Mit Lust und Liebe

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ROSE KATZENBAUM: schön, ultrasexy, von vielen Männern begehrt, von vielen Männern geliebt! Auch von Senator Mason, von dem sie einen Kunstgegenstand geschenkt bekommt – der Rose in echte Schwierigkeiten bringt. MICHAEL SLATER: smarter Privatdetektiv, der Rose ganz schnell durchschaut und sich trotzdem leidenschaftlich in sie verliebt. MELISSA ROGERS: zurückhaltend, beinahe schüchtern, Roses Nachbarin und wild entschlossen, ihr Leben zu ändern. Sie braucht einen richtigen Mann! RILEY ANDERSON: Michaels Geschäftspartner. Er hält Melissa zunächst irrtümlich für Rose und wundert sich, dass sie so unerfahren ist. Aber als richtiger Mann fällt es ihm nicht schwer, ihr lustvolles wahres Ich zu entdecken.


  • Erscheinungstag 29.10.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520577
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Rose putzte sich die Nase und warf das Taschentuch zu den anderen auf ihre pink-weiße Tagesdecke mit dem Rosenmuster. Sie sah auf die Uhr, und wieder wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Es war neun Uhr morgens. Vor einer halben Stunde hatte sie angefangen zu weinen. Der Heulanfall würde also bald vorbei sein.

Inzwischen hatte sie sich an die Weinkrämpfe gewöhnt. Es konnten Monate ohne diese Anfälle vergehen, aber irgendwann wurde sie mit ziemlicher Regelmäßigkeit davon erwischt. Sei es aus Erschöpfung, einer leichten Depression, der Hormone wegen, oder aus welchem Grund auch immer.

Zuerst hatte sie geglaubt, verrückt zu werden. Inzwischen fand sie, dass Heulen einen erleichterte. Seit dem Einbruch in ihre Wohnung kamen die Heulanfälle häufiger. Kein Wunder. Immer noch verspürte sie Unbehagen darüber, in ihrer Privatsphäre verletzt worden zu sein. Sie hatte das Gefühl, als ob sich der Eindringling noch in ihren vier Wänden aufhielte.

Zehn Minuten später putzte sich Rose noch einmal die Nase, und mit einem letzten Seufzer sammelte sie die Taschentücher ein, um sie in den Papierkorb zu bringen. Auf dem Weg zum Fenster überquerte sie die bunten Läufer auf dem Holzfußboden. Plötzlich zuckte sie vor Schmerz zusammen: Seine Königliche Hoheit, Prinz Rajid von Arabien, hatte ihr gestern Abend auf den Fuß getreten. Süßer Typ, aber ein jämmerlicher Tänzer.

Nicht, dass sie unbedingt auf Vollkommenheit aus gewesen wäre, aber irgendwie hatten sie ja alle ihre Macken. Im tiefsten Innern hegte sie den dunklen Verdacht, dass der Mann, der sie so verliebt machte, dass sie alle anderen für ihn stehen ließ, gar nicht existierte. Auf einer gewissen oberflächlichen Ebene jedoch liebte sie alle Männer, mit denen sie sich traf, von den Zehen bis hinauf zu ihren aufgeblähten, empfindlichen Egos. Sie liebte ihre Blicke und die Gefühle, die sie in ihr auslösten. Sie liebte die Macht, sie zu verführen, sie zu amüsieren oder zu erregen. Das Einzige, was sie wirklich gut konnte. Sie war nach Männern geradezu süchtig.

Aber wahre, die Seele mitreißende Liebe? Sie bezweifelte, dass sie dazu fähig war; vielleicht ihre eigene Schuld.

Rose wischte sich die letzte Träne von der Wange und schob die weiße Spitzengardine zur Seite, um nachzusehen, ob der Lieferwagen immer noch auf der Straße gegenüber parkte. Vor dem Einbruch und jenem schrecklichen Drohbrief hatte sie ihre Sucht als harmlos angesehen. Sie bekam, was sie wollte. Die Männer hingegen bekamen einen Bruchteil von dem, was sie wollten.

Jetzt aber gab es jemanden, der mehr von ihr wollte als bloßes Vergnügen. Und sie hatte keinen blassen Schimmer, wer das war und worum es eigentlich ging. Ob jemand sie verfolgte? Ein wütender Exliebhaber? Ein paar Männer waren sauer gewesen, als sie die Beziehung beendete, aber die meisten hatten sich in aller Freundschaft von ihr getrennt und das nächste Jagdobjekt anvisiert.

Vielleicht war es irgendetwas in ihrer Wohnung. Im Laufe der Jahre hatte sie viele Geschenke erhalten. Vielleicht hatte ihr ein Typ irrtümlich ein Erbschmuckstück geschenkt, und Mama wollte es jetzt zurückhaben.

Rose konnte nur hoffen, dass es so einfach war.

Wie gewöhnlich stand der Lieferwagen gegenüber in der Garden Street. Teds TV Reparaturdienst. Zitternd kämpfte sie gegen die aufsteigenden Tränen an. Selbst wenn man sie als paranoid bezeichnete, sie konnte das Gefühl nicht loswerden, dass jemand sie aus dem Lieferwagen heraus beobachtete. Eigentlich sollte sie die Polizei rufen und darum bitten, das Auto zu überprüfen. Natürlich könnte es auch die Polizei selbst sein, die sie seit dem Einbruch beschattete. Doch gleichgültig, ob Polizei oder Verbrecher, Rose fühlte sich bedroht und gefangen.

So viel also zu einem entspannenden Samstagmorgen.

Als das Telefon klingelte, zuckte sie zusammen und zog den Bademantel enger. Die Leute, die sie mochten, wussten, dass der Samstag ihr Rumhängetag war, an dem sie ungern telefonierte. An diesem Tag nahm sie keine Einladungen an, eine perverse Huldigung an die Samstage ohne Verabredungen, die sie in der High School hatte ertragen müssen. Es war ihr Tag, an dem sie in ihrem Schlafanzug mit dem Froschmuster zu Hause hockte, sich schlechte Sendungen im Fernsehen ansah, Schokolade aß und Briefe schrieb, die die Pfleger ihrer Mutter vorlesen konnten … es war ihr Rückzugstag. Keine gesellschaftlichen Verpflichtungen. Kein Putzen. Kein Make-up. Keine Männer.

