Nur du weckst diese Lust in mir

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Alles in ihr sehnt sich nach seiner zärtlichen Berührung - wenn Gabriella den attraktiven Chance nur ansieht, ist es um sie geschehen. Mit dem Millionär könnte die temperamentvolle Mexikanerin dem allzu strengen Elternhaus entkommen und endlich alle Facetten der Liebe kennenlernen! Aber so verlockend seine Lippen auch sind: Sie darf ihrem lodernden Verlangen nicht nachgeben. Gabriella weiß, dass Chance etwas vor ihr verbirgt. Er hütet ein düsteres Geheimnis, das sie unbedingt lüften muss - auch wenn sie den Mann ihrer Träume dadurch für immer verlieren könnte …


  • Erscheinungstag 13.01.2015
  • Bandnummer 1854
  • ISBN / Artikelnummer 9783733720902
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Dios mío!“, fluchte Gabriella del Toro leise. „Nicht mal mit einem Dosenöffner kann ich umgehen!“ Blut quoll aus dem Schnitt an ihrem Finger. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

Fragend blickte ihr Bodyguard Joaquin sie an.

„Alles in Ordnung“, beruhigte sie ihn schnell. „Ich habe mich nur an der Dose geschnitten.“ Dabei hatte sie lediglich eine Suppe für ihren Bruder Alejandro aufwärmen wollen. Das konnte doch nicht so schwierig sein. Allerdings hatte sie die Küche auf dem elterlichen Besitz Las Cruces westlich von Mexico City nur sehr selten betreten. Schließlich war die Köchin der Meinung, dass es unter der Würde der Dame des Hauses war zu kochen, selbst wenn diese „Dame“ erst zwölf Jahre alt war. Außer Tee und Kaffee konnte Gabriella nichts zubereiten, das heißt, ihre Tante, die Schwester ihrer Mutter, hatte ihr gezeigt, wie man Tortillas machte. Damals war Gabriella sieben gewesen. Das war jetzt zwanzig Jahre her.

Ihr Vater, Rodrigo del Toro, war einer der reichsten und mächtigsten Geschäftsleute Mexikos. Sie selbst war Schmuckdesignerin und Goldschmiedin, die aus Gold, Silber und Edelsteinen kleine Kunstwerke schuf. Aber im Augenblick, dachte sie verärgert, bin ich der typische Fall einer reichen Erbin, die nicht einmal eine Dose öffnen kann.

Da die Blutung nachgelassen hatte, ging Gabriella in Richtung Badezimmer, um sich ein Pflaster zu holen. Sofort war der Bodyguard aufgestanden und tat es ihr gleich. Seit sie dreizehn war, folgte Joaquin Baptiste ihr wie ein Schatten. So anstrengend das auch in mancher Hinsicht war – etwa wenn sie ein Date hatte –, war sie doch froh über seine Fürsorge. Manchmal hatte sie den Eindruck, ihr Glück sei ihm wichtiger als ihrem Vater oder Bruder. Während sie sich das Pflaster um den Zeigefinger wickelte, seufzte sie auf. Mit der Wunde konnte sie unmöglich die feinen Geräte bedienen, die sie für die Schmuckherstellung brauchte.

Aber hier konnte sie ja sowieso nicht arbeiten! Ihre Werkzeuge hatte sie in Las Cruces gelassen, auch weil sie davon ausgegangen war, dass sie sich nur kurze Zeit bei ihrem Bruder in Texas aufhalten würde.

Armer Alejandro, armer Papa! Entführungen waren in der Familie del Toro nichts Seltenes. Aber alle hatten geglaubt, dass Alejandro in Texas sicherer war als in Mexiko. Daher hatte Alejandro sich auch geweigert, seinen Bodyguard Carlos mitzunehmen. In Amerika brauche man so etwas nicht, hatte er gemeint. Und Rodrigo hatte schließlich nachgegeben. Sonst wäre der Sohn nicht nach Texas gegangen, um für den Vater Erkundigungen über eine Ölgesellschaft einzuziehen, die der Del-Toro-Konzern eventuell erwerben wollte.

