Midnight Sons - Heiße Nächte in Alaska

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SAWYER

Es herrscht Frauenmangel in Hard Luck, Alaska! Also schmieden die Männer einen Plan, wie sie Frauen den Umzug schmackhaft machen können. Und ausgerechnet Sawyer O’Halloran, einziger Gegner des Plans, findet die erste Kandidatin Abbey Sutherland unwiderstehlich ...

CHARLES

Seitdem Naturforscher Charles O’Halloran die blonde Journalistin Lanni begegnet ist, möchte er nicht mehr allein in den Weiten Alaskas leben ... Plötzlich ist Charles O’Halloran, eigentlich eher ein Einzelgänger, gar nicht mehr gern allein! Alles ist viel schöner, wenn die blonde Lanni ihn auf seinen Exkursionen durch die Weite Alaskas begleitet. Bis er erfährt, wer seine Traumfrau wirklich ist ...

MITCH

Mitch Harris will nie wieder heiraten- außer vielleicht Bethany, die neue hübsche Lehrerin seiner Tochter ... Bethany Ross hat sich fest vorgenommen, höchstens ein Jahr in Hard Luck zu bleiben. Doch eine Freundin findet sie bereits am ersten Tag: Chrissie Harris ist von ihrer neuen jungen Lehrerin begeistert! Chrissies Entschluss steht fest: Bethany muss ihren Daddy heiraten ...


  • Erscheinungstag 17.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783955765293
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Debbie Macomber

Midnight Sons - Heiße Nächte in Alaska

Debbie Macomber

Sawyer


Aus dem Amerikanischen von
Dorothea Ghasemi

Image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Brides For Brothers

Copyright © 1995 by Debbie Macomber

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Corbis, Düsseldorf

Satz: D.I.E. Grafikpartner, Köln

ISBN 978-3-95576-092-2

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

PROLOG

„Was ihr wirklich braucht, sind Trauen.“

Sawyer O’Halloran tat so, als hätte er sich am Kaffee verschluckt. „Frauen! Wir haben schon genug Probleme.“

Ben Hamilton, der Inhaber des Hard Luck Cafés, der gleichzeitig auch Koch und Mädchen für alles war, stellte die Kaffeekanne auf den Tresen. „Hast du mir nicht gerade erzählt, dass Phil Duncan beschlossen hat, wieder nach Fairbanks zu ziehen?“

Phil war Sawyers bester Pilot und nicht der erste ihrer Mitarbeiter, der von Hard Luck in die Stadt ziehen würde. Immer, wenn ein Pilot kündigte, war es ein herber Rückschlag für den Flugdienst.

„Stimmt, aber Phil geht nicht wegen einer Frau weg“, sagte Sawyer leise.

„Natürlich tut er das“, meldete sich Duke Porter zu Wort. Den Becher in der Hand, rutschte er auf den Hocker neben Sawyer. „Jeder weiß doch, dass Phil geht, weil er seine Freundin nur so selten sehen konnte. Vielleicht hat er unter irgendeinem Vorwand gekündigt, aber du kennst den wahren Grund genauso gut wie ich.“

„Auch Joe und Harlan haben Hard Luck wegen Frauen verlassen, und zwar, weil sie hier keine kennen lernen konnten“, erklärte Ben. Offenbar hatte der ehemalige „Navy-Hobbykoch“, wie die Brüder O’Halloran ihn nannten, einiges zu diesem Thema zu sagen. Sawyer war diesmal anders als sonst nicht seiner Meinung. Am liebsten hätte er Ben klar gemacht, er sollte sich da raushalten, doch das wäre nicht fair gewesen.

Ein Problem, das das Leben in einer Kleinstadt mit sich bringt, ist, dass jeder über den anderen Bescheid weiß, dachte Sawyer.

Er hätte sein Büro ebenso gut vom Restaurant aus betreiben können, denn da seine Piloten immer bei Ben frühstückten, war dieser stets auf dem Laufenden, was die Firma betraf.

„Na gut, dann werde ich es eben sagen.“ Christian, der jüngste der drei Brüder, umfasste seinen Becher mit beiden Händen und warf Sawyer einen herausfordernden Blick zu. „Ben hat Recht. Wenn wir hier einige Frauen hätten, wären unsere Männer zufriedener.“

„Wir bekommen bald eine neue Lehrerin“, berichtete Sawyer. Als Vorsitzender der lokalen Schulbehörde hatte er Bethany Ross’ Bewerbungsunterlagen gelesen. Obwohl er von ihren Qualifikationen beeindruckt gewesen war, bezweifelte er, dass sie für diesen Job geeignet war, denn sie war gebürtige Kalifornierin. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum sie sich um eine Stelle in einem Ort beworben hatte, der nördlich des Polarkreises lag.

„Ich hoffe nur, dass sie anders ist als die letzte Lehrerin“, meinte John Henderson. „Erinnert ihr euch noch an sie? Ich habe sie hergebracht und bin noch eine Runde geflogen, um ihr die Gegend von oben zu zeigen. Sie wollte danach nicht einmal aus dem Flugzeug steigen.“

„Ich würde gern wissen, was du zu ihr gesagt hast“, ließ Christian sich vernehmen.

„Ich habe nichts Besonderes gesagt. Außerdem kommt die neue Lehrerin erst im August, stimmt’s?“

„Im August“, wiederholte Ben. „Eine Frau. Ich kann es mir jetzt schon lebhaft vorstellen.“

„Was?“ hakte Sawyer nach, obwohl er sich hätte denken können, dass Ben nur so darauf brannte, es ihm zu erzählen.

„Eine Frau wird bloß noch mehr Probleme machen“, verkündete Ben. „Denk einmal darüber nach, Sawyer.“

Sawyer hatte keine Lust, das zu tun, weil ihm das ganze Thema ohnehin nicht behagte.

„Eins steht jedenfalls fest: Diesmal wird nicht John sie abholen“, bemerkte Ralph spöttisch. „Ich übernehme das.“

Sofort ertönte einhelliger Protest.

„Nun hört schon auf!“ rief Sawyer.

Ben lachte, während er Ralph einen Teller mit Pfannkuchen über den Tresen hinschob. „Seht ihr, was ich meine? Ihr streitet euch jetzt schon um sie, obwohl sie erst in einigen Monaten kommt.“

Ralph machte sich über die Pfannkuchen her, als hätte er seit einer Woche nichts mehr gegessen. Mit vollem Mund murmelte er etwas von einsamen Junggesellen.

„Ist ja gut“, räumte Sawyer ein. „Vielleicht ist es ja keine schlechte Idee, ein paar Frauen nach Hard Luck zu holen. Aber wie sollen wir sie eurer Meinung nach herlocken?“

„Wir könnten eine Anzeige aufgeben“, schlug Christian vor. Plötzlich hellte seine Miene sich auf. „Ja, natürlich! Ich verstehe nicht, warum wir nicht eher darauf gekommen sind.“

„Eine Anzeige?“ Sawyer funkelte seinen Bruder an. „Was soll das heißen?“

„Na ja, ich denke da an eine Kontaktanzeige in einem dieser Hochglanzmagazine. Ich habe gehört, dass einsame Männer in Alaska besonders begehrt sind.“

„Ein Bekannter von mir hat sein Foto an eine dieser Zeitschriften geschickt“, erzählte Ralph aufgeregt. „Er konnte sich vor Zuschriften gar nicht mehr retten.“

„Ich werde jedenfalls nicht das Hemd ausziehen und für so ein verdammtes Foto posieren“, verkündete Duke Porter.

„So leicht ist es auch nicht, sein Bild in eine dieser Zeitschriften zu bekommen“, meinte Ralph, nachdem er einen großen Bissen heruntergeschluckt hatte. „Nicht, dass ich es versucht hätte.“

„Diese Frauen suchen jedenfalls keinen Brieffreund“, sagte John. „Sie wollen einen Mann, und sie gehören auch nicht zu denen, die die große Auswahl haben.“

„Ach ja? Von euch ist auch niemand ein Adonis.“ Ben schob sich die Hemdsärmel hoch und stützte die Hände auf den Tresen.

„So wie ich es sehe, können wir Frauen nichts bieten“, erwiderte Sawyer. „Jedenfalls kann ich mir nicht vorsteilen, dass sie allein unseres Aussehens wegen hierher kommen, oder?“

John war sichtlich enttäuscht. „Wahrscheinlich hast du Recht.“

„Und was könnte sonst funktionieren?“ warf Christian ein. „Wir dürfen nicht so pessimistisch sein, sonst bleiben wir bis an unser Lebensende allein.“

„Ich bin mit meinem Leben zufrieden“, konterte Sawyer, den es überraschte, dass sein Bruder sich so für diese Idee begeisterte. Sawyer hatte im Prinzip nichts dagegen, konnte sich jedoch nicht vors teilen, dass sie damit Erfolg hatten. Zum einen befürchtete er, dass durch die Anwesenheit dieser Frauen viele neue Probleme entstehen würden, zum anderen glaubte er, dass keine dieser Frauen es länger als ein paar Wochen in Hard Luck aushalten würde.

„Denk daran, dass Frauen nicht viel anders sind als Männer“, meinte Christian und lachte, als die anderen ihn verblüfft ansahen. „Ihr seid doch auch hergekommen, obwohl ihr wusstet, dass Hard Luck fünfzig Meilen oberhalb des Polarkreises liegt.“

„Stimmt“, bestätigte Duke, „aber wir werden sehr gut bezahlt, und es lebt sich hier nicht schlecht.“

Christian nahm einen Stift aus seiner Hemdtasche und machte sich eine Notiz auf seiner Papierserviette.

„Du spielst doch nicht etwa mit dem Gedanken, die Frauen dafür zu bezahlen, dass sie hierher kommen?“ Sawyer wollte verdammt sein, wenn sein schwer verdientes Geld für so ein albernes Projekt zum Fenster hinaus geworfen wurde.

„Wir könnten ihnen Jobs anbieten, oder?“ Christian blickte sich Beifall heischend in der Runde um.

„Wie bitte?“

„Na ja …“ Christian nagte an seinem Stift. „Du redest schon lange davon, dass in unserem Büro ein einziges Chaos herrscht. Was hältst du davon, eine Sekretärin einzustellen? Wir können uns nicht auch noch um den Papierkram kümmern.“

Sawyer hätte ihm am liebsten vorgeschlagen, stattdessen ein Seminar über Zeitmanagement zu belegen. „Na gut“, meinte er schließlich widerwillig.

Die anderen Piloten schauten von ihren Tellern auf.

„Was ist mit all den Büchern, die eure Mutter der Gemeinde geschenkt hat, nachdem sie Frank geheiratet hatte?“ erkundigte sich Ben. „Es war doch davon die Rede, eine Bücherei zu eröffnen.“

„Aber irgendjemand muss das Ganze organisieren“, erklärte Christian. „Ich habe es ein paar Mal versucht und jedes Mal wieder aufgegeben. Es müssen an die tausend Bücher sein.“

„Es war sehr großzügig von eurer Mutter, sie der Gemeinde zu schenken“, meinte Ralph. „Und es ist eine Schande, dass wir nichts unternehmen.“

Christian lächelte. „Wir könnten es uns durchaus leisten, jemand dafür zu bezahlen, eine Bücherei aufzubauen und sie erst einmal für etwa ein Jahr zu leiten. Was haltet ihr davon?“

Sawyer zuckte die Schultern. „Wenn Charles nichts dagegen hat.“ Doch er wusste genauso gut wie Christian, dass Charles von der Idee begeistert sein würde.

