Romana Exklusiv Band 388

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LIEBE BIS ZUM HORIZONT von SCARLET WILSON

Seit Ewigkeiten freut Lara sich auf die Kreuzfahrt mit ihrem Freund – und dann ist plötzlich Schluss! Aber sie bleibt nicht lange allein, denn der attraktive Reuben geht mit ihr an Bord. Meint er es ernst, oder steht Laras Herz kurz davor, zum zweiten Mal gebrochen zu werden?

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  • Erscheinungstag 31.05.2025
  • Bandnummer 388
  • ISBN / Artikelnummer 9783751532983
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Scarlet Wilson, Michelle Douglas, Lindsay Evans

ROMANA EXKLUSIV BAND 388

Scarlet Wilson

1. KAPITEL

Die Tür ging auf, und Lara hievte schluchzend ihren schweren Koffer über die Türschwelle. Draußen goss es in Strömen.

Addison starrte sie entgeistert an. „Lara! Um Himmels willen …?“ Sie schloss die Tür hinter ihr und streichelte ihr über den Arm. „Was ist passiert?“

Lara wusste, dass der Zeitpunkt denkbar ungünstig war, bei Addison hereinzuplatzen. Die Ärmste hatte gerade selbst genug um die Ohren, wenngleich sie es sich nicht anmerken ließ. In den wenigen Monaten, seit Lara als Kindermädchen bei ihr arbeitete, hatten sich tiefe Sorgenfalten in ihre ansonsten makellose Stirn gegraben. Doch ein anderer Zufluchtsort war Lara nicht eingefallen.

Sie atmete zittrig durch, dann purzelten die Worte nur so aus ihr heraus. „Mir ist es gerade ergangen wie der Heldin in Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht.“ Unvermittelt brach sie in Tränen aus.

„Was?“ Addison hatte keine Ahnung, was Lara meinte.

„Ich habe eine U-Bahn früher erwischt und war zeitiger zu Hause, als Josh erwartet hat.“ Ihre Stimme bebte.

„Und?“

„Er lag mit unserer Nachbarin im Bett.“ Lara schwankte. Addison packte sie am Arm, führte sie in die Küche und verfrachtete sie auf einen Stuhl. „Es tut mir so leid, dass ich störe, Addison! Du willst ja gleich in den Urlaub starten. Nur wusste ich nicht, wohin ich sonst gehen kann.“

Addison schaltete die Kaffeemaschine ein. „Diese Kanaille! Wie kann er es wagen? Du hältst ihn seit Monaten frei, zahlst die Miete ganz alleine …“ Sie holte zwei Tassen aus einem Schrank und sah Lara prüfend an. „Was hast du jetzt vor?“

Lara zögerte. „Ich weiß, du reist in wenigen Stunden ab und hast gerade keine Zeit für mich und meine Probleme …“

Nach außen hin wirkten Addison und Caleb Connor wie ein perfektes Ehepaar, tatsächlich aber hing der Haussegen gründlich schief. In den vergangenen Wochen war Addison ungewöhnlich schweigsam gewesen und Caleb hatte sich zu Hause rar gemacht. Lara nahm an, dass der bevorstehende Urlaub die Entscheidung bringen würde, wie es mit der Ehe weiterging – und mit Tristan, dem Sohn der beiden, dem Traum eines jeden Kindermädchens, ein freundlicher kleiner Mann mit bezauberndem Lächeln.

„Ich habe gedacht … könnte ich vielleicht in den nächsten Wochen in eurem Haus wohnen? Nur bis ich weiß, wie es weitergehen soll und ich eine neue Bleibe finde.“

Addison zögerte keine Sekunde. „Natürlich kannst du das, das ist überhaupt kein Problem. Hier hast du wenigstens Ruhe, um ungestört über alles nachzudenken.“ Sie betätigte einige Tasten der Kaffeemaschine. „Extra stark?“, fragte sie, und Lara nickte.

Wenig später dampfte heißer Kaffee in den Bechern, und Allison hielt zwei Sirupflaschen hoch. „Lebkuchen oder Karamell?“

„Wodka!“, entfuhr es Lara, dann riss sie sich zusammen. „Karamell, bitte.“

Addison goss eine großzügige Portion Sirup in Laras Kaffee, ehe sie ihrem einen winzigen Schuss hinzufügte. „Was wird denn aus deiner Reise?“, fragte sie besorgt.

