Only You Band 3

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ATEMLOS IN DEINEN ARMEN von CHARLOTTE PHILLIPS

Mode-Ikone Evie Staverton-Lynch ist mit den Nerven am Ende! Sie muss Reality-TV-Star Jack Trent in ein Überlebenscamp begleiten – fernab von jedem Luxus. Doch das glamouröse It-Girl hat keine Wahl, und plötzlich ist sie mit dem Bad Boy unter einem funkelnden Sternenhimmel allein ...

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  • Erscheinungstag 31.08.2024
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529693
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Charlotte Phillips, Susan Stephens, Joss Wood

ONLY YOU BAND 3

1. KAPITEL

Das Gute an Smartphones war, dass man alle vernichtenden Kommentare jederzeit abrufen konnte, wenn man es sich mit der ganzen Welt verscherzt hatte. Das Gute? Nun, ja …

Ein Tweet im Internet …

Gebt @evieIT-Girl eine Ratte zu fressen. Wie kann sie @SurvivalJackT nur so beleidigen? #Tussi

Neue Facebook-Gruppe …

Schmeißt Evie Staverton-Lynch aus der Reality-Show Miss Knightsbridge. 15000 likes. Tendenz steigend …

Neues Video auf youtube …

Sehen Sie hier, wie It-Girl Evangeline Staverton-Lynch behauptet, die Expeditionen von Survival-Experten Jack Trent wären eine Lüge.

Das niederträchtige Video war erst vor zwei Tagen ins Internet gestellt worden, aber Hunderttausende hatten es schon angeklickt.

Evie stellte ihr Handy aus, um die Hasstiraden nicht länger ertragen zu müssen, und nippte an dem scheußlichen Kaffee. Sie saß im Büro von dem einzigen Menschen, der ihr vielleicht aus der schrecklichen Situation heraushelfen konnte, in die sie sich selbst hineinmanövriert hatte.

Der Künstleragent Chester Smith, dem Evie ihren kometenhaften Aufstieg von einer unbedeutenden Tochter aus gutem Haus zum Liebling der Fernsehzuschauer zu verdanken hatte, saß ihr am gläsernen Schreibtisch gegenüber. An den Wänden seines Büros hingen Dutzende, mit persönlichen Widmungen versehene Fotos von Fernsehstars, deren erfolgreiche Karrieren er gemanagt hatte. Auf dem Tisch lagen sämtliche Klatschblätter des Tages. Mindestens drei von ihnen hatten ein grobkörniges Foto von Evie auf dem Titel. Chester warf seine perfekt frisierte Tolle zurück, dann zog er ein Tablet aus der Tasche, klappte den knallbunten Deckel auf und drückte auf ‚Play‘. Er führte Evie das heimlich mit einem Handy aufgenommene Video vor, als wäre der demütigende Film nicht sowieso schon seit achtundvierzig Stunden in Dauerschleife vor ihrem geistigen Auge abgelaufen.

Obwohl die Bildqualität nicht gerade berauschend war, saß dort unverkennbar sie selbst. Als wäre noch ein zusätzlicher Beweis nötig, lag ihre Lieblings-Designer-Clutch auf der blütenweißen Tischdecke, gleich neben dem Wasserglas. Ihr Vater saß ihr gegenüber, den kerzengerade durchgestreckten Rücken der Kamera zugewandt. Im Hintergrund waren die Leute zu sehen, die vor drei Tagen in dem schicken Promi-Restaurant im Londoner Viertel Knightsbridge zu Mittag gegessen hatten. Deshalb hatte sie den Laden überhaupt ausgesucht, als ihr Vater sie zum Mittagessen hatte antreten lassen. Ihr Vater bat sie nicht um ein Treffen, er zitierte sie in ein Restaurant. Evie durfte lediglich entscheiden, wie viele Gänge sie essen wollte. Und wenn sie sich sowieso schon eine Stunde lang seine Kritik anhören musste, dann wollte sie wenigstens von Menschen umgeben sein, denen sie sich einigermaßen zugehörig fühlte.

Und sie hatte Glück gehabt, denn einige Fans hatten das Essen ein paar Mal unterbrochen, um sich mit ihr fotografieren zu lassen. Ihr Vater war darüber so wütend geworden, dass er beinahe geplatzt wäre – und war es ihr nicht vor allem darum gegangen? Ihr Vater mochte nicht viel von ihr halten und sich noch nicht einmal mehr für sie interessieren, solange sie ihn nicht blamierte. Aber in dem Restaurant hatte Evie immerhin den Eindruck, von Menschen umgeben zu sein, die sie schätzten – auch wenn sie in ihr nur die Promi-Queen sahen, die sie aus dem Fernsehen kannten.

Nachdem Evie sich mehr als zwanzig Jahre lang unbedeutend gefühlt hatte, war ihr das Interesse und die Unterstützung, die ihr die Öffentlichkeit seit ihren Auftritten in der beliebten Reality-Show Miss Knightsbridge entgegenbrachte, wie ein fantastischer Traum erschienen.

Doch dann hatte es nur einen einzigen dummen Ausrutscher von ihr gebraucht, und schon wurde ihr die Unterstützung wieder entzogen.

Chester fummelte an seinem Mini-PC herum, bis der Clip den ganzen Bildschirm einnahm und in maximaler Lautstärke lief.

„Nein, deine Sendung sehe ich mir ganz bestimmt nicht an“, höhnte die tiefe Stimme ihres Vaters. „Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, dir dabei zuzusehen, wie du dich im Fernsehen zum Gespött machst. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum sich die Leute dafür interessieren, wie du deine Zeit verplemperst.“ Es entstand eine Pause, weil ihr Vater an seinem Weißwein nippte. Evie sah im Video, wie ihr das Lächeln entglitt. „Sollte ich jemals den Fernseher einschalten, dann würde ich mir lieber die Konkurrenz ansehen. Jack Trent’s Survival Camp Extreme.

Beide schwiegen sich an. Im Hintergrund hörte man die Leute reden und lachen. Selbst jetzt wusste Evie nicht, welche Enthüllung sie sprachloser gemacht hatte – dass ihr Vater überhaupt Fernsehen schaute oder dass er seine Tochter verraten und ihren härtesten Konkurrenten um die Einschaltquote vorziehen würde.

Nach fast zwanzig Jahren, in denen sie erst vergeblich um seine Liebe und später nur noch um sein Interesse gekämpft hatte, hätte sie sich eigentlich längst ein dickes Fell zulegen müssen. Das letzte halbe Jahr, in dem sie plötzlich von den Leuten gemocht wurde, war wie ein Traum gewesen. Nachdem sie von einer Fernsehproduktionsfirma für die Rolle der Miss Knightsbridge entdeckt worden war, hatte sie schon bald im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden. Die Show hatte sich zum Zuschauerknüller entwickelt, Evie gab ständig Interviews und wurde zu Fotoshootings eingeladen. Und dank ihres Erfolgs stand sie jetzt kurz davor, ihre erste eigene Schmuckkollektion auf den Markt zu bringen. Das war schon seit Jahren ihr größter Traum gewesen, aber vorher hatte es ihr am nötigen Selbstvertrauen gefehlt, um ihn in die Tat umzusetzen. Anstatt sich aber darüber zu freuen, dass seine Tochter endlich auf eigenen Beinen stand und sich nicht mehr auf seinen üppigen monatlichen Zuwendungen ausruhte, zeigte ihr Vater ihr nur, wie wenig er von ihrer Sendung hielt. Einen Moment lang fragte sie sich, welchen Beruf sie wohl ausüben musste, damit er sie endlich akzeptierte. Hirnchirurgin?

„Dass du dich vor allen Leuten so aufspielst“, sagte er in dem Clip. „Nachdem du in deiner Kindheit alles bekommen hast.“

Natürlich konnte er nicht eine Gelegenheit verstreichen lassen, ohne sie auf ihre Kindheit hinzuweisen. Als hätte sie ihm immer noch dafür dankbar sein sollen, dass er ihr, außer seinem Geld und seinem Namen, nie etwas gegeben hatte. Seine Liebe und Zuneigung waren seit dem Tod ihrer Mutter versiegt, ganz gleich, wie sehr Evie sich auch darum bemüht hatte.

„Gott sei Dank muss deine Mutter das nicht mehr miterleben“, fügte ihr Vater hinzu.

Der Satz hatte sie im Restaurant wie ein Fausthieb getroffen, und auch jetzt noch hatte sie das Gefühl, ihr würde die Luft wegbleiben. Der Grund war vermutlich, dass sie bei ihrer Schmuckkollektion vor allem an ihre Mutter gedacht hatte. Ihre Mum hatte Modeschmuck über alles geliebt und der kleinen Evie erlaubt, mit den glitzernden Ringen und Perlen aus ihrer Schatulle Verkleiden zu spielen. Das war eine der wenigen schönen Erinnerungen an ihre Kindheit, in der es bald nur noch Gehorsam, Disziplin und Einsamkeit gegeben hatte.