Der Anrufbeantworter sprang an. Klickte. Klickte noch einmal. Die aristokratische Stimme von Senator Alvin Mason sprach auf Band. „Komm schon, Rose. Ich weiß, dass du da bist. Nimm ab. Es ist wichtig.“

Rose zog die Augenbrauen zusammen. Seine Stimme klang seltsam … angespannt. Ungewöhnlich für diesen Herrn von der derbherzlichen Art. Vor etwa einem Jahr hatte sie sich ein paar Monate mit ihm getroffen, bevor er zu der Ansicht kam, dass er als verheirateter Mann größeren politischen Erfolg hätte, woraufhin er sich auf die Jagd nach einer passenden Ehefrau begab.

Sie hob ab. „Ich bin da.“

„Wie geht es dir, Rose?“

Rose runzelte die Stirn. Er klang so, als ob er sich nicht die Bohne darum kümmerte, wie es ihr ging. Und sie konnte schwören, dass sie im Hintergrund einen Lastzug vorbeifahren hörte. Rief etwa einer der bekanntesten Politiker von Massachusetts aus einer Telefonzelle an? „Es geht mir gut. Du klingst schrecklich. Von wo rufst du …“

„Ich habe von dem Einbruch gehört.“ Er brüllte beinahe, um einen weiteren Motor zu übertönen. „Sie haben nichts mitgenommen.“

„Nein.“ Sie wickelte die Telefonschnur um ihre geballte Faust. Woher wusste er das? „Vor zwei Tagen habe ich außerdem einen Brief bekommen. Ich soll mich in Acht nehmen.“

Der „Senator für die heile Familie“ aus Massachusetts stieß einen derben Fluch aus. Einen himmlischen Augenblick lang erlaubte sich Rose, Gefallen an seinem Beschützerverhalten zu empfinden. Dann machte sie sich über ihre eigene blöde Aschenputtel-Einstellung lustig.

„Das war nicht so geplant …“ Wieder fluchte er.

Rose verhielt sich absolut ruhig. Die Telefonschnur schwang leicht gegen den kleinen Holztisch, den ihre Ururgroßmutter aus England mit herübergebracht hatte. Verdammt, er steckte mit ihnen unter einer Decke. „Weißt du etwas über die Sache?“

Sie erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder. Es war nicht die Stimme des süßen, sexy Mädchens, für das sie jeder hielt, sondern die barsche, harte Stimme einer Frau. Hier sprach eine erwachsene Mittzwanzigerin, die Angst um ihr Leben hatte.

Der Senator atmete so tief und geräuschvoll ein, dass er sogar den Verkehrslärm übertönte. „Rose …“

Am ganzen Körper zitternd, schloss sie die Augen.

„Rose …“ Seine Stimme war leise, ruhig, todernst. „Ich meine, du solltest für eine Weile verschwinden.“

1. KAPITEL

Riley Anderson ließ sich in der verrauchten Nische nieder. Ihm gegenüber saß Charlie Watson, Captain der Bostoner Polizei und Hauptkunde in den billigen Fresskneipen der Stadt. Riley begrüßte Watson gelassen. Er wollte weder Interesse noch Verdacht zeigen. Polizisten bestellten Privatdetektive nicht in abseits gelegene Kneipen, es sei denn, sie steckten ganz tief in Schwierigkeiten.

„Die Sache ist die …“

Watson schlang die letzten Fritten hinunter und starrte wehmütig auf seinen leeren Teller. „Ich käme nicht zu Ihnen, wenn es nicht der letzte Ausweg wäre. Wir haben ‚ne Menge Leute auf dem Revier, die das machen könnten.“

Riley nickte, ohne den Köder zu schlucken, und blieb ruhig sitzen, obwohl ihn die unbequeme Sitzbank im Rücken drückte. Wenn man sich ruhig verhielt und nur beobachtete, offenbarten die Leute schließlich Dinge, die sie ursprünglich nicht hatten sagen wollen, vor allem wenn sie etwas zu verbergen hatten.

Watson nahm einen Schluck aus einem riesigen Becher und knallte ihn auf den Tisch, was er anscheinend für eine starke Geste hielt. Er kniff seine eisblauen Augen zusammen, die nicht zu dem bleichen, schwammigen Gesicht passten. „Um die Wahrheit zu sagen, wir haben ein Problem. Wichtige Leute sind darin verwickelt. Sehr wichtige Leute. Auf dem Revier haben wir ebenfalls ein Problem. Es sieht sehr schlecht aus. Ich kann es nicht riskieren …“

„Captain.“ Riley hob ein wenig die Augenbrauen, die einzige Bewegung, die er sich gestattete, etwas von seiner Ungeduld sehen zu lassen. „Kommen Sie zur Sache.“

Watson zerknüllte eine Burger-Verpackung und warf sie auf sein Tablett, ohne den Blick von Riley abzuwenden. „Also gut. Es gefällt mir nicht, dass ich auf Sie zurückkommen muss. Ganz und gar nicht. Aber auf dem Revier haben wir eine undichte Stelle. Jemand hat seine große Klappe aufgerissen, und seine große Klappe gefährdet die Ermittlungen. Ich kann Sie nicht leiden, aber ich vertraue Ihnen.“

Riley nickte. Weder mochte er Watson, noch vertraute er ihm, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, darüber zu reden. „Was soll ich tun?“

„Es geht um das Apartment einer Frau namens Rose. Nur Rose, wie Cher einfach nur Cher ist.“ Er strich ein paar Haarsträhnen zurück, die sich aus der klebrigen Masse, die er wohl als Gel benutzte, gelöst hatten. „Wir glauben, dass gestohlenes Eigentum bei ihr gelandet ist. Gut möglich, dass sie nichts davon weiß. Eigentum, das wir gern den Eigentümern zurückgeben würden. Vor Kurzem hat sie einen Einbruch gemeldet, bei dem aber nichts gestohlen wurde. Irgendjemand weiß oder vermutet, dass sie die Sache bekommen hat. Wir beobachten das Haus für den Fall, dass da jemand auftaucht, aber ich will nicht, dass meine Leute dort herumschnüffeln, solange ich nicht weiß, wem ich trauen kann.“

Riley biss die Zähne zusammen. Informationen von dem Captain zu bekommen, war mehr als schwierig. Gelassen beugte er sich vor und sah Watson an. „Wonach hätte ich denn zu suchen?“

„Kunst.“ Der Captain wühlte in seiner Hosentasche und holte eine Rolle Magentabletten hervor, wobei er Rileys Blick auswich. „Antikes Miniaturporträt. Edelsteinverzierter Rahmen. Soll ‚ne Menge wert sein. Es geht noch um etwas mehr. Wir wollen, dass Sie Roses neuer spezieller Freund werden und herauskriegen, was sie weiß.“

Riley bemühte sich um Geduld. „Wer ist Rose, und wie passt sie da hinein?“

Watson blickte sich um, als ob das ältere Paar auf der einen Seite und die genervte Mutter mit den vier Kindern auf der anderen Undercoveragenten sein könnten.