„Oh, nein!“ Die hatte Lara ganz vergessen. Mutlos ließ sie den Kopf auf die Tischplatte sinken.

Ermutigend drückte Addison ihr die Hand. „Lass sie dir nicht vermiesen. Du freust dich schon das ganze Jahr darauf und hast sie dir wirklich verdient. Versuche, in den kommenden zwei Wochen mit dir ins Reine zu kommen, danach kannst du deinen Urlaub in vollen Zügen genießen.“

„Alleine?“ Die Lust auf die Reise, der sie seit Monaten entgegenfieberte, war Lara gründlich vergangen. Was sollte sie ohne Begleitung auf einer Kreuzfahrt anfangen?

„Wieso nicht? Du hast lange dafür gespart. Deinen Spaß kannst du auch ohne Mann haben.“ Addison reichte Lara eine Tasse und nahm ihre in die Hand. „Ich muss noch fertig packen. Kommst du zurecht?“

Sie wirkte angespannt, doch Lara wagte es nicht, sie darauf anzusprechen. So freundlich Addison auch war, stets wahrte sie eine gewisse Distanz. Lara war schließlich nur eine Angestellte, Tristans Kindermädchen. Die Probleme seiner Eltern gingen sie nichts an. „Ich denke schon. Vielen Dank, Addison. Ich verspreche auch, gut auf dein Haus aufzupassen.“

„Das weiß ich doch. Du kannst mich übrigens weder per Telefon noch per Mail erreichen. An dem Ort, an den wir fahren, gibt es kein Internet und auch keinen Handyempfang.“ Sie lächelte traurig. „Dir geht es bestimmt bald besser, Lara. Du wirst dich noch wundern, wie stark du sein kannst, wenn du musst. Josh ist deiner nicht wert. Die Welt braucht gute Menschen wie dich. Sei nett zu dir selbst.“ Sie nickte ihr aufmunternd zu und ging aus der Küche.

Lara atmete tief durch, sah sich in der pieksauberen, hochmodernen Küche um und ließ den Kopf zurück auf die Tischplatte sinken.

Sie hatte ganze zwei Wochen Zeit, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Es war schon beinahe Mitternacht, als Reuben leise fluchend versuchte, den Schlüssel ins Schloss zu schieben. Den letzten Drink hätte er sich besser gespart! Doch nach sechsstündiger Flugverspätung und einem heftigen Anfall von Jetlag hatte er noch etwas essen wollen. Die Küche im Pub seiner Wahl war zwar bereits geschlossen gewesen, dafür lief auf dem großen Fernseher ein Fußballspiel. Er hatte sich die Übertragung angesehen und dazu etwas getrunken – etwas zu viel.

Endlich traf er das Schloss, drehte den Schlüssel um und fiel geradezu mit der Tür ins Haus. Mühsam rappelte er sich wieder hoch und tastete nach dem Lichtschalter. Wann war er eigentlich zum letzten Mal in Calebs Villa gewesen? Es war bestimmt schon ein Jahr her. Addison hegte eine nicht ganz unbegründete Abneigung gegen ihn.

Als er selbst nach längerem Suchen keinen Schalter fand, gab er auf. Vage erinnerte er sich, dass sich die Küche zu seiner Rechten befand, das Wohnzimmer, das auf die vornehme Londoner Straße hinaus ging, lag links. Dorthin wollte er gehen, es sich auf dem Sofa bequem machen und noch ein wenig fernsehen.

Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er hielt inne und lauschte mit angehaltenem Atem. Die Connors waren verreist, das wusste er genau. Deswegen hatte sein Freund Caleb ihm ja sein Haus angeboten, bis die Reparaturarbeiten am Dach seines eigenen abgeschlossen waren.

Konzentriert horchte Reuben, doch alles blieb still. Erleichtert stellte er seine Reisetasche ab, ging auf die Wohnzimmertür zu, die sich schemenhaft in der Dunkelheit abzeichnete, und öffnete sie. Er freute sich schon darauf, sich auf dem Sofa auszustrecken.