„Pearl hat mir erzählt, dass sie vorhabe, zu ihrer Tochter nach Nenana zu ziehen“, berichtete Ben. „Wir brauchten also eine Krankenschwester oder Ärztin für das Gesundheitszentrum.“

Einige der Männer nickten, und Sawyer verzichtete darauf, sie daran zu erinnern, dass Pearl ständig davon sprach – besonders im Winter, wenn es nur für ein paar Stunden am Tag hell wurde und die lang andauernde Dunkelheit aufs Gemüt schlug.

„Ich weiß, was du denkst.“ Ben schaute ihn an. „Aber hast du dich auch schon mal gefragt, ob Pearl nicht tatsächlich gehen würde, wenn jemand ihren Job übernehmen würde?“

Das hatte Sawyer nicht getan. Die sechzigjährige Frau lebte schon sehr lange in Hard Luck. Als seine Mutter Ellen noch in dem Ort gewohnt hatte, war Pearl ihre Freundin gewesen, und sie hatte stets bei Streitigkeiten zwischen den Einwohnern vermittelt. Falls sie den Ort eines Tages verlassen sollte, würde er sie vermissen.

„Wir können sie fragen, ob sie sich wirklich zur Ruhe setzen will“, sagte er. „Aber wir dürfen ihr nicht das Gefühl vermitteln, dass wir sie nicht mehr haben wollen.“

„Ich werde mit ihr reden“, versprach Christian.

„Ich könnte auch jemand gebrauchen“, erklärte Ben. „Schließlich werde ich nicht jünger. Also setz zwei Teilzeitkräfte mit auf deine Liste – eine Köchin und eine Kellnerin.“

Alle lächelten zustimmend. Sawyer wollte kein Spielverderber sein, doch irgendjemand musste den Männern die Augen öffnen. „Und wo sollen diese Frauen wohnen?“ fragte er daher.

Daraufhin wurden alle ernst, was beinahe komisch wirkte. Sawyer musste sich jedoch eingestehen, dass ihm die Idee, Frauen nach Hard Luck zu holen, immer besser gefiel. Nicht, dass er darauf aus war, sein Junggesellendasein zu beenden. Er hatte sich geschworen, niemals zu heiraten, weil die Ehe seiner Eltern unglücklich gewesen war. Allerdings hatte Catherine Fletcher einen wesentlichen Teil dazu beigetragen.

Sawyer schüttelte den Kopf. Eine Heirat kam für ihn nicht in Frage, und seine Brüder hatten offenbar auch nicht vor, in den Hafen der Ehe zu steuern.

Er konzentrierte sich wieder auf das aktuelle Problem. Da niemand wusste, wo die Frauen untergebracht werden konnten, fühlte er sich verpflichtet, die Männer auf die anderen Nachteile ihres Plans hinzuweisen. Im Grunde war das Ganze eine Schnapsidee.

„Es hätte sowieso nicht funktioniert“, sagte er.

„Warum nicht?“ erkundigte sich Christian.

„Frauen sind nie zufrieden mit dem, was sie haben. Sobald sie hier sind, wollen sie versuchen, alles zu verändern.“ Immerhin hatte Sawyer es selbst miterlebt. „Ich möchte jedenfalls nicht, dass sich irgendetwas hier ändert. Wir haben es hier verdammt gut.“

„Stimmt“, bestätigte sein Bruder ausdruckslos.

„Die Ladies werden im Handumdrehen einen Ehering am Finger haben und uns an die Kette legen. Schlimmer noch, sie werden uns davon überzeugen, dass wir es uns schon immer so gewünscht haben.“

„Mir wird das nicht passieren“, schwor John. „Es sei denn …“

Damit er nicht schwach wurde, fuhr Sawyer schnell fort: „Ehe man sich’s versieht, schicken sie uns nach Fairbanks, weil die eine oder andere von ihnen plötzlich Appetit auf Diäteis hat.“ Er konnte es sich immer besser vorstellen. „Wir müssen auf unsere Ausdrucksweise achten, uns jeden Tag rasieren, beim Abendessen den Fernseher ab schalten … und …“

„Du hast Recht“, bestätigte Duke. „Wahrscheinlich müsste ich mir sogar den Bart abnehmen.“

Die Männer verzogen das Gesicht, als würden sie bereits die Rasierklinge spüren.

Wenn Frauen herkommen, würden sie meine Männer innerhalb einer Woche um den Finger wickeln, dachte Sawyer. Dann kann ich sie genauso gut entlassen.

Christian rieb sich nachdenklich das Kinn. „Was ist mit den Blockhäusern?“

„Meinst du die alten Jagdhütten, die dein Vater am Ortsrand gebaut hat?“ erkundigte sich Ralph.

„Genau die. Dad hat sie in den fünfziger Jahren gebaut, bevor er das Hotel hatte. Er vermietete sie an Angler und Jäger, die das Wochenende oder ihren Urlaub hier verbrachten. Die Hütten sind ganz einfach und bestehen nur aus einem mittelgroßen Raum.“

„Es hat schon seit Jahren niemand mehr darin gewohnt“, erinnerte Sawyer ihn.

„Sie sind aber sehr solide und völlig in Ordnung – abgesehen von etwas Staub. Man könnte gut darin wohnen“, erklärte Christian mit wachsender Begeisterung. „Man muss sie bloß sauber machen und einige kleine Reparaturen ausführen.“

Sawyer glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Eine Frau aus der Stadt brauchte nur einen Blick in diese Blockhäuser zu werfen und würde Hard Luck mit dem nächsten Flugzeug verlassen. „Es gibt dort weder fließendes Wasser noch Strom.“

„Nein. Noch nicht.“

Jetzt war Sawyer klar, worauf sein Bruder hinauswollte. „Ich werde nicht einen Cent in diese heruntergekommenen Schuppen investieren.“

„Sie sind nicht viel wert, stimmt’s?“

„Nein“, erwiderte Sawyer misstrauisch. „Warum?“

„Dann wäre es also kein großer Verlust, wenn wir sie verschenken würden.“

„Sie verschenken?“ Sawyer war klar, dass niemand die Blockhäuser kaufen würde, doch er bezweifelte, dass irgendjemand sie geschenkt nehmen würde.

„Wir müssen den Frauen einen Anreiz bieten, nach Hard Luck zu ziehen, findest du nicht?“ ließ Christian nicht locker. „Wir bieten ihnen schließlich keine Ehe.“

„Du hast Recht. Genau das tun wir nicht“, bestätigte John.

„Ich bin nur an weiblicher Gesellschaft interessiert, das ist alles“, sagte ein anderer Pilot.

Nachdem alle bekräftigt hatten, dass sie derselben Meinung waren, blickte sich Sawyer in der Runde um. „Die meisten Frauen wollen aber heiraten.“

„Es gibt genug Jobs unterhalb des achtundvierzigsten Breitengrads.“ Was Christian sagte, klang einleuchtend. Und genau damit hatte Sawyer seine Probleme, wenn es um seinen kleinen Bruder ging. Christian konnte die lächerlichste Idee so Vorbringen, dass sie einem absolut vernünftig vorkam. „Stimmt’s?“

„Stimmt“, erwiderte Sawyer misstrauisch.

„Also, wie ich bereits sagte, müssen wir diesen Frauen einen Anreiz bieten.“

„Du willst ihnen die Blockhäuser geben? Als Anreiz?“

„Klar. Und wenn sie fließendes Wasser und Strom haben wollen, müssen sie die Installation selbst bezahlen.“

Sawyer sah sich wieder in der Runde um. Die anderen schienen nichts dagegen zu haben. Er hätte sich denken können, dass Christians Idee bei seinen enthaltsam lebenden Männern auf fruchtbaren Boden fallen würde.

„Zuerst werden wir die Häuser reinigen.“ Christian sagte es so, als wäre es das Mindeste, was sie tun konnten.

„In einer der Hütten haben wir letztes Jahr einen Bären gefunden“, erinnerte Sawyer ihn.

„Der hat sich dort nur umgeschaut“, meinte Ralph. „Außerdem bezweifle ich, dass er wiederkommt, nachdem Mitch ihn in die Flucht geschlagen hat.“

„Allerdings ist es wohl besser, wenn wir es den Frauen gegenüber nicht erwähnen“, schlug Ben vor. „Sie sind meistens etwas ängstlich, wenn es um wilde Tiere geht.“

„Ja“, fügte John im Flüsterton hinzu. „Erzähl bloß nichts von den Tieren hier.“

„Erzählen?“ wiederholte Sawyer. Das hörte sich ja an, als wollten sie mit jeder Interessentin ein Bewerbungsgespräch führen.

„Den Frauen, wenn du mit ihnen redest“, erwiderte Ralph übertrieben geduldig.

„Ich soll mit den Frauen sprechen?“

„Natürlich.“ Duke tat so, als wäre es von Anfang an klar gewesen. „Entweder du oder Christian. Ihr seid schließlich diejenigen, die ihnen die Unterkunft zur Verfügung stellen.“

„Ihr solltet noch ein Stück Land dazugeben.“ Ben nahm die Kanne Kaffee, schenkte allen nach und stellte sie wieder auf die Warmhalteplatte. „Ihr O’Hallorans habt so viel Land, dass ihr gar nicht wisst, was ihr damit machen sollt. Bietet den Frauen ein Blockhaus und acht Hektar Land, wenn sie ein Jahr in Hard Luck wohnen und arbeiten.“

Die Piloten stimmten begeistert zu.

Sawyer hob die Hand, um für Ruhe zu sorgen. „Die Blockhäuser stehen aber nicht auf dem Land, das wir ihnen versprechen. Wenn wir etwas anderes behaupten …“

„Niemand hat gesagt, dass die Blockhäuser auf dem Grundstück stehen, oder?“ mischte Duke sich ein. „Außerdem sollte man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen.“ Er lachte leise über seinen kläglichen Witz.

Christian beachtete ihn gar nicht. „Ein Jahr scheint mir fair. Wenn es nicht klappt, können sie gehen – ohne bitteren Nachgeschmack.“

„Moment mal“, schaltete sich Sawyer ein. War er etwa der einzige, der noch nicht seinen Verstand verloren hatte? Frustriert wegen Phils Kündigung, war er ins Restaurant gekommen, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Nun sah alles noch schlimmer aus.

„Und wie sollen wir den Frauen unser Angebot unterbreiten?“ fragte Ralph.

„Wir werden Anzeigen aufgeben, wie wir bereits gesagt haben“, erklärte Christian. „Ich muss sowieso geschäftlich nach Seattle fliegen und kann dann gleich mit den Bewerberinnen sprechen.“

„Nicht so voreilig.“ Sawyer runzelte die Stirn. „Wir können die Blockhäuser und das Land nicht einfach verschenken, ohne vorher mit Charles darüber gesprochen zu haben. Außerdem kann man eine Stelle nicht nur für Frauen aus schreiben, ohne rechtliche Probleme zu bekommen.“

Christian grinste. „Es gibt Wege, das zu umgehen.“

„Aber wir müssen erst mit Charles darüber reden.“ Ihr älterer Bruder war stiller Teilhaber an ihrer kleinen Charterfluggesellschaft. Da es um ihren Familienbesitz ging, hatte er auch ein Wörtchen mitzureden.