Und der Satz war es auch gewesen, der sie so überstürzt und dumm hatte reagieren lassen.

Evies Magen zog sich zusammen, weil sie wusste, welche peinliche Entgleisung im Videoclip nun folgte.

Sie hörte ihre eigene Stimme. Klang sie wirklich so arrogant? Die Scham trieb ihr eine glühende Hitze ins Gesicht.

„Jack Trent war früher in der Armee, nicht?“, hörte sie sich selbst höhnisch fragen. „Kein Wunder also, dass du dir lieber seine Sendung ansehen würdest.“

In ihrer Kindheit hatte sie nur Drill und Disziplin gekannt. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie es nicht vermocht, dem kalten, strikt reglementierten Leben im Haus ihres Vaters so etwas wie weibliche Wärme entgegenzusetzen. Und die Erkenntnis, dass ihr Vater einem Mann mit militärischem Hintergrund den Vorzug gab, hatte ihre Wut noch angestachelt.

„Die Sendung von Trent ist eine echte Doku“, hatte ihr Vater zurückgeblafft. „Das hat wenigstens Substanz. Fünf Minuten von deiner Pseudo-Doku haben mir gereicht. Das ist nur oberflächlicher Mist. Du hast die Familie der Lächerlichkeit preisgegeben.“

Die Familie. Nicht unsere Familie. Hatte er es nur so dahingesagt? Oder hatte er sie bewusst ausschließen wollen? In den letzten Jahren hatte er sie deutlich spüren lassen, dass es für ihn einen Unterschied gab zwischen ihr und ihrem Bruder Will. Halbbruder, verbesserte sie sich selbst im Geist. Seit ihre Mutter, die das Bindeglied zwischen Will und ihr gewesen war, nicht mehr lebte, war Evie sich vorgekommen wie ein Kuckuckskind. Dieser Gedanke hatte sie bei dem Essen furchtbar traurig gemacht, und sie war aus unerklärlichen Gründen eifersüchtig auf Jack Trent und seine albernen Survival-Künste geworden. In dem Moment hatte ihr gesammelter Schmerz die Oberhand gewonnen, und Evie hatte sich gegen ihren Vater zur Wehr gesetzt. Leider war Jack Trent dabei versehentlich in die Schusslinie geraten.

„Substanz?“, hatte sie gefaucht. „Ich fasse es nicht, dass du ihm das alles abkaufst. Glaubst du wirklich, er schläft unter Sternen und isst gegrillte Ratten? Sobald die Kamera aus ist, rennt der doch ins nächste Fünfsterne-Hotel, wo er auf weichen Daunenkissen schläft und à la carte schlemmt.“

Chester sog hörbar die Luft ein, und das Geräusch brachte Evie wieder ins schreckliche Hier und Jetzt zurück.

„Egal, wie oft ich mir das ansehe, ich bin jedes Mal aufs Neue geschockt“, hauchte er und tippte aufs Tablet, um den Clip anzuhalten. Ein grobkörniges Standbild von ihrem entrüsteten Gesicht füllte den gesamten Bildschirm aus. Evies Kopf dröhnte.

„Was hast du dir dabei gedacht? Mit zwei Sätzen hast du vermutlich deine Karriere zerstört und die von Jack Trent gleich mit. Die Leute von der Produktionsfirma sind außer sich.“

„Aber das war doch nur meine persönliche Meinung“, protestierte sie. In Wahrheit war das gar nicht ihre Meinung gewesen, sie hatte nur ihrem Ärger Luft machen wollen. „Es war doch nur, weil mein Vater gesagt hat, er würde sich lieber die Sendung von Jack Trent als die von mir anschauen. Ich habe aus dem Bauch raus gehandelt, und es war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.“

„Allerdings scheinst du vergessen zu haben, dass die Produktionsfirma von Miss Knightsbridge auch für Jack Trent’s Survival Camp Extreme verantwortlich ist. Und die Boulevardblätter schüren jetzt das Gerücht, du hättest nicht nur eine zickige Bemerkung vom Stapel gelassen, sondern verfügst in Wahrheit über Insiderinformationen.“ Chester lehnte sich vor. „Informationen darüber, dass Jack Trent sich tatsächlich Fünfsterne-Essen schmecken lässt, statt sich an den Gaben von Mutter Natur zu laben.“

Er wischte über den Bildschirm und öffnete die Facebook-Seite, die Evie schon Dutzende Male gesehen hatte.

„Jack Trent hat eine extrem treue Fangemeinde“, sagte er. „Schmeißt Läster-Evie aus dem Programm“, las er vor. „Sechzehntausend likes. Tendenz steigend.“

Das konnte Evie von ihren Fans nicht gerade behaupten. Bisher hatte sie noch keinen einzigen aufmunternden Kommentar gelesen. Sie spürte einen eifersüchtigen Stich in der Magengegend.

Sie vergrub den Kopf in den Händen und starrte verzweifelt auf den Glastisch.

„Bitte, ich möchte nichts mehr davon hören.“

Sie wünschte sich, sie hätte sich die Zunge abgebissen, bevor ihr die Bemerkung herausgerutscht war. Aber in dem Augenblick hatte sie sich so unter Druck gesetzt gefühlt, dass ihr Unterbewusstsein das Zepter ergriffen hatte. Jack Trent war ein ehemaliger Soldat und vermutlich genauso kalt und abweisend wie ihr Vater. Im Prinzip war er ihr Vater, nur eben dreißig Jahre jünger. Vermutlich hatte sie ihn deshalb als Ersatzzielscheibe ausgesucht.

Obwohl sie von ihrem Vater seit Jahren nur Gleichgültigkeit oder bestenfalls Kritik erfuhr, konnte Evie ihm immer noch nicht ihre Meinung ins Gesicht sagen.

Leider hatte sie aber einen Moment lang nicht daran gedacht, dass sie in einem Restaurant saßen und jeder das Gespräch mithören konnte. Und wie es aussah, reichte es nicht, dass sie sich sofort in den sozialen Netzwerken entschuldigt hatte. Die gehässige Bemerkung kursierte im Internet und ließ sich nicht mehr rückgängig machen.

„Für die Leute da draußen bist du jetzt der letzte Abschaum, Darling.“ Chester zeigte mit einem Stift auf sie. „Aber noch schlimmer ist, dass du für sie stinkreicher Abschaum bist. Die Leute fanden dich gut, weil du dieses Bisschen-dumm-aber-niedlich-Image hattest, diesen überkandidelten Sinn für Mode und natürlich diese glamourösen Freunde. Nachdem du aber einen Nationalheiligen runtergemacht hast, zählt das alles nichts mehr. Sie glauben nämlich, sie hätten dein wahres Ich gesehen, und das, meine Liebe, war sehr hässlich.“

Er tippte noch einmal auf sein Tablet und drehte es zu Evie. Sie schob es wieder weg, aber leider hatte sie schon den letzten Kommentar gelesen.

@evieITgirl lebt im Luxus. @SurvivalJackT hat für sein Land gekämpft #Luxustussi

Sie schlug die Hände vors Gesicht und presste die Handflächen auf die Augen. Chester fuhr erbarmungslos mit seiner Kritik fort. Leider hatte sie keine Hand mehr frei, um sich die Ohren auch noch zuzuhalten.

Jack Trent knirschte mit den Zähnen und stieg vor dem gläsernen Hauptsitz von Purple Productions aus dem Taxi. Er ärgerte sich, weil er sich in der Stadt aufhalten und Anzugträger treffen musste. Für ihn war das die reinste Zeitverschwendung. Er fragte sich, ob er jemals in London aus einem Zug aussteigen würde, ohne die Stunden zu zählen, bis er wieder einsteigen und nach Haus fahren konnte.

Zu Hause in den schottischen Highlands, wo Jack ein Zentrum für Überlebenstraining eingerichtet hatte, lagen die Vorbereitungen für sein nächstes Abenteuer in der Zwischenzeit auf Eis. Das war ziemlich lästig, denn zum ersten Mal handelte es sich um ein Projekt, das nicht nur seine militärischen Fähigkeiten unter Beweis stellte. Und er hatte nicht nur Zeit und Geld hineingesteckt, sondern sehr viel Herzblut. Selbst wenn er weniger zu tun gehabt hätte, wäre ihm das Krisentreffen mit den Bossen der Produktionsfirma sauer aufgestoßen. Doch kurz vor dem Start seines neuen Projekts ging ihm der Termin gewaltig gegen den Strich.

