreicht.“

„Das deckt sich in etwa mit dem, was ich gehört habe“, meinte Jake. „Meines Wissens waren in den Streit mehrere Milans, mehrere Calhoun-Brüder und ein Onkel involviert.“

Madison schlug die Beine übereinander und brachte ihn dadurch total aus dem Konzept. Sie schien nachzudenken und blickte geistesabwesend aus dem Fenster, sodass Jake sie in aller Ruhe betrachten konnte. Der tiefe Ausschnitt ihres Kleides ließ den Ansatz ihrer Brüste erahnen. Ihre Haut schimmerte hell, ihre Taille war so schmal wie eh und je. Jake erinnerte sich, dass er sie damals mit beiden Händen umfassen konnte. Unwillkürlich wurde ihm heiß, und er wischte sich über die Stirn. Hatte die Klimaanlage im Jet etwa den Geist aufgegeben?

Doch dann musste er auch an Madisons Vater denken und an den Abend, an dem sie von zu Hause hatten weglaufen wollen. Dieser Gedanke verjagte die quälenden Bilder und machte Platz für eine Wut, die sich im Lauf der Jahre zwar verringert hatte, aber nie ganz verschwunden war.

„Ich muss mir das eine Weile durch den Kopf gehen lassen, Jake“, meinte Madison auf einmal. „Morgen Abend lasse ich dich meine Entscheidung wissen.“

Jake war erleichtert. Er hatte schon damit gerechnet, dass sie seinen Vorschlag zuerst mit ihren Brüdern diskutieren wollte. Insgeheim hoffte er jedoch, dass sie ihren Vater nicht einbeziehen würde.

Der Pilot kündigte an, dass sie bald landen würden, und wenig später saßen sie bereits bei gedämpftem Licht an ihrem Tisch im Nebenzimmer eines Restaurants. Von irgendwoher ertönte leise Klaviermusik.

„Ein ganzer Raum nur für uns?“, staunte Madison. „Ich wusste nicht, dass das möglich ist. Ich bin beeindruckt.“

„Es ist einer der Gründe, warum ich dieses Lokal so mag. Sie haben hier drei solcher Räume.“

Ein Kellner kam, und sie bestellten Getränke.

„Und die Chance, dass wir hier einen Bekannten treffen, ist gleich null“, sagte Madison, sobald sie wieder alleine waren.

„Genau. Man sieht kaum die Hand vor Augen, geschweige denn die anderen Gäste.“ Er lächelte sie an. „Hast du immer noch diese Schwäche für gebratenes Hühnchen?“

„Nein, auch meine Vorlieben beim Essen haben sich geändert“, erwiderte sie. „Ich nehme den Hummer.“

„Eine ausgezeichnete Wahl. Mir ist heute nach einem Steak.“

Das Kerzenlicht ließ Madisons braunes Haar glänzen und tauchte ihre rosigen Wangen in einen zarten Schimmer. Jake mochte es lieber, wenn sie das Haar offen trug, aber er war sich sehr wohl bewusst, dass das jetzt keine Rolle spielte. Der Kellner brachte eine Flasche Weißwein, entkorkte sie und ließ Jake kosten, ehe er ihre Gläser füllte.

„Auf die Schatzsuche!“ Jake hob sein Glas.

Lächelnd stieß Madison mit ihm an. „Ich denke darüber nach.“

„Im besten Fall kriegst du deinen Schatz, ich bekomme meine Besitzurkunde, und die sterblichen Überreste meiner Vorfahren erhalten ein ordentliches Begräbnis. Letzten Endes profitiert jeder davon.“

Sie musterte ihn eindringlich. „Irgendwie traue ich dir immer noch nicht so ganz. Ich würde mich nicht wundern, wenn du die Karte selbst gezeichnet hättest.“

„Ein Gutachter aus Chicago datiert sie auf Mitte des neunzehnten Jahrhunderts“, entgegnete Jake und bemühte sich, gelassen zu klingen. „Ich schicke dir gerne eine Kopie der Expertise, wenn du willst.“

„Ich will lieber das Original sehen. Oder zerfällt es in Einzelteile, sobald man es anfasst?“

„Nicht, wenn man sorgfältig damit umgeht. Du kannst es dir anschauen, sobald wir uns einig geworden sind.“

„So viel zum Thema gegenseitiges Vertrauen“, stellte sie fest, und ihre Augen blitzten wütend.

„Kann ich dir denn trauen?“, fragte er und versuchte, seine eigene Wut im Zaum zu halten.

„Natürlich. Früher hat sich dir diese Frage gar nicht gestellt.“ Madison wandte das Gesicht ab und atmete tief durch. Ihre Wangen hatten sich gerötet. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, normalisierte sich ihre Atmung allmählich.

Jake betete im Stillen, dass er es nicht gerade vermasselt hatte. Für eine Sekunde meldete sich noch einmal sein schlechtes Gewissen, als er überlegte, was er ihr verheimlichte. Doch er musste bloß an ihren Vater denken, und schon hatte sich das erledigt.

Während Madison aß, kreisten ihre Gedanken um Jakes Vorschlag. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass er die Suche nach den sterblichen Überresten seiner Vorfahren nur vorschob. Er war so versessen darauf, auf ihrem Land nach Öl und Gas zu bohren; vermutlich war ihm jeder Vorwand recht, um ihr einen Pachtvertrag abzuluchsen. Denn warum waren die Calhouns nicht schon längst mit der Schatzkarte angekommen? Was hatte es mit dieser Karte auf sich? Und mit der Urkunde? Weder von dem einen noch von dem anderen hatte sie je gehört. Hatte er sich das aus den Fingern gesogen? Worauf wollte er in Wahrheit hinaus? Wie sie es auch drehte und wendete: Immer lief es darauf hinaus, dass Jake ihr Land auf Rohstoffvorkommen erkunden wollte.

Doch was hatte sie eigentlich zu verlieren? Gut, Jake konnte sich aus erster Hand einen Eindruck von ihrem Grund und Boden machen. Luftaufnahmen davon hatte er allerdings sicher längst gesehen – zum Beispiel im Internet oder auf dem Katasteramt. Den Schatz hatte er ihr versprochen, wenn er im Gegenzug die Gebeine seiner Ahnen und die Besitzurkunde haben konnte. Aber war das tatsächlich alles?

Auf einmal spürte sie, dass Jake sie beobachtete. Seine schwarzen, von dichten Wimpern umrahmten Augen hatten sie schon immer fasziniert. Und der unschuldige Blick. Er machte einen so ehrlichen, so vertrauenswürdigen und offenen Eindruck. Und dennoch konnte sie nicht so recht glauben, dass nicht mehr hinter seinem Vorschlag steckte, als er zugegeben hatte. Für eine Sekunde kreuzten sich ihre Blicke, und Madison vergaß den Schatz. Stattdessen dachte sie an die schönen Momente, die sie mit Jake erlebt hatte, an seine Leidenschaft und seine Zärtlichkeit. Sie hatte ihn wirklich geliebt …

Sofort rief sie sich im Stillen zur Ordnung. Von welcher Seite sie die ganze Angelegenheit auch beleuchtete: Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es Jake dabei gelingen könnte, sie zu übervorteilen.

„Falls ich Ja sage“, meinte sie, „was hast du dann vor? Schnappst du dir einen Spaten und buddelst drauflos?“

„Unsinn“, erwiderte er mit einem Lächeln, bei dem sie insgeheim dahinschmolz. Er sah so gut aus, er wirkte so liebenswürdig … Wenn er lächelte, verdreifachte sich dieser Effekt. „Ich werde einen kleinen Trupp zusammenstellen, so etwa fünf von meinen Ranch-Arbeitern. Ich hätte gerne, dass du dir die Karte genau ansiehst. Vielleicht kannst du das Gebiet ein wenig eingrenzen, in dem wir graben müssen. Du kennst dein Land schließlich am besten.“

„Jake, ich bin keine Geologin. Was, wenn ich mit der Skizze nichts anfangen kann?“

„Dann lassen wir uns was anderes einfallen. Ich bin sicher, dass du einen Anhaltspunkt finden wirst. Aber nimm dir Zeit für diese Entscheidung. Ich kann warten.“

Madison war der Appetit vergangen. Ständig grübelte sie darüber nach, wie sie sicherstellen könnte, nicht von Jake betrogen zu werden. Sie legte die Gabel beiseite.

„Du hast ja kaum was gegessen“, bemerkte Jake. „Willst du vielleicht tanzen?“

„Nein danke. Ich betrachte das hier als eine Art Geschäftstermin, also lieber nicht.“

Im nächsten Moment beugte Jake sich über den Tisch und nahm ihre Hand. „Frieden?“

Madison verschlug es den Atem. Die Temperatur im Raum schien in Sekundenschnelle in die Höhe geschossen zu sein: Plötzlich hatte sie das Gefühl, zu glühen. Ein Schauer überlief sie vom Kopf bis in die Zehenspitzen, Hitze sammelte sich in ihrer Mitte. Gleichzeitig überkam sie das dringende Verlangen, sich in Jakes Arme zu werfen und seinen Körper zu spüren – so wie damals.

Mit dem Daumen strich er sanft über ihren Handrücken. „Du hast immer noch so wahnsinnig zarte Haut“, flüsterte er rau, und irgendetwas blitzte flüchtig in seinen Augen auf.

Mit einem Mal wünschte Madison sich nichts anderes, als dass Jake sie auf seinen Schoß zog, sie umarmte und sie um den Verstand küsste. Sie schloss die Augen und versuchte, die Zeit mit ihm zu vergessen – die Zeit und vor allem ihre Liebe zu ihm, die er so achtlos wie ein Glas zertrümmert hatte.

Abrupt entzog sie ihm ihre Finger. Wie kannst du dich so gehen lassen? schimpfte sie sich im Stillen. Deutlicher kannst du ihm ja kaum zeigen, dass du immer noch etwas für ihn empfindest.

„Dann eben Waffenstillstand“, sagte Jake. Seine Stimme klang belegt, und Madison stellte mit leichter Genugtuung fest, dass auch sie nach wie vor eine gewisse Wirkung auf ihn ausübte.

„Vorläufig“, ergänzte sie, ohne ihn anzusehen.

„Unter diesen Umständen schlage ich vor, dass wir uns auf den Heimweg machen“, erklärte Jake. „Du kannst dir meinen Vorschlag während des Flugs schon mal durch den Kopf gehen lassen.“

„Ich würde meine Vorfahren auch gerne würdevoll bestatten“, meinte Madison auf dem Heimflug. „Weißt du noch? Ich habe mich schon immer für meinen Stammbaum und die Familienhistorie interessiert. An den Schatz glaube ich zwar nicht so recht; trotzdem ist es sehr großzügig von dir, ihn mir zu überlassen, sollten wir ihn finden.“

„Es wäre eine angemessene Entschädigung, finde ich. Aber ich halte es auch für wahrscheinlicher, dass wir Knochen finden und kein Gold.“ Jake hatte die langen Beine ausgestreckt, seine Stiefel berührten fast Madisons Füße. Gleich nach dem Einsteigen hatte er Sakko und Schlips abgelegt und den Hemdkragen gelockert. Doch obwohl er entspannt wirkte, offen und aufrichtig: Madison wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr etwas verheimlichte.

„Apropos Knochen“, fiel ihr ein. „Woher wissen wir, ob sie von einem Milan sind oder von einem Calhoun?“

„Wir lassen eine DNA-Analyse machen.“

Sie nickte. „Klingt vernünftig. Und ich kriege den Schatz?“

„Auf jeden Fall.“

Nach kurzem Schweigen beschloss Madison, das Thema direkt anzusprechen, das ihr nicht aus dem Kopf ging. „Ich weiß, dass deine Firma an meinem Land interessiert ist“, sagte sie. „Warum ausgerechnet meines? Die Welt ist groß.“

„Das stimmt. Doch wir sind überzeugt, dass auf deinem Grundstück große Öl- und Gasvorkommen lagern. Außerdem ist es nicht weit von unserem Firmensitz entfernt, und allein das würde Kosten sparen. Und es gibt hier genügend Arbeitskräfte und Fachleute. Es ist wie bares Geld direkt vor der Haustür.“

„Egal, was ich dafür verlange?“

„Wenn meine Firma etwas will, kann sie recht großzügig sein. Würdest du uns denn eine Chance geben?“, fragte er und lächelte sie an.

Ihr Herz tat einen Sprung. Zugleich ärgerte Madison sich darüber, wie leicht Jake ihr Inneres in Aufruhr versetzen konnte. „Dräng mich bitte nicht“, sagte sie, woraufhin sich wieder Stille zwischen ihnen ausbreitete.

Als sie nach einer Weile die Ranch erreichten, begleitete Jake sie zur Tür.

„Möchtest du noch kurz mit reinkommen?“, fragte Madison. „Wenn es deinem Fahrer nichts ausmacht.“

„Der wartet. Dafür wird er bezahlt.“

Sie traten ein, und Madison stellte die Alarmanlage aus. Sie bemerkte, wie Jake sich neugierig umsah.

„Richtig, du warst ja noch nie hier“, sagte sie. „Meine Vorfahren würden sich im Grab umdrehen, wenn sie wüssten, dass ich einen Calhoun hereingebeten habe.“

Jake schmunzelte. Auf dem Weg durch die Eingangshalle musterte er die Kunstwerke an den Wänden. „Hängt da auch was von dir?“

„Hier nicht.“ Madison führte ihn ins Arbeitszimmer, in dem sich auch eine gut bestückte Bar befand. „Aber das Bild über dem Kamin stammt von mir“, erklärte sie.

Interessiert betrachtete Jake das großformatige Gemälde. Es zeigte eine Wiese, auf der Lupinen blühten und durch die ein kleiner Bach floss. „Du malst also nicht diesen modernen Kram. Es gefällt mir. Du bist richtig gut.“

„Danke.“ Sie lächelte. „Das Bild neben dem Fenster ist auch von mir.“ Darauf waren drei Pferde zu sehen, die von einem Cowboy am Zügel gehalten wurden.

„Wahnsinn!“, staunte Jake. „Ich verstehe, dass du solchen Erfolg hast.“

„Danke. Willst du was trinken?“

„Nein danke. Unterhalten wir uns einfach ein bisschen.“

Madison deutete auf einen Stuhl. „Dann setz dich.“ Sie selbst nahm Platz, schlug die Beine übereinander und zog den Rock über die Knie. „Mir geht dein Vorschlag nicht aus dem Kopf, Jake. Du bekommst morgen deine Antwort …“ Sie wollte sich nicht festlegen, ohne vorher mit ihren Brüdern gesprochen zu haben. „Aber ich tendiere dazu, darauf einzugehen.“ Sie sah Jake fest in die Augen. „Unter einer Bedingung.“

3. KAPITEL

Auch wenn Jake innerlich triumphierte, verzog er keine Miene. Die Sache mit der Bedingung bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Was würde Madison verlangen?

„Ich werde dich begleiten“, sagte sie. „Mit ein paar von meinen Männern.“

„Vertraust du mir nicht?“ Jake fühlte sich, als hätte man ihm einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. „Selbst wenn ich insgeheim Probebohrungen machen würde: Ohne Pachtvertrag wäre ich keinen Schritt weiter. Was versprichst du dir also davon?“

„Erstens: Falls du den Schatz findest – wie soll ich das mitkriegen? Da müsste ich dir schon hundertprozentig vertrauen, und das wird nie der Fall sein“, erklärte sie in einem eisigen Ton, den er bei ihr noch nie gehört hatte.

„Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass du einen deiner Männer mitschickst. Doch für dich wäre das die reinste Zeitverschwendung. Du könntest nur rumsitzen und uns beim Graben zusehen.“

Madison schüttelte den Kopf. „So lautet die Bedingung: mit mir oder gar nicht.“

Nach kurzem Zögern zuckte Jake die Schultern. „Gut, dann komm mit. Schlaf aber noch eine Nacht drüber.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Du kriegst den Schatz, ich bekomme die Überreste meiner Vorfahren. Falls wir eine Urkunde finden, fällt das Land an denjenigen, dem es darin zugesprochen wird. Und du begleitest mich auf der Suche.“

Lächelnd schlug sie ein. „Abgemacht.“

Ihre Hand war so warm und weich. Schlagartig wurde Jake eins bewusst: Es würde nicht leicht werden, sie jeden Tag zu sehen. Seine Begeisterung erlitt einen gewaltigen Dämpfer. Bloß nicht rückfällig werden in Bezug auf Madison, befahl er sich im Stillen. Zuletzt hatte er immer wieder an ihre gemeinsame Vergangenheit denken müssen, und das hatte ihn verunsichert.

