Mein Prinz, mein Scheich, mein Geliebter

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Der luxuriöse Palast von Dharein ist voller exotischem Zauber, aber für die junge Polly wie ein goldener Käfig! Von Liebe war keine Spur, als sie Scheich Raschid Ibn Saudal Azarin ihr Jawort gab. Trotzdem spürt sie in der Nähe des aufregenden Wüstensohns dieses Prickeln...


  • Erscheinungstag 26.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779627
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Pollys Kehle war wie zugeschnürt, als sie die elegante Limousine durch die Toreinfahrt ihres Elternhauses gleiten sah. Ihre Hände wurden feucht, und sie verschränkte nervös die Finger ineinander. Prinz Raschid Ibn Saudal Azarin war angekommen. Benommen wandte sie sich ab.

„Warum hast du dich da drüben hingestellt?“, fragte ihre fünfzehnjährige Schwester Maggie. „Von dort kannst du ihn doch gar nicht sehen.“

„Auf das Vergnügen verzichte ich gern noch eine Weile“, erwiderte Polly.

Ihre zwölfjährige Schwester Joan und die vier Jahre alte Elaine eilten herbei. Auf der Fensterbank wurde es für die drei jüngeren Schwestern nun etwas eng, die sich die Hälse verrenkten, um besser sehen zu können.

Polly atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Was ihre Geschwister so faszinierend fanden, war für sie eine Katastrophe. Ist das Ganze vielleicht nur ein Albtraum, aus dem ich jeden Moment aufwachen werde? fragte sie sich beklommen. Sie befanden sich schließlich im England des zwanzigsten Jahrhunderts, im Zeitalter der Emanzipation der Frau. Wie war es da möglich, dass sie, Polly, eine Vernunftehe mit einem Mann eingehen sollte, den sie überhaupt nicht kannte?

„Der Wagen hält … er hat eine Flagge auf der Kühlerhaube. Das sind sicher die Farben der Königsfamilie von Dharein“, hielt Maggie ihre älteste Schwester aufgeregt auf dem Laufenden. „Der Chauffeur steigt aus … oh, er hat schwarzes Haar … er sieht wirklich wie ein Araber aus … jetzt öffnet er die hintere Wagentür …“

„Um Himmels willen, hör endlich auf!“ Polly entfuhr ein Schluchzer, der ihre Schwester erschrocken verstummen ließ. Schuldbewusst biss sich Maggie auf die Unterlippe und sah zu, wie Polly sich in einen abgewetzten Kinderzimmersessel sinken ließ und die Hände vors Gesicht schlug.

„Er trägt gar kein wallendes Gewand“, bemängelte Joan.

„Sei still!“ Maggie knuffte sie mit dem Ellenbogen in die Seite. „Polly fühlt sich nicht gut.“

Joan betrachtete ihre älteste Schwester mit unverhülltem Entsetzen. „Du kannst doch nicht ausgerechnet jetzt krank werden! Daddy wäre ruiniert, und Mummy hat vor Stolz schon total abgehoben!“

„Polly!“, rief Maggie unvermittelt. „Raschid sieht super aus! Wirklich!“

„Prinz Raschid“, berichtigte Joan sie herablassend. „Von einem Mann wie ihm darf man nicht gleich so plumpvertraulich sprechen.“

Maggie strafte ihre Schwester mit einem vernichtenden Seitenblick. „Du meine Güte, er wird doch schließlich unser Schwager!“ Polly zuckte zusammen. Ihre Schläfen pochten, und trotz der Tabletten, die sie genommen hatte, wurden ihre Kopfschmerzen noch schlimmer. Der Vormittag hatte kein Ende nehmen wollen. Beim Mittagessen waren alle ungewohnt schweigsam gewesen, und Polly hatte keinen Bissen hinuntergebracht. Ihr Vater auch nicht. Er hatte den hilflos anklagenden Ausdruck in Pollys Augen offenbar nicht mehr länger ertragen können, denn er war noch vor dem Nachtisch in sein Arbeitszimmer verschwunden.