Trotzdem musste er sich unbedingt blicken lassen. Seit seine Abenteuer im Fernsehen ausgestrahlt wurden und er so große Bekanntheit erlangt hatte, waren seine Survival-Kurse immer ausgebucht. Seine Firma befand sich auf der Überholspur. Ein Treffen hier, ein Fototermin dort, und schon konnte er mit seinen Ideen neue Wege beschreiten. Die Kurse für Kinder, die er so sorgfältig ausgearbeitet hatte, konnten endlich Wirklichkeit werden. Damit wollte er die Fehler seiner Vergangenheit wiedergutmachen. Früher hätte er nicht unbedingt in die Stadt kommen und seinem Agenten Honig um den Bart schmieren müssen. Aber da das Programm für Kinder in den Startlöchern stand, war er auf gute PR angewiesen.

Als er gehört hatte, dass im Internet Gerüchte kursierten, seine knallharten Survival-Abenteuer seien in Wahrheit nichts als Lügen, hatte er das zuerst für einen bösen Scherz gehalten. Im Internet zu surfen, stand auf seiner Prioritätenliste nicht an erster Stelle, vor allem nicht, wenn er sich Gedanken machen musste, ob die Stelle, die er für die abenteuerliche Flussüberquerung ausgesucht hatte, für Kinder nicht zu gefährlich wäre. Deshalb hatte sich das Gerücht wie ein Lauffeuer verbreiten können, bevor er das Geringste davon mitbekommen hatte. Erst durch den Anruf von einem Angestellten hatte er überhaupt erfahren, welche Aufregung seinetwegen im Internet herrschte. Er hatte sich das Video mit der verleumderischen Bemerkung angeschaut und im Zug genug Zeit gehabt, sich die vernichtenden Artikel durchzulesen, die allesamt mit glamourösen Fotos von Evangeline Staverton-Lynch bebildert waren.

Als er in London angekommen war, wusste er über alle schäbigen Details Bescheid. Wenn die Sache nicht zu seiner Zufriedenheit geregelt wurde, würden Köpfe rollen. Ganz gleich, wie hübsch sie auch waren.

Am Morgen des Treffens stieg Evie hoch erhobenen Hauptes zu ihrem Agenten ins Auto. Haar und Make-up saßen perfekt, und sie hatte ein pinkfarbenes Designer-Kostüm ausgewählt, weil es das Kleidungsstück in ihrem Schrank war, das am weitesten von zurückhaltendem Schwarz entfernt war. Da sie seit Tagen nicht mehr schlafen konnte, hatte sie genug Zeit gehabt, sich gut vorzubereiten. Die dunklen Augenränder hatte sie mit Abdeckstift kaschiert und die Aufmerksamkeit mit pinkfarbenem Lipgloss auf ihren Mund gelenkt. Aus Erfahrung wusste sie, dass ihr Zerknirschtheit nicht weiterhelfen würde. Deshalb hatte sie beschlossen, sich trotzig zu geben.

Die Evie, die nachts nicht schlafen konnte, hätte sich am liebsten reumütig bei Jack Trent entschuldigt und wäre dann in ihre Wohnung im Londoner Stadtteil Chelsea geflüchtet, wo sie sich bis an ihr Lebensende verkrochen hätte. Aber sie weigerte sich, auf diese Evie zu hören. Das war nämlich genau die Evie, die sich mit über zwanzig Jahren immer noch nach ihrer Mum sehnte. Die Evie, die so gern nach Hause zurückgekehrt wäre, als sie vom Internat geflogen war, und die alles versucht hatte, um sich bei ihrem Vater beliebt zu machen. Stattdessen hatte sich seine Gleichgültigkeit im Verlauf der Jahre in pure Ablehnung verwandelt. Damit er überhaupt bemerkte, dass es sie noch gab, hatte sie ihn durch immer wilderes und ausschweifenderes Benehmen aus der Reserve locken müssen. Und dabei hatte sie sich als äußerst erfindungsreich erwiesen.

Nachdem Evie klar geworden war, dass er sich bei Theateraufführungen und anderen schulischen Aktivitäten niemals blicken lassen würde, aber in respekteinflößender Uniform auftauchte, sobald man sie beim Rauchen oder anderem Unfug erwischt hatte, war sie immer häufiger in die Rolle der bösen Evie geschlüpft. Schon bald war sie eine Meisterin des Mir-doch-alles-egal geworden. Mittlerweile hatte sie sich so sehr an diese Rolle gewöhnt, dass die von Gewissensbissen geplagte Evie sich beim Treffen mit Jack Trent ganz bestimmt nicht zeigen würde.

Es war ein kalter, aber sonniger Frühlingsmorgen. Perfekt, um in den Londoner Edelboutiquen shoppen zu gehen und danach einen Kaffee in einem Straßencafé zu trinken. Allerdings standen die Chancen nicht schlecht, dass ihr ein aufgebrachter Rentner vor allen Augen ein Getränk über den Kopf schütten würde. Jack Trent hatte in allen Altersgruppen Fans, und sie schienen an jeder Ecke zu lauern und nur darauf zu warteten, sich an Evie zu rächen.

„Wir treffen uns mit der ausführenden Produzentin von Miss Knightsbridge und einigen Leuten aus dem Team“, klärte Chester sie auf, während er das Auto durch den dichten Morgenverkehr steuerte. „Sie wollen eine Lagebesprechung abhalten und die Alternativen durchgehen.“

„Du meinst, sie wollen mich feuern.“

Dass er keine Antwort gab, ließ ihr Selbstvertrauen nicht gerade wachsen.

Sie folgte Chester durch die elegante Empfangshalle von Purple Productions, deren Wände mit Fotos aus den erfolgreichsten Fernsehshows gepflastert waren. Hinter dem Empfangstresen entdeckte Evie ein Foto aus ihrer eigenen Sendung; sie trug etliche Einkaufstüten mit Designerlogo und lief eine belebte Straße entlang. Leider fiel ihr Blick ein paar Meter weiter auf ein Foto von Jack Trent; er stand bis zur Brust in einem Fluss und schlug sich mit einer Machete den Weg durch dichtes Schilf frei. Sein Gesicht war mit Schlamm beschmiert. Evies Magen zog sich zusammen.

Als sie an den Empfangsdamen vorbeiging, spürte sie die hasserfüllten Blicke in ihrem Rücken. Langsam überkam sie das Gefühl, dass man sie im Besprechungszimmer lynchen würde. Hätte sie in dem Restaurant doch bloß den Mund gehalten!

Als sie ins Zimmer trat, war ihr schlagartig klar, warum die Frauen in den Gängen sie so böse angestarrt hatten. Auf der anderen Seite des großen Tisches lehnte Jack Trent sich auf seinem Stuhl zurück, und seinem Gesichtsausdruck nach hätte er ihren Kopf am liebsten auf einem spitzen Pflock aufgespießt gesehen. Evie verließ der Mut. Das Foto in der Empfangshalle und die kurzen Ausschnitte, die sie von seiner Sendung gesehen hatte, waren ihm nicht gerecht geworden. Er hatte die breitesten Schultern, die sie je bei einem Mann gesehen hatte, und seine prallen Muskeln zeichneten sich unter der maßgeschneiderten, dunklen Anzugjacke deutlich ab. Sein hellbraunes Haar war kurz geschoren, und auf seiner linken wie gemeißelt aussehenden Wange zeichnete sich eine kleine Narbe ab. Dazu war er so braun gebrannt, wie man es nur sein konnte, wenn man sich tagelang draußen aufhielt, ohne etwas so Verweichlichtes wie Sonnencreme zu benutzen. Er sah sie aus grünen Augen an, die einen zum Dahinschmelzen gebracht hätten, wären sie nicht so wuterfüllt gewesen. Er war ohne Frage ein wahres Fest für die Augen. Allerdings nur, wenn man auf den Typ eiskalter, gefühlloser Soldat stand.

Sie tat es nicht.

Um den Tisch saßen verschiedene Mitarbeiter aus dem Produktionsteam von Miss Knightsbridge. Alle blickten sie feindselig an. Evie ballte die feuchten Hände seitlich zu Fäusten und vermied den direkten Augenkontakt. Sie hatte eine dämliche Bemerkung gemacht, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen war. Es war ein Versehen gewesen, mehr nicht. Dass man sie jetzt im Stich lassen wollte, hatte sie nicht verdient. Fest entschlossen, ihre innere Aufgewühltheit nicht nach außen dringen zu lassen, biss sie die Zähne zusammen. Sie würde ein tapferes Gesicht aufsetzen und sich von ihrer frechen Seite zeigen, wie sie es schon seit Jahren machte.

Trotzdem stieg es ihr heiß in die Wangen, und sie suchte sich einen Stuhl in der Nähe der Tür. Nur für den Fall, dass es mit dem tapferen Gesicht nicht klappen und der Wunsch siegen würde, aus dem Zimmer zu fliehen und sich bis an ihr Lebensende in ihrer Wohnung zu verstecken.

