Rächer des Herzens

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Prinzessin Isabella Di Cassilis sucht einen Ehemann - ausgerechnet im Gefängnis! Nur hier kann es jemanden geben, der ihre ererbten Schulden lebenslänglich auf sich nimmt. Schon glaubt sie, den passenden Heiratskandidaten gefunden zu haben. Da muss sie schockiert feststellen, dass es sich um Marcus, Earl of Stockhaven, handelt. Er war die große Liebe ihrer Jugend, bis ihr Vater sie zwang, einen anderen zu heiraten. Immer noch lässt er ihr Herz höher schlagen. Doch will er ihr wirklich helfen? Oder will er nur leidenschaftliche Rache? Noch ahnt sie nicht, dass er nur zum Schein inhaftiert ist - und schon bald die Hochzeitsnacht einfordert …


  • Erscheinungstag 27.08.2019
  • Bandnummer 45
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737313
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war ein unmöglicher Ort für die Suche nach einem Ehemann.

Wenn sie die Wahl auf dem Heiratsmarkt hätten, würden die meisten Frauen mit Urteilsvermögen wohl immer die vornehme Vertrautheit von Almack’s bevorzugen, vor allen Dingen, wenn die Alternative das Fleet-Gefängnis war.

Fürstin Isabella Di Cassilis konnte sich diesen Luxus nicht erlauben. Sie war verzweifelt.

Die Fürstin hatte dem Kerkermeister ihre besondere Notlage erklärt. Sie musste unbedingt einen Mann heiraten, der so viele Schulden hatte, dass es auf ihre Verbindlichkeiten von zwanzigtausend Pfund auch nicht mehr ankäme. Ihr Zukünftiger sollte zudem von recht robuster Gesundheit sein, denn sie wollte vermeiden, dass er vor ihr sterben würde und sie zu ihren eigenen noch seine Schulden würde übernehmen müssen. Und sie brauchte ihn jetzt.

Wenn Isabella bei Bekanntwerden dieses Abenteuers gesellschaftlich geächtet würde, hätte dies für sie keinerlei Bedeutung. Ihr Ruf war ohnehin nicht mehr zu retten, die anspruchsvolleren Mitglieder des Ton verwehrten ihr bereits den Zutritt. Welchen Schaden sollte ein weiterer Skandal überhaupt noch anrichten?

Isabella Standish wurde nicht als Fürstin eines europäischen Landes geboren, nicht einmal eines so unbedeutenden wie Cassilis. Ihr Vater hatte zu den rangniederen Mitgliedern des Ton gehört, der seine ehrgeizigen Ziele nie ganz erreicht hatte. Ihr Großvater war Fischlieferant des geistig umnachteten König Georgs III. gewesen. Nach dem Genuss einer besonders schmackhaften Regenbogenforelle hatte der Monarch ihn in den Adelsstand erhoben.

Es war Isabellas Unglück gewesen, dass sie bei einem Bummel durch die Bond Street dem gelangweilten Fürsten Ernest Rudolph Christian Ludwig Di Cassilis aufgefallen war. Damals war sie 17 Jahre alt und stand kurz vor ihrer Vermählung. Er war bezaubert von ihrer hübschen Erscheinung und ihrem natürlichen Wesen und hielt mit einem Gegenangebot sofort um ihre Hand an. Ihr Vater war nicht gesonnen, dieses Angebot abzulehnen, da ihm aufgrund seiner ausschweifenden Lebensweise der Bankrott drohte. So kam Fürst Ernest gerade zur rechten Zeit, wenn auch nicht für Lord Standishs Tochter. Die Hochzeit, die einige Tage danach stattfand, war nicht die, die Isabella sich vorgestellt hatte.

Es war auch gänzlich Fürst Ernests Schuld, dass seine Witwe zwölf Jahre später einem Kerkermeister durch einen engen steinernen Korridor in die Verliese des Fleet-Gefängnisses folgte. Ernest war höchst unpassend in den Armen seiner Mätresse gestorben, wodurch er seiner Frau nichts als Schulden und einen befleckten Namen hinterlassen hatte. Nachdem Isabella nach England heimgekehrt war, entdeckte sie, dass die Untreue ihres verstorbenen Mannes auch finanzieller Art war. Ernest hatte in ihrem Namen Schulden auflaufen lassen. Jetzt also wurde sie zu verzweifelten Maßnahmen gezwungen, um sich von diesen unglücklichen Schulden zu befreien.

Isabella zog den schwarzen Umhang enger um sich und drückte die Kapuze tiefer ins Gesicht. Im Gefängnis wurden alle ihre Sinne beansprucht. Hier war es fast stockdunkel. Die Luft war erfüllt mit Hitze und Tabakrauch. Dazu kam der durchdringende Gestank hunderter Leiber auf engstem Raum. Laute Stimmen mischten sich mit dem Klirren eiserner Fesseln, die über den Steinboden schabten, und mit dem Schreien und Weinen von Kindern. Der Fußboden war schmierig, und an den Wänden lief Wasser herab, auch im Sommer. Hände griffen in die Falten von Isabellas Umhang, als sie vorbeiging. Sie spürte, wie sich die Verzweiflung der Gefangenen dem gesamten Ort mitteilte, von den Wänden rann und sie gleichsam einhüllte. Entsetzen und Mitleid schnürten ihr fast die Kehle zu und ließen ihren ganzen Körper erzittern. Bevor sie in dieses Höllenloch hineingegangen war, hatte sie geglaubt, dass ihre Lage verzweifelt sei. Aber sie hatte nicht einmal gewusst, was Verzweiflung war. Und doch war der Abstand zwischen ihren Lebensumständen und dem, was sie hier antraf, gefährlich gering. Ein Mensch musste nur einmal von seinem gesicherten Weg abkommen und ausgleiten, um dann hier in diesem Abgrund vergessen und unbeweint zu enden.

Der Kerkermeister schob Isabella am Arm weiter. „Es ist jetzt nicht mehr weit.“

Als er spürte, wie sie zitterte, fügte er in dem unbeholfenen Versuch, ihr Trost zuzusprechen, hinzu: „Wir haben eine bessere Klasse von Gefangenen im Haus des Gefängnisdirektors untergebracht, Ma’am. Sie haben da nichts zu befürchten.“

Nichts zu befürchten.

Sie zitterte immer noch, und die Worte gingen ihr beständig durch den Kopf.

Ihr Anwalt Mr. Churchward hatte ihr bemerkenswert unverblümt mitgeteilt, dass sie unter drei Möglichkeiten wählen könne: Heirat, Exil oder Schuldgefängnis. Keine dieser Möglichkeiten war angenehm.

Sie hatten im Wohnzimmer von Isabellas Haus im Brunswick Gardens gesessen, als Churchward ihr die Nachricht von Ernests Schulden überbrachte. Trotz aller Offenheit war Mitgefühl in dem, was der Anwalt ihr sagte, so als ob eine so heikle Angelegenheit eigentlich nicht für die Ohren einer Dame bestimmt war. Isabella wusste seine Rücksichtnahme zu schätzen, und als sie weder ohnmächtig wurde noch in große Unruhe verfiel, schien Churchward unendlich erleichtert.

Eine Fackel brannte am Ende des Ganges. Der Kerkermeister öffnete eine schwere Tür, die vernehmlich über den Boden schleifte und quietschte, als ob sie selten benutzt wurde. Er trat einen Schritt zurück und ließ Isabella vorgehen. Die Luft war hier frischer, enthielt aber noch das Aroma von Tabak, Schweiß und abgestandenem Essen.

Der Kerkermeister hielt vor einer Zellentür, spie auf den Boden und wischte sich dann hastig mit dem Handrücken über den Mund, als ihm klar wurde, dass er mit einer Dame sprach. „Hier ist es, Ma’am. Das ist genau der Mann für Sie, John Ellis. Wie man mir sagte, ist er von adliger Herkunft, gesund und völlig mittellos.“

Von irgendwo aus den Verliesen des Gefängnisses drang ein entsetzlicher Schrei an Isabellas Ohr. Ein Schauder erfasste sie, und sie zwang sich, dem Kerkermeister zuzuhören. Sie wusste, dass sie Fragen stellen musste. Wenn sie sich nur nicht so hartherzig und berechnend vorgekommen wäre! Sie war dabei, mit dem Rest ihres Geldes das Leben eines Mannes zu kaufen. Ihre Freiheit erkaufte sie sich zum Preis seiner Einkerkerung.

In der Theorie war ihr dieser Plan als gut durchführbar erschienen: ein sauberer, wenngleich rücksichtsloser Handel. Isabella würde einen Gefangenen dafür bezahlen, dass er ihre Schulden übernahm. Er wäre hinter Gittern, und sie wäre frei. Da es sich aber plötzlich um eine Person aus Fleisch und Blut handelte, nahm der Plan seltsam unheimliche Züge an. Dennoch – es war entweder sein Leben oder ihres …

„Hat er … Familie oder Freunde?“, fragte sie zögernd.

Der Kerkermeister grinste schief. Er begriff, was sie wissen musste. „Nein, Ma’am. Es gibt niemanden, der ihn auslösen könnte, und er kann sicherlich dazu überredet werden, Ihre Schulden auch noch zu nehmen. Er hat dabei nichts zu verlieren.“

„Wie lange ist er schon hier?“ Nun da sie im Begriff war, den Handel abzuschließen, zögerte sie und erwog, die Angelegenheit aufzuschieben.

„Fast drei Monate, und soweit ich weiß, soll er für den Rest seines Lebens hier bleiben.“ Der Kerkermeister sah sie von der Seite an. „Wollen Sie es sich nochmal überlegen?“

„Nein danke“, erwiderte Isabella. „Ein auf Dauer abwesender Gatte ist genau das, was ich brauche.“

Die Zellentür wurde heftig aufgestoßen, und ein anderer Kerkermeister kam stolpernd heraus, rutschte auf dem schmierigen Fußboden aus und verschüttete das Essen, das er auf dem Tablett trug. Er fluchte leise. Die dünne Suppe schwappte über und ergoss sich auf Isabellas Umhang.