Doch irgendetwas stimmte nicht. Wäre sein Verstand nicht durch Jetlag und Alkohol getrübt gewesen, hätte er sofort den flackernden Bildschirm, die halb geleerte Weinflasche, die über den Couchtisch verstreuten Süßigkeiten und die Bettdecke auf dem Sofa bemerkt.

Stattdessen nahm er aus dem Augenwinkel heraus lediglich eine Bewegung wahr. Plötzlich schmerzte sein Hinterkopf entsetzlich, gleich darauf lag er auch schon rücklings auf dem Boden und über ihm tauchte wie aus dem Nichts ein pinkfarbenes flauschiges Etwas auf. Dann sah er nur noch schwarz.

Lara schlug das Herz bis zum Hals, sie rang keuchend nach Luft. Gerade hatte sie noch auf der Couch liegend das Samstagabendprogramm an sich vorbeiziehen lassen, als plötzlich Schritte im Flur zu hören waren. Von zahllosen Krimis inspiriert, hatte sie sich den erstbesten schweren Gegenstand geschnappt. Jetzt lag Calebs Pokal zerbrochen auf dem Boden, direkt neben dem ganz in Schwarz gekleideten Einbrecher.

Mit bebenden Händen griff sie nach dem Telefon und wählte den Notruf.

„Hier ist ein Einbrecher. Ich habe ihn niedergeschlagen.“

„Wie heißen Sie?“

„Lara Callaway.“

„Ihre Adresse?“

Lara nannte sie.

„Wo befindet sich der Eindringling?“

Sie musste schlucken. „Er liegt zu meinen Füßen.“

„Schweben Sie in Gefahr?“

„Ich glaube nicht. Er ist bewusstlos.“

„Können Sie nachsehen, ob er noch atmet, ohne sich in Gefahr zu begeben?“

Lara kniete sich neben den Mann. Im flackernden Licht des Bildschirms konnte sie sehen, wie sich seine Brust langsam hob und senkte. Überrascht registrierte sie, wie gut er aussah – gar nicht finster und gemein.

Als er stöhnte, sprang sie erschrocken auf. „Ja, er atmet. Ich glaube, er wacht gerade auf.“

„Begeben Sie sich an einen sicheren Ort. Die Polizei ist schon unterwegs und wird in zwei Minuten eintreffen. Ich schicke auch einen Krankenwagen. Nehmen Sie das Telefon mit. Wenn Sie sich fürchten, sprechen Sie mit mir.“

Lara lief zur Haustür. Ihr schwindelte von dem Wein, den sie getrunken hatte. Selber schuld, dachte sie. Das Haus der Conners verfügte über eine moderne Alarmanlage – sie hatte sie auf dem Weg ins Bett einschalten wollen.

Wie seltsam! schoss es ihr durch den Kopf, als sie bemerkte, dass die Haustür abgeschlossen war. Wie war der Einbrecher nur ins Haus gelangt? Da blitzte draußen schon Blaulicht auf, und sie seufzte erleichtert.

So schlimm war der Jetlag ja noch nie, dachte Reuben.

„Sir, machen Sie die Augen auf.“

Und wieso ist das Bett so hart?

„Sir?“

„Autsch!“ Irgendjemand zwickte kräftig in seinen Arm. Er fuhr hoch und schwankte. So übel hatte er sich zum letzten Mal vor zehn Jahren gefühlt, als er beim Fußball k. o. geschlagen worden war.

Vorsichtig öffnete er die Augen und sah zwei Polizisten, einen männlichen und einen weiblichen Sanitäter und eine Blondine im pinkfarbenen Plüschanzug, die einem riesigen Teddybären zum Verwechseln ähnlich sah.

Stöhnend fasste er sich an den Hinterkopf. „Was ist denn hier los? Und wer, zum Teufel, sind Sie?“, wandte er sich an die pinkfarbene Erscheinung.

Die Frau sah ihn entrüstet an. „Ich? Wer sind denn Sie? Sie sind in mein Haus eingebrochen!“

„Moment mal. Sie sind nicht Addison, also ist das nicht Ihr Haus.“ Mühsam stand er auf. „Und ein Einbrecher bin ich auch nicht, ich habe einen Schlüssel …“ Er zog ihn aus der Hosentasche. „Ich wohne hier nämlich für einige Tage. Also, wer sind Sie?“

„Würden Sie sich bitte ausweisen, alle beide?“, sagte einer der Polizisten.