Tröstend legte Maggie Polly die Hand auf die Schulter. „Er sieht wirklich toll aus. Ehrenwort.“

„Warum kann er sich dann nicht bei sich zu Hause eine Frau kaufen?“ Polly schnäuzte sich die Nase. Erneut drohten die Nerven mit ihr durchzugehen.

„Zischt ab!“, forderte Maggie Joan und Elaine streng auf. „Und sagt Mutter ja nicht, dass Polly heult.“

Die praktisch veranlagte Joan runzelte die Stirn. „Warum weint sie denn überhaupt? Sie wird doch Prinzessin. Da würde ich bestimmt nicht flennen, sondern vor Freude Luftsprünge machen.“

„Dein Pech, dass du nicht die Älteste bist.“ Maggie hielt ihren Schwestern unmissverständlich die Tür auf.

Die beiden Jüngsten räumten murrend das Feld.

Polly schämte sich ihres Gefühlsausbruchs. Fahrig strich sie sich das blonde Haar aus dem Gesicht und wischte sich die Augen. „Weißt du, Maggie, irgendwie kann ich immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich dazu kommt“, gestand sie. „Ich hatte die ganze Zeit über gehofft, dass er letztlich doch nicht auftaucht.“

„Dad sagt, so etwas könne ein Prinz sich nicht leisten. Ein Versprechen zu halten, sei Ehrensache.“ Maggies Stimme klang jetzt gar nicht mehr so sicher. „Ist es nicht komisch, dass wir immer gelacht haben, wenn Dad mal wieder zum Besten gab, wie er König Reija das Leben gerettet hat, indem er eine Kugel abfing? Ich glaube, die Geschichte haben wir hundert Mal, ach was, tausend Mal gehört“, übertrieb sie schamlos, „und ich habe dich immer aufgezogen, dass du Raschids Zweitfrau wirst.“

Nun, inzwischen ist es kein Witz mehr, dachte Polly verzweifelt. Vor fünfunddreißig Jahren hatte Ernest Barrington als junger Diplomat an der englischen Botschaft in einem der Golfstaaten gearbeitet. Während dieser Jahre in Nahost hatte er seinen Urlaub dazu genutzt, Reisen in die Nachbarländer zu unternehmen.

Auf einer dieser Erkundungstouren war er in den südarabischen Wüstenstaat Dharein gelangt. Der kleine Staat wurde damals immer noch von Stammesfehden heimgesucht, und es ging dort fast noch unzivilisierter zu wie ein Jahrhundert zuvor. Auf dieser Reise war Pollys Vater erkrankt und hatte medizinische Hilfe in einem Nomadenlager gesucht, dessen Oberhaupt Prinz Achmed, der Bruder des Feudalherrschers König Reija, war.

Da Achmed dem jungen Engländer nicht helfen konnte, hatte der Prinz den Kranken in den Königspalast außerhalb von Jumani gebracht, wo Ernest Barrington gesund gepflegt wurde. Nachdem er wieder zu Kräften gekommen war, hatte er kurz vor seiner Abreise als besondere Ehre eine Einladung zur Teilnahme an einer königlichen Jagd erhalten.

In der Wüste war auf den König ein Mordanschlag verübt worden, dessen Einzelheiten Pollys Vater im Laufe der Jahre immer weiter ausgeschmückt hatte. Grundlegend war damals offenbar Folgendes geschehen: Ernest Barrington hatte in der Sonne einen Gewehrlauf aufblitzen sehen, sich reaktionsschnell auf den König geworfen und ihn mit sich zu Boden gerissen. Dabei hatte er sich eine geringfügige Kopfverletzung zugezogen. Von Dankbarkeit überwältigt, hatte König Reija daraufhin erklärt, sein erstgeborener Sohn werde Ernest Barringtons erstgeborene Tochter heiraten.

„Glaubt mir, ich war völlig verblüfft“, pflegte Ernest Barrington an dieser Stelle der Geschichte vergnügt zu versichern. „Damals war ich ja noch nicht mal verheiratet. Aber die Geste symbolisierte offensichtlich die höchste Ehre, die der König jemandem zuteilwerden lassen konnte. Sie war besonders hoch zu bewerten, weil er Ausländern aus dem Westen gewöhnlich Misstrauen entgegenbrachte.“

Seitdem hatte Pollys Vater König Reija nicht wieder gesehen. Ernest Barrington war aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden, nachdem sein unverheirateter Onkel gestorben war und ihm einige Kilometer außerhalb von Worcester ein Gut hinterlassen hatte. Er hatte frohlockt, als er vor zwölf Jahren von einem älteren Diplomaten erfuhr, dass Raschid Prinz Achmeds Tochter Berah geheiratet habe.

