Operation Heartbreaker 4: Cowboy - Riskanter Einsatz

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Ein Mann, ein Wort - ein Heiratsantrag! Das Ziel: Melody ganz in Weiß. Der Zeitpunkt: ungewiss.

Operation Heartbreaker: Besiege die Gefahr, vertraue deinen Freunden - und verschenke nie dein Herz. In letzter Sekunde befreit Harlan "Cowboy" Jones die Botschaftsangestellte Melody Evans aus der Geiselhaft. Er bringt sie in Sicherheit, und plötzlich ist da diese Leidenschaft: Sechs Nächte verbringen die beiden in einem lustvollen Rausch! Dann kehrt Melody nach Hause zurück, und auf Cowboy warten andere riskante Einsätze. Doch egal, welche Brandherde er mit seinem Navy SEAL-Team löscht - in seinem Herzen brennt die Erinnerung an Melody lichterloh. Sieben Monate später steht er wieder vor ihr. Verblüfft erkennt er: Sie ist hochschwanger. Als Ehrenmann gibt es nur eine Lösung: Heirat. Und als Melody ablehnt, schlägt er entschlossen die Zelte im beschaulichen Appleton auf. Ein Mann, ein Wort - egal, wie lange es dauert!


  • Erscheinungstag 01.08.2010
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783862782789
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sie war so gut wie tot.

Ihre Chancen, dieses gottverdammte Land lebend zu verlassen, waren jetzt schon gering. Und sie wurden von Minute zu Minute geringer.

Melody Evans saß in einer Ecke des fensterlosen Büros, das ihr zum Gefängnis geworden war. Sie schrieb einen Brief an ihre Schwester – in der verzweifelten Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht ihre letzten Zeilen werden würden.

Liebe Brittany! Ich habe entsetzliche Angst zu sterben …

Sie fürchtete sich davor, dass man ihr jeden Augenblick eine Kugel in den Kopf jagen würde. Aber vielleicht wäre das sogar ein gnädiger Tod. Denn schließlich gab es auch noch andere, weit schrecklichere Möglichkeiten, ihr Leben zu beenden. Sie hatte von den Foltermethoden gehört, die in diesem Teil der Welt gebräuchlich waren – von anderen archaischen, furchtbaren Praktiken. Gott möge ihr helfen, wenn sie erst einmal herausfanden, dass sie eine Frau war …

Melodys Herz raste. Sie zwang sich dazu, tief und langsam zu atmen, um sich zu beruhigen.

Erinnerst Du Dich noch, wie Du mich zum Schlittenfahren auf den Hügel in der Apfelplantage mitgenommen hast? Du hast dich hinter mich gesetzt und mir mit dramatischer Stimme erklärt, dass wir jetzt entweder schnurgerade zwischen den Bäumen hindurch hinabfahren würden – oder dabei sterben.

Melodys ältere Schwester war stets die Abenteuerlustigere von ihnen beiden gewesen. Trotzdem war es ausgerechnet Brittany, die immer noch in ihrem Elternhaus zu Hause in Appleton lebte. In der vierstöckigen Villa im viktorianischen Stil waren sie beide aufgewachsen. Und es war Melody gewesen, die aus einem unerklärlichen Impuls heraus den Job als Assistentin des amerikanischen Botschafters angenommen hatte. In einem Land, von dem sie bis vor einem halben Jahr nicht einmal gewusst hatte, dass es überhaupt existierte.

Ich kann kaum älter als sechs gewesen sein, aber ich weiß noch genau, dass ich dachte: Dann sterben wir wenigstens zusammen.

Ich wünschte, ich würde mich jetzt nicht so unendlich allein fühlen …

„Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die Ihnen erlauben, das da abzuschicken, oder?“ Kurt Matthews Stimme troff nur so von Hohn.

„Nein, natürlich nicht“, antwortete Melody, ohne auch nur aufzuschauen. Ihr war klar, dass sie diesen Brief nicht für Brittany schrieb, sondern für sich selbst. Sie schrieb ihn, um ihre Kindheitserinnerungen wieder lebendig werden zu lassen. Vielleicht brachten sie ihr ein wenig von dem Frieden und dem Glück ihrer Kindheit zurück. Sie schrieb über eine Zeit, in der sie verzweifelt bemüht gewesen war, mit ihrer fast neun Jahre älteren Schwester mitzuhalten. Sie übersprang die geschwisterlichen Reibereien und Streitigkeiten, erinnerte sich nur an Brittanys Geduld und Zuneigung.

Brittany hatte schon immer sehr viel Aufhebens um Melodys Geburtstag gemacht. So auch dieses Jahr. Obwohl Tausende von Meilen zwischen Mel und dem Neuengland-Charme ihrer Heimatstadt in Massachusetts lagen, hatte Britt ihr ein riesiges Paket voller Geburtstagsüberraschungen geschickt. Sie hatte es sogar so rechtzeitig gepackt, dass Melody es bereits vor vier Tagen erhalten hatte – mehr als eine Woche vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag.

Inzwischen war sie froh, dass sie sich nicht an Britts schriftliche Anweisungen gehalten hatte. Statt bis zu ihrem großen Tag zu warten, hatte sie die Geschenke sofort geöffnet. Britt hatte ihr fünf Paar warme Socken geschickt, einen dicken Wollpullover und ein Paar neue Turnschuhe. Das waren die praktischen Geschenke. Zu den Geschenken, die einfach nur Freude bereiten sollten, gehörten eine CD des Countrymusikers Garth Brooks, der neueste romantische Thriller von Tami Hoag, ein Glas Erdnussbutter und zwei Videokassetten, auf denen Britt die vergangenen drei Monate Emergency Room aufgenommen hatte. Ganz Amerika in einem Paket! Melody musste beim Auspacken gleichzeitig lachen und weinen. Das war das beste Geburtstagsgeschenk, das sie je bekommen hatte!

Jetzt sah es allerdings ganz so aus, als würde sie nicht mehr lange genug leben, um jemals wieder eine Folge der Serie zu sehen. Oder auch nur, um ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag zu erleben.

Kurt Matthews beachtete sie nicht mehr. Er hatte wieder seine strohdumme Diskussion mit Chris Sterling aufgenommen. Die beiden überlegten laut, wie viel CNN ihnen wohl für die Exklusivrechte an ihrer Geschichte zahlen würde – nachdem die Verhandlungen zwischen den Terroristen und den USA zum Abschluss gekommen und sie wieder frei wären.

Matthews war so ein Idiot! Er hatte doch tatsächlich die Hoffnung geäußert, die Verhandlungen würden sich zäh gestalten. Wahrscheinlich glaubte er, je länger die Geiselnahme dauerte, desto mehr Geld würde die Story ihm einbringen. Bis jetzt waren sie gerade mal zwei Tage in der Hand der Terroristen. Nach seinem Dafürhalten: zu kurz.

Offensichtlich hatten weder er noch Sterling auch nur ansatzweise den Ernst der Lage erkannt.

Melody dagegen hatte sich mit der Terrorgruppe befasst, die am frühen Mittwochmorgen überraschend die Regierung gestürzt hatte. Kurz danach war die amerikanische Botschaft gestürmt worden. Von Terroristen. Und bekanntlich verhandelte die US-Regierung nicht mit Terroristen; bisher sprach sie lediglich mit ihnen. Aber wenn sich daran nichts änderte, und zwar bald, dann würden diese Fanatiker ihr wahres Gesicht zeigen. Dann durften ihre drei Geiseln nicht mehr damit rechnen, höflich behandelt und verpflegt zu werden – was ihnen derzeit immerhin noch zuteil wurde. Vorausgesetzt natürlich, dass man es als höfliche Behandlung empfand, mit zwei Idioten in einem winzigen fensterlosen Büro eingesperrt zu sein, nur unregelmäßig etwas zu essen und zu trinken zu bekommen und die Toilette benutzen zu dürfen.

Matthews und Sterling hielten ihre Haftbedingungen offenbar für äußerst hart.

Aber Melody wusste es besser.

Sie schloss die Augen und versuchte, das Bild beiseitezuschieben, das sich ihr aufdrängte: eine kalte, feuchte, unterirdische Gefängniszelle. Als sie Appleton für diesen Job in der Botschaft verlassen hatte, war ihr nicht klar gewesen, wie eisig es in den Wintermonaten in der Wüste wurde. Jetzt war März, fast Frühling, aber es konnte nachts immer noch empfindlich kalt werden.