„Und kommen Sie erst dann wieder, wenn Sie mir etwas Essbares anbieten können“, rief eine männliche Stimme aus der Zelle. Es war eine angenehme Stimme, aber sie hatte einen leicht drohenden Unterton.

„Ist das Ihr Mr. Ellis?“, fragte Isabella trocken, als es von innen gegen die Zellentür schlug, wie um den Worten Nachdruck zu verleihen. „Es hört sich ja an wie der Teufel selbst.“

„Ja, ja, John Ellis ist ein übellauniger Geselle“, gab der Kerkermeister zur Bestätigung zurück. „Aber Sie brauchen sich darüber keine Sorgen zu machen, Ma’am.“

„Wenn ich mir vorstelle, dass ich hier eingekerkert wäre, dann hätte ich auch üble Laune“, sagte Isabella verständnisvoll. Sie sah sich um und zitterte etwas. „Das Beste ist, wir bringen es schnell hinter uns.“

Die Zelle war düster. Sie wurde nur schwach von einem hoch angebrachten vergitterten Fenster erhellt. Isabella erschreckte es sehr, dass dieser „bessere“ Gentleman sich nicht einmal eine eigene Zelle leisten konnte. Er musste wirklich arm sein. Dann kam ihr der Gedanke, dass es im Haus des Gefängnisdirektors sicher geräumigere und besser gelüftete Räume gab, als es diese trübe Zelle war, wo die Luft fast so stickig war wie weiter unten. Ihr wurde vor innerer Anspannung und Ekel richtig übel.

Drei Männer kauerten auf dem Fußboden und machten ein Spiel mit Würfeln und Spielmarken. Als die Tür sich öffnete, sahen sie kaum auf, so sehr richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf das Spiel. Zwar wurden nur Pennies eingesetzt, aber selbst wenn die Welt unterginge, würden sie ihr Spiel nicht abbrechen.

An einem grob gezimmerten Tisch saß eine schattenhafte Gestalt mit dem Rücken zum Licht. Schließlich bewegte er sich, und Isabella sah an dem Buch, das er in der Hand hielt, dass er gelesen hatte.

Obwohl der Kerkermeister John Ellis als mürrisch und übellaunig bezeichnet hatte, sah Isabella in seinem Gesicht Humor und Tatkraft. Dieser Gesichtsausdruck verschwand jedoch plötzlich, so als ob eine Kerze ausgeblasen worden wäre. Jetzt war nur noch grimmige Strenge zu sehen. In dem trüben Licht traten seine Gesichtszüge hart hervor. Die wettergebräunte Haut ließ darauf schließen, dass er längere Zeit in heißen Klimazonen zugebracht hatte. Die Züge seines kantigen Gesichts waren zu sehr ausgeprägt, als dass man es im üblichen Sinne als attraktiv bezeichnet hätte – doch von ihm ging eine Anziehungskraft aus, die viel bezwingender wirkte als nur gutes Aussehen. Es war eine Anziehungskraft, bei der es einem den Atem verschlug. Isabella hatte viele gut aussehende Männer kennengelernt. Eine Fürstin hatte diese Vorrechte. Allerdings hatte keiner dieser Männer sie so verwirrt, dass ihr der Atem stockte und sie fast ohnmächtig wurde.

John Ellis legte das Buch auf den Tisch und sah mit einem langen Blick zu ihr auf, blieb jedoch stumm.

„Stehen Sie auf, wenn eine Dame hereinkommt“, schnarrte der Kerkermeister.

Der Gentleman ließ seinen Blick in aufreizender Weise ganz gemächlich von oben bis unten über Isabellas Körper wandern. Dann nahm er ebenso gemächlich die Füße vom Tisch und straffte sich etwas, blieb aber nach wie vor sitzen. Immer noch wanderte sein herausfordernder Blick über ihre Gestalt, was Isabellas Blut in Wallung brachte, sodass sie hochmütig ihr Kinn vorschob. Seine Augen waren hart, und er hatte den Gesichtsausdruck eines Mannes, der in seinem Leben zu viel erfahren hatte, als dass er eine Gefühlsregung zulassen würde, die über bloße Gleichgültigkeit hinausging.

Plötzlich durchzuckte Isabella eine erschreckende Erkenntnis. Die Welt um sie herum schien zu verschwinden. Isabella war wieder siebzehn, fast noch ein Kind und gerade in die Gesellschaft eingeführt worden. Sie erinnerte sich daran, wie sie und dieser Gentleman sich zum ersten Mal gesehen hatten. Es war nicht in einem romantischen Ballsaal gewesen, sondern ganz schlicht bei einer Tasse Tee in dem abgewohnten Salon ihrer Tante in Salterton.

„Wer ist dieser junge Mann?“, hatte Isabella ihre Tante, Lady Jane Southern, gefragt. Und Jane hatte lächelnd geantwortet: „Er heißt Marcus Stockhaven und ist Leutnant bei der Marine.“ Jane hatte etwas die Stirn gerunzelt, als sie den Ausdruck gespannter Erwartung in Isabellas Gesicht sah. „Mach dir keine Hoffnungen, Bella, denn deine Mama würde die Verbindung nie erlauben. Er ist ein Niemand.“

Ihre Warnung war natürlich zu spät gekommen. Die Hoffnungen blühten in dem Augenblick auf, als Isabella dasaß und den unergründlichen dunklen Blick des Mannes auf sich gerichtet sah. Sie fühlte sich auf angenehme Weise erregt und unfähig, gegen ihr Schicksal anzukämpfen.

„Er hat kein Geld und keine Aussicht auf einen Platz in der Gesellschaft. Und deine Mama wünscht, dass du dich gut verheiratest.“ Janes warnende Worte waren verhallt wie ein Echo. Isabella hatte ihre Tante nicht weiter beachtet und sich kopfüber in die erste Liebe gestürzt. Es war eine Liebe, die aller Erwartung nach in eine Ehe hätte münden sollen. Aber dann war sie gezwungen worden, Fürst Ernest zu heiraten, und alles war schiefgegangen.

Nun da sie Marcus Stockhavens Blick begegnete – so wie zwölf Jahre zuvor in jenem Wohnzimmer –, wurde Isabella ganz stark von dem Gefühl erfasst, etwas verloren zu haben. Eine große Sehnsucht durchfuhr sie schmerzlich und ließ ihre Liebe, aber auch ihren Trennungsschmerz wieder ganz gegenwärtig werden. So als ob all die Gefühle, die sie für erloschen gehalten hatte, plötzlich wieder zu neuem Leben erwacht waren.

Dann sprach Stockhaven, und die Ketten der Vergangenheit fielen von ihr ab.

„Eine Dame“, sagte er nachdenklich, und sein Blick ruhte immer noch auf ihr. „Welchen Grund könnte eine Dame haben, hierher zu kommen?“

Einer der Spieler sah auf und machte eine so unflätige Bemerkung, dass Isabella zusammenzuckte. Sie hob die Hand, um der aufkommenden Entrüstung des Kerkermeisters Einhalt zu gebieten.

„Danke“, sagte sie kurz. „Ich regele das. Bitte führen Sie … Mr. Ellis … und mich in einen Raum, wo wir allein sprechen können.“

Ihre Bitte rief einige Bestürzung hervor. Offenbar hatte der Kerkermeister nicht vermutet, dass sie um ein vertrauliches Gespräch bitten würde. Es gab kaum Möglichkeiten, einem solchen Wunsch zu entsprechen.

Marcus Stockhaven stand auf. „Sie wünschen, unter vier Augen mit mir zu sprechen, Madam?“

„Ja“, antwortete Isabella mit fester Stimme.

Stockhavens Stimme war glatt und kalt, sein Ton spöttisch. „Es ist Ihnen sicher bewusst, Madam, an welchem Ort wir uns befinden? Und dass hier der Preis für ein vertrauliches Gespräch den Wert von Rubinen übersteigt?“

„Dann ist es ein Glück, dass ich meine Smaragde mitgebracht habe“, antwortete sie gelassen. „Denn deren Wert ist noch höher als der von Rubinen.“

Sie langte in ihr Retikül und nahm das Smaragdarmband heraus, das Ernest ihr geschenkt hatte, als ihre Tochter geboren wurde. Dabei hatte er gesagt, dass es im Falle der Geburt eines Sohnes ein Diamantarmband gewesen wäre. Die Smaragde waren nur zweite Wahl – wie ihre Ehe. Isabella hatte den Erwartungen von Ernest nie ganz entsprochen. Aber wenigstens erwies sich das Geschenk endlich als nützlich.

In dem trüben Licht der Zelle ging ein strahlender Glanz von den Edelsteinen aus. Die Spieler hielten inne. Einer von ihnen stieß einen Fluch aus, der Habgier und fast ehrfürchtige Scheu ausdrückte.

„Ich möchte ungestört mit Mr. Ellis reden“, wiederholte Isabella, zu dem Kerkermeister gewandt. Und ihr Ton duldete keinen Widerspruch. „Sofort.“

„Sofort, Ma’am“, wiederholte der Kerkermeister dienstbeflissen.

Recht bald fand sich eine leere Zelle. Bis auf eine schimmelige Matratze, einen harten Stuhl, einen Tisch und ein Nachtgeschirr enthielt der Raum nichts. Er war auch sehr kalt. Der Kerkermeister nahm begierig das Armband aus Isabellas ausgestreckter Hand und ließ es schneller in seiner Tasche verschwinden als eine Schlange eine Maus verschlingt. Marcus Stockhaven klemmte sein Buch unter den Arm und folgte Isabella gemächlich von der einen Zelle in die nächste, als ob er einen Spaziergang durch einen Park machte. Isabella bewunderte seine Gelassenheit, denn sie zitterte vor Anspannung am ganzen Körper.

Die Tür schloss sich mit einem Kreischen, dem ein langes Schweigen folgte. Wortlos setzte sich Marcus Stockhaven auf den einzigen Stuhl. Den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, bedachte er sie mit einem leicht amüsierten Blick aus seinen dunklen Augen. Isabella empfand sowohl seine bewusste Unhöflichkeit als auch seinen Gesichtsausdruck als zutiefst beunruhigend. Aber schließlich hatte er sie schon immer mit einem bloßen Blick aus der Fassung bringen können.