„Ich bin noch nicht fertig mit ihm“, widersprach die Sanitäterin. Sie leuchtete Reuben mit einer winzigen Lampe in die Augen und nickte. „Die Pupillen sind gleich groß und reagieren.“

Während sie ihre Untersuchungsergebnisse auf einem Block notierte, zückte Reuben seine Brieftasche und reichte dem Polizisten seinen Pass. „Reuben Tyler. Ich komme gerade aus Los Angeles. Mein Haus wurde bei dem Wirbelsturm kürzlich beschädigt und wird gerade repariert.“ Er blickte sich nach dem Teddy um. Die Frau war eigentlich ganz süß, wenn man mal von dem grässlichen Anzug absah. „Der Besitzer dieses Hauses ist ein Freund. Er macht gerade mit seiner Familie Urlaub und hat mir angeboten, während der Arbeiten hier zu wohnen.“

„Und Sie sind …?“, fragte der Polizist die junge Frau, die nervös von einem Fuß auf den anderen trat.

»Lara Callaway, das Kindermädchen der Connors.»

Reuben fiel ein, dass Caleb kürzlich eine neue Nanny erwähnt hatte.

„Die Connors werden mir das sicher bestätigen“, meinte der Polizist.

„Das wird schwierig. Derzeit fliegen sie über den Atlantik, und an ihrem Urlaubsort gibt es weder Telefon noch Internet. Sie glauben diesem Mann doch nicht etwa? Ich habe ihn noch nie gesehen. Bestimmt hätte Mrs. Connor ihn mir gegenüber erwähnt?“

Reuben seufzte entnervt und sah sich um. Sein Blick fiel auf ein gerahmtes Foto auf dem Kaminsims. Er holte es und zeigte es dem Polizisten. „Hier haben Sie den Beweis. Das sind Caleb und ich bei einer Preisverleihung vor fünf Jahren. Und …“ Er zog sein Handy aus der Hosentasche. „… da ist die SMS, in der er mir erklärt, wie ich die Alarmanlage ausschalte.“

Triumphierend lächelte er der Frau in Pink zu. Dabei registrierte er ihre sexy Rundungen, die der lächerliche Overall betonte. „Von einem Kindermädchen hat er nicht gesprochen. Ich sollte das Haus für mich allein haben. Und dass Caleb ohne Telefon und Internet leben kann, glaube ich nicht. Er kann zumindest nichts davon gewusst haben.“

Reuben hoffte inständig auf eine schnelle Klärung der Situation, denn sein Kopf schmerzte unerträglich. Er musste sich dringend hinlegen – und zuvor einen Happen essen.

„Ich arbeite erst seit sechs Monaten hier. Addison – Mrs. Connor – hat mir kurzfristig gestattet, die nächsten Wochen hier zu wohnen, da ich … private Probleme habe“, stammelte die junge Frau, die sich nun sichtlich unwohl in ihrer Haut fühlte.

Kein Wunder, bei diesem Outfit, dachte Reuben amüsiert. Und dann hatte er sie auch noch bei einem Festmahl aus Süßigkeiten und Wein überrascht!

„Was für Probleme?“, hakte er sofort ein. „Haben Sie deswegen versucht, mir den Schädel einzuschlagen mit …“ Er sah sich um und entdeckte auf dem Boden die Scherben der Marmor- und Goldtrophäe von dem Foto. „Sie haben mich mit dem Geschäftsmann des Jahres geschlagen? Da wird Caleb aber sauer sein!“ Er deutete auf das Foto, auf dem sein Freund den Pokal in Händen hielt.

Betroffen senkte sie den Blick. „Ich dachte, Sie sind ein Einbrecher, und wusste mir nicht anders zu helfen.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Beruhigend tätschelte einer der Polizisten ihren Arm. „Wir verstehen schon. Dennoch kann Mr. Tyler Sie wegen Körperverletzung verklagen.“

Sie wankte, als würden die Knie unter ihr nachgeben.