Jack Trent beobachtete, wie Evie mit hoch erhobenem Haupt ins Besprechungszimmer stolzierte. Sie trug das Haar offen, und die üppigen Locken schimmerten in verführerischen Karamell- und Goldtönen. Es war die Sorte Haar, in dem man am liebsten die Hände vergraben hätte. Vermutlich saß sie jede Woche stundenlang in irgendeinem teuren Friseursalon. Ihre Augen waren groß und babyblau, auf ihrer Nase waren ein paar winzige Sommersprossen zu erkennen, und ihr Mund mit der sinnlich vollen Unterlippe wurde von dem pinkfarbenen Lippenstift noch betont. Eine perfektere englische Schönheit hätte man sich kaum vorstellen können. Dazu war sie groß und schlank, und ihr gut sitzendes, pinkfarbenes Kostüm mit dem kurzen Rock rief in ihm Erinnerungen an die Fotos wach, die er im Internet gesehen hatte. Auf einem hatte sie sich nur mit einem Slip und einem sehr süßen Lächeln gezeigt.

Obwohl es ihm schwerfiel, wandte er den Blick von ihr ab und dachte stattdessen an den Haufen Ärger, den sie ihm mit zwei Sätzen eingebrockt hatte.

„Jack, das ist Evangeline Staverton-Lynch“, sagte der PR-Mann zu seiner Linken.

Jack holte tief Luft und sah sie über den Tisch hinweg an. Sie schaute aus trotzig-blauen Augen zurück, und wenn er mit einer kleinlauten Entschuldigung gerechnet hatte, würde er wohl vergeblich warten. Sie war ganz eindeutig eine von diesen oberflächlichen Möchtegern-Prominenten, die nur auf den eigenen Ruhm bedacht waren.

Sie nickte ihm zu und schenkte ihm ein huldvolles Lächeln, gerade so, als wäre sie nicht dafür verantwortlich, dass sein Ruf empfindlich angekratzt war. In diesem Monat war es vier Jahre her, dass er aus der Armee ausgeschieden war. Jetzt war er endlich an dem Punkt angelangt, sein schlechtes Gewissen erleichtern zu können. All die Jahre hatte es ihn geplagt, weil er sich für das, was in seiner Abwesenheit geschehen war, verantwortlich fühlte. Damals hatte er geglaubt, die Lösung für alle seine Probleme wäre es, sich zum Militärdienst zu verpflichten. Und tatsächlich hatte er damit den Neuanfang geschafft. Doch seine Mutter und seine Schwester Helen hatte er im Stich gelassen. Wenn er nicht so egoistisch gewesen und geblieben wäre, hätte er Helen vor dem Albtraum bewahren können, in den sie hineingeraten war. An der schlimmen Vergangenheit von Helen konnte er jetzt nichts mehr ändern, aber mit seinem neuen Projekt wollte er Gutes für Menschen wie sie bewirken. Er hatte sein Herz und seine Seele hineingelegt, aber dank dieser Fernsehdiva war sein Projekt ernsthaft in Gefahr.

„Ich sollte jetzt eigentlich in Schottland sein“, blaffte er. „Und die letzten Einzelheiten für meine Survival-Kurse für Kinder ausarbeiten. Nächsten Monat will ich sie in Schulen anbieten. Seit zweieinhalb Jahren arbeite ich auf diesen Moment hin, nur deshalb mache ich mit meiner Fernsehsendung weiter. Aber jetzt hängt alles am seidenen Faden, weil Sie mich böswillig verleumdet haben. Dabei kennen Sie mich nicht mal.“

Evie drückte den Rücken durch und biss die Zähne zusammen, damit ihr das Unschuldslächeln nicht aus dem Gesicht rutschte. Sie spürte einen neidischen Stich, weil dieser Jack Trent tatsächlich mehr zu sein schien als die Figur aus der Fernsehsendung. Er schien echte Ziele zu verfolgen und weit mehr zu bieten zu haben als Evie Staverton-Lynch, die ohne ihr Fernseh-Image ein Nichts war.

Schnell verdrängte sie den Gedanken und griff auf die Methode zurück, die ihr schon immer aus der Patsche geholfen hatte – niemals einen Fehler zugeben. Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf, nahm all ihren Mut zusammen und lehnte sich vor.

„Nun, Jack – ich darf Sie doch Jack nennen, oder?“

Statt einer Antwort starrte er sie ungläubig an.

„Hier liegt ein scheußliches Missverständnis vor. Es war nur so dahingesagt, und man hat es völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich wurde ohne mein Wissen oder meine Zustimmung gefilmt. Die Leute respektieren einfach keine Privatsphäre mehr. Aber, bitte, regen Sie sich nicht auf.“ Sie lehnte sich zurück und nickte beschwichtigend, als hätte sie die Situation unter Kontrolle. „Ich habe die Bemerkung in den sozialen Netzwerken natürlich sofort widerrufen.“

„Wollen Sie sich über mich lustig machen?“, rief er. „In den sozialen Netzwerken widerrufen? Das ist verdammt wenig.“ Er starrte sie zornig an, bis sie den Blick senkte. „Das halbe Land hat inzwischen mit angehört, wie Sie mich in den Schmutz ziehen. Die Zeitungen sind voll davon. Mein Ruf ist ruiniert.“

Sie strich sich durchs Haar und starrte auf die Tischplatte.

„Mir tut es wirklich leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe. Aber man kann mir wirklich nicht die Schuld an einem Video geben, das ohne mein Wissen aufgenommen wurde. Meine Bemerkung richtete sich nicht gegen Sie. Ich habe mich mit meinem Vater gestritten und geredet, ohne nachzudenken. Wenn ich es zurücknehmen könnte, ich würde es tun. Wenn es irgendwas geben würde, was die Sache bereinigt, ich würde es sofort tun.“

Auf ihr gewinnendes Lächeln blickte er nur grimmig zurück.

„Ich bin froh, dass Sie das sagen, wir haben nämlich eine Lösung gefunden“, meldete sich die ausführende Produzentin zu Wort. „Wie Sie ja wissen, werden sowohl Miss Knightsbridge als auch Survival Camp Extreme von Purple Productions produziert. Deshalb ist der Medienrummel auch so schädlich für uns. Der Presse ist nicht entgangen, welche Verbindung zwischen beiden Sendungen besteht. Und jetzt denken alle, Ihre Anschuldigungen gegen Jack würden auf Tatsachen beruhen.“

Evie spürte, dass Jack sie wieder anstarrte, und sie zwang sich dazu, seinen Blick zu erwidern. Seine grünen Augen blinzelten noch nicht einmal. Ihre Charme-Offensive schien auf ihn nicht die geringste Wirkung zu haben. Auf welche Strategie sollte sie jetzt setzen? Die Sache lief völlig aus dem Ruder.

„Das sind unsere Top-Shows, und wenn wir nicht bald was unternehmen, wird sich der Rummel auf beide Einschaltquoten auswirken.“ Die Produzentin holte tief Luft. „Zum Glück haben wir eine Lösung gefunden, wie wir den Medienrummel zum Positiven wenden können.“

„Zum Positiven wenden?“, wiederholte Jack ungläubig.

„Es gibt keine schlechte PR, Jack, das dürfen Sie nie vergessen.“ Chester, der als Einziger auf Evies Seite stand, und das auch nur, weil er dafür bezahlt wurde, zeigte mit einem Stift auf Jack.

„Wenn alles, wofür ich jahrelang schwer gearbeitet habe, in den Schmutz getreten wird, ist das schlechte PR“, grummelte Jack.

„Was wir Ihnen vorschlagen, ist eine einmalige Sondersendung“, sagte die Produzentin, bevor sie eine spannungssteigernde Pause einlegte. „Miss Knightsbridge im Survival Camp Extreme.“

2. KAPITEL

„Das soll wohl ein Witz sein“, sagte Evie. Sie hatte nicht die geringste Lust, auch nur eine weitere Sekunde in der Nähe von Jack Trent zu verbringen. Und so, wie er sie ansah, erging es ihm nicht anders.

Die Produzentin klatschte begeistert in die Hände.