„Nun?“

Bei diesem herrischen Ton zuckte Isabella zusammen. Schon hatte sie das Gefühl, dass nicht sie das Gespräch beherrschte, sondern Marcus. Doch sie musste trotzdem versuchen, die Situation unter Kontrolle zu bekommen und die Initiative wiederzugewinnen.

„Ich …“ Ungeachtet ihrer Entschlossenheit blieben ihr die Worte im Hals stecken. Aber sie durfte jetzt keine Bedenken aufkommen lassen. Unmittelbar nachdem sie mit Churchward gesprochen hatte, war sie zu einer der Rechtsschulen gegangen, um sich eine Sondergenehmigung zu besorgen. Von dort hatte sie das Fleet-Gefängnis aufgesucht, um einen Ehemann zu erwerben. Verzweiflung hatte sie angetrieben und verhindert, dass sie ihre Handlungen allzu sehr hinterfragte. Wann auch immer Zweifel in ihr hochgekommen waren, hatte sie sich auf die düstere Aussicht konzentriert, das Gefängnis zu besuchen. Dadurch war alles andere in den Hintergrund getreten. Aber jetzt, unter dem erbarmungslosen, dunklen Blick von Marcus Stockhaven fand sie nicht die richtigen Worte.

Stockhaven zog spöttisch eine dunkle Augenbraue hoch. „Ich habe alle Zeit der Welt“, sagte er gelassen, „aber ich würde es vorziehen, wenn Sie so schnell wie möglich zur Sache kämen, Madam. Es ist eine Überraschung, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen, und ich muss sagen, keine besonders angenehme. Also …?“ Er zuckte die Achseln und fügte hinzu: „Sagen Sie mir, worum es sich handelt, und lassen mich wieder meinem Buch zuwenden.“

Isabella schluckte mehrmals. Er empfing sie also nicht mit offenen Armen. Natürlich nicht. Wie töricht von ihr, so etwas zu erwarten, da sie ihm doch in der schmählichsten und demütigendsten Weise, die man sich vorstellen kann, den Laufpass gegeben hatte. Und nun war ihre Vergangenheit zurückgekehrt, um sich über sie lustig zu machen.

„Ich dachte mir, dass Sie es sind“, sagte sie langsam und mit Bedacht. „Ich habe Ihre Stimme erkannt.“

„Wie schmeichelhaft für mich nach all den Jahren“, erwiderte Stockhaven trocken. Er stützte den Kopf auf die Hand. „Was tun Sie hier?“

Isabella blickte auf die Tür, hinter der der Kerkermeister höchstwahrscheinlich lauschte. Jetzt durften auf keinen Fall Namen genannt werden, wenn sie ihre Anonymität bewahren wollte. Daran war Stockhaven vermutlich auch für seine Person gelegen.

„Ich suche jemanden“, sagte sie zögernd.

„Sicher nicht mich.“ Stockhaven erhob sich geschmeidig.

Er war groß und breitschultrig, und seine Gestalt schien die ärmliche Zelle zu beherrschen. Sein ganzer Körper strahlte eine Kraft aus, die die stickige Enge des Raumes nicht zu unterdrücken vermochte.

„Nein, ich habe nicht eigens nach Ihnen gesucht“, sagte sie mit etwas mehr Mut in der Stimme. „Aber da ich Sie nun gefunden habe …“ Sie hielt inne. Könnte sie jetzt ihr Anliegen vorbringen? Nein, das wäre etwas zu plump, selbst für sie. Außerdem gab es Dinge, die sie wissen wollte.

„Was wichtiger ist“, fuhr sie fort, „was tun Sie hier, Sir, unter dem Namen John Ellis?“

Sein dunkler Blick nahm für Sekunden einen durchdringenden Ausdruck an, ehe er wieder mit kühler Gelassenheit auf ihr ruhte. Isabella konnte seine Gefühle erraten. Dies war ihm nicht gleichgültig. Er wollte seine wahre Identität nicht offenlegen, und er hätte es sicher lieber gesehen, wenn sie nicht ausgerechnet im Fleet-Gefängnis auf ihn gestoßen wäre.

„Verzeihen Sie, aber das geht Sie nichts an.“ Sein Ton war schroff.

„Vielleicht doch“, antwortete sie mit fester Stimme und trat einen Schritt weiter vor. Tausend Zweifel gingen ihr durch den Kopf, und ebenso viele Gründe stellten sich ein, die ihr sagten, dass es die denkbar schlechteste Idee war, Marcus Stockhaven zu bitten, sie zu heiraten. Aber sie ließ all diese Gründe unbeachtet. Isabella war fest entschlossen, die unerwartete Chance zu nutzen, die seine Anwesenheit hier ihr bot.

„Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, Sir“, sagte sie jetzt mit größerer Selbstsicherheit. Wieder vermied sie es, ihn beim Namen zu nennen. „Helfen Sie mir, und ich will … Ihnen helfen. Zumindest werde ich niemandem sagen, dass ich Sie hier gesehen habe.“

Marcus Stockhaven antwortete nicht. In seinem Schweigen lag etwas, das sie einschüchterte. Hastig fuhr sie fort: „Ich nehme an, niemand weiß, dass Sie hier sind?“

Noch immer sagte er nichts.

Aber sie ließ nicht locker. „Ich vermute, Sie wünschen nicht, dass jemand das weiß?“

Diesmal sah sie, wie ihre Worte sein Schweigen durchdrangen. Stockhaven machte eine unwillkürliche Bewegung. Wieder bohrte sich dieser harte, dunkle Blick in sie. „Vielleicht nicht.“

„Die Schande des Schuldgefängnisses …“

„Ja“, unterbrach er sie. „Wollen Sie mich erpressen, Madam?“ Ein spöttisches Lächeln spielte um seinen Mund. „Ich bedaure, nicht zahlen zu können.“

„Ich will nicht Ihr Geld“, sagte sie. „Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.“

„Mich? Um einen Gefallen?“ Stockhavens Lächeln wurde breiter. „Sie müssen ja verzweifelt sein, auch nur an so etwas zu denken.“

„Ja, vielleicht. Aber Sie müssen erst recht verzweifelt sein, dass Sie überhaupt hier sind.“

Er neigte den Kopf und gab damit zu, dass Isabella ins Schwarze getroffen hatte. „Also? In welcher Weise können wir uns … gegenseitig helfen?“

In seinem Ton lag etwas, das Isabella die Zornesröte ins Gesicht trieb. Sie erinnerte sich daran, wie mühelos dieser Mann stets ihre Schutzschilde hatte durchbrechen können. Nun fühlte Isabella sich durch seine bloße Gegenwart überraschend verletzbar, ja geradezu verstört. Daher versuchte sie, ihre Aufgewühltheit durch äußerliche Gelassenheit zu tarnen.

Sie blickte sich in der schmutzigen Zelle um, sah die tropfnassen Wände und die bloße Matratze, auf der eine einzige schmutzige Decke lag.

„Als Gegenleistung für einen Gefallen von Ihnen will ich nicht nur schweigen, sondern ich bin bereit, Ihren Aufenthalt hier angenehmer zu machen“, erklärte sie und fügte hinzu: „Ein eigenes Zimmer, saubere Wäsche, gutes Essen und Wein …“, dabei fiel ihr das Buch auf dem Tisch ein, „und mehr Bücher zum Lesen.“

Marcus Stockhaven sah Isabella nachdenklich an. Wie in stummer Bitte trat sie noch einen Schritt auf ihn zu. Einen Augenblick lang schwieg er. Sie spürte deutlich, wie ein Zittern durch ihren Körper lief, während sie auf seine Antwort wartete.

„Wie großzügig von Ihnen“, erwiderte er spöttisch. „Aber nun heraus mit der Sprache. Was wollen Sie?“ Er sprach in einem gelassenen Ton, aber in seinen dunklen Augen war Kälte.

Isabella holte tief Luft. Einen Augenblick lang zögerte sie, doch dann gab es kein Zurück.

„Ich möchte, dass Sie mich heiraten“, sagte sie, und die Überwindung war ihrer Stimme anzumerken.

2. KAPITEL

Es war ausgesprochen empörend.

Marcus John Ellis, siebter Earl of Stockhaven, hatte auf eine solche Gelegenheit zwölf lange Jahre gewartet. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich ausgerechnet hier im Fleet-Gefängnis ergeben würde.

Marcus war geübt darin, mit dem Unvorhergesehen umzugehen. Acht Jahre Dienst in der Marine Seiner Majestät, ehe er den Titel von einem entfernten Cousin erbte, hatten ihm eine reiche und vielgestaltige Lebenserfahrung gegeben. Dies hier jedoch war etwas, das er niemals hätte vorhersehen können.

„Sie kommen zwölf Jahre zu spät, mein Schatz“, sagte er spöttisch. Bei dem beiläufigen Gebrauch des Kosewortes, das einst so viel bedeutet hatte, röteten sich ihre Wangen, stellte er beiläufig fest.