Himmel noch mal, sie durfte nicht über solche Dinge nachdenken! Das machte sie nur fertig.

Der Gedanke an die Gefängniszelle war allerdings immer noch besser als das andere Bild, das ihre übersprudelnde Fantasie immer wieder hochkochte: drei Ungläubige, ermordet von Terroristen.

Cowboy beobachtete die Rückseite der amerikanischen Botschaft durch sein Präzisionsfernglas. In dem Gebäude wimmelte es nur so von Tangos. Ein ständiges Kommen und Gehen. Kein erkennbares Muster.

„Cat“, sagte er nahezu lautlos in sein Mikrofon.

Captain Joe Catalanotto, Commander der Alpha Squad, befand sich auf der anderen Seite des Gebäudes. Er und die fünf weiteren Mitglieder der Spezialeinheit hatten sich ein provisorisches Lager in einer verlassenen Wohnung hergerichtet und ruhten. Der Wohnungseigentümer war zweifellos ein gerissener Hund, denn er hatte eiligst seine Siebensachen gepackt und sich abgesetzt. Offenbar war ihm klar, dass Wohneigentum in unmittelbarer Nähe eines Gebäudes, das jeden Augenblick in die Luft fliegen konnte, im Augenblick eher von Nachteil war.

Für die Zwecke der Alpha Squad, der Eliteeinheit des SEAL-Teams Ten, hingegen war die Wohnung geradezu ideal. Das Schlafzimmer bot einen erstklassigen Ausblick auf die Frontseite der Botschaft. Einer der SEALs saß derzeit bequem in einem Lehnstuhl vor dem Fenster. Cowboy kauerte etwas weniger bequem auf dem Dach mit Blick auf die Rückseite der Botschaft. So konnten sie mit zwei Mann jede Bewegung der Tangos – so bezeichneten SEALs Terroristen – verfolgen.

„Yo, Jones.“ Cats breiter New Yorker Dialekt kam klar und deutlich über das Headset, das Harlan Jones trug.

Der sagte nur ein Wort: „Chaos.“ Harlan – Spitzname: Cowboy – war auf dem Dach zwar unsichtbar, aber ihm war nur zu bewusst, dass die Fenster im Stockwerk unter ihm offen standen. Wenn er sprach, tat er das daher so kurz, präzise und leise wie nur irgend möglich. Mit dem Fernglas behielt er das Gebäude im Auge, ließ den Blick von Fenster zu Fenster schweifen. Die Scheiben waren zerbrochen, und er konnte Bewegungen erkennen, umherhuschende Schatten. Das Gebäude war riesig, eines von diesen uralten hochherrschaftlichen Häusern, gebaut in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass die Geiseln in einem der inneren Räume gefangen gehalten wurden.

„Verstanden“, antwortete Catalanotto. Er klang leicht amüsiert. „Wir sehen das auch von dieser Seite. Wer immer diese Clowns auch sein mögen, es sind Amateure. Wir gehen heute Nacht rein. Spät.“

Cowboy musste einen vollständigen Satz riskieren: „Ich empfehle: Wir gehen jetzt rein.“ Er konnte an Cats Schweigen hören, wie überrascht sein Commander war. Es zog sich in die Länge, sagte mehr als tausend Worte.

„Jones, die Sonne geht in knapp drei Stunden unter“, erklärte er schließlich. Die SEALs arbeiteten am besten und sichersten bei Nacht. Im Schutz der Dunkelheit konnten sie sich fast unsichtbar bewegen.

Cowboy schaltete sein Fernglas auf Infrarot um und überprüfte noch einmal das Gebäude. „Wir sollten jetzt reingehen.“

„Was siehst du, was ich nicht sehe, Junge?“, fragte Joe Cat. Die Frage war ernst gemeint, ohne einen Funken Ironie. Cat verfügte über Unmengen von Erfahrung, von denen Cowboy bestenfalls träumen konnte. Und er war erst kürzlich zum Captain befördert worden; Cowboy dagegen war nur ein kleiner Ensign. Aber Captain Joe Catalanotto war ein Anführer, der die Stärken jedes einzelnen Mitglieds seines Teams kannte und berücksichtigte. Er belastete jeden Mann bis an die Grenzen seiner Fähigkeiten. Gelegentlich auch darüber hinaus.

Jeder seiner Männer konnte durch Mauern sehen, sofern er über die richtige Ausrüstung verfügte. Aber keiner von ihnen konnte die dabei gewonnenen Informationen so lesen und interpretieren wie Cowboy. Cat wusste das.

„Mindestens fünfzig Tangos drin.“

„Ja, genau das sagt Bobby auch.“ Cat machte eine kurze Pause. „Irgendwas Besonderes?“

„Das Bewegungsmuster.“

Cowboy hörte, wie Cat Bobbys Platz am Schlafzimmerfenster einnahm. Es blieb eine Weile still, dann fluchte Cat. „Sie machen Platz für irgendetwas.“ Er fluchte erneut. „Oder für irgend jemanden.“

Cowboy schnalzte einmal kurz bestätigend ins Mikrofon. Genau das vermutete er auch.

„Sie räumen den gesamten Ostflügel des Gebäudes“, fuhr Joe Catalanotto fort. Jetzt konnte er sehen, was Cowboy aufgefallen war. „Wie viele weitere Tangos erwarten sie wohl?“

Das war eine rhetorische Frage, aber Cowboy antwortete trotzdem. „Zweihundert?“

Cat stieß erneut einen Fluch aus, und Cowboy wusste, was er dachte. Fünfzig Tangos – damit konnten sie fertig werden. Zumal, wenn es sich um Witzfiguren handelte wie die, die sie den ganzen Tag hatten aus- und eingehen sehen. Aber zweihundertfünfzig gegen gerade mal sieben SEALs … Damit standen ihre Chancen deutlich schlechter. Hinzu kam: Sie hatten keine Ahnung, ob die Tangos, die demnächst eintreffen würden, vielleicht echte Soldaten waren. Möglicherweise wussten sie mit ihren Waffen umzugehen – im Gegensatz zu denen, die derzeit das Gebäude besetzt hielten.

„Macht euch fertig zum Aufbruch“, kam Cats Befehl an die übrigen Männer der Alpha Squad über sein Headset.

„Cat.“

„Yo, Jones?“

„Drei Wärmequellen haben sich den ganzen Tag kaum bewegt, wie mir aufgefallen ist.“

Cat lachte. „Willst du etwa behaupten, du hättest unsere Geiseln entdeckt?“

Cowboy schnalzte einmal ins Mikrofon.

Christopher Sterling, Kurt Matthews und Melody Evans. Cowboy gingen die Namen der drei immer wieder im Kopf herum, seit sie im Flugzeug über die Details ihres Auftrags informiert worden waren. Die Maschine hatte sie zu ihrem Eintrittspunkt gebracht; dort waren sie aus großer Höhe abgesprungen. Erst knapp über dem Boden hatten sie ihre Fallschirme geöffnet und waren nahe der von Terroristen kontrollierten Stadt in der Wüste gelandet.

Auch Cowboy hatte die Bilder von den Geiseln gesehen.

Alle Männer der Alpha Squad hatten das Foto von Melody Evans ein wenig länger betrachtet als nötig. Sie konnte kaum älter als zweiundzwanzig sein, höchstens dreiundzwanzig – fast noch ein Kind. Auf dem Foto trug sie eine blaue Jeans und ein schlichtes T-Shirt, das ihre weibliche Figur weder betonte noch versteckte. Sie hatte blaue Augen, langes blondes Haar, das ihr in weichen Wellen über die Schultern fiel, und lächelte, ein offenes, leicht schüchternes Lächeln. Ihr hübsches Gesicht erinnerte jeden von ihnen an die eigene kleine Schwester. Sogar jene, die wie Cowboy gar keine kleine Schwester hatten.

