Prinz Kalil – Falke des Nordens

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Eigentlich müsste Joanna wütend, ängstlich oder zumindest empört sein, aber seltsamerweise bringen ganz andere Gefühle sie völlig durcheinander. Der unglaublich attraktive Prinz Kalil hat sie in seinen prächtigen Palast in den Bergen Marokkos entführt - und sie kann nur an eins denken: Wird er sie verführen?


  • Erscheinungstag 04.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753894
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Joanna an dem warmen Abend auf dem Balkon ihrer Hotelsuite den Muezzin vom Minarett der Moschee hoch über den von Menschen wimmelnden Straßen Casablancas die Gläubigen zum Gebet aufrufen hörte, bekam sie eine Gänsehaut, so sehr ging ihr die fremdartige Atmosphäre unter die Haut.

Sie stellte die Kaffeetasse ab, lehnte sich an das Geländer und dachte darüber nach, wie wunderschön es doch war, in diesem so überaus geheimnisvollen Land zu sein. Es vermittelte ihr das Gefühl, sich in einer anderen Zeit zu bewegen.

„Jo!“ Die ärgerliche Stimme ihres Vaters brachte Joanna unvermittelt in die Wirklichkeit zurück. „Jo! Wo, zum Teufel, steckst du?“

Fürs Erste kann ich wohl diese Stadt mit der rätselhaften Stimmung vergessen, dachte sie, während sie aufstand und zur Tür ging. Sie empfand Mitleid mit Jim Ellington, der wahrscheinlich Sam Bennetts Zornesausbruch verursacht hatte. Sie selbst war an diese Wutanfälle gewöhnt – kein Wunder nach sechsundzwanzig Jahren. Er hatte mit Jim telefoniert und sich offenbar über irgendetwas aufgeregt, das dieser gesagt oder getan hatte.

„Endlich kommst du! Wurde auch Zeit!“, fuhr Sam sie an, als sie sein Schlafzimmer betrat. „Ich habe wiederholt gerufen. Hast du mich nicht gehört?“ Ihr Vater saß halb aufgerichtet im Bett, eine Menge Kissen im Rücken, und schaute sie böse an.

„Natürlich habe ich es. Man konnte dich ja durchs halbe Hotel hören. Ich nehme an, es gibt Schwierigkeiten, oder?“

„Damit hast du verdammt recht! Dieser dämliche Ellington – er hat alles vermasselt!“

„Nun, das überrascht mich nicht“, erwiderte Joanna freundlich, während sie ihrem Vater die Kissen aufschüttelte. Dann nahm sie ein kleines Fläschchen vom Nachttisch, öffnete es und ließ zwei Tabletten in die Handfläche fallen. „Ich habe dir klarzumachen versucht, dass du ihm nicht vertrauen kannst und dass er der falsche Verhandlungspartner für diesen idiotischen Adler des Ostens ist.“

„Man nennt Prinz Khalil den Falken des Nordens“, sagte Sam mürrisch.

„Ach, das ist doch egal, Falke oder Adler, Osten oder Norden. Es ist sowieso eine dumme Bezeichnung für einen zweitklassigen Ganoven.“

Sam schnitt ein Gesicht. „Dieser kleine Ganove, wie du ihn nennst, kann Bennettcos Bergwerksgeschäft mit Abu Al Zouad scheitern lassen, bevor dazu überhaupt gekommen ist.“

„Das ist doch lächerlich“, meinte Joanna und reichte Sam ein Glas Orangensaft zusammen mit den Pillen. „Abu ist der Sultan von Jandara …“

„Und Khalil macht ihm schon jahrelang das Leben schwer, er schürt Unruhe in der Bevölkerung und stiftet Hass.“

„Warum hindert ihn Abu nicht daran?“

„Weil er ihn nicht zu fassen bekommt. Khalil ist verschlagen und so schlau wie ein Fuchs.“ Sam lächelte grimmig, schluckte die Medizin und trank dann das Glas leer, bevor er es Joanna zurückgab. „Und so schnell wie ein Falke. Immer wieder kommt er überfallartig aus den Bergen im Norden angestürmt …“

„Sind das die Berge, in denen Bennettco Erz abbauen will?“

„Richtig. Also, er kommt aus den Bergen, sorgt für Aufruhr und verschwindet dann wieder wie der Blitz in seiner Festung.“

„Dann ist er nicht nur ein Ganove, sondern sogar ein Outlaw, so etwas wie ein Geächteter oder Verbrecher“, sagte Joanna schaudernd.