„Ganz und gar nicht. Sie werden als Stargast in Jacks Sendung auftreten. So abwegig ist der Vorschlag nicht – schließlich hat er schon andere Gäste in der Sendung gehabt, denen er seine Überlebensstrategien vorgeführt hat. Wie man sich in der Natur seine Nahrung sucht und so weiter. Sie beschränken sich ein, zwei Tage lang auf das Nötigste und dürfen Jacks Überlebenstechniken selbst ausprobieren. Damit setzen wir die massive öffentliche Aufmerksamkeit zu unserem Vorteil ein. Denken Sie mal darüber nach. Gibt es eine bessere Methode, Ihre Bemerkung zu widerrufen?“

Sie lächelte aufmunternd in Evies Richtung. „Ich stelle mir das so vor: Sie kochen etwas aus den Früchten von Mutter Natur und schlafen in einer Hütte, die Sie aus selbst gesammelten Ästen und Zweigen gebaut haben. Vielleicht überqueren Sie irgendwo einen Fluss. Die Zuschauer werden begeistert sein. Sie können das, was Sie über Jack gesagt haben, im Fernsehen zurücknehmen und seinen Ruf wiederherstellen. Hoffentlich treiben wir so die Einschaltquoten von beiden Shows in die Höhe. Ein genialer Einfall, das muss ich schon sagen.“

„Niemals!“

Evie sprang auf und wollte protestieren, aber Jack war ihr zuvorgekommen. Er war einen guten Kopf größer als sie und eine imposante Erscheinung, die die Blicke auf sich zog. Alle am Tisch drehten den Kopf in seine Richtung. Das dunkelgrüne Hemd unter seiner Jacke, das die Farbe seiner Augen aufgriff, ließ vermuten, dass er auch bei seiner Stadtkleidung militärische Farben bevorzugte.

„Niemals!“

Zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal war er mit ihr einer Meinung.

„Sie werden nicht am Format von Survival Camp herumpfuschen“, sagte Jack knapp. „Nehmen Sie die Promi-Prinzessin meinetwegen in die Mangel, setzen Sie ihre Show ab oder verklagen Sie sie auf Schadensersatz, das ist mir egal. Ich bin nicht derjenige, der das verbockt hat.“

Promi-Prinzessin? Wie konnte er es wagen …?

„Wie bitte?“, fuhr sie ihn empört an.

„Rechtliche Schritte wären natürlich eine Möglichkeit“, sagte ein PR-Mann neben Jack.

Evie wurde heiß und kalt. Sie warf Chester einen Seitenblick zu. Sein Gesicht hatte eine interessante graue Farbe angenommen. Vermutlich dachte er daran, dass nun auch seine Einnahmen sinken würden. Die Produktionsfirma besaß wahrscheinlich die Macht, sie auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Wenn Jack der Sinn danach stand, würde es bestimmt so laufen. Die Zeitungen würden sich monatelang das Maul zerreißen. Ihr Ruf wäre ruiniert, und die neue Schmuckkollektion konnte sie vergessen. Und bei dem Gedanken, wie ihr Vater reagieren würde, wurde ihr richtig übel.

„Rechtliche Schritte würde ich uns allen lieber ersparen“, sagte die ausführende Produzentin. „Die Zuschauer interessieren sich nicht dafür, wer recht hat und wer nicht. Aber, wenn wir Sie beide zusammen in eine Sendung packen, dann könnten wir einen Volltreffer landen. Im Moment stehen die Medien auf Jacks Seite, aber das Blatt kann sich jederzeit wenden.“ Sie schaute zu ihm. „Ihr Ruf ist schwer angekratzt. Dass nichts davon wahr ist, interessiert niemand. Ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Und das Beste wäre, Sie stellen sich der Herausforderung und beweisen, was Sie draufhaben. Im Fernsehen.“

„Bei Survival Camp geht es um etwas“, sagte Jack. „Das ist nicht nur so ein künstlich aufgebauschter Reality-Show-Mist. Dahinter steckt eine richtige Botschaft. Schauen Sie sie nur mal an.“ Er machte eine abfällige Handbewegung in Evies Richtung. „Sie würden noch nicht mal fünf Minuten durchhalten.“

„Ich bin genauso fit wie Sie“, fauchte Evie trotzig.

Sein lautes Lachen trieb Evie eine wütende Röte ins Gesicht.

„Glauben Sie wirklich, mit ein paar Yoga-Stunden haben Sie das Durchhaltevermögen, ohne Hilfsmittel einen wilden Fluss zu überqueren?“, schoss er zurück.

„Ich glaube, Sie haben nicht verstanden“, meldete sich die Produzentin wieder zu Wort. „Sie stehen beide für weitere Sendungen unter Vertrag. Wir haben das Recht, das Format jederzeit zu ändern. Außerdem hat der Hauptsponsor von Jacks Show gedroht, aus dem Vertrag auszusteigen. Ich konnte ihn nur mit der Aussicht auf die gemeinsame Sendung ruhigstellen.“

Jack schnaubte empört.

„Jack, wie Sie wissen, ist das auch der Sponsor von den Kursen, die Sie in den Schulen anbieten wollen. Glauben Sie wirklich, daraus wird noch was, wenn die Firma abspringt und Sie das Vertrauen der Zuschauer nicht zurückgewinnen?“

Jack schoss das Blut heiß durch die Adern. Dass sein Sponsor kalte Füße bekommen hatte, war für ihn neu. Er grub die Nägel in die Handflächen.

Er hatte einen Testlauf für die Survival-Kurse für Kinder gemacht, und das Interesse hatte ihn schier überwältigt. Mehr als jeder andere wusste er, was solche Kurse für eine Generation von gelangweilten Kids bewirken konnten, die sich die Zeit damit vertrieben, an der Straßenecke auf eine Verbrecherkarriere zu warten, oder zu Hause fernseh- und computerspielsüchtig wurden. Wieder dachte er an seine Schwester Helen. Falls es ihm gelingen sollte, auch nur ein Kind vor ihrem Leidensweg zu bewahren, hätte sich die ganze Schufterei schon gelohnt. Doch ganz gleich, wie hart er dafür arbeitete, er musste sich unbedingt auf seine Sponsoren und das Vertrauen der Zuschauer verlassen können. Dank Prinzessin Knightsbridge stand sein neues Projekt plötzlich auf wackeligen Beinen, und er hätte alles getan, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen.

Schlagartig wurde ihm bewusst, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als bei dieser einmaligen Sendung mitzumachen. Aber falls diese Frau glaubte, er würde sie mit Samthandschuhen anfassen, dann hatte sie sich geschnitten.

Die Produzentin schaute zu Evie.

„Wenn Sie bei der Sendung nicht mitmachen, Evie, werden wir Ihren Vertrag für Miss Knightsbridge leider nicht verlängern können. Um die schlechte PR abzuwenden, bleibt uns nichts anderes übrig, als Sie durch eine neue Figur zu ersetzen und …“

„Ich mache es“, unterbrach Evie sie. Hatte sie eine andere Wahl? Ohne die Show war ihr Image nichts wert. Es würde keine weiteren Artikel in Zeitschriften geben, keine weiteren Fashion-Sendungen im Fernsehen. Ihre erste Schmuckkollektion würde niemals in die Läden kommen. Sie würde ihr altes, zielloses Leben wiederaufnehmen müssen. „Ich werde mir meine Nahrung in der Natur suchen, im Freien schlafen und Stöcke aneinander reiben, um Feuer zu machen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber auf Wasser würde ich lieber verzichten.“

Jack lachte trocken.

„Glauben Sie wirklich, Sie verbringen ein Wochenende im Freien, ohne nass zu werden, Schätzchen? Offensichtlich haben Sie meine Sendung noch nie gesehen.“

Natürlich hatte Evie sie noch nie gesehen – war er verrückt geworden? Mit Natur hatte sie nichts am Hut. Wie es ihr Image als Miss Knightsbridge verlangte, traf man sie nur in Luxushotels, in exklusiven Spas und beim Shoppen an. In ihrer Freizeit trug sie kuschelige Pyjamas, trank Tee und schaute sich zu Hause auf der Couch Fernsehserien an. Aber das wusste niemand.

Jack war aufgesprungen und lief zur Tür. Man konnte die Wut, die von ihm ausging, beinahe greifen. Um die Gunst der Zuschauer wiederzugewinnen, ihre Fernsehsendung am Laufen zu halten und ihre Schmuckkollektion in die Läden zu bringen, musste Evie nur ein Wochenende in der Wildnis überleben. Und das mit einem Begleiter, der sie zutiefst hasste.

Na, super!

„Du machst eine Sendung mit Evie Staverton-Lynch?“ Am anderen Ende der Leitung überschlug sich Helens Stimme fast vor Begeisterung. „Mit Miss Knightsbridge?“

„Leider, ja.“

„Oh, ich finde sie einfach toll! Ihre Klamotten sind einfach der Hammer. Kannst du sie fragen, wo sie die Schmetterlingskette herhat, die sie in der letzten Sendung getragen hat?“

Jack schloss die Augen. Diese Evie Staverton-Lynch hatte nichts anderes im Kopf als Designer-Kleider und piekfeine Bars. Und wie es aussah, stand seine eigene Schwester genauso auf den Fernsehmist wie alle anderen.