Gabriella war immer noch überrascht, dass der Vater sich quasi hatte erpressen lassen und Alejandro erlaubt hatte, allein und wie ein Amerikaner zu leben. Zwei Jahre zuvor war Alejandro als Alex Santiago nach Texas gegangen, und sie hatte sofort begonnen, ihn um sein freies Leben zu beneiden. Zumal ihr Vater ihren Wunsch, ebenfalls nach Amerika zu ziehen, strikt abgelehnt hatte. Offensichtlich war die Tatsache, dass sie unter seiner und Joaquins Aufsicht bleiben musste, eine unerschütterliche Tatsache.

Letzten Endes war sie darüber sogar ganz froh gewesen, vor allem als die Nachricht von Alejandros Entführung sie erreicht hatte. Erstaunlicherweise gab es keine Lösegeldforderungen wie sonst in Mexiko üblich. Aber auch von Alejandro hatten sie nichts gehört – bis zu dem Zeitpunkt einige Wochen zuvor, als er zusammen mit illegalen Immigranten, die nach Amerika wollten, in einem Lastwagen an der Grenze aufgegriffen worden war. Offenbar war er von den Entführern nicht gerade sanft behandelt worden. Er hatte Blutergüsse und kaum verheilte Wunden.

Das Schlimmste aber war, dass er sein Gedächtnis verloren hatte und überhaupt nicht wusste, was in der Zwischenzeit mit ihm passiert war. Mittlerweile lebte er wieder in seinem Haus in Royal, einem kleinen Ort in Texas. Hin und wieder kam die Polizei, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Aber da er sich noch immer nicht erinnern konnte, waren den Beamten die Hände gebunden.

Gabriella war darüber nicht glücklich. Sie hatte den Eindruck, dass man von offizieller Seite nicht energisch genug nach den Entführern suchte. Andererseits, was sollten sie tun, wenn Alejandro ihnen keinerlei Hinweise geben konnte? Meist saß ihr armer Bruder vorm Fernseher und guckte Fußball. Seltsam, er konnte sich an sein früheres Leben nicht erinnern, aber seine Liebe zum Fußball war geblieben. Er erkannte weder die Schwester noch den Papa, hatte zumindest keinerlei Reaktion gezeigt. Nur als der Vater meinte, sie wollten nun alle nach Las Cruces zurückkehren, hatte er protestiert.

Also war Rodrigo mit ihr nach Royal gekommen und hatte in Alejandros glücklicherweise sehr geräumigem Haus sein Hauptquartier aufgeschlagen. Von dort aus versuchte er seine Geschäfte zu führen, so gut es eben ging, und vor allem die Entführer zu finden. Er war nicht bereit, die Verbrecher davonkommen zu lassen, die seinem Sohn, einem Del Toro, so etwas angetan hatten. Gabriella konnte nur hoffen, dass ihr Vater sein Temperament zügelte, wenn die Entführer gefasst wurden. Sonst landete er vielleicht noch selbst in einem amerikanischen Gefängnis – wegen schwerer Körperverletzung.

Wie lange die Familie in Royal bleiben musste, stand in den Sternen. Und falls Gabriella gehofft hatte, nun ihrerseits die Freiheit in Amerika genießen zu können, so hatte sie sich gründlich getäuscht. Nachdem er beinah seinen Sohn verloren hatte, bestand der Vater umso energischer darauf, dass die Tochter nie ohne Bodyguard ausging. Deshalb kannte sie bisher nur den kleinen Flugplatz, auf dem der familieneigene Jet gelandet war, das Krankenhaus und Alejandros Haus.

Sie langweilte sich. Der Bruder war kaum ansprechbar, und dem Vater ging sie lieber aus dem Weg. Nun war sie endlich in Amerika und sehnte sich doch nach Las Cruces. Das hätte sie nie für möglich gehalten. Aber dort hatte sie wenigstens ihre Werkstatt und konnte arbeiten. Außerdem konnte sie ihr Pferd Ixchel satteln lassen und – wenn auch in Joaquins Begleitung – über den großen Besitz reiten. Das verschaffte ihr zwar nicht das Gefühl von absoluter Freiheit, war aber mehr, als sie hier hatte.