„Und er will den Vertrag untergraben, den wir mit Abu ausgehandelt haben, weil er gemäß Abu verhindern will, dass seinem Volk das westliche System übergestülpt wird. Aber wie dem auch sei, Tatsache ist, er wird alles versuchen, um den Vertragsabschluss zu verhindern. Wenn es uns nicht gelingt, ihn umzustimmen, können wir genauso gut gleich unsere Sachen packen und nach Hause fahren.“

„Ich verstehe das irgendwie nicht. Abu könnte doch Khalil einfach verhaften lassen …“ Sie sah, wie ihr Vater die Augenbrauen hochzog und vergnügt in sich hineinlachte. „Was gibt es denn da zu lachen?“

„Ihn verhaften lassen!“ Sam lachte amüsiert auf, wobei er sich ans Kreuz fasste. „Au! Hör auf! Jede Bewegung schmerzt!“

„Ich versuche nur herauszufinden, warum man den Mann nicht einsperrt, da er doch die Gesetze bricht.“

„Ich sagte ja schon, man kriegt ihn nicht zu fassen.“

„Falls du es nicht bemerkt haben solltest, man könnte zum Beispiel Khalil in diesem Moment in einem Hotel am anderen Ende von Casablanca festnehmen“, meinte Joanna.

„Ja, den Tipp habe ich Abu auch gegeben. Aber er will Auseinandersetzungen mit der marokkanischen Regierung vermeiden.“ Seufzend ließ Sam sich in die Kissen zurückfallen. „Und damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt und bei diesem Dummkopf Ellington. Wenn ich wenigstens lange genug aufbleiben könnte, um das Dinner durchzustehen …“

„In New York klang es so, als würdest du dich nur pro forma mit Khalil zum Essen treffen.“

„Ja, das stimmt auch. Ich meine, so war es vorgesehen – wenn mir nur der Rücken nicht so schrecklich wehtun würde!“ Sam verzog das Gesicht. „Ich hätte Khalil schon dahin gebracht, wo ich ihn haben will – und nun hat Ellington die sowieso schon schwierige Situation vollends verschlimmert.“

„Ellington tut immer nur das, was du ihm aufträgst.“

„Du hast mal wieder recht, er hat sich genau an meine Anweisungen gehalten.“ Sam blickte sie durchdringend an. „Wenn er seinen Job behalten will, dann tut er auch gut daran!“

„Das machen sowieso alle deine Mitarbeiter“, sagte Joanna sanft. „Auch dann, wenn deine Anordnungen unsinnig sind.“

„Jetzt halt aber mal die Luft an, Joanna! Was soll das überhaupt heißen? Ich habe Ellington befohlen, dem Prinzen mitzuteilen, mir sei etwas dazwischengekommen.“

„Damit hast du ihn beleidigt, denn für diesen Mann mit seinem übersteigerten Selbstwertgefühl wäre das Abendessen mit dir, Sam Bennett, dem Präsidenten der Bennettco, etwas ganz Besonderes gewesen. Doch stattdessen erfährt er telefonisch, dass man ihn mit einem kleinen Handlanger abspeisen will.“

„Red doch nicht so ein dummes Zeug! Ellington ist Direktionsassistent.“

„Das ist nur ein bedeutungsloser Titel.“ Joanna setzte sich auf die Bettkante. „Und das hat dieser Prinz genau erkannt.“

„Ich weiß ja, dass wir in Schwierigkeiten stecken, Jo! Ich suche verzweifelt nach einem Ausweg!“

„Nimm es nicht zu schwer, Dad. Der Arzt hat dir erklärt, wie schädlich Stress für deinen Rücken ist.“

„Verdammt, Mädchen, das brauchst du nicht noch zu betonen! Es steht viel auf dem Spiel – oder hast du das etwa deshalb nicht bemerkt, weil du zu beschäftigt damit warst, mich zu pflegen?“