Dennoch hatte die Familie Polly oft mit Raschid aufgezogen und sie daran erinnert, dass der Koran einem Moslem gestatte, vier Frauen zu haben. Doch bisher hatten alle die Vorstellung, Polly könnte einen arabischen Prinzen heiraten, höchstens komisch gefunden.

Erst als ihr Vater vor einem Monat in ernste finanzielle Schwierigkeiten geriet, kam er auf die Idee, die alte Bekanntschaft mit König Reija wiederaufleben zu lassen. Als dieser sich anlässlich eines diplomatischen Besuchs in London aufhielt, hatte Ernest Barrington ihn um eine Audienz gebeten.

„Ich werde ihn um ein Darlehen bitten“, hatte Pollys Vater hoffnungsvoll angekündigt. „Sicher wird er mir aus der Patsche helfen. Warum habe ich daran bloß nicht schon eher gedacht?“

Voller Zuversicht war Ernest Barrington zum vereinbarten Termin in die Dhareinische Botschaft gefahren. Nach all den Jahren fehlender Übung war es um Ernests Arabischkenntnisse schlecht bestellt, aber König Reija hatte in weiser Voraussicht einen Dolmetscher kommen lassen.

Natürlich waren die beiden Männer gleich am Anfang auf ihre Familien zu sprechen gekommen. Ernest hatte dem Monarchen stolz ein Foto seiner vier Töchter und des kleinen Sohnes gezeigt. Daraufhin hatte der König Ernest eröffnet, sein Sohn Raschid sei seit vier Jahren Witwer. Berah war im blühenden Alter von nur sechsundzwanzig Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen, nachdem sie gestolpert und eine steile Treppe hinuntergestürzt war.

„Natürlich habe ich dem König mein Beileid ausgesprochen. Nicht mal im Traum hätte ich für möglich gehalten, dass der alte Junge bereit war, sein Versprechen selbst nach fünfunddreißig Jahren einzulösen. Und irgendwie habe ich es in dieser Situation dann einfach nicht fertiggebracht, ihn um ein Darlehen zu bitten“, hatte Ernest der Familie gestanden. „Ich dachte, mich trifft der Schlag, als der König erklärte, er hätte schon lange ein schlechtes Gewissen, weil er sein Versprechen bisher nicht gehalten hätte. Natürlich habe ich ihm sofort versichert, dass ich das auch gar nicht erwartet hätte, aber das schien ihm nicht zu gefallen, und da war ich lieber still. Selbst als er mir danach Fragen über Polly stellte, hatte ich noch keinen blassen Schimmer, was er vorhatte.“

Polly hatte ebenso entsetzt wie ihre Mutter zugehört, während Ernest vorsichtig auf den Knackpunkt zusteuerte. „Der König beteuerte, es sei sein größter Wunsch, Raschid wieder verheiratet zu sehen. Daraufhin schüttelte er mir die Hand, und der Dolmetscher sagte: ‚Es ist also abgemacht‘. Und ich fragte, wie er das meine. ‚Mein Sohn wird Ihre Tochter heiraten‘, antwortete der König. Da war ich sprachlos und brachte keinen Ton heraus!“, hatte Pollys Vater gestanden und sich die schweißnasse Stirn gewischt. „Und gleich darauf fing er an, über den Brautpreis zu reden. Es ging alles so schnell, dass ich einfach nichts dagegen tun konnte. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, was der Mann von dieser Abmachung hat.“

Polly riss sich von ihren Erinnerungen los und lachte bitter auf. „Dad hat mich verkauft! Dabei dachte ich, in den westlichen Ländern sei der Frauenhandel längst abgeschafft! Warum hat Dad mich nicht gleich in Gold aufwiegen lassen?“

Vorwurfsvoll sah Maggie ihre Schwester an. „Das klingt schrecklich, Polly!“

Es ist schrecklich, dachte sie niedergeschlagen. Weshalb hatte der König ihrem Vater kein Darlehen anbieten können? Aber eigentlich erübrigte sich die Frage. Ihr Vater wäre gar nicht in der Lage gewesen, das Geld zurückzuzahlen.