Seine Ellbogen auf den Tisch gestützt, schob er seine massige Gestalt vor und winkte Riley näher heran. „Hören Sie genau zu. Soll ‚ne tolle Puppe sein. Jede Nacht ein andrer Kerl. Sie kennen die Sorte. Wir haben mit einigen von den Typen geredet, mit denen sie sich getroffen hat. Sie haben alle eine völlig andere Beschreibung von ihr gegeben: die Kleidung, die Haare, die Augenfarbe, sogar die Persönlichkeit. Aber eindeutig dieselbe Rose. Die Puppe putzt sich jedes Mal anders heraus, je nachdem, mit welchem Kerl sie sich trifft. Kapiert?“

Er grinste schmierig. „Trifft sich ‚ne Zeit lang mit ihnen, sie sind verrückt nach ihr, überhäufen sie mit Geschenken, dann schnappt sie sich den Nächsten. Als sie den Einbruch meldete, hat sie meinen zähesten Detective innerhalb von zehn Minuten um den Finger gewickelt. Die ist schon was Besonderes.“

Watson pfiff voll Bewunderung, was Rileys Nerven strapazierte. Was, in aller Welt, gab es an einer solchen Frau zu bewundern? „Also hat ihr so ein armer Tropf das Porträt zur Bereicherung ihrer Persönlichkeit gegeben?“

„Ha. Unwahrscheinlich. Eher zu seinem Lustgewinn, würde ich sagen.“

Riley kniff angeekelt den Mund zusammen. Genau der Typ Frau, den man liebend gern zum Sonntagsessen mit Mama nach Hause bringen würde. Aber aus einem Grund, den er nicht genau benennen konnte, reizte ihn dieser Fall. Watson wusste eine ganze Menge mehr, als er zugab. „Wer waren die früheren Besitzer des Porträts?“

„Hier ist Schluss, Anderson.“ Watson kniff seine Augen zu dicken Schlitzen zusammen. „Darum kümmert sich die Polizei. Machen Sie sich auf in ihr Apartment, und finden Sie das Porträt. Berichten Sie mir von Ihren Fortschritten. Rufen Sie nicht auf dem Revier an, reden Sie mit niemandem sonst darüber. Wenn meine Männer spitzkriegen würden, dass Sie darin verwickelt sind, hätte ich ‚ne Meuterei am Hals.“

Riley nickte, während das Blut durch seine Adern raste. Bei diesem Fall musste es um mehr als um reiche Kunstliebhaber gehen, die ihr wertvolles Porträt zurückhaben wollten.

Er verkniff sich ein Grinsen. Slate würde es gefallen. Rileys Waffengefährte, Partner und bester Freund hielt sich zur Zeit im Familienlandhaus an der Küste in Maine auf und trauerte um seine Mutter, die an Krebs gestorben war.

Riley und Slate waren eine erfolgreiche und schließlich hochdekorierte Marinekampfeinheit gewesen, die den Respekt sowohl von Gleichgestellten als auch von Kommandeuren errungen hatte. Gemini. Die Zwillinge. Im Kampf hatten sie eine solche persönliche Bindung entwickelt, dass sie kaum ein Wort zu wechseln brauchten, um zu wissen, was der andere vorhatte. Wenn Rileys Instinkt ihn nicht trog und es einiges auszugraben galt, könnte dieser Fall Slate dazu bringen, wieder unter Menschen zu gehen, nachdem er ein ganzes Jahr lang seine Mutter gepflegt hatte. Es war schon viel zu lange her, dass sie zusammengearbeitet hatten.

Riley nickte noch einmal. „Ich mache es.“

„Kein schwieriger Auftrag. So wie Sie aussehen, werden Sie keine Probleme haben, mit dieser Rose Freundschaft zu schließen.“ Watson kicherte und stieß dabei an seinen Becher, woraufhin sich eine Menge Eisstücke über sein Hemd ergoss. Er fluchte.

Riley gestattete sich ein müdes Lächeln. Wenn die Mühlen der Gerechtigkeit doch nur immer so schnell mahlen würden!

Er blieb nur noch so lange in der Kneipe, bis sie die Bedingungen ausgehandelt hatten. Dann stieß er die laut bimmelnde Tür auf und ging die Cambridge Street hinunter, wobei er die warme Spätjuniluft einatmete. In Scharen mischten sich die Touristen unter die Tauben an der City Hall Plaza. Vom nahe gelegenen Bostoner Hafen wehte ihm eine leichte Brise den Salzgeruch ins Gesicht.

Riley ging auf die Haltestelle am Regierungszentrum zu. Heute Nachmittag konnte er schon mal einen Blick auf das Gebäude werfen, in dem das Apartment dieser Rose war. Die Umgebung überprüfen, einen Plan machen, ein paar Nachforschungen anstellen. Slate ein Telegramm schicken, wenn er etwas Wichtiges entdeckte.

Das untrügliche, nervenkitzelnde Gefühl, beobachtet zu werden, ließ ihn für den Bruchteil einer Sekunde innehalten. Er wartete, bis er gegenüber der kleinen Mauer am Eingang zur Station ankam. Dann drehte er sich um, die Mauer im Rücken.

Ein Mann. Gepflegter Haarschnitt. Schöner Anzug. Ausbeulung dort, wo die Waffe war. Agent der Regierung.

Riley stellte sich breitbeinig hin, stützte die Hände in die Taille und sah dem Mann gelassen entgegen. Früher als erwartet hatte sich seine Ahnung bestätigt. Dass dieser Mann so unmittelbar nach Watsons merkwürdigem Auftrag auftauchte, konnte nur eines bedeuten: Was immer dieser Kerl wollte, es hatte mit Rose, der Männerfresserin, und ihrem Kunst sammelnden Freund zu tun.