In diesem Haus war sie gefangen und hatte als Gesprächspartner nur den Bruder, den unberechenbaren Vater und den schweigsamen Joaquin. Kurzfristig hatte Alejandros Hausmädchen Maria, die Nachfolgerin seiner früheren Haushälterin Mia Hughes, etwas Abwechslung in Gabriellas Leben gebracht. Und auch Nathan Battle, den Sheriff von Royal, und die Staatsanwältin Bailey Collins hatte sie kennengelernt. Aber das war’s auch schon.

Ein Klingeln unterbrach Gabriella in ihren Gedanken.

Hoffentlich war das Maria. Dicht gefolgt von Joaquin, ging Gabriella zur Tür. Es tat einfach gut, sich mit einer anderen Frau zu unterhalten, auch wenn es dabei im Wesentlichen um die Einkäufe und das Wetter ging. Wieder drückte jemand auf die Klingel. Nein, das konnte nicht Maria sein, die war nicht so ungeduldig. Also der Sheriff oder die Staatsanwältin. Auch gut. Besser als gar nichts.

Am Eingang verständigte Gabriella sich kurz mit Joaquin und öffnete dann. Zu ihrer großen Überraschung standen weder Nathan Battle noch Bailey Collins vor der Tür, sondern ein großer breitschultriger Mann, der wie ein Cowboy gekleidet war. Er trug eine abgetragene Lederjacke über dem dunkelgrauen Hemd, dazu eine ausgeblichene Jeans, die in dunkelgrauen Stiefeln steckte. Sowie er sie erblickte, nahm er seinen breitkrempigen Hut ab und hielt ihn sich vor die Brust.

Hombre, hat der grüne Augen! So grün wie das frische Gras im Frühling auf den Ländereien von Las Cruces. Als sie ihm in die Augen sah, hatte sie ein ganz seltsames Gefühl, vertraut und doch aufregend.

„Tag, Ma’am.“ Er lächelte und hob kurz die Augenbrauen, als sei er erstaunt, aber auch erfreut, sie zu sehen. „Ich würde gern mit Alex sprechen.“

Zu spät wurde ihr bewusst, dass sie ihn unverhohlen anstarrte. Wahrscheinlich weil sie bisher mit kaum jemandem aus dem Städtchen in Kontakt gekommen war. Vielleicht aber auch, weil sein Blick sie bis in die Grundfesten erschütterte.

Er streckte die Hand aus. „Mein Name ist Chance McDaniel. Ich glaube nicht, dass wir uns schon mal …“ Fragend sah er sie an.

Chance McDaniel? Das war Chance McDaniel? Was Gabriella bisher von ihm gehört hatte, machte ihn in ihren Augen nicht gerade sympathisch. Der Sheriff und auch die Staatsanwältin hatten ihr und ihrem Vater erzählt, dass dieser McDaniel einerseits eng mit Alejandro, das heißt Alex Santiago, befreundet gewesen war. Andererseits wurde er aber auch verdächtigt, etwas mit der Entführung zu tun zu haben. Was wollte er dann hier? Und wie sollte sie sich ihm gegenüber verhalten? Ihn hereinlassen?

Joaquin stand hinter der Tür, und Gabriella sah aus dem Augenwinkel, wie er die Hand in die Innentasche seines Jacketts schob. Oh, nein, nicht die Pistole … Zwar konnte Gabriella sich nicht vorstellen, weshalb der Hauptverdächtige unbedingt mit seinem Opfer sprechen wollte, wenn es denn überhaupt sein Opfer war. Aber sie waren schließlich nicht in Mexiko. Hier griff man nicht gleich zum Colt.

Schnell hob sie die Hand, und Joaquin trat einen Schritt zurück. Dann lächelte sie den Fremden freundlich an. „Oh, Mr McDaniel. Kommen Sie doch herein.“

Kurz runzelte er die Stirn, dann ließ er die Hand sinken und trat in die Eingangshalle. Joaquin kam hinter der Tür hervor, und Chance McDaniel nickte ihm zu. „Hallo, Señor.“

Joaquin antwortete nicht, sondern blieb unbeweglich wie eine Statue stehen und ließ McDaniel nicht aus den Augen. Der kannte sich offensichtlich gut im Haus aus, denn er ging sofort in Richtung Wohnzimmer. Dann schien ihm etwas einzufallen, und er wandte sich zu Gabriella um.

