Lust auf den allerersten Blick

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Seine Geheimnisse, seine Erinnerungen, seine Vorlieben - all das soll Noah dieser aufregenden Psychologin in intimen Sitzungen erzählen? Na gut. Vielleicht hilft es ihm, wieder seine Mitte zu finden. Und außerdem kann er Holly Scott-Leigh dann klarmachen, dass er sie wahnsinnig sexy findet: Für den Bad-Boy-Milliardär war es Lust auf den ersten Blick. Mal sehen, wie die brave Ärztin auf seine sündigen Wünsche reagiert: professionell, abweisend oder gar schockiert? Noah ahnt nicht, dass auch Holly eine heimliche Schwäche hat: Bad Boys wie ihn …


  • Erscheinungstag 13.12.2019
  • Bandnummer 24
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738556
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Gestern Nacht habe ich wieder von ihr geträumt. Wie sie an jenem letzten Morgen ausgesehen hat. Das Gesicht fleckig und voller Tränen, all die Entschuldigungen und Lügen, die in ihrem Blick lagen. Wie sie mich angefleht hat, ihr zu verzeihen.

Aber wie hätte ich das tun können?

Sie hat mich verlassen. So wie alle anderen es auch getan haben.

Der Traum von meiner Pflegemutter Julianne war so real, dass ich sie hätte berühren und umarmen können. Ich hätte sie anlächeln können. Durch die Zeit hinweg hätte ich ändern können, wie es damals abgelaufen ist. Wie ich sie angeschrien und weggestoßen habe, als sie versucht hat, mich an sich zu ziehen.

In meinem Traum habe ich sie nicht verflucht.

In meinem Traum habe ich mich nicht geweigert, zu ihr zu kommen.

Aber es war alles nur ein Traum. Wenn auch ein sehr eindringlicher. Er war stark genug, um mich aus meinem unruhigen Schlaf zu reißen, aber was nützte das alles? Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern.

Die Vergangenheit ist ein Teil von mir. Ich kann ihr nicht entkommen.

1. KAPITEL

Die Art, wie er mich ansieht, kann man nur als abfällig bezeichnen. Der Schwung seiner Lippen wirkt ein bisschen gelangweilt. Auf diese Lippen habe ich schon viel zu oft geblickt, seit Noah Moore vor fünf Minuten das gut besuchte Café betreten hat, das bei meiner Praxis gleich um die Ecke liegt.

Natürlich habe ich schon von ihm gehört. Wer kennt ihn nicht? Er hat es aus eigener Kraft zum Milliardär geschafft. Ihm gehört die Hälfte des Tech-Imperiums, das die Welt, wie wir sie kennen, völlig auf den Kopf gestellt hat. Innerhalb des letzten Jahrzehnts ist er von Erfolg zu Erfolg geeilt, aber in den Medien ist er ständig aus den falschen Gründen präsent. Zusammen mit seinem Geschäftspartner ist er für seinen rücksichtslosen Geschäftssinn und das Leben auf der Überholspur bekannt. Für Luxus, Glamour, Reichtum und Erfolg, für wilde Partys am Mittelmeer, besonders für die alljährliche Party im Anschluss an die Filmfestspiele in Cannes, bei der alle Celebritys dabei sein wollen. Das große Geld haben Noah und sein Partner mit ihren elektronischen Geräten gemacht, aber sie sind der Inbegriff der coolen Bad Boys in Hollywood.

Wie als letzten Beweis dafür taucht er hier zu unserem Meeting in Lederjacke und schwarzer Jeans auf. Die dunklen Haare sind ein bisschen länger, als sie sein sollten. Sein symmetrisches Gesicht ist kantig, er ist unrasiert, und seine Brauen sind dicht, die dunklen Wimpern noch dichter. Ein leichter Dunst von Alkohol umgibt seinen sehr heißen und sehr faszinierenden Körper. Über eins neunzig, überall Muskeln, riesig und von Kopf bis Fuß gebräunt. Es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern, dass ich aus beruflichen Gründen hier bin.