„So viel Zeit haben wir nicht“, wandte Christian ein. „Du weißt genauso gut wie ich, dass Charles damit einverstanden sein wird. Seitdem er für Alaska Oil arbeitet, hat er sich kaum um die Firma gekümmert.“

„Am besten lasst ihr von einem Anwalt einen Vertrag aufsetzen“, schlug Ben vor.

„Gute Idee.“ Christian machte sich wieder Notizen. „Ich werde sofort alles in die Wege leiten. Die Anzeige in einer Zeitschrift zu veröffentlichen dauert zu lange. Ich setze heute Vormittag noch den Text auf und schicke sie an eine Zeitung in Seattle. Wir sollten auch noch in einer anderen Stadt inserieren. Ich könnte zum Beispiel nach Oregon fahren und Gespräche mit Frauen aus Portland führen. Zeit genug habe ich.“

„Klingt nicht schlecht.“

„Ich entwerfe das Bewerbungsformular“, erbot sich Sawyer widerstrebend. Ihm ging alles viel zu schnell. „Wisst ihr, Jungs …“ Er wollte wirklich kein Spielverderber sein, aber irgendjemand musste ja den Überblick behalten, und die anderen hatten offenbar ihn als Wortführer auserkoren. „Falls tatsächlich eine Frau so verrückt sein sollte, auf unser Angebot einzugehen, sollten wir schnellstens die Blockhäuser auf Vordermann bringen. Da kommt eine Menge Arbeit auf uns zu.“

„Ich helfe euch dabei“, sagte John begeistert.

„Ich auch.“

„Das werden wir wohl alle.“ Nachdem Duke seinen Kaffee ausgetrunken hatte, blickte er Christian aus zusammengekniffenen Augen an. „Sieh du nur zu, dass du für mich eine Blondine an Land ziehst.“

„Eine Blondine“, wiederholte Christian.

Sawyer schloss die Augen und stöhnte. Er hatte ein äußerst ungutes Gefühl bei der ganzen Sache.

1. KAPITEL

Es war wieder einer jener Tage gewesen, an denen alles schief ging. Abbey Sutherland setzte sich mit einer Tasse Tee in den großen Polstersessel und legte die Beine auf den Hocker. Dann schloss sie die Augen, um die herrliche Ruhe zu genießen.

Der Tag hatte schon schlecht angefangen, weil Scott verschlafen hatte und er und Susan infolgedessen den Schulbus verpasst hatten. Abbey fuhr sie also mit dem Wagen zur Schule und fuhr auch bei Rot über die Ampeln. Unterwegs musste sie sich zudem noch das Gejammer ihrer siebenjährigen Tochter anhören, denn Susan hatte ihren Lieblingspullover anziehen wollen, der noch in der Wäsche war.

Mrs. Duffy warf ihr einen bitterbösen Blick zu, als Abbey schließlich zehn Minuten zu spät in der Bücherei eintraf.

Nach dem Mittagessen kam es noch schlimmer. Sie erfuhr, dass man den Etat für das nächste Jahr gekürzt hatte und zwei Stellen gestrichen werden sollten. Da sie zuletzt eingestellt worden war, würde sie also in knapp drei Monaten arbeitslos sein.

Als Abbey um sechs müde und niedergeschlagen nach Hause gekommen war, hatte sie außerdem einen Brief von ihrem Vermieter erhalten, in dem eine Mieterhöhung angekündigt wurde.

Die Kinder hatten den ganzen Abend verrückt gespielt, als hätte sich ihre schlechte Stimmung auf sie übertragen. Abbey war so erschöpft, dass sie nicht einmal Lust hatte, ihre Lieblingsserie anzuschauen.

Während sie Tee trank, überlegte sie, was sie tun konnte. Sie hatte etwas Geld auf dem Sparbuch, aber es würde nicht einmal für einen Monat reichen. Ihre Eltern wollte sie auf keinen Fall wieder um Geld bitten, obwohl die beiden ihr beim ersten Mal sofort Hilfe angeboten und ihr noch nie Vorhaltungen gemacht hatten. Allerdings hatten sie sie gewarnt, nachdem Abbey verkündet hatte, sie wollte Dick Sutherland heiraten – zu Recht, wie sich heraus gestellt hatte. Nach fünf Jahren Ehe war Abbey mit ihren beiden Kindern nach Seattle zurückgekehrt – am Boden zerstört und ohne einen Cent in der Tasche.

Obwohl es ihren Eltern selbst finanziell nicht besonders gut ging, hatten sie ihr durch die schwere Zeit geholfen und ihr Geld geliehen, damit sie ihre Ausbildung beenden konnte. Abbey hatte fast drei Jahre gebraucht, um es ihnen zurückzuzahlen.

Ihr Blick fiel auf die Zeitung, die auf dem Hocker lag. Eigentlich konnte sie jetzt schon die Stellenanzeigen lesen. Sie glaubte jedoch nicht, dass sie einen neuen Job als Bibliotheksgehilfin finden würde. Da überall eingespart wurde, gab es so gut wie keine offenen Stellen mehr in diesem Bereich. Wenn sie aber bereit war umzuziehen …

„Mom.“ Scott stand plötzlich neben ihr.

„Ja.“ Abbey zwang sich, ihren neunjährigen Sohn anzulächeln.

„Jasons Hund hat Junge bekommen.“

Ihr war äußerst beklommen zumute. Scott redete seit Monaten davon, dass er einen Hund haben wollte. „Schatz, wir haben das schon so oft besprochen. In diesem Apartmentkomplex ist Tierhaltung nicht erlaubt.“

„Ich weiß, dass ich hier keinen Hund haben darf“, verteidigte er sich. „Ich dachte nur, wir könnten vielleicht umziehen, wenn wir mehr Miete zahlen müssen.“

„Und wenn wir eine neue Wohnung suchen, dann so eine, in der wir einen Hund halten dürfen, ja?“

Scott strahlte übers ganze Gesicht. „Jasons Welpen sind so süß, Mom. Weißt du, was meine Lieblingsrasse ist?“

Natürlich wusste sie es, aber ihm zuliebe fragte sie: „Welche denn?“

„Huskies.“

„Weil das Maskottchen der Universität von Washington ein Husky ist?“

„Auch, aber sie haben so kluge Augen, nicht? Und ich mag es, wie ihr Schwanz sich einrollt. Als Haustiere sind sie zu groß, aber trotzdem sind sie meine Lieblingshunde.“

Abbey streckte ihm die Hand entgegen. Obwohl Scott normalerweise nicht mehr mit ihr schmuste, setzte er sich zu ihr in den Sessel, lehnte den Kopf an ihre Schulter und seufzte laut. „Tut mir Leid, dass ich heute morgen verschlafen habe“, flüsterte er.

„Und mir tut es Leid, dass ich dich angeschrien habe.“

„Ist schon gut. Ich versprech’ dir, dass ich von jetzt an immer sofort aufstehe, wenn du rufst, okay?“

„Okay.“ Abbey schloss die Augen und atmete den Duft seines frisch gewaschenen Haars ein.

Eine Weile saßen sie schweigend so da.

„Du solltest jetzt lieber wieder ins Bett gehen“, sagte Abbey schließlich.

Scott stand auf. „Ziehen wir jetzt um?“ fragte er erwartungsvoll.

„Ich glaube schon“, erwiderte sie lächelnd.

„Nacht, Mom.“ Er lächelte ebenfalls. Dann drehte er sich um und verließ das Wohnzimmer.

Ihr war etwas leichter ums Herz, als sie die Zeitung in die Hand nahm und die Seite mit den Stellenangeboten aufschlug. Dabei fiel ihr Blick sofort auf eine Anzeige mit dem Text: „Einsame Männer in Hard Luck, Alaska, bieten Jobs, ein Zuhause und Land“. Es folgte eine Aufstellung der ausgeschriebenen Positionen.

Abbey blieb fast das Herz stehen, als sie sah, dass auch eine Bibliothekarin gesucht wurde.

Hard Luck in Alaska. Ein Job. Ein Zuhause mit einem Stück Land, das acht Hektar groß war. Du liebe Güte, das war mehr, als ihr Großvater damals besessen hatte, als er in Puyallup Himbeeren gezüchtet hatte!

Schnell holte Abbey ihren Atlas und blätterte darin, bis sie Alaska gefunden hatte. In der Liste mit den Ortsnamen war Hard Luck mit einhundertfünfzig Einwohnern verzeichnet.

Das Leben in einer Kleinstadt bedeutete normalerweise, dass es ein Gemeinschaftsgefühl gab. Das reizte sie, denn früher hatte sie immer sehr gern die Sommerferien auf der Farm ihrer Großeltern verbracht. Sicher würden sie und ihre Kinder sich rasch in einer Kleinstadt in Alaska eingewöhnen.

Als sie den Ort schließlich auf der Karte gefunden hatte, legte sich ihre Aufregung sogleich wieder. Hard Luck lag oberhalb des Polarkreises. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, dorthin zu ziehen.

Am nächsten Morgen ließ Abbey sich ihre Situation während des Frühstücks noch einmal durch den Kopf gehen.

„Kinder“, sagte sie nach einer Weile und atmete einmal tief durch. „Was würdet ihr davon halten, nach Alaska zu ziehen?“

Scott wurde sofort hellhörig. „Alaska? Da werden Huskies gezüchtet!“

„Ja, ich weiß.“

„Da ist es kalt, nicht?“ fragte Susan.

„Sehr kalt sogar.“

„Kälter als in Texas?“

„Viel kälter“, erklärte Scott wichtigtuerisch. „Es ist so kalt, dass man nicht mal Kühlschränke braucht. Stimmt’s, Mom?“

„Hm, ich glaube, man benutzt dort trotzdem Kühlschränke.“

„Aber wenn man keinen Strom hätte, bräuchte man keine, oder?“

„Stimmt.“

„Kann ich dort einen Hund haben?“

Abbey überlegte einen Moment. „Das weiß ich erst, wenn wir dort sind“, erwiderte sie schließlich.

„Können Grandma und Grandpa uns dort besuchen?“ erkundigte sich Susan.

„Bestimmt. Und wenn nicht, würden wir sie besuchen.“

Scott füllte sich Cornflakes in seine Schüssel, ohne darauf zu achten, dass diese schon voll war.

„Ich habe gestern eine Anzeige in der Zeitung gelesen“, erklärte Abbey. „In Hard Luck in Alaska wird eine Bibliothekarin gesucht, und es sieht so aus, als müsste ich mich bald nach einem neuen Job umschauen.“

Scott und Susan schwiegen.

„Bevor ich anrufe und um einen Termin für ein Gespräch bitte, wollte ich das Ganze erst mit euch besprechen.“

„Ich finde, du solltest es tun“, meinte Scott. Seine blauen Augen funkelten, und es war offensichtlich, dass er bereits Visionen von Huskies hatte.

„Es wird eine ziemliche Umstellung für uns alle sein.“

„Liegt da die ganze Zeit Schnee?“ wollte Susan wissen.

„Ich glaube nicht, aber ich kann mich ja erkundigen.“ Abbey überlegte, wie viel sie ihren Kindern sagen sollte. „In der Anzeige steht, dass man mit der Stelle ein Blockhaus und ein acht Hektar großes Grundstück bekommt.“

Scott, der gerade den Löffel zum Mund führte, hielt mitten in der Bewegung inne. „Kann man das Blockhaus und das Grundstück behalten?“

Sie nickte. „Allerdings müsste man sich verpflichten, ein Jahr dort zu wohnen. Ich glaube zwar nicht, dass sich viele Frauen um die Stelle bewerben, aber wer weiß? Es gibt nicht besonders viele freie Jobs für Bibliothekarinnen.“

„Ich könnte überall für ein Jahr leben. Tu es, Mom!“

„Und was sagst du dazu, Susan?“ Abbey nahm an, dass Susan die Entscheidung schwerer fallen würde.