„Ich glaube nicht, dass wir länger als eine Woche brauchen“, meinte er. „Trotzdem werde ich mir zwei Wochen freihalten. Von mir aus kann es am Dienstag losgehen. Wie sieht es bei dir aus?“

„Ich kann frei über meine Zeit verfügen. Es wäre hilfreich, wenn ich eine Kopie der Karte haben könnte. Wenn du sie einscannst und mir als Mail schickst, kann ich schon mal einen Blick daraufwerfen. Wir könnten sie morgen Abend mit aktuellen Karten von der Ranch abgleichen. Du bist doch Geologe und kannst mit dem Material sicher was anfangen.“

„Gute Idee. Aber was ist mit deinen Aufträgen?“

„Ich nehme meinen Skizzenblock mit“, meinte Madison, „denn ich habe nicht vor, auch nur einen Spatenstich zu tun. Das überlasse ich gerne dir. Du scheinst ja ganz scharf drauf zu sein.“

„Du profitierst doch davon“, erinnerte Jake sie. Dann erhob er sich. „Ich fahre jetzt heim und maile dir die Kopie. In einer Stunde solltest du sie haben.“ Er ging zur Tür. „Danke, dass du mitziehst, Madison. Ich hoffe wirklich, dass es sich für dich lohnt.“

„Das hoffe ich auch. Und danke für die Einladung zum Essen“, sagte sie, während sie ihn in die Eingangshalle begleitete.

„Ich ruf dich an“, versprach er und lief zu der wartenden Limousine.

Als der Wagen aus der Einfahrt fuhr, stand Madison immer noch auf der Schwelle, eine schmale Silhouette im Mondschein. Sie wollte sich also an der Schatzsuche beteiligen. Damit hatte Jake zwar nicht gerechnet, aber es war okay. Jetzt konnte er bloß hoffen, dass er tatsächlich all das finden würde, wonach er suchte. Erneut meldete sich deswegen sein schlechtes Gewissen – doch wie immer half es in dieser Situation, wenn er an den Tag zurückdachte, an dem sie hatten ausreißen wollen.

Ob Madison sich auf die Schatzsuche freute? Seinetwegen hatte sie mit Sicherheit nicht eingewilligt. Beim Essen hatte sie schließlich klargestellt, dass sie mit ihm nichts zu tun haben wollte. Ein paarmal hatte sie sogar richtig wütend gewirkt. Wieso eigentlich? Immerhin war sie diejenige gewesen, die ihre Karriere allem anderen vorangestellt hatte. Und sie hatte bekommen, was sie sich gewünscht hatte. Egal. Gelegentlich tat es noch weh, aber inzwischen hatte Jake reichlich Abstand zur Vergangenheit gewonnen.

Die Limousine hielt an der Rückseite seines Hauses, und Jake stieg aus. Er mailte Madison die versprochene Kopie und rief sie kurz an, um ihr Bescheid zu sagen. Danach breitete er die alte Karte und eine Luftbildaufnahme von Madisons Ranch auf dem Tisch in seinem Arbeitszimmer aus, um sie miteinander zu vergleichen. Er hatte bereits ein paar vielversprechende Stellen für seine Grabungen entdeckt, doch er war gespannt auf Madisons Vorschläge.

Endlich war es so weit. Jake konnte es kaum erwarten. Und weil er vor lauter Vorfreude ohnehin keinen Schlaf finden würde, verordnete er sich eine Runde im Fitnessraum. Nächste Woche war Schwerstarbeit angesagt.

Am Montagmorgen flog Jake nach Dallas. Sein Büro befand sich im zwanzigsten Stock des Gebäudes von Calhoun Energy mitten im Stadtzentrum. Mit dem eigenen Empfangsbereich, seinem privaten Büro mit separatem Eingang, einem Konferenzsaal, einer Bar, einem Bad und einem kleinen Fitnessraum beanspruchte es die Hälfte der Etage. Zwei Penthousewohnungen mit Terrasse im Stockwerk darüber gehörten ebenfalls dazu.

Gerade setzte Jake sich an seinen Schreibtisch, als sein Bruder eintrat. Joshs grauer Anzug und die farblich passende Krawatte bildeten einen interessanten Kontrast zu den braunen Augen und dem olivfarbenen Teint. Mit dem perfekt gescheitelten dunkelbraunen Haar und den goldenen Manschettenknöpfen, die das Sonnenlicht einfingen, verkörperte er das Abbild eines Hotelmoguls: Josh hielt zwar Anteile an Calhoun Energy, besaß aber eine eigene Hotelkette und war ständig unterwegs.

„Und? Wie ist es gelaufen?“, fragte sein Bruder und nahm in einem der Ledersessel vor dem Schreibtisch Platz.

„Bestens! Ich habe die offizielle Erlaubnis, auf der Ranch zu graben.“

„Sie hat es dir also abgekauft? Hervorragend!“

„Einen Haken gibt es allerdings, wie du vorausgesagt hast“, meinte Jake. Josh war schon immer der Skeptiker unter den Geschwistern gewesen; er musste stets alles erst von allen Seiten durchleuchten.

„Sie besteht darauf, dass einer ihrer Leute euch begleitet“, riet Josh.

„Richtig. Mehr als einer, denn: Sie will selbst mitkommen.“

„Hallo!“ Sein Bruder runzelte die Stirn. „Glaubst du, sie will die guten alten Zeiten wieder aufleben lassen?“

„Im Gegenteil: Sie traut mir nicht über den Weg. Deshalb will sie wohl ein Auge auf mich haben.“

„Lass dich nicht von ihr einwickeln, Jake.“

„Das musst du mir nicht sagen“, entgegnete er.

„Stimmt. Und was ist, wenn ihr tatsächlich fündig werdet?“

„Der Schatz gehört ihr, wie abgesprochen. Wenn wir auf Überreste von Milans stoßen, kann sie die ebenfalls haben.“

„Und die Urkunde? Wenn es eine gibt, dann kriegt sie das unweigerlich mit.“

Jake nickte. „Sofern sie mit dem Schatz vergraben ist, ja. Dann platzt natürlich meine Ausrede mit dem Land der McCrackens. Madison wird sofort kapieren, dass ich von Anfang an wusste, dass es um ihren eigenen Grund und Boden geht.“

Er beugte sich vor und fuhr fort: „Manchmal frage ich mich, ob es nicht doch ein Märchen ist – diese Geschichte, dass einer unserer Vorfahren einen Teil der Milan-Ranch beim Pokern gewonnen hat und dass die entsprechende Besitzurkunde zusammen mit dem Schatz vergraben wurde. Aber wenn es diese Urkunde gibt, will ich sie haben. Angeblich handelt es sich um einen Streifen, der sich an der gesamten Grenze entlangzieht. Das wäre Wahnsinn!“

Joshs dunkle Augen blitzten. „Und es wäre die perfekte Rache dafür, dass der alte Milan dir damals verboten hat, Madison zu heiraten oder sie auch nur wiederzusehen.“

„Ach, Rache … Das liegt so lange zurück. Aber ich will das Land! Wir sind nicht das einzige Unternehmen, das hinter diesem Gebiet her ist.“

„Hast du die anderen schon informiert?“, fragte Josh. Sämtliche Geschwister hielten Anteile an Calhoun Energy, so wie Jake auch in Joshs Unternehmen investiert hatte.

Genau in dem Moment kündigten Stimmen vor der Tür an, dass auch die beiden anderen Geschwister, Mike und Lindsay, eingetroffen waren.

„Madison war anfangs recht misstrauisch. Schließlich hat sie es mir jedoch abgekauft“, wiederholte Jake, nachdem sich alle begrüßt hatten.

„Sie denkt also, dass die Urkunde dir einen Anspruch auf einen Teil vom McCracken-Land gibt?“, hakte Mike nach.

„Richtig. Meines Wissens weiß außer unserer Familie kein Mensch von dieser Urkunde.“

„Zum Glück!“, meinte Josh.

„Allerdings hat Madison darauf bestanden, mich zu begleiten.“

Lindsay runzelte die Stirn. „Das ist nicht gut! Ihre Brüder lassen sich irgendeine linke Tour einfallen, um uns dabei übers Ohr zu hauen. Da gehe ich jede Wette ein.“

Mike schüttelte den Kopf. „Nein, sie will sicher wieder mit dir zusammenkommen.“

„Will sie nicht“, widersprach Jake. „Sie fürchtet bloß, dass ich es ihr verschweigen könnte, wenn ich den Schatz finde. So einfach ist das.“

„Behalte sie lieber gut im Auge. Ich glaube nämlich nicht, dass es so einfach sein wird“, warnte Mike ihn. „Lindsay hat schon recht: Trau keinem Milan.“

„Was machst du, wenn du die Urkunde findest?“, wollte Lindsay wissen.

„Ich zeige sie Madison und mache meinen Anspruch geltend.“

„Spiel den Überraschten“, schlug Mike vor.

„Den muss ich nicht erst spielen“, entgegnete Jake trocken. „Ich falle aus allen Wolken, falls wir tatsächlich eine Urkunde finden – oder sonst was, denn im Grunde glaube ich nicht an die Geschichte.“

„Aber sie hält sich hartnäckig, und sie klingt plausibel“, warf Josh ein. „Dass sich unsere Vorfahren und die ersten Milans bekriegt haben, ist kein Gerücht. So ging die Familienfehde ja los.“

„Wie auch immer“, antwortete Jake. „Wenn es eine Urkunde gibt und sie vor Gericht Bestand hat, dann gehört uns bald ein Teil der Milan-Ranch. Der beste Teil, wenn wir Glück haben.“

Alle schwiegen und ließen sich die Möglichkeiten durch den Kopf gehen, die sich damit eröffneten.

„Irre“, meinte Josh schließlich. „Das wird den Streit noch mal tüchtig anheizen.“

„Nur sind wir alle inzwischen viel zu zivilisiert, um mit Gewehren aufeinander loszugehen“, sagte Jake. „Morgen geht’s los. Ich bin heute Abend bei Madison. Sie will mir Luftaufnahmen der Ranch zeigen und hat vielleicht schon einen Vorschlag, wo wir anfangen könnten. Ich habe ihr nämlich gestern noch eine Kopie der Schatzkarte gemailt.“

Josh erhob sich. „Ich muss los. In ein paar Stunden fliege ich nach L. A. Ich wünsche dir viel Glück, Bruderherz. Auch wenn ich nicht glaube, dass du Erfolg haben wirst. Du suchst die berühmte Nadel im Heuhaufen.“

„Ich halte euch auf jeden Fall über SMS auf dem Laufenden“, versprach Jake.

„Schön“, gab Mike zurück und stand ebenfalls auf. „Ich drück dir die Daumen.“

Jake verabschiedete sich von seinen Geschwistern und trat vor eines der raumhohen Fenster, von dem aus er die Skyline von Dallas überblicken konnte. Was, wenn er einem Hirngespinst nachjagte? Und selbst wenn der Schatz existieren sollte: Wie groß waren seine Chancen, ihn zu finden? Er könnte überall sein, sogar auf Calhoun-Gebiet; man erzählte sich, dass er in der Nähe der Grenze zur Milan-Ranch versteckt war. Dort hatte seine Familie schon intensiv gegraben – leider vergeblich.

Dann wanderten Jakes Gedanken zu Madison. Er dachte an ihren Duft, an das blaue Kleid, das ihre Figur auf atemberaubende Weise umschmeichelt hatte. Sie hatte sich zu einer wunderschönen Frau entwickelt, souverän und selbstbewusst. Die ganze Nacht lang war sie durch seine Träume gegeistert. Er hatte davon geträumt, wie sie sich geliebt hatten. Schweißgebadet und voller Verlangen war er aufgewacht. Wie er das hasste!

Damals waren sie noch halbe Kinder gewesen: sechzehn beziehungsweise neunzehn Jahre alt. Viel zu jung, um zu heiraten, wie Jake rückblickend zugeben musste. Madisons Vater hatte ihm seinerzeit ausdrücklich verboten, Madison je wiederzusehen. Seine Tochter selbst hatte Pete Milan mit dem Angebot geködert, ihr eine eigene Galerie zu kaufen und ihre Werke in den größten Kunsthallen im Südwesten und an der Westküste ausstellen zu lassen – vorausgesetzt, sie würde die Hochzeit abblasen. Auf diese Weise würde sie sich die übliche Durststrecke ersparen und sich sofort als renommierte Künstlerin etablieren. Madison hatte akzeptiert. Offensichtlich war ihr die Kunst wichtiger gewesen als Jake.

Madison … Jake erinnerte sich an den Händedruck, mit dem sie am Vorabend ihre Übereinkunft besiegelt hatten. Würde er mit ihr zusammenarbeiten können, ohne sie zu berühren? Ohne mit ihr zu flirten? Wollte er das überhaupt? War sie für ihn immer noch tabu? Sein Verstand sagte Ja. Madison hatte ihm deutlich gezeigt, dass sie nicht gut auf ihn zu sprechen war. Ihr lag nichts, aber auch gar nichts daran, die Vergangenheit aufleben zu lassen.

Jake war gespannt, was die kommenden Wochen bringen würden.

Über die Schatzkarte und mehrere Luftaufnahmen gebeugt, machte Madison sich Notizen. Seit Stunden versuchte sie, konzentriert zu arbeiten. Doch sie ertappte sich immer wieder dabei, dass sie Löcher in die Luft starrte und an den Abend mit Jake dachte. Er sah einfach verboten gut aus – viel besser als mit neunzehn. Noch schlimmer war, dass sie den erwachsenen Jake absolut faszinierend fand …

Wie viel ihre Eltern damals von ihren Gefühlen für Jake geahnt hatten, wusste sie nicht. Es spielte mittlerweile auch keine Rolle mehr.

Eines Nachts hatte der Vorarbeiter Charley sie erwischt, als sie zu einem Treffen mit Jake fahren wollte, und hatte sie ins Haus zurückgeschickt. Sie hatte abgewartet, bis Charley in seiner Baracke verschwunden war. Dann war sie aus dem Fenster geklettert, hatte sich einen der Lieferwagen geschnappt und war im Mondlicht quer über die ganze Ranch gebrettert, um Jake zu sehen. Das war eine ihrer letzten Verabredungen gewesen, bevor sie zusammen hatten ausreißen wollen.

Tagelang hatte sie sich Sorgen gemacht, dass Charley sie bei ihrem Vater angeschwärzt haben könnte. Doch nichts war geschehen. So war sie schließlich davon ausgegangen, dass er den Mund gehalten hatte. Der Vorarbeiter war ihr immer ein bisschen unsympathisch gewesen: Im Auftrag ihres Vaters hatte er stets ein wachsames Auge auf sie gehabt – und vor allem auf die Jungs. Erst jetzt als Erwachsene verstand sie seine Beweggründe. Jake gegenüber hatte sie den Vorfall allerdings nie erwähnt.

Was war sie verknallt gewesen! Damals hatte sie Jake für den wunderbarsten Menschen auf der ganzen Welt gehalten. Unwillkürlich musste sie an ihr gemeinsames Essen in Dallas denken. Daran, wie seine dunklen Augen gefunkelt hatten, wie er voller Sehnsucht ihre Lippen betrachtet hatte. Und wie sich ihr Puls beschleunigt hatte, als es ihr aufgefallen war. Konnte das gut gehen, wenn sie eine Woche lang täglich miteinander zu tun haben würden? Konnte sie ihren Teil der Abmachung einhalten?

Gestern Abend zum Beispiel, als er sie nach Hause gebracht hatte. Hätte sie ihn gestoppt, wenn er sie in den Arm genommen und geküsst hätte? Heute Abend wollte er wiederkommen. Würde sie es noch einmal fertigbringen, ihm zu widerstehen?

Gleich an diesem Morgen hatte sie mit dem Gutachter in Chicago telefoniert. Er hatte ihr versichert, dass die Karte echt war. Und nun freute sie sich darauf, das Original zu sehen, ein fassbares Stück Familiengeschichte.

Ihre Brüder waren da allerdings ganz anderer Meinung.

„Auf keinen Fall gehst du auf Schatzsuche!“, hatte Tony geschimpft. „Ich werde gehen! Du weißt genau, dass man den Calhouns nicht trauen kann.“ Daraufhin hatte Madison eine halbe Stunde lang mit ihm hin und her diskutiert. Dann hatte er endlich eingewilligt, sich aus der Sache herauszuhalten, solange sie ihn nicht ausdrücklich um Hilfe bat.

Mit Wyatt und Nick war es einfacher gewesen, auch wenn die Botschaft dieselbe gewesen war. Madison hatte ihnen versprochen, auf der Hut zu sein und sie auf dem Laufenden zu halten.