Und Cowboy wusste, dass sie alle dasselbe dachten: Während sie im Flugzeug saßen und darauf warteten, ihre Absprungposition zu erreichen, war dieses Mädchen auf Gedeih und Verderb einer Bande von Terroristen ausgeliefert, die nicht gerade dafür berühmt waren, ihre Geiseln anständig zu behandeln. Ganz im Gegenteil. Diese Terroristen hatten erwiesenermaßen schon oft auf Folter und Misshandlung zurückgegriffen. Ihr intensiver Hass auf alles Amerikanische war bestens bekannt.

Er wollte nicht darüber nachdenken, was diese Bastarde der jungen Frau antun konnten, vielleicht schon angetan hatten. Aber er hatte den ganzen Tag gewissenhaft die drei Wärmequellen im Auge behalten. Das könnten die Geiseln sein. Keine von ihnen hatte sich bewegt, den ganzen Tag nicht.

„Vierter Stock, Innenraum“, sagte er leise in sein Mikro. „Nordwestliche Ecke.“

„Ich nehme nicht an, dass du in deiner Freizeit auch noch einen Weg in die Botschaft für uns vorbereitet hast?“, fragte Cat.

„Kaum Bewegung auf der obersten Etage“, berichtete Cowboy. Auch dort waren die Fensterscheiben zerbrochen. „Vom Dach durchs Fenster – ein Kinderspiel.“

„Und wie kommen wir aufs Dach?“ Der Südstaaten-Dialekt verriet Lieutenant Blue McCoy, den stellvertretenden Commander der Alpha Squad.

„Von hier aus ein Spaziergang. Die Dächer sind miteinander verbunden. Der Weg ist frei – hab ich schon überprüft.“

„Warum zum Teufel habe ich den Rest von euch überhaupt mitgenommen?“, fragte Cat. Cowboy konnte den älteren Mann zwar nicht lächeln sehen, aber hören. „Gute Arbeit, Junge.“

„Wie immer“, sagte Cowboy gedehnt.

„Genau das liebe ich so an dir, Junior.“ Senior Chief Daryl Becker, den sie Harvard nannten, mischte sich mit tiefer Stimme und seinem so typischen trockenen Humor ein. „Deine Bescheidenheit. Findet man bei jungen Leuten eher selten.“

„Erlaubnis zum Aufbruch?“, fragte Cowboy.

„Negativ, Jones“, gab Cat zurück. „Warte auf Harvard. Ihr geht zusammen rein.“

Cowboy schnalzte bestätigend, das Infrarot-Fernglas immer noch auf die Botschaft gerichtet.

Nicht mehr lange – dann würden sie reingehen und Melody Evans sowie die anderen beiden rausholen.

Es geschah alles so schnell, dass Melody nicht hätte sagen können, woher die Männer kamen oder wer sie waren.

Im einen Augenblick saß sie noch in der Ecke und schrieb in ihr Notizheft. Im nächsten Augenblick lag sie auf dem Bauch auf dem Linoleum, wohin einer der beiden Vermummten sie eher unsanft befördert hatte. Sie waren anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht.

Der Lauf einer Waffe wurde grob gegen ihre Kehle gedrückt, während sie noch versuchte zu begreifen, was die Männer sagten.

„Ruhe!“ Der Befehl wurde rasch in einer ganzen Reihe von Sprachen wiederholt, die sie längst nicht alle erkannte. „Haltet den Mund – oder wir tun das.“

„Verdammt“, hörte sie jemanden sagen. Englisch – das war Englisch! „Das Mädchen ist nicht hier. Cat, wir haben hier drei Gepäckstücke, aber keines davon ist weiblich.“

„Wenn keines weiblich ist, ist eines ein Tango. Durchsucht sie. Gründlich.“

Englisch. Ja. Die Männer sprachen eindeutig amerikanisches Englisch! Da sie aber immer noch den Lauf der Waffe an ihrer Kehle spürte, wagte sie nicht, den Kopf zu heben und sie anzusehen.

„Lucky, Bobby, Wes“, meldete sich eine weitere Stimme. „Durchsucht die ganze Etage. Findet das Mädchen!“

Melody spürte Hände auf ihrem Körper. Sie tasteten sich grob über ihre Schultern und ihren Rücken, strichen fest über ihre Beine. Ihr wurde klar, dass sie nach einer Waffe durchsucht wurde. Dann glitt eine Hand gekonnt zwischen ihre Schenkel, die andere unter ihrem Arm hindurch zu ihrer Brust. Sie hätte ganz präzise sagen können, in welchem Moment die eine auf etwas Unerwartetes stieß, während die andere überraschend ins Leere griff. Derjenige, zu dem die Hände gehörten, erstarrte nämlich abrupt.

Dann drehte er sie auf den Rücken, und Melody schaute in die grünsten Augen, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte.

Er nahm ihr den Hut ab, berührte ihr Haar und betrachtete dann die schwarze Schuhcreme, die an seinen Fingern klebte. Er musterte den Oberlippenbart, den sie sich aus ihren eigenen, mit Mascara gefärbten Haaren gebastelt und unter die Nase geklebt hatte. Er lächelte, als er ihr in die Augen schaute. Dieses Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen und seine Augen funkeln.

„Melody.“ Das war eine Feststellung, keine Frage.

Sie nickte trotzdem.

„Ma’am, ich bin Harlan Jones von den United States Navy SEALs“, stellte er sich in weichem Mittelwest-Dialekt vor. „Wir sind gekommen, um Sie nach Hause zu bringen.“ Dann schaute er auf und wandte sich an einen der vermummten Männer. „Cat, blas die Suche ab. Wir haben unsere weibliche Geisel gefunden, gesund und munter.“

„Kommt überhaupt nicht infrage.“ Kurt Matthews verschränkte die Arme vor seiner Hühnerbrust. „Sie haben gesagt, wenn einer von uns versucht zu fliehen, töten sie uns alle. Sie haben gesagt, wenn wir gehorchen und unsere Regierung auf ihre bescheidenen Forderungen eingeht, lassen sie uns frei. Deshalb sage ich: Wir bleiben hier.“

„Wir kommen hier nie und nimmer unbemerkt raus“, warf der zweite Mann – Sterling – ein. „Es sind viel zu viele. Sie werden uns schnappen, und dann werden sie uns töten. Es ist viel sicherer zu tun, was sie verlangen.“

Cowboy rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. Mit gottverdammten Idioten zu verhandeln war nicht gerade seine Stärke. Trotzdem hatte Cat es ihm überlassen, diesen Hohlköpfen Vernunft beizubringen. Die anderen Männer erledigten gerade den zweiten Teil ihres Auftrags: die Vernichtung etlicher streng vertraulicher Akten im Büro des Botschafters.

Er wusste: Wenn es hart auf hart kam, würden sie den befreiten Geiseln kurzerhand eins überziehen und sie hinaustragen. Aber es würde sehr viel einfacher sein, aus der Stadt zu entkommen und zum Fluchtpunkt zu gelangen, wenn sie sich nicht mit drei Bewusstlosen abschleppen mussten.

Nicht zum ersten Mal in den letzten zwanzig Minuten wanderte sein Blick zu Melody Evans hinüber.

Er musste lächeln. Sie war einfach zu bewundern. Zweifellos hatte ihre schnelle und intelligente Reaktion ihr das Leben gerettet. Sie hatte sich als Mann getarnt, ihr langes blondes Haar kurz geschnitten, es mit Schuhcreme schwarz eingefärbt und sich eine Art struppigen Schnurrbart ins Gesicht gezaubert.

Trotz ihrer kurz geschorenen Haare und dieses lächerlichen Bärtchens unter ihrer Nase war sie hübsch. Er konnte kaum glauben, dass ihm nicht sofort beim Hereinkommen aufgefallen war, dass sie eine Frau war. Aber er hatte es nicht bemerkt. Er hatte sie grob zu Boden geworfen. Verdammt! Und dann hatte er sie auf der Suche nach versteckten Waffen auch noch unsanft abgetastet.

Sie warf ihm einen Blick zu, als hätte sie gespürt, dass er sie anstarrte. Und da durchzuckte es ihn wie ein Blitz – schon wieder. Zwischen ihnen knisterte es gewaltig. Er hielt ihren Blick fest, und sein Lächeln wurde breiter. Sie sollte ruhig wissen, wie anziehend sie auf ihn wirkte.