„Entschuldigen Sie, Miss, wie war noch gleich der Name?“ Dabei sah er sie langsam von oben bis unten an.

Glücklicherweise hatte sie sich bei ihrem Abenteuer mit dem Dosenöffner nicht die weiße Bluse beschmutzt. Und die schmale schwarze Hose stand ihr gut, das wusste sie. Die knielange korallenrote Strickjacke bildete einen reizvollen Kontrast zu dem schweren Schmuck aus Silber und Türkisen, den sie selbst entworfen und angefertigt hatte.

Unwillkürlich musste Gabriella lächeln – ein etwas ironisches Lächeln, denn sie konnte sich gut vorstellen, was diesem Mr McDaniel gerade durch den Kopf ging. Wahrscheinlich überlegte er fieberhaft, welche Rolle sie hier spielte. War sie die neue Haushälterin? Schließlich gingen die meisten Amerikaner davon aus, dass Frauen, die hispanischer Herkunft waren und in die USA auswanderten, irgendwelche Jobs im Haushalt annahmen. Für ein Dienstmädchen war sie allerdings etwas zu teuer gekleidet.

Wenn es sich bei diesem attraktiven Fremden nicht gerade um den Hauptverdächtigen in Alejandros Entführungsfall gehandelt hätte, hätte sie ihm gesagt, wer sie war. Aber in diesem Fall wollte sie ihn noch ein wenig zappeln lassen. So setzte sie nur ihr strahlendstes Lächeln auf. „Möchten Sie vielleicht einen Tee?“

Statt irritiert zu sein, grinste dieser McDaniel nur selbstbewusst. „Sehr gern, Ma’am.“

Jetzt war sie es, die leicht verunsichert war. Dieses Killerlächeln … Wahrscheinlich sanken die Frauen ihm gleich reihenweise zu Füßen. Na, er würde schon noch herausfinden, dass Gabriella del Toro nicht so leicht zu betören war. Wenn ihr unter dem Blick seine grünen Augen auch ganz warm geworden war … Sie wies auf das Wohnzimmer und ging dann betont langsam in die Küche. Im Kühlschrank stand immer ein Krug mit Eistee. Schnell tat sie ein paar Kekse auf einen kleinen Glasteller, stellte zwei Gläser auf ein Tablett und den Krug dazu.

Es war still im Haus. Offenbar hatte Alejandro die Klingel nicht gehört, denn sonst wäre er sicher heruntergekommen, um zu sehen, wer der Besucher war. Auch ihr Papa schien nichts gehört zu haben, Gott sei Dank …

Falls dieser McDaniel wirklich etwas mit Alejandros Entführung zu tun hatte, würde sie versuchen, es auf geschickte Weise herauszubekommen. Dabei störte ihr undiplomatischer Vater nur. Allerdings würde er bestimmt furchtbar wütend sein, wenn er erfuhr, dass sie ihn nicht dazugeholt hatte. Aber sie war einfach besser, wenn es um eine freundliche, unverfängliche Konversation ging. Und da Joaquin immer in ihrer Nähe war, war sie auch nicht in Gefahr.

Als sie den Raum betrat, saßen Joaquin und Mr McDaniel einander gegenüber und starrten sich an. Gabriella ging auf die beiden zu, und sofort stand McDaniel auf. „Danke für den Tee“, sagte er, machte aber keine Anstalten, sich zu bedienen, nachdem sie das Tablett auf dem Couchtisch abgestellt hatte. Auch sie setzte sich und betrachtete ihren Besucher nachdenklich, der wieder Platz genommen hatte. Was für ein Mensch er wohl war? Hatte er Vorbehalte gegen Ausländer? Würde er einen unbewaffneten Mann angreifen? Sie konnte ihn nur sehr schwer einschätzen, und auch das machte sie nervös.

Als ahne er, was ihr durch den Kopf ging, stellte Joaquin sich vorsorglich hinter ihren Sessel. Sollte sich dieser Chance McDaniel irgendetwas Dummes einfallen lassen, würde er es bereuen.