„Die Kirche war bereit, der Bräutigam war da, das Einzige, was fehlte, war die Braut – wenn Sie sich erinnern.“

Er beobachtete Isabella nachdenklich. Sie sah fast aus wie damals und war doch herzzerreißend anders als die siebzehnjährige Debütantin, die ihm am Altar den Laufpass gegeben hatte. In den modrigen Verliesen dieses Gefängnisses schien sie hoffnungslos fehl am Platze. Es machte keinen Unterschied, dass sie versucht hatte, sich mit ihrem schwarzen Umhang und ihren zweckmäßigen Stiefeln nahezu unkenntlich zu machen. Sie war, und das fiel sofort ins Auge, erheblich sauberer als alle anderen, die in den letzten drei Monaten ihren Fuß in seine Zelle gesetzt hatten. An ihr hing kein strenger Schweiß- oder Tabakgeruch, stattdessen duftete sie zart nach Jasmin. Er erinnerte sich an diesen Duft auf ihrer Haut und in ihrem Haar. Und er erinnerte sich daran, wie er ihr einmal gesagt hatte, ihr Haar lasse ihn an einen Herbstwald denken, mit Gold- und Kupfertönen und rötlichen Nuancen des Herbstlaubs durchzogen. Bei dem Gedanken daran musste er schlucken. Die Bilder, die nun vor seinem inneren Auge standen, erregten ihn genauso wie vor zwölf Jahren: Isabella in seinen Armen, seine Hände dunkel auf ihrer zarten, weißen Haut, ihr lustvolles Stöhnen bei jeder Berührung, voll rasenden Verlangens, das alles um sie herum vergessen ließ außer der glühenden, brennenden Sehnsucht zwischen ihnen. Er hatte sie ungestüm genommen, ohne ihre Jungfräulichkeit zu beachten; und ihre Erwiderung war ungezügelte Leidenschaft gewesen. Dann später in dem anheimelnden Dunkel der Gartenlaube …

„Ich hätte nicht so zügellos sein dürfen …“, hatte sie voll ungläubigem Staunen gesagt, noch ganz überwältigt von der Lust, die sie miteinander geteilt hatten. Er hatte ihren erhitzten Körper nahe an sich gezogen und sie mit Demut und glücklichem Entzücken geküsst.

„Du bist wunderbar, und ich werde dich immer lieben.“

Es waren sentimentale, jungenhafte Worte gewesen, und das Band zwischen ihnen war in dem Augenblick jäh zerrissen worden, als sie ihn am Altar hatte stehen lassen, um einen anderen zu heiraten. Aber wie er sich widerwillig eingestehen musste, hatte in all den Jahren, seit er Isabella zuletzt gesehen hatte, keine Frau sich mit ihr messen können.

Sie hatten sich so oft wie möglich in den Gärten von Salterton Hall getroffen. Die Heimlichkeit hatte ihrem Zusammensein eine gewisse Spannung verliehen, die manchmal fast nicht mehr zu ertragen war. Marcus glühte vor immer stärker werdendem Verlangen, sie zu besitzen. Jeder Kuss war wie ein Brandzeichen auf ihrer Haut, das ihn jedes Mal aufs Neue entflammte. Im kühlen Dunkel der Gartenlaube zog er sie fest an sich und entkleidete sie fieberhaft. Seine Küsse waren von wilder Glut, und auch ihre Vereinigung hatte das Feuer nur noch weiter angefacht. Das Gewirr von Gefühlen, die sie in ihm auslöste, hatte ihm fast den Verstand geraubt.

Marcus blinzelte, um diese Erinnerungen zu verscheuchen und seine wilde Fantasie zu zügeln. Bei solchen Bildern konnte man keinen klaren Gedanken fassen. Aber es war kein Wunder, dass er selbst jetzt Verlangen spürte. Er hatte lange keine Frau gehabt; die Huren, die im Fleet-Gefängnis ihrem Gewerbe nachgingen, hatten kein Interesse an ihm. Außerdem würde diese Frau selbst einen Heiligen in Versuchung bringen.

„Ihr Schatz“, sagte sie, und die deutliche Verärgerung in ihrem Ton löschte sein Verlangen aus wie ein Eimer kalten Wassers. „Das war ich doch nie, oder, Marcus? Nachdem Sie mich verloren hatten, heirateten Sie recht bald schon India. Die eine Cousine oder die andere? Es scheint, es war Ihnen ziemlich gleichgültig, welche.“

Marcus spürte heftigen Zorn hochkommen. Er hatte zwölf lange Jahre gewartet, um die Angelegenheit zwischen ihnen klarzustellen. Und nun wagte sie es, ihm einfach so die Schuld zu geben?

„Ich war nie so leichtsinnig, Sie zu verlieren“, sagte er scharf. „Sie haben mich einfach fallen lassen, nachdem Ihr Fürst ein besseres Angebot gemacht hatte …“

Isabella machte eine unwillkürliche Geste des Protests, und Marcus hielt inne. Sein Herz pochte rasend. Einen Augenblick lang glaubte er, dass sie seine Vorwürfe zurückweisen und ihm alles erklären würde. Er wartete – voll gespannter Hoffnung. Da aber wich jeder Ausdruck aus ihren Augen, und er spürte, die Gelegenheit war vorbei.

„Sie haben recht“, sagte sie schlicht. „Genau das habe ich getan. Aber das ist sehr lange her, und dieses Gerede nützt uns nichts. Es war töricht von mir anzunehmen, dass Sie bereit sein würden, mir zu helfen.“

Ihr beiläufiges Geständnis entfachte seine Wut über ihren Verrat aufs Neue. Dass sie auch noch offen zugab, so käuflich zu sein, konnte er kaum glauben. Und doch passte es zu ihrem übrigen Verhalten. Sie hatte um ihres Vorteils willen geheiratet und Marcus verschmäht, sobald sich ein aussichtsreicheres Angebot ergeben hatte. Sie hatte ihre Cousine India um ihr Erbe betrogen. Und jetzt brauchte sie wieder Geld und würde einen Handel mit derselben rücksichtslosen Gefühlskälte abschließen.

Diesmal aber schien es, als ob Marcus alle Karten in der Hand hielt. Isabella war ihm ausgeliefert.

„Setzen Sie sich“, sagte er kurz angebunden. Die Aufforderung war im Ton schärfer als beabsichtigt, und Marcus sah, wie Isabella zusammenzuckte. Sie war so angespannt wie ein wildes Tier, das im Begriff war zu fliehen. Ihre Unsicherheit zeigte sich daran, wie sie ihre Finger ineinanderkrampfte, um das Zittern nicht sichtbar werden zu lassen. Ein Anflug von Angst lag in ihren dunkelblauen Augen. Offenbar war sie in sehr großen finanziellen Schwierigkeiten.

Seine Aufforderung, sich zu setzen, hatte sie erschreckt, wohl weil sie angenommen hatte, er würde ablehnen und sie fortschicken. Marcus sah, dass sie tatsächlich gehen wollte, aber er setzte alles daran, sie zu halten. Er hatte eine ganz erstaunliche zweite Chance bekommen. Dies war die Gelegenheit zur Rache.

Es würde nicht einfach sein. Er würde sie in Sicherheit wiegen müssen, damit sie ihm vertraute. Da sie verzweifelt war, hatte er gute Aussichten auf Erfolg. Wenn man bedachte, was zwischen ihnen stand, musste sie wirklich außer sich vor Sorge sein, um auch nur in Erwägung zu ziehen, ihn um die Heirat zu bitten. Ganz offenbar war sie zu außergewöhnlichen Mitteln gezwungen. Diese Gelegenheit musste er nutzen.

Marcus wies auf den Stuhl und mäßigte seinen Ton. „Verzeihung. Nehmen Sie doch bitte Platz, Isabella.“

Sie blickte ihn erstaunt an, als er sie beim Vornamen nannte. Es schien, als ob sie im Begriff war, ihn für seine Vertraulichkeit zu rügen. Wie aufschlussreich. Nur sehr wenige Frauen wiesen Marcus Stockhaven zurück. Meist ermutigten sie ihn eher.

„Nein danke“, sagte sie bestimmt. „Ich stehe lieber.“

Er begriff sofort, dass Isabella sich ihm gegenüber im Nachteil fühlen würde, wenn sie sich setzte. Da nur ein Stuhl in der Zelle war, würde Marcus notwendigerweise stehen. Isabella fühlte sich ohnehin schon verletzbar und wollte nicht, dass Marcus die Oberhand gewann. Auf jeden Fall war sie eine Herausforderung für ihn, und sein Interesse wuchs.

„Wir könnten beide dort drüben sitzen“, schlug er vor und wies auf die Matratze in einer Ecke.

Ein Ausdruck von Geringschätzung blitzte in ihren Augen auf. „Ich glaube nicht, Sir. Ich habe nicht vor, Ihr Bett zu teilen.“

„Diesmal nicht.“ Marcus ließ seinen Blick wieder über Isabella gleiten. Er bemühte sich um einen Ton ohne Bitterkeit. „Dieses Mal wollen Sie nur meinen Namen oder, besser gesagt, meinen Decknamen. Anonymität dürfte Ihren Absichten genauso entgegenkommen wie meinen. Ich vermute, dass Sie sich meinen Gefängnisaufenthalt aufgrund von Schulden zunutze machen wollen?“

Er hielt inne. Ein leichtes Neigen des Kopfes war ihre einzige Antwort.

„Also ja.“ Er dachte nach. „Sie haben Schulden, und zwar eine beträchtliche Summe.“

Etwas wie Verärgerung blitzte kurz in ihren Augen auf. Dann aber nickte sie wieder.

„Ihr Plan ist es, einen Schuldner zu heiraten, der bereit ist, auch noch Ihre Verpflichtungen zu übernehmen. Ihre Gläubiger haben keinerlei Aussicht, ihr Geld zurückzuerhalten. In der Zwischenzeit schmachtet Ihr Gatte auf unabsehbare Zeit hier im Gefängnis, während es Ihnen freisteht zu tun, was auch immer Sie wollen. Ist das richtig beschrieben?“

„Ganz genau.“ Hinsichtlich der Selbstbeherrschung war sie ihm gewachsen. Aber er war sicher, dass sie hinter der Fassade längst nicht so kühl war, wie sie sich gab. Er stieß ein kurzes ungläubiges Lachen aus. Sie würde sich wohl nie ändern. Ihr war es schon immer nur um Geld gegangen, und so würde es bleiben.

„Sie sind ganz sicher abgebrüht genug, das durchzuziehen, Madam.“

„Danke“, erwiderte sie mit dem freundlichsten Lächeln.

Eine kurze angespannte Pause trat ein. Sie hob die Augenbrauen.

„Also? Nehmen Sie meinen Vorschlag an?“

Angesichts dieser Dreistigkeit musste Marcus gegen ein Lachen ankämpfen. Er war versucht, seinen vorgeschobenen Widerstand aufzugeben, denn sie war dabei, direkt in seine Falle zu laufen. Doch um herauszufinden, was er wissen wollte, musste er jetzt seinen Vorteil nutzen.