Sehr zu Herzen nahm sich Madison die Warnungen jedoch nicht. Sie konnte gut auf sich selbst aufpassen. Außerdem würde sie von Männern begleitet werden, die seit vielen Jahren für sie arbeiteten. Wovor sollte sie Angst haben – außer vielleicht davor, sich noch einmal in Jake Calhoun zu verlieben?

So ein Quatsch! Auf keinen Fall würde sie sich wieder in Jake verlieben. Aber es nagte an ihr. Jake brachte ihren Puls auch jetzt noch zum Rasen, die kleinste Berührung traf sie wie ein elektrischer Schlag. Und in den kommenden Tagen war sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit ihm zusammen. Nun, sie würde sich eben vorsehen. Abgesehen davon hatte auch Jake sicher nicht die Absicht, sein Herz an sie zu verlieren.

Mit einiger Mühe gelang es Madison nun, sich auf ihre Notizen zu konzentrieren. Pünktlich um sechs stand Jake vor der Tür. Er musterte Madison von Kopf bis Fuß, ließ den Blick über ihre Jeans und das karierte Hemd schweifen. Unvermittelt lief es ihr dabei heiß und kalt über den Rücken.

„Toll siehst du aus“, meinte Jake.

Sie hätte dasselbe über ihn sagen können. Er trug ein dunkelblaues Cowboyhemd, Stiefel und tief sitzende Jeans. Auf seinem Kopf thronte ein breitkrempiger Stetson, wie man ihn in der Gegend trug. Unter den Arm hatte er eine Aktentasche geklemmt.

„Danke. Komm rein.“ Sie trat beiseite. „Ich hole uns was zu trinken. Danach vergleichen wir mal deine Karte mit den Aufnahmen, die ich besitze. Der Auflauf steht schon im Ofen. Wir können also essen, wann immer es uns passt.“

„Geh du voraus“, bat Jake. „Es wird noch dauern, ehe ich dieses Haus betreten kann, ohne das Gefühl zu haben, ein Kapitalverbrechen zu begehen. Ist außer dir noch jemand da?“

„Nein. Der Rest der Familie kommt höchstens an Weihnachten hierher. Und sogar das haben wir in den letzten Jahren in Dallas gefeiert. Nick wohnt in Dallas, Wyatt hat ein Haus hier in Verity, und Tony lebt auf seiner eigenen Ranch.“

„Klar, Wyatt Milan, der Sheriff von Verity. Tony treffe ich übrigens manchmal in der Stadt oder auf einem Rodeo. Für so was hat dein lieber Bruder Nick natürlich keine Zeit, wenn er mal Präsident werden will.“

Madison lachte. „Stimmt. Aber selbst als einfacher Volksvertreter hat er genug am Hals.“

Auf dem Weg in die Küche spürte sie, wie Jake sie beobachtete. Sein Blick machte sie nervös. Die Vorstellung, dass sie in den kommenden Tagen mit ihm zusammenarbeiten musste, ließ sie schaudern. Auch als sie mit den Getränken nebeneinander in die Bibliothek gingen, war sie sich seiner Nähe sehr deutlich bewusst.

„Das mit deiner Schwägerin tut mir leid“, sagte er.

Sie nickte. „Es ist schrecklich. Nach außen hin gibt Nick sich gefasst, aber er ist längst nicht über ihren Tod hinweg. Sie war schwanger, als sie mit dem Auto verunglückt ist. Aber ihr Calhouns habt ja euer eigenes Päckchen zu tragen: die Krebserkrankung von Mikes Frau, ihr Tod. Wenigstens hat er einen Sohn.“

„Ja, der hält ihn ganz schön auf Trab. Es ist schwer, dem kleinen Kerl Vater und Mutter gleichzeitig zu sein. Doch Mike hat eine tolle Kinderfrau gefunden, meine Mom unterstützt ihn ebenfalls. Und Scotty ist ein Kind, das man einfach lieb haben muss.“

„Wissen deine Geschwister eigentlich von deinem Plan?“

„Selbstverständlich, auch wenn sie nicht viel davon halten. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir nach dem sagenhaften Schatz suchen.“

„Wahrscheinlich jagen wir tatsächlich einem Hirngespinst nach. Trotzdem finde ich die Schatzkarte faszinierend und bin wirklich gespannt auf das Original. Die alte Geschichte wirkt dadurch viel glaubhafter. Dennoch … Daran zu glauben, wir könnten irgendwo auf der Ranch einen verborgenen Schatz heben – das ist schon ein bisschen verrückt.“

In der Bibliothek mit den raumhohen Regalen führte sie Jake dann zu einem großen Tisch, der mit Landkarten und Fotos bedeckt war. „Hier haben wir Luftaufnahmen, da drüben Satellitenfotos“, erklärte sie und zeigte auf einen Computer und ein iPad am anderen Ende des Tisches. „Damit kannst du die Aufnahmen auch vergrößern.“

„Ich bin beeindruckt“, sagte Jake, während er sich über ein Luftbild beugte. „Das hier kenne ich noch gar nicht.“

„Nein, es wurde nie veröffentlicht. Wenn wir die Karte mit den Satellitenbildern vergleichen, finden wir vielleicht einen Orientierungspunkt.“ Sie schaute auf und bemerkte, wie Jake in ihren Ausschnitt starrte. Am liebsten hätte sie sofort den obersten Knopf geschlossen; andererseits wollte sie seine Aufmerksamkeit nicht noch mehr auf sich lenken.

Im nächsten Moment kreuzten sich ihre Blicke, und Madison versank in den dunklen Tiefen seiner Augen. Plötzlich spürte sie, wie ihr Hitze in die Wangen schoss. Vermutlich war sie knallrot … Um davon abzulenken, wandte sie schnell das Gesicht ab und deutete auf eines der Fotos. „Sieh mal!“

Während Jake sich mit den Aufnahmen befasste, musterte Madison sein Profil. Er war frisch rasiert und hatte sein volles schwarzes Haar sorgfältig gekämmt. Lange, dichte, sanft geschwungene Wimpern umrahmten seine Augen, die nur selten etwas von seinen Gefühlen erahnen ließen. Madison war ziemlich durcheinander. Sie fühlte sich geradezu magnetisch von Jake angezogen und ahnte, dass er für sie genauso empfand. Hoffentlich ging das nicht die ganze kommende Woche so weiter! Immerhin musste sie ihn ständig begleiten – und dabei traute sie ihm nicht über den Weg. Die nächste Zeit würde ganz schön anstrengend werden. Zu allem Übel war er im Lauf der Jahre nicht unansehnlicher geworden; er sah geradezu unverschämt gut aus. Oder kam ihr das nur so vor?

Inzwischen hatte Jake sich an den Rechner gesetzt und betrachtete ein Satellitenbild. Um besser sehen zu können, nahm Madison neben ihm Platz. Dabei streifte sie seine Schulter. Es war zwar nicht mehr als der Hauch einer Berührung, aber die ging ihr durch und durch. Madison musste sich sehr zusammennehmen, um sich auf den Bildschirm zu konzentrieren.

„Diese Aufnahmen helfen uns ein ganzes Stück weiter“, meinte Jake. „Ich habe die Karte gründlich studiert und bin jetzt überzeugt, dass sich der Schatz irgendwo am Ufer des Rocky Creek befinden muss.“ Er zog seinen Aktenkoffer heran und öffnete ihn. „Ich habe das Original aus dem Safe geholt. Hier.“

Aus dem Koffer holte er eine Schatulle mit einem Glasdeckel. Sie enthielt eine vergilbte, zerknitterte und an den Rändern eingerissene Karte. Behutsam nahm Jake das Papier heraus. „Streck die Hände aus“, forderte er Madison auf und übergab ihr das Dokument. Als seine warmen Finger sie dabei berührten, vergaß sie die Schatzkarte einen Atemzug lang. Erneut sah sie ihn an und spürte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte.

„Danke“, flüsterte sie und betrachtete das Papier mit angehaltenem Atem. „Es ist, als hätte ich meine Vergangenheit in Händen.“

„Hoffentlich haben wir bald den Schatz in Händen“, erwiderte Jake trocken. Mittlerweile hatte er auf dem PC eine Aufnahme aufgerufen, auf der jeder Baum und jeder Busch zu erkennen waren. Er zeigte auf eine bestimmte Stelle und fügte hinzu: „Ich möchte mir dieses Stück am Rocky Creek mal ansehen. Laut unserer Schatzkarte müssten dort Bäume stehen. Aber Bäume sterben ja oder werden gefällt, und neue wachsen nach. Daran sollten wir uns also nicht orientieren.“

„Stimmt.“ Behutsam legte sie die alte Karte neben die Tastatur.

Jake wühlte in seiner Aktentasche und reichte ihr eine Taschenlampe. „Halt mal bitte.“ Nachdem er den Koffer abgestellt hatte, richtete er die Karte vorsichtig aus und nahm die Lampe wieder an sich. In dem starken Licht traten die Einzelheiten deutlicher hervor. „Schau dir diese Kreise an. Darunter steht ‚Fels‘, wenn ich das richtig erkenne. Und dann vergleichst du das mal mit diesem Luftbild vom Ufer.“

„Da sind Felsen, ja“, meinte sie, „aber ich kenne ein Dutzend andere Stellen am Creek, an denen es auf beiden Seiten des Flusses Felsen gibt.“

„Doch hier auf der Karte macht der Fluss eine Biegung“, sagte Jake und zeigte auf die Stelle. „Und hier auf dem Foto auch. Für mich ist das derselbe Ort.“

„Stimmt, aber sieh mal.“ Madison deutete auf den Monitor. „Das hier ist die Gegend, die meiner Ansicht nach am ehesten der auf deiner Landkarte entspricht. Dort sind Felsen, und der Fluss verläuft um eine Sandbank herum. Sandbänke verschieben sich im Lauf der Zeit schon mal oder lösen sich auf. Verstehst du?“ Sie hob den Kopf und bemerkte, dass er sie eindringlich musterte.

Jake atmete tief durch, bevor er sich wieder der Schatzkarte widmete. „Möglich.“ Er seufzte. „Dass es nicht einfach wird, war mir schon klar. Nach diesem Schatz wird ja seit einer Ewigkeit gesucht.“

„Pass auf: Du brütest noch ein bisschen über den Karten, während ich in der Zwischenzeit den Tisch decke.“

„Brauchst du Hilfe?“

„Nein danke“, erwiderte sie lächelnd.

Damit ließ sie Jake vor dem Computer alleine. An der Tür drehte Madison sich noch einmal zu ihm um. In dem sanften Licht schimmerte sein Haar tiefschwarz. Würde sie wirklich mit ihm zusammenarbeiten können, ohne dass die alten Gefühle wieder aufflammten? Irgendwas in ihrem Inneren regte sich nämlich bereits – und das machte ihr Angst.

„Vier potenzielle Grabungsstellen habe ich schon gefunden“, erzählte Jake, als Madison ihn zu Tisch rief. „Nach dem Essen sehen wir sie uns gemeinsam an. Ich fürchte bloß, dass wir immer mehr entdecken werden, je länger wir suchen.“ Als sie zusammen die Bibliothek verließen, meinte er: „Das riecht übrigens himmlisch.“

„Ist nur was Einfaches: gebackener Tilapia auf Spaghettini mit Artischockenherzen und getrockneten Tomaten. Zum Fisch kann ich dir Soße anbieten oder Zitrone.“

Sie betraten die Küche, und Madison bemerkte, wie ehrfürchtig er die Schränke bewunderte. Sie stammten aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, aus der Zeit, in der das Haus errichtet worden war.

„Die Geräte sind etwa drei Jahre alt“, berichtete sie. „Der Rest ist aber noch genau so, wie ich es aus meiner Kindheit kenne.“

Jake rückte ihr den Stuhl zurecht. Erneut nahm sie jede flüchtige Berührung, jeden kurzen Blick in aller Deutlichkeit wahr. Wie viel empfand sie noch für Jake? Nein, diese Frage wollte sie sich gar nicht beantworten. Noch vor ein paar Tagen hätte sie rundweg abgestritten, dass sie überhaupt etwas für ihn fühlte. Inzwischen musste sie jedoch zugeben, dass er durchaus eine gewisse Anziehung auf sie ausübte.

„Es gibt außerdem selbst gebackenes Knoblauchbrot.“

„Hast du das gemacht?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Jessie Lou kocht für mich, Harriet für die Arbeiter. Zusammen mit der Ranch hat Dad mir auch das Personal überlassen. Ethel kommt dreimal pro Woche zum Putzen, und Ethels Mann arbeitet ebenfalls hier. Die beiden und Jessie Lou leben hier auf der Ranch.“

„Zum Putzen kann ich mich nicht äußern, aber die Köchin ist sensationell. Ich erinnere mich noch gut an die Picknicks, für die du was aus Jessie Lous Küche mitgebracht hast.“

„Ja, zum Beispiel den Schokoladenkuchen, über den die Ameisen hergefallen sind? Du hast ihnen den Kuchen nicht gegönnt und dein Stück so lange geschüttelt, bis die meisten von ihnen heruntergefallen sind. Dann hast du es einfach aufgegessen – Ameisen hin oder her.“

„Und du hattest solchen Schiss davor, dass dir Ameisen in den Mund krabbeln könnten. Ich durfte dich den ganzen Tag nicht küssen.“

Sie lachten, und Madison bekam weiche Knie. Sie sehnte sich so sehr nach Jakes Nähe, dass es schmerzte. Es war ein Fehler gewesen, die Erinnerung an schöne gemeinsame Erlebnisse zu wecken. Ihr Appetit war mit einem Mal verflogen. Trotzdem starrte sie angestrengt auf den Teller, der vor ihr stand.

„Es war immer lustig damals“, meinte Jake, dann breitete sich ein Schweigen zwischen ihnen aus.

Madison vermied es, seinem bohrenden Blick zu begegnen. Er hatte sie stets durchschaut, während er selbst seine Gefühle sehr gut verbergen konnte.

„Am besten machen wir eine Liste von den Stellen, an denen wir suchen wollen“, schlug Jake nach einer Weile vor, und erleichtert verstaute Madison die Erinnerungen tief in ihrem Herzen. „Hast du noch so große Angst vor Schlangen?“

„Leider. Keine zehn Pferde würden mich dazu kriegen, im Rocky Creek zu schwimmen.“

„Aber du weißt, dass es dieses Jahr da draußen Schlangen in Hülle und Fülle gibt.“

„Wir sind ein Haufen Leute und veranstalten genug Krach, um die Klapperschlangen zu vergraulen“, gab sie zurück. „Notfalls hat sicher auch jemand eine Pistole dabei.“

„Stimmt, ich habe immer eine im Pick-up.“

„Na also.“

Während sie aßen, besprachen sie die Details der Suche, und anschließend bot Jake an, beim Abwasch zu helfen.

„Lass gut sein“, erwiderte Madison. „Ich stelle die Reste in den Kühlschrank und spüle das Geschirr nur rasch vor. Geh du schon mal rüber und beschäftige dich mit den Karten.“

„Nein, ich spüle, und du gehst“, entgegnete Jake. „Du hast die Originalkarte ja zum ersten Mal gesehen. Sie ist um einiges deutlicher als die Kopie. Keine Widerrede!“ Mit sanfter Gewalt nahm er ihr die Teller aus der Hand.

„Immer noch derselbe Sturkopf.“

Er schmunzelte. „Das sagt die Richtige. Manches ändert sich eben nie.“

Bevor sie wieder verbotenes Terrain betraten, griff Madison nach der Schüssel mit den Spaghettini. „Ich räume schnell die Reste weg“, sagte sie, doch im selben Moment nahm er ihr die Schüssel ab, stellte sie zur Seite und ergriff ihre Hände. Sie keuchte erschrocken auf. „Dann eben nicht“, stieß sie hervor.

Madison spürte Jakes Blick in ihrem Rücken, als sie aus der Küche stürmte. Wie sie mit ihm zusammenarbeiten sollte, war ihr schleierhaft. Die Dinge entwickelten sich ganz und gar anders, als sie erwartet hatte …

4. KAPITEL

Madison überflog die Landkarten noch einmal, ohne an ihrer Liste etwas zu ändern. Sie hatte es eilig, Jake loszuwerden. Dann sprach sie alles mit ihm durch, zeigte ihm die entsprechenden Punkte auf der Karte und wartete geduldig, während er sie begutachtete. Anschließend zog er seine eigene Liste aus der Tasche und glich die beiden miteinander ab.