„Gibt es da auch Mädchen, mit denen ich spielen kann?“

„Vermutlich schon, aber ich kann es dir nicht garantieren. Die Stadt hat nur einhundertfünfzig Einwohner. Das Leben wird dort ganz anders sein als hier.“

„Komm schon, Susan“, drängte Scott. „Wir hätten ein eigenes Haus.“

Susan seufzte und zuckte die Schultern. „Willst du denn umziehen, Mom?“

Abbey strich Susan das dichte braune Haar zurück. Vielleicht war sie materialistisch und völlig verrückt, aber das Blockhaus und das Grundstück gingen ihr nicht aus dem Kopf. Ein Grundstück, das nicht mit Hypotheken belastet war, Sicherheit und ein Job, der ihr Spaß machen würde – all das erwartete sie in Hard Luck, Alaska.

Abbey atmete wieder tief durch und nickte. „Dann sollten wir es wohl tun.“

Scott stieß einen Freudenschrei aus und sprang von seinem Stuhl auf, um seine Mutter an die Hand zu nehmen und mit ihr durch den Raum zu tanzen.

„Noch habe ich den Job nicht!“ rief sie außer Atem.

„Aber du bekommst ihn“, meinte er im Brustton der Überzeugung.

Sie hoffte nur, dass ihr Sohn Recht hatte.

Abbey trat zur Hotelrezeption und nannte ihren Namen.

„Mr. O’Halloran führt die Vorstellungsgespräche im Snoqualamie-Raum im zweiten Stock“, informierte der Empfangschef sie.

Sie umklammerte ihre Bewerbungsmappe fester, als sie auf den Fahrstuhl zuging. Ihr Herz klopfte schneller, und ihr war äußerst beklommen zumute.

Unwillkürlich dachte sie daran, wie zurückhaltend ihre Eltern reagiert hatten, als sie ihnen von ihrer Bewerbung erzählt hatte. Marie Murray würde ihre Enkel vermissen, die sie so gern verwöhnte, und Wayne, Abbeys Vater, war der Meinung, dass ihr nicht klar war, worauf sie sich einließ. Gleich nach ihrem ersten Telefonat mit Christian O’Halloran hatte Abbey sich einige Bücher über Alaska besorgt, sodass sie nun schon ziemlich viel über das Leben dort wusste.

Sie hatte beschlossen, die Stelle anzunehmen, falls man sie ihr anbieten würde. Egal, wie kalt die Winter in Hard Luck waren – es war besser, dort zu leben, als wieder Geld von ihren Eltern annehmen zu müssen.

Sobald sie den Raum gefunden hatte, steckte sie den Kopf zur Tür hinein. Ein schlanker Mann, der etwa Anfang Dreißig war, saß an einem Tisch und las. Neben ihm standen ein Krug mit Wasser und mindestens zwanzig Gläser.

„Hallo“, begrüßte sie ihn mit einem erwartungsvollen Lächeln. „Ich bin Abbey Sutherland.“

„Abbey.“ Unvermittelt stand er auf, als hätte sie ihn überrascht. „Ich bin Christian O’Halloran. Wir haben miteinander telefoniert. Bitte setzen Sie sich.“

Abbey nahm auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz und reichte ihm ihre Mappe.

Er warf nur einen flüchtigen Blick darauf und schob sie beiseite. „Danke. Ich werde sie mir später anschauen.“

Nervös faltete sie die Hände im Schoß und wartete.

„Sie bewerben sich um die Position der Bibliothekarin, stimmt’s?“

„Ja. Ich bereite mich auf meinen Abschluss in Bibliothekswissenschaften vor.“

„Das heißt, Sie sind keine aus gebildete Bibliothekarin.“

„Stimmt. Im Staat Washington muss man dafür den Magister in Bibliothekswissenschaften haben. In den letzten zwei Jahren habe ich als Gehilfin in der King-County-Bibliothek gearbeitet. Dort habe ich bei der Literatursuche geholfen, Auskünfte erteilt und Informationen beschafft. Außerdem habe ich Computerkenntnisse.“ Sie zögerte und überlegte, ob sie weitersprechen sollte.

„Das klingt großartig. Momentan gibt es in Hard Luck keine richtige Bücherei. Allerdings haben wir die entsprechenden Räumlichkeiten …“

„Und Bücher?“

„O ja, Hunderte. Jemand hat sie der Stadt geschenkt, und wir suchen jemand, der in der Lage ist, eine Leihbücherei aufzubauen.“

„Das wäre für mich kein Problem.“ Abbey nannte ihm die Aufgaben, die ihre Tätigkeit umfasst hatte. Allerdings wurde sie das Gefühl nicht los, dass Christian O’Halloran sich gar nicht so sehr für ihre beruflichen Qualifikationen interessierte.

Er nannte das Gehalt. Es war zwar niedriger als ihr jetziges, doch sie würde davon keine Miete bezahlen müssen. Dann wusste er offenbar nicht mehr, was er fragen sollte.

„Können Sie mir etwas über das Gebäude sagen?“ erkundigte sie sich daher.

„Ja, sicher. Es war früher einmal ein Wohnhaus – die Heimstätte meines Großvaters –, aber es wird Ihnen wohl keine Schwierigkeiten machen, es in eine Bücherei umzuwandeln, oder?“

„Ich glaube nicht.“

„Ihnen ist hoffentlich klar, dass das Leben in Hard Luck ganz anders sein wird als in Seattle“, bemerkte Christian.

Genau das hatte ihr Vater auch gesagt. „Ja, das ist mir klar. Könnten Sie mir etwas über das Haus und das Land erzählen, das Sie anbieten?“

„Gern.“

„Würden Sie mir bitte zuerst das Haus beschreiben?“

Christian zögerte, bevor er antwortete. „Es ist sehr klein und ziemlich … rustikal.“ Er fuhr stockend fort: „Es hat einen … ländlichen Touch. Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist gemütlich, aber anders als das, was Sie gewohnt sind.“

„Das kann ich mir vorstellen. Erzählen Sie mir von Hard Luck.“

Nun entspannte er sich zusehends. „Es ist wohl der schönste Ort auf der Welt, aber Sie müssen sich selbst eine Meinung bilden. Im Sommer scheint die Sonne fast vierundzwanzig Stunden am Tag. Die Wildblumen blühen in allen erdenklichen Farben, und die Wälder und die Tundra leuchten orange, rot und golden.“

„Das hört sich vielversprechend an. Und wie ist es im Winter?“

„Oh … ja, im Winter ist es auch schön, allerdings auf eine andere Art. Ich glaube, niemand hat wirklich gelebt, bevor er nicht unsere Lightshow gesehen hat.“

„Das Polarlicht.“

„Ich möchte Ihnen nichts vormachen“, fuhr Christian fort. „Im Winter wird es verdammt kalt – oft sogar bis minus vierzig oder fünfzig Grad.“

„Du meine Güte!“ Abbey wusste das bereits, doch aus seinem Mund klang es noch dramatischer.

„An solchen Tagen kommt fast alles zum Erliegen. Normalerweise fliegen wir dann auch nicht.“

Sie nickte. Er hatte ihr am Telefon bereits von Midnight Sons, der kleinen Charterfluggesellschaft der Brüder O’Halloran, erzählt.

„Was ist zum Beispiel mit der Schule?“ erkundigte sie sich. Während ihres Telefonats hatte sie von ihm erfahren, dass es in Hard Luck eine Schule gab, die Kindergarten, Grund- und weiterführende Schule in einem war.

„Da man bei der Kälte nichts machen kann, rücken wir sozusagen zusammen. Der Unterricht fällt allerdings nur ganz selten aus.“ Er schwieg einen Moment. „In Hard Luck ist jeder auf den anderen angewiesen.“

„Wie sieht es mit der Lebensmittelversorgung aus?“

„Alle Einwohner decken sich einmal im Jahr mit Vorräten ein. Aber falls man mal etwas braucht, gibt es immer noch den kleinen Lebensmittelladen von Pete Livengood, oder einer der Piloten kann Ihnen etwas aus Fairbanks mitbringen. Midnight Sons fliegt Fairbanks nämlich täglich an. Öl wird täglich geliefert.“

„Kann man auch mit dem Wagen nach Fairbanks fahren? Es scheint keine Straße zu geben, die dorthin führt.“

„Doch, es gibt eine unbefestigte Straße“, erwiderte er stolz.

Abbey war erleichtert. Falls sie den Job bekam, musste sie ihre Möbel und persönlichen Gegenstände nach Hard Luck bringen lassen, und per Flugzeug wäre es sicher zu kostspielig gewesen.

„Haben Sie noch Fragen?“ erkundigte sie sich.

„Nein.“ Christian warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Würden Sie bitte ein Bewerbungsformular ausfüllen? Ich werde wohl morgen noch Gespräche führen. Wenn es Ihnen recht ist, rufe ich Sie morgen Nachmittag an.“

Sie stand auf. „Ja, gern.“

Er reichte ihr das Formular, das sie rasch ausfüllte und ihm zurückgab.

Schließlich stand er auf und reichte ihr die Hand. „Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen.“

„Ganz meinerseits.“ Abbey ging zur Tür und blieb dort noch einmal stehen. Sie brauchte den Job, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder finanzieren zu können. Doch mittlerweile war ihr klar geworden, dass sie ihn nicht nur brauchte, sondern auch wollte.

Sie freute sich darauf, ganz allein eine Bücherei aufzubauen, aber es war nicht bloß das. Als dieser Mann von Hard Luck gesprochen hatte, hatten seine Augen geleuchtet, und er hatte mit leidenschaftlichem Tonfall die Schönheit seiner Heimat beschrieben. „Mr. O’Halloran?“ sagte sie spontan.

Christian O’Halloran hatte sich bereits wieder gesetzt und blickte von seinen Papieren auf. „Ja?“

„Wenn Sie mir die Stelle geben, verspreche ich Ihnen, Sie und die Einwohner von Hard Luck nicht zu enttäuschen.“

Er nickte. „Und ich verspreche Ihnen, Sie bald anzurufen.“

„Und?“ Scott schaute seine Mutter erwartungsvoll an, als sie nach Hause kam. „Wie war das Gespräch?“

Abbey streifte ihre Pumps ab. „Gut – hoffe ich jedenfalls.“

„Kriegst du den Job?“

Sie wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen. „Ich weiß nicht, Schatz. Wo ist Missy?“ Seit sie den Teenager so gut fürs Babysitten bezahlte, erwartete sie auch, dass Missy ihre Kinder nicht aus den Augen ließ.

„Sie muss für ihre Mutter etwas in den Backofen tun und hat Susan mitgenommen. Sie sind bald wieder da.“

Abbey ließ sich auf ihren Lieblingssessel sinken und legte die Füße auf den Hocker. „Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“

„Ich hab’ nichts auf. Es sind ja bald Ferien.“

„Ich weiß.“

Vor den Sommermonaten graute ihr bereits, denn die Freizeitaktivitäten für die Kinder und die Betreuung durch einen Babysitter wurden immer teurer. Und Scott war schon fast aus dem Alter heraus, wo er einen Aufpasser brauchte.