„Verzeihen Sie“, sagte er mit einem Lächeln, „aber ich muss bestimmte Dinge wissen, ehe ich erwäge, Ihnen den Schutz meines Namens zu gewähren.“

Sie sah ihn etwas geringschätzig an. „Ich habe wohl Ihre Lage falsch eingeschätzt, Sir. Sind Sie in einer Position, freier wählen zu können als ich?“

Unendlich viel freier, dachte Marcus für sich, sagte aber nichts. Isabella sollte das natürlich nicht erfahren.

Sie hatte selbstverständlich angenommen, dass er im Gefängnis saß, weil er Schulden hatte. Alle Anzeichen sprachen dafür, aber in Wirklichkeit war es ganz anders. Und da sie ihn nicht ausdrücklich gefragt hatte, würde er ihr auch nichts sagen.

„Wie hoch sind Ihre Schulden?“, fragte Marcus. Er zog den Stuhl zu sich heran, setzte sich umgekehrt darauf und umfasste die Lehne. Dann sah er Isabella prüfend an.

Sie streckte stolz das Kinn vor. An ihrem Gesichtsausdruck sah er, wie unangenehm ihr die ganze Situation doch war. Sie korrigierte ihn sofort.

„Ich habe keine eigenen Schulden“, sagte sie spitz. „Mein verstorbener Mann ließ in meinem Namen Schulden in Höhe von zwanzigtausend Pfund auflaufen. Ich war im Ausland und ahnte davon nichts. Erst nach meiner Rückkehr entdeckte ich das ganze Ausmaß.“ Sie hielt inne und biss sich auf die Unterlippe, um ihre offensichtliche Verärgerung zu beherrschen. Marcus lächelte über ihren schnippischen Ton. Sie war also wütend über Fürst Ernest Di Cassilis, der sie in eine solch unglückliche Lage gebracht hatte. Stolz, schön und bankrott. Eine grässliche Kombination.

„Wie ärgerlich für Sie, da doch Fürst Ernest einmal ein so reicher Mann war“, sagte er in leutseligem Ton. „Ein solches Unglück kann die Pläne eines jeden zunichte machen.“

Isabella blitzte ihn wütend an. Sie begriff sehr wohl, was er ihr damit sagen wollte: Dass sie ihn hatte sitzen lassen, weil er arm war, dass sie Ernest seines Titels und seines Geldes wegen geheiratet hatte, dass alles, was ihr widerfuhr, aufgrund ausgleichender Gerechtigkeit geschah.

„Wie Sie sagen.“ Ihr Ton war hingegen ausdruckslos. „Es ist sehr bedauerlich.“

Marcus musste ihre Gelassenheit bewundern. Sie hatte die Tür vor ihm zugeschlagen und ihm das Vergnügen verwehrt, sie herauszufordern.

„Wenn Fürst Ernest dazu neigte, Ihren Namen zu missbrauchen, dann wäre es vielleicht vorteilhaft gewesen, ihn genauer zu beobachten“, sagte er.

Zu seiner Überraschung erschien ein Funken von Belustigung auf ihrem Gesicht.

„Ich wollte überhaupt nicht in Ernests Nähe sein, Sir. Ich ließ ihn sogar so oft wie möglich unbeachtet. Niemand mochte ihn, und ich war keine Ausnahme. Ich musste sogar die Diener bestechen, damit sie überhaupt zur Beerdigung mitgingen und Trauer heuchelten.“

Marcus’ Interesse wuchs unwillkürlich. Als er Isabella kennenlernte, war er von ihrem augenscheinlichen Liebreiz sehr angetan gewesen. Ihr Verrat war für ihn ein zutiefst erschreckendes Erlebnis. Damals war ihm klar geworden, dass sie eine Abenteurerin war. Sie hatte ihren verlockenden Körper und ihr hübsches Gesicht eingesetzt, um einen reichen und ausschweifenden Fürsten in die Falle laufen zu lassen. Jetzt und hier benutzte sie eine andere Art von Bestechung, um einen anderen in eine Zweckheirat zu locken. Zorn stieg in ihm hoch. Er wollte, dass sie ihre Schuld zugab. Sie war hochmütig und moralisch verdorben und bereit, sich für schnöden Gewinn zu verkaufen. Marcus war aber kein grüner Junge mehr, der sich betören ließ.

Er sah sie fragend an. „Es hat sich also letztlich nicht gelohnt?“

Ihre Blicke trafen sich.

Es hat sich nie gelohnt.

Isabella äußerte diese Worte nicht laut, aber einen beunruhigenden Augenblick lang war Marcus sicher, ihre Gedanken lesen zu können.

„Ich kann den Zweck Ihrer unverschämten Fragen nicht erkennen“, sagte sie knapp. „Über meine Ehe will ich nicht sprechen.“

Marcus hob missbilligend die Augenbrauen. „Sie glauben also nicht, dass Sie mir eine Erklärung schulden?“

Sie antwortete mit Geringschätzung in ihrem Blick. „Welche Bedeutung hat das nach zwölf Jahren noch?“

Er hätte sie durchschütteln mögen. Natürlich war es noch von Bedeutung! Sie hatte ihn all seiner jugendlichen Träume und Hoffnungen beraubt, sie unter ihren zierlichen Schuhen zertreten. Und sie hatte es so beiläufig getan, als ob es völlig unwichtig gewesen wäre. Als sie sich trafen, hatte er die Freuden der körperlichen Liebe durchaus gekannt. Doch niemals zuvor war er richtig verliebt gewesen, und so hatte er seine Liebe zu Isabella voll blindem Vertrauen in die Zukunft gelebt. Diese jugendliche Unbekümmertheit war es, die sie ihm so plötzlich genommen hatte, ohne sich darum zu kümmern, was sie ihm damit antat. Sie schuldete ihm etwas.

Er dachte an India, seine Frau. Sie war Isabellas Cousine gewesen. Er wusste genau, dass er sie aus den falschen Gründen geheiratet hatte, weil er nach etwas hatte greifen wollen, das Isabella ihm versprochen hatte. Eine vergebliche Hoffnung. Und auch India hatte unter ihrer Cousine gelitten. Später hatte Marcus entdeckt, dass Isabella in ihrem Streben nach Reichtum und gesellschaftlicher Stellung ihre Familie gegeneinander aufgehetzt und sich ausschließlich von ihrer Gier hatte leiten lassen.

Jetzt war die Zeit gekommen, um die Schuld einzufordern, aber Marcus musste den günstigsten Zeitpunkt abwarten. Seine Verärgerung wuchs mit jedem Wort, er bemühte sich dennoch, einen kühlen Kopf zu behalten. Kühl geplante Rache war allemal besser als eine unüberlegte Vergeltung. Er würde ihren Vorschlag annehmen, und dann wäre sie in seiner Gewalt statt andersherum – und sie ahnte es nicht einmal!

Es gab immer noch einiges, was er wissen musste. Je genauer er ihre Pläne kannte, desto leichter würde es sein, sie zu vereiteln.

Er zuckte die Achseln. „Vielleicht haben Sie recht: Was zwischen uns war, ist jetzt ohne Belang. Schließlich ist dies eine geschäftliche Angelegenheit. Erläutern Sie mir bitte, wie Sie sich unsere Vereinbarung vorstellen.“

Isabella warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, als könne sie nicht glauben, dass er so leicht kapitulieren würde. Aber dann gab sie ihre Vorbehalte auf. Offenbar war ihr so sehr an dieser rettenden Hochzeit gelegen, dass sie zu Zugeständnissen bereit war.

„Die sogenannte Ehe zwischen uns würde nur eine vorübergehende Maßnahme sein, bis ich aus dem gegenwärtigen finanziellen Engpass heraus bin“, sagte sie kühl. „Wenn ich dann mein Haus verkauft und mein Erbe flüssig gemacht habe, wird die Schuld zurückgezahlt, und unsere Verbindung wird aufgelöst.“

Er runzelte die Stirn. „Können Sie in dem Fall nicht einfach abwarten, bis Sie das Geld zur Verfügung haben? Das wäre sicher einfacher, als eine Eheschließung vorzunehmen, die Sie gar nicht wollen.“

Isabella schüttelte den Kopf, während er noch sprach. „Die Regelung von Erblässen braucht Zeit, und die habe ich nicht. Aber binnen Kurzem werde ich frei sein von den Schulden und auch von der Ehe.“

Eine Pause trat ein. Marcus fühlte sich in seinem Stolz verletzt, weil er nach Gebrauch sozusagen wie ein altes Kleidungsstück abgelegt werden sollte. Gleichwohl hatte er ebenso unlautere Motive wie Isabella.

„Ich mag den Gedanken nicht, trotz einer Eheschließung nach Lust und Laune herumgeschubst zu werden“, sagte er mit Bedacht und fügte hinzu: „Es ist entwürdigend.“

Diesmal lächelte sie mit echtem Mitgefühl. „Nun wissen Sie, wie eine Frau sich fühlt“, sagte sie sanft.

Touché! Ihre unverblümten Worte jagten ihm einen Schauer über die Haut. So war es mit Isabella schon immer gewesen. Eher forderte sie ihn heraus, als dass sie ihn beschwichtigte, wie dies die meisten Frauen taten. Sie war unberechenbar und aufregend gewesen, und die Spannung zwischen ihnen hatte sein Verlangen befeuert, sie zu nehmen und zu besitzen. Er war völlig vernarrt in sie gewesen. In jenem letzten Frühling in Salterton, ehe Isabella nach London zurückkehrte, versprachen sie sich in den Gärten feierlich die Treue. Ohne zu zögern, hatte er ihr einen Antrag gemacht, und sie hatte ihn angenommen. Er sagte zu, ihr baldmöglichst in die Stadt nachzureisen, um bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten. Marcus machte sich keine Sorgen über seine Zukunftsaussichten. Er war jemand, der jede Gelegenheit nutzte und neue suchte. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass er einer Frau nichts zu bieten hatte.