„Dad behauptet, niemand habe dich unter Druck gesetzt, Polly. Die Entscheidung hätte ganz bei dir gelegen. Und das stimmt, denn ich habe an der Tür gelauscht“, gab Maggie widerstrebend zu. „Er hat dich nicht gezwungen, Raschid zu heiraten.“

Polly schwieg bedrückt. Die bloße Tatsache, dass ihr Vater die verrückte Idee überhaupt in Erwägung gezogen hatte, bewies, wie katastrophal seine finanzielle Lage war. Maggie war noch in einem Alter, in dem man Eltern für unfehlbar hielt. Die Wirklichkeit sah anders aus. Ernest Barrington schätzte die angenehmen Dinge des Lebens und hatte von je her über seine Verhältnisse gelebt.

Ladybright war ein kleines, aber einträgliches Gut gewesen, als er es erbte. Doch das Einkommen, das er daraus bezog, hatte für die Ansprüche einer großen Familie und eines flotten gesellschaftlichen Lebensstils nie gereicht. Als die Bank mit Pfändung und Zwangsversteigerung des Anwesens drohte, weil Ernest Barrington mit den Hypothekenzahlungen im Rückstand war und sein Konto hoffnungslos überzogen hatte, erhielt er die Rechnung für das jahrelange Leben auf zu großem Fuß.

König Reija hatte Pollys verzweifeltem Vater als Morgengabe eine hohe Geldsumme geboten, mit der er nicht nur seine Schulden bezahlen konnte, sondern mit seiner Familie obendrein ausgesorgt hatte. Ein Ertrinkender, dem ein Rettungsreifen zugeworfen wird, zögert nicht.

Polly war sicher, dass ihr Vater bei der Erwähnung des Geldgeschenkes geblendet und mit allem einverstanden gewesen war. Wie durch ein Wunder wurden mit dieser Regelung seine ganzen Probleme gelöst. Bei der Heimkehr war er in seinem Überschwang nicht mehr zu bremsen gewesen.

„Es überrascht mich nicht, dass meine Nachricht dir die Sprache verschlagen hat, Polly“, hatte er gesagt. „Du heiratest einen Prinzen … und dazu noch einen, der eines Tages König sein wird.“

Ihre Mutter hatte bei jener Eröffnung ihres Mannes einen verträumten Gesichtsausdruck bekommen. Kurz darauf hatte sie ehrfürchtig geflüstert: „Meine Tochter, eine Prinzessin!“

Seitdem befand sich Anthea Barrington in einem Zustand von Selbstvergessenheit. Pollys Eltern besaßen beide die bemerkenswerte Gabe, unerfreuliche Dinge einfach nicht wahrzunehmen. Langsam, aber sicher hatte sich die Schlinge um Polly zugezogen. Wie konnte sie ihre Familie zu einem Leben in Armut verdammen?

Anthea wäre ebenso unfähig gewesen, sich damit abzufinden, wie ihr Vater. Und was würde dann aus ihren Schwestern und dem kleinen Timothy werden, der in diesem Moment zu Pollys Füßen mit Bauklötzen spielte? Durfte sie ihnen die Sicherheit und Geborgenheit nehmen, die sie selbst bis jetzt im Schoß der Familie genossen hatte?

Polly seufzte. Nein, sie musste den Menschen helfen, die ihr alles bedeuteten. Wusste sie denn, ob sie überhaupt je eine Liebesheirat eingehen würde? Warum sollte sie Raschid also nicht ehelichen und ihre Familie glücklich machen? Der Mann, dem ihr Herz gehörte, erwiderte ihre Gefühle nicht, jedenfalls nicht so, wie sie es sich wünschte. Chris Jeffries mochte sie zwar sehr, behandelte sie aber eher wie eine Schwester.