„Das tue ich bestimmt nicht, und das mit dem Pokal müssen Sie mit Caleb klären“, warf Reuben hastig ein. „Haben Sie unsere Personalien inzwischen überprüft? Sind wir jetzt endlich fertig?“

„Sie müssen sich im Krankenhaus durchchecken lassen, immerhin waren Sie ohnmächtig“, meldete sich die Sanitäterin zu Wort.

„Ganz bestimmt nicht!“ Beim Kopfschütteln wurde Reuben sofort wieder schwindlig.

„Eine Kopfverletzung kann schlimme Folgen haben. Wir nehmen Sie mit. Es dauert auch nicht lange.“

„Samstagnachts in London? Das halte ich für ein Gerücht!“ Reuben winkte ab. „Mir geht’s gut. Sie haben selbst gesagt, dass meine Pupillen gleich groß sind. Alles ist bestens. Ich bin lediglich erschöpft von der Reise, möchte essen und schlafen.“

Die Sanitäterin warf ihrem Kollegen einen skeptischen Blick zu. „Manchmal treten die Symptome erst nach Stunden auf.“

„Ich gehe nicht ins Krankenhaus“, schaltete Reuben auf stur.

„Das müssen Sie mir schriftlich geben“, lenkte die Sanitäterin ein. „Ich untersuche Sie noch einmal, und es muss jemand bei Ihnen bleiben, der Sie notfalls später ins Krankenhaus fährt.“

Reuben atmete auf. „Das tut Ms. Callaway sicher gerne.“

„Ich? Nein!“ Die junge Frau packte einen der Polizisten am Arm. „Er kann nicht hiebleiben, ich kenne ihn doch nicht. Ich will nicht mit einem Fremden allein sein!“

„Können Sie vielleicht anderswo unterkommen?“, schlug der Beamte vor.

„Nein.“ Jetzt wirkte sie geradezu panisch.

Reuben war mittlerweile zu erschöpft, um sich anderswo ein Bett zu organisieren, und er sah sich auch nicht dazu verpflichtet.

„Setzen Sie sich, damit ich Sie untersuchen kann“, wies ihn die Sanitäterin an.

Erleichtert ließ er sich auf das ausladende Sofa sinken. Beim Anblick der Süßigkeiten auf dem Tisch knurrte sein Magen, und der verlockende Duft von Chips stieg ihm in die Nase.

Die Sanitäterin checkte ihn erneut durch und reichte ihm dann ihr Klemmbrett samt Stift. „Unterschreiben Sie hier.“

Reuben kritzelte seinen Namen hin und nahm den Flyer entgegen, den sie ihm reichte.

„Sobald Sie eines der aufgezählten Symptome bemerken, begeben Sie sich umgehend in die nächste Notaufnahme“, wies sie ihn streng an, ehe sie mit ihrem Kollegen zur Haustür ging. Die beiden Polizisten folgten ihnen, und die Teddyfrau sah ihnen erschrocken hinterher.

„Aber …“

„Glauben Sie mir, alles wird gut. Gute Nacht“, verabschiedete sich der eine Beamte.

Reuben verriegelte die Tür. Seine Beine waren bleischwer, sein Kopf schmerzte höllisch. Erschöpft kehrte er ins Wohnzimmer zurück, ließ sich aufs Sofa fallen, griff nach einem Schokoriegel und der Fernbedienung.

Die Teddyfrau stand immer noch da wie versteinert.

Er grinste. „Jetzt sind wir also nur noch zu zweit.“

2. KAPITEL

Das kann doch alles nicht wahr sein! schoss es Lara durch den Kopf. Vor einer Stunde hatte sie noch bei Wein und Schokolade ihren Lieblingsfilm gesehen, jetzt schien der Terminator leibhaftig in ihr Leben getreten zu sein.

Er sprach allerdings mit ausgeprägtem irischen Akzent, und äußerlich ähnelte Reuben Tyler dem Schauspieler Arnold Schwarzenegger auch nicht. Er war durchtrainiert, aber kein Bodybuilder, und sah ausgesprochen gut aus. Obendrein waren seine schwarze Jeans und die Lederjacke viel zu schick für einen Einbrecher.

„Laufen Sie eigentlich immer herum wie ein Teddybär?“, fragte er unvermittelt.