Auf dem Foto hatte sie ausgesehen wie die kleine Schwester von irgendjemandem. Aber jetzt, wo sie ihm Auge in Auge gegenüberstand, wurde ihm klar – und er dankte dem Himmel dafür – ‚dass sie zwar durchaus jemandes kleine Schwester sein mochte. Aber glücklicherweise nicht seine.

Von dem albernen Schnurrbart abgesehen, verkörperte sie nahezu alles, was er an Frauen besonders schätzte: Sie war schlank, und wie er bereits hatte feststellen können, war ihr Körper an manchen Stellen fest, an anderen weich. Sie hatte ein hübsches Gesicht, auch ohne Make-up, trotz der Spuren von Schuhcreme auf Stirn und Wangen und obwohl der goldene Schimmer ihrer Haare unter klebrigem Schwarz verschwunden war. Ihre Nase war klein, ihr Mund wirkte unglaublich weich, und ihre kristallklaren blauen Augen wurden von langen dunklen Wimpern umrahmt. Nachdem er sich ihr vorgestellt hatte, waren für einen Moment Tränen in diese intelligent blitzenden Augen geschossen. Doch zu seiner großen Erleichterung hatte sie sie heruntergeschluckt und nicht geweint.

Während er sie beobachtete, rieb sie sich die linke Schulter. Wenn ihr dort etwas wehtat, war das seine Schuld. Auf dieser Schulter war sie gelandet, als er ins Zimmer gestürmt und sie zu Boden geworfen hatte.

„Es tut mir leid, dass wir Sie so grob behandelt haben, Miss Evans“, sagte er. „Aber in unserem Beruf zahlt sich Höflichkeit nicht aus. Wer erst Fragen stellt …“ Er zuckte die Achseln.

„Natürlich“, murmelte sie und warf ihm einen beinahe schüchternen Blick zu. „Das versteh ich …“

Matthews fuhr ihr laut über den Mund: „Nun, ich verstehe das nicht, und Sie können verdammt sicher sein, dass Ihre Vorgesetzten von diesem kleinen Vorfall hören werden. Die Mitarbeiter des Botschafters mit der Waffe zu bedrohen und einer Leibesvisitation zu unterziehen!“

Cowboy bekam keine Chance, das Verhalten der Alpha Squad zu verteidigen, denn Melody Evans sprang auf und übernahm die Verteidigung für ihn. „Diese Männer sind hierher in die Botschaft gekommen, um uns zu suchen“, fuhr sie Matthews an. „Sie riskieren ihr Leben, um unseres zu retten. Sie tun das jetzt in diesem Moment, und sie taten das auch schon, als sie das Zimmer betraten. Sie wussten nicht, wer oder was sie hinter dieser Tür erwartet!“

„Sie hätten doch sofort sehen müssen, dass wir Amerikaner sind“, erwiderte Matthews indigniert.

„Oh ja, natürlich. Es hat sich ja auch noch nie ein Terrorist als Geisel verkleidet und bei seinen Gefangenen versteckt, um etwaige Retter in die Luft zu jagen“, höhnte sie. „Und natürlich wurde auch noch nie ein Amerikaner einer Gehirnwäsche unterzogen oder dazu gezwungen oder überredet oder bestochen, mit Terroristen gemeinsame Sache zu machen.“

Das brachte Kurt Matthews zum Schweigen. Und zum ersten Mal, seitdem die SEALs ihn hatten aufstehen lassen, hielt er den Mund.

Cowboy musste lächeln. Er mochte kluge Frauen – Frauen, denen man nichts vormachen konnte. Und diese hier war mehr als nur klug. Sie war stark, sie war mutig und außerdem willens und in der Lage, sich für etwas, woran sie glaubte, einzusetzen. Er bewunderte sie für ihre rasche Auffassungsgabe. Dass sie sich angesichts der Katastrophe, die über sie hereingebrochen war, so schnell unkenntlich gemacht hatte, gefiel ihm außerordentlich. Ganz bestimmt konnte man einer solchen Frau problemlos klarmachen, wie wichtig es war, hier abzuhauen, und zwar schnellstens.

„Melody“, sprach er sie an und korrigierte sich rasch, „Miss Evans. Sie stehen vor der Wahl, Ma’am: jetzt oder nie. Diese Tangos werden Sie auf keinen Fall freilassen, das wissen Sie genauso gut wie ich. Wenn Sie sich von diesen Idio… – von diesen Gentlemen einreden lassen hierzubleiben, sind Sie alle so gut wie tot. Verzeihen Sie mir meine Offenheit, Ma’am, aber so ist es nun mal. Sie können uns unsere Arbeit gewaltig erleichtern, wenn Sie uns vertrauen. Wir bringen Sie sicher nach Hause.“

„Aber Chris hat recht: Sie sind nur so wenige, und da draußen sind so viele Terroristen!“

War ja klar … Kaum hatte er geglaubt, in ihr eine sichere Verbündete zu haben, da wechselte sie – typisch Frau – die Seite. Trotzdem löste sich sein Ärger sofort in Luft auf, als sie ihn mit ihren babyblauen Augen anschaute, und schlug in Bewunderung um. Es stimmte ja. Ihre Chancen standen anscheinend alles andere als gut. Sie hatte durchaus Grund zur Besorgnis. Und es war seine Aufgabe, ihr die Angst zu nehmen.

„Wir sind SEALs, Ma’am“, erklärte er ruhig. Hoffentlich hatte sie in der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen war, von der Spezialeinheit der US Navy, von der härtesten Elitetruppe der Welt, gehört.

Aber leider zeigte sich kein Aha-Effekt in ihrem Gesicht.

Der größere der beiden Männer, Chris Sterling, schüttelte den Kopf. „Sie sagen das, als würde das alles erklären. Aber das sagt mir nichts. Ich weiß nicht, was das bedeutet.“

„Es bedeutet, sie halten sich für Supermänner“, spottete Matthews.

„Würden Sie Lieutenant Jones bitte antworten lassen“, wies Melody ihn scharf zurecht, und Matthews hielt tatsächlich den Mund.

„Es bedeutet, dass unsere Chancen immer noch gut stehen, obwohl wir nur sieben Männer sind und uns fünfzig gegenüberstehen“, erläuterte Cowboy. Wieder schaute er dabei Melody an, fing ihren Blick ein und hielt ihn fest. Sie war der Schlüssel zur Lösung des Problems. Sie würde die beiden anderen Idioten zur Vernunft bringen können. „Es bedeutet außerdem“, fuhr er fort, „dass die US-Regierung jede Hoffnung aufgegeben hat, Sie auf dem Verhandlungsweg hier herauszuholen. Wir werden nur dann eingesetzt, Melody“, wandte er sich direkt an sie, „wenn es keinen anderen Ausweg gibt.“

Sie hatte Angst. Das sah er ihren Augen an. Er konnte es ihr nicht verübeln. Irgendwo tief in seinem Innern verspürte auch er Angst. In den letzten Jahren hatte er gelernt, diese Angst zu nutzen. Sie vermochte seine Sinne zu schärfen, seine Wachsamkeit aufrechtzuerhalten und ihn in die Lage zu versetzen, alles zu geben – und mehr. Er hatte auch gelernt, diese Angst zu verbergen. Nur Zuversicht konnte Zuversicht wecken, und er versuchte, ihr davon eine geballte Ladung zu vermitteln, indem er ihr ermutigend ins Gesicht lächelte.

„Vertrauen Sie uns“, wiederholte er. „Vertrauen Sie mir.“

Sie wandte sich den anderen beiden Geiseln zu. „Ich glaube ihm“, erklärte sie kurz, „und ich gehe mit ihm.“

Matthews sprang empört auf und sah sie drohend an. „Sie blöde Schlampe! Kapieren Sie’s nicht? Wenn Sie fliehen, werden die uns töten!“

„Dann kommen Sie wohl besser mit“, gab Melody kühl zurück.