„Nenn mich nicht Mädchen.“ Joanna blickte ihn kühl an und stand dann auf. „Ich bin deine Tochter, und wenn du dich nicht so beharrlich weigern würdest, mich über Firmeninterna zu informieren, bräuchte ich dir jetzt keine Fragen zu stellen, sondern könnte dir Vorschläge machen, wie du aus der Klemme herauskommst.“

„Hör zu, Jo, du bist zwar Diplombetriebswirtin, doch hier sind wir mitten in der knallharten Geschäftswelt und nicht in einem Hörsaal der Universität. Ellington hat uns im Stich gelassen. Er …“

„Du hättest ihn bitten müssen, Khalil mitzuteilen, dass du wieder unter deinen Rückenschmerzen leidest.“

„Wieso? Es geht niemanden etwas an, dass ich hier wie ein Riesenbaby herumliege und von dir und dem Hotelarzt verrückt gemacht werde.“

„Krankheit ist kein Zeichen von Schwäche, egal, wie du die Sache siehst. Hättet ihr die Wahrheit gesagt, wäre Khalil jetzt nicht beleidigt. Wahrscheinlich hätte er deine Absage sogar verstanden“, meinte Joanna kühl.

Sam starrte sie sekundenlang an, dann zuckte er die Schultern. „Vielleicht.“

„Was wolltest du denn heute Abend erreichen?“

„Vor allem wollte ich ihn einmal selbst in Augenschein nehmen, um mir ein eigenes Urteil zu bilden. Außerdem ist er sicher empfänglich für Schmiergeldzahlungen, auch wenn er im Augenblick noch gegen unsere Zusammenarbeit mit Abu opponiert.“

„Mit anderen Worten, Bennettco will ihn bestechen, nicht wahr?“, erkundigte Joanna sich stirnrunzelnd.

„Bakschisch nennt man das hier. Du brauchst mich gar nicht so vorwurfsvoll anzuschauen. Das ist heutzutage so üblich. Man muss nur diskret genug vorgehen dabei.“ Sam seufzte tief. „So hatte ich es jedenfalls geplant – bis Ellington mir alles verpfuscht hat.“

„Weißt du, was genau er zu Khalil gesagt hat?“

Sam schüttelte den Kopf. „Ellington hat gar nicht mit ihm persönlich gesprochen, sondern mit Hassan, einem Mitarbeiter und engem Vertrauten des Prinzen und …“

„Ein schwerer Fehler“, unterbrach Joanna ihn selbstbewusst. „Er hätte darauf bestehen müssen, selbst mit dem Prinzen zu reden.“

„Er hat es versucht, aber Hassan hat ihm erklärt, dass Khalil nicht mit Untergeordneten spricht. Untergeordnete – kannst du dir das vorstellen?“ Sam lachte belustigt. „Gern hätte ich Ellingtons Miene gesehen. Angeblich ist er danach nicht mehr zu Wort gekommen. Hassan hat gedroht, wenn ich nicht daran interessiert sei, mit Khalil zu verhandeln, dann müsse ich eben die Folgen tragen. Was genau er sich darunter vorstellt, weiß ich auch nicht. Zum Teufel, dieses Treffen wäre so wichtig gewesen!“

„Vielleicht ist ja noch nicht alles verloren.“

„Was meinst du damit? Ich habe dir doch gesagt, Khalil weigert sich, sich mit Ellington zu unterhalten.“

„Es könnte aber sein, dass er bereit ist, die Besprechung mit mir zu führen“, platzte Joanna heraus. Dieser Gedanke war ihr ganz spontan gekommen, und nun bekam sie Herzklopfen. Sams Sturheit, Ellingtons blinder Gehorsam und Khalils Arroganz hatten etwas in Bewegung gesetzt, das eventuell ihr ganzes Leben verändern könnte.

„Ach ja. Ich soll meine Tochter zu dem Treffen mit diesem Wüstling schicken. Hältst du mich für verrückt, Jo?“ Sam lachte so laut auf, dass Joanna ihn überrascht und empört anblickte.