„Das hier ist keine Sitzung. Ich brauche keinen Seelenklempner. Ich will … Ich will nur reden.“

Was für eine seltsame Feststellung! Und dann bezeichnet er mich auch noch als Seelenklempner. Trotzdem habe ich mich auf das Treffen eingelassen, obwohl ich genug Patienten auf meiner Warteliste habe. Offenbar hat bei mir letztlich die Neugier gesiegt.

Als achtundzwanzigjährige, geschiedene Frau habe ich im Lauf der Zeit akzeptiert, dass ich eine Schwäche für Bad Boys habe. Besonders einer davon hat mich zutiefst verletzt. Bad Boys sind für mich wie Treibsand, in dem ich unweigerlich versinke.

Je länger Noah Moore mich mit diesem abfälligen Lächeln ansieht, desto schneller rast mein Puls, und ich bin mir peinlich genau bewusst, wie Noah mir dort gegenüber sitzt. Die Beine hat er weit gespreizt, mit einem Arm lehnt er sich auf die Rückenlehne der Bank. Die andere Hand liegt locker auf seinem Schenkel, so dicht an seinem Schwanz, dass ich mich nicht traue, auch nur in die Nähe davon zu sehen.

Sein Blick weicht nicht von meinem Gesicht. Dieser Mann wirkt wie ein Magnet. Er hat die Aufmerksamkeit fast aller Frauen in diesem Café, und das hat nichts damit zu tun, dass er berühmt ist. Es liegt ganz allein an ihm selbst.

Es kostet mich all meine Konzentration, seinen Blick zu erwidern. „Also, Mr. Moore. Nachdem wir das geklärt haben, verraten Sie mir doch bitte, wieso wir hier sind.“

„Ist das nicht offensichtlich?“

„Normalerweise füllen meine Patienten vorher einen Fragebogen aus“, erkläre ich. „Sie haben mir das Formular nicht zugemailt.“

„Ich bin kein Patient.“

Beim Treffen mit zukünftigen Patienten gebe ich mich immer möglichst teilnahmslos, denn dabei geht es nicht um mich oder meine Gefühle, sondern nur um mein Gegenüber. „Verstehe. Weshalb haben Sie mich dann kontaktiert?“

„Um zu reden. Um herauszufinden, worum es überhaupt geht. Das habe ich bereits am Telefon erklärt.“

„Richtig.“ Ich unterdrücke jede sarkastische Antwort, die mir auf der Zunge liegt. „Trotzdem würde ich gern ein paar Details festhalten. Einverstanden?“

„Wenn’s sein muss …“

Ich hole mein Handy hervor und öffne die abgesicherte App, die ich für meine vertraulichen Patienteninformationen nutze. „Hier, bitte schön.“ Ich reiche es ihm, aber er macht keine Anzeichen, es entgegenzunehmen.

„Füllen Sie es selbst aus.“ Er zuckt mit den Schultern.

Mittlerweile ist er so unhöflich, dass es zum Himmel stinkt.

Allerdings mache ich das alles auch nicht erst seit gestern. Ich weiß, dass ich gut in meinem Job bin. Als Beweis habe ich viele Auszeichnungen des britischen Psychologenbunds, ich habe unzählige Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht, und auf meiner armlangen Warteliste stehen zahllose Menschen, die einen Termin bei mir bekommen wollen. Als Honorar könnte ich verlangen, was immer ich will. Das tue ich jedoch nur selten, denn am meisten von allem liebe ich es, den Menschen zu helfen. Für mich bedeutet Erfolg, das Leben meiner Patienten zu verändern. Genau deshalb mache ich meinen Job.

Patienten mit einer ernsten traumatischen Störung müssen sehr behutsam behandelt werden. Selbst Menschen wie Noah Moore, die wirken, als ob sie mit allem klarkommen, können schon bei der nächstbesten Stressbelastung die Flucht ergreifen. Dann brechen sie die Therapie ab, die für sie zu belastend wird.

Er lässt sich nicht viel anmerken, woran ich anknüpfen könnte. Abgesehen von den kleinen verräterischen Zeichen, die mir zeigen, dass er versucht, mich von sich zu stoßen. Das reicht so weit, dass er beharrlich behauptet, hier finde keine Sitzung statt und er sei kein Patient.