„Ted Barker, FBI.“ Der Mann ließ den Regierungsausweis in seiner Brieftasche aufblitzen. „Und Sie sind Riley Anderson, Privatdetektiv, Ex-Marine-Einheit, die eine Hälfte von Gemini.“

„Stimmt.“ Ruhig sah Riley den Mann an, überrascht, eine Spur von Bewunderung und Respekt in dem für FBI – Leute typischen überheblichen Lächeln zu entdecken. „Was kann ich für Sie tun?“

„Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten.“ Ted Barker steckte seinen Ausweis weg und deutete in Richtung des schwarzen Lincoln auf der anderen Straßenseite. „Wir sind der Meinung, dass Sie uns helfen können.“

Melissa saß auf dem Sofa in ihrer Wohnung in Cambridge. „Wow!“ Fasziniert riss sie die Augen auf und beugte sich vor, eine Schüssel Popcorn auf dem Schoß.

Auf ihrem Fernsehschirm lag Kim Basinger mit verbundenen Augen auf dem Rücken. Sie trug ein offenes weißes Hemd und ein weißes Bikinihöschen. Hinter ihr stieg im bläulichen Licht einer Schreibtischlampe Zigarettenrauch auf. Mickey Rourke, in teuflischem Schwarz, lächelte süffisant, während er einen Eiswürfel aus seinem Drink fischte und über sie hielt. Großaufnahme. Kalte Tropfen fielen in Kims Mund, kullerten zwischen ihre Lippen, über ihre Brüste, deren Spitzen sich aufrichteten, und rollten in ihren Nabel.

„O nein. Sieh dir das an, wie er … oh, wow.“

Melissas Freundin Penny nahm eine Handvoll Popcorn aus der eigenen Schüssel und drehte sich ärgerlich zu Melissa um. „Könntest du mit dem ‚Oh, wow‘ aufhören und mich den Film sehen lassen, ja? Du verdirbst alles.“

Melissa zwang sich, den Mund nicht zu öffnen, außer wenn sie noch Popcorn brauchte. Stumm sah sie zu, wie Kim mit geschlossenen Augen auf dem Fußboden in Mickeys Küche saß und er sie fütterte – mit Erdbeeren, Kirschen, Oliven und Champagner – und dann Honig auf ihre ausgestreckte Zunge fließen ließ. Auf ihr Kinn, ihre Knie, ihre Beine. Seine Hände benutzte er dazu, die klebrige, goldene Flüssigkeit auf ihre Oberschenkel zu streichen, drum herum, nach innen und weiter hoch, immer höher …

Melissa öffnete ihren Mund und formte die Worte lautlos: Oh, wow!

Der Film lief weiter bis zum Ende. Dann kam noch der Abspann. Ein seltsames, fast wütendes Verlangen zog durch Melissas Körper. Sie knallte ihre Faust auf ihre praktische Couch mit dem dunkelbraunen Karomuster. „Warum kann ich so etwas nicht erleben?“

„Wie bitte?“ In ungläubigem Staunen verzog Penny ihr Gesicht. „Du möchtest einem kontrollsüchtigen, sadistischen Psycho begegnen, der dir beinahe dein Leben ruiniert?“

„Nein.“ Melissa fegte das Popcorn von ihrem Schoß und streckte ihre nackten Füße aus. „Ich meine, ich will diese Art von Erregung, diese Gefahr. Ich will von der Leidenschaft hinweggefegt werden, auch dann, wenn es nicht vernünftig ist. Vielleicht sogar, weil es nicht vernünftig ist.“

„Das willst du und die gesamte Menschheit, seit der Mensch aufrecht geht. Sei realistisch, Melissa. So etwas gibt es einfach nicht. Wenn du und Herr Soundso zum Sex kommen, wisst ihr schon viel zu viel voneinander. Es gibt immer ein Machtspiel, oder zumindest fängst du an, dir über deine wabbeligen Oberschenkel Sorgen zu machen. Dein Arm ist im Weg, oder du brauchst zu lang bis zum Höhepunkt, und er wird ungeduldig.“ Penny schob ihr eckiges Brillengestell aus Draht nach oben. „Von der Leidenschaft hinweggefegt wird man nur in Filmen. Das kannst du mir glauben.“

„Was ist, wenn du Sex mit einem Typen hast, den du nicht kennst? Mit dem du noch nichts Belastendes herumschleppst?“ Melissa stieß die Worte hervor, geschockt über das, was sie laut gedacht hatte, wenn auch nur in Gegenwart ihrer besten Freundin.

„Was? Du willst es wirklich riskieren, mit einem Mann ins Bett zu gehen, der sich als kranker Serienkiller entpuppt?“

„Also gut. Pass auf. Ich möchte eine tiefe, bedeutungsvolle Beziehung, so wie jede andere Frau auch. Eines Tages möchte ich heiraten, und ich weiß auch, welche Art von Mann mich glücklich machen kann. Aber eine Ehe ist so was wie das Leben mit Bill in den letzten fünf Jahren. Gemütliches, intimes Beisammensein, vorhersehbare Zärtlichkeiten, dieselben alten Kämpfchen mit denselben alten Ergebnissen.“

Melissa fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. „Damit bin ich ja einverstanden. Ich erwarte nicht, dass es für den Rest meines Lebens nur Nervenkitzel und Aufregung gibt. Aber noch bin ich nicht verheiratet. Ich möchte etwas anderes, ein aufregendes und märchenhaftes Abenteuer mit jemandem, bei dem ich mir sicher bin, dass er überhaupt nicht zu mir passt.“

Penny ließ ihren weit geöffneten Mund zuklappen. „Seit wann bist du Frau Heißblütig?“

„Ich weiß nicht, aber ich habe es satt, vernünftig, zuverlässig und vorhersehbar zu sein. Ich möchte versuchen, zur Abwechslung einmal jemand anderes zu sein.“

Penny rollte mit den Augen. „Wer, Mata Hari?“

„Warum nicht?“ Lächelnd streckte Melissa ihre Arme über den Kopf. „Nach all den Jahren mit Bill, den Monaten, wo es mir schlecht ging, nachdem er mich hat sitzen lassen, fühle ich mich jetzt lebendig. Als ob ich mein ganzes Leben lang geschlafen hätte und gerade aufwachen würde.“

Mit hochgezogenen Brauen spähte Penny über den Rand ihrer Brille. „Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens?“

Melissa griff sich eine Handvoll Popcorn und warf damit nach ihrer Freundin. „Vielen Dank, dass du meine Endzwanzigerkrise so ernst nimmst.“