„Sie ist ein Star aus einer Reality-Show“, erklärte er. „Dafür braucht man noch nicht mal ein Fünkchen Talent. Warum ist sie überall so beliebt?“

„Es geht darum, zu sehen, wie die oberen Zehntausend leben, nicht? Wofür sie Geld ausgeben und so weiter. Die Show ist Kult. Jeder guckt das, und jeder hat eine Meinung dazu. Wusstest du das nicht?“

Helen klang so, als würde sie ihren Bruder für einen Dinosaurier halten, der nicht mehr auf dem Laufenden war. Dabei lagen nur acht Jahre zwischen ihnen.

„Evie Staverton-Lynch ist total witzig und cool“, fügte sie hinzu.

„Siehst du denn nicht, welchen Ärger sie mir bereitet hat?“, sagte er.

Helen machte ein Geräusch, als wäre sie nebenbei mit etwas anderem beschäftigt. Er stellte sich vor, sie würde fernsehen. Ein zärtliches Lächeln wanderte über sein Gesicht. Er mochte es, dass sie mit ihrer Meinung nie hinterm Berg hielt. Es war noch nicht lange her, da hatte sie in der Klinik gelegen und war selbst zum Reden zu schwach gewesen. Danach war sie auf Entzug gegangen. Aber würde sie auf Dauer durchhalten?

„Sieh es doch mal von der positiven Seite“, sagte Helen. „Vielleicht peppt das dein Image ein bisschen auf. In letzter Zeit hast du in deinen Sendungen ein bisschen wie ein Freak ausgesehen.“

„Wie ein Freak?“, wiederholte er und grinste dabei übers ganze Gesicht. Er bekam von ihren flotten Sprüchen nie genug.

„Du könntest neue Zuschauer gewinnen“, sagte sie.

„Wirst du es dir ansehen?“

„Natürlich, das tue ich doch immer“, gab sie leise zurück.

„Und geht es dir auch gut? Wie läuft’s im College?“, fragte er.

„Zum hundertsten Mal, hör endlich auf, dir Sorgen zu machen. Mir geht es gut, versprochen.“

Er fragte nicht weiter, obwohl er sich wirklich sorgte, sie könnte rückfällig werden.

„Ich rufe dich an, sobald wir mit dem Dreh fertig sind“, sagte er.

„Evie Staverton-Lynch ist eine echte Modeikone. Sie hat dir deine Militärklamotten ausgezogen und durch einen modischen Anzug ersetzt, bevor du dich umgucken kannst. Viel Glück!“ Sie machte ein Kussgeräusch und legte auf.

„Du musst da nicht mitmachen.“

Annabel Sutton lehnte sich auf dem beigefarbenen Sofa zurück und sagte wie immer genau das, was Evie hören wollte. Normalerweise trafen sich die beiden Freundinnen in irgendeinem schicken Café, aber nach den Ereignissen der letzten Tage hatte Evie zu viel Angst gehabt, auf die Straße zu gehen, und Annabel zu sich in die Wohnung eingeladen.

„Das ist doch alles nicht deine Schuld“, sagte Annabel tröstend. „Die Fernsehfirma hat völlig überreagiert – die ganze Geschichte ist aus dem Ruder gelaufen. Und du bist nicht auf die Sendung angewiesen. Du bekommst wahnsinnig viel Geld von deinem Vater, hast diese süße Wohnung und ein herrliches Haus auf dem Land. Du musst nicht auf den Vorschlag eingehen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Haben die von der Produktionsfirma wirklich gesagt, dass sie dich ersetzen wollen? Wie schrecklich.“ Sie blickte zur Decke hoch.

Annabel spielte bei Miss Knightsbridge eine Nebenrolle. Mit einem Mal kam Evie der Verdacht, dass ihre Freundin eine Gelegenheit witterte, ihr die Hauptrolle wegzunehmen.

„Sie haben mit rechtlichen Schritten gedroht“, sagte Evie knapp. „Sie können mich auf Schadensersatz verklagen, wenn die Serie von Jack Verluste macht … Das will ich vermeiden, deshalb habe ich eingewilligt.“

Geld – das Argument würde Annabel verstehen. Evie erwähnte nicht, dass das Geld ihre geringste Sorge war. Was sie am meisten schmerzte, war der Verlust der öffentlichen Unterstützung. Nachdem die Leute ihr zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl gegeben hatten, etwas Besonderes zu sein, hatten sie sie einfach fallengelassen. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie nur einen Weg finden, um in der Achtung der Menschen wieder zu steigen.

„Außerdem kann ich das Internet vielleicht abstellen, aber momentan kann ich noch nicht mal vor die Tür treten, ohne dass ich von Passanten beschimpft werde.“

„Seit wann interessiert es dich, was die anderen denken?“

Annabel kannte nur die Evie, die sich um nichts scherte, sondern nur ihren Spaß haben wollte. Schon in der Schule hatte Evie gelernt, dass man sich die Freundschaft der beliebtesten Mädchen sicherte, wenn man sich möglichst cool gab. Seit ihrem Umzug nach London hatte sie alles gegeben, ein fester Bestandteil der Party-Szene zu werden, weil sie unbedingt irgendwo dazugehören wollte. Und sie hatte keine Ahnung, was ihre Freundinnen oder die Fernsehzuschauer von ihr halten würden, falls sie je erfuhren, womit sie sich am liebsten die Zeit vertrieb. Wenn sie nämlich die Wahl zwischen einem schicken Club oder ihrer Couch und einer DVD-Box mit ihrer Lieblingsserie gehabt hätte, hätte die Couch immer gewonnen.

„Und du bist dir sicher, du willst in Wahrheit nicht nur wegen Jack Trent mitmachen?“, unterbrach Annabel sie in ihren Gedanken. „Du hast ihn in den Zeitungen bestimmt schon mit nacktem Oberkörper gesehen, oder? Echt lecker. Und er lässt sich nie zweimal mit derselben Frau fotografieren. Ich kann mir Männer vorstellen, die ich lieber aus meinem Zelt stoßen würde.“

Für einen kurzen Moment überkam Evie der Wunsch, ins Internet zu gehen und sich diese Fotos anzusehen. Nie zweimal mit derselben Frau? Die alte Alarmanlage schrillte in ihrem Kopf. Sie war schon zu oft auf gutes Aussehen und Charme hereingefallen, um dann später festzustellen, dass der Mann nur mit Miss Knightsbridge ins Bett gehen wollte. Sobald ihm das gelungen war, hatte sich das Interesse an der echten Evie in Rauch aufgelöst. Nein, sie wollte bestimmt nicht mehr Zeit mit Jack Trent verbringen, als für die Rettung ihres Rufs nötig war. Wie er ohne Hemd aussah und ob er Single war, spielte überhaupt keine Rolle.

„Nach dem, was ich über seine Survival-Kurse gelesen habe, kann ich froh sein, wenn ich überhaupt ein Zelt bekomme“, sagte sie.

Am Abend vor dem ersten Drehtag traf Jack in dem schottischen Hotel ein, in dem die Filmcrew regelmäßig abstieg, wenn die Sendung produziert wurde. Vermutlich war es das Hotel, das Evie Staverton-Lynch mit ihrer boshaften Bemerkung gemeint hatte.

Bei der vermeintlichen Luxusherberge handelte es sich um ein schlichtes Zwei-Sterne-Hotel, das er nur ausgesucht hatte, weil es in der Nähe von seinem Zentrum für Überlebenstraining lag. Von Daunendecken oder Gourmet-Essen war weit und breit nichts zu sehen. Weil die Mitarbeiter vom Hotel Jack über alle Maßen verehrten und auf der Seite von ihrem Fernsehstar standen, hatte man Evie ein Zimmer über der Küche zugewiesen, mit Blick auf die Mülleimer und dem Duft von Bratfett aus der Küche, sollte sie den Fehler machen und das Fenster öffnen.

Der Rest der Filmcrew saß an der Bar. Von Miss Knightsbridge fehlte jede Spur, dabei hatte Jack eigentlich erwartet, sie würde die Treppe hinunterstolzieren, einen Schwarm von Personal im Schlepptau. Er bestellte ein Glas Wasser und blätterte durch die Zeitungen, die an der Theke auslagen. Fast alle brachten eine Titelgeschichte über die bevorstehende Sendung. Die Produktionsfirma musste sich vor Begeisterung überschlagen.

Er schlug eine Seite auf und hätte sich beinahe am Mineralwasser verschluckt.