Seine Eltern waren Nachbarn und mit ihrer Familie eng befreundet. Polly kannte Chris seit der Kindheit. Und genau hier lag der Hase im Pfeffer, wie sie sich traurig eingestehen musste. Chris’ Gefühle für sie waren nur die eines großen Bruders …

Die Teenagerjahre waren für Polly nicht einfach gewesen. Oft hatte sie Trost bei Chris gesucht, wenn sie sich zu Hause unverstanden fühlte. Sie war ein Spätentwickler und in den Augen ihrer schönen Mutter ein hässliches Entlein gewesen. Hinzu kam, dass Polly schüchtern und in sich gekehrt gewesen war, während es den anderen in ihrer Familie an Selbstbewusstsein nie gemangelt hatte.

Anthea hatte nie ganz verbergen können, dass die stille, nachdenkliche Polly für sie eine Enttäuschung war. Ihrer Mutter wäre eine Tochter, die überwiegend Jungen, Kleider und Partys im Kopf gehabt hätte, lieber gewesen. Es hatte Anthea befremdet, dass Polly schon früh den Wunsch geäußert hatte, auf die Universität zu gehen und Bibliothekarin zu werden. Der zwei Jahre ältere Chris, der damals schon Medizin studierte, war der Einzige gewesen, der Pollys Wunsch, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, verstanden und unterstützt hatte.

Polly hatte Chris einfach lieben müssen. Wann immer sie ein Problem hatte, war er für sie da gewesen. Seit der Teenagerzeit hatte Polly es immer irgendwie als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie Chris eines Tages heiraten würde.

Nachdem ihr Babyspeck verschwunden war, war sie zu einer schlanken Schönheit mit seidigem hellblondem Haar und ebenmäßigen Zügen erblüht und hatte scheu darauf gewartet, dass Chris sich für sie als Frau interessierte. Aber das war nie der Fall gewesen, wie Polly schmerzlich erkannt hatte.

In den Semesterferien hatte sie sich an ihrem neunzehnten Geburtstag endgültig damit abfinden müssen, dass ihr Traum nicht in Erfüllung ging. Chris hatte sie seiner derzeitigen Freundin scherzend als „Polly, meine jüngere Ersatzschwester“ vorgestellt, und seine herzlich liebevolle Art hatte ihr bestätigt, dass seine Gefühle für sie rein brüderlicher Art waren. An jenem Tag hatte sie aufgehört, sich Träumen hinzugeben.

Wieder an der Universität hatte Polly sich Verabredungen nicht mehr entzogen, wie sie es während der ersten beiden Semester getan hatte. Doch die Rendezvous, auf die sie sich eingelassen hatte, hatten mit den verächtlichen Vorwürfen geendet, Polly sei frigide oder keine richtige Frau. Vergebens hatte sie versucht, sich Chris aus dem Kopf zu schlagen. Sie liebte ihn immer noch und war sicher, dass sich daran nie etwas ändern würde.

Und da sie nicht Chris’ Frau werden konnte, war es eigentlich gleichgültig, an wen sie sich band. Mit dieser nüchternen Überlegung hatte Polly sich schließlich einverstanden erklärt, Raschid zu heiraten und ihrer Familie aus der Klemme zu helfen. Und nachdem dies feststand, hatten alle „vergessen“, dass König Reija sie praktisch gekauft hatte, und taten so, als werde ihr eine große Ehre zuteil.

Doch nachdem Raschids Wagen jetzt vorgefahren war, fiel es Polly angesichts der brutalen Wirklichkeit schwer, zu diesem Entschluss zu stehen. Sie dachte daran, dass unten ein Fremder auf sie wartete, der ihr Ehemann werden sollte. Aber sie hatte ihr Wort gegeben und konnte nun keinen Rückzieher mehr machen. Polly erkannte, dass sie zum ersten Mal etwas tat, was ihre ehrgeizige Mutter stolz auf sie machte …

„Du hast dich ja noch gar nicht umgezogen!“, unterbrach Anthea entsetzt Pollys Grübeleien. „So kannst du dich Raschid doch unmöglich zeigen.“