„Nein!“ Er wurde lauter. „Nein. Wir bleiben hier. Richtig, Sterling? Wir alle. Diese testosterongesteuerten Seelöwen oder wie auch immer sie sich nennen, können gern losziehen und sich umbringen lassen. Aber wir, wir rühren uns nicht von der Stelle. Wir bleiben hier.“ Er wurde noch lauter. „Noch besser: Da Mr. Jones offenbar unbedingt sterben möchte, werde ich ihm zur Hand gehen. Ich werde nach den Wachen rufen, damit sie ihn mit ihren Maschinengewehren zu Hackfleisch verarbeiten. Und zwar auf der Stelle!“

Melody hatte nicht gesehen, dass der breitschultrige SEAL sich auch nur bewegte, geschweige denn, dass er seine Hand hob. Aber noch bevor sie auch nur blinzeln konnte, ließ er Kurt Matthews überraschend sanft zu Boden gleiten.

„Nebenbei bemerkt: Sofern Sie keinen höheren Rang bekleiden als ich, ziehe ich die Anrede Ensign Jones vor“, erklärte er dem Bewusstlosen. Er lockerte die Finger der Hand, mit der er Matthews niedergestreckt hatte, lächelte Melody entschuldigend an und wandte sich an Chris Sterling. „Wie steht es mit Ihnen?“, fragte er, während er sich wieder erhob und zu voller Größe aufrichtete. „Wollen Sie aus dieser Botschaft herausgehen? Oder sollen wir Sie heraustragen wie Ihren Kumpel hier?“

„Gehen“, stieß Sterling hervor und starrte dabei auf Matthews herab. „Ich gehe lieber selbst, danke.“

Die Tür öffnete sich lautlos, und ein großer Schwarzer – noch breitschultriger als Ensign Harlan Jones – betrat das Büro. Harvard. Das war der Mann, den Ensign Jones vorhin Harvard genannt hatte. „Fertig, Junior?“

„Die drei Marx Brothers hier brauchen Umhänge“, erklärte Jones und zwinkerte Melody dabei kurz zu. „Und Sandalen.“

Marx Brothers. Melody lachte kurz auf. Chris Sterling warf ihr einen alarmierten Blick zu; er fürchtete wohl, sie war übergeschnappt. Jetzt zu lachen, wo sie doch jeden Augenblick damit rechnen mussten, ermordet zu werden! Jones hingegen zwinkerte ihr zu und lächelte.

Kevin Costner! An ihn erinnerte sie Jones! Er sah tatsächlich aus wie eine größere, kräftigere und sehr viel jüngere Version des Hollywood-Stars und Frauenschwarms. Das wusste er ganz offensichtlich auch. Dieses Lächeln konnte nicht nur Mut machen, sondern auch Herzen zum Schmelzen bringen.

„Melody, es tut mir leid, aber ich muss Sie bitten, Ihre Turnschuhe auszuziehen, Honey.“

Honey. Na, das ging ja schnell! Eben noch Miss Evans, jetzt auf einmal Honey. Und nun sollte sie auch noch ihre Schuhe ausziehen … „Die sind neu“, protestierte sie, „und warm. Ich würde sie lieber tragen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Es macht mir etwas aus“, entschuldigte Jones sich. „Sehen Sie sich meine Sohlen an – und dann die Dinger, die Sie tragen.“

Sie tat wie geheißen. Der Markenname der Schuhe war in die Sohlen eingeprägt, bildete einen Teil des kunstvoll gestalteten, griffigen Profils.

„Jeder andere in dieser Stadt – vielleicht sogar jeder andere in diesem ganzen Land – trägt Sandalen wie ich“, erläuterte er. Er hob den Fuß und zeigte ihr die glatte Ledersohle. „Wenn Sie in diesen Schuhen aus der Botschaft gehen, hinterlassen Sie bei jedem Schritt einen einzigartigen Fußabdruck. Genauso gut könnten Sie Ihren Namen in den Straßenstaub schreiben. Für etwaige Verfolger ist das ein eindeutiger Wegweiser: Zu den geflohenen amerikanischen Geiseln geht es hier entlang.“

Melody zog ihre Schuhe aus.

„Braves Mädchen“, lächelte er. Anerkennung schwang in seiner Stimme mit. Und noch etwas, etwas Warmes. Er drückte kurz ihre Schulter, bevor er seine Aufmerksamkeit mehreren anderen Männern zuwandte, die schweigend das Zimmer betraten.

Braves Mädchen.

Eigentlich hätten diese sanft gesprochenen Worte sie auf die Palme bringen müssen. Melody war kein Mädchen. Jones konnte höchstens ein paar Jahre älter sein als sie, und sie war sicher, dass er niemandem gestattete, ihn Bub zu nennen.

Allerdings hatten seine Worte etwas seltsam Beruhigendes. In gewisser Weise war sie ja doch sein Mädchen. Ihr Leben lag in seinen Händen. Mit seiner Hilfe konnte sie hier herauskommen und in die Sicherheit von Appleton zurückkehren. Ohne seine Hilfe war sie so gut wie tot.

Dennoch war ihr keineswegs entgangen, dass da noch etwas anderes in seiner Stimme mitgeschwungen hatte. Ein feiner Unterton, der sie daran erinnerte, dass er ein Mann war und sie eine Frau und dass er das ganz bestimmt keinen Augenblick lang vergessen würde.

Melody beobachtete Ensign Jones, der jetzt leise mit den anderen SEALs sprach. Er war ausnehmend gut gebaut. Wie er sie immer wieder anlächelte … Es war einfach unglaublich. Hier saßen sie nun, mitten in einer von Terroristen besetzten Botschaft. Und was tat Jones? Er schenkte ihr sein vielversprechendstes Schlafzimmerlächeln. Er wirkte so entspannt, als würde er in einer Bar am Tresen lehnen, ihr einen Drink ausgeben und darauf warten, ob sie auf sein Flirten einging oder nicht. Aber das hier war keine Bar. Dies war ein Kriegsschauplatz. Dennoch sah Jones ganz so aus, als hätte er seinen Spaß. Und genauso verhielt er sich auch.

Wer war dieser Typ? Entweder er war sehr dumm, sehr mutig oder schlicht und einfach verrückt.

Verrückt, entschied Melody. Er ließ sich ein Bündel Umhänge von einem der anderen SEALs reichen. Unter seinem eigenen trug er eine dunkle Weste, in der alle möglichen Werkzeuge und Waffen verstaut zu sein schienen. Außerdem war er mit einem nahezu unsichtbaren Headset ausgestattet, ähnlich denen, die Callcenter-Mitarbeiter zu tragen pflegten, nur viel kleiner.

Was für ein Mensch musste man sein, um mit einer solchen Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen?

Jones warf Chris Sterling einen Umhang zu und ihr einen zweiten. Zusammen mit einem unwiderstehlichen Lächeln. Schon wieder.

Es fiel ihr schwer, nicht zurückzulächeln.

Sie sah zu, wie er mit jemandem außerhalb des Zimmers sprach und gleichzeitig schnell und geschickt den immer noch bewusstlosen Kurt Matthews in den dritten Umhang hüllte.

Er sprach über Sandalen. Sandalen waren offenbar ein wenig schwerer zu beschaffen als Umhänge. Zumindest war es schwierig, welche in ihrer Schuhgröße aufzutreiben.

„Dann wird sie eben in Socken laufen“, entschied schließlich einer der anderen SEALs.

„Es ist kalt da draußen“, widersprach Jones.

„Das macht nichts“, erklärte Melody. „Ich will jetzt endlich hier raus.“

„Also los“, sagte der Schwarze. „Aufbruch, Cowboy. Cat kontrolliert den Hinterausgang. Los jetzt!“

Jones wandte sich an Melody. „Ziehen Sie die Schuhe wieder an. Schnell.“

„Aber Sie sagten doch …“

Er drückte sie auf einen Stuhl und zog sie ihr kurzerhand selbst an. „Lucky, hast du dein Isoband dabei?“

„Das weißt du doch.“

„Kleb ihr die Sohle ab“, befahl Jones und drückte den zugebundenen Schuh an Melodys rechtem Fuß dem anderen SEAL in die Hand.

Lucky machte sich ans Werk, während Jones sich um den linken Schuh kümmerte. Er benutzte dazu ein silbergraues Isolierband, das genau wie bei Lucky in seiner Weste steckte.

Das Isolierband deckte das Profil ab und stellte so sicher, dass sie beim Gehen keine auffälligen Spuren hinterließ.

„Die Sohlen könnten jetzt rutschig sein.“ Jones kniete vor ihr, ihren Fuß auf seinem Oberschenkel wie ein Schuhverkäufer. „Und wir müssen darauf achten, dass wir sie rechtzeitig neu abkleben, bevor das Isoband abgenutzt ist. Achten Sie selbst mit darauf?“

Melody nickte.