Doch der Fremde blieb gelassen sitzen. Er hatte den Hut auf ein Seitentischchen gelegt, die Beine übereinandergeschlagen und sich zurückgelehnt. Das dunkelblonde Haar war kurz geschnitten, er war offensichtlich frisch rasiert und trug keinerlei Schmuck.

Braucht er auch nicht. Bei dem Gedanken wurde ihr ganz warm. Aber sie sollte jetzt endlich sagen, wer sie war, und eine Unterhaltung beginnen. Sonst platzte ihr Vater herein, und die Chance, etwas aus diesem McDaniel herauszubekommen, war vertan. „Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, Mr McDaniel“, sagte sie betont herzlich. „Alejandro hat mir viel von Ihnen erzählt.“ Eine leichte Röte stieg ihm in die Wangen. Himmel, ist der Mann attraktiv! „Ich bin Gabriella del Toro, Alejandros Schwester.“

Er riss die Augen auf. Dieses Grün … „Ich habe nicht gewusst, dass Alex eine Schwester hat“, sagte er und schien betroffen. „Aber wahrscheinlich weiß ich überhaupt sehr wenig von Alex. Nicht mal, dass er eigentlich Alejandro heißt.“ Er sah Joaquin an. „Dann sind Sie sein Bruder?“

Gabriella lachte. „Nein, Joaquin ist mein Bodyguard. Die Mitglieder unserer Familie können nicht vorsichtig genug sein, besonders nach dem, was mit Alejandro passiert ist.“

Chance McDaniel nickte. „Das kann ich gut verstehen. Wie geht es Alex denn? Ich hatte gehofft, mit ihm sprechen zu können. Aber ich weiß nicht, ob ihm danach zumute ist.“

Gabriella wandte sich zu Joaquin um und fragte ihn etwas auf Französisch. Zu ihrer Überraschung antwortete ihr Besucher und grinste sie breit an. „Mein Französisch ist zwar nicht besonders gut und hört sich nicht so elegant an wie Ihres – hier ist die erste Fremdsprache eher Spanisch –, aber ich habe doch verstanden, was Sie Joaquin gefragt haben. Nämlich wen er zuerst von meinem Besuch informieren sollte. Ihren Vater oder Ihren Bruder.“

Verlegen nickte sie.

„Ich glaube, ich kann mich selbst bei beiden vorstellen. Sie brauchen Joaquin nicht zu schicken.“

Sie war rot geworden. Was für ein erstaunlicher Mann. Er wirkte auf eine angenehme Art selbstbewusst und dabei völlig entspannt. Dass ihr Bruder sich mit ihm angefreundet hatte, konnte sie gut verstehen. Alejandro mochte Menschen, die freundlich und umgänglich waren. Da war sie nicht anders.

Wieder sah sie ihn forschend an. War Chance McDaniel wirklich ein Cowboy? Konnte er reiten? Seine Hände waren absolut sauber, wenn auch kräftig. Sicher konnte er damit gut zupacken. Vielleicht auch zärtlich sein? Bei dem Gedanken überlief es sie heiß, und sie senkte den Kopf.

Glücklicherweise habe ich mich in der Gewalt, dachte sie. Aber als sie wieder hochsah, begegnete sie seinem intensiven Blick. Etwas stand darin, das ihr vorher nicht aufgefallen war. Und da wusste sie, dass er erkannt hatte, was in ihr vorging.

Also stellte Chance McDaniel tatsächlich eine Gefahr da. Jedoch weniger für ihren Bruder als vielmehr für sie.

2. KAPITEL

So, Alex hat also eine Schwester. Davon hatte er Chance nie etwas erzählt. Aber über sein Privatleben hatte er sich sowieso ziemlich ausgeschwiegen. Und so was nannte sich Freund. Doch zu seiner Überraschung konnte Chance nicht richtig wütend werden. Zu sehr faszinierten ihn Gabriellas schokoladenbraune Augen.

Gabriella del Toro … Wie das klang. Am liebsten hätte er den Namen wieder und wieder laut vor sich hin gesagt. Aber der Kerl da hinter ihrem Stuhl sah ihn so drohend an, als würde er sofort den Revolver zücken, wenn Chance auch nur einen Mucks von sich gab.