„Kann ich zu Jason rübergehen?“ fragte Scott erwartungsvoll. „Ich bin auch zum Abendessen wieder zurück.“

Abbey nickte. Ihr war durchaus klar, dass er sich weniger für Jason als für dessen Hunde interessierte.

2. KAPITEL

Lawyer betrat das lange Wohnmobil, das neben der unbefestigten Start- und Landebahn lag und als Büro von Midnight Sons diente. Seit sie das Unternehmen acht Jahre zuvor gegründet hatten, hatten sie vor, irgendwann ein richtiges Bürogebäude zu errichten. In dieser Zeit hatten Charles und Sawyer sich ein eigenes Haus gebaut. Sawyers lag gegenüber von Christians Haus, in dem früher die ganze Familie gewohnt hatte, während das von Charles in einer anderen Straße lag. Ihre Firma hielt sie allerdings so auf Trab, dass der Bau eines Büros nur eines von vielen Dingen war, zu denen sie nicht gekommen waren.

Sawyer ließ sich erschöpft auf den Drehstuhl hinter Christians Schreibtisch fallen. Es war harte Arbeit, die alten Blockhäuser sauber zu machen, und erstaunlicherweise halfen die Piloten eifrig mit. Da die Substanz in Ordnung war, hatten einige kleinere Reparaturen und der Einsatz von Putzmitteln und Wasser wahre Wunder gewirkt. Allerdings bezweifelte Sawyer, dass auch nur eine der Frauen sich von einem vierzig Jahre alten Blockhaus beeindruckt zeigen würde.

Als das Telefon klingelte, nahm er den Hörer ab. Dabei bemerkte er, dass die Anzeige auf dem Anrufbeantworter blinkte.

„Midnight Sons.“

„Wo hast du den ganzen Tag gesteckt?“ meinte Christian unwirsch. „Ich habe dreimal eine Nachricht hinterlassen, dass du mich zurückrufen sollst.“

„Tut mir Leid.“ Sawyer hätte gern mit ihm getauscht. Während sein Bruder sich herumtrieb, um Ersatzteile zu kaufen, mit Reiseveranstaltern verhandelte und sich mit Frauen traf, hatte er, Sawyer, den Schrubber geschwungen. Jedenfalls hatte er in der letzten Woche so viele Spinnweben gesehen, dass es ihm bis an sein Lebensende reichte.

„Du kannst Duke ausrichten, dass ich eine Blondine für ihn gefunden habe“, verkündete Christian triumphierend. „Ihr Name ist Allison Reynolds, und sie wird unsere neue Sekretärin – vielleicht.“

Sawyer musste sich eine ärgerliche Bemerkung verkneifen. „Und welche Qualifikationen hat sie?“

„Abgesehen davon, dass sie blond ist?“ Christian lachte leise. „So etwas habe ich noch nicht erlebt, Sawyer. Nachdem ich die Anzeige in die Zeitung gesetzt hatte, wurde der Auftrags dienst mit Anrufen überschwemmt. Es gibt anscheinend viele einsame Frauen.“

„Weiß unsere neue Sekretärin, dass sie in einem Blockhaus leben und auf jeglichen Komfort verzichten muss?“

„Von dem Blockhaus habe ich ihr natürlich erzählt, aber ich bin nicht dazu gekommen, ihr die Einzelheiten zu schildern.“

„Christian! Sie erwartet sicher moderne sanitäre Anlagen statt einer separaten Toilette draußen. Frauen mögen derartige Überraschungen nicht.“

„Ich wollte sie nicht ab schrecken“, verteidigte sich Christian. „Ich habe ihr den Job angeboten, und sie wollte es sich noch einmal überlegen. Wenn sie zusagt, kann ich ihr ja die Einzelheiten schildern.“

„Heißt das, aus der Masse der Bewerberinnen hast du ausgerechnet die Frau ausgesucht, die nicht sicher war, ob sie die Stelle wollte?“ Sawyer musste wirklich an sich halten, um nicht den Hörer auf die Gabel zu knallen.

„Glaub mir, Allison will den Job. An ihrer Stelle würde ich es mir auch noch einmal durch den Kopf gehen lassen.“ Christian machte eine Pause, bevor er fortfuhr: „Die Anzeige war gut. Wir haben damit erreicht, was wir wollten.“

Sawyer hatte den Text sorgfältig geprüft, aus Angst, eine Formulierung könnte unklar sein oder den Eindruck vermitteln, dass Männer sich nicht bewerben durften.

„Ich habe in den letzten Tagen wohl mit mindestens dreißig Frauen gesprochen“, berichtete Christian begeistert. „Und viele haben sich telefonisch nach den Einzelheiten erkundigt.“

„Hat sich auch eine Bibliothekarin gemeldet?“

„Ein paar, aber es waren wesentlich mehr Sekretärinnen dabei. Als ich Allison gesehen habe …“

„Kann sie Schreibmaschine schreiben?“

„Ich nehme es an. Schließlich arbeitet sie in einem Büro.“

„Hast du sie probetippen lassen?“ erkundigte Sawyer sich empört.

„Verdammt, wozu? Wir brauchen doch keine Sekretärin, die dreihundert Anschläge pro Minute schafft. Außerdem bin ich in einem Hotel. Wo soll ich eine Schreibmaschine herzaubern?“

Sawyer fuhr sich über die Stirn. „Ich glaube das einfach nicht.“ „Warte, bis du sie siehst“, erklärte Christian begeistert. „Sie ist eine Wucht!“

„Na wunderbar!“ Sawyer konnte es sich bereits lebhaft vorstellen: Seine Crew würde im Büro herumhängen und diese Blondine anhimmeln, statt zu fliegen.

„Pass auf, dass du nicht ins Fettnäpfchen trittst“, riet Christian. „Ich habe viel erreicht. Du solltest dich freuen.“

„Den Eindruck habe ich aber nicht!“ tobte Sawyer.

„Ich habe mich noch nicht entschieden, welche Frau ich als Bibliothekarin einstellen soll. Es war eine Bewerberin dabei, die den Job offenbar unbedingt haben wollte. Ich frage mich bloß, warum. Schließlich haben wir nicht viel zu bieten.“

„Ein Haus und acht Hektar Land klingen aber vielversprechend“, meinte Sawyer wütend.

„Meinst du, ich sollte sie engagieren?“

„Wenn sie qualifiziert ist und den Job will, dann stell sie ein.“

„Gut. Ich rufe sie gleich an, um alles mit ihr zu besprechen.“

„Moment mal. Ist sie hübsch?“ Allmählich verlor Sawyer das Vertrauen in Christians Urteilsvermögen. Der Himmel mochte ihnen beistehen, wenn sein Bruder alle Bewerberinnen nach ihrem Aussehen einstellte.

Christian zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Ja, das ist sie. Allerdings haut sie einen nicht um wie Allison. Sie ist eher durchschnittlich hübsch – mittelgroß, braunes Haar, braune Augen, Stupsnase. Was Allison dagegen betrifft … Warte nur, bis John sie von vorn sieht.“ Wieder lachte Christian.

„Stell sie ein“, erwiderte Sawyer unwirsch.

„Allison? Ich habe dir doch gesagt, dass sie es sich noch einmal überlegen will.“

„Ich meinte die Bibliothekarin.“

„Oh, also gut, von mir aus.“

Sawyer stützte die Ellbogen auf den Tisch und schüttelte den Kopf. „Gibt es sonst noch etwas, das du mir erzählen wolltest?“

„Nicht viel. Ich führe erst einmal keine Gespräche mehr. Allison, die Bibliothekarin und die neue Lehrerin – das reicht fürs Erste. Wir sollten abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Bis dahin behalte ich die Unterlagen der anderen Bewerberinnen.“

„Ja, das reicht.“ Sawyer gab sich keine Mühe, seine schlechte Laune zu verbergen.

„Ach, was ich dir noch sagen wollte. Falls Allison den Job annimmt, kann sie erst in ein paar Wochen anfangen, weil sie eine Reise gebucht hat. Wir haben jetzt so lange gewartet, dass es darauf auch nicht mehr ankommt.“

„Warum hast du ihr nicht erklärt, dass sie auch nächstes Jahr anfangen kann?“

„Sehr witzig“, konterte Christian. „Was ist eigentlich los mit dir, Bruderherz? Bist du etwa neidisch auf mich? Na ja, ich kann es dir nicht verdenken. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht, all die Frauen kennen zu lernen. Bis später.“ Dann legte Christian auf.

Abbey war am Boden zerstört. Sie hatte den Job nicht bekommen, denn wenn Christian O’Halloran sie eingestellt hätte, hätte er sich längst bei ihr gemeldet.

Auch Scott und Susan stocherten lustlos in ihrem Essen herum. Keiner von ihnen schien großen Appetit zu haben.

„Es sieht nicht so aus, als würde ich den Job in Alaska bekommen“, erklärte Abbey, um ihnen keine falschen Hoffnungen zu machen. „Mr. O’Halloran, mit dem ich das Gespräch geführt habe, hätte mich sonst längst angerufen.“

Scott lächelte tapfer. „Du findest bestimmt etwas anderes, Mom.“

„Ich wollte so gern nach Alaska ziehen.“ Susan war den Tränen nahe. „Ich hab’ allen in meiner Klasse erzählt, dass wir Weggehen.“

„Das tun wir auch“, versuchte Abbey, sie zu trösten. „Doch wir werden nicht nach Alaska ziehen.“

„Können wir irgendwann mal hinfahren?“ fragte Scott. „Ich hab’ in den Büchern gelesen, die du mitgebracht hast. Es muss ganz toll dort sein.“

„Irgendwann“, versprach sie.

Als im nächsten Moment das Telefon klingelte, das an der Küchenwand hing, drehten die Kinder sich erwartungsvoll um.

„Der Anrufbeantworter ist eingeschaltet.“ Abbey duldete grundsätzlich nicht, dass sie beim Abendessen gestört wurden.

Als der Signalton nach der Ansage ertönte, lauschten alle drei angespannt.

„Hier ist Christian O’Halloran.“

„Mom!“ rief Scott aufgeregt.

Abbey sprang auf, lief zum Telefon und riss den Hörer von der Gabel. „Hallo, Mr. O’Halloran“, meldete sie sich ganz außer Atem. „Hallo“, erwiderte Christian. „Gut, dass ich Sie erreiche.“

„Das freut mich auch. Haben Sie sich entschieden?“

„Sie haben den Job, wenn Sie ihn immer noch wollen.“

„O ja.“ Abbey gab ihren Kindern ein Zeichen, indem sie den Daumen hochstreckte.

„Wann können Sie anfangen?“

Abbey war sicher, dass sie kurzfristig kündigen konnte. „Wann es Ihnen passt.“

„Wie wär’s gleich nächste Woche?“ schlug Christian vor. „Ich komme zwar erst später von meiner Geschäftsreise zurück, aber mein Bruder Sawyer kann Sie in Fairbanks abholen.“

„Nächste Woche?“

„Benötigen Sie noch mehr Zeit?“

„Nein, nein“, beeilte sie sich zu sagen, aus Angst, er könnte seine Meinung ändern. Sie konnte die Kinder etwas früher aus der Schule nehmen, und zum Packen würde sie auch nicht lange brauchen.

„Prima. Wir sehen uns dann in Hard Luck.“

„Danke, Mr. O’Halloran. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue. Ach, und noch etwas …“ Abbey wollte ihm nicht verschweigen, dass sie Scott und Susan mitbrachte, denn von Kindern hatte nichts in der Anzeige gestanden.