Er lächelte. „Braves Mädchen.“ Dann zog er sein Mikrofon vor seine Lippen. „Okay, Cat, wir sind so weit. Wir kommen jetzt raus.“ Er wandte sich an Melody. „Sie kommen mit mir. Was immer auch passiert, Sie bleiben dicht bei mir. Tun Sie ganz genau, was ich sage. Stellen Sie keine Fragen – tun Sie es einfach. Verstanden?“

Melody nickte erneut. Sie war sein Mädchen. Und sie konnte sich nichts anderes vorstellen, was sie in diesem speziellen Augenblick lieber gewesen wäre.

„Wenn Schüsse fallen“, fuhr er fort – und dabei war sein Gesichtsausdruck ausnahmsweise mal ernst –, „dann gehen Sie hinter mir in Deckung. Ich werde Sie beschützen. Dafür müssen Sie mir vertrauen, zu zweihundert Prozent.“

Melody konnte den Blick nicht von seinen leuchtend grünen Augen lösen. Sie nickte noch einmal.

Vielleicht war dieser Mann ja wirklich verrückt. Auf jeden Fall aber war er unglaublich mutig. Er war in diese Terroristenhochburg geeilt, um sie zu retten. Er war in Sicherheit gewesen, hatte sich aber dennoch entschlossen, diese Sicherheit aufzugeben und sein Leben für sie zu riskieren. Ich werde Sie beschützen. So kühn und selbstbewusst seine Worte auch klangen, in Wirklichkeit konnten sie beide schon in wenigen Minuten tot sein.

„Falls etwas schiefgeht …“, begann sie, um ihm zu danken. Wenn wirklich etwas schiefging, würde sie keine Gelegenheit mehr dazu bekommen. Ihr war zweifelsfrei klar, dass er zuerst sterben würde. Dass er die Kugeln abfangen würde, die für sie bestimmt waren.

Aber er ließ sie nicht ausreden. „Es wird nichts schiefgehen. Joe Cat sichert den Ausgang. Hier rauszukommen wird ein Kinderspiel. Vertrauen Sie mir, Mel.“

Er nahm sie bei der Hand und zog sie auf den Flur.

Ein Kinderspiel.

Beinahe glaubte sie ihm.

2. KAPITEL

Irgendetwas stimmte nicht.

Melody erkannte es an der ernsten Miene des Mannes, den Ensign Jones als Joe Cat vorgestellt hatte. Er unterhielt sich mit dem etwas kleineren Blonden namens Blue.

Sie hatten es geschafft, heil aus der Botschaft zu flüchten, genau wie Jones es versprochen hatte, und sie waren wesentlich weiter gekommen, als sie es für möglich gehalten hätte. Die Stadt lag längst hinter ihnen, und sie hatten im Schutz der Dunkelheit bereits das bergige Umland erreicht.

Die Gefahr war noch nicht überstanden gewesen, als sie aus der Botschaft heraus waren. Die Stadt stand unter Kriegsrecht; die nächtliche Ausgangssperre wurde rigoros durchgesetzt. Wer nachts draußen erwischt wurde, riskierte, sofort erschossen zu werden.

Mehr als einmal mussten sie in Deckung gehen, weil ihnen eine Patrouille begegnete.

„Schließen Sie die Augen“, flüsterte Jones Melody ins Ohr, als sich ihnen erstmals Soldaten näherten. „Sehen Sie nicht hin! Atmen Sie weiter, ganz flach und leise. Sie werden uns nicht entdecken. Das verspreche ich.“

Melody spürte seinen Körper an ihrer Schulter und drängte sich noch dichter an ihn. Seine Nähe und Wärme gaben ihr Kraft. Ebenso der Gedanke, dass sie, wenn sie schon sterben musste, wenigstens nicht allein sterben würde.

Danach legte er jedes Mal, wenn sie sich verstecken mussten, einen Arm um sie. Den anderen brauchte er für seine tödlich aussehende Waffe. Melody hatte längst aufgegeben, so zu tun, als käme sie allein zurecht. Sie ließ zu, dass er sie festhielt. Akzeptierte, dass er groß und stark war und sie klein und schwach, ließ sich von seiner Kraft trösten. Sie barg ihren Kopf unter seinem Kinn, schloss die Augen und lauschte, wie sein gleichmäßiger Herzschlag ab und an losgaloppierte. Und sie atmete so flach und leise wie möglich.

Bisher hatte man sie nicht gefasst.

Jetzt kam Jones zu ihr herüber und setzte sich neben sie.

„Wir haben ein Problem“, eröffnete er ohne Umschweife Er versuchte nicht, die Wahrheit vor ihr zu verbergen.

Ihr Vertrauen zu ihm wuchs ins Unermessliche. Er machte ihr nicht vor, dass alles in bester Ordnung sei, wenn es das ganz offensichtlich nicht war.

„Der Hubschrauber kommt nicht“, erklärte er. Im Mondlicht wirkte sein Gesicht ernst. Statt wie üblich zu lächeln, waren seine Lippen grimmig zusammengepresst. „Er ist schon zehn Minuten zu spät. Wir werden uns trennen. Es wäre zu gefährlich zusammenzubleiben. Bei Tageslicht bleibt eine so große Gruppe von Leuten nicht unentdeckt. Außerdem wird es nicht mehr lange dauern, bis die Tangos bemerken, dass Sie, Max und Moritz verschwunden seid.“

Max und Moritz. Selbst wenn die Situation durch und durch ernst war, machte dieser Mann noch Scherze. „Zehn Minuten sind doch nicht so furchtbar lang“, widersprach Melody. „Sollten wir nicht noch ein wenig warten?“

Jones schüttelte den Kopf. „Eine Minute ist nicht lang, zehn sind entschieden zu lang. Der Hubschrauber kommt nicht, Mel. Irgendwas ist schiefgelaufen, und wenn wir hier warten, bringen wir uns nur in Gefahr.“ Er hob einen ihrer Füße kurz an und betrachtete die Sohle des Laufschuhs. „Wie sieht das Klebeband aus?“

„Es fängt an durchzuscheuern“, gab Melody zu.

Er reichte ihr sein Isolierband. „Können Sie sich die Sohlen selbst neu abkleben? Wir müssen in spätestens drei Minuten aufbrechen, und ich möchte noch kurz mit Cat besprechen, wie wir weiter vorgehen.“

Melody nahm die Rolle entgegen, und er stand auf.

Sie mussten sich trennen. Er hatte gesagt, dass sie sich trennen würden. Plötzliche Panik erfasste sie. „Jones“, rief sie ihm leise nach. Er blieb stehen, schaute zu ihr zurück. „Bitte, ich möchte bei Ihnen bleiben.“

Sie konnte seine Augen in der Dunkelheit nicht erkennen, aber er nickte.

Im Osten wurde es bereits langsam hell, als sie endlich eine Pause machten.

Harvard war ihr Kundschafter. Dadurch hatte er im Laufe der Nacht etwa die doppelte Wegstrecke zurückgelegt wie Cowboy und Melody. Immer wieder eilte er voraus, erkundete schweigend die bestmögliche Wegstrecke und kam wieder zurück, um zu berichten, was er gesehen hatte.

Cowboy war froh, dass er Harvard dabei hatte. Sich durch feindliches Gelände zu bewegen war schon für zwei SEALs allein schwierig genug. Mit einer Zivilistin im Schlepptau war es um Etliches schwieriger. Aber das größte Problem lag noch vor ihnen: Sie mussten über die Grenze.

Er warf einen Blick auf Melody. Sie lächelte zaghaft zurück. Das beunruhigte ihn, machte ihn aber auch stolz.

Ihr Vertrauen zu ihm war offensichtlich. Er war nicht der Einzige der Alpha Squad, der ihre Bitte, bei ihm bleiben zu dürfen, gehört hatte. Unter normalen Umständen hätte diese aufgeschnappte Bemerkung dazu geführt, dass man ihn gnadenlos aufgezogen hätte. Cowboy Jones, der notorische Herzensbrecher, hatte wieder mal zugeschlagen.