Dass die Del Toros schon seit einigen Wochen bei Alex wohnten, hatte ihm Sheriff Battle erzählt. Aber mehr war über die Familie nicht bekannt geworden. Auch Nathan wusste nichts Neues über die näheren Umstände von Alex’ Entführung. Zumindest äußerte er sich nicht dazu. Nur dass er, Chance, nicht länger von der lokalen Polizei verdächtigt wurde. Von der überregionalen Staatsanwaltschaft allerdings immer noch.

Und sicher auch von Alex’ Familie. Also auch von Gabriella? Sie machte ihn nervös, so freundlich sie ihm gegenüber auch war. Kein Wunder, mit diesem Bodyguard im Hintergrund, der sicher einen schussbereiten Colt in der Tasche hatte. Außerdem war die Stimmung in Royal sehr angespannt. Zwar war Alex ohne schlimmere äußere Verletzungen wieder aufgetaucht, konnte sich aber an nichts und niemanden erinnern und war deshalb keine Hilfe, um seinem Entführer auf die Schliche zu kommen. So jagte ein Gerücht das andere, jeder verdächtigte jeden – vor allem diejenigen, die Streit mit Alex gehabt hatten. Und dazu gehörte Chance leider auch.

„Ihr Bodyguard spricht Französisch?“ Etwas anderes fiel ihm nicht ein, auch weil er mit seinen Gedanken wieder bei Alex war. Wer konnte den Freund entführt haben? Jemand aus Royal? Oder hatte das mexikanische Drogenkartell, das sehr aktiv an der Grenze zu den USA war, etwas damit zu tun?

„Selbstverständlich“, sagte Gabriella in einem Tonfall, als sei es das Normalste der Welt, dass jeder mehrere Sprachen sprach. „Wir sind zu Hause unterrichtet worden, und da hat er als mein Bodyguard die Sprache gleich mitgelernt.“

„Dann haben Sie noch mehr Geschwister?“ Das wurde ja immer schöner. Und er hatte geglaubt, eng mit Alex befreundet zu sein. Hatte er ihm nicht sogar seine Freundin Cara Windsor überlassen, als er merkte, dass Alex sich in sie verliebt hatte? Oder hatte der Freund ihm das auch nur vorgespielt?

„Außer Alejandro? Oh, nein!“ Gabriella lachte leise. „Ich wurde zusammen mit den Kindern unserer Angestellten unterrichtet. Meine Mutter war immer der Meinung, dass das unsere Pflicht sei.“

Es gab eine Mutter? Auch die war in Alex’ Erzählungen nie vorgekommen. „Es war sicher schlimm für Ihre Mutter, als Alex vermisst gemeldet wurde.“

Ihr Lächeln erstarb. „Sie ist schon seit dreiundzwanzig Jahren tot.“

Immerhin ein Grund dafür, dass Alex sie nicht erwähnt hatte. „Entschuldigen Sie. Das wusste ich nicht.“

Sie neigte kurz den Kopf. Entschuldigung akzeptiert, sollte das wohl heißen. Wie sie so dasaß – aufrecht, gefasst – und höflich Konversation mit ihm machte, war sie wirklich das vollkommene Abbild einer wohlerzogenen Tochter aus reichem Haus. Ob sie auch reiten konnte? Alex war häufiger auf Chance’ Ranch gewesen. Er liebte Pferde und war ein begeisterter Reiter, der dem Freund oft von den elterlichen Ländereien erzählt hatte.

Seine Ex Cara Windsor war nie mit Chance ausgeritten, solange sie noch befreundet gewesen waren. Sie hasste den Geruch der Pferdeställe und hatte Angst davor, ein Pferd zu striegeln. Es könnte ja ganz plötzlich ausschlagen.

Dass Cara nicht gern auf einem Pferd saß, hatte Chance immer bedauert. Wie sehr sehnte er sich danach, eine Frau zu finden, mit der er reiten konnte, die da war, wenn er nach Hause kam, ja, mit der er buchstäblich Tisch und Bett teilen konnte. Aber die Arbeit auf der Ranch hatte ihn voll in Anspruch genommen. Außerdem gab es nicht mehr viele junge Frauen in Royal, die das verkörperten, was er sich wünschte.