„Oh, du Süße, du weißt, dass mir dein Wohl am Herzen liegt. Allerdings meine ich, dass Sex keine Kur gegen deine Leiden ist.“

„Was denn?“

„Liebe.“ Penny nickte nachdrücklich. „Du musst dich verlieben.“

„Oh, bitte. In Bill war ich verliebt. Sieh doch, wohin mich das gebracht hat.“

„Ach, Bill war eine Gewohnheit, keine Liebe. Gib dir selbst etwas Zeit. Schau dich um. Frag deine Freunde. Mich allerdings nicht. Würde ich einen anbetungswürdigen, ledigen, anständigen Typen kennen, ich würde dich nicht in seine Nähe lassen.“

Penny richtete ihre gut gepolsterte Gestalt zu ihrer vollen Größe von einem Meter sechzig auf und ließ dabei ihr Popcorn auf Melissas Holzfußboden rieseln. „Okay, ich muss los. Muss morgen sehr früh im Museumsladen sein. Für die Rodin-Ausstellung erwarten wir eine Riesenladung von Mini-Denkerstatuen.“

Melissa brachte ihre Freundin zur Tür und winkte ihr zum Abschied zu. Langsam ging sie in den Flur zurück. Dabei lauschte sie auf das Gekicher und das schallende Gelächter, das aus der Wohnung gegenüber kam. Rose hatte anscheinend ihren Liebhaber mit nach Hause gebracht. Die Frau bekam anscheinend nie genug.

Wieder überfiel Melissa das sonderbare, wilde Verlangen, diese Begierde, mit Wut und Panik gemischt. Als wäre sie in einem winzigen Aufzug mit John Cusack gefangen und wüsste nicht, ob sie ihn anspringen, die Türen mit Superfraus Kräften aufreißen oder wegen klaustrophobischer Anfälle ausflippen sollte.

Die Tür von Roses Wohnung ging auf. Melissa trat in ihre Wohnung zurück. Schuldbewusst gab sie ihrer voyeuristischen Stimmung nach, öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte hinaus.

Ein dunkelhäutiger Mann im Smoking, wahrscheinlich früher einmal von hinreißendem Äußeren, für sein fortgeschrittenes Alter noch leidlich gut aussehend, kam heraus und zog eine junge Frau hinter sich her. Melissas Augen weiteten sich.

Rose sah heute Abend aus, als sei sie einem Film aus den vierziger Jahren entsprungen. In dunklen Wellen fiel ihr sorgfältig frisiertes Haar herab, zweifellos eine Perücke. Sie trug ein ungewöhnlich dezentes roséfarbenes Gewand, das ihre helle Haut hervorhob, ihre zierliche Taille noch betonte und in einem atemberaubenden, fließenden, knöchellangen Rock endete. Heute Abend – im Gegensatz zu dem heißblütigen Schmollmund bei ihrer letzten Verabredung – erstrahlte sie in mädchenhafter Begeisterung.

Jedes Mal ein anderer Mann. Jedes Mal ein neues Aussehen.

Vor wildem Verlangen zog sich Melissas Körper zusammen. Das wollte sie auch. Eine neue Persönlichkeit ausprobieren, loslassen, experimentieren, spielen. Nur ein, zwei Monate lang, sonst würde sie es sicher leid werden. Aber zwei Monate wilder, endlos Feste feiernder, ungehemmter Leidenschaft wären großartig.

Stürmisch umarmte der Mann Rose und presste sie gegen die Wand, küsste ihren Mund, ihr Gesicht, ihre Hände und zerstörte dann die ganze Stimmung, als ein knurrendes Hündchengeräusch aus seiner Kehle kam. Melissa zog eine Grimasse und schloss die Tür geräuschlos bei Roses theatralisch ausgestoßenem Schrei: „Oh, Eure Majestät.“

Melissa brauchte kein „Eure Majestät“. So wählerisch war sie nicht. Sie brauchte lediglich eine Parade von normalen perfekten Sexprotzen, die es eine ganze Nacht lang durchhielten.

Sie sank auf ihre Couch zurück. Wen führte sie hier an der Nase herum? Jede Nacht ein anderer Mann? Nein. Aber einer wäre ganz fantastisch. Kein Hampelmann, sondern ein Mann, der ihre Uhr zum Ticken brachte, mit dem sie Sachen entdecken konnte, die Bill ihr nie gezeigt hatte. Ein Mann, der etwas mehr machte, als auf sie zu klettern, eine Menge Schweiß produzierte, sich wegrollte, ein oder zwei Koseworte murmelte und dann anfing zu schnarchen. Vielleicht jemand, der äußerst talentiert mit Eiswürfeln und Honig umgehen konnte.

Sie sah auf ihre nackten Füße, die schäbigen Shorts und das T-Shirt mit dem aufgedruckten Kinderspielzeug. Beschämt strich sie die glatten Haare ihres Bubikopfs zurück. Ja wirklich. Sie hatte genau das Zeug zur Sexgöttin. Die Männer würden bei ihr Schlange stehen, sobald sie sich bereit erklärte, und zwar alle Sorten von seltsamen Käuzen, Blödmännern und Trotteln.

Kaum das, was ihr vorschwebte. Aber die wirklich interessanten Typen sahen sie nie zwei Mal an. Für die war sie immer nur die süße, kleine Schwester, die sie nie gehabt hatten.

Höhnisch grinsend warf Melissa ein braunes Sofakissen durchs Zimmer. Wunderbar. Seit Jahren hatte sie mit der Idee einer Veränderung ihrer äußeren Erscheinung gespielt, aber Bill hatte ihr ständig gesagt, dass sie dann unecht aussehen würde.

Nun, das war hart. Aber Bill war Geschichte. Die Zeit war reif. Wenn Rose sich selbst erfinden konnte, dann auch Melissa. Nicht umsonst war sie stellvertretende Marketingleiterin im Museum of Fine Arts. Ihr Job war es, Dingen Reiz zu verleihen, von denen die Leute dachten, sie seien reizlos. Wenn sie es fertig brachte, dass die Leute Schlange standen, um einen Blick auf die Scherben eines alten ägyptischen Kochtopfs zu werfen, dann konnte sie sich auch in eine Frau verwandeln, die nicht nur irgendein komischer Kerl attraktiv finden würde. Richtig?

Richtig.