„Es gibt drei Übereinstimmungen“, stellte er fest. „Die nehmen wir uns als Erstes vor. Deine Nummer eins steht bei mir auf Platz zwei, aber weil du die Örtlichkeiten besser kennst, fangen wir damit an.“

Madison markierte die drei Stellen auf jeder Karte. „Jetzt gehen wir noch die anderen durch und einigen uns auf eine Reihenfolge.“ Sie rückte ihren Stuhl direkt neben seinen. Auf einmal konnte sie sich nur noch auf Jake konzentrieren, anstatt auf die Karte vor ihr. „Als Nächstes kommt meiner Ansicht nach meine Nummer vier.“

Eine Stunde später hatten sie sich auf den Plan geeinigt, und Jake verstaute die Originalkarte wieder in ihrer Schatulle.

„Ich hoffe so sehr, dass wir etwas finden“, meinte Madison, als sie Jake zur Tür brachte. „Gar nicht so sehr wegen dem Geld. Aber der Schatz – falls es ihn wirklich gibt – stellt ein ganz konkretes Stück Familiengeschichte dar. Ich bin überzeugt, dass es darum eine Schießerei mit Toten auf beiden Seiten gegeben hat. Und diese Toten haben ein Anrecht auf ein würdiges Begräbnis.“ Sie begleitete ihn nach draußen. Die Septembernacht war kühl, Tausende von Sternen funkelten am Nachthimmel. „Vielen Dank, dass du mir das Original gezeigt hast. Ich finde es total faszinierend.“

„Du unverbesserliche Romantikerin.“ Jake stand nur wenige Zentimeter neben ihr, doch Schatten verbargen seine dunklen Augen.

Madison verspürte den unwiderstehlichen Drang, die Arme um ihn zu schlingen und ihn zu küssen. Doch sie beherrschte sich und trat einen Schritt zurück. „Kannst du morgen früh so gegen sechs Uhr da sein? Dann können wir schon bei Sonnenaufgang draußen sein.“

„Klar“, antwortete Jake. „Soll ich was zu essen einpacken?“

„Nein, darum kümmert sich Jessie Lou. Also, bis morgen.“

„Vielen Dank für das Essen, Madison.“

„Gern geschehen.“

Was sind wir höflich, dachte sie bei sich. Andererseits war ihr das lieber, als gegen den Drang ankämpfen zu müssen, ihm die Kleider vom Leib zu reißen. Sie sah Jake hinterher. Nachdem er außer Sichtweite war, kehrte Madison ins Haus zurück, schloss ab und programmierte die Alarmanlage.

Früh am nächsten Morgen stand Madison mit zwei ihrer Männer neben dem Pick-up abfahrbereit in der Einfahrt. Es war noch dunkel. Eine geschlagene Stunde hatte sie gebraucht, um sich anzuziehen. Sie hatte sich bemüht, nicht an Jake zu denken – und trotzdem hatte sie bei jedem Kleidungsstück überlegt, wie es ihm gefallen würde. Schließlich hatte sie sich für ein langärmeliges blaues Westernhemd, Jeans, Stiefel und einen braunen, breitkrempigen Hut entschieden. Ihr Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der über ihren Rücken hing.

Madison war nervös und kribbelig. Sie konnte es kaum erwarten, endlich in die Gänge zu kommen. Dabei ging es ihr nicht ums Gold. Hätte Jake die Hälfte des Schatzes für sich beansprucht, hätte sie sofort eingewilligt. Nein, ihr ging es darum, ein Stück ihrer Vergangenheit in Händen zu halten. Der Schatz stellte für sie eine Verbindung zu Menschen dar, die vor Generationen auf diesem Land gelebt hatten. Wenn sie ihn finden würden, dann hieße das, dass die alten Geschichten wahr waren. Es würde ihr sehr viel bedeuten.

Am Ende der Straße leuchteten Scheinwerfer auf. Als sie näher kamen, erkannte Madison Jakes großen schwarzen Pick-up, in dem er mit drei weiteren Männern saß. Ihnen folgte ein roter Pick-up, der mit zwei Männern besetzt war. Die Wagen hielten, und Jake stieg aus. Heute trug er einen schwarzen Cowboyhut. Die Jeans saßen knapp und brachten seine schmalen Hüften und die langen Beine gut zur Geltung. Er hatte ein rot-blau kariertes Hemd an und sprühte vor Energie.

„Einen wunderschönen guten Morgen.“

„Morgen, Jake. Das sind Darren Hopkinson und Stoney Rassmussen. Darren, Stoney, das ist Jake Calhoun.“ Die Männer schüttelten sich die Hände, und sie fügte hinzu: „Wir wären dann so weit.“

„Fahrt ihr voraus“, schlug Jake vor. „Es ist dein Land.“

„Gerne.“

Madison stieg ein und fuhr über einen Feldweg, der an Häusern, Scheunen und Koppeln vorbeiführte. Schließlich bog sie auf einen unbefestigten Pfad, der mit Unkraut überwuchert und mit Steinen und Schlaglöchern übersät war. Sie kannte den Weg wie ihre Westentasche und hätte ihn im Schlaf gefunden. Auf solchen Pisten hatte sie das Fahren gelernt. Im Rückspiegel sah sie Jakes schwarzen Pick-up, das rote Auto bildete das Schlusslicht. Sie hatten geplant, auf der Nordseite des Creeks mit den Grabungen zu beginnen und sich dann nach Osten zu bewegen. Dass der Schatz irgendwo am Rocky Creek vergraben war, darüber waren sie sich einig gewesen.

Mit dem ersten Morgenlicht näherten sie sich der einzigen Brücke, die auf dem Gelände der Double M Ranch den Rocky Creek überquerte. Weil die Sonne noch nicht durch das Laub der Bäume am Ufer drang, blieben sämtliche Scheinwerfer eingeschaltet.

„Stopp!“, rief Stoney plötzlich. „Sehen Sie mal, Miss Milan, die Brücke!“

Madison bremste. Im Lichtkegel vor sich entdeckte sie die gegenüberliegende Seite der Brücke. Eine der riesigen Pappeln war umgestürzt und blockierte die Durchfahrt.

„Wusstet ihr, dass hier ein Baum umgefallen ist?“, fragte sie Darren und Stoney, die beide die Köpfe schüttelten. Madison stellte den Motor ab und stieg aus.

„Wir schaffen das Ding aus dem Weg“, meinte Jake, als er sich neben sie stellte. „Kein Problem. Es kostet ein bisschen Zeit, aber es kann uns nicht aufhalten. Auf geht’s, Männer!“

„Ich frage mich bloß, wieso er überhaupt umgestürzt ist“, sagte Madison mehr zu sich selbst. „Der Baum sieht ganz gesund aus, und wir hatten keinen Sturm in letzter Zeit. Lange liegt er noch nicht da.“

Das Hindernis war schnell aus dem Weg geräumt, und die Männer kletterten wieder in die Autos. Nur Jake ging zunächst auf Madison zu und erklärte: „Der Baum ist gefällt worden – und zwar absichtlich. So wie es aussieht, sollte er auf die Brücke kippen. Irgendjemand will uns offenbar von der Schatzsuche abhalten.“

Verdutzt starrte sie ihn an. „So was Kindisches. Damit hat dieser Jemand doch bloß eine kleine Verzögerung bewirkt. Aufhalten lassen wir uns dadurch nicht. Wer sollte so was tun?“

„Niemand aus meiner Familie“, behauptete Jake. „Wir profitieren ja alle von der Suche. Das könnte jedenfalls eine Warnung sein, also halte die Augen offen.“

Madison schauderte und musterte den Baum, der nun neben der Brücke lag. „Wir machen weiter wie besprochen“, erklärte sie.

„Lass mich lieber vorausfahren“, meinte Jake. „Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber die Brücke könnte zusammenbrechen und das Auto ins Wasser stürzen. Ertrinken würden wir zwar nicht. Doch ich will sichergehen, dass sich keiner an der Brücke zu schaffen gemacht hat.“

„Ich habe keine Angst!“

„Nein, lass mich nur.“ Damit kletterte Jake in den Pick-up und fuhr los.

Sie wartete, bis er auf der anderen Seite des Flusses angekommen war, dann folgte sie. Zehn Minuten später hielt Jake an und stellte den Motor ab. Madison parkte neben ihm. Auch der dritte Pick-up hielt an, und die Männer stiegen aus. Allmählich erwärmte sich die Luft. Weiter im Norden hatte es offenbar geregnet. Das Wasser in dem schmalen Fluss rauschte und gluckerte lebhaft, und Gischt spritzte an den Felsen hoch.

„Wir sind an unserem ersten Ziel“, bemerkte Madison, als Jake zu ihr kam. „Ab hier übernimmst du das Kommando. Sollen wir direkt mit dem Graben anfangen oder uns erst mal umsehen?“

Jake studierte die Karte. Die ersten Sonnenstrahlen zwängten sich durch die Äste und Blätter und tanzten auf seinem rabenschwarzen Haar. „Kommt bitte alle mal her!“, rief er schließlich.

Als sie sich um ihn versammelt hatten, schob er den Hut in den Nacken, sodass die breite Krempe sein Gesicht umrahmte. „Bevor wir anfangen, möchte ich euch noch etwas sagen: Wir suchen einen Schatz, von dem wir nicht wissen, ob er überhaupt existiert. Sollten wir auf Gold stoßen oder Hinweise auf eine Schießerei finden, erhält jeder von euch – egal, ob er für die Milans oder die Calhouns arbeitet – von mir einen Bonus von fünftausend Dollar.“

Die Männer klatschen und johlten, und Jake fügte hinzu: „Die habt ihr euch dann redlich verdient, denn auf uns wartet ein echter Knochenjob. Aber selbst wenn wir nichts entdecken sollten, bekommt ihr tausend Dollar dafür, dass ihr euch freiwillig für diesen Job gemeldet habt.“ Er wartete, bis der Jubel der Männer verstummte. „Anhand der Karten haben Madison und ich beschlossen, dass wir hier beginnen. Wir werden uns über das Gelände verteilen und in Ufernähe graben. Auf geht’s! Viel Glück!“

Jake ist der geborene Anführer, dachte Madison. Das war er schon damals auf der Highschool als Quarterback des Footballteams gewesen. Außerdem hatten sie zusammen die Mathe-AG besucht, wobei er als Vorsitzender die Zusammenkünfte geleitet und Entscheidungen gefällt hatte. Sie selbst war zweite Vorsitzende gewesen, und ein paarmal waren sie ganz schön aneinandergeraten.

„Madison“, sagte er nun zu ihr, „du kannst tun, was du willst. Schau uns zu oder setz dich hin und warte. Aber nimm dich vor den Schlangen in Acht.“

„Klar.“ Sie zog ihr Exemplar der Karte hervor und schlenderte ein wenig am Ufer entlang. Nach wenigen Schritten fand sie einen Felsen, der ganz bequem wirkte. Sie nahm darauf Platz und sah sich um: Mesquitebäume, Kakteen, ein bisschen Gestrüpp, Gras und Unkraut in Ufernähe.

Jake war ihr gefolgt und setzte sich neben sie. „Was hältst du davon?“

„Ich weiß nicht recht.“

„Es ist ein Anfang“, sagte er. „Am besten bleibst du hier sitzen.“

„Okay, ich hole nur rasch den Skizzenblock.“ Sie sprang auf, rutschte jedoch auf dem losen Geröll aus. Sofort legten sich starke Hände um ihre Taille und hielten sie fest. Um nicht hinzufallen, stützte sie sich auf Jake und schaute dann unwillkürlich in seine braunen Augen. Als sein Blick zu ihrem Mund wanderte, öffnete sie automatisch die Lippen. Ihr Puls raste. Sie konnte sich nicht rühren, war sich Jakes Nähe glasklar bewusst. Würde er sie küssen? Panisch riss sie sich los. „Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich im Fluss gelandet“, murmelte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel. „Danke!“

Er antwortete mit einem stummen Nicken.

Innerlich aufgewühlt lief Madison davon. Dabei hatte sie eher Jakes Berührung als der Beinahe-Sturz aus der Fassung gebracht. Nach einigen Metern hielt sie kurz inne und drehte sich um. Jake wollte sie anscheinend nicht aus den Augen gelassen. War wohl doch keine gute Idee, mitzukommen, dachte sie bei sich. Andererseits konnte ja nur sie Jake notfalls davon abhalten, etwas zu tun, das nicht im Interesse der Milans lag.

Vor wenigen Sekunden hatte heißes Verlangen ihren Körper durchflutet. Sie hatte sich gewünscht, dass Jake sie küssen würde. Dabei hatte sie seit Jahren gemeint, sie wäre über ihn hinweg. Sie hatte geglaubt, er wäre nicht mehr als eine von vielen Erinnerungen aus ihrer Teenagerzeit. Sie hatte geglaubt, sie hätte ihn völlig aus dem Kopf verbannt. Tja, so kann man sich täuschen! Madison konnte es nicht fassen. Als sie seine Finger auf sich gespürt hatte, war die Sehnsucht nach seinem Kuss plötzlich da gewesen.

Doch sie durfte Jake nicht trauen. Niemals. Selbst jetzt konnte sie sich nicht darauf verlassen, dass er nichts im Schilde führte. Vielleicht hatte er sie mit dem Schatz bloß geködert, um seine wahren Absichten zu verschleiern. Es musste noch viel Wasser den Fluss hinunterfließen, bevor Jake ihr Vertrauen zurückgewinnen würde. Wenn überhaupt.

Mit Block und Stift kehrte Madison zu dem Felsen zurück und begann zu zeichnen. Nach zwei Stunden merkte sie, dass sie eine Pause brauchte und sich ein wenig die Beine vertreten musste. Kurz entschlossen machte sie sich daran, einige größere Steine wegzuräumen, damit man in dem Bereich graben konnte. Sie hatte noch kein halbes Dutzend beiseitegeschafft, als sich auf einmal Jakes Finger um ihr Handgelenk schlossen.

Sie schrak zusammen und richtete sich auf. „Was ist los?“

„Du brauchst das nicht zu tun. Das ist viel zu schwer für dich.“

Lachend strich sie sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Das geht schon, Jake. Ich bin schließlich nicht aus Zucker.“

„Morgen früh wird dir alles wehtun, wenn du so weitermachst. Überlass das lieber uns. Du könntest stattdessen schon mal zu den Trucks gehen und das Mittagessen auspacken. Oder wir fahren die Autos näher zu ihnen.“

„Das Gelände ist doch total uneben.“

„Genau dafür sind Pick-ups gebaut. Nun komm mit“, meinte Jake, ergriff ihren Arm und geleitete sie zu den Trucks.

Madison spürte, wie seine Berührung ihr Inneres zum Vibrieren brachte. Nachdem er ihr in den Pick-up geholfen hatte, löste er sich von ihr und stieg selbst in den zweiten. Hintereinander fuhren sie zu der Stelle, an der drei ihrer Männer mit Grabungen beschäftigt waren.

„Mach du ruhig weiter“, meinte Madison, als sie aus den Wagen geklettert waren. „Ich kümmere mich um das Essen.“

Mit Wasser aus einem Kanister, den sie zu diesem Zweck eingepackt hatte, wusch sie sich die Hände. Auf den Ladeflächen der Pick-ups richtete sie dann die Sandwiches an, die Jessie Lou vorbereitet hatte. Sie legte ein paar Tüten Chips dazu und öffnete die Kühltaschen, in denen Wasser und Softdrinks auf Eis lagen. Daneben stellte sie zwei hausgemachte Apfelkuchen und eine Schüssel mit geschlagener Sahne, bevor sie eine kleine Glocke läutete.

Die Männer kamen sofort herbei. Einige machten es sich auf den Campingstühlen bequem, die Jake mitgebracht hatte; andere setzten sich auf Baumstämme oder große Steine.

Jake nahm neben Madison auf einem flachen Sandstein Platz. „Scheint, als hätten wir hier eine Niete gezogen“, sagte er. „Doch immerhin können wir dieses Gebiet jetzt ausschließen.“

„Du meintest selbst, dass es nicht leicht wird“, erwiderte sie. „Und wir fangen ja gerade erst an. Viele Generationen meiner Familie haben diesen Teil der Ranch schon abgesucht. Den Fluss haben sie dabei vermutlich allerdings ausgespart, denn der Lauf dieser Creeks verändert sich mit der Zeit. Möglicherweise liegt der Schatz ja auf dem Grund des Flusses.“

Nach dem Essen machten sich die Männer wieder an die Arbeit. Nachdem Madison aufgeräumt hatte, streifte auch sie sich Arbeitshandschuhe über und wollte noch ein paar Steine wegtragen. Gerade als sie den ersten hochhob, schoss eine kleine Schlange darunter hervor, und Madison kreischte vor Entsetzen. Geistesgegenwärtig packte sie das Tier am Schwanz und schleuderte es mit aller Kraft in Richtung Fluss.