„Wenn Sie wollen“, sage ich verständnisvoll, und mein Lächeln drückt aus, dass wir beide genau wissen, dass er sich wie ein Arschloch aufführt.

Ganz unvermittelt sehe ich in Gedanken Ivy vor mir. Ich mache oft Überstunden, und dann vermisse ich sie schrecklich. Auf meinem Schreibtisch steht ein Foto von ihr, denn es lässt mich nie die andere Hälfte meines Lebens vergessen – die Liebe zu meiner Tochter und das Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass sie abgesichert ist.

„Alter?“, frage ich mit den Fingern dicht über dem Formular auf dem Display.

„Sechsunddreißig.“

„Bisherige Behandlungen?“

Sein Blick wird eindringlicher, und ich weiß genau, dass er mir am liebsten noch mal sagen will, dass dies hier keine Behandlung ist. „Keine.“

„Verstehe.“ Ich tippe „keine“ ein und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Ich erstarre. Ohne jede Scham mustert er mich und nutzt die Tatsache aus, dass ich durch das Ausfüllen des Formulars abgelenkt bin.

Meine Haut fängt an zu prickeln, und ich bekomme überall eine Gänsehaut.

Noah Moore ist gefährlich.

Er besitzt all das, wovor ich mich in Acht nehmen muss. Er ist grob und arrogant, rabiat und ungezähmt. Trotzdem starre ich ihn einen Moment lang an. Ein verbotenes Verlangen rast mir durch den Körper. Zum ersten Mal seit fünf Jahren wird mir beim Anflug dieser unwiderstehlichen Lust warm. Niemals hätte ich gedacht, dass ich nach Aaron noch einmal so etwas empfinde.

„Kann ich euch was zu trinken bringen?“

Die Kellnerin steht an unserem Tisch.

„Einen Piccolo Latte“, bestelle ich.

„Für mich nichts.“ Hatte Noah nicht selbst vorgeschlagen, dass wir uns hier treffen? Und jetzt hat er beschlossen, nicht mal einen Kaffee zu trinken?

„Wieso sind Sie hier, Mr. Moore?“

„Stellen Sie mir diese Frage? Oder steht das so in dem Formular?“

„Sowohl als auch. Es erspart uns beiden Zeit, wenn wir gleich auf den Punkt kommen.“

„Aber wo bleibt da denn der Spaß, Holly?“

„Empfinden Sie das hier als Spaß, Noah?“

Seine Augen weiten sich, und in seinem Blick erkenne ich, dass er dachdenkt.

„Nein.“ Der kurze Moment ist vorbei. Noah ist wieder abweisend und mürrisch.

„Sie wollten gar nichts trinken?“, frage ich nach.

„Ich glaube, hier bekomme ich nicht, was ich gern trinken würde.“

Ich vermute, dass er auf Alkohol anspielt. „Trinken Sie jeden Tag?“

„Manchmal tagsüber. Manchmal nachts.“

„Wollten Sie sich deswegen mit mir treffen? Denken Sie, Sie haben ein Alkoholproblem?“

Sein Lachen klingt scharf. „Wenn ich jetzt Ja sage, können wir dieses Theater dann beenden und wieder nach Hause gehen?“

„Niemand zwingt Sie, hier zu sein. Schließlich ist es doch nur eine ‚Unterhaltung‘, richtig?“

Er sieht mich an und kann die innere Unruhe kaum verbergen. Ich wüsste wirklich gern den Grund dafür.

„Hauptsächlich arbeiten Sie mit Veteranen“, fährt er fort. Bei der Erkenntnis, dass er über mich recherchiert hat, empfinde ich ein seltsames Ziehen im Magen.

Wieso diese seltsame Reaktion? Dass ein Mensch sich erkundigt, bevor er einen Termin macht, ist nicht ungewöhnlich. Unter den Psychotherapeuten gibt es unzählig viele Spezialisten und die unterschiedlichsten Formen der Behandlung. Wenn Noah Moore jetzt hier ist, muss er wissen, dass ich seine beste Chance auf Hilfe bin.