Polly zuckte die Schultern. „So wie ich normalerweise ausschaue?“, entgegnete sie trocken. „Also ich finde, er soll ruhig sehen, was er bekommt. Ich bin nun mal kein Modepüppchen.“

„Mach jetzt bitte keine Schwierigkeiten, Liebling“, flehte Anthea, die in ihrem Seidenkostüm und dem Perlenschmuck zeitlos elegant wirkte. „Geh dich sofort umziehen!“

„Wo ist Raschid denn?“

„Im Arbeitszimmer bei deinem Vater. Wir haben die Einzelheiten der Hochzeit durchgesprochen. Natürlich findet die Trauung in der St.-Augustins-Kirche statt, aber hinterher soll in Dharein eine zweite Zeremonie folgen. Wir hatten eine sehr interessante Unterhaltung“, verriet Anthea. „Stell dir vor, Raschid hat das Gesicht seiner ersten Frau erst nach der Hochzeit zu sehen bekommen. Das ist in seiner Heimat so Sitte.“

Polly schauderte. Obwohl sie Raschid noch nicht einmal kennengelernt hatte, war der Trauungstermin offenbar schon beschlossene Sache! Und ihre Mutter tat so, als sei diese verrückte Situation etwas absolut Alltägliches. „Das ist ja barbarisch!“, rief Polly entsetzt.

„Ach was, Liebling!“, widersprach Anthea. „Immerhin hat Raschid mit der Tradition gebrochen und ist extra herübergeflogen, um dich vor der Hochzeit kennenzulernen. Was uns merkwürdig vorkommt, ist für ihn ganz normal.“

„Findest du es für einen zweiunddreißigjährigen Mann normal, dass sein Vater ihm im Ausland eine Braut sucht, die er noch nicht mal gesehen hat?“, hielt Polly hilflos dagegen. „Im Übrigen wüsste ich nicht, wieso er mir mit dem Besuch bei uns einen Gefallen tut.“

„Er ist ein Prinz, Polly.“

„Das ist mir egal.“

„Eltern wissen meist am besten, was für ihre Kinder gut ist.“ Antheas Stimme klang jetzt etwas schrill. „Vergiss nicht, was dein Vater gesagt hat … dass die Scheidungsrate bei Vernunftehen sehr niedrig liegt.“

Nach dieser energischen Erklärung brachte Anthea ihre Tochter in ihr Zimmer hinunter, wo das verhasste Kleid, ein zartrosa Georgettemodell, an der Schranktür hing. Anthea, einen Meter siebenundsiebzig groß und mit einer Mannequinfigur, mochte es stehen, doch Polly, die nur einen Meter fünfundfünfzig groß war, kam sich darin vor wie im Rüschenkleid auf einem Kindergeburtstag. Panik überfiel sie. „Ich kann das nicht durchstehen … Ich schaffe es einfach nicht!“, brachte sie verzweifelt hervor.

„Du hast Lampenfieber, Liebling“, redete Anthea beruhigend auf ihre Tochter ein. „Das ist doch ganz natürlich. Raschid bleibt einige Tage hier, sodass du Zeit hast, dich an die neue Situation zu gewöhnen. Du scheinst nicht zu wissen, wie glücklich du dich schätzen musst.“

„Glücklich?“, hauchte Polly.

„Jedes andere Mädchen gäbe viel darum, an deiner Stelle zu sein“, behauptete Anthea. „Ich habe mit achtzehn geheiratet und war mit neunzehn Mutter. Glaub mir, ich war sehr viel erfüllter und glücklicher als du mit deinem Studium. Wenn du dein erstes Baby in den Armen hältst, wirst du verstehen, was ich meine.“

Beim Gedanken, möglicherweise bald Mutter zu werden, wurde Polly kreidebleich. „Ein Baby?“

„Du bist doch sehr kinderlieb, und Raschid hat noch keine Kinder. Vielleicht war die arme Berah nicht in der Lage, ihm welche zu schenken.“ Anthea schien sich für das Thema zu erwärmen. „Raschids Vater wird schon ungeduldig auf einen männlichen Enkel warten, der die Thronfolge sichert. Bedenke doch, welches Ansehen du dann genießen wirst!“