„So schlimm ist es nun wirklich nicht, Dad. Außerdem findet das Dinner in einem Luxusrestaurant statt. Ich wäre also absolut sicher.“

„Vergiss es. Der große Khalil will mit Untergeordneten nichts zu tun haben.“

„Ich heiße auch Bennett und habe deshalb ein berechtigtes Interesse an Bennettco. Das könnte ihn zum Einlenken bewegen.“ Joanna schaute ihren Vater an, während ihre zunächst vagen Vorstellungen konkrete Formen annahmen. „Und ganz besonders dann, wenn ich mich ihm als Vizepräsidentin von Bennettco vorstellen kann.“

„Von daher weht also der Wind, oder?“, fragte Sam finster.

„Ich bin deine einzige Erbin. Von klein auf hast du mich mitgenommen ins Büro.“

„Sind wir also wieder bei dem Thema“, meinte er missmutig.

„Ich bin die Einzige außer dir, die so viel über das ganze Geschäft weiß“, fuhr Joanna unbeirrt fort. „Ich kann sogar einen Universitätsabschluss vorweisen. Trotzdem weigerst du dich hartnäckig, mich bei dir zu beschäftigen.“

„Das tue ich doch schon. Seit du alt genug dazu bist, fungierst du als Gastgeberin bei uns zu Hause in Dallas und New York.“

„Ach, das“, wehrte sie geringschätzig ab.

„Ja, genau das! Was, um Himmels willen, gefällt dir daran nicht? Jedes einigermaßen vernünftige Mädchen würde eine solche Chance mit beiden Händen ergreifen.“ Als Sam sah, wie Joanna die Augenbrauen hochzog, legte er die Hand aufs Herz. „Verzeih mir“, bat er ziemlich melodramatisch. „Ich meine natürlich, jede einigermaßen vernünftige junge Frau wäre glücklich …“

„,Stanford Mining‘ hat mir eine Stelle angeboten“, unterbrach Joanna ihn sanft.

„Was sagst du da?“

Sie ging zum Schreibtisch, lehnte sich dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte ganz andere Lebensziele, als nur eine schön aussehende und gut angezogene Frau an der Seite eines Mannes zu sein, und irgendwie hatte sie das Gefühl, es sei jetzt genau der richtige Augenblick, es ihrem Vater klarzumachen. „Deren Manager in Alaska verlässt die Firma. Deshalb ist man an mich herangetreten und hat mir die Stelle angeboten.“

Sams Miene wurde finster. „Du willst bei der Konkurrenz arbeiten?“

„Ganz richtig, Dad, ich will arbeiten. Immer wieder habe ich dir zu verstehen gegeben, dass ich meine Zeit nicht damit vertun will, eine immer älter werdende Debütantin zu sein.“

„Joanna.“ Seine Stimme klang nun sanft und hatte plötzlich jenen schmeichelnden Unterton, den Joanna so gut kannte. „Ich brauche dich unbedingt, du weißt genau, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit ist. Wenn dein Name auf den Listen von Wohltätigkeitsveranstaltungen steht und du in den Zeitungen zusammen mit Persönlichkeiten der Gesellschaft abgebildet wirst, dann …“

„Du misst solchen Dingen zu viel Bedeutung bei, Dad. Wenn es dir jedoch so wichtig ist, kann ich das alles auch noch neben meiner Berufstätigkeit wahrnehmen.“

„Überlegst du ernsthaft, den Job bei ‚Stanford‘ anzunehmen?“, erkundigte Sam sich und schaute sie nachdenklich an.

Bis jetzt hatte sie nur kurz darüber nachgedacht. Doch nun wurde ihr auf einmal klar, dass sie lieber dieses Angebot annehmen als weiterhin die Rolle spielen würde, die ihr Vater ihr zugedacht hatte. Deshalb nickte sie. „Ja, das tue ich“, erwiderte sie und blickte ihren Vater aus smaragdgrünen Augen offen an.

„Glaubst du, du könntest diesen Khalil dazu überreden, sich mit dir zu treffen?“

Ein kleiner Schauer der Erregung durchfuhr sie, doch äußerlich blieb sie ruhig und gelassen. „Ich bin überzeugt, ich habe eine gute Chance“, antwortete sie.