Allerdings ist er mit seiner Recherche anscheinend immer noch nicht ganz fertig. Diese Unterhaltung ist Teil davon. Er will wissen, worauf er sich einlässt, wenn er sich dazu entschließt, sich in mein Behandlungsprotokoll zu fügen.

Ich denke an all die Auszeichnungen an den Wänden in meiner Praxis. Ich kann mich an all meine Patienten erinnern. An den Schmerz in ihrem Blick, der verrät, dass ein Trauma ihre Seelen bedrückt. Diese Auszeichnungen sind die Anerkennung dafür, dass ich einigen von ihnen helfen konnte.

„Ich arbeite mit Menschen, die mich brauchen.“

„Und Sie denken, ich sei einer davon?“ Alles in ihm sträubt sich dagegen.

„Sie haben mich angerufen.“

„Das ist verfickte Zeitverschwendung.“

Ich reagiere nicht so, wie ich es mir wünsche. Fairerweise muss ich mir eingestehen, dass es schon sehr lange her ist, seit ich überhaupt etwas für einen Mann empfunden habe. Auf einmal reagiert alles in mir auf diesen Mann mir gegenüber. „Es steht Ihnen frei zu gehen.“

Sein Zorn richtet sich gegen mich. Seine tief verwurzelte Ablehnung. Ganz ähnlich hat er eben reagiert, als ich ihm gesagt habe, niemand würde ihn zwingen, hier bei mir zu sein. Auch da hat er diese wütende Ablehnung ausgestrahlt.

Sein Blick geht zu meinen Brüsten, und sofort fängt es in mir zu kribbeln an. Meine Nippel richten sich auf. Der Stoff des BHs spannt darüber. Unter dem Tisch presse ich die Knie aneinander.

„Jetzt bin ich hier.“ Er zuckt mit den Schultern, als sei es ihm egal, aber ich weiß, dass das nicht stimmt. Das weiß ich, weil es mein Job ist, die Menschen zu durchschauen. Darin bin ich gut, und im Moment bin ich mir sehr sicher, weil mein sechster Sinn gerade wild Alarm schlägt. „Was soll’s. Dann zeigen Sie mal, was Sie drauf haben. Schießen Sie los mit Ihren Zaubertricks.“

Ich kämpfe den Drang nieder, ihm zu sagen, dass es bei der therapeutischen Behandlung von Traumata keine Zaubertricks gibt. Es ist harte Arbeit, dauert viele Stunden, und sowohl Patient als auch Therapeut müssen sich vollkommen darauf einlassen. Ich bin bereit, die Energie dafür aufzubringen, aber ist er es auch?

Mir kommt wieder der Verdacht, dass er sich dazu gezwungen sieht, mich zu treffen. Oder eher verpflichtet. Als müsse er sich mit mir treffen. Als sei es gar nicht sein Wunsch, geheilt zu werden.

Normalerweise würde ich den üblichen Zugang zu ihm suchen, um die Antworten aus ihm herauszuholen, aber Noah Moore wird auf die üblichen therapeutischen Maßnahmen nicht reagieren. Deshalb hat er auch darauf bestanden, sich mit mir hier im Café zu treffen und nicht in meiner Praxis. „Ich habe den Eindruck, dass Sie gegen Ihren Willen hier sind.“

„Ja. Haben Sie den Kerl nicht bemerkt, der mir die Knarre an den Kopf gehalten hat, als ich ins Café gekommen bin?“ Abfällig lacht er auf.

„Sie scheinen sich dagegen zu sträuben, meine Hilfe anzunehmen“, erwidere ich ruhig. „Es ist Ihnen wichtig, mich darauf hinzuweisen, dass dies hier keine Sitzung ist und dass wir uns nur unterhalten. Sie haben sich geweigert, zu mir in die Praxis zu kommen. Anscheinend fühlen Sie sich auf neutralem Boden wie diesem Café sicherer. Und trotzdem bleiben Sie, obwohl ich Ihnen angeboten habe zu gehen.“

Nachdem ich ihn offen damit konfrontiert habe, wirkt er jetzt misstrauisch. Gut so. Es ist entscheidend, dass ich ihn aus dem Gleichgewicht bringe. „Glauben Sie, irgendjemand könne mich dazu bringen, etwas zu tun, das ich nicht will?“

Guter Einwand. Selbst ohne seine Milliarden wirkt Noah Moore wie ein Mann, der sich durch nichts und niemanden einschüchtern lässt.