Aber jeder der anderen Männer wusste: Melodys Bitte bewies nur, dass Cowboy seinen Job erledigt hatte, und zwar gut. Es war nicht leicht, das bedingungslose Vertrauen einer Geisel zu gewinnen. Kurt Matthews Verhältnis zu Cowboy war zum Beispiel ein deutlich anderes.

Das Mädchen aber vertraute ihm. Er sah es in ihren Augen, wann immer er sie anschaute. Es stand völlig außer Zweifel, dass er im Laufe weniger Stunden der wichtigste Mensch in ihrem Leben geworden war.

Er hatte recht viel Zeit investiert, um die Gefühle und Ängste zu studieren, die eine solche Rettungsmission bei Geiseln auslösten. Er hatte doppelt so viel Zeit investiert, um zu lernen, wie er selbst reagieren würde. Er musste sein eigenes Verhalten in Situationen, bei denen es auf Leben und Tod ging, vorhersehen können.

Was ihn an Melodys Lächeln am meisten beunruhigte, war denn auch nicht die Tatsache, dass er zum Mittelpunkt ihrer Welt geworden war. Nein, was ihn am meisten beunruhigte, war der Umstand, dass sie es irgendwie geschafft hatte, zum Mittelpunkt seines Lebens zu werden.

Er wusste, dass so etwas passieren konnte. Die Gefahr, vereint mit der gewaltigen Verantwortung für das Leben des anderen und einer sehr natürlichen und ehrlichen sexuellen Anziehung, rief mitunter Emotionen hervor, die weit über das normale Maß hinausgingen.

Seine unangemessene Reaktion auf dieses Mädchen war ihm erstmalig bewusst geworden, als sie sich vor den Patrouillen in der Stadt verstecken mussten. Sie hatte sich eng an ihn gedrängt, und er hatte den Arm um sie gelegt. Alles ganz normal. Sie hatte ihren Kopf an seine Brust gelehnt. Auch daran, dass sie auf diese Weise Kraft und Halt bei ihm suchte, war noch nichts Außergewöhnliches.

Aber dann, neben dem scharfen Schuhcreme-Geruch in ihrem Haar und dem feineren, aber dennoch nicht weniger scharfen Ton von Angstschweiß, der alle ehemaligen Geiseln umgab, war ihm noch ein anderer Duft aufgefallen. Ein süßer, ausgesprochen weiblicher.

Und genau in dem Augenblick, in dem die Nachtpatrouille keinen Meter von ihnen entfernt war und nur noch Sekundenbruchteile sie von Entdeckung und Tod trennten, fühlte er, wie Melody sich entspannte. Die Anspannung der anderen Geiseln und der SEALs war greifbar, aber Melody war einfach in seinem Arm eingeschlafen.

In dem Moment wurde ihm klar, dass sie ihm mehr vertraute als je ein Mensch zuvor. Ihr Glaube an ihn war so stark, dass er ihre Angst besiegte. Ihr Leben lag in seiner Hand, und sie hatte es ihm bereitwillig anvertraut. Wenn sie sterben würde, dann nur, weil es keine Möglichkeit der Rettung gab. Darauf verließ sie sich voll und ganz.

Und in diesem Moment, in ihrem Versteck zwischen den Mülltonnen in der kleinen Seitengasse, in diesem Moment wurde Cowboys Leben auf den Kopf gestellt. Er spürte, wie sein Herz anfing zu rasen, wie sein Körper auf ihre Nähe reagierte.

Er hätte es als schlichtes sexuelles Begehren abtun können, wenn es nicht wieder und wieder passiert wäre. Und zwar sogar dann, wenn sie nicht einmal körperlichen Kontakt hatten. Dieses Mädchen brauchte ihn nur anzulächeln, und ihn durchflutete heißes, besitzergreifendes Verlangen.

Cowboy wusste, dass er Joe Cat über seine Empfindungen hätte informieren sollen, bevor sie sich in drei Gruppen aufteilten. Aber er tat es nicht. Er wollte nicht riskieren, dass Cat ihn und Melody trennte. Er wollte unbedingt selbst dafür sorgen, dass sie lebend aus diesem erbärmlichen Land herauskam. Natürlich vertraute er seinen Kameraden – aber um die Gewissheit zu haben, die er brauchte, musste er in ihrer Nähe bleiben und sich eigenhändig um sie kümmern.

Mit Harvards Hilfe.

Als die Sonne über dem Horizont aufging, saßen sie noch eine Weile vor dem Eingang einer kleinen Höhle, die Harvard in einer felsigen Anhöhe inmitten der trostlosen Wüstenlandschaft gefunden hatte, und genossen die ersten wärmenden Strahlen.

Einmal aufgewärmt, würden sie die hellen Stunden hier verbringen, geschützt vor der brennenden Sonne und etwaigen neugierigen Blicken einsamer Wanderer im Vorgebirge. Mit Einbruch der nächsten Nacht würden sie sich erneut auf den Weg machen, immer weiter nach Norden.

„Ich übernehme die erste Wache“, sagte Cowboy zu Harvard.

Melody saß neben ihm, nahe am Eingang der Höhle. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen und hob das Gesicht der wärmenden Sonne entgegen. Er berührte sie leicht am Arm, um ihr seine Feldflasche zu reichen, aber sie rührte sich nicht. Sie war erschöpft. Dennoch hatte sie sich nicht beklagt, die ganze Nacht hindurch nicht.

„Vielleicht solltest du erst dafür sorgen, dass sie bequem liegt“, meinte Harvard leise.

„Bin ich auf einmal nicht mehr da?“, fragte Melody, öffnete die Augen und überraschte damit beide Männer.

Harvard lachte, ein leises und doch volltönendes Lachen. „Entschuldigen Sie“, sagte er, „ich dachte, Sie wären eingeschlafen.“

„Wohin gehen wir?“, fragte sie. „Zur Küste?“ Ihre Augen hatten fast dieselbe Farbe wie der wolkenlose Himmel, und sie blitzten Cowboy kurz an, als er ihr seine Feldflasche gab.

Ihre Finger berührten sich. Er spürte das wie einen kleinen elektrischen Schlag. Und er war verdammt sicher, dass sie dasselbe empfand.

Sie war bedeckt mit Straßenstaub, beschmiert mit Schuhcreme und zu Tode erschöpft. Trotzdem war sie in Cowboys Augen die schönste Frau, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Verdammt! Er durfte nicht so empfinden! Wenn diese Geschichte überstanden war, würde er eine psychologische Untersuchung über sich ergehen lassen müssen. Er musste herausfinden, was genau er eigentlich falsch gemacht hatte. Wodurch er es ihr ermöglicht hatte, ihm so unter die Haut zu gehen …

Harvard nickte. „Unser Ziel ist der Ozean.“ Er warf Cowboy einen Blick zu. Sie hatten nicht viel Zeit gehabt, sich über ihre Marschroute abzustimmen. „Es ist vermutlich einfacher, das Land mit einem Boot zu verlassen.“

„Oder mit einem Flugzeug“, warf Cowboy ein. „Damit kämen wir tausendmal schneller nach Hause.“

Die beiden Männer tauschten einen langen Blick. Cowboy wusste, dass der Senior Chief an das Gleiche dachte wie er. Sie hatten während des Briefings für diese Mission beide eine Karte des Landes studiert. Zwischen ihrer jetzigen Position und dem Meer lag eine größere Stadt. Laut Karte verfügte diese Stadt über einen Flughafen. Vielleicht sollten sie, statt die Stadt in weitem Bogen zu umgehen, sich nahe genug heranwagen, um die Lage auszuloten.

„Mit etwas Glück ist es ein Luftwaffenstützpunkt“, überlegte Cowboy laut. „Uns würden sie dort zuallerletzt erwarten.

Harvard nickte: „Angriff ist die beste Verteidigung.“

„Reden Sie beide immer so anscheinend zusammenhanglos daher?“, fragte Melody.