„Deine Schlangenphobie hast du offenbar doch überwunden“, meinte Jake, der ganz in der Nähe arbeitete, und lachte.

„Hab ich nicht“, gab sie aufgebracht zurück. „Und hör auf, zu lachen. Das war nicht witzig.“ Sie schüttelte sich. „Anders wäre ich das Vieh nicht losgeworden. Umbringen kann ich es nicht.“

„Hättest du eine Sekunde gewartet, hätte ich es getötet. Großartiger Wurf übrigens! Aber pass auf: Für mich sah das nach einer Mokassinotter aus, und die treten selten allein auf.“

Noch einmal musste Madison sich schütteln. „Ich brauche eine Pause“, erklärte sie, ging zurück zum Auto und setzte sich hinein. Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihr, dass Jake immer noch breit lächelte, und das schürte ihre Wut.

Wenn sie etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann waren das Schlangen. Sie hatte völlig instinktiv reagiert. Bloß weg mit dem Vieh, hatte sie gedacht. Am liebsten hätte sie die Schatzsuche auf der Stelle abgeblasen. Sollten die Gebeine ihrer Vorfahren ruhig da bleiben, wo sie seit gut zweihundert Jahren ruhten.

Außerdem ging ihr Jake nicht aus dem Sinn. Seine ständige Nähe weckte Gefühle in ihr; Gefühle, von denen sie geglaubt hatte, sie würde sie nach so vielen Jahren gar nicht mehr empfinden; Gefühle, die sie auch überhaupt nicht empfinden wollte.

Zum allem Überdruss war ihr schrecklich heiß, und sie war todmüde. Dieser Baum, der die Brücke versperrt hatte … War das tatsächlich eine Warnung gewesen? Wer sollte so etwas tun? Und warum? Ihre Brüder waren zwar nicht begeistert von ihrem Vorhaben, aber deswegen würden sie bestimmt keinen Baum fällen.

Wie schön wäre es, jetzt zu Hause zu sitzen und zu malen oder einfach die Ruhe zu genießen, dachte Madison bei sich. Seit Jake in dem Baumarkt aufgekreuzt war, sorgte er jedoch bloß für Unruhe und hatte ihr Leben total auf den Kopf gestellt.

Es war Nachmittag geworden. Am Ufer des Flusses schaufelte Jake im Schatten einer Pappel. Er hatte das Hemd ausgezogen. Madison beobachtete, wie seine Rückenmuskulatur bei jedem Spatenstich arbeitete. Er war so stark und muskulös. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sich sein bloßer Rücken anfühlte. Wie oft hatte sie ihn gestreichelt, wenn sie sich geküsst hatten. Damals war Jake ein großer, schlaksiger Teenager gewesen, doch seither war er in seinen Körper hineingewachsen. Er war ein Mann geworden.

Die Sonne brannte. Madison war heiß, aber das lag weniger an der Lufttemperatur. In Gedanken schmiegte sie sich an Jake. Seine Hände wanderten über ihre Haut, liebkosten sie zärtlich …

„Jake …“, entfuhr es ihr. Als sie merkte, dass sie seinen Namen geflüstert hatte, schlug sie hastig die Hand vor den Mund. Nein, so tief würde sie nicht sinken. Sie würde sich nicht wünschen, die Vergangenheit könnte sich wiederholen. Wenn es so weiterging, durfte sie die Suche eben nicht mehr begleiten. Auf keinen Fall wollte sie sich derart von der Erinnerung quälen lassen.

Trotzdem konnte Madison es sich nicht verkneifen, Jake weiterhin aus den Augenwinkeln zu betrachten. Er grub ein breites, flaches Loch. Als er sich nun aufrichtete und sich den Schweiß von der Stirn wischte, kreuzten sich ihre Blicke. Er musterte sie seinerseits ganz unverhohlen. Was mochte ihm wohl gerade durch den Kopf gehen? Aber Jake sagte kein Wort, und nach einer Weile nahm er seine Arbeit wieder auf.

Bei Sonnenuntergang machten sie sich auf den Rückweg.

„Sag deinen Männern, sie sollen morgen Wäsche zum Wechseln mitbringen“, meinte Madison, als sie sich vor ihrem Haus von Jake verabschiedete. „Dann könnt ihr euch den langen Heimweg sparen: Die Männer können in der Unterkunft meiner Arbeiter übernachten. Du kannst im Haus schlafen, wir haben Platz genug.“

„Im Ernst? Ich nehme dein Angebot gerne an, und die Männer sicher auch, denke ich. Kommst du morgen wieder mit?“

„Selbstverständlich“, erwiderte sie, obwohl sie in den letzten Stunden mehrfach ans Aufgeben gedacht hatte.

„Also sehen wir uns morgen früh“, sagte er, blieb aber stehen. Er hatte die Hände in die Taille gestemmt und musterte sie.

Madison hatte den Eindruck, als hätte er noch etwas auf dem Herzen. Doch dann wandte Jake sich um, stieg ein und fuhr davon.

Madison war aus der Dusche gestiegen und trocknete sich gerade ab, als das Telefon läutete. Es war ihr Vater.

Nach dem üblichen Small Talk sagte er plötzlich: „Du hast Jake Calhoun gestattet, auf unserem Grund und Boden zu graben.“

Woher weiß er das schon wieder? Vermutlich hat einer der Arbeiter ihn darüber informiert, dachte Madison bei sich. Da sie ja unter ihren Männern nach Freiwilligen für die Aufgabe gesucht hatten, wussten alle Bescheid. „Richtig. Und meinen Brüdern habe ich davon erzählt. Jake besitzt eine alte Schatzkarte, die ziemlich authentisch wirkt.“

„Wie kannst du einen Calhoun auf unsere Ranch lassen?“, fragte ihr Vater. „Bist du dir im Klaren darüber, was das bedeutet?“

„Ja, aber ich halte das Risiko für kalkulierbar“, erklärte sie mit fester Stimme. „Falls wir den Schatz finden, gehört er übrigens uns.“

„Und was springt für ihn dabei raus?“

„Er sucht die sterblichen Überreste seiner Vorfahren.“ Als ihr Vater bitter auflachte, fügte sie schnell hinzu: „Und eventuell ein Dokument, das ihm einen Anspruch auf ein Stück vom Land der McCrackens gibt.“

Stille. Dann meinte ihr Vater: „Sei vorsichtig, Madison. Trau diesem Kerl nicht. Ich fürchte, du begehst da eine Riesendummheit. An deiner Stelle würde ich das Ganze abblasen. Der Schatz ist das Risiko nicht wert. Denn du kannst Gift darauf nehmen: Jake ist hinter was ganz anderem her als hinter den Gebeinen seiner Vorfahren und einer alten Urkunde, die höchstwahrscheinlich vor keinem Gericht der Welt Bestand hätte.“

„Ich pass schon auf“, versicherte sie und hoffte im Stillen, dass ihr Vater nichts von dem Baum auf der Brücke wusste. „Außerdem sind Darren und Stoney mit von der Partie. Wir halten die Augen offen.“

„Denk an meine Worte: Du solltest ihm zum Teufel jagen.“

„Immerhin hat er mir die Originalkarte überlassen. Und länger als drei, vier Tage wird sich das sowieso nicht hinziehen.“

„Sieh dich bitte vor“, beharrte ihr Vater.

„Natürlich“, versprach sie ihm. „Mach dir bitte keine Sorgen.“

„Das tut ein Vater nun mal. Denk an meine Worte. Blas die Sache ab, das gibt nur Ärger.“

„Ich werde aufpassen. Danke, Dad“, sagte Madison und bemerkte, dass ihre Stimme zuversichtlicher klang, als sie sich fühlte.

Als sie sich voneinander verabschiedeten und das Gespräch beendeten, musste Madison unvermittelt an Jake denken. In ihrem Kopf spulten sich die Szenen des vergangenen Tages noch einmal ab.

Gab es einen Grund, misstrauisch zu sein? Sagte Jake die Wahrheit, oder hinterging er sie? Und wer hatte sie bei ihrem Vater angeschwärzt? Einer der Daheimgebliebenen? Darren? Stoney? Auf wen konnte Madison sich überhaupt noch verlassen?

Jake hatte die Männer vor ihrer Unterkunft abgesetzt und machte sich auf den Heimweg. Gerade erreichte er die Ranch, als er den Pick-up seiner Schwester entdeckte.

„Hi! Komme ich ungelegen?“, fragte Lindsay, nachdem sie ebenfalls vor der Hintertür geparkt hatte und ausgestiegen war.

„Du doch nicht.“

Auch wenn Lindsay als Einzige in der Familie blond war und blaue Augen hatte: sie stand den anderen Calhouns in nichts nach – besonders, was die Liebe für die Arbeit auf der Ranch betraf. Heute trug sie das Haar zu einem dicken Zopf geflochten, der über ihre Schulter baumelte.

„Ich war in der Nähe und dachte: Schau mal vorbei“, meinte sie. „Ich hatte gehofft, dass du zurück bist, und wollte mal hören, wie es gelaufen ist.“

„Dann komm rein und lass dir bei einem Bier Bericht erstatten. Aber damit du es gleich weißt“, erklärte Jake. „Wir haben keinen Schatz gefunden, keine Knochen, keine Urkunde.“

„Ihr habt ja gerade erst angefangen.“

„Nett, dass du das so siehst. Du hättest auch sagen können, dass es sowieso aussichtslos ist.“

Seine Schwester schmunzelte. „Ich finde es gut, dass du das machst. Es wäre toll, wenn du die Urkunde finden würdest. Das würde diesen Milans recht geschehen! Es gibt doch nichts Süßeres als Rache.“

„Fang nicht wieder damit an, Lindsay.“

„Mit Tony Milan hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen“, gab sie zurück. „Sollte er je wieder Fuß auf meine Ranch setzen, werde ich ihm eine Ladung Schrot verpassen.“

„Bitte, Lindsay, lass den Unsinn! Ich hab keine Lust, dich wegen so was im Gefängnis zu sehen. Geh meinetwegen vor Gericht und verklag ihn wegen unbefugtem Eindringen. Aber tu nichts, was du im Nachhinein bedauerst.“

„Dann soll er sich von meiner Ranch fernhalten.“

Jake packte seine Schwester an den Schultern und drehte sie zu sich herum. „Ich meine das ernst: Bring dich wegen einem Milan nicht in Schwierigkeiten.“

„Alter Spielverderber!“ Schimpfend entwand sie sich seinem Griff.

„Besser, du kriegst es mit mir zu tun als mit Richter Milan.“

„Reg dich ab!“, erwiderte sie. „Richter Milan sitzt ja in Dallas. Außerdem müsste er sich wegen Befangenheit selbst ablehnen. Ich werde Tony schon nicht mit der Schrotflinte hinterherjagen, auch wenn er mich kolossal nervt. Auf der letzten Auktion hat er mir ein Pferd vor der Nase weggeschnappt und … Lach nicht! Ich kann nicht mal den Sheriff rufen, wenn Tony sich mal wieder erdreistet und mein Land betritt. Sheriff Milan wird den Teufel tun und seinen eigenen Bruder belangen.“

„Das stimmt. Was hat Tony denn auf deiner Ranch zu schaffen?“, fragte Jake.

Lindsay seufzte. „Sein Vieh hat auf unserem Gebiet gegrast. Ein Zaun war defekt, und seine Tiere sind bei uns eingedrungen und haben das Land kahl gefressen, ehe wir es mitbekommen haben.“

„Was soll er denn machen? Er muss doch sein Vieh zurückholen, Lindsay. Drück ein Auge zu und gib vor allem dem Sheriff keinen Grund, dir Ärger zu machen.“

„Ich hoffe so sehr, dass du diese Urkunde findest und dadurch viele Hektar Milan-Land erhältst.“

Nun seufzte Jake. „Du klingst schon genauso verbittert wie Granddad, obwohl du von uns allen die Jüngste bist.“

„Tony ist wie eine lästige Fliege, die sich einfach nicht verscheuchen lässt. Aber Schluss mit dem Thema. Wie war es heute?“

„Lass mich erst duschen“, sagte Jake. „Ich bin dreckig und total verschwitzt.“

„Na klar. Ich hole schon mal Bier.“

Nachdem er geduscht hatte, setzte Jake sich zu seiner Schwester auf die Veranda. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und es hatte sich abgekühlt.

„Wie lief es denn nun mit Madison?“, wollte Lindsay wissen.

„Ganz okay. Es ist ja viel Zeit vergangen“, antwortete er. „Wir sind beide gut darin geworden, uns zu beherrschen und die Vergangenheit ruhen zu lassen.“

„Seit ihr Vater dich an diesem Abend damals bedroht hat, hast du doch kein einziges Wort mehr mit ihr gewechselt.“

„Bis letzte Woche, stimmt.“ Dann fügte er hinzu: „Jedenfalls haben wir heute nichts gefunden. Allerdings haben wir ja gerade erst angefangen. Ich hoffe nach wie vor, dass in der alten Geschichte ein Körnchen Wahrheit steckt.“

„Selbst wenn es so ist: Wie wollt ihr den Schatz finden, wenn er wirklich am Rocky Creek vergraben ist, wie du meintest? So ein Fluss hat ja leider die unangenehme Angewohnheit, seinen Lauf zu verändern.“

„Ich gebe nicht auf. Und die Mannschaft ist so groß, dass wir ein weites Gebiet absuchen können.“

„Na hoffentlich.“ Lindsay trank einen Schluck und schaute nachdenklich zum Pool.

„Was macht die Ranch?“, erkundigte sich Jake. Es erstaunte ihn nach wie vor, dass seine kleine Schwester eine riesige Ranch gekauft hatte und sie erfolgreich leitete. Zwar hatte sie einen kompetenten Vorarbeiter, aber sie schuftete auch selbst wie verrückt. Andererseits liebten alle Calhouns eben diese Art von Arbeit – allen voran Mike und Lindsay.

„Alles bestens.“

„Schön. Wenn du bleibst, werfe ich ein paar Steaks auf den Grill.“

„Ich helfe dir.“

Beim Essen unterhielten sie sich über die Ranch und räumten danach gemeinsam den Tisch ab. Schließlich wollte Lindsay aufbrechen, und Jake geleitete sie zur Tür.

„Viel Glück, Jake“, meinte sie beim Abschied. „Ich wünsche dir so sehr, dass du diese Urkunde findest.“

„Das wünsche ich mir auch“, erwiderte er. „Ich würde sie nur zu gern Pete Milan vor die Nase halten.“

„Schick mir eine SMS, wenn ihr auf was stoßt.“ Sie stieg in ihren Wagen. „Danke fürs Essen. Gute Nacht!“

Jake schaute seiner Schwester nach, bis die Rücklichter ihres Pick-ups hinter einer Kurve verschwunden waren. Dann ging er ins Haus zurück, um noch einen Blick auf die Karte und die Luftaufnahmen zu werfen. Er wollte nichts mehr, als diese Urkunde zu finden und damit in den Besitz von Milan-Land zu kommen. Und das nicht nur, weil er sich so an Pete Milan rächen konnte: Das Gelände machte auf ihn außerdem einen ziemlich vielversprechenden Eindruck, was Rohstoffvorkommen betraf.

Unwillkürlich musste Jake an Madison denken. Er war offenbar noch immer nicht ganz über sie hinweg. Es war nicht wie bei den anderen Frauen, mit denen er zusammen gewesen war und von denen er sich nach einer Weile getrennt hatte. Und ausgerechnet jetzt gab es keine Frau in seinem Leben. Genau das verstärkte vermutlich die Wirkung, die Madison auf ihn ausübte. Denn obwohl sie ihn verletzt und er ihr das noch nicht verziehen hatte, brachte sie seinen Puls auch nach all den Jahren zum Rasen.

Ihr ging es ähnlich, das war offensichtlich. Und dass sie nicht glücklich war darüber, war ebenso offensichtlich. Der alte Ärger schien sie noch immer zu erfüllen, und gelegentlich brach er aus ihr hervor. Dennoch benahmen sie sich beide dem anderen gegenüber fast schon mustergültig, wie Jake fand.

Trotz aller Verbitterung musste er es sich eingestehen: Er wollte Madison. Er begehrte sie, er wollte sie küssen. Sein Körper reagierte heftig auf sie.

Ob es Jake gelingen würde, Madison zu verführen und sie danach abzuservieren? Vielleicht konnte seine Wut ihm die Kraft dazu geben. Man würde sehen.