Lord Standish hatte seine Werbung mit einem auffallenden Mangel an Begeisterung angenommen. Wenn Marcus glaubte, dass er gesellschaftliche Aussichten hatte, so war sein zukünftiger Schwiegervater nicht so leicht davon zu überzeugen. Marcus hingegen ließ sich nicht abschrecken. Als er in der Kirche wartete, war er hoffnungsvoll geblieben bis zum letzten Augenblick – selbst als niemand von den Gästen der Braut erschien. Die Zeit verrann, und Isabella traf nicht ein. Selbst ganz zum Schluss konnte Marcus noch nicht glauben, dass sie ihn wirklich hatte sitzen lassen. Nach der geplatzten Trauung eilte er zu ihrem Elternhaus, aber dort wurde ihm an der Tür bedeutet, dass er gehen solle. Er schwor sich, er würde niemals glauben, dass sie sich wirklich so unerhört verhalten hatte, solange er die Ablehnung nicht aus ihrem eigenen Mund gehört hatte. Aber er hatte nie eine Erklärung von ihr bekommen.

Sie hatte nie wieder mit ihm gesprochen.

Die Gesellschaft war mit ihrem Urteil schnell bei der Hand gewesen. Als die abwesende Braut gleich am nächsten Tag Fürst Ernest Di Cassilis mit einer Sondergenehmigung und in aller Stille heiratete, schlug dieser Skandal hohe Wellen. Ernest nahm seine gerade angetraute Frau mit nach Cassilis, und Marcus kehrte überstürzt zur Marine zurück. Ihm war klar, dass er sich unbedingt beschäftigen musste. Und so jagte er statt der Frauen die Franzosen. Für seine unerschrockene Tapferkeit erhielt er Belobigungen seiner Vorgesetzten, und bald beschloss er, nie wieder an Land zu leben. Erst als er unerwartet den Titel von seinem kinderlosen Cousin erbte, fühlte er sich zu einer ganz andersartigen Verantwortung berufen. Nur widerstrebend übernahm er den Besitz und ging nach London. Und auf einem Ball lernte er dann Isabellas Cousine, India Southern, kennen …

Aber an diese Zeit wollte er jetzt nicht denken. Während seiner Ehe mit India hatte Isabellas Geist jeden seiner Schritte verfolgt. Marcus hatte sie nie vergessen können und vermochte auch jetzt nicht die starken Gefühle zu verscheuchen, die durch das erneute Zusammentreffen in ihm aufloderten. Er spürte dieselbe Anziehungskraft wie früher. Sie sahen einander an, und die Luft zwischen ihnen knisterte von den Funken der alten Leidenschaft.

Dabei hatte Marcus gar nicht vorgehabt, alte Erinnerungen aufleben zu lassen. Viel lieber wollte er herausfinden, was Isabella mit dieser Zweckheirat beabsichtigte. Wichtig war auch zu wissen, ob es vielleicht störende Liebhaber gab, die seine Pläne vereiteln könnten. Die Tatsache, dass Isabella ohne Begleitung in das Fleet-Gefängnis gekommen war, ließ vermuten, dass sie gegenwärtig keinen Liebhaber hatte, aber Marcus musste sich Gewissheit verschaffen.

Er wandte sich von Isabella ab und gab sich gleichgültig.

„Ich verstehe nicht, warum Sie ausgerechnet eine Fleet-Heirat wollen“, sagte er mit etwas heiserer Stimme, die trotz aller Mühe seine innere Bewegung verriet. „Es gibt doch sicher ein Dutzend reiche und angesehene Männer, die bei Ihnen Schlange stehen, Isabella? Zwanzigtausend Pfund sind für einen wohlhabenden Mann nicht allzu viel, besonders wenn er dabei noch eine schöne Frau gewinnt.“

Sie schien dies nicht als Kompliment zu nehmen. Marcus war darüber etwas verwundert, denn man hatte ihr sicher schon oft gesagt, dass sie eine Schönheit war. Fürstinnen sagte man dies oft, selbst wenn es nicht stimmte.

„Es gibt keinen, den ich heiraten möchte“, erwiderte sie mit Bestimmtheit und fügte hinzu: „Und niemanden, der mich würde heiraten wollen.“

Sie hielt ihren Kopf gesenkt und mied seinen Blick. Marcus hatte den Eindruck, dass sie wirklich betrübt war. Er wartete und beobachtete sie dabei.

„Ich habe … das heißt, mein Ruf …“ Sie sah plötzlich auf, und ihr Blick schien sich ihm direkt ins Herz zu bohren.

„Sie haben es vielleicht nicht gehört, aber mein Ruf ist ruiniert“, fuhr sie mit einer Schlichtheit fort, die ihn an das Mädchen erinnerte, das sie einmal gewesen war. „Niemand in angesehener Stellung wird mich noch heiraten.“

Marcus kniff die Augen zusammen. Er hatte die Geschichten alle gehört. Er wusste, dass ihr Name unwiderruflich besudelt war. Fürst Ernest Di Cassilis war als der Verlorene Fürst bekannt gewesen. Seine vielfältigen Ausschweifungen waren geradezu legendär. Es war unvermeidlich, dass dieser Ruf auf seine Frau abfärbte.

Wieder ließ Marcus seinen Blick über Isabella gleiten, wobei er jede Einzelheit wahrnahm. Unter dem Schatten ihrer Kapuze waren ihre großen, blauen und klaren Augen direkt auf ihn gerichtet. Obwohl sie nun keine Debütantin mehr war, strahlte ihr Gesicht immer noch jugendliche Unschuld aus. Es schien ihm gänzlich unmöglich, sie als eine Frau mit einem endgültig zerstörten Ruf zu sehen.

Einen Augenblick lang empfand er ein grimmiges Vergnügen an ihrem Schicksal. War es Rache oder Bitterkeit oder sogar das Gefühl der Gerechtigkeit? Jedenfalls wünschte er sich unwillkürlich, dass sie unglücklich sein und für ihren Verrat an ihm leiden sollte. Und doch war ganz tief in ihm ein kleiner Funken Mitleid. Du bist ein Narr, sagte er sich. Isabella war eine Hexe, und so verfluchte er diese Gefühlsanwandlung.

„Schlagen Sie Ihre Kapuze zurück“, sagte er unvermittelt.

Isabella rührte sich nicht. Offenbar war sie mehr daran gewöhnt, Befehle zu geben als sie zu erhalten. Aber dann kam sie der Aufforderung nach und schlug die Kapuze ihres Umhangs zurück.

Der Eindruck der Tugendhaftigkeit wurde verstärkt, als Marcus sie richtig sehen konnte. Ihr Gesicht war in der Jugend sehr hübsch gewesen, aber mit den Jahren zur Schönheit gereift. Ihr glattes und feines Haar leuchtete wie dunkles Gold. Es wurde zusammengehalten durch ein einfaches blaues Band. Dichte schwarze Wimpern legten sich auf ihre Wangen. In den Konturen ihres Gesichts fand sich sowohl Schönheit als auch Entschlossenheit. Bei genauerem Hinsehen erkannte Marcus, dass eher innere Stärke von ihren Zügen ausging. Etwas oder jemand hatte ihr Leid zugefügt, und sie hatte gelernt, es auszuhalten, und war daran gewachsen. Darin hatte Marcus selbst Erfahrung. Einen Augenblick lang spürte er eine seltsame Mischung aus Neugier, Schutzbereitschaft und Unmut darüber, dass irgendjemand ihr wehgetan hatte. Die Liebe, die er einst für sie empfunden hatte, war tief verwurzelt gewesen und schwer zu vergessen.

Aber jetzt verwünschte Marcus diese Gedanken, und er verwünschte auch Isabella. Denn er war im Begriff, in dem Augenblick weich zu werden, in dem er rücksichtslos sein musste.

Isabella hob spöttisch fragend eine dunkle Augenbraue. Sofort wurde ihm klar, dass er sie die ganze Zeit angestarrt hatte. Er verspürte den Wunsch, sie zu küssen. Nicht nur das, er wollte mehr.

„Nun?“, fragte sie spitz.

Marcus dachte wehmütig darüber nach, dass sie volle rote Lippen hatte – zum Küssen wie geschaffen –, aber dass ihre Zunge messerscharf war.

Er schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht glauben, dass Sie keine Angebote erhalten würden“, sagte er nachdenklich. „Sie übertreiben sicher.“

„Nein“, gab sie knapp zurück und presste die Lippen aufeinander. Es war offensichtlich, dass sie zu diesem Thema nichts mehr zu sagen hatte.

Marcus tat einen tiefen Atemzug. Er könnte sie jetzt fortschicken. In dem Falle wäre sie vernichtet und würde ihrerseits im Schuldgefängnis schmachten. Beinah wünschte er sich, das zu erleben. Es wäre ausgleichende Gerechtigkeit.

Andererseits könnte er sie heiraten und damit eine andere und viel befriedigendere Form von Vergeltung üben.

Das Hinhalten setzte Isabella sichtlich zu. Marcus empfand Befriedigung darüber, dass sie ihre Ungeduld kaum zügeln konnte. Er musste bei ihr bis an die Grenze der Belastbarkeit gehen, sodass sie sein mögliches Angebot sofort begierig annehmen würde.

Isabella ging hinüber zum Tisch und nahm das Buch auf. Sie hielt den Rücken zum Licht, um den Titel zu lesen. Theoretische Schiffsarchitektur“, las sie laut und fügte hinzu: „Es muss ja auch theoretisch sein, da man mir sagte, dass Sie aller Wahrscheinlichkeit nach den Rest Ihres Lebens hier verbringen werden, Sir.“

Marcus hob eine Augenbraue.