Sie griff nach der Juliausgabe von Cosmo auf ihrem Tisch und blätterte sie durch, wobei sie genau auf Stil und Haltung der Models achtete. Wo sollte sie anfangen, wenn sie sich auf Männerfang begab? Egal, ob nur im Geiste oder auch in Wirklichkeit, der Stil, den sie wählte, musste zu ihr passen. Sie legte den Finger auf ein Bild, das ein gepflegtes Model mit vollen Lippen und schwarzem, kurz geschnittenem Haar zeigte. Seine schwarze, die Figur umschmeichelnde Kleidung ließ es lässig, elegant, sexy und unschuldig zugleich aussehen, genau so, wie Melissa es wollte.

Sie klappte die Illustrierte zu und drückte sie an sich. Hier war die Ausstattung, das ganze Drum und Dran. Ihr neues Selbst. Es sollte ein Fest werden: ihre endgültige, aufregende Befreiung von dem herzensguten Bill, die Erforschung jenes seltsamen, dunklen Wunsches, der sie schon seit Wochen aufwühlte, die Geburt ihrer weiblichen Macht und ihrer größtmöglichen Entfaltung. Nun gab es nur noch ein Problem. Wo würde sie den Mann finden, der das alles mit ihr zusammen unternahm? Der ihr half, die Tiefen ihrer Weiblichkeit zu entdecken, alle Hemmungen zu überwinden und sie dorthin entführte, wo sie noch nie …

„Oh, Eure Majestät!“ Deutlich drang vom Flur her Roses Stimme in Melissas Luftschloss hinein.

Melissa lächelte. Das kam ja wie gerufen. Konnte sie mehr verlangen? Die neue Melissa war beschlossene Sache. Den Wunsch und die Mittel hatte sie – und die perfekte Beraterin direkt gegenüber.

2. KAPITEL

Tief atmete Michael Slater die würzige Meeresluft ein, die durch die mit Fliegenfenstern versehene Veranda des Sommerhauses seiner Eltern in Howarth, Maine, wehte. Durch die immergrünen Zweige und die Birkenstämme funkelte unter ihm Fisher Bay. Im frühen Sonnenlicht leuchteten ihre kleinen Inseln grün auf. Ganz sicher ging einem dieser Ort unter die Haut, ins Blut.

Er machte ein paar Schritte bis zur Südecke der Veranda und fuhr mit der Hand das Gitternetz entlang, das noch feucht vom Regen der vergangenen Nacht war. Im Laufe des Jahres, das er der Pflege seiner Mutter gewidmet hatte, war ihm die Einsamkeit lieb geworden, was er nicht für möglich gehalten hatte, nachdem er dreiunddreißig Jahre immer unter Menschen gewesen war.

Seitdem er seine Energie nicht mehr darauf verwandte, seine Mutter am Leben zu erhalten und es ihr angenehm zu machen, war in ihm langsam wieder der Wunsch entstanden, jemanden um sich zu haben. Vielleicht hatte ja Riley Lust, ihn zu besuchen. Er vermisste seinen Freund. Vielleicht würde ihn auch eine Frau besuchen. Er vermisste eine Frau, verdammt noch mal.

An diesem idyllischen Ort konnte er sich gut eine Frau vorstellen, wie sie auf der Veranda las oder am felsigen Ufer saß und auf das Wasser schaute. Er lachte. Das Geräusch schreckte einen Kolibri auf, der auf einem Baum in der Nähe saß. Vielleicht sollte er, bevor er sich in einen Volltrottel verwandelte, ganz einfach seine Sachen zusammenpacken und nach Boston zurückkehren, zurück zu Telefon und Elektrizität und zynischen Stadtbewohnern.

Die morgendliche Stille im Wald hinter ihm wurde von ungewohnten Geräuschen unterbrochen. Lautes Motorengebrumm, von einem Lastwagen oder Van, der knirschend über die unbefestigte Straße fuhr und die Steine zur Seite wegspringen ließ. Slate fuhr herum. Beunruhigt starrte er zur Haustür. Wer, zum Teufel, tauchte denn so früh am Morgen hier auf?

Es klingelte zwei Mal, voller Ungeduld. Verärgert über die frühe Störung ging er zur Tür und öffnete. Ein pickliger, langhaariger Halbwüchsiger bewegte seinen Kopf im Rhythmus einer Musik, die durch die Kopfhörer direkt auf sein Trommelfell dröhnen musste. „Telegramm. Bitte, unterschreiben Sie hier.“

Slate bezwang das aufsteigende Gefühl der Unruhe, unterschrieb das Telegramm und nahm es mit ins Haus. Erleichtert hörte er, wie der Lieferwagen davonfuhr. Er ging zurück auf die Veranda. Langsam und sorgfältig öffnete er den Umschlag. Angespannt starrte er auf das Telegramm.

Da stand nur ein Wort: Gemini.

Melissa saß auf der Bettkante in ungewohnt engen schwarzen Hosen, einem olivgrünen Tanktop und klobigen Schuhen. Sie starrte auf ihr nagelneues Selbst im Spiegel. Ihr glatter Bubikopf war einer Kurzhaarfrisur gewichen, die den Schnitt des Gesichts und die Kopfform betonte und ihre Augen riesengroß erscheinen ließ. Und siehe da, befreit vom Gewicht seiner früheren Länge hatte sich das Haar doch tatsächlich leicht gewellt.

Wunderbarerweise hatte sie den Friseurtermin zwei Tage nach der Entscheidung über ihr neues Aussehen bekommen. Danach hatte sie an einem Gratisschminkkurs an der Theke eines Kaufhauses teilgenommen und kam daraus hervor wie eine Braut Draculas, die noch nie das Sonnenlicht erblickt hatte. Bleiche, pudrige Haut, dunkle Lippen, orangenes Rouge an Stellen, wo sie nie errötete. Schichten von Lidschatten in immer heller werdenden Tönen, was ihre Augen „natürlich“ aussehen lassen sollte, aber ihre Form so veränderte, dass sie sich selbst kaum wiedererkannte … es war ein einziger Horror gewesen!

Also waren Penny und sie in die Schminkecke einer Drogerie marschiert und hatten einen ganzen Abend dort verbracht, mit dem Cosmopolitain-Magazin als Leitfaden. Sie hatten versucht herauszufinden, ob sie mit einigen Tricks ihrem frisch-fröhlichen Landmädchenaussehen zu exotisch sinnlichem Glanz verhelfen konnten.