Polly war unfähig, den Gedankengängen ihrer Mutter zu folgen. Kinder … dazu gehörte, dass sie mit Raschid schlief … Polly fühlte sich schrecklich elend. Die Vorstellung, in Dharein als Gebärmaschine betrachtet zu werden, war entsetzlich. Kein Wunder, dass König Reija sie, Polly, ausgesucht hatte. Immerhin stammte sie aus einer kinderreichen Familie und hatte vier Geschwister …

„Für sein Alter ist Raschid unglaublich welterfahren und charmant. Und er sieht einfach fabelhaft aus“, hörte sie ihre Mutter schwärmen. „Man braucht ihn nur anzuschauen, um zu erkennen, dass er ein Prinz ist. Er hat ausgezeichnete Manieren. Ich war ehrlich beeindruckt. Und wenn man bedenkt, dass er im Gegensatz zu seinem Bruder Asif nicht hier erzogen wurde, ist sein Englisch erstaunlich gut.“

Polly hatte das Gefühl, unter den Begeisterungsergüssen ihrer Mutter ersticken zu müssen.

„Ich stecke dir das Haar hoch, dann wirkst du größer, Liebling.“ Anthea machte sich daran, Pollys wallende Mähne mit Haarnadeln zu bändigen. „Stell dir vor, er hat faszinierend blaue Augen“, plauderte ihre Mutter weiter. „Am liebsten hätte ich ihn gefragt, von wem er die hat, aber das fand ich dann doch indiskret.“

Was interessierten Polly Raschids blaue Augen? Ihre Mutter war geblendet vom gesellschaftlichen Rang des zukünftigen Schwiegersohns. An ihm konnte es gar nichts auszusetzen geben. Selbst wenn er ein hässlicher Zwerg gewesen wäre, hätte Anthea etwas Nettes über ihn zu sagen gewusst. Schließlich war er ein Prinz!

„Ich bin überglücklich und unglaublich stolz auf dich, Polly.“ Antheas Augen schimmerten feucht. „Das Ganze ist so romantisch!“

Hilflos sah Polly zu, wie ihre Mutter sich mit einem Spitzentaschentuch über die Augen tupfte.

„Polly!“, ertönte die Stimme ihres Vaters von unten. „Wo bleibst du denn?“

Beim Verlassen ihres Zimmers kam Polly sich wie ein Opferlamm vor, das zur Schlachtbank geführt wird. Auf dem Treppenabsatz angekommen, entdeckte sie unten ihren Vater, der sie ungeduldig erwartete. Offenbar hatte er es eilig, sie mit ihrem Bräutigam bekannt zu machen. Sobald Ernest das hinter sich hatte, konnte er sich entspannen und so tun, als handelte es sich hier um eine ganz normale Brautwerbung.

Ernest Barrington nahm Pollys Hand und öffnete die Tür zum Arbeitszimmer weit. Als der weltgewandte, umgängliche Hausherr verkündete er: „Meine Tochter Polly.“

Seltsamerweise waren es die Augen des großen, schwarzhaarigen Mannes, die ihr als Erstes auffielen. Sie waren von einem ungewöhnlich hellen Blau … so klar wie Gletschereis. Er stand reglos am Kamin und sah Polly auf eine Weise an, die sie erschauern ließ. Ernest trat hüstelnd den Rückzug an, dabei schob er seine Tochter sanft, aber bestimmt über die Schwelle, sodass er die Tür schließen konnte.

Pollys Beine versagten ihr den Dienst, und sie blieb wie angewurzelt stehen. Stumm wartete sie, dass der Mann, den sie heiraten sollte, lächelte oder etwas Charmantes sagte. Als sie seine Musterung nicht mehr ertragen konnte, blickte sie auf die Blumenvase, die links neben ihm stand.

„So schüchtern kannst du doch gar nicht sein.“ Er sprach mit einem leichten Akzent, und seine samtige Stimme hatte einen ironischen Unterton. „Komm her.“

Steif ging Polly um ein Sofa herum. Raschid kam ihr nicht entgegen. Doch mit jedem Schritt, den sie auf ihn zu tat, erschien er ihr bedrohlicher. Er musste gut einen Meter achtzig groß sein.