Es war früh am Morgen und noch dunkel im Zimmer, als Madisons Handy läutete. Ächzend tastete sie danach. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte.

„Einen wunderschönen guten Morgen!“, begrüßte Jake sie. Er klang so frisch und munter, dass sie am liebsten gleich aufgelegt hätte. „Wie sieht’s aus? Kommst du mit?“

„Klar“, brummte sie verschlafen.

Er lachte leise. „Muskelkater?“

„Ein bisschen.“

„Ich sag es nicht gern, aber: Ich hab es dir gleich gesagt. Soll ich rüberkommen und dich massieren?“

„Nein!“, protestierte Madison. Plötzlich war sie hellwach. „Wie kann ein Mensch um diese Uhrzeit bloß so quietschvergnügt sein?“

Wieder lachte er. „Wir sehen uns nachher.“

Madison beendete das Gespräch und richtete sich seufzend auf. Missmutig stellte sie sich vor, wie sie gleich einem ausgeruhten und vor Energie strotzenden Jake gegenübertreten musste. Dann kitzelte der Duft von frischem Kaffee ihre Nase, und sie schleppte sich mühsam nach unten.

In der Küche traf sie auf Jessie Lou, die ein reichhaltiges Frühstück vorbereitet hatte. „Ich habe Jake und seinen Männern angeboten, dass sie heute hier übernachten können“, sagte Madison zu ihr. „Er kommt also zum Abendessen.“

„Das freut mich.“

„Da bist du die Einzige. Dad hat extra angerufen, um mich vor ihm zu warnen.“ Madison schenkte sich ein Glas Orangensaft ein.

„Dein Vater und Jakes Dad haben auf das Land geboten, das jetzt Lindsay Calhoun gehört“, erklärte die Köchin. „Mr. Calhoun hat den Zuschlag bekommen, und das hat ihm der Richter nie verziehen.“

„Daran erinnere ich mich gar nicht mehr. Zu schade auch. Das Land grenzt direkt an Tonys Ranch.“ Sie sah Jessie Lou fragend an. „Meinst du, es war ein Fehler, Jake auf die Ranch zu lassen?“

„Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe Mr. Jake lange nicht mehr gesehen. Eigentlich war er mir immer sympathisch, bis er dich sitzen gelassen hat“, meinte Jessie Lou und schaute Madison durch ihre Brille hindurch an.

„Das war einmal. Kann ich dir mit den Lunchpaketen helfen?“

„Schon fertig.“ Die Köchin reichte ihr einen Teller mit Rührei.

Madison aß schnell, duschte und zog sich an. Kaum war sie fertig, fuhren schon die Pick-ups vor. Zu ihrem Leidwesen wirkte Jake so frisch, wie sie es erwartet hatte. Und sehr sexy in dem Westernhemd, den engen Jeans und mit dem Stetson auf dem Kopf.

„Guten Morgen“, sagte er zu ihr. „Sieht nicht so aus, als hätte der gestrige Tag dir was anhaben können.“

„Mir geht’s toll“, erwiderte sie lächelnd und hoffte, dass er es ihr abkaufte. „Wollen wir?“

„Ja. Du fährst voraus.“

„Okay“, meinte sie. „Laut Plan suchen wir heute noch mal auf derselben Seite vom Creek.“

Während er nun zum Auto ging, musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. Mit den breiten Schultern, den schmalen Hüften und den langen Beinen stach Jake selbst unter den Cowboys hervor. Er sah so gut aus und strahlte eine unglaubliche Selbstsicherheit aus. Nur mit Mühe riss Madison sich los und kletterte zu Darren und Stoney in den Wagen.

Abgesehen davon, dass Madison keiner Schlange begegnete, unterschied sich dieser Tag nicht von dem vorigen. Nachdem Jake abends seine Männer auf ihrer Ranch an der Unterkunft für die Arbeiter abgesetzt hatte, fuhr er auf ihr Haus zu. Madison hatte ihn bereits an der rückwärtigen Einfahrt erwartet und hielt ihm das Tor auf.

Jake parkte, schnappte sich seine Reisetasche und verriegelte den Pick-up. „Die Einladung gilt doch noch, oder?“

„Klar“, antwortete sie. „Jessie Lou ist noch in der Küche zugange. Ich vermute, sie ist extra länger geblieben, um dir Hallo zu sagen.“

„Dann nichts wie los. Sie ist eine fantastische Köchin“, erwiderte er und schloss das Tor. „Den Riegel solltest du übrigens richten lassen.“ Er rüttelte am Tor.

„Ich weiß. Komm mit. Ich zeige dir, wo du schläfst.“

Als sie eintraten, hängte Jake seinen Hut an den Kleiderständer im Eingangsbereich. Sein lockiges Haar war ganz zerzaust. Gemeinsam folgten sie nun dem köstlichen Duft von frisch gebackenem Brot und Schmorbraten in die Küche.

Jessie Lou stellte dort gerade eine Schüssel auf den Tresen. „Mr. Jake, Sie sind ja noch größer geworden.“

Jake strahlte sie an. „Freut mich, Sie zu sehen, Jessie Lou. Die beste Köchin von ganz Texas! Ich habe keine einzige Mahlzeit vergessen, die ich bei Ihnen gegessen habe.“

Die Köchin kicherte, ihre blauen Augen blitzten. Plötzlich musste Madison daran denken, dass die Köchin bei der letzten Begegnung mit Jake noch rotes Haar gehabt haben musste. Inzwischen war es schlohweiß geworden.

„Ich freue mich, dass Sie hier sind“, meinte Jessie Lou und schaute flüchtig zu Madison. „Jetzt ist die Welt wieder in Ordnung.“

„Ich möchte vor dem Essen noch kurz duschen“, erklärte Madison schnell. „Ich bringe Jake vorher rasch auf sein Zimmer. Wir sind gleich zurück, Jessie Lou.“

Nachdem sie den Raum verlassen hatten, sagte sie zu Jake: „Die Gästesuite ist am Ende vom Flur. Handtücher liegen dort bereit. Wenn du noch was brauchst, schick mir eine SMS. Meine Zimmer sind oben.“ Sie musterte seine Reisetasche. „Da passt ja nicht viel rein. Aber wir haben sicher ein paar frische Hemden in deiner Größe. Schau einfach in die Schubladen und bediene dich. Jeans haben wir allerdings leider keine, und auch mit Unterwäsche kann ich nicht dienen.“

„Dann geh ich eben ohne.“

„Das wäre mir neu“, platzte sie heraus. „Du hast immer Unterwäsche getragen.“

„Wenn es dich so sehr interessiert …“ Jakes Augen funkelten belustigt. „Du darfst gerne nachprüfen, ob ich es immer noch so halte.“

Wir bewegen uns hier auf gefährlichem Terrain, dachte Madison und rief sich innerlich zur Ordnung. Auf keinen Fall sollte er denken, dass sie mit ihm flirtete oder sich auf sonst eine Art mit ihm einlassen wollte. Sie räusperte sich. „Da hab ich mich ja in was reingeritten … Lassen wir das. Wir treffen uns gleich in der Küche. Falls ich da nicht sein sollte, komm auf die Veranda.“

„Okay.“ Er musterte sie, doch sie konnte seinen Blick nicht deuten.

Abrupt wandte Madison sich um und ging. Sie konnte nicht schnell genug von ihm wegkommen. Ihre Knie waren weich wie Pudding. Dennoch musste sich beherrschen, um sich nicht umzudrehen. Ob er noch dastand und ihr hinterherschaute? Sie hatte keine Schritte gehört, also hatte Jake sich nicht von der Stelle bewegt.

Erst als sie sicher war, dass Jake sie nicht mehr sehen konnte, atmete Madison auf. Flirten verboten, schreib dir das hinter die Ohren, mahnte sie sich im Stillen.

Bevor sie die Treppe hinaufstieg, holte sie sich noch ein Glas eisgekühltes Wasser. Dann gönnte sie sich eine ausgiebige Dusche. Anschließend föhnte sie ihr Haar, bis es ihr glatt und seidig über den Rücken fiel. Sie zog ihre Jeans und eine blaue Bluse an, schlüpfte in ihre Sandalen und lief hinunter in die Küche, um Jessie Lou bei den letzten Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen.

Kurz darauf nahm sie draußen das Geräusch schwerer Absätze wahr, und im nächsten Moment kam Jake herein. Er wirkte so energiegeladen wie am Morgen. Und so männlich … Madison wurde mit einem Mal flau im Magen. Sie konnte nur hoffen, dass niemand ihr etwas anmerkte.

„Toll siehst du aus“, meinte er, während er sie von Kopf bis Fuß betrachtete. „Keiner würde vermuten, dass du seit Sonnenaufgang am Fluss rumgeklettert bist.“

„Danke. Leider fühle ich mich allerdings ganz danach“, gab sie zurück und musterte nun ihn. Er trug ein kurzärmeliges, dunkelblaues Hemd, das er in den Bund der Jeans gesteckt hatte.

„Ich fühle mich wie neugeboren nach dieser Dusche“, erklärte Jake laut. „Jessie Lou, es duftet einfach himmlisch. Ich habe einen Bärenhunger.“

Die Köchin lachte auf. „Ich fürchte, Sie müssen sich noch ein wenig gedulden.“

Inzwischen füllte Madison zwei Gläser mit Wein. Gemeinsam gingen Jake und sie mit den Getränken auf die Veranda hinaus, und keine zehn Minuten später rief Jessie Lou sie zum Essen. Mit großem Appetit machten die beiden sich dann über den Schmorbraten her, den die Köchin mit einer sämigen Soße angerichtet hatte. Dazu gab es luftig krosse Brötchen, sahniges Kartoffelpüree mit Schnittlauch, grünen Spargel und gedünstete Möhren.

„Sie ist nach wie vor die beste Köchin, die ich kenne“, meinte Jake. „Der Braten zergeht auf der Zunge.“

„Da kann ich dir nur zustimmen. Und sie ist immer freundlich.“ Madison musste dabei plötzlich an den Tag denken, an dem Jake sie sitzen gelassen hatte. Damals war es Jessie Lou und nicht ihre Mutter gewesen, die sie in den Arm genommen und getröstet hatte. Immer wieder hatte die Köchin vor sich hin gemurmelt, dass sie Jake so ein gemeines Verhalten niemals zugetraut hätte.

Jetzt dagegen zeigte Jake sich von seiner charmantesten Seite.

Nach dem Essen setzten sie sich zusammen auf die Veranda und genossen eine Weile die Abendluft. Es war dunkel geworden. Irgendwann sprang die Außenbeleuchtung an, und auch die Beleuchtung im Pool schaltete sich ein. Madison schaute auf die Uhr. Es war inzwischen fast zehn.

„Kann ich dir noch einen Eistee anbieten?“, fragte sie Jake. „Wein, Bier oder Whiskey?“

„Zu einem kühlen Bier würde ich nicht Nein sagen“, antwortete er.

Sie nickte und ging in die Küche, wohin Jake ihr folgte.

„Irgendwo müsste noch eine Packung Cashewnüsse rumliegen“, meinte Madison und stellte sich auf die Zehenspitzen, um eine Schale von einem Küchenbord zu angeln.

Jake schob sie zur Seite. „Lass mich mal.“

Bei der Berührung wirbelte sie zu ihm herum. Sie bemerkte, dass Jake schlucken musste. Er schaute sie an. Seine dunklen Augen schienen sie verschlingen zu wollen, und Madison vergaß beinahe, zu atmen. Gleich küsst er mich, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr Herz schlug wie wild. Sie war wie hypnotisiert von seinem Blick. Als er nun ihren Mund betrachtete, neigte Madison sich ihm unwillkürlich entgegen.

In der nächsten Sekunde schlang Jake einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich, vergrub die andere Hand in ihrem Haar. Und da war es um Madison geschehen. Sie wurde jedes Mal wütend, wenn sie an die Vergangenheit dachte – doch jetzt wollte sie bloß eines. Sie wollte Jake küssen. Selbst wenn ihr Leben davon abhinge: Unter keinen Umständen würde Madison sich aus seinen Armen lösen.

„Verdammt, Madison“, flüsterte Jake. Seine Stimme klang ziemlich aufgewühlt. Offenbar ging es ihm ähnlich.

Schließlich wickelte er eine ihrer Haarsträhnen um den Finger und zupfte leicht daran, sodass Madison den Kopf heben und ihn ansehen musste. Und dann küsste er sie.

Heißes Verlangen durchflutete sie, und sie schmolz innerlich dahin. Jake zog sie noch fester an sich, während seine Lippen ihr sein Brandzeichen aufdrückten. Wie von selbst schlangen sich ihre Arme um seinen Nacken. Sie klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende. Sein Körper war so athletisch, er war viel muskulöser als damals. Voller Leidenschaft erwiderte sie seinen stürmischen Kuss. Es war, als hätte sie seit jener Nacht, als Jake sie sitzen gelassen hatte, nur auf diesen Moment gewartet.

Seine Zärtlichkeiten wurden drängender, und auch Madison konnte sich kaum zurückhalten. Sie vergrub die Finger in seinem Haar. Ihr Herz raste – fast meinte sie, es pochen zu hören. Ein Seufzen entrang sich ihrer Kehle, ihre Haut brannte, schien geradezu nach Jakes Berührung zu schreien. All die Wut, der Schmerz und die hässlichen Erinnerungen waren wie ausgelöscht und einem Begehren gewichen, das sie vollkommen erfüllte. In diesem Augenblick zählte für sie nichts anderes, nur dieser Mann und dieser Kuss.

Schließlich löste Jake sich von ihr, um ihre Wangen, ihre Ohrläppchen, ihren Hals mit hungrigen kleinen Küssen zu bedecken. Doch als die kühle Luft Madisons Gesicht traf, wirkte es wie eine kalte Dusche. Auf einen Schlag wurde ihr bewusst, was sie da tat. Sofort entwand sie sich seinem Griff, schob ihn von sich und atmete tief durch.

„Das hätte nicht passieren dürfen“, sagte sie atemlos. Sie nahm ihr Weinglas und flüchtete nach nebenan.

Im Wohnzimmer stellte sie sich ans Fenster, sah hinaus auf das blaue Wasser des Pools und versuchte, ihre widerstreitenden Gefühle in den Griff zu bekommen. Sie verzehrte sich nach Jake, und zugleich war sie wütend auf sich selbst. Wie hatte sie bloß derart die Kontrolle verlieren können? Nachdenklich nippte sie an ihrem Wein. Sie hatte geglaubt, dass sie über Jake hinweg war und dass es zwischen ihnen keinerlei Gefühle mehr gab. Aber der Kuss hatte diese Illusion in jeglicher Hinsicht zerstört. Und das gefiel ihr ganz und gar nicht.

Jake schien es genauso zu gehen. Sie hatte ihn leise fluchen gehört, bevor er sie geküsst hatte. Was sollte sie jetzt tun? Ihn rauswerfen? Nichts hätte sie lieber getan. Doch andererseits musste er ja nicht erfahren, wie sehr er sie aus dem Konzept gebracht hatte.

Madison atmete ein paarmal tief durch, um sich so weit zu beruhigen. Sie würde sich einfach so verhalten, als wäre nichts weiter vorgefallen, als hätte der Kuss ihr nichts bedeutet.

Auf einmal kam Jake zu ihr. In einer Hand hatte er sein Bier, in der anderen die Schale mit den Nüssen, die er inzwischen aus dem Schrank geholt hatte und nun auf den niedrigen Couchtisch stellte. Sie nahmen einander gegenüber Platz. Keiner sagte etwas. Madison trank von ihrem Wein und bemühte sich, nicht zu Jake zu schauen. Ohne Erfolg.

Jake wirkte völlig entspannt. Er hatte die langen Beine ausgestreckt und machte nicht den Eindruck, als wäre er auch nur im Geringsten aufgewühlt. Spielte er bloß den Gleichgültigen, oder hatte es ihm wirklich nichts bedeutet? Madison war sich nicht sicher.

In ihrem Inneren tobte jedenfalls das Chaos. Der Kuss hatte Gefühle in ihr geweckt, die sie längst für vergessen gehalten hatte. Natürlich hätte sie Jake jetzt gerne zur Rede gestellt, ihm bei der Gelegenheit so einiges an den Kopf geworfen. Doch das würde sie hübsch bleiben lassen. Sie würde nicht mit ihm streiten. Unter keinen Umständen würde sie ihn wissen lassen, dass sie ihm immer noch nicht verziehen hatte.

Aus diesem Grund griff Madison das unverfänglichste Thema auf, das ihr einfiel: die Schatzsuche, die auch am zweiten Tag ergebnislos geblieben war. Eigentlich der blanke Hohn, dachte sie im Stillen. Der jahrhundertealte Streit zwischen ihren Familien hatte sogar Menschenleben gekostet und sollte plötzlich als sicheres Gesprächsthema herhalten.