Harvard erhob sich. „Junior meint, wir sollten heute Nacht ein Flugzeug stehlen. Und so verrückt das auch klingt, ich sehe das genauso. Jetzt stehen auf meinem Zeitplan aber erst einmal ein paar Stündchen Schlaf.“ Er wandte sich der Höhle zu, blieb dann jedoch stehen und drehte sich zu Melody um: „Sie dürfen sich natürlich vorher das bequemste Plätzchen aussuchen, Mylady“

Melody schüttelte den Kopf. „Danke, aber … ich möchte mich erst aufwärmen“, erklärte sie. Sie schaute zu Cowboy hinüber und errötete leicht. Wahrscheinlich war ihr klar, wie leicht sie zu durchschauen war. Es war offensichtlich, dass sie hier draußen bei ihrem ganz persönlichen Helden bleiben wollte.

Cowboy spürte erneut, wie ihn heiße Schauer überliefen.

Harvard blieb im Höhleneingang noch einmal stehen. „Pass auf, dass sie nicht hier draußen einschläft“, warnte er Cowboy. „Und sieh zu, dass auch du deinen texanischen Hintern bald in den Schatten verfrachtest. Ich will nicht, dass ihr euch nächste Nacht nicht rühren könnt, weil ihr euch einen Sonnenbrand geholt habt.“

„Ja, Mom“, spöttelte Cowboy.

„Und weck mich in vier Stunden.“ Harvard verschwand im hinteren Teil der Höhle. „Nicht früher und nicht später.“

Cowboy schaute Melody an und lächelte. „Ich dachte schon, er würde nie verschwinden.“

Sie errötete erneut.

„Geht’s Ihnen gut?“, fragte er. Einerseits wünschte er, sie säße nicht so weit weg. Andererseits war er heilfroh über den Abstand zwischen ihnen. Gott möge ihm helfen, wenn er sie jemals in einer nicht lebensgefährlichen Situation in den Armen hielte.

„Ich wünschte, ich könnte mir das Gesicht waschen“, seufzte sie.

Cowboy schüttelte bedauernd den Kopf. „Wir haben zu wenig Wasser, um es für etwas anderes zu verwenden als zum Trinken.“

„Ich weiß“, sagte sie. „Ich wünschte es nur, das ist alles.“

Die Sonne erwärmte die Luft spürbar. Cowboy öffnete seinen Umhang und sogar die schwarze Kampfweste, die er darunter trug.

Ihre nächsten Worte überraschten ihn. „Ich dachte, wir sind um diese Zeit längst tot.“

„Morgen um diese Zeit sind wir in Sicherheit.“

Sie setzte sich anders hin und zuckte leicht zusammen. Dann zog sie die Beine an und löste ihre Schuhbänder. „Sie sagen das so überzeugt.“

„Hab ich mich bisher geirrt?“

Sie blickte auf und ihm direkt ins Gesicht. Ihre Augen wirkten so riesig, dass Cowboy das Gefühl hatte, hineinfallen und darin ertrinken zu können. „Nein“, antwortete sie.

Dann wandte sie sich ab und machte sich daran, ihre Schuhe auszuziehen. Im selben Augenblick entdeckte Cowboy die Blutflecke in ihren Socken. Die Fersen waren blutgetränkt. Melody bemerkte es gleichzeitig und tat so, als hätte sie es sich anders überlegt und wollte die Schuhe nun doch anbehalten. Rasch zog sie die Füße unter sich, gerade so, als wollte sie das Blut vor ihm verstecken.

„Kommen Sie wirklich aus Texas?“, fragte sie.

Cowboy war schockiert. Sie wollte das Blut wirklich verstecken! Sie wollte ihm verheimlichen, dass ihre neuen Turnschuhe ihr die Fersen aufgerieben hatten. Aber sie dachte nicht daran zu erwähnen, dass ihre Füße bluteten, um Himmels willen! Jeder Schritt, den sie in der vergangenen Nacht getan hatte, musste sie höllisch geschmerzt haben, aber sie hatte keinen Ton gesagt.

„Ja“, brachte er mühsam heraus. „Aus Fort Worth.“

Sie lächelte. „Sie machen Witze. Wie kommt jemand aus Fort Worth dazu, in die Navy einzutreten?“

Cowboy schaute ihr direkt in die Augen. „Ich weiß, dass Ihre Füße bluten“, erklärte er unumwunden. „Warum zum Teufel haben Sie mir das nicht erzählt? Schon vor zwölf Stunden?“ Sein Ton fiel schroffer und schärfer aus als beabsichtigt.

Und obwohl ihr Lächeln erstarb und sie eine Spur blasser wurde, hob sie das Kinn und begegnete furchtlos seinem Blick. „Weil es nicht wichtig war.“

„Wir haben immer eine Erste-Hilfe-Ausrüstung bei uns. Ich hätte Ihnen die Füße bandagieren können. Sie hätten lediglich einen Ton sagen müssen!“

„Ich wollte uns nicht behindern“, sagte sie leise.

Cowboy fischte, was er brauchte, aus seiner Kampfweste und stand auf. „Ziehen Sie Ihre Schuhe selbst aus, oder soll ich das für Sie tun?“

Während er vor Melody niederkniete, sah er den Schmerz in ihrem Gesicht, als sie schweigend ihre Füße aus den Turnschuhen zog. Tränen schimmerten in ihren Augen, aber sie kämpfte dagegen an, blinzelte sie weg. Sie wollte unter keinen Umständen weinen.

Sie ballte die Fäuste im Schoß, bis ihre Knöchel weiß anliefen, als er ihr erst eine, dann die andere Socke äußerst vorsichtig abstreifte.

„In Wirklichkeit“, begann er leise, in der Hoffnung, sie ein wenig ablenken zu können, „sind wir erst nach Fort Worth gezogen, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Davor sind wir kreuz und quer durch die Welt zigeunert. Mein Alter ist ein hohes Tier bei der Navy. Wo immer er gerade stationiert war, da lebten wir.“

Sie hatte äußerst hübsche Füße. Lang und schmal mit geraden Zehen. Ihre Zehennägel wiesen noch Reste von grünem Nagellack auf. Sie hatte wohl hastig versucht, ihn zu entfernen, es aber nicht restlos geschafft. Ihm gefiel das. Grüner Nagellack. Es machte sie anders. Besonders.

Sexy.

Cowboy zwang seine Aufmerksamkeit zurück auf das, was er gerade tat. Er legte ihre Füße auf seinen Oberschenkeln ab, öffnete seine Feldflasche und verwendete ein wenig ihres kostbaren Trinkwassers, um das Blut abzuwaschen. Er fühlte, wie sie sich versteifte, als er sie berührte, und sein Magen verkrampfte sich, während er sich bemühte, so sanft wie überhaupt möglich vorzugehen.

„Er wurde gerade zum Admiral befördert“, fuhr er fort und erzählte ihr von seinem Vater. „Aktuell ist er in Washington stationiert. Aber meine Mutter lebt noch in Fort Worth. Das sagt doch alles, nicht wahr? Fort Worth liegt so weit ab vom Wasser wie in Amerika nur irgend möglich.“

Er schenkte ihr ein rasches Lächeln, um den deprimierenden Unterton seiner Worte zu entschärfen. Nein, sonderlich erfreulich war seine Kindheit nicht gewesen. Sein Vater war ein Navy-Offizier vom alten Schlag. Ein Perfektionist, schroff, fordernd, gefühlskalt. Er hatte seine Familie fast genauso geführt wie das Kommando über seine Schiffe, und dieser Stil ließ sowohl für seinen Jungen als auch für seine Frau viel zu wünschen übrig.

„Und was hat Sie dazu gebracht, zur Navy zu gehen?“, fragte sie und konzentrierte sich auf die antibiotische Salbe, mit der er ihr gleich die aufgescheuerte Haut balsamieren würde.

„Tja, der Alte hat mich sauber ausgetrickst“, grinste Cowboy und trug dabei so schnell wie möglich die Salbe auf. „Man wird nicht Admiral, wenn man nicht ein bisschen was im Kopf hat, und der alte Harlan ist ein ganz gerissener Hund.“

Autor

Suzanne Brockmann

Die international erfolgreiche Bestsellerautorin Suzanne Brockmann hat über 45 packende Romane veröffentlicht, die vielfach preisgekrönt sind. Ehe sie mit dem Schreiben begann, war sie Regisseurin und Leadsängerin in einer A-Capella-Band. Mit ihrer Familie, zu der seit Neuestem zwei Schnauzer-Welpen gehören, lebt sie in der Nähe von Boston.

Foto: © Melanie...

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