„Ich komme gleich, Allison“, sagte Christian leise.

„Wie bitte?“

„Ich bin zum Essen verabredet“, erklärte er. „Also, mein Bruder wird Sie in Fairbanks abholen. Ich setze mich mit dem Reisebüro in Verbindung, damit man Sie wegen des Flugtickets anruft.“

„Bezahlen Sie das Ticket?“

„Natürlich. Und Sie brauchen keine Wintersachen mitzunehmen. Sie können hier alles kaufen.“

„Aber …“

„Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, Ihre Fragen zu beantworten“, unterbrach er sie, „aber Sawyer wird Sie über die Einzelheiten informieren.“

„Mr. O’Halloran …“

„Viel Glück in Hard Luck, Abbey.“

„Danke.“ Abbey gab es auf. Er würde von Scotts und Susans Existenz erfahren, wenn er zurückkehrte. Die Stadt würde jedenfalls eine sehr gute Bibliothekarin bekommen – und eine Zugabe!

„Soll ich heute Nachmittag wirklich nicht nach Fairbanks fliegen und die neue Bibliothekarin abholen?“ John Henderson setzte sich rittlings auf den Stuhl Sawyer gegenüber. Johns Haar war ordentlich gekämmt, und es sah aus, als würde er ein neues Hemd tragen.

„Nur zu!“ So wie die Leute in Hard Luck sich benahmen, hätte man meinen können, eine First Lady hätte ihren Besuch angekündigt. Duke war an diesem Morgen frisch rasiert und geschniegelt in Bens Restaurant aufgetaucht und hatte durchdringend nach Aftershave gerochen. Sawyer musste sich ein Grinsen verkneifen. Die nächste Frau würde in wenigen Tagen eintreffen, und er fragte sich, wann die Männer es leid sein würden, sich so herauszuputzen.

„Nur über meine Leiche!“ rief Duke. „Wir wissen schließlich alle, was passiert ist, als John das letzte Mal eine Frau hierher geflogen hat.“

„Das war nicht meine Schuld. Wie oft soll ich es euch noch sagen?“

„Schluss damit! Ich hole sie ab.“ Als Sawyer sich abwandte, fiel sein Blick auf die Tafel, auf die Ben gerade die Tageskarte schrieb.

„Beef Wellington?“ erkundigte Sawyer sich verblüfft.

„Na und?“ entgegnete Ben herausfordernd. „Ich will unserer neuen Bibliothekarin bloß zeigen, dass wir zivilisiert sind.“

Für Sawyer lief das Projekt nicht besonders vielversprechend an. Er hätte seinen letzten Dollar darauf verwettet, dass keine der Frauen den Winter in Hard Luck überstehen würde. Mittlerweile betrachtete er das Ganze noch skeptischer als am Anfang.

„Hast du schon mit den Leuten von der Zeitung gesprochen?“ Ben stellte einen Teller mit Rührei und Toast vor ihm auf den Tisch. „Nein.“ Sawyer runzelte die Stirn. Es war nicht weiter verwunderlich, dass die Journalisten auf ihre Aktion aufmerksam geworden waren und jetzt unbedingt eine Story wollten. Christian hatte ihnen seinen Namen gegeben, und sie hatten ihn die ganze Woche bedrängt. Am liebsten hätte Sawyer seinen kleinen Bruder erwürgt.

Da die erste Frau bald eintreffen würde, bedauerte er, dass er Charles nicht in ihren Plan hatte einweihen können. Da er als Geologe für Alaska Oil tätig war, war er oft wochenlang unterwegs – wie auch jetzt.

Sawyer war fest davon überzeugt, dass Charles sie alle für verrückt erklären würde, wenn er davon erfuhr.

„Das Blockhaus ist jedenfalls fertig“, erklärte Duke zufrieden.

Nachdem sie die Wände und den Boden abgeschrubbt hatten, hatten Sawyer und einige andere Männer die alten Möbel aus dem Lagerraum des Hotels geholt. Er hatte Bedenken gehabt, die alten Matratzen wieder in Gebrauch zu nehmen, aber Pearl und die anderen Frauen hatten sie ausgiebig gelüftet.

Als Sawyer auf dem Weg zu Bens Restaurant einen Blick in das Blockhaus geworfen hatte, hatte er sich eingestehen müssen, dass es fast einladend aussah. Der schwarze Ofen war auf Hochglanz poliert, und die Frauen hatten für das Fenster Gardinen mit einem Blumenmuster und für den Holztisch eine Decke aus demselben Stoff genäht. Außerdem hatte man die Regale mit Vorräten bestückt, und irgendjemand hatte sogar einen Kühlschrank gestiftet.

Das Bett mit der sonnengebleichten Bettwäsche und der dünnen Wolldecke erinnerte an eine Gefängnispritsche, doch das behielt Sawyer lieber für sich. Pearl und ihre Freundinnen hatten sich wirklich viel Mühe dabei gegeben, das Blockhaus wohnlich zu machen. Jemand hatte sogar eine Vase mit Blumen auf den Tisch gestellt – direkt neben die Petroleumlampe und den Dosenöffner.

„Woran willst du sie eigentlich erkennen, wenn sie aus dem Flugzeug steigt?“ erkundigte sich Ben, der direkt vor Sawyer stand und ihm beim Essen zusah.

„Ich werde die Jacke mit dem Firmenemblem tragen“, erwiderte Sawyer. „Sie muss also mich erkennen.“

„Wie heißt sie noch?“

„Abbey Sutherland.“

„Sicher ist sie hübsch.“

Seine Männer schauten verklärt aus dem Fenster. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

„Ich verschwinde lieber, bevor mir noch schlecht wird“, bemerkte er spöttisch.

„Soll ich dich wirklich nicht begleiten?“ fragte John.

„Nein, wirklich nicht.“ Auf dem Rückflug musste Sawyer die Post und eine große Lieferung Konserven für den Lebensmittelladen mitnehmen. Er hoffte inständig, dass Abbey Sutherland mit leichtem Gepäck reiste, denn in der „Baron“ war nur Platz für zwei Koffer.

Nachdem er sich seine Jacke geschnappt hatte, die über der Stuhllehne hing, verließ er das Restaurant und ging über die Hauptstraße von Hard Luck zur Start- und Landebahn.

Sawyer war so oft nach Fairbanks geflogen, dass er die Strecke sogar mit verbundenen Augen hätte zurücklegen können. Sobald er nach der Landung die Post und die Lebensmittel eingeladen hatte, machte er sich mit einem äußerst unbehaglichen Gefühl auf den Weg zum Terminal. Dort warf er einen Blick auf den Monitor, um sich zu vergewissern, dass das Flugzeug pünktlich landete. Dann holte er sich einen Kaffee und ging zu dem entsprechenden Flugsteig.

Dass zu dieser Jahreszeit so viel Betrieb im Flughafen herrschte, wunderte ihn. Die meisten Leute waren vermutlich Touristen. Das Erste, was man bemerkte, wenn man die Ankunftshalle betrat, war ein riesiger Eisbär, der auf den Hinterbeinen stand. Obwohl Sawyer ihn schon unzählige Male gesehen hatte, war er von dem Anblick immer noch beeindruckt.

Das Flugzeug war pünktlich gelandet. Während er seinen Kaffee trank, beobachtete er die Passagiere, die hereinkamen, und fragte sich, woran er Abbey Sutherland erkennen sollte. Sein Bruder hatte gesagt, sie sei „durchschnittlich“ hübsch.

Diese Beschreibung traf auf alle weiblichen Passagiere zu – mit einer Ausnahme.

Eine junge Frau in Begleitung von zwei Kindern trat in die Ankunftshalle und schaute sich erwartungsvoll um. Das Mädchen, das höchstens sechs oder sieben Jahre alt war, drückte einen Stoffbären an seine Brust. Der Junge war zwei oder drei Jahre älter und schien sein Temperament kaum zügeln zu können.

Die Frau war nicht nur hübsch, sondern schön, wie Sawyer entschied. Sie hatte kinnlanges dichtes braunes Haar und warm blickende braune Augen. Auch ihre ruhige Art gefiel ihm.

Als sie sich umsah, hielt sie ihre Kinder fest. Sie schien ebenfalls jemand in der Menge zu suchen.

Schließlich zwang er sich, den Blick von ihr abzuwenden, um Ausschau nach der Bibliothekarin zu halten.

Braunes Haar und eine Stupsnase …

Wieder richtete er sein Augenmerk auf die Frau mit den beiden Kindern. Als ihre Blicke sich begegneten, lächelte die Frau. Es war kein schüchternes oder kokettes Lächeln, sondern offen und freundlich, als hätte sie ihn erkannt und als erwartete sie, auch erkannt zu werden.

Schließlich kam sie geradewegs auf ihn zu. „Hallo“, grüßte sie.

„Hallo.“ Da Sawyer befürchtete, die Bibliothekarin zu verpassen, schaute er an ihr vorbei.

„Ich bin Abbey Sutherland.“

Sofort sah er wieder sie, dann die beiden Kinder an.

„Das sind meine Kinder, Scott und Susan“, erklärte sie. „Vielen Dank, dass Sie uns abholen.“

3. KAPITEL

„Ihre Kinder?“ wiederholte Sawyer.

„Ja.“ Abbey fiel sofort auf, wie ähnlich sich Sawyer und Christian O’Halloran waren. Beide waren groß und schlank und hatten markante Züge. Wenn Sawyer hundert Jahre früher gelebt hätte, hätte er sicherlich auf einem Pferd gesessen und wäre durch die Berge geritten. Stattdessen flog er in seinem Flugzeug über die Wildnis, von einem Flecken der Zivilisation zum anderen.

Im Gegensatz zu Christian hatte Sawyer jedoch einen Bart. Sein Haar war dunkel und seine Augen graublau. Er trug ein rot kariertes Flanellhemd und darüber eine Jacke mit dem Logo von Midnight Sons. Abbey vermutete, dass er keine Ahnung hatte, wie attraktiv er war.

„Hallo“, sagte Scott eifrig und schaute zu Sawyer auf.

Als der Pilot Scotts Hand schüttelte, bemerkte sie, wie der Ausdruck in seinen Augen sanfter wurde. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Scott.“

„Alaska ist bestimmt sehr groß.“

„Das ist es. Hallo, Susan.“ Nachdem Sawyer auch Susan die Hand geschüttelt hatte, lächelte diese ihre Mutter an. Offenbar war sie entzückt, dass ein Erwachsener ihr so viel Respekt entgegenbrachte.

„Können wir kurz unter vier Augen miteinander sprechen, Miss Sutherland?“ erkundigte Sawyer sich, ehe er voran zur Wartezone ging. Abbey folgte ihm, ohne ihre Kinder aus den Augen zu lassen.

„Christian hat mir nicht erzählt, dass Sie Kinder haben“, erklärte Sawyer ohne Umschweife.

„Er hat mich nicht danach gefragt. Außerdem war weder auf dem Bewerbungsformular noch in dem Vertrag die Rede davon. Ich fand es schon ein bisschen komisch, weil Sie ja die Unterkunft zur Verfügung stellen.“

„Sie hätten etwas sagen können.“ Vorwurfsvoll schaute er sie an.

„Das wollte ich ja, aber Ihr Bruder war so beschäftigt. Außerdem dachte ich, es sei nicht so wichtig.“ Allmählich ärgerte sie sich über Sawyers Verhalten.