Sie räusperte sich. „Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir in der richtigen Gegend suchen. Allerdings könnte der Schatz genauso gut auf der anderen Seite der Ranch oder sogar auf eurer Seite liegen.“

„Das wäre ja ein Witz! Stell dir vor, unsere Familien hätten mehr als hundert Jahre lang auf der falschen Ranch gesucht.“

„Es gibt eine Menge Leute, die darüber ganz sicher nicht lachen könnten. Und natürlich kann man nie ausschließen, dass sich das Ganze letztendlich als Erfindung herausstellt.“

„Trotzdem will ich wenigstens versuchen, herauszubekommen, wo die Schießerei stattgefunden hat“, erwiderte Jake. „Dieser Teil der Geschichte klingt recht plausibel.“

Äußerlich ließ Madison sich auf das Thema ein und reagierte angemessen auf das, was Jake sagte. Doch ihre Gedanken kreisten ständig um den Kuss. Es war, als hätte sich eine Tür geöffnet, die jahrelang fest verschlossen gewesen war. Sie sehnte sich nach Jake; zugleich machte er sie wütend. Hoffentlich schaffte sie es, diesen Abend zu überstehen. Hoffentlich entschlüpfte ihr nichts, was sie lieber für sich behalten sollte.

Unvermittelt sprang sie auf. „Ich muss schlafen. Es war ein anstrengender Tag.“

Auch Jake erhob sich. Sein Blick wanderte zu ihrem Mund, und Madison überlief es heiß und kalt. Im selben Moment erfasste sie rasender Zorn. Rasch wandte sie sich ab und ging. Doch schon an der Treppe hatte sie es sich anders überlegt und machte kehrt.

Inzwischen stand Jake am Fenster und sah nach draußen.

Aufgebracht stürmte Madison durch den Raum und stellte sich neben ihn. „Ich muss es endlich wissen, also raus mit der Sprache: Warum hast du mich damals sitzen lassen?“

5. KAPITEL

Jake kniff die Augen zusammen. Blanke Wut durchzuckte ihn. „Das weißt du verdammt genau, Madison. Was soll das?“

„Nichts weiß ich“, fauchte sie. „Ich will eine Erklärung.“ Ihre Wangen waren gerötet, die Fäuste geballt.

Finster starrte er sie an. „Keine Sekunde habe ich an dem gezweifelt, was dein Dad gesagt hat. Ich habe angerufen, und du bist nicht rangegangen.“

„Was soll der Quatsch? Ich habe nie einen Anruf bekommen.“ Sie runzelte die Stirn. „Und mein Dad hat mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun.“

„Von wegen! Und ich habe sehr wohl versucht, dich anzurufen. Aber du bist einfach nicht rangegangen.“

„Ich habe zu Hause auf dich gewartet“, erklärte Madison mit erstickter Stimme.

„Spar dir die Show!“, fuhr er sie an. Enttäuschung machte sich in ihm breit. Dies war das erste Mal, dass sie ihn anschwindelte.

„Was für eine Show? Es stimmt, was ich sage.“

„Ich habe mehrfach angerufen, doch niemand hat den Hörer abgenommen.“

„Lüg mich nicht an!“, gab sie aufgebracht zurück. „Ich habe die ganze Zeit neben dem Telefon gesessen. Du hast nicht angerufen.“

Jake bebte vor Zorn. Er umfasste Madisons Gesicht und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Dann sagte er: „Dein Dad hat mir von eurer kleinen Abmachung erzählt. Du hast unseren Plan einfach platzen lassen und bist nicht mit mir durchgebrannt. Im Gegenzug hat dein Vater zweihunderttausend Dollar auf einem Bankkonto hinterlegt, die du fürs College und die erste Zeit danach haben solltest. Außerdem wollte er deine Karriere als Künstlerin ankurbeln und dafür sorgen, dass deine Werke in den besten Galerien in Texas und an der Westküste ausgestellt werden. Dafür musstest du bloß die Hochzeit abblasen.“

Madison schwieg und starrte ihn an. Sie war blass geworden.

Er dagegen schäumte vor Wut. Es war offensichtlich, dass sie sowohl das Geld als auch die Unterstützung angenommen und die Bedingungen ihres Vaters akzeptiert hatte. „Die Kohle war dir wichtiger als ich“, knurrte er verächtlich. „Ich weiß nicht, was du mit dieser Nummer bezweckst, aber sie ist ziemlich erbärmlich. Hör auf, in alten Wunden herumzustochern.“

„Lass mich gefälligst los“, stieß Madison nun hervor.

Sofort ließ er die Arme sinken und lief zur Tür. Bloß weg von hier, ehe er noch Dinge sagte, die er später bereuen würde. Madison hatte das schlafende Ungeheuer in ihm geweckt. Er musste fort, ehe es sich befreite.

„Mein Dad hat mir Geld fürs College gegeben und mich am Anfang meiner Karriere unterstützt“, erklärte Madison plötzlich, und Jake hielt mitten in der Bewegung inne. „Aber nicht unter der Bedingung, dass ich die Hochzeit abblase.“

Er fuhr herum und sah, dass sie sich nicht vom Fleck gerührt hatte.

Sie fuhr fort: „Mit dir hatte das nichts zu tun. Er hat mir gesagt, dass er ein Konto für mich eröffnet hätte. Dass ich vernünftig wirtschaften sollte, damit ich einen Grundstock hätte für die Zeit nach dem College. Doch mit dir oder unserer Hochzeit hatte es nichts zu tun. Absolut nichts.“

„Blödsinn!“, schoss Jake zurück. „Das war Bestechung. Mir hat er nämlich verraten, dass er dich direkt vor die Wahl zwischen mir und dem Geld gestellt hat.“

„So etwas würde er nie tun!“

Ein scharfer, beißender Schmerz durchzuckte ihn. Hatte Madisons Vater ihn etwa reingelegt? Schlimmer noch: War er zu leichtgläubig gewesen und war darauf hereingefallen? „Wenn das nicht die Wahrheit ist …“

„Es stimmt. Dad hat mir Geld fürs College gegeben. Mehr steckt nicht dahinter.“ Sie starrte ihn weiterhin an. „Zu so etwas Hinterhältigem wie diesem Erpressungsversuch wäre mein Vater gar nicht fähig.“

Jake war starr vor Entsetzen. Ihr Vater hatte ihn belogen. Richter Milan, die Stütze der Gemeinde und eine der führenden Persönlichkeiten der Stadt, hatte seine Tochter und ihn belogen. Und hatte darauf gebaut, dass er dank seines guten Rufs mit der Lüge durchkommen würde. Unwillkürlich biss Jake die Zähne zusammen. Pete Milan hatte sich sicher ins Fäustchen gelacht, weil sie es ihm so leicht gemacht hatten!

„Mein Dad würde mir niemals so wehtun.“ Madisons Stimme überschlug sich vor Zorn. „Wie kannst du so etwas behaupten?“

„Und ob dein Dad das getan hat! Wenn deine Geschichte wahr ist, dann bin ich voll auf ihn reingefallen. Ich war ja bloß ein leichtgläubiger junger Kerl, den er problemlos manipulieren konnte.“

„Ich glaube dir kein Wort!“ Sie hatte ebenfalls die Hände geballt. Ihre Knöchel traten weiß hervor, ihre Wangen glühten. „Auf keinen Fall hätte Dad mir das angetan. Er wäre zu mir gekommen und hätte versucht, mir das auszureden.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nun, es nützt nichts, darauf herumzureiten. Wir bringen die Schatzsuche hinter uns, danach muss ich dich hoffentlich nie wiedersehen.“ Damit wirbelte sie herum und verließ den Raum.

Jake unternahm gar nicht erst den Versuch, ihr zu folgen. Die widersprüchlichsten Gefühle tobten in ihm: Schock, Wut, Fassungslosigkeit – und eine schreckliche Gewissheit. Hatte Madisons Dad ihn belogen, als er behauptet hatte, Madison hätte sich bestechen lassen? Oder wollte sie jetzt nur nicht zugeben, dass sie sich damals für das Geld und die Hilfe ihres Vaters und gegen ihn entschieden hatte? Wenn Jake ihr nun glaubte, wäre das vielleicht das zweite Mal, dass ihn ein Milan aufs Kreuz legte.

Nein, er würde nicht darauf hereinfallen. Madison hatte sich schlicht und ergreifend bestechen lassen. Sie musste die Bedingungen gekannt haben und hatte sie akzeptiert. Andernfalls wäre sie ihrem Vater doch sicher irgendwann auf die Schliche gekommen.

Um die Anspannung abzuschütteln, zwang Jake sich zur Ruhe. Jetzt war es doppelt wichtig, dass sie den Schatz fanden. Und die Besitzurkunde. Er konnte es kaum erwarten, ihr das Dokument unter die Nase zu halten und das Stück Land von ihr einzufordern.

Raus. Er musste raus, sich bewegen, dem Frust und dem Ärger davonrennen. Also beschloss er, eine Runde zu joggen.

Das rückwärtige Tor klemmte wieder. Leise fluchend nahm Jake sich vor, es am nächsten Morgen zu reparieren, und rannte weiter. Obwohl er schnell lief, holten ihn die Erinnerungen an den folgenschweren Abend vor dreizehn Jahren ein. Innerlich durchlebte er ein weiteres Mal die quälenden Stunden, als er Madison nicht hatte erreichen können und schließlich aufgegeben hatte.

„Sie lügt“, murmelte er vor sich hin. Warum war sie nicht ans Telefon gegangen, wenn sie doch unschuldig war?

Dreimal lief Jake auf dem Zufahrtsweg von der Ranch zum Highway und zurück. Nachdem er anschließend geduscht hatte, setzte er sich in die Bibliothek. Er wollte noch einmal die Karten studieren, denn eines war sicher: eine zweite Chance, den Schatz zu suchen, würde er nicht bekommen.

Neuer Tag, neues Glück, dachte Jake am darauffolgenden Morgen und zog sich an. Der Duft von Kaffee und frischem Brot lockte ihn in die Küche, wo Madison bereits saß.

Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, sodass er ganz offen ihre langen Beine in den engen Jeans bewundern konnte. Heute trug sie braune Stiefel und ein langärmeliges grünes Hemd. Die Haare hatte sie mit einem grünen Schal zum Pferdeschwanz zusammengebunden, genau wie sie es früher auf der Highschool getan hatte.

Jake nahm sich Rührei mit frischem Basilikum, dazu Toast und eine Schüssel mit frischen Beeren. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte er.

Sie sprang auf, obwohl ihr Teller noch nicht leer war. „Ich bin fertig. Hier hast du die Zeitung.“

Sofort ergriff er ihr Handgelenk. Er war mit seiner Geduld am Ende. „Können wir uns nicht für den Rest der Woche so zivilisiert benehmen wie noch vor ein paar Stunden? Danach trennen sich unsere Wege, und wir brauchen uns nie wiederzusehen.“

„Kein Problem“, gab sie spitz zurück und riss sich los.

Als Madison aus der Küche stürmte, ertappte Jake sich dabei, wie er ihr auf den Po starrte. Was fand er bloß immer noch an ihr? Einerseits wollte er nichts mehr mit ihr zu tun haben; andererseits zog sie ihn genauso an wie damals bei ihrem ersten Date. Unwillkürlich musste er daran denken, wie sie als Cheerleader getanzt hatte, wie sie gelächelt hatte, wie ihr Pferdeschwanz gewippt hatte. Er war so verliebt in sie gewesen. Doch heute fühlte er nur noch Wut. Und Verlangen.

Schweigend aß er sein Frühstück und blätterte gedankenverloren in der Zeitung, ohne sie wirklich zu lesen. Als er sich endlich erhob, stellte er ärgerlich fest, dass es schon ziemlich spät war. Nur ein einziger Gedanke war jetzt für ihn noch wichtig: Er musste alles daransetzen, den Schatz zu finden.

Als Madison die Treppe herunterkam, machte Jake sich gerade fertig. Er setzte den breitkrempigen Hut auf und verstaute in seiner Hosentasche ein Paar Handschuhe und das Taschenmesser, das er stets dabeihatte. Schweigend gingen sie dann zur Hintertür. Gerade wollte Madison die Alarmanlage aktivieren, als er sie zurückhielt.

„Was soll das?“, fauchte sie ihn an. Seine Nähe verwirrte sie vollkommen. Obwohl sie eigentlich stocksauer war, hämmerte ihr Herz wie wild, und ihr Körper spielte verrückt. Wie konnte sie so wütend auf Jake sein und ihn zugleich so heftig begehren?

Jake kam ihr viel größer vor als früher. Obwohl er ihr rein äußerlich gefiel, wünschte sie ihn in diesem Moment weit, weit weg. Er sollte aus ihrem Leben verschwinden, damit sie ihn vergessen konnte und dieses Gefühlschaos nicht länger ertragen musste.

In bissigem Ton erklärte er: „Anstatt dich über mich aufzuregen, solltest du mal mit deinem Dad reden. Frag ihn, was er mir damals über dich erzählt hat. Und frag ihn bei der Gelegenheit auch nach dem Ultimatum, das er mir gestellt hat. Und danach, womit er mir gedroht hat.“

Wütend ballte sie die Fäuste. „Willst du etwa behaupten, mein Vater hätte dich körperlich bedroht?“

„Nein, es ging eher darum, mir finanzielle Probleme zu bereiten. Die hätte er mir nämlich machen können. Frag ihn einfach. Du kennst mich gut genug und weißt, dass ich so etwas nicht aus der Luft greifen würde. Ich habe dich nie belogen, Madison.“ Seine Augen funkelten.

Ein paar Sekunden lang musterte sie ihn prüfend. Dann wandte sie sich um und stellte die Alarmanlage scharf. Jake hielt ihr die Tür auf. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, spazierte Madison nach draußen. Als sie dabei seine Schulter streifte, ließ die flüchtige Berührung sie zu ihrem Ärger erschauern.

Sie kletterte in ihren Wagen und beobachtete, wie Jake mit großen Schritten zu seinem eigenen Pick-up lief. Die Cowboystiefel mit ihren Absätzen ließen ihn größer erscheinen, als er sowieso schon war. Jake war sehr attraktiv – ein Rancher eben. Er war aber auch der Vorsitzende eines mächtigen Energieunternehmens und stammte aus einer alteingesessenen, finanzstarken Familie. Ausgeschlossen, dass ihr Vater ihm finanziell etwas hätte anhaben können.

Auch diesmal fuhr Madison voraus. Heute konnte sie sich nur schwer auf die Suche nach einem Schatz konzentrieren, den es höchstwahrscheinlich gar nicht gab. Am liebsten wollte sie das Handtuch werfen und Jake von ihrem Grund und Boden jagen. Allerdings konnte er ihr dann vorwerfen, aus Bosheit ihr Wort zu brechen, und sie müsste ihm recht geben. So tief wollte sie keinesfalls sinken.

Sein Ausbruch vorhin an der Tür hatte sie überrascht. Jake hatte sie nur ein einziges Mal belogen: an dem Abend, als sie hatten ausreißen wollen und er nicht aufgetaucht war. Abgesehen davon war er stets aufrichtig gewesen, und sie hatte ihm vertraut.

Ihr Vater hatte Wort gehalten. Bald nach dem College-Abschluss hatte sie sich in der westlichen Kunstszene einen Ruf erworben, in den richtigen Galerien ausgestellt und schnell ihre eigenen Galerien eröffnet. Sie hatte sich früh einen Namen gemacht und eine Anhängerschaft gefunden. Wenn an Jakes Worten tatsächlich etwas dran war, hatte sie das die Liebe ihres Lebens gekostet …

Aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Dad so tief sinken würde. Unmöglich! Er war früher Banker gewesen, war jetzt Richter und genoss im gesamten Bundesstaat großes Ansehen. Wie konnte Jake ihm so etwas unterstellen?

Vielleicht rechnete er damit, dass sie ihren Vater nicht zur Rede stellen würde. Andererseits würde er sie ja nicht genau dazu drängen, wenn seine Anschuldigungen nicht ein Körnchen Wahrheit enthielten.

Je länger Madison darüber nachgrübelte, desto unsicherer wurde sie. Im Rückspiegel sah sie Jake am Steuer des zweiten Pick-ups. Sagte er die Wahrheit? So wie sie ihren Vater kannte, lautete die Antwort Nein. Doch so wie sie Jake kannte, lautete die Antwort Ja.