„Sagen Sie’s mir.“

„Ich habe Sie doch kontaktiert, oder?“

„Wer sagt mir, dass Ihnen dabei nicht jemand die Knarre an den Kopf gehalten hat? In übertragenem Sinne.“

So große Abwehr bin ich nicht gewohnt. Ein bisschen ist nicht ungewöhnlich, das ist Teil des Jobs. Aber normalerweise spüre ich dann auch, dass meinen Patienten das leidtut.

„In gewisser Weise.“

Dieses Eingeständnis kommt unerwartet, und ich kann meine Überraschung nicht ganz unterdrücken. So schnell wie möglich gebe ich mich wieder ungerührt, aber seine Miene zeigt mir, dass er meine Überraschung bemerkt hat und versteht.

„Schön. Die Erfahrung zeigt, dass eine Therapie die besten Ergebnisse bringt, wenn mein Patient sich willig in meine Hände begibt.“

„Heißt das, Sie können mir nicht helfen?“

Er sieht mich an und wartet auf eine Antwort. Ich betrachte sein Gesicht und frage mich, was für Geheimnisse er verbirgt. Was mag in seinem Leben vorgefallen sein, das ihn dazu gebracht hat, mich anzurufen? Wie kommt es, dass er den Wunsch in mir weckt, alle Vorsicht zu vergessen, weil ich ihn will?

„Nein“, erwidere ich schließlich. „Ich denke, ich kann Ihnen helfen. Vorausgesetzt, Sie sind bereit, mein Patient zu werden.“

„Ich habe keine Zeit, Ihr Patient zu sein.“ Es klingt so abweisend, dass es mir kalt den Rücken hinunterläuft.

„Tja, leider braucht es Zeit“, erwidere ich entschlossen. „Es gibt keine schnelle Heilung für das, was Sie zu mir geführt hat.“

„Und das behaupten Sie so selbstsicher, obwohl Sie nicht den leisesten Schimmer haben, wieso ich dieses Treffen mit Ihnen vereinbart habe?“

„Genau. Und wissen Sie, wieso, Noah? Weil ich das hier tagtäglich tue. Jeden Tag begegnen mir Menschen, die ihre Probleme wie einen Mantel tragen, den nur ich sehen kann.“

Seine Augen verengen sich.

„Es zeigt sich in Ihren verspannten Schultern und in den Tiefen Ihres Blicks. Ich erkenne das. Ein Trauma lässt sich nicht mit einem Drink hinunterspülen. Der einzige Weg der Heilung besteht darin, es aufzuarbeiten. Das ist kein angenehmer Prozess, in dem Punkt will ich Sie nicht belügen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie, wenn Sie sich Ihrem Problem nicht stellen, eines Tages daran zerbrechen. Ich frage mich, ob das nicht bereits passiert ist. Sind Sie deswegen hier?“

„Das ist alles Blödsinn.“

Ich kann nicht anders. Diese Frau ist heißer als die Hölle, aber aus ihrem hübschen Mund kommt nichts als Psycho-Scheiß.

Ich hasse diesen Mist. Wenn Gabe mir nicht dieses Ultimatum gesetzt hätte, hätte ich mich nie darauf eingelassen, mich mit ihr zu treffen. Aber für Gabe würde ich so gut wie alles tun, auch ohne die Drohung, mich von der Firma auszuschließen, bis ich „all meinen Müll für mich geklärt habe“, wie er es nennt. Ich will zu keinem Seelenklempner, und ich habe keine Lust, mich mit Dr. Scott-Leigh zu treffen. Ich will mich mit niemandem treffen. Ich habe nur eine schlechte Phase, das ist alles. Doch als ich herkam, hätte ich nicht gedacht, dass ich sie so unglaublich faszinierend finde.