„Also?“, sagte er. „Was wollen Sie damit sagen?“

Sie blitzte ihn mit ihren blauen Augen an. „Ich will damit sagen, dass Sie nach Aussage des Kerkermeisters hohe Schulden haben, mehr als Sie jemals werden zurückzahlen können. Ihre Familie und Freunde sind offenbar nicht gewillt, Ihnen zu helfen. Oder vielleicht …“, sie legte das Buch zurück und fuhr fort, „wissen sie nicht einmal, dass Sie hier sind? Ich vermute, dass Sie deshalb den Namen John Ellis benutzen, als Trostpflaster für Ihren Stolz. Außerdem verhindern Sie damit, dass Ihre Schmach im Ton bekannt wird. Sie wollen natürlich nicht, dass ich irgendjemandem Ihren wahren Aufenthalt mitteile …“

Marcus musste innerlich über ihren Erpressungsversuch lachen. Es schien, dass Isabella vor nichts Halt machte, um ihre Ziele zu erreichen. Aber es gab ein Problem. Sie war mit einigem Glück ziemlich nahe an die Wahrheit herangekommen, hatte indes die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Es war wirklich so, dass niemand von seinem Aufenthalt im Fleet-Gefängnis wusste. Und es stimmte auch, dass niemand es erfahren durfte. Nur saß er nicht wegen Schulden hier ein, sondern war mit einer geheimen Ermittlung betraut. Daher konnte er Isabella nicht gestatten, jedermann zu erzählen, zu welchen Schlussfolgerungen sie gekommen war.

Auf jeden Fall würde er das Spiel nicht nach ihren, sondern nach seinen Regeln machen.

„Sie wollen mich also dazu überreden, meine Meinung zu ändern? Und zwar dadurch, dass Sie meinen Aufenthaltsort geheim halten, wenn ich Sie heirate?“ Er hob eine Augenbraue. „Das scheint mir ein ungleicher Handel zu sein, selbst mit der Aussicht auf Bücher, besseres Essen und Wein, um die bittere Pille zu versüßen.“

Sie schloss die Finger fest um ihr Retikül. Doch ihr Zittern konnte sie nicht verbergen. Es war seltsam, wie ihn das aus der Fassung brachte. Er spürte ihre Verzweiflung, wollte aber kein Mitleid mit ihr empfinden.

Es war ihm gleichgültig, was aus ihr wurde. Er würde und konnte nicht darüber nachdenken.

Isabella beobachtete ihn und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten.

„Sie sind nicht gerade in einer starken Position, um eine Vereinbarung auszuhandeln, oder, Sir?“

„Sie aber auch nicht“, konterte er rasch. „Wie lange würden Sie in einem Loch wie diesem überleben, Isabella? Denn Sie werden mit Sicherheit hier enden, wenn Sie Ihre Schulden nicht bezahlen können.“

Er sah, wie sie erschauerte, aber sie hielt seinem Blick herausfordernd stand. „Meine Lage ist nicht so prekär wie Ihre“, erwiderte sie. „Ich kann einen anderen Heiratskandidaten finden.“

„Einen Kandidaten für Ihre Schulden“, berichtigte er sie. „Stellen Sie die Angelegenheit nicht rosiger dar als sie ist.“

Voller Zorn fragte er sich, warum sie so offensichtlich entschlossen war, sich von ihrem letzten Geld einen Ehemann zu kaufen und ihre Würde preiszugeben. Marcus konnte seine Gefühle gerade noch bändigen, aber Isabella spürte sie trotzdem.

In ihren Augen blitzte ebenfalls Zorn auf. „Gut. Wenn Sie ablehnen, werde ich mir einen anderen Schuldner kaufen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“ Sie trat einen Schritt auf ihn zu.

„Und dann werde ich jedem von Ihrer Schmach erzählen, Sir. Ein Angehöriger des Adels ist wegen seiner Schulden im Fleet-Gefängnis eingekerkert und schämt sich so sehr, dass er lieber seine wahre Identität verbirgt als dass er die Verurteilung durch die Gesellschaft akzeptiert! Ich frage mich, was die Lästermäuler daraus machen. Der Ruf ist etwas so Zerbrechliches, nicht wahr?“

Marcus fasste sie am Handgelenk und drehte sie zu sich herum. „Wenn jemand die Antwort darauf kennt, dann sind Sie es! Was würde der Ton aus einer ruinierten Fürstin machen, die versucht, einen Schuldner zu kaufen, um ihre Haut zu retten?“

Das darauf folgende Schweigen vibrierte förmlich vor Herausforderung. Unter seinen Händen konnte Marcus Isabellas rasenden Puls spüren. Ihre Haut war zart und weich, sie fühlte sich warm und verlockend an. Unwillkürlich umfasste er ihr Handgelenk fester und zog sie zu sich heran. Im nächsten Augenblick würde er sie in seinen Armen halten und ihren Mund mit Küssen bedecken.

Diesmal war es Isabella, die zurückwich und sich so aus seinem Griff befreite. „Ich sehe nicht ein, warum die Angelegenheit noch mehr Zeit in Anspruch nehmen sollte“, sagte sie ungeduldig. „Ich machte Ihnen ein geschäftliches Angebot und warte nun auf Ihre endgültige Antwort. Wenn Sie mich ablehnen, werde ich einfach den nächstbesten Mann hier aufsuchen, der zu dem Handel bereit ist.“

Das war sehr direkt. Marcus konnte sich eine gewisse Bewunderung für sie nicht verkneifen. Und er wusste, dass es ihr nicht schwerfallen würde, einen Kandidaten zu finden. Die Männer würden um das Vorrecht wetteifern, sie zu bekommen. Isabellas Schulden würden dabei keine Rolle spielen. Der Gedanke, dass sie den Heiratshandel mit irgendeinem seiner Zellengenossen abschließen könnte, ließ ihn vor Eifersucht die Zähne zusammenbeißen. Er verwünschte diese Anwandlung, die er einer Trübung seines Urteilsvermögens zuschrieb. Vielleicht war aber auch nur ein elementarer, menschlicher Trieb schuld daran.

„Sie werden unschwer einen Mann finden, wenn Sie es nicht zu genau nehmen“, stieß er hervor. „Es gibt hier genügend hoffnungslose und verzweifelte Männer.“

Endlich hatte er sie an die Grenze ihrer Belastbarkeit gebracht. Er sah genau, wie sich ihre mühsam bewahrte Haltung in Luft auflöste.

„Ich bin genauso verzweifelt, und Sie wissen es!“ Die Worte brachen nur so aus ihr heraus, und sie konnte das Zittern nicht aus ihrer Stimme verbannen. „Ich bin des Kämpfens müde.“ Sie hielt inne, und Marcus sah, wie sie mit äußerster Anstrengung ihre Fassung wiederzuerlangen suchte. Sie wandte sich ab, damit er ihre Verletzbarkeit nicht sehen sollte, und presste die Hände zusammen. „Es führt alles zu nichts“, sagte sie mit fast erstickter Stimme. „Ich glaube, ich sollte gehen.“

Marcus legte seine Hand auf ihren Arm. Er würde nicht zulassen, dass sie sich einem anderen Schuldner für eine Flasche Wein gegen eine rasch unterschriebene Heiratsurkunde anbot. Wenn jemand sie heiraten würde, so wäre es nur er selbst. Und dann würde es ihm ein großes Vergnügen bereiten, den Spieß herumzudrehen und alles einzufordern, was sie ihm schuldete. Sie gehörte ihm, zumindest bis alle Schulden bezahlt waren.

Er sah Isabella an. Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt und schwieg, aber vermeinte er, bis in ihr Herz sehen zu können.

„Ich werde es tun“, sagte er ruhig. „Ich werde Sie heiraten.“

3. KAPITEL

Als Isabella siebzehn war, hatte sie davon geträumt, Marcus Stockhaven zu heiraten. Die tatsächliche Hochzeit mit ihm jedoch war nicht der Stoff, aus dem Träume gemacht werden. Um dem Anlass zu genügen, hatte Marcus zwei Schillinge an einen Mitgefangenen gezahlt, um sich ein sauberes Hemd auszuleihen. Aber es fand sich nicht einmal heißes Wasser zum Rasieren. Die Kapelle war düster, und kein Blumenschmuck hellte die Atmosphäre auf. Es gab keine Gäste und keinen Hochzeitstanz. Kurz, es war eine erbärmliche Angelegenheit.

Den Priester musste man mit Bestechung von seiner Weinbrandflasche weglocken. Auf die Sondergenehmigung schaute er nur mit mildem Interesse, mit weitaus größerem Eifer jedoch auf die fünfzig Guineen, die Isabella ihm für seine Mitwirkung anbot.

Marcus hingegen prüfte die Sondergenehmigung genau, während sie vor dem Altar in der Gefängniskapelle standen. Er hob die Brauen in leichtem Erstaunen.

„Wer ist Augustus Ambridge?“, fragte er, und eine Spur Schärfe war in seinem Ton. „Als Ihr zukünftiger Ehemann habe ich sicher das Recht, das zu erfahren.“

„Oh“, erwiderte Isabella in einiger Verwirrung. Sie hatte vergessen, dass sie den Namen eines Bräutigams hatte nennen müssen, um die Heiratslizenz überhaupt zu erhalten. Dabei hatte sie den ersten Namen gewählt, der ihr in den Sinn kam. Besagter Augustus Ambridge hatte in den zwei Jahren ihrer Witwenschaft um sie geworben. Seine Absichten waren jedoch keineswegs ernsthaft gewesen.

„Er ist … ein Freund“, antwortete sie dann.

Eine steile Falte erschien zwischen seinen Brauen. „Ein Freund? Aha.“

„Nicht die Art Freund, an die Sie denken“, erwiderte sie schnell. Sie hatte das Gefühl, sich irgendwie verteidigen zu müssen, obwohl sie ihm eigentlich keine Erklärung schuldete. Er sollte ja nur ihr abwesender Ehemann sein, und unter den gegebenen Umständen ging es ihn nichts an, wie sie sich verhielt. Außerdem konnte er ohnehin nichts ändern. Aber da war etwas in seinem ruhigen dunklen Blick, der sie zur Ehrlichkeit zwang.

Das war immer so gewesen, und dieses Gefühl bereitete ihr Unbehagen.

„Er ist nur ein Bekannter“, sagte sie. „Einer von vielen Bekannten.“

„Aha“, sagte er wieder, und Isabella biss sich auf die Zunge, um nicht in allen Einzelheiten erklären zu müssen, welcher Art die Beziehung war. Das entsprach nämlich nicht ihren Prinzipien. Niemals klagen und nichts erklären, das waren die Grundsätze der Aristokratie, die sie sich zu eigen gemacht hatte.