Ganz in Gedanken versunken, übersah sie einen großen Stein, und der Wagen geriet gefährlich ins Schwanken. Madison entschuldigte sich bei ihren Mitfahrern und beobachtete im Spiegel, wie Jake dem Hindernis elegant auswich.

Nachdem Madison am Ziel geparkt hatte, kam Jake zu ihr herüber. Verwundert bemerkte sie, dass er den Motor nicht ausgestellt hatte.

„Ich habe mich gestern noch mal mit den Karten beschäftigt“, sagte er. „Nicht weit von hier gibt es ein ausgetrocknetes Flussbett. Dort würde ich mich umsehen, sofern es noch existiert. Ich werde da allein hingehen, damit wir keine Zeit vergeuden. Es sei denn, du möchtest, dass mich einer deiner Männer begleitet.“

Während er sprach, hing Madison an seinen Lippen und dachte an den Kuss. Plötzlich merkte sie, was sie da tat, und senkte den Kopf. „Stoney, würdest du ihn begleiten?“

„Klar. Gerne.“

„Ich zeige dir auf der Karte, wo genau wir suchen“, erklärte Jake dem Mann und ging mit ihm zu seinem Wagen.

Als Madison kurz darauf einen Spaten von der Ladefläche holte, wendete Jake bereits. Dann fuhr er in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.

Diese Woche hatte sie keine Zeit, um ihre Eltern in Dallas zu besuchen. Sobald die Schatzsuche beendet war, würde sie jedoch hinfliegen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihr Vater Jake bedroht haben sollte. Ebenso wenig konnte sie sich denken, womit. Trotzdem wollte sie auf Nummer sicher gehen. So bald wie möglich.

Madison war so in Gedanken, dass sie mit den Männern an der Stelle vorbeimarschiert, an der die Grabungen für diesen Tag geplant waren. Eigentlich war es ja ihre Aufgabe, den Arbeitern während Jakes Abwesenheit Anweisungen zugeben. Etwas kleinlaut bewegte sie die ganze Mannschaft zum Umkehren und schickte sie dann an die Arbeit.

Nachdem sie ihre Kopie der Schatzkarte noch einmal studiert hatte, lief Madison zum Fluss. Gerade wollte sie den Spaten in die Erde stechen, als einer von Jakes Männern zu ihr kam.

„Bitte lassen Sie das sein, Ms. Milan“, sagte Russ. „Der Boss dreht mir den Hals um, wenn ich zulasse, dass Sie graben. Geben Sie mir die Schaufel.“

Obwohl Jake ihr im Grunde den Buckel runterrutschen konnte, gab sie nach. Sie wollte den Mann nicht in Schwierigkeiten bringen. Also überließ sie Russ das Graben und räumte stattdessen Steine aus dem Weg. Gegen Abend war sie am Ende ihrer Kräfte – und dennoch schlug ihr Herz schneller, als ihr Handy läutete und sie Jakes Stimme hörte. Auch nach ihrem Streit reagierte ihr Körper noch genauso auf ihn wie davor.

„Fertig für heute?“, fragte er. „Es wird dunkel sein, ehe wir ankommen.“

„Ja, wir wollten eben aufbrechen. Wir treffen uns dann am Haus.“

Grußlos legte Jake auf, und Madison beschloss, heute auf ihrem Zimmer zu essen. Sie hatte nicht die geringste Lust, den Abend mit ihm zu verbringen. Und gleich am nächsten Tag würde sie nach Dallas fahren und mit ihrem Vater sprechen, um diese Angelegenheit ein für alle Mal abzuschließen.

Sie wollte lieber nicht über die Konsequenzen nachdenken, falls Jake tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie ihrem Vater bedingungslos geglaubt. Ihre Eltern hatten ihr so viel gegeben. Gerade deshalb konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihr Vater ihr etwas Derartiges angetan haben könnte.

Als sie jetzt das Haus erreichte, ging sie sofort hinein. Sie wollte Jake nicht begegnen, wollte keine Sekunde in seiner Gesellschaft verbringen. Allerdings bekam sie leider das Tor nicht auf. Das Schloss klemmte, so heftig sie auch daran rüttelte.

Wie aus dem Nichts tauchte Jake auf. „Lass mich mal.“

„Ich vergesse immer, es reparieren zu lassen“, sagte sie. „Egal. Gehen wir durch den Seiteneingang.“

„Ich kümmere mich darum, sobald ich Zeit habe. Bis dahin …“ Mit einem Satz sprang Jake über das Tor und landete sicher auf der anderen Seite.

Ehe Madison wusste, wie ihr geschah, hatte er schon die Hände um ihre Taille gelegt und hob sie über den Zaun. Reflexartig umklammerte sie seine Oberarme und grub die Finger in den ausgeprägten Bizeps. Als er sie absetzte und ihre Blicke sich kreuzten, geschah irgendetwas mit ihr. Ihre Wut schien sich mit einem Mal in Luft aufgelöst zu haben. In diesem Moment zählte einzig und allein, dass Jake sie in den Armen hielt. Er weckte so viele Gefühle in ihr … Als er sie losließ, kam sie sich fast ein wenig verloren vor.

„Ich repariere das Ding auf der Stelle“, brummte er und lief zum Haus.

„Warte!“, rief sie. „Terry kann das übernehmen. Ich rufe ihn an.“

„Unsinn. Ich mach das nach dem Essen, sobald es kühler geworden ist.“

„Jessie Lou hat das Essen in den Ofen gestellt. Bedien dich und stell den Rest wieder rein“, meinte Madison. Sie wollte ihm klar zu verstehen geben, dass sie ihm nicht Gesellschaft leisten würde. „Und morgen schwänze ich die Schatzsuche. Ihr müsst alleine weitermachen.“

„Fährst du nach Dallas?“

Überrascht nickte sie. „Ich will die Wahrheit erfahren. Wahrscheinlich bin ich den ganzen Tag unterwegs.“

„Kein Problem. Deine Männer werden dir am Abend schon berichten“, erwiderte er sarkastisch. „Du kannst gerne meinen Jet benutzen. So sparst du dir die lange Fahrt.“

„Danke, aber ich nehme lieber den Wagen.“

„Stell dich nicht so an. Wann willst du los?“

„So gegen neun“, antwortete sie nach kurzem Zögern. Es wäre dumm, sein Angebot auszuschlagen. „Ich will mich außerdem mit meinem Bruder treffen. Ich habe Nick lange nicht mehr gesehen.“

„Den Herrn Abgeordneten? Wie geht es ihm denn?“

„Er ist ständig auf Achse. Der Tod von Karen und dem Baby hat ihm schwer zugesetzt. Sie hatten sich so auf das Kind gefreut. Nach dem Unfall hat er sich in die Politik gestürzt, und inzwischen peilt er Washington an.“

„Was ist mit Wyatt und Tony? Haben die auch politische Ambitionen?“

„Von wegen! Wyatt bleibt Sheriff, bis das Haus von Lavita Wrenville im nächsten Jahr an die Stadt Verity fällt. Und irgendwann wird er wieder auf der Ranch arbeiten.“

„Tony ist Jurist geworden, oder?“

„Ja, trotzdem kriegt ihn keiner von seiner Ranch runter. Ein Jahr lang hat er von dort aus praktiziert, um Mom und Dad zu besänftigen. Dann hat er es aufgegeben. Seiner Meinung nach reicht das, um den Familienfluch zu brechen.“

Fragend zog Jake die Brauen hoch.

„Weißt du nicht mehr?“, fuhr Madison fort. „Neben der Legende von dem vergrabenen Gold gibt es noch diese andere Geschichte: Jeder männliche Nachkomme der Milans muss sich in irgendeiner Form juristisch betätigen, wenn ihn nicht der Familienfluch treffen soll. Alle haben Jura studiert.“

Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Aberglaube! Wieso sollten sie verflucht sein, wenn sie einen anderen Beruf wählen?“

„Genau das sagt Tony auch.“

„Demnach hast du also vier Juristen in der Familie: einen Richter, einen Sheriff, mit dem Herrn Abgeordneten einen Vertreter der Legislative und einen Anwalt, der den Beruf nach einem Jahr an den Nagel gehängt hat und sich lieber auf Rodeos rumtreibt. Nicht schlecht.“

„Na ja. Auf jeden Fall möchte ich mich mit Nick zum Lunch treffen und ein bisschen mit Mom plaudern“, sagte sie und spürte, dass ihre Wut allmählich verrauchte.

„Der Jet steht am Flugplatz von Verity. In Dallas wartet eine Limousine auf dich.“

„Vielen Dank.“

Statt etwas zu erwidern, zuckte Jake nur die Schultern.

Trotz allem würde Madison ihm beim Essen nicht Gesellschaft leisten. Wenn er in Bezug auf ihren Vater gelogen haben sollte, würde sie die Schatzsuche sofort abbrechen und Jake zum Teufel jagen. Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass er recht hatte. Andererseits hatte er so überzeugend geklungen …

Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, holte Madison sich nur eine kleine Portion Chili. Ihr war der Appetit vergangen. Sie verzog sich mit dem Teller auf ihr Zimmer und schloss die Tür. Zuerst telefonierte sie mit ihren Eltern, um ihren Besuch anzukündigen. Anschließend verabredete sie sich mit Nick. Als sie wenig später aufgegessen hatte, brachte sie das Geschirr in die Küche zurück. Zu ihrer Erleichterung war Jake nicht da.

Würde sie es bereuen, die Wahrheit erfahren zu wollen? Denn wie auch immer sie lautete, wehtun würde sie auf jeden Fall …

6. KAPITEL

Gegen sieben Uhr am nächsten Morgen kam Madison in die Küche. „Jake ist schon losgefahren“, sagte Jessie Lou und betrachtete sie neugierig.

„Das macht nichts. Ich besuche heute sowieso meine Eltern in Dallas.“

„Ach ja? Wie schön!“ Damit widmete die Köchin sich wieder ihrem Teig.

Madison kam es vor, als würde Jessie Lou ziemlich viel von den Geschehnissen mitbekommen, auch wenn sie sich stets im Hintergrund hielt. „Jake behauptet, er hätte mich damals nicht sitzen lassen, weil er kalte Füße bekommen hätte“, erzählte sie. „Er sagt, dass man ihn dazu gezwungen hätte.“

Jessie Lou wusch sich gründlich die Hände und trocknete sie sorgfältig ab, ehe sie sich umdrehte. Ausnahmsweise lächelte sie einmal nicht. „Dann wird es höchste Zeit, dass du die Wahrheit herausfindest.“

„Weißt du etwas darüber?“, fragte Madison, denn die Köchin war eine Art zweite Mutter für sie geworden.

„Nein. Mir ist die Sache nur schon immer recht merkwürdig vorgekommen. Ich glaube, es ist gut, dass du hinfährst.“

Madison erschrak. Sie hatte fest damit gerechnet, dass die Köchin ihr Vorhaben für dumm und überflüssig erklären würde. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Dad etwas tun würde, was mich kränkt“, flüsterte sie.

„Finde es heraus. Du und Jake, ihr wart damals noch sehr jung.“

„Du weißt doch was!“

Jessie Lou schüttelte den Kopf. „Nein, sonst hätte ich es dir gesagt. Vielleicht nicht sofort. Aber ich hätte auf keinen Fall zugelassen, dass du alles in dich hineinfrisst. Du hast so gelitten. Höchste Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Ich merke doch, wie ihr zwei euch anseht.“

Madison war der Appetit vergangen. Sie trug ihr Gedeck zur Spüle hinüber.

Flüchtig schaute Jessie Lou beim Kneten auf. „Alles okay?“

Sie nickte. „Ich muss los. Jake überlässt mir sein Flugzeug. Der Pilot wartet sicher schon.“

„Ich denk an dich“, sagte die Köchin. „An euch.“

Als Madison auf ihr Zimmer ging und sich anziehen wollte, war sie noch nervöser als zuvor.

Gegen elf Uhr fuhr Madison in einer Limousine vor einem Restaurant in Dallas vor. Gleich im Foyer des runden Glasbaus wurde sie von Nick begrüßt.

Ihr älterer Bruder war gut eins neunzig groß und damit rein äußerlich schon eindrucksvoll. Außerdem war er der geborene Politiker. Hinter vorgehaltener Hand redete man schon von einer möglichen Präsidentschaftskandidatur in der Zukunft. Madison konnte sich das kaum vorstellen. Andererseits hatte ihr Bruder von der Highschool an jede Wahl gewonnen, zu der er angetreten war.

Die Menschen mochten ihn. Er wirkte so lebenslustig, jeder Tag schien für ihn ein neues Abenteuer zu bergen. Oft hatte Madison sich gefragt, woher er den ungeheuren Optimismus und seine unerschöpfliche Energie nahm. Der Verlust seiner Frau und des ungeborenen Babys hatte ihn zunächst verändert. Doch zu Madisons Erleichterung war seine Fröhlichkeit allmählich zurückgekehrt.

Heute trug er einen braunen Anzug und eine dunkelbraune Krawatte, dazu ein maßgeschneidertes weißes Hemd. Goldene Manschettenknöpfe vervollständigten das Outfit. Egal, ob Sonn- oder Werktag: Nick konnte jederzeit vor eine Kamera treten.

„Die Kunst scheint ja einen goldenen Boden zu haben“, meinte Nick, als sie im Restaurant bereits auf ihr Essen warteten. „Oder wie kommst du an die Limousine?“

„Ich bin mit Jakes Privatjet gekommen. Die Limousine samt Chauffeur hat er auch für mich organisiert.“

„Warum lässt du ihn auf deine Ranch, nachdem er dir damals das Herz gebrochen hat? Das will mir nicht in den Kopf.“

„Falls er den Schatz findet, würden auch wir davon profitieren. Außerdem habe ich ihn bisher jeden Tag begleitet. Heute habe ich einige unserer Männer mitgeschickt. Die passen schon auf, dass unsere Interessen gewahrt bleiben.“

„Ich konnte ihn früher gut leiden. Aber nach dem, was er dir angetan hat, will ich nichts mehr mit ihm zu tun haben.“

„Dabei behandelst du ihn immer sehr liebenswürdig“, erwiderte Madison. „Wie alle anderen Menschen auch.“

Ihr Bruder schmunzelte. „Ich brauche nun mal jede Wählerstimme. Spaß beiseite: Es macht mich stutzig, dass er dir im Fall der Fälle den Schatz überlassen will. Woher diese Großzügigkeit? Sein großes Interesse an den Gebeinen seiner Vorfahren kaufe ich ihm jedenfalls nicht ab. Schließlich geht es ja nicht darum, sie auf eine heilige Stammesbegräbnisstätte zu überführen oder so.“

„Er sucht nach einem Dokument, das ihm ein Anrecht auf einen Streifen Land der McCrackens gibt. Das habe ich dir doch erzählt.“

„Da ist irgendwas faul.“ Nick schüttelte den Kopf. „Halt die Augen offen. Und falls ihr Knochen findet: Wie willst du überhaupt wissen, ob sie von einem Milan oder einem Calhoun stammen?“

„Wir lassen sie von einem Spezialisten untersuchen. Sollte es sich um unsere Vorahnen handeln, werde ich sie auf dem Familienfriedhof bestatten lassen.“

„Halte mich auf dem Laufenden und sieh dich vor. Ich für meinen Teil traue Jake nicht über den Weg. Und das solltest du ebenso wenig.“

„Keine Angst“, versprach sie ihm und wechselte das Thema. „Wie geht es dir eigentlich?“

„Die Arbeit nimmt kein Ende. Eventuell soll ich für den US-Senat kandidieren.“

„Das ist ja fantastisch!“, rief sie begeistert. Als sie Nicks gerunzelte Stirn bemerkte, fragte sie leise: „Oder willst du nicht?“

„Das ist eine Entscheidung, der ich mich noch sehr lange nicht stellen muss. Doch natürlich will ich. Ich bin nicht erbaut darüber, dass ich dann so weit weg von Texas und der Ranch bin. Aber Politik ist nun mal mein Leben. Wenn sich diese Chance bietet, werde ich sie auch ergreifen.“

In dem Moment wurde das Essen aufgetragen. Madison bekam einen Salat, Nick einen Hamburger.

„Wissen unsere Eltern eigentlich, dass Jake auf unserer Ranch gräbt?“, erkundigte Nick sich, nachdem die Bedienung wieder gegangen war.

„Selbstverständlich. Irgendeiner von den Arbeitern – ich tippe auf Charley – informiert sie über die neuesten Entwicklungen. Und natürlich hat Dad sofort versucht, mir die ganze Sache auszureden. Bis jetzt war ja auch tatsächlich alles für die Katz.“

Autor

Sara Orwig

Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...

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