Inzwischen hatte er die Ranch zu einer Touristenattraktion ausgebaut. Die Städter, die in seinem Fünf-Sterne-Hotel abstiegen, sehnten sich danach, für ein paar Tage das Leben eines Cowboys zu führen. Und Chance erfüllte ihnen diesen Wunsch.

„Können Sie reiten? Alex war gern bei mir draußen, und wir sind oft zusammen ausgeritten.“

Gabriella nickte. „Ja.“

Dieses eine kleine Wort hatte eine ungeheure Wirkung auf ihn. Ihm wurde heiß, und Verlangen stieg in ihm auf. „Sie sollten mich mal auf meiner Ranch besuchen. McDaniels Acres. Die Landschaft ist unglaublich eindrucksvoll und am besten vom Pferderücken aus zu genießen.“ Vielleicht konnte er im Gespräch mit Gabriella herausfinden, ob denn wirklich alles Lüge war, was Alex ihm erzählt hatte. Doch dann musste er über sich selbst den Kopf schütteln. Mach dir nichts vor, Chance. Es ging ihm nicht um Alex. Er wollte mit Gabriella zusammen sein und sie näher kennenlernen. Das war der eigentliche Grund für die Einladung.

„Ich fürchte, daraus wird nichts.“ Sie errötete und blickte in ihren Schoß. Wie unschuldig sie aussieht … Was in ihm sofort Gedanken heraufbeschwor, die leider alles andere als unschuldig waren. „Ich gehe nie ohne Joaquin aus dem Haus.“

Joaquin nickte bestätigend.

„Aber er kann gern mitkommen. Auch für ihn habe ich ein Pferd. Einer mehr oder weniger, darauf kommt es nicht an.“ Das war eine glatte Lüge, denn eigentlich wollte er mit Gabriella allein sein. „Wenn es Ihnen recht ist.“

„Wie groß ist denn Ihre Ranch?“ Gabriella beugte sich vor, und Chance sah ihr fasziniert in den Ausschnitt. Oh Mann … Wenn Alex hier wäre, würde er den Freund in die Seite stoßen. Die Schwester so unverschämt anzustarren … Schnell blickte Chance wieder hoch. „Ungefähr einhundert Hektar. Wir haben Vieh, ein paar Hühner, Schafe, Ziegen und sogar ein paar Lamas. Und natürlich Pferde.“

Als sie fragend die Brauen hochzog, fügte er schnell hinzu: „Ein Teil der Ranch ist für Touristen angelegt. Es gibt auch ein Hotel. Für Leute, die das Landleben kennenlernen wollen. Wir reiten mit unseren Gästen aus. Sehr gern würde ich Ihnen das alles mal zeigen.“

Vielleicht war der Winter nicht gerade die geeignete Jahreszeit, um mit einer jungen Dame wie Gabriella del Toro einen Ausritt zu unternehmen. Schließlich konnte es verdammt kalt werden. Dennoch hoffte er, dass sie Ja sagte. Was für feingliedrige Hände sie hatte. Sehr gepflegt, wenn auch mit kurzen unlackierten Fingernägeln. Am linken Zeigefinger klebte ein Pflaster. „Haben Sie sich verletzt?“

Sie errötete sanft und schlug kurz die Augen nieder. Was für dichte schwarze Wimpern sie hat … „Ich habe mich geschnitten, als ich eine Dose aufmachen wollte, um eine Suppe für Alejandro aufzuwärmen.“

Kochen war wohl nicht so ihr Ding. Er grinste. „Wenn Sie mich besuchen kommen, wird Franny Petersen uns was zum Dinner machen. Sie ist die beste Köchin in Royal und kümmert sich normalerweise um meine Gäste. Sie mag Alex sehr und wird begeistert sein, jemanden aus seiner Familie kennenzulernen.“

„Dann hat Alejandro Sie oft auf Ihrer Ranch besucht?“

„Ja.“

„Das hat ihm sicher Spaß gemacht …“ Sie kämpfte mit den Tränen.