Na ja, sie hatten es beinahe geschafft!

Dann ging’s zur Maniküre, zur Pediküre und der ziemlich schmerzhaften Enthaarungsprozedur, die ihre Beine wirklich sagenhaft weich zurückließ, nachdem die Kratzer verblasst waren.

Melissa lächelte sich in dem dunkel gerahmten Spiegel ihrer Frisierkommode zu. Sie sah wirklich anders aus. Älter. Interessanter. Besser. Bis jetzt war es einfach gewesen – eine vergnügliche Woche. Doch nun würde es schwieriger werden und furchterregend. Jetzt würde sie gleich zu Rose hinübergehen und fragen, wie sie einen Mann kennenlernen und mit ihm eine wilde, bedeutungslose Affäre haben könnte. Es war so, als sei die Untersuchung abgeschlossen und sie müsste sich jetzt hinsetzen und ihr Semesterreferat schreiben.

Sie kräuselte die Oberlippe. Bis jetzt hatte sie es immerhin schon bis an die Kante ihres Bettes geschafft, die der Tür am nächsten war. Der nächste Schritt würde darin bestehen, sich in ihr Wohnzimmer zu begeben. Von dort aus wären es ungefähr fünf Meter bis zur Wohnungstür. Sechs weitere für die Überquerung des Flurs. Dann das Anklopfen, das Warten, das Plaudern und schließlich der Vorstoß zum Kern der Sache.

Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Sie konnte es nicht. Oder vielleicht doch? Aber vielleicht wäre es morgen besser …

Neben ihrem Bett klingelte das Telefon. Sie reckte sich über die elfenbeinfarbene Tagesdecke und hob begierig den Hörer ab in der Hoffnung, es wäre Penny, die sie davon überzeugen würde, dass morgen ein viel geeigneterer Tag sei. Oder vielleicht …

„Melissa, hier ist Bill.“

„Bill.“ Ihr Herz, das ihn ja schon lange hinter sich gelassen hatte, machte einen verräterischen Sprung. War dies ein Zeichen? Ein Zeichen dafür, dass sie völlig auf dem Holzweg war? „Wie … wie geht es dir?“

„Mir geht’s gut.“ Er wirkte zerstreut und unsicher. Er hatte etwas auf dem Herzen. Ohne ihn zu sehen, wusste sie, dass er seinen Mund spitzte und mit den Fingern unglaublich schnell auf irgendeine Unterlage in seiner Nähe trommelte. „Wie geht es dir?“

„Mir geht es großartig … Was gibt’s?“ Vermisste er sie? Wollte er sie sehen? Wollte er, dass sie noch einmal von Neuem anfingen?

Das konnte er vergessen! Ha! Sie würde ihm nur sagen …

„Ich wollte dir sagen …“ Er seufzte aufgeregt. „Vielleicht ist es ja ein Fehler. Aber ich dachte, du solltest es wissen.“

„Ja?“ Dass ich jede Nacht von dir träume, Melissa. Dass ich dich mehr vermisse, als ich sagen kann.

Tatsächlich? Tut mir leid, Bill. Das Leben ohne dich ist einfach toll. Ich bin tatsächlich gerade dabei zu …

„Ich habe jemanden kennengelernt. Ich treffe mich mit ihr. Ich … wollte, dass du es von mir erfährst.“

Melissa riss die Augen himmelweit auf. „O Bill, das ist ja fantastisch. Ich freue mich für dich, wirklich. Und danke, dass du es mir gesagt hast. Das ist wirklich nett von dir!“

„O Mann, ich bin ja so froh, dass du nicht beleidigt bist. Sie ist einfach super. Hör mal. Vielleicht solltest du mal vorbeikommen und sie kennen…“

„Vielen Dank für deinen Anruf, Bill. Wirklich nett, von dir zu hören. Ich muss jetzt weg. Tschüs.“

Melissa legte den Hörer auf, ballte die Fäuste und stampfte mit wütenden Schritten über ihren unschuldigen, grauen Teppich zum Spiegel. Vor Wut, Schmerz und Erniedrigung rang sie nach Luft. Welche seltsame, unlogische Gefühlsaufwallung ließ sie wünschen, dass Bill sie immer noch wollte, sodass sie sich den Luxus erlauben konnte, ihn zu enttäuschen?

Dann würde sie auf ihrem Seidenkissen thronen können, mit Edelsteinen geschmückt und parfümbestäubt, und nachsichtig lächelnd mit ihrem seidenen Taschentuch winken, damit die Wächter ihn ins Schlossgemach für abgewiesene Freier schleppten.

In dem Augenblick, als ihr klar wurde, dass er nichts mehr von ihr wollte, war aus ihrem Schloss ein schlammiger, grüner Teich geworden, und sie war eine Prinzessin, die sich in einen Frosch zurückverwandelte, der einsam und gekränkt auf einem kalten, glitschigen Seerosenblatt kauerte.

Sollte er doch zur Hölle fahren!

Abrupt drehte sie sich um und stolzierte durch ihre Wohnung, fegte die Schlüssel vom Flurtisch, knallte die Tür hinter sich zu, stapfte mit vier wütenden Schritten den Gang hinunter und klopfte an Roses Tür, bevor sie auch nur ein bisschen schwankend werden und ihre Absicht ändern konnte.

„Wer … wer ist da?“

Melissa runzelte die Stirn. Hatte sie so fest geklopft? Rose hörte sich an, als ob sie die gesamte, bis an die Zähne bewaffnete Bostoner Polizei erwartete.

„Ich bin’s, Melissa. Kann ich mit dir reden?“

Die Tür ging auf, und Rose erschien, bleich, unsicher und ungefähr fünf Jahre jünger als an dem Abend vor einer Woche mit dem saudischen Prinzen. Sie trug leuchtend blaue Caprihosen und ein T-Shirt in Übergröße, das wahrscheinlich einem ihrer männlichen Verehrer gehörte.

„Sicher, klar doch.“ Rose lächelte. „Komm doch rein. Du siehst anders aus. Hast du eine neue Frisur? Sie gefällt mir. Sieht so ähnlich aus wie meine.“

Melissa nickte und fasste sich verlegen an das kurze Haar. Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich Roses glatte, natürliche Frisur zum Vorbild genommen hatte. Nicht, dass man viel von Roses Haaren sah; normalerweise war es ja unter Perücken verborgen.