„Weil du ihm sagen wirst, dass du meine Tochter bist?“

„Nein, weil ich ihm sagen werde, dass du krank bist, dir dieses Treffen jedoch viel zu wichtig ist, um es einfach abzusagen. Und weil ich ihm erklären werde, dass ich in der Firma nach dir die Nummer zwei bin und du mir in jeder Hinsicht vertraust.“

Sam verzog die Lippen. „So einfach, hm?“

Natürlich gab sich Joanna keinen Illusionen hin. Es war bestimmt nicht so einfach, ganz besonders nicht in einem Land, in dem Tradition und Fortschritt miteinander wetteiferten. Aber sie hatte nicht die Absicht, ihre Bedenken zu äußern. „Meiner Meinung nach ja“, sagte sie deshalb nur.

Sie wagte kaum zu atmen, während Sam sie finster musterte. Schließlich nickte er und wies aufs Telefon. „Okay.“

„Okay was?“, fragte Joanna ruhig, doch ihr Puls raste, und sie glaubte, ihr Herz pochen zu hören.

„Ruf den Prinzen an. Wenn es dir gelingt, mit Khalil persönlich zu reden, und er damit einverstanden ist, dass du mich beim Dinner vertrittst, dann ist die Sache abgemacht.“

Joanna lächelte. „Lass uns erst die Bedingungen festlegen.“

„Hast du kein Vertrauen zu deinem Vater?“

„Du hast mich so erzogen, niemals etwas zu unterschreiben, ohne es mindestens zwei Mal gelesen zu haben.“ Sie sah, wie es in seinen Augen aufleuchtete. „Also, erstens ernennst du mich zur Vizepräsidentin von Bennettco, zweitens werde ich diese Aufgabe selbstständig und eigenverantwortlich ausführen, und drittens …“

Sam wehrte ab und warf theatralisch die Hände in die Höhe. „Ist ja schon gut. Ruf den Mann an. Dann werden wir sehen, ob du wirklich so gut bist, wie du glaubst.“ Er reichte ihr einen Notizblock vom Nachttisch mit Khalils Nummer.

Am liebsten hätte Joanna in ihrem Zimmer telefoniert, was Sam ihr jedoch sogleich wieder als Schwäche ausgelegt hätte. Deshalb blieb sie, wo sie war, und wählte langsam. Plötzlich wurde ihr ganz flau im Magen. Doch weil Sam sie aufmerksam beobachtete, lächelte sie nur kühl, ließ sich in den Sessel neben dem Bett sinken und schlug lässig die Beine übereinander. Am anderen Ende läutete es mehrere Male, und schließlich meldete sich jemand mit tiefer Stimme. Von dem ganzen Wortschwall verstand sie nur das eine Wort Hassan.

„Guten Abend, Mr. Hassan. Hier spricht Joanna Bennett, Sam Bennetts Tochter“, stellte sie sich vor.

Falls Hassan überhaupt überrascht war, verbarg er es geschickt. „Ah, Miss Bennett“, antwortete er in perfektem Englisch, „es ist mir eine Ehre. Was kann ich für Sie tun?“

Nachdem sie einige Höflichkeiten mit ihm ausgetauscht hatte, atmete sie tief ein und kam zur Sache. „Mr. Hassan, ich möchte gern mit dem Prinzen sprechen.“

„Es tut mir leid, das ist unmöglich, Miss Bennett. Wenn Sie eine Nachricht für ihn hinterlassen wollen, dann werde ich sie ihm gern ausrichten.“ Hassans Stimme klang sehr geschäftsmäßig.

Joanna fühlte sich unbehaglich, denn ihr Vater blickte sie unverwandt an, und seine Lippen umspielte ein selbstgefälliges Lächeln. „Gib es auf, Baby“, forderte er sie auf. „Ich habe dir gleich gesagt, dass du nichts erreichst.“

„Mr. Hassan, ich möchte dem Prinzen versichern, dass mein Vater nur deshalb nicht zum Dinner kommen kann, weil er plötzlich krank geworden ist. Bedauerlicherweise hat Mr. Ellington die Anweisungen meines Vaters falsch verstanden. An Stelle meines Vaters wird selbstverständlich sein Stellvertreter Jo Bennett den Termin mit dem Prinzen wahrnehmen“, erklärte sie ruhig.