„Schade, dass Sie das so empfinden“, sagt sie leise, und ich frage mich, was sie empfinden würde, wenn ich ihr die Hand unter das Kleid schiebe und an ihren Beinen hinaufstreiche bis zwischen ihre heißen Schenkel.

Es gefällt mir, wie ihre Pupillen sich weiten, wenn ich mich näher zu ihr beuge, bevor sie jede Reaktion schnell vor mir verbirgt und sie sich wieder ganz geschäftlich und professionell gibt.

Ob es einen Mr. Dr. Scott-Leigh gibt?

Kein Ehering, und ich wette, dass ihr Ehemann klug genug wäre, um darauf zu bestehen, dass sie ihn trägt. Verdammt, wenn sie mir gehören würde, würde ich sie ans Bett ketten. Alles in mir drängt darauf, etwas zu unternehmen, damit sie nicht mehr so überlegen und professionell wirkt.

Als Neunjähriger hätte ich sie als schick bezeichnet. Ihr gesamtes Outfit ist perfekt. Sie duftet und ist makellos.

Mittlerweile habe ich viele Frauen kennengelernt. Schicke Frauen werfen sich mir an den Hals, und dabei spielt es keine Rolle, wie teuer ihre Dessous waren. Sie alle reißen sich die Kleider begierig vom Leib, sobald ich ihnen nur den kleinsten Wink gebe.

Wenn sie vor Lust schreien, sind sie alle gleich.

Die Frau vor mir beobachtet mich geduldig und wartet darauf, dass ich etwas sage. Wahrscheinlich ist das eine Taktik, die sie sich im Therapieleitfaden für Anfänger angelesen hat. Es hat nicht die kleinste Wirkung auf mich.

„Also“, gibt sie den Wettstreit schließlich auf. „Ich schätze, wir könnten auch übers Wetter reden.“

„Oder wir sprechen über Sie.“

„Über mich?“ Damit habe ich sie überrascht. Wieder. „Ich stehe hier nicht zur Debatte. Sorry.“

„Dann soll ich Ihnen also mein Innerstes offenbaren, und von Ihnen bekomme ich gar nichts?“

Sie ist schwer genervt. Zum ersten Mal wird mir klar, dass es mir gefällt, sie zu nerven.

„Falls Sie sich zu einer Therapie entschließen, bekommen Sie von mir dafür nach einer angemessenen Zeit Ihren Seelenfrieden“, erwidert sie leise.

Sie hat ja keine Ahnung, was für Dämonen mich verfolgen und welche Dunkelheit mich erfüllt. Ich bin ein Gespenst meiner eigenen Vergangenheit.

„Holly, das bezweifle ich. Das bezweifle ich stark.“

2. KAPITEL

Ihr Haar ist länger, als ich gedacht hätte. Aus dieser Nähe kann ich ihren Duft nach Vanille und Honig riechen.

Ich weiß, es ist nur ein Traum, aber zum ersten Mal seit einem Monat hat eine Frau es geschafft, sie aus meinen Gedanken zu vertreiben. Ich fühle mich wie befreit von dem Fluch meiner Vergangenheit. Ich klammere mich an diesen zerbrechlichen Traum und sträube mich dagegen, ihn aus meinem Kopf gleiten zu lassen.

„Ich liebe es, wenn du mich küsst“, flüstert Holly mir zu. Ich greife nach ihr und ziehe sie an mich.

Willig fügt ihr Körper sich meinen Berührungen und meiner Kontrolle. Sie gibt sich mir vollkommen hin.

Ich reiße sie wild an meine Brust und genieße den leisen Seufzer, der meine Wange streift. Ihre Brüste fühlen sich noch viel besser an, als ich es mir ausgemalt habe. Mein Daumen streift ihren Nippel, verlangend und fordernd greife ich zu.

Aus ihrem Blick sprechen Unsicherheit und Verwirrung. Sie weiß nicht, wie sie reagieren soll.

Spielend leicht hebe ich sie hoch. Sie ist so zierlich, und ich bin stark. Ich schlinge mir ihre Schenkel um die Hüften. Verdammt noch mal, ich brauche sie jetzt. Obwohl das hier mein Traum ist und ich jedes Detail darin kontrollieren können müsste, trägt sie Unterwäsche. Das ist eine Barriere, die ich nicht gebrauchen kann.