Das PR-Team von Evie Staverton-Lynch hatte offenbar Überstunden eingelegt. Auf einer Doppelseite prangte ein Foto von Evie, auf dem sie ein dunkelgrünes T-Shirt mit dem Aufdruck Jack Trent’s Survival Camp Extreme trug – weiter nichts, wie es den Anschein machte. Sie hatte die längsten, aufregendsten Beine, die Jack je gesehen hatte. Sein Mund wurde trocken, und er trank das Wasserglas in einem Zug leer. Es wäre ihm wesentlich lieber gewesen, er hätte sie nicht so verdammt attraktiv gefunden und wäre nicht ständig über Fotos gestolpert, die sie in verschiedenen Stadien von Unbekleidetsein zeigten. Schnell konzentrierte er sich auf den Artikel unter dem Foto. Im Interview hatte Evie sich zerknirscht gegeben. „Ich stand unter Stress und habe etwas Dummes gesagt, das nicht der Wahrheit entspricht. Um es wiedergutzumachen, nehme ich an dem Survival-Training teil. Ich hoffe, ich kann damit zeigen, wie leid es mir tut. Ich halte Jack Trent nämlich für einen echten Kerl.“

Seit wann wies sie nicht mehr jede Schuld von sich, sondern setzte alles daran, seinen Ruf wiederherzustellen? Er gestattete sich einen letzten Blick auf die schön geschwungenen Beine und den sinnlichen Mund, bevor er die Zeitschrift weglegte. War das echte Reue oder nur ein geschickter PR-Schachzug? Er hatte seine Zweifel. In der Vergangenheit hatte er erfahren müssen, dass Leute wie sie die Presse zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen wussten. Um gut dazustehen, hängten sie ihr Mäntelchen nach dem Wind. Aber eigentlich durfte ihm das herzlich egal sein, solange sein Ruf wiederhergestellt wurde.

Als er an der Rezeption nach ihrer Zimmernummer fragte, erfuhr er zu seiner Überraschung, dass sie sich nicht über ihre Unterbringung beschwert hatte.

„Sie kam allein an, hat eingecheckt und ist dann auf ihr Zimmer verschwunden. Sie hat noch nicht mal verlangt, dass ihr jemand den Koffer nach oben trägt“, erklärte die Frau am Empfang. „Nur einmal hat sie angerufen und beim Zimmerservice was zu essen bestellt.“

Das Personal schien damit gerechnet zu haben, dass sie nach einem ersten Blick auf ihr Zimmer nach unten gestürmt wäre und sich lautstark beschwert hätte. Zum ersten Mal fragte Jack sich, wie viel von dem Image der verwöhnten Promi-Prinzessin eigentlich echt war. Erst verstrickte sie sich in Widersprüchen, dann ließ sie im Hotel nicht die Diva heraushängen. Lag es daran, dass keine Kamera in der Nähe gewesen war, um den zickigen Ausraster einzufangen? Außerdem war sie ganz allein angereist. Wo war ihr Gefolge aus glamourösen Freundinnen und willigen Mitläufern?

Obwohl er sich nie wohl dabei fühlte, wusste auch er genau, wie man ein Fernseh-Image zum Vorteil einsetzen konnte. Das Rampenlicht hatte für seine Wohltätigkeitsarbeit und für sein Survival-Programm wahre Wunder bewirkt. Wenn er sich in London aufhielt, konnte er auf eine Liste von Pseudo-Freundinnen zurückgreifen, die liebend gern mit ihm zu Veranstaltungen gingen. Das waren Models oder Filmsternchen, die denselben Agenten hatten wie er und sich gern mit ihm bei Partys ablichten ließen. Gelegentlich teilte er sich mit einer von ihnen das Bett. Bloß keine feste Beziehung, das war seine Devise.

Die Boulevardpresse stürzte sich auf seine glamourösen Freundinnen und auf sein Image als knallharter Survival-Experte und wühlte nicht in seiner Vergangenheit. Deshalb hatte bis heute noch niemand davon erfahren, dass er in seiner Jugend zu egoistisch gewesen war, um seiner kleinen Schwester zu helfen. Und er würde alles tun, was in seiner Macht stand, damit nie jemand von seinen vergangenen Fehlern erfuhr.

Der Erfolg von Evie Staverton-Lynch hing allein davon ab, wie sehr sie die Medien manipulieren konnte. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie nicht auch ihre Geheimnisse hatte, von der die Presse nichts wusste.

Der Aufzug im Hotel war außer Betrieb, deshalb nahm er die Treppe.

Evie, die mit dem Essen rechnete, das sie beim Zimmerservice bestellt hatte, zuckte vor Überraschung zusammen, als sie die Tür öffnete und Jack Trent an den Türpfosten gelehnt vor sich sah.

„Ganz ohne Gefolge, wie ich höre?“, sagte er. In seinen grünen Augen flackerte es belustigt auf, sodass sich winzige Lachfältchen um die Lider bildeten. Ihr Magen machte einen völlig unangebrachten, kleinen Salto. Um Himmels willen, sie würde sich ganz bestimmt nicht zu einem Mann hingezogen fühlen, der sich darauf freute, sie morgen durch den Schlamm robben zu sehen.

„Wie bitte?“, erwiderte sie.

„Haben Leute wie Sie nicht immer einen Stab von Helferlein und Freundinnen dabei? Sie wissen schon, für Haar, Make-up und gelegentliche Kuscheleinheiten.“

Hatte er eine Ahnung, wie absurd die Vorstellung war? Von ihren Freundinnen war keine bereit, das Londoner Luxusleben aufzugeben und ihr in der schottischen Wildnis beizustehen. Tatsächlich hatte Evie in den letzten Tagen nicht besonders viel von ihrem sogenannten Freundeskreis gehört.

„Kuscheleinheiten?“, blaffte sie zurück. „Haben Sie die Presse nicht verfolgt? Das ganze Land möchte sehen, wie ich auf die Nase falle. Und zwar am liebsten im Sumpf.“

„Das lässt sich arrangieren“, sagte er.

Sie schaute hoch und sah, dass ein Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Es war nicht einmal unfreundlich. Ihr kam der Gedanke, dass sich die schreckliche Lage, in die sie sich gebracht hatte, durchaus angenehmer gestalten ließ. Sie musste ihm gegenüber nur ein wenig freundlicher sein. Deshalb lächelte sie zurück.

„Wollten Sie was von mir?“, fragte sie.

„Ich dachte, wir gehen zusammen die Liste mit der Ausrüstung durch, damit Sie morgen alles dabeihaben. Ich schaue am Vorabend immer bei den Teilnehmern vorbei und kläre offene Fragen mit ihnen.“

„Wie ich sehe, sind Sie ein echter Profi“, sagte sie.

Er zog die Augenbrauen hoch und wartete, bis sie die Tür aufmachte und ihn eintreten ließ.

Auf einem der beiden schmalen Betten türmten sich verschiedene Kleidungsstücke und Ausrüstungsgegenstände. Die Assistentin vom Produktionsteam hatte sie dort hingelegt, sichtlich erfreut über die Aussicht, dass Evie Staverton-Lynch sich am Wochenende in der abscheulichsten Kleidung, die diese je gesehen hatte, einen abfrieren würde. Evie dachte angestrengt an irgendeine Situation, in der sie in die Verlegenheit gekommen war, wasserdichte Kleidung zu tragen. Ihr fiel keine ein. Sie war durch und durch ein Stadtkind; in der freien Natur war sie nicht mehr gewesen, seit die Campingferien, die ihre Mutter so geliebt hatte, abrupt zu einem Ende gekommen waren. Ihr Vater hatte nach dem Tod der Mutter nur nach vorne schauen wollen und sich nicht mit Erinnerungen an glücklichere Zeiten aufgehalten. Er hatte ein Haus in Südfrankreich gekauft und Evie und ihren Bruder Will in den Ferien dort hingeschickt. Mit einem Kindermädchen, denn natürlich war er selbst nie mitgekommen. Als Evie daran dachte, was für Erinnerungen am bevorstehenden Wochenende in der Natur hochkommen konnten, wurde ihr unbehaglich zumute.

Als sie Jack im winzigen Zimmer stehen sah, verdrängte sie den Gedanken sofort wieder. Sein muskulöser Körper schien buchstäblich den ganzen Raum einzunehmen, und ihr Magen machte einen nervösen Salto. Aber wovor sollte sie Angst haben? Bisher hatte sie noch jeden Mann um den Finger gewickelt, und auch auf Jack Trent würde ihr Charme bestimmt nicht seine Wirkung verfehlen. Sie musste es nur richtig angehen. Sie marschierte zum Bett und begann, die Ausrüstungsgegenstände durchzusehen.

Dabei spürte sie seine bohrenden Blicke in ihrem Rücken.

„Sind Sie bereit für das morgige Abenteuer?“, fragte er.