„Einen Augenblick bitte, Miss Bennett“, sagte Hassan.

Joanna schöpfte Hoffnung. Sie lächelte Sam betont freundlich an. „Er stellt mich zum Prinzen durch“, behauptete sie.

In der eleganten königlichen Suite des Hotels Casablanca blickte Prinz Khalil seinen Minister fragend an. „Was für ein Mensch ist dieser Sam Bennett eigentlich? Er lässt seine Tochter für sich sprechen.“ Khalil verschränkte die Arme vor der Brust, und seine dunkelblauen Augen leuchteten wie Saphire in dem edlen gebräunten Gesicht. „Er ist offenbar beunruhigt“, fügte er zufrieden hinzu und lehnte sich gegen die Wand.

„So sehe ich es auch, mein Herr. Wahrscheinlich ist er bereit, unseren Wünschen entgegenzukommen, sonst hätte er nicht eine Frau um Vermittlung bitten müssen.“

„Es ist ziemlich dumm von ihm, seine Tochter auf eine solche Reise mitzunehmen“, bemerkte Khalil verächtlich. „Die Frau hat sicher gedacht, Casablanca sei eine exotische Spielwiese, wo sie sich austoben kann.“

Hassan zog die leicht ergrauten Augenbrauen hoch. „Natürlich, mein Herr. Schließlich kommt sie ja aus dem Westen.“

„Was will sie überhaupt?“, erkundigte Khalil sich.

„Mit Ihnen sprechen.“

Khalil lachte laut auf, woraufhin Hassan sich ein mildes Lächeln gestattete. „Selbstverständlich habe ich ihr gesagt, dass das nicht möglich ist. Und dann meinte sie, Sam Bennett wünsche, das Dinner solle heute Abend stattfinden.“

„Ach ja.“ Khalil verzog amüsiert die Lippen. „Demnach hat Bennett beschlossen, den Termin doch einzuhalten?“

„Er ist krank, Sir. Jedenfalls behauptet das die Frau. Jetzt will er einen Vertreter schicken. Ich vermute, das ist nur eine Entschuldigung, um das Gesicht nicht zu verlieren.“

Khalil ging im Zimmer hin und her. „Ich rede nicht mit seinen Stellvertretern, Hassan.“

Hassan senkte respektvoll den Kopf. „Nein, mein Herr. Aber das Angebot klingt ganz interessant. Jo Bennett, angeblich Vizepräsident der Gesellschaft, soll in die Bresche springen.“

„Diesen Namen habe ich noch nie gehört.“ Khalil kniff die Augen zusammen.

Stirnrunzelnd nahm Hassan den Hörer wieder auf. „Eine Person dieses Namens ist uns nicht bekannt, Miss Bennett. Handelt es sich dabei um einen Verwandten Ihres Vaters?“

„Mr. Hassan, wenn Sie mich kurz mit dem Prinzen sprechen lassen würden …“

„Der Prinz redet nicht mit Untergebenen, genauso wenig wie er sich mit ihnen trifft“, entgegnete Hassan ungerührt. „Wenn Sie meine Frage beantworten, gebe ich die Information an den Prinzen weiter. Wenn nicht, dann ist das Gespräch hiermit beendet.“

„Jo“, mischte Sam sich gebieterisch ein, „gib es auf. Du sollst aufgeben! Du hast es versucht und verloren.“

„Miss Bennett, ich habe Sie etwas gefragt. Wer ist Joseph Bennett? Sam Bennetts Sohn?“, fragte Hassan, und seine Stimme klang jetzt ungeduldig und schneidend.