„Im Vertrag steht nichts von Kindern.“

„Das weiß ich“, entgegnete sie so ruhig wie möglich. „Wie ich bereits sagte, habe ich alle Fragen im Bewerbungsformular beantwortet. Ich bin der Meinung, meine Kinder gehen nur mich etwas an. Ich wurde als Bibliothekarin eingestellt. Solange ich meine Arbeit erledige, spielt es doch keine Rolle, ob ich eine Familie habe oder nicht.“

„Und was ist mit Ihrem Mann?“

„Ich bin geschieden. Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein andermal darüber zu reden? Wir sind nämlich alle drei sehr müde, weil wir gestern Abend spät in Anchorage gelandet sind und heute früh aufstehen mussten, um den Flug nach Fairbanks zu bekommen.“

Sawyer zögerte einen Moment. „Kein Problem“, meinte er schließlich.

Da er äußerst angespannt wirkte, glaubte Abbey ihm das nicht ganz.

„Ich bin mit der Baron hier“, erklärte er, während er mit ihnen zur Gepäckausgabe ging. „Ich hoffe nur, dass Sie mit leichtem Gepäck gereist sind.“

Ihr war nicht klar, was er unter „leichtem“ Gepäck verstand. Sie hatte alles eingepackt, was in die Koffer hineingepasst hatte. Der Rest würde per Schiff nachgeliefert werden und, so hoffte sie wenigstens, innerhalb der nächsten vier Wochen eintreffen.

„Sieh mal, Mom!“ Scott zeigte zur Wand, an der verschiedene Trophäen hingen. Der Kopf eines Bären, der die Zähne bleckte, schien ihn besonders zu faszinieren.

„Dieser blöde Bär wollte wohl mit dem Kopf durch die Wand“, scherzte Sawyer.

Scott lachte, aber Susan betrachtete das Tier, als wäre so etwas durchaus möglich.

Nachdem sie ihr Gepäck vom Band genommen hatten, trat Sawyer einen Schritt zurück. „Sie haben sechs Koffer dabei“, stellte er missbilligend fest.

„Ich weiß“, erwiderte Abbey ruhig. „Die brauchten wir auch.“

„Dafür habe ich nicht genug Platz im Flugzeug. Ich weiß nicht, wie ich Sie, die Kinder, die Post, eine Lieferung Konserven und das Gepäck darin verstauen soll. Wenn Sie mir Bescheid gesagt hätten, hätte ich eine größere Maschine genommen.“

Abbey verkniff sich eine scharfe Bemerkung. Sie hatte Christian von ihren Kindern erzählen wollen, aber er war viel zu sehr mit seinem Rendezvous beschäftigt gewesen. Weder ihm noch Sawyer hatte sie bewusst etwas verschwiegen. Und woher hätte sie wissen sollen, wie viel Gepäck in ein kleines Flugzeug passte?

„Schon gut“, sagte Sawyer ungeduldig. „Ich kümmere mich später darum. Lassen Sie uns gehen.“

Nachdem sie die Koffer auf einen Transporter geladen hatten, fuhren sie um den Flughafen herum zu einem Rollfeld, auf dem die kleinen Maschinen verschiedener Charterfluggesellschaften standen.

„Das ganze Zeug gehört Mom und Susan“, flüsterte Scott, als Sawyer ihm aus dem Wagen half. „Sie wollten unbedingt alles mitnehmen.“

„Typisch Frau“, murmelte Sawyer, bevor er sie zum Flugzeug führte.

Als Abbey einen Blick in die kompakte zweimotorige Maschine warf, war ihr klar, dass er Recht hatte. Es war kaum genug Platz für sie, ganz zu schweigen von den Kindern und dem Gepäck.

„Es gibt nur zwei Sitze.“ Nervös schaute sie Sawyer an.

„Sie sitzen direkt neben mir, und die Kinder schnalle ich auf dem anderen Sitz an“, wies er Abbey an, nachdem er eingestiegen war.

„Ist das erlaubt?“

„Unterhalb des achtundvierzigsten Breitengrads wahrscheinlich nicht, aber hier tun wir es einfach. Keine Angst, Ihnen wird nichts passieren.“ Er ging ins Cockpit, nahm einen schwarzen Ordner und einen Stapel Papiere vom Passagiersitz und stopfte alles zwischen die beiden Sitze.

„Setzen Sie sich darauf“, sagte er. „Ich kümmere mich inzwischen um die Kinder.“

Sobald Abbey in die Maschine geklettert und auf dem behelfsmäßigen Sitz neben seinem Platz genommen hatte, hob er die Kinder hinein und schnallte sie auf dem Sitz hinter ihr an. Scott und Susan wirkten nicht gerade begeistert, doch es ließ sich nicht ändern.

„Und was ist mit unserem Gepäck?“ fragte Abbey, nachdem Sawyer sich neben sie niedergelassen hatte.

Er setzte den Kopfhörer auf, zog den Ordner hervor und machte darin Notizen.

„Das Gepäck“, wiederholte sie.

„Die Koffer passen nicht mehr in die Maschine. Wir müssen sie hier lassen.“

„Was?“ rief sie entsetzt. „Das geht nicht!“

Ohne auf ihren Protest zu achten, machte er das Flugzeug startklar.

„Wie lange fliegen wir?“ erkundigte sich Scott.

„Ungefähr eine Stunde.“

„Kann ich auch mal steuern?“

„Diesmal nicht“, erwiderte Sawyer geistesabwesend.

„Ein andermal dann?“

„Vielleicht.“

„Mr. O’Halloran.“ Abbey seufzte entnervt. „Können wir bitte das Problem mit dem Gepäck besprechen?“

„Nein. Ich bin vertraglich verpflichtet, die Post zu befördern. Das ist sehr viel wichtiger. Ich habe nicht die Absicht, einen Teil meiner Fracht zurückzulassen, nur damit Sie irgendwelche unnützen Sachen mitschleppen können, die Sie sowieso nicht brauchen.“

„Ich habe keine unnützen Sachen mitgeschleppt. Würden Sie jetzt bitte so freundlich sein …“

Unvermittelt drehte er sich zu Scott um. „Magst du Hunde?“

Der Junge bekam sofort große Augen. „Darauf können Sie wetten.“

Sawyer betätigte nun einige Schalter. „Wenn wir in Hard Luck sind, werde ich dich mit Eagle Catcher bekannt machen.“

„Ist das ein Husky?“

„Ja.“

„Wirklich?“ Scott war so aufgeregt, dass er sich kaum noch auf dem Sitz halten konnte.

„Und was ist mit unserem Gepäck?“ Abbey wollte Sawyer nicht auf die Nerven fallen, aber sie mochte es auch nicht, wenn man sie ignorierte. Diesem Buck-Rogers-Verschnitt war es vielleicht egal, doch sie wollte nicht nur mit den Sachen, die sie auf dem Leib trug, in Hard Luck eintreffen.

Statt zu antworten, ließ er jedoch die Motoren an und unterhielt sich über Mikrofon mit einem Mann im Tower. Wenige Minuten später rollten sie auf die Startbahn zu.

Als sie in der Luft waren, klopfte Abbey das Herz bis zum Hals. Sie war noch nie mit einer so kleinen Maschine geflogen und schloss unwillkürlich die Augen, als diese ruckelte und schaukelte.

„Wow!“ rief Scott. „Das ist toll!“

Abbey war da ganz anderer Ansicht. Als das Flugzeug sich scharf zur Seite neigte, klammerte sie sich ängstlich an den Sitz.

Sawyer, der noch immer mit dem Tower in Funkkontakt stand, warf ihr einen Blick zu und lächelte spöttisch. „Entspannen Sie sich. Ich musste schon seit zwei oder drei Monaten keine Notlandung mehr machen.“

„Damit wollen Sie mir wohl zu verstehen geben, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche.“ Sie musste schreien, um das Geräusch der Motoren zu übertönen. Dann schaute sie über die Schulter zu Scott und Susan, um sich zu vergewissern, dass sie keine Angst hatten. Doch die beiden schienen ganz begeistert zu sein und strahlten sie an.

Leider konnte Abbey nicht viel von der Landschaft unter ihr erkennen. Auch auf dem Flug von Anchorage nach Fairbanks war die Sicht schlecht gewesen, sodass man den Mount McKinley nicht hatte sehen können. Der Pilot hatte gesagt, dass der höchste Berg Amerikas nur selten zu erkennen wäre, und gescherzt, er würde womöglich gar nicht existieren.

Abbey wandte sich vom Fenster ab und musterte Sawyer unauffällig. Ihrer Ansicht nach hatte er bisher eine ziemlich laxe Einstellung an den Tag gelegt, was Sicherheitsvorkehrungen betraf. Zu allem Überfluss nahm er nun wieder den schwarzen Ordner in die Hand und begann, darin zu schreiben. Fassungslos beobachtete sie, dass er nicht einmal aufblickte.

Auf der Anzeigetafel blinkte ein Lämpchen. Obwohl sie sich mit Flugzeugen nicht auskannte, nahm sie an, dass es einen Grund haben musste. Vermutlich verlor die Maschine an Höhe, oder die Tanks waren leck …

Als Abbey es nicht länger aushalten konnte, umfasste sie Sawyers Arm und zeigte auf das Lämpchen.

„Ja?“ Sawyer schaute sie ausdruckslos an.

Da sie nicht schreien wollte, um ihre Kinder nicht zu beunruhigen, beugte sie sich zu ihm hinüber und sagte leise: „Irgend etwas stimmt nicht. Da brennt eine Lampe.“

„Ja, das sehe ich.“ Er schrieb ungerührt weiter.

„Wollen Sie nichts unternehmen?“

„Gleich.“

„Mir wäre es lieber, wenn Sie es sofort tun würden.“

„Keine Panik, Mrs. Sutherland … Abbey.“ Offenbar machte es ihm Spaß, sie auf die Folter zu spannen. „Die Lampe zeigt an, dass ich mit Autopilot fliege.“

Abbey kam sich plötzlich sehr albern vor. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blickte starr aus dem Fenster.

Sawyer tippte ihr auf die Schulter. „Um das Gepäck brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen. Ich habe mit einer anderen Charterfluggesellschaft vereinbart, dass es heute Nachmittag geliefert wird.“

„Danke.“ Warum hatte er ihr das nicht eher gesagt?

„Was ist das?“ rief Scott aufgeregt.

Als Abbey nach unten schaute, sah sie einen silbernen Streifen, der sich bis zum Horizont erstreckte.

„Das ist die Alaska-Pipeline“, erklärte Sawyer.

Aus ihrer Lektüre wusste sie, dass diese Pipeline achthundert Meilen lang war und über Bergketten, durch Flüsse und unwegsames Gelände verlief. Sie verband die Prudhoe Bay mit Valdez, dem nördlichsten eisfreien Hafen Nordamerikas.

Bald darauf befanden sie sich im Landeanflug. Abbey versuchte, Hard Luck auszumachen, und entdeckte schließlich einige Häuser, die entlang einer unbefestigten Straße standen. In der Nähe davon befand sich ein großes Gebäude, und mehrere andere Häuser waren in der Gegend verstreut. Insgesamt zählte sie knapp zwanzig.

Auch die Landebahn war nicht befestigt, sondern bestand aus Schotter. Kurz bevor die Räder auf dem Boden aufsetzten, hielt Abbey den Atem an, doch zu ihrer Überraschung war die Landung sehr weich.