Sie legt die Hände um meinen Nacken und zieht meinen Kopf näher zu sich. Dann küsst sie mich. Mit der Zunge umspielt sie meine. Es ist wie ein Duell. Die Lust wird immer heißer, und sie schließt die Augen.

Aber ich will sie nicht küssen.

Küsse bedeuten Romantik und Verpflichtungen. Sex nicht. Sex ist Leidenschaft und Begierde. Ein wilder, körperlicher Akt, bei dem alles ein Ende hat, sobald es vorbei ist.

Ich löse den Mund von ihrem und trage sie durchs Zimmer. Ich habe keine Ahnung, wo wir uns befinden. So was Seltsames kommt nur in Träumen vor.

Ich drücke sie wieder gegen eine Wand und reiße ihr das Kleid vorn auf. Sie trägt keinen BH. Ich presse den Mund an ihre Brust, lasse die Zunge über ihren Nippel streichen, bis sie vor Lust wimmert, und dann reize ich den anderen Nippel, diesmal mit den Zähnen. Sie drückt den Rücken durch, und ich spüre ihre Fingernägel, die sich mir in die Schultern krallen.

Ich bin jetzt nackt. In einem Traum kann Kleidung von einer Sekunde zur nächsten verschwinden. Mit zwei Fingern schiebe ich ihr den Slip zur Seite. Spöttisch und herausfordernd zugleich sehe ich ihr in die Augen, während ich meinen harten Schwanz zum Eingang zwischen ihren Schenkeln schiebe. Dicht davor verharre ich. Ich spüre die feuchte Glut, kurz bevor ich tief in sie eindringe.

Sie stöhnt auf. Der Laut kommt tief aus ihrer Kehle.

„Das ist erst der Anfang, Baby“, verspreche ich ihr.

Und weil mich die Dämonen jagen, die mich ständig strafen wollen, wache ich genau in diesem Moment auf. Mir steht der Schweiß auf der Stirn, und mein Schwanz ist felsenhart. Ich umfasse meine dicke Erektion und lasse die Hand daran auf und ab gleiten.

Es macht keinen Spaß.

Nachdem ich im Traum Holly gefickt habe, brauche ich jetzt mehr als das hier.

Ich taste nach meinem Handy und sehe nach der Zeit. Es ist Mitternacht. Länger als vierzig Minuten habe ich nicht geschlafen. Verdammt.

Ich scrolle in meinem Kalender zurück zum Dienstag der letzten Woche, als ich mich mit Dr. Scott-Leigh in diesem Café getroffen habe.

Ihre Kontaktdaten stehen in der Terminspalte. Ich klicke auf ihre E-Mail-Adresse.

Holly, ich muss Sie wiedersehen. Morgen.

Ich kann nur um vier Uhr nachmittags. NM

Ich lasse das Handy aufs Bett fallen und stehe auf. Schnell ziehe ich mich an, das heißt, so schnell es geht, denn mein Schwanz ragt immer noch wie eine Zeltstange vor. Dann kippe ich noch einen Wodka hinunter und rufe einen meiner Fahrer.

Insgesamt sind es vier, die sich beim Fahrdienst abwechseln. Im Moment hat Graeme die Schicht.

Von allen vieren kann er am schlechtesten verheimlichen, wie wenig er von meinem Lebenswandel hält. Das macht mir auf eine perverse Art Spaß.

„Wo geht’s hin, Sir?“ Habe ich ihn geweckt? Pech. Schließlich ist es sein Job.

„Mon More.“ Das ist ein Club in Putney. Seit einem Monat spukt mir Julianne durch meine Träume, und jetzt übernimmt Holly diese Rolle. Die einzige Art, wie ich diesem Spuk entfliehen kann, ist eine laute Bar, wo der Alkohol in Strömen fließt.

Es ist nicht so, dass ich seit unserem Treffen an ihn gedacht habe. Jedenfalls nicht nur an ihn. Mich hat eine Menge beschäftigt. Zum Beispiel muss ich mir überlegen, wie ich für Ivy ein Maria-Kostüm hinbekomme. Es muss bis zu ihrer Weihnachtsaufführung fertig werden. Und wann finde ich die Zeit, ihr mit dem Lebkuchenhaus zu helfen, das sie unbedingt für ihre Großmutter machen will?