Joanna schluckte krampfhaft und schloss kurz die Augen. „Ja“, antwortete sie schließlich und hoffte inständig, der Prinz würde ihr diese Notlüge verzeihen, sobald sie ihn davon überzeugt hatte, dass er so viel Geld bekommen würde, wie er brauchte, um glücklich zu sein. „Ja, so ist es, Sir.“

„Einen Augenblick bitte.“ Hassan bedeckte die Sprechmuschel mit der Hand und schaute den Prinzen an. „Er Sam Bennetts Sohn.“

„Sein Sohn“, murmelte Khalil vor sich hin. „Also ein junger Schakal statt des alten.“ Er ging erneut ruhelos auf und ab, drehte sich dann um und blickte Hassan an. „Sagen Sie der Frau, dass Sie heute Abend zum Dinner mit ihrem Bruder kommen. Vielleicht irre ich mich ja, und der Sohn hat doch einen gewissen Einfluss.“

Hassan lächelte. „Ausgezeichnet, mein Herr.“ Dann sprach er wieder ins Telefon. „Miss Bennett?“

„Ja?“, fragte Joanna blinzelnd.

„Ich, Adym Hassan, Minister seiner Hoheit, des Prinzen Khalil, werde heute Abend zum vereinbarten Treffen erscheinen.“

Joanna fasste den Hörer fester. „Aber …“

„Um acht Uhr, wie vorgesehen, im Restaurant Oasis. Wie sagt man noch bei Ihnen, Miss Bennett? Entweder nehmen Sie an, oder Sie lassen es bleiben.“

„Jo?“, erkundigte Sam sich mit erhobener Stimme. „Verdammt, Jo, was sagt er? Er lässt dich abblitzen, nicht wahr?“

„Natürlich“, Joanna beugte sich tiefer über das Telefon, „um acht Uhr. In Ordnung. Vielen Dank, Sir.“ Dann legte sie den Hörer auf, atmete tief ein und aus und wandte sich ihrem Vater zu. „Siehst du, das war doch gar nicht so schwierig“, sagte sie betont lebhaft.

„Er wird tatsächlich mit dir vorlieb nehmen?“ Seine Stimme klang zweifelnd.

Joanna nickte. „Ja, sicher, ich sagte es doch gerade.“

Sam stieß hörbar die Luft aus. „Okay, okay. Dann wollen wir mal sehen, wie wir heute Abend das Beste aus der Sache herausholen.“ Plötzlich grinste er übers ganze Gesicht. „Nicht schlecht, Kindchen, nicht schlecht.“

„Nenn mich nicht Kindchen. Ich bin Vizepräsidentin Jo Bennett, wenn du nichts dagegen hast“, entgegnete Joanna lächelnd.

Vizepräsident Joseph Bennett, dachte sie und schauderte. Das versprach interessant zu werden, wenn der Minister Adym Hassan feststellen musste, dass sie ihn belogen hatte.

Ähnliche Gedanken gingen auch Hassan durch den Kopf, während er den Hörer auflegte. „Ich traue Bennetts Beweggründen nicht, mein Herr. Aber warten wir es ab. Ich werde mich heute Abend mit dem Bruder der Frau treffen.“

Khalil nickte zustimmend. „Gut.“ Dann drehte er sich um, ging langsam durchs Zimmer und blickte nachdenklich zum Fenster hinaus, so als könnte er weit hinten am Horizont, jenseits der Stadt, die Hügel erkennen, die die Grenzen seines Königreichs bildeten. Sam Bennett ist ein hinterhältiger, unberechenbarer Gegner, ich muss darauf gefasst sein, dass sein Sohn ihm sehr ähnlich ist. Hassan wird ihm nicht gewachsen sein, er ist zwar loyal und klug, aber nicht mehr der Jüngste. Wie kann ich es verantworten, diesen alten Mann zum Dinner mit Bennett zu schicken? All das ging Khalil durch den Kopf, denn während der vergangenen Wochen hatte er eines gelernt: Einem Bennett zu vertrauen, war genauso dumm, wie einem Fuchs die Aufsicht über den Hühnerstall zu übertragen.

Khalil drehte sich unvermittelt um. „Hassan!“

„Ja, mein Herr?“

„Ich will mich selbst mit Sam Bennetts Sohn unterhalten.“

„Sie, Sir? Aber …“, begann Hassan irritiert.