Sie blickte Marcus an und sah die harte Linie seines Mundes und den abweisenden Blick in seinen Augen. Dabei fragte sie sich, wie ein solcher Mann im Fleet-Gefängnis enden konnte. Wenn Ernest so etwas passiert wäre, dann hätte sie das überhaupt nicht überrascht. Ernest war schwach, Marcus jedoch stark; Marcus war einfühlsam und verständnisvoll, während Ernest niemals auch nur einen Funken Gefühl gezeigt hatte. Allerdings konnten zwölf Jahre manche Änderungen in einem Menschen bewirken. Sie durfte nicht vergessen, dass sie nicht wusste, wie er jetzt war.

Isabella glättete sorgsam ihren Umhang, um ihre Erregung zu verbergen und sich von dem Gedanken abzulenken, dass sie im Begriff war, einen sehr großen Fehler zu machen. Sie hatte lediglich vorgehabt, kurz zu heiraten und schnell wieder zu gehen. Dabei wollte sie ihrem Ehemann völlig fremd bleiben. Aber sie hatte ihre eigenen Regeln schon gebrochen, war bereits tiefer beteiligt, als sie es je vorhatte.

„Sie können sehen, dass ich den Namen meines Bekannten durchgestrichen habe“, sagte sie und wies auf das Dokument, um einen sachlichen Ton bemüht. Er durfte niemals merken, wie aufgewühlt sie war!

„Sodass ich meinen Namen einsetzen kann?“, fragte er und fügte mit finsterem Blick hinzu: „Das dürfte die Rechtmäßigkeit der Angelegenheit unterstreichen.“

Isabella entwand ihm das Dokument und händigte es dem Priester aus. „Das Dokument ist rechtlich einwandfrei, und für weitere hundert Pfund wird die Eheschließung ordnungsgemäß im Register eingetragen. Die Heiratsurkunde wird ausreichen, um meine Gläubiger zufriedenzustellen.“

Marcus nahm den Federhalter vom Tisch und schrieb seinen Namen über den von Augustus Ambridge auf die Lizenz. Obwohl dieser Name schon durchgestrichen war, machte er ihn mit einer dicken schwarzen Linie noch deutlicher ungültig. Marcus’ Gesichtsausdruck war grimmig, und Isabella begann, den Mut zu verlieren. Plötzlich erschien ihr das alles schrecklich falsch, und sie war gar nicht mehr sicher, dass sie die Angelegenheit würde zu Ende bringen können. Zitternd presste sie die Arme an ihren Körper, um sich etwas zu beruhigen.

„Haben Sie ein Blatt Papier?“, fragte Marcus den Priester.

Der alte Mann fuhr erschreckt zusammen, als ob Marcus um ein unmögliches Privileg gebeten hatte. Dann aber trottete er zu der düsteren und unansehnlichen Kapelle und kam zurück mit einem Blatt rauen Pergaments. Er händigte es Marcus mit einem Blick aus, der erkennen ließ, dass eine erneute Summe Geldes jetzt angebracht wäre. Isabella seufzte und gab ihm zwei Schillinge, die sofort in seiner Tasche unter dem schmutzigen Chorgewand verschwanden.

Marcus tauchte die Feder in das Tintenfass und kritzelte ein paar Zeilen. Dann löschte er das Geschriebene mit Sand und händigte es Isabella aus.

„Nehmen Sie dies. Ich möchte nicht, dass irgendetwas unklar bleibt.“

Isabella runzelte die Stirn, als sie den Text las. Marcus hatte geschrieben, er sei bereit, die volle Verantwortung für die Schulden, die im Namen seiner Frau aufgelaufen waren, zu übernehmen. Wenn es irgendetwas gab, das Isabella noch erbärmlicher und geldgieriger hinstellte, als dies jetzt schon der Fall war, so waren es diese paar Zeilen. Sie unterstrichen den geschäftlichen Charakter der Vereinbarung in einer Weise, die keinen Raum für Gefühl ließ.

„Trauzeugen?“, sagte Marcus mit deutlicher Ungeduld in seiner Stimme.

Isabellas Mut sank noch mehr. Das war das Einzige, was sie nicht bedacht hatte.

„Ich hatte nicht gedacht …“, begann sie und sah über ihre Schulter. Der Kerkermeister stand mit erwartungsvollem Gesicht hinter ihnen. Er dachte sicher, dass noch ein paar Pfund für ihn dabei herausspringen würden, wenn er als Trauzeuge fungierte und später über den gesamten Vorgang Schweigen bewahrte. Ein verzweifeltes Lachen drohte in ihr hochzukommen. Eine Hochzeit im Fleet-Gefängnis mit einem Kerkermeister als Trauzeugen und einem Priester, der halb betrunken war von dem Weinbrand, den sie ihm als Teil der Bestechung mitgebracht hatte. Konnte eine Hochzeit unter einem ungünstigeren Stern stehen? Isabella schlug die Hand vor den Mund, um das Lachen zu unterdrücken.

Der Kerkermeister rieb die Handflächen an seiner schmutzigen Hose, pfiff nach einem der anderen Wärter und trat auf den Wink des Priesters an die kleine Gruppe heran. Marcus nahm Isabellas Hand. Seine Berührung war unpersönlich, und doch zuckte etwas Unbestimmtes durch ihr Bewusstsein – wie eine Flamme, die den Zunder entfacht. All ihre Aufmerksamkeit richtete sich plötzlich nur auf Marcus. Sie wollte ihm fast ihre Hand entziehen, so stark war ihre Reaktion auf seine Berührung. Sie wusste, dass er ihr Zittern spürte, und kam sich jetzt so verwundbar vor, als ob sie nackt dastünde. Mit einem Schlag fühlte sie sich diesem Mann völlig ausgeliefert, und das war etwas, was sie nicht vorausgesehen hatte.

Die Trauungszeremonie begann. Es schien Isabella, als ob der Vorgang möglichst schnell beendet werden sollte. Eine Trauung im Fleet-Gefängnis war nie eine lange und sehnsuchtsvoll romantische Angelegenheit. Da gab es keine zart ineinander verweilenden Blicke zwischen Braut und Bräutigam, kein verständnisvolles Lächeln des Geistlichen. Stattdessen herrschte gespanntes Schweigen, das nur von den gemurmelten Worten des Geistlichen und den Erwiderungen der Brautleute unterbrochen wurde. Marcus’ Antwort kam entschlossen und sofort, während Isabella ihr Ehegelübde zögernd äußerte. Sie geriet sogar einmal ganz ins Stocken, da sie durch die Erinnerung an ihre erste Eheschließung zwölf Jahre zuvor eingeholt wurde. Marcus schien dies zu spüren und umschloss ihre Hand fester, während er sich Isabella zuwandte. Isabella rechnete mit Ungeduld in seinen Augen, aber als sie ihn ansah, betrachtete er sie mit einer seltsam nachdenklichen Anteilnahme. Sie raffte all ihren Mut zusammen, straffte sich und wiederholte ihr Gelübde mit festerer Stimme.

„Haben Sie den Ring?“, fragte der Priester.

Isabella schüttelte den Kopf. Sie hatte nicht daran gedacht, dass ein Ring nötig sein würde. Da sie überdies ihren gesamten Schmuck verpfändet hatte, um einige ihrer Schulden abzutragen, hätte sie ohnehin keinen mitbringen können. Sie hörte, wie Marcus resigniert seufzte. Aber einen Augenblick später streifte er seinen Siegelring vom Finger und legte ihn auf die aufgeschlagenen Seiten des Psalters. Isabella warf ihm einen gequälten Blick zu.

„Sie können mir doch nicht Ihren Siegelring geben!“, rief sie verzweifelt.

Er zeigte sich jedoch unbeeindruckt. „Dies ist weder die Zeit noch der Ort für eine Diskussion.“

„Aber ich …“

Marcus beachtete sie nicht und wandte sich wieder an den Priester. „Fahren Sie fort.“

Er nahm den Ring und steckte ihn Isabella behutsam an den Finger, so als ob er sie beschützen wollte. Isabella spürte das Schmuckstück warm und schwer an ihrer Hand, es war für sie zu groß. Sie drehte es an ihrem Finger. Der goldene Ring trug eine deutliche Inschrift aus vier miteinander verschlungenen Buchstaben: M … J … E … S … Mit dem Finger zeichnete sie die Linien nach.

Sie hatte das Gefühl, dass es vollkommen falsch und viel zu persönlich war, Marcus’ Siegelring zu nehmen, da sie doch nichts anderes wollte als seinen Namen auf einem Stück Papier.

Der Priester steckte das Book of Common Prayer unter den Ärmel seines schmutzigen Chorgewandes. Er schob Isabella die schon ausgefertigte Heiratsurkunde zu und wartete ungeduldig auf seine Gebühren. Isabellas Finger zitterten, während sie das Dokument sorgfältig zusammenfaltete und dann in ihr Retikül steckte. Das Papier versprach ihr Freiheit. Aber als Marcus nun ihre Hand losließ, fühlte sie sich einsamer und unglücklicher als jemals zuvor.

Er beobachtete sie. Isabella glaubte, eine Spur spöttischer Belustigung in seinen Augen wahrzunehmen. Zweifellos fand er ihre missliche Lage komisch: Die skandalumwitterte Fürstin Di Cassilis war tatsächlich gezwungen, einen Schuldner zu heiraten …

„Nun?“, sagte Marcus.

Autor

Nicola Cornick

Die britische Schriftstellerin Nicola Cornick schreibt überwiegend Liebesromane, die in der Zeit des britschen Regency spielen. Sie ist aktives Mitglied der britischen “Romantic Novelists’ Association”, zudem erhielt sie zahlreiche Preise unter anderem den RITA-Award. Ihr erstes Buch wurde 1998 von Mills & Boon veröffentlicht. Sie zählt zu den Bestseller-Autoren der...

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