Sawyer drosselte die Geschwindigkeit und ließ die Maschine auf einen Wohnwagen zurollen, der sich am Ende der Landebahn befand. Als Abbey wieder aus dem Seitenfenster schaute und eine Telefonzelle entdeckte, lächelte sie. Es war ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass sie auch hier, mitten in Alaska, zu Hause anrufen konnte.

Ein kräftig gebauter Mann, der wie ein Holzfäller aussah, kam aus dem Wohnwagen. Einen Moment lang war er außer Sichtweite, dann hörte Abbey, wie die Luke geöffnet wurde.

„Tag“, rief er und steckte den Kopf herein. „Willkommen in Hard Luck. Ich bin John Henderson.“

„Hallo“, erwiderte sie.

Plötzlich verschwand er, und ein anderer Mann erschien, der ebenfalls wie ein Naturbursche aussah. „Ich bin Ralph Ferris“, verkündete er, und gleich darauf tauchten drei weitere Männer auf.

„Verdammt, Jungs, würdet ihr vielleicht erst mal die Passagiere aussteigen lassen?“ schimpfte Sawyer. Er stand auf, um den Sicherheitsgurt von Scott und Susan zu lösen und ihnen aus der Maschine zu helfen.

Abbey verließ als Letzte das Flugzeug. Als sie die drei Stufen hinunterging, standen alle fünf Männer vor ihr stramm. Falls einer von ihnen überrascht war, die Kinder zu sehen, ließ er es sich zumindest nicht anmerken.

Sawyer murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin und ging an ihr vorbei ins Büro. Dort knallte er die Tür hinter sich zu, als wäre er froh, sie alle los zu sein.

Abbey wurde wütend. Wie konnte er so unhöflich sein, sie einfach dort stehen zu lassen? Was hatte sie ihm eigentlich getan? Aber sie konnte auch unhöflich sein!

„Willkommen in Hard Luck.“ Abbeys Wut verrauchte, als eine große schlanke Frau mit kurzem grauen Haar auf sie zutrat, um sie zu begrüßen. „Ich bin Pearl Inman“, stellte sie sich vor, während sie Abbey begeistert die Hand schüttelte. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue, eine Bibliothekarin in Hard Luck zu haben.“

„Danke. Das sind meine Kinder, Scott und Susan. Wir freuen uns, hier zu sein.“ Abbey bemerkte, dass die Frau über den Anblick der Kinder ebenso wenig überrascht zu sein schien wie die Piloten.

„Sicher sind Sie sehr erschöpft.“

„O nein, überhaupt nicht“, erwiderte Abbey höflich. Tatsächlich fühlte sie sich schon wesentlich besser.

„Gibt es hier auch Kinder?“ fragte Scott.

„Gibt es Mädchen, mit denen ich spielen kann?“ fügte Susan hinzu.

„Ja, natürlich. Letztes Jahr hatten wir fünfundzwanzig Schüler. Ich werde später einem der Jungen sagen, dass er sie euch vorstellt.“ Pearl wandte sich an Susan. „Wie alt bist du?“

„Sieben.“

Pearls Lächeln vertiefte sich. „Ich glaube, Chrissie Harris ist auch sieben. Ihr Vater arbeitet für die Naturschutzbehörde und ist nebenbei unser Sicherheitsbeamter – sozusagen unser Polizist. Chrissie wird sich freuen, eine neue Freundin zu haben.“

„Und ich?“ fragte Scott. „Ich bin neun.“

„Ronny Gold ist ungefähr in deinem Alter. Du wirst ihn später kennen lernen. Er hat ein Fahrrad und fährt damit immer durch den Ort. Du wirst ihn also nicht verpassen.“

Scott wirkte sichtlich zufrieden. „Gibt es hier auch Indianer?“ fragte er als Nächstes.

„Ja, es leben ein paar hier in der Gegend – Athapasken. Irgendwann wirst du sie auch kennen lernen“, versicherte Pearl.

Abbey blickte sich um und stellte erstaunt fest, dass nirgends Schnee lag. Eine große Mücke setzte sich auf ihren Arm, die sie schnell verscheuchte. Susan war bereits gestochen worden.

„Wie ich sehe, haben Sie schon Bekanntschaft mit dem berühmtesten Insekt Alaskas gemacht“, meinte Pearl und lachte. „Im Juni und Juli ist es die reinste Plage. Etwas Insektenspray wirkt wahre Wunder.“

„Ich werde später welches kaufen.“ Abbey hatte nicht gewusst, dass es im Sommer Mückenplagen in Alaska gab.

„Lassen Sie uns ins Restaurant gehen. Dann kann ich Ihnen Ben und die anderen vorstellen.“ Pearl ging mit ihnen über die Straße zu einem Haus mit einer großen Veranda, über der ein riesiges Elchgeweih hing. „Das hier ist das Hard Luck Café. Ben Hamilton, der Besitzer, hat heute den ganzen Tag in der Küche gestanden. Hoffentlich haben Sie Hunger.“

Abbey strahlte übers ganze Gesicht. „Ich könnte glatt einen Elch vertilgen.“

„Prima“, meinte Pearl. „Elch steht bestimmt auch auf der Speisekarte.“ Kinder …

Er, Sawyer, war selbst schuld, dass er nichts von der Existenz von Abbeys Anhang gewusst hatte. Schließlich hatte er das Bewerbungsformular selbst entworfen und dabei offenbar vergessen, eine entscheidende Frage zu stellen. Nicht auszudenken, wenn die anderen Frauen ebenfalls mit Kindern im Schlepptau auftauchten!

Sawyer schenkte sich Kaffee ein und trank einen kräftigen Schluck. Dass er sich dabei den Mund verbrannte, merkte er kaum. Er musste unbedingt klären, was sie mit Abbey Sutherland und ihren Kindern machen sollten.

Natürlich hatte er nichts gegen Scott und Susan. Abbey hatte Recht: Was ihre Arbeit betraf, spielte es überhaupt keine Rolle, dass sie Kinder hatte. Allerdings führte es zu unvorhergesehenen Komplikationen.

Zuerst einmal konnten sie nicht zu dritt in einem Blockhaus wohnen, denn der ganze Raum war nicht größer als ein durchschnittliches Schlafzimmer.

Die Häuser waren ursprünglich für Wochenendausflügler oder Feriengäste gebaut worden, aber keiner der Männer hatte seine Einwände beachtet. Schließlich war er, Sawyer, den Weg des geringsten Widerstands gegangen und hatte ihnen sogar beim Saubermachen geholfen!

Sawyer musste zugeben, dass er die Idee eigentlich gar nicht so schlecht gefunden hatte, weil es die einfachste Lösung für ihr Problem gewesen war.

Er mochte gar nicht daran denken, was Charles dazu sagen würde, wenn er davon erfuhr.

Sawyer fuhr sich über die Augen und seufzte. Er konnte sich nicht vorstellen, was eine Frau wie Abbey Sutherland nach Hard Luck gezogen hatte. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war ihm gleich klar gewesen, dass sie es dort nicht lange aushalten würde.

Vielleicht lief sie vor jemandem davon – womöglich vor ihrem Exmann. Unwillkürlich ballte Sawyer die Hände zu Fäusten, als er sich ausmalte, dass jemand sie misshandelt haben könnte.

Sawyer hatte sehr wohl den traurigen Ausdruck in ihren Augen gesehen, als sie gesagt hatte, sie sei geschieden. Allerdings konnte er es sich nicht erklären, aber er hatte Frauen noch nie verstanden. Andererseits glaubte er von sich, eine gute Menschenkenntnis zu haben.

Oder war es doch nicht der Fall? Er hatte erst eine ernsthafte Beziehung gehabt, und auch die war nicht von Dauer gewesen. Gerade als er mit den Dingen zufrieden gewesen war, hatte Loreen angefangen, von Heirat zu sprechen. Bald hatte sie ihm ein Ultimatum nach dem anderen gestellt, und obwohl er sie gemocht hatte, war eine Ehe für ihn nicht in Frage gekommen. Kaum hatte er Loreen das klar gemacht, hatte sie ihn verlassen.

Sawyer vermutete, dass es vielen Frauen so ging. Sie wollten unbedingt einen Ehering, um ihre Beziehung offiziell zu besiegeln. Er hatte jedenfalls bei seinen Eltern miterlebt, was passierte, wenn die Liebe eines Tages erkaltete. Sogar nachdem Loreen ihn verlassen hatte, hatte er seine Entscheidung nicht bereut.

Sawyer hatte keine Ahnung, was er nun in Bezug auf Abbey und ihre Kinder unternehmen sollte. Das Beste war wohl, sie sofort wieder nach Fairbanks zu bringen. Er wusste jedoch genau, dass er es nicht tun würde, denn seine Männer hätten ihn sofort gelyncht.

Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, ging er ins Restaurant, wo sich offenbar die Hälfte der Einwohner versammelt hatte, um Abbey kennen zu lernen. Da es keinen freien Stuhl mehr gab, lehnte er sich betont lässig an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

Der dicke Ben war ganz in seinem Element, denn er schlängelte sich, so gut es ging, zwischen den bunt zusammengewürfelten Tischen hindurch, um seinen Gästen Kaffee nachzuschenken und sich angeregt mit ihnen zu unterhalten.

Als er die Kanne hochhob und Sawyer einen fragenden Blick zuwarf, schüttelte dieser den Kopf. Wenn er Probleme hatte, durfte er nicht zu viel Kaffee trinken.

Sawyer stellte fest, dass Abbey von vier seiner Piloten umringt war. Wie Raubvögel, die sich jeden Moment auf ihre Beute stürzen würden, standen sie um den Tisch herum, an dem Abbey mit ihren Kindern und Pearl saß. Man hätte denken können, sie hätten noch nie eine Frau gesehen.

Ein räudiger Haufen, meine Crew, dachte Sawyer sarkastisch. Eines musste Sawyer seinen Leuten allerdings lassen: Sie waren verdammt gute Piloten. Wenn sie aber nicht in der Stimmung waren, ließen sie sich die haarsträubendsten Ausreden einfallen, um sich vor ihren Pflichten zu drücken.

Alle überhäuften Abbey mit Fragen, und er stellte erstaunt fest, wie gelassen sie die Situation meisterte und wie schnell sie sich die Namen ihrer Gesprächspartner merken konnte.

Ben gesellte sich zu ihm und folgte seinem Blick. „Verdammt hübsch, nicht? Bei der könnte sogar ich noch schwach werden und heiraten.“

„Du machst wohl Witze.“ Sawyer betrachtete seinen alten Freund aus zusammengekniffenen Augen.

Ben schien sich köstlich zu amüsieren. „So ist das also.“

„Was?“

„Sie hat dich schon an der Angel. Ehe du dich’s versiehst, wirst du genau wie die anderen um ihre Gunst buhlen.“

Sawyer stieß einen verächtlichen Laut aus. „Mach dich doch nicht lächerlich! Ich hoffe nur, dass nicht noch mehr Frauen mit ihrer Familie im Schlepptau hier aufkreuzen.“

„Du wusstest also gar nichts von den Kindern?“

„Nein, und Christian offenbar auch nicht. Angeblich hat er ihr keine Gelegenheit gegeben, es ihm zu sagen.“

„Na ja, niemand wird etwas dagegen haben, wenn zwei Kinder mehr in Hard Luck wohnen“, bemerkte Ben.

„Darum geht es nicht.“

Ben runzelte die Stirn. „Sondern?“

„Um die Blockhäuser. Abbey kann nicht mit ihren Kindern in einem dieser Blockhäuser wohnen.“

Autor

Debbie Macomber

Debbie Macomber...

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