Sie drehte sich zu ihm um. Seine grünen Augen musterten sie, und sie hatte das seltsame Gefühl, dass er genau wusste, wie sie sich fühlte. So nah, wie sie sich jetzt waren, nahm ihr sein durchtrainierter Körper fast den Atem. Unter dem schlichten grünen T-Shirt zeichneten sich die starken Schultern und die breite Brust perfekt ab.

Schnell setzte sie ein sorgloses Lächeln auf.

„So bereit, wie ich nur sein kann“, hauchte sie.

„Nervös?“, hakte er nach. Das Lächeln entglitt ihr für eine Sekunde, und sie hätte sich ohrfeigen können. Jetzt wusste er, was in ihr vorging.

„Sie kriegen das schon hin“, sagte er mit etwas sanfterer Stimme. Evie spürte einen kleinen Stich in der Magengegend. Sie hätte nie gedacht, dass Jack Trent sich dazu herablassen würde, sie aufzumuntern. „Es wird hart, aber bestimmt auch lustig.“

Lustig?

„Wie sind Sie eigentlich zu diesem ‚Job‘ gekommen?“, platzte sie heraus. „Mal ehrlich, das ist doch kein Beruf, den man sich in der Schule ausdenkt. Wann haben Sie sich überlegt, Ihr Geld damit zu verdienen, Nagetiere zu essen und eiskalte Flüsse zu durchqueren?“

Er grinste sie an.

„Sagt die Frau, die dafür berühmt ist, dass sie … nun, ja, dass sie berühmt ist. Wie sind Sie denn auf diesen Beruf gekommen?“

Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und verriet dadurch, wie sehr seine Worte sie getroffen hatten.

„Ich bin nicht nervös“, sagte sie, ohne weiter auf die Frage einzugehen. „Ich bin fünf Mal die Woche im Fitness-Studio und jogge regelmäßig. Ich glaube, ich kriege so ein Campingwochenende mit kleinen Hindernissen schon hin.“

Er lachte laut auf, und das tiefe Geräusch ließ ihren verräterischen Magen erneut hüpfen.

Campingwochenende mit kleinen Hindernissen? Haben Sie sich mittlerweile schon mal eine Sendung von mir angesehen?“

„Ein paar Ausschnitte, ja“, sagte sie knapp.

Auf keinen Fall durfte sie zugeben, dass ihr die Sendung wie ein schlammiger, eiskalter Albtraum vorgekommen war. Sonst würde er es so hinstellen, als wäre sie der Herausforderung nicht gewachsen.

„Körperliche Fitness ist wichtig, aber nicht alles“, entgegnete er. „Es geht vielmehr darum, wie man sich in einer schwierigen Situation mit wenigen Hilfsmitteln zurechtfindet.“ Er schaute sie an, als wollte er ihre Gedanken ergründen. „In der Zeitung habe ich von Ihrer neuen Taktik gelesen.“

„Neue Taktik?“

„Zuerst wollten Sie sich von jeder Verantwortung reinwaschen, jetzt betteln Sie um Vergebung.“ Er machte eine kurze Pause. „Und gewürzt wird die Geschichte mit einem doppelseitigen Foto.“

Er schaute sie aus grünen Augen so durchdringend an, dass sich ihr Puls beschleunigte. Sie wusste, welches Foto er meinte. Ihre Kehle wurde trocken, und sie schluckte schwer.

„Wollen Sie sich beschweren, weil ich mich öffentlich entschuldigt habe?“

„Nein, ich frage mich nur, ob es ernst gemeint oder ein PR-Trick war.“

„Was interessiert es Sie, solange Ihr Ruf wiederhergestellt wird?“, fragte sie.

Er zuckte die Schultern.

„Ich wollte nur wissen, wie ich Sie einschätzen soll.“

Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Jetzt war sie ihm so nah, dass er ihr Parfüm riechen konnte. Sie duftete herrlich und teuer. Ihre blauen Augen schauten ihn unverwandt an, und er spürte ein kleines Feuer in der Magengrube. Sie war wirklich verdammt hübsch.

„Mir wäre es lieb, wenn wir unsere Feindseligkeit beenden“, sagte sie. „Ich weiß, die Situation ist nicht einfach, aber ich versuche wirklich alles, sie in Ordnung zu bringen. Meinen Sie nicht, wir können uns besser auf das Wochenende konzentrieren, wenn wir einen Waffenstillstand vereinbaren?“

Fall sie glaubte, ihn mit ihrem Charme bezirzen zu könne, hatte sie sich gehörig geirrt.

„Ganz gleich, was ich von Ihnen halte, da draußen bin ich für Sie verantwortlich“, sagte er. „Ich bin ein Profi. Ihre Sicherheit steht bei mir an erster Stelle.“

„Dann kommt ein Waffenstillstand wohl nicht infrage, oder?“

„Hängt von den Bedingungen ab“, sagte er, um zu sehen, was sie sich als Nächstes einfallen lassen würde. Sie war es offenbar gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen.

„Die Sache ist doch die, Jack“, sagte sie. „Wir wollen beide das Gleiche.“

„Und das wäre?“

Sie sah ihn unverwandt an.

„Ohne größere Blessuren durch das Wochenende kommen“, sagte sie. „Ich weiß, die Zuschauer wollen mich scheitern sehen, aber wäre das wirklich die beste Werbung für Ihre Survival-Kurse? Geht es nicht in erster Linie darum, dass der Teilnehmer die Sendung überlebt? Wäre es für uns beide nicht das … Vernünftigste, wir bemühen uns, das Wochenende ins rechte Licht zu rücken?“

Aha, sie wollte sich selbst ins rechte Licht rücken. Diese Frau war wirklich mit allen Wassern gewaschen. Ihre Wir-ziehen-doch-beide-am-selben-Strang-Nummer kam bei anderen vielleicht gut an. Aber Jack hatte schon zu oft mit solchen Frauen zu tun gehabt und war immun gegen diese Art von Manipulation.

Sie lächelte ihn an, als hätte sie schon gewonnen, und er fragte sich, ob es in ihrem Leben überhaupt schon einmal nicht nach ihrem Willen gegangen war. Aber ihr Charme prallte an ihm ab, für ihn zählte nur harte Arbeit. Und wenn er sich ihre zarten, perfekt manikürten Hände ansah, kamen ihm echte Zweifel, ob sie jemals irgendwo mit angepackt hatte. Sie stammte wirklich aus einer anderen Welt.

Aus ihren großen blauen Augen sah sie ihn durchdringend an und schien darauf zu warten, dass er sich vor ihren Designer-Schuhen auf den Boden warf und ihr jeden Wunsch erfüllte.

„Verstehe, worauf Sie hinauswollen“, sagte er.

„Gut.“ Sie lächelte ihn an. Er erwiderte das Lächeln.

„Obwohl Sie die Sendung als – wie sagten Sie noch? – Campingwochenende mit kleinen Hindernissen abtun“, sagte er, „soll ich Sie mit Samthandschuhen anfassen? Tut mir leid, meine Liebe, wie der Name schon sagt, das ist ein Survival-Kurs, kein Ponyhof.“

Evie starrte ihn an, während er zur Tür marschierte.

„Ich dachte, Sie wollten mit mir offene Fragen klären“, sagte sie.

„Stimmt. Aber da ging es um Fragen, die Sie noch zur Ausrüstung haben. Und nicht darum, dass ich Sie verschone. Das werde ich nämlich nicht. Wir sehen uns morgen bei Tagesanbruch im Basislager.“

Er zog die Zimmertür hinter sich zu und grinste. Spätestens morgen Mittag würde sie schreiend vom Set wegrennen, da war er sich ganz sicher.

3. KAPITEL

„Wir drehen zuerst im Basislager von Jack. In der ersten Szene bespricht er mit Ihnen die Ausrüstung. Danach machen Sie sich zu Fuß in die Wildnis auf.“

Evie hielt sich verzweifelt am Beifahrersitz fest, während die Assistentin vom Produktionsteam den Jeep über die Schotterpiste lenkte. Ein silbergrauer Streifen kroch über die schottischen Highlands, vermutlich war das der Sonnenaufgang. Um sie herum herrschte Dauernieselregen, der zwar harmlos wirkte, aber dafür sorgen würde, dass sie im Nu bis auf die Knochen nass wurde. Als Evie in den frühen Morgenstunden vom Hotel aufgebrochen war, hatte sie den Eindruck gehabt, der Zivilisation Lebewohl zu sagen.

„Uns steht doch bestimmt ein Team zur Seite“, sagte sie. „Ich meine, er filmt den ganzen Kram doch nicht etwa selbst, oder? Wir sind doch nicht die ganze Zeit auf uns allein gestellt, oder?“

Nach der Begegnung vom Vorabend hatte Evie ein wenig recherchiert. Im Internet hatte sie noch mehr Ausschnitte von der Sendung gefunden...

Autor

Charlotte Phillips
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