Die Arme. Wie schrecklich musste es für sie sein, den Bruder in diesem Zustand zu sehen. Und er saß hier und versuchte, mit ihr zu flirten. Chance schämte sich. Schließlich war er gekommen, um sich nach Alex zu erkundigen. „Wie geht es ihm? Irgendeine Änderung?“

Gabriella presste kurz die Lippen aufeinander und richtete sich kerzengerade auf. „Nein“, sagte sie nur und wirkte irgendwie abweisend. Dennoch spürte Chance, wie sehr sie an dem Bruder hing. Und das freute ihn, so traurig die Situation auch war.

„Kann ich zu ihm?“

„Lieber nicht, Mr McDaniel. Er ist noch immer sehr angeschlagen. Und die Ärzte meinen, dass er Ruhe braucht und das Licht meiden soll, damit sein Gehirn sich erholen kann.“

„Bitte, sagen Sie Chance zu mir. Mr McDaniel nennt man nur meinen Vater.“

Doch sie runzelte die Stirn. „Ich glaube nicht, dass ich das möchte, Mr McDaniel.“

Verdammt, er war irgendwie zu weit gegangen. Aber womit? Wie hatte er sie brüskiert? War ihr der Vorschlag zu vertraulich, ihn beim Vornamen zu nennen? Oder stieß sie sich daran, dass er Alejandro Alex nannte? Was auch immer es war, plötzlich gab es so etwas wie eine Mauer zwischen Gabriella und ihm. „Ich dachte nur, dass es Ihrem Bruder helfen könnte, mich zu sehen. Vielleicht erinnert er sich dann an irgendwas.“

Chance war es gewohnt, dass Frauen sich an seiner Schulter ausweinten. Irgendwie wirkte er so vertrauenswürdig, dass sie ihm gern ihr Herz ausschütteten. Und er tröstete sie in ihrem Kummer. Aber der Blick, den Gabriella ihm jetzt zuwarf, war so abgrundtief traurig, dass er erschrak. „Das hatte ich auch gehofft, als ich ihn wiedersah“, sagte sie leise.

Ihr Tonfall schnitt ihm ins Herz, und dabei kannte er sie doch erst seit zwanzig Minuten. Spontan wollte er aufspringen und sie tröstend in die Arme nehmen. Und ihr sagen, dass er wirklich nichts mit Alex’ Entführung zu tun hatte, auch wenn man sich in der Stadt etwas anderes erzählte. Er wollte nur das Beste für seinen Freund – und dessen Familie.

Doch ein Blick auf Joaquin, der ihn drohend ansah, und Chance blieb, wo er war. Stattdessen holte er eine seiner Visitenkarten aus der Brieftasche und hielt sie Gabriella hin. Die Karte war leicht verknickt und angestaubt, denn er brauchte sie so gut wie nie. Jeder in Royal und Umgebung kannte ihn.

„Wenn es irgendwelche Veränderungen gibt oder wenn Sie Hilfe brauchen, in welcher Form auch immer, bitte, rufen Sie mich an. Ich kann in zwanzig Minuten hier sein, falls Alex mich braucht. Oder Sie.“ Hoffentlich warf sie ihn jetzt nicht gleich aus dem Haus oder hetzte ihren Bluthund auf ihn.

Doch sie nahm die Karte. „Danke“, sagte sie lächelnd, und als sich ihre Fingerspitzen berührten, spürte Chance einen leichten Schlag. Allerdings kam er nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, was das wohl zu bedeuten hatte, denn plötzlich vernahm er eine tiefe Stimme: „Wer sind Sie? Quién es?“

Erschrocken riss Gabriella die Augen auf, und Chance drehte sich hastig um. Ein großer kräftiger Mann stand in der Küchentür, die Beine gespreizt und die Fäuste in die Hüften gestemmt. Das konnte nur Alex’ Vater sein. Die beiden sahen sich lächerlich ähnlich. Das gleiche schwarze Haar, die gleichen Gesichtszüge. Doch während Alex meist verbindlich lächelte und immer bereit war, nach einem harten Arbeitstag noch ein Bier trinken zu gehen, sah dieser Mann nicht so aus, als ob er gern mit anderen zusammen war. Kein Zweifel, dies war Señor Rodrigo del Toro. Nathan hatte Chance schon gesagt, dass er nicht besonders umgänglich sei. Die Untertreibung des Jahres …

Autor

Sarah M. Anderson
Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
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