Nein, ich habe viel zu viel zu tun, um ständig an Noah Moore zu denken.

Nur nachts, wenn ich mich ins Bett lege und versuche, die Augen zu schließen. Dann sehe ich ständig sein Gesicht vor mir. Sein wunderschönes, außergewöhnliches, gequältes Gesicht mit Augen, aus denen seine Seelenqualen sprechen. Seine sexy Lippen und sein Körper, an den ich mich anschmiegen will. Er weckt in mir den Wunsch, mich ihm vollkommen hinzugeben, um mich in seiner Nähe sicher zu fühlen.

Diese Woche habe ich eigentlich einen vollen Terminkalender, aber als ich an diesem Morgen in die Praxis komme, scheint das Schicksal sich gegen mich verschworen zu haben, denn es schubst mir Noah Moore in den Weg.

Seine E-Mail wirkt auf meinen Verstand wie eine Bombe. Er schreibt überheblich und unhöflich. So vereinbart man keinen Termin mit mir.

Zwischen Job und Privatleben muss ich eine strikte Grenze ziehen, aber für Noah Moore scheinen andere Regeln zu gelten. Ich kann es selbst kaum fassen, dass ich lächeln muss, während ich in meinem Kalender nachsehe, wann ich Zeit habe. Was ist aus meiner klinisch-nüchternen Haltung geworden, die ich üblicherweise einnehme?

Mein Arbeitstag ist mit Terminen vollgepackt. Aber wenn ich den Termin für ein Uhr auf zwölf Uhr mittags vorziehe und auf den Lunch verzichte, könnte ich meinen Vier-Uhr-Termin vorverlegen und dadurch Zeit für Noah schaffen.

Ich weiß selbst nicht, wieso, aber ich will ihm unbedingt antworten. Diesen fast verzweifelten Wunsch, ihn wiederzusehen, kann ich nicht ignorieren.

Noah, für ein weiteres Treffen müssen Sie zu mir in die Praxis kommen. Vier Uhr nachmittags. Seien Sie pünktlich, direkt im Anschluss habe ich einen weiteren Termin. Dr. Scott-Leigh

Ich schicke es ab und bin froh, wie förmlich es klingt und dass aus keinem Wort herauszuhören ist, wie unfassbar sexy ich diesen Mann finde.

Stolz und zufrieden lese ich wie üblich die News, bevor ich mit der Arbeit beginne und Beatrice mit einem Kaffee hereinkommt.

„Guten Morgen, Holly.“ Sie lächelt und geht wieder, ohne auf eine Antwort von mir zu warten.

Sie weiß, wie dringend ich meine heiligen zehn Minuten ohne jede Störung brauche. Ich schätze es sehr, dass sie mir diese Zeit lässt. Leider geht es in meinem Kopf drunter und drüber. Mich lenken alle möglichen Fragen zu Noah ab. Was sind seine Gewohnheiten, seine Probleme, seine Absichten und Bedürfnisse?

Ich will ihn kennenlernen, und ich will ihm helfen.

Leider kann ich nicht effizient therapeutisch arbeiten, wenn mich andere Dinge ablenken. Wie zum Beispiel mein brennendes Verlangen und die Tatsache, dass ich seit über fünf Jahren mit keinem Mann mehr geschlafen habe.

Ganz bewusst atme ich tief ein und aus. Ich achte auf meinen Pulsschlag und verdränge jeden Gedanken aus meinem Kopf, bis ich mich wieder mehr wie ich selbst fühle.

Autor

Clare Connelly
<p>Clare Connelly liebt Liebesromane – von Jane Austen bis E L James. Nachdem sie lange erfolgreich Selfpublisherin war, ging 2017 ihr Traum in Erfüllung, als ihr erstes Buch bei einem Verlag erschien. Seitdem ist sie nicht mehr zu stoppen. Clare liest und schreibt leidenschaftlich gerne, und lebt in einem kleinen...
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