„Trinkst du eine Tasse Tee? Ich mach gerade welchen.“

Wieder nickte Melissa und ging zwischen Roses wunderlicher Sammlung von Teppichen, Sesseln und Krimskrams in allen Farben auf und ab. Dabei fragte sie sich, wie man es formgerecht anstellte, jemanden, den man kaum kannte, nach einem empfehlenswerten Sexpartner zu fragen. Sie hob einen Handspiegel hoch, auf dessen Rückseite ein schönes, zartes Mädchengesicht gemalt war, und legte ihn vorsichtig auf den überladenen Tisch zurück.

„Herrlicher Tag.“ Rose lächelte liebenswürdig. „Heute Abend gehe ich zu einem Baseballspiel. Sieht ganz so aus, als würde sich das Wetter halten.“

Auf, Melissa, komm zur Sache! Sie blieb gegenüber einer bizarren Statue stehen, die an eine Giraffe erinnerte und aus mit Draht aneinander gehefteten Blechdosen gemacht war. „Oh, du besitzt eine Skulptur von Randstetler!“

„Tatsächlich?“ Rose erlöste den schrill pfeifenden Wasserkessel und goss kochendes Wasser in zwei Tassen. „Ich habe sie von einem Freund. Ich kann nicht behaupten, dass sie mir gefällt.“

„Dein Freund ist sehr nett. Randstetler ist gerade dabei, sich einen Namen zu machen. Wahrscheinlich werden die Preise für seine Arbeiten raketenartig in die Höhe gehen. Ein komischer Kerl. Hat’s dauernd mit den Rechten von Tieren und hebt immer den moralischen Zeigefinger. Arbeitet das in jedes seiner Werke ein.“ Sanft strich Melissa über die Giraffennase aus Aluminium. Genug geplappert! Raus mit der Sprache! „Hör zu, Rose. Ich würde gerne wissen, ob du mir einen etwas seltsamen Gefallen tun kannst.“

Rose lachte, ein nettes, warmes Lachen. Überhaupt nicht so ein albernes Gekicher wie im Flur mit Seiner Majestät. „Ich bin auf Sonderwünsche spezialisiert. Und dich wollte ich auch gerade um einen bitten. Aber du zuerst. Setz dich und schieß los.“

Melissa ließ sich in einen dick gepolsterten burgunderroten Sessel fallen. „Vor ein paar Monaten habe ich mich von einem Typen getrennt … Na ja, eigentlich hat er sich von mir getrennt.“

„Igitt.“ Rose rümpfte die Nase, reichte Melissa die Teetasse und sank in den Sessel gegenüber. „Das tut mir leid.“

„Es geht mir gut. Jetzt geht es mir wirklich gut.“ Vorsichtig setzte Melissa ihren Becher auf einem geblümten Untersetzer ab. „Ich bin jetzt bereit, mich wieder mit jemandem zu treffen.“

Rose nickte. „Gut für dich.“

„Aber ich habe mich gefragt … nun, die Wahrheit ist, Bill und ich … wir hatten nicht den allertollsten Sex.“

„Zwei Mal igitt.“ Rose verzog das Gesicht. „Gut, dass du ihn los bist.“

„Bevor ich jedoch anfange, mich wieder ernsthaft umzuschauen … Da du so viele Typen zu kennen scheinst, habe ich mich gefragt … ob du nicht jemanden kennst, mit dem ich ein Abenteuer haben könnte.“ Melissa bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. „O Mann! Wenn du wüsstest, wie schwierig es war, damit herauszurücken …“

„Okay, okay.“ Wieder lachte Rose. „Ich finde, das ist eine tolle Idee. Jede sollte ein oder zwei wilde Romanzen haben.“

Melissa ließ die Hände sinken. „Machst du es denn so?“

„So ähnlich.“ Die freundliche Wärme in Roses Gesicht verschwand. Nachdem sie einen Schluck Tee getrunken hatte, strahlte sie wieder. „Also, ich bin froh, dir helfen zu können. Ich kenne ja wirklich eine Menge Männer.“

„Oh, danke.“ Erleichtert atmete Melissa auf. „Ich hatte solche Angst, dass du beleidigt sein könntest.“

Rose schüttelte den Kopf. „Unsinn. Ich bewundere dich. Ich wette, eine Menge Frauen möchte das tun, was du tust, aber sie haben nicht den Mut dazu.“

„Mutig fühle ich mich überhaupt nicht.“

„Was sagen sie immer in den Kriegsfilmen? Mut besteht darin, tapfer zu handeln, auch wenn man sich gar nicht so fühlt.“

„Danke.“ Melissa lächelte. Trotz all ihrer Verstellungskünste gegenüber Männern war Rose überraschend natürlich.

„Also, redest du von einem netten, süßen, sanften Lehrer? Oder von Mr. Sexprotz, der dir jede Fantasie erfüllt?“

„Eher von Letzterem.“ Melissa wurde rot. Sie kam sich vor, als ob sie über eine Fleischbestellung im Supermarkt redete. „Ich will nicht in den Hafen der Ehe einlaufen, bevor ich nicht etwas mehr von dem erlebt habe, wovon alle Welt so viel Aufhebens macht.“

Rose lächelte. Es war die Andeutung eines hintersinnigen Mona-Lisa-Lächelns, mit einer Spur des Bedauerns. „Glaubst du nicht, dass dir das auch ein Ehemann geben könnte?“

„Nicht das, worauf ich aus bin.“ Melissa trank einen Schluck Tee. „Ehemänner haben es an sich, dich mit dem ganzen Beziehungskram zu belasten. Diesmal möchte ich es ohne diese Belastung versuchen und jemand anderes sein, wenn auch nur für eine Weile.“

„Verstehe.“ Langsam stellte Rose ihren Tee ab. „Nun, ich bin bestimmt nicht diejenige, die es dir ausreden will. Bist du dir sicher, dass du das willst? Ich meine, die meisten Frauen finden es schwierig … intim zu werden, ohne sich zu verlieben.“

Autor

Isabel Sharpe
Im Gegensatz zu ihren Autorenkollegen wurde Isabel Sharpe nicht mit einem Stift in der Hand geboren. Lange Zeit vor ihrer Karriere als Schriftstellerin erwarb sie ihren Abschluss in Musik auf der Yale Universität und einen Master in Gesangsdarbietung auf der Universität von Boston. Im Jahre 1994 rettet sie die Mutterschaft...
Mehr erfahren