„Und jetzt lass dein Haar herunter.“

Hilflos blickte Polly ihn an. „M…ein Haar?“

„Wenn du meine Frau werden willst, musst du lernen, meine Anordnungen zu befolgen“, erklärte Raschid. „Ich befehle, und meine Frau gehorcht.“

Wie versteinert stand Polly da. Er sagte das so selbstverständlich, als würde er über das Wetter sprechen. Einen so arroganten Mann hatte sie noch nie kennengelernt. Sie zuckte zusammen, als Raschid unvermittelt auf sie zu trat und die Finger in ihr Haar schob.

Verwirrt schloss sie die Augen. Der Mann war verrückt, und Verrückten widersetzte man sich besser nicht. Er war ihr so nah – viel zu nah für ihren Seelenfrieden –, dass ihr sein herbes Rasierwasser in die Nase stieg. Raschid zog ihr die Haarnadeln heraus und ließ sie achtlos fallen.

„Du bist erstaunlich gehorsam“, stellte er fest, während er ihr seidiges blondes Haar betrachtete.

Widerstrebend blickte sie auf und musterte ihn ängstlich, aber auch neugierig. Er war athletisch gebaut und sah umwerfend gut aus. Selbst Polly hätte ihm einen zweiten Blick gegönnt, wenn er ihr auf der Straße begegnet wäre. Hohe Wangenknochen unterstrichen seine aristokratischen Züge, seine Haut hatte einen leichten Bronzeton, und über den leuchtend blauen Augen wölbten sich dunkle Brauen.

Raschids Ausstrahlung war so stark, dass es Polly den Atem verschlug. Doch trotz seiner ernsten Miene und des weltmännischen Auftretens spürte Polly, dass dieser Mann etwas Raubtierhaftes, Gefährliches an sich hatte, und wich instinktiv einen Schritt zurück.

Raschids Augen zeigten keine Regung, als er die sinnlichen Lippen zu einem kühlen Lächeln verzog. „Deine Scheu erscheint mir übertrieben. Ehrlichkeit ist mir wichtiger als alles andere. Es wäre also besser, du benimmst dich natürlich.“

Polly schwieg.

„Du bist noch sehr jung“, fuhr Raschid fort. „Hast du wirklich eine Vorstellung von dem Leben, das du als meine Frau führen wirst?“

Jedes Mädchen mit auch nur einem Funken Verstand würde diese Gelegenheit nutzen, sich noch in letzter Minute aus der Affäre zu ziehen, schoss es Polly durch den Kopf. Warum tat sie es nicht? Weil sie sich freiwillig zu dieser Heirat bereit erklärt hatte, wie Maggie mit Recht zu bedenken gegeben hatte.

„Natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht.“

„Du weißt vermutlich, dass ich die Investmentfonds meines Landes verwalte und häufig im Ausland zu tun habe, während du als meine Frau in Dharein bleibst. Auf diesen Reisen wirst du mich nicht begleiten“, betonte Raschid. „Und du wirst in meinem Land auch nur mit Frauen zusammen sein. Du darfst selbst nicht Auto fahren und den Palast nicht allein oder unverschleiert verlassen.“

Raschid schwieg kurz, ehe er weiterredete: „Von dem Augenblick an, in dem du meine Frau bist, darf dich ohne meine Zustimmung kein anderer Mann anschauen. Selbst bei uns zu Hause werden wir getrennt essen. Vielleicht hast du gehört, dass gewisse Mitglieder meiner Familie diese traditionellen Regeln nicht mehr ganz so streng befolgen. Ich gehöre nicht dazu. Darauf möchte ich dich ausdrücklich hinweisen.“

Polly nickte nur.

Raschid atmete hörbar aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dir bisher viele Einschränkungen auferlegt hat. Soweit ich weiß, laden deine Eltern oft Gäste ein.“

„An den Festen habe ich selten teilgenommen.“ Polly dachte daran, wie verärgert ihre Mutter gewesen war, als sie sich als Elfjährige in einem Schrank versteckt hatte, weil sie vor Freunden der Familie keine Gedichte aufsagen wollte.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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