„Es gibt kein Aber, Hassan“, unterbrach Khalil ihn scharf. „Lassen Sie uns Kaffee kommen, und dann mache ich mich fertig.“ Dabei lächelte er so angespannt, dass die, die ihn kannten, wussten, es verhieß nichts Gutes. „Ich verspreche Ihnen, auf die eine oder andere Weise wird der heutige Abend alles verändern.“

Dasselbe dachte auch Joanna, während sie neben ihrem Vater saß und nur mit halbem Ohr hinhörte, als er mit ihr das bevorstehende Treffen mit Khalil besprach. Im Innersten spürte sie, dass ihr Leben sich nach diesem Abend dramatisch verändern würde.

Und erst viel später erinnerte sie sich daran, wie richtig ihre Vorahnungen gewesen waren.

2. KAPITEL

Was ziehe ich nur an zum Abendessen mit dem Falken des Nordens oder besser, mit seinem Minister? überlegte Joanna, während sie ihre Garderobe in Augenschein nahm. Wozu brauchte ein Herrscher wie Khalil überhaupt Minister? Trotz der nur kurzen Unterhaltung glaubte sie, sich ein Bild von Hassan machen zu können. Sie stellte sich ihn groß, ungelenk und uralt vor. In seinen blassen, wässrigen Augen würde es verächtlich aufblitzen, sobald ihm klar wurde, dass sein Gesprächspartner eine Frau war, denn in der Welt, in der er lebte, gab es keine Gleichberechtigung.

Pünktlich um acht Uhr stieg Joanna aus dem Taxi. Ein perfektes Timing! Rasch vergewisserte sie sich, dass die beiden perlenbesetzten Glitzerkämmchen richtig saßen, mit denen sie das volle, glänzende kastanienbraune Haar zurückgesteckt hatte. Dann strich sie den kurzen Rock des grünen Seidenkleids glatt. Sie hatte es dem eleganten Hosenanzug vorgezogen, der sie ihrer Meinung nach zu streng hätte aussehen lassen.

Der Portier beobachtete sie aufmerksam. Deshalb atmete sie schließlich tief ein, hob das Kinn und ging entschlossen auf ihn zu. Sie war ein bisschen nervös, unter diesen Umständen durchaus verständlich. Alles, was sie sich wünschte – die Anerkennung ihres Vaters und den Posten als Vizepräsidentin bei Bennettco – hing vom Gelingen ihrer Verhandlungen mit Hassan ab.

Masa el-kheyr, Madam.“

Joanna nickte kurz. „Guten Abend“, erwiderte sie den Gruß und ging durch die Tür.

Sogleich hatte sie das Gefühl, in eine ganz andere Welt eingedrungen zu sein. Die indirekte Beleuchtung und die auf den Tischen flackernden Kerzen verliehen der Atmosphäre etwas Geheimnisvolles. Im Hintergrund erklang Musik, Flöten und Glockenspiele ertönten, die sich anhörten wie ein Windhauch, der durch die Blätter ging.

Masa el-kheyr, Madam. Werden Sie erwartet?“, erkundigte sich der Ober freundlich lächelnd.

„Ja“, antwortete sie höflich. „Mein Name ist Bennett. Ich habe einen Tisch reservieren lassen.“

War es nur Einbildung, dass der Mann die Augenbrauen leicht hochzog? Er lächelte sogleich wieder, neigte den Kopf und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Dann ging er auf einen gewölbten Durchgang mit einem Perlenvorhang zu, der kaum merklich hin und her schwang. Mit einer kaum wahrnehmbaren Verbeugung zog er ihn zur Seite.

„Bei der Reservierung wurde ausdrücklich um einen möglichst diskreten Platz gebeten“, meinte er erklären zu müssen.

Joanna nickte zustimmend. Dann brauchten sie und Hassan sich wenigstens nicht um …

In diesem Augenblick bemerkte sie den Mann am Tisch. Er stand jetzt auf, war etwa dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt, groß, schlank und breitschultrig und trug einen eleganten maßgeschneiderten Anzug. Seine Augen waren einfach unglaublich blau und bildeten einen auffallenden Gegensatz zu seiner gebräunten Haut. Er hatte eine gerade Nase und volle sinnliche Lippen – und er lächelte Joanna freundlich an.

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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