„Was?“ Lara sah an sich herab. In der Aufregung hatte sie ganz vergessen, dass sie ihren Lieblingsschlafanzug trug. „Ich war nicht auf Besuch eingerichtet“, entfuhr es ihr.

„Das ist nicht zu übersehen.“ Um seine Mundwinkel zuckte es.

Wenigstens hat er Humor, dachte sie und betrachtete ihn verstohlen. Wenn er nicht wütend war, wirkte er sogar ausgesprochen sexy mit seinen markanten Zügen, dem dichten dunklen Haar, der sonnengebräunten Haut, die einen starken Kontrast zu dem weißen T-Shirt bildete, und den schokoladenbraunen Augen, die gewiss schon zahlreiche Frauenherzen gebrochen hatten.

Wie kommst du denn darauf? fragte sie sich verblüfft. Sie wusste schließlich nichts von ihm.

„Sie können unmöglich hierbleiben. Addison hat mir versprochen, dass ich das Haus für mich habe.“ Vermutlich hatte ihre Chefin nichts von dem Gast ihres Mannes gewusst. Obwohl Lara keine Angst mehr vor ihm hatte, war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, das Haus mit einem Fremden zu teilen.

Reuben war das offensichtlich egal. Er schnappte sich den nächsten Schokoriegel und kaute genüsslich. „Sie sollten sich lieber Gedanken wegen des zertrümmerten Pokals machen. Caleb hing sehr daran.“

Erschrocken sah Lara auf den Boden, wo die in dreißig Teile zerbrochene Trophäe lag. Kein Kleber der Welt konnte sie wieder zusammenfügen. Aufstöhnend ließ sie sich in den nächsten Sessel sinken. „Was soll ich nur tun?“

Er setzte sich auf, schüttelte den Kopf und stöhnte. „Haben Sie zufällig ein Schmerzmittel da?“

„Kommen Sie mit in die Küche.“ Sie ging ihm voraus und machte im Flur eine kleine Handbewegung. Plötzlich ging Licht an.

„Wie haben Sie das gemacht? Ich habe vorhin vergeblich nach dem Lichtschalter gesucht.“

„Das ist eine von Calebs neuesten Erfindungen, ein berührungsloser Schalter. Auf Lichtschaltern und Türgriffen befinden sich immer sehr viele Keime.“ Es kam ihr geradezu surreal vor, eine ganz normale Unterhaltung mit dem Mann zu führen, den sie eben noch für einen Einbrecher gehalten hatte. Vielleicht träumte sie ja nur? Aussehen tat Reuben Tyler definitiv wie ein Traummann.

Dass sie nicht träumte, bewies ihr gleich darauf der Schmerz, als sie sich den Zeh am Türrahmen stieß. Humpelnd holte sie aus einer Schublade Tabletten und füllte ein Glas mit Wasser. „Hier, nehmen Sie das. Das mit Ihrem Kopf tut mir leid.“

Reuben hatte sich inzwischen auf einen Stuhl am Küchentisch gesetzt. „Ich werde drüber wegkommen.“ Sein eindringlicher Blick vermittelte Lara das Gefühl, er könnte durch ihren pinkfarbenen Schlafoverall hindurchsehen.

„In den Obergeschossen gibt es mehrere Gästezimmer. Ich schlafe auf der zweiten Etage, daher wäre es mir lieb, sie nähmen sich eines auf der dritten. Addison, Caleb und Tristan haben ihre Zimmer im ersten Stock.“

„Sie verbannen mich also ins Dienstbotenquartier.“

„Aber nein!“

„Wissen Sie denn nicht, dass die Dienstboten früher immer im Dachgeschoss untergebracht waren?“

Lara rümpfte die Nase. „In Geschichte war ich nie gut, aber Erdkunde mochte ich. Außerdem sind die Räume oben sehr schön. Sie werden sich wohlfühlen.“

Reuben betrachtete sie immer noch, als wollte er sich ein genaues Bild von ihr machen, und seine Augen funkelten amüsiert. Er schluckte die Tabletten und leerte das Glas. „Vielleicht mache ich es mir lieber auf dem Sofa gemütlich – mit Ihren Süßigkeiten. Wollten Sie das ganze Zeug wirklich allein essen?“

Lara setzte gerade zu einer Erklärung an, als sie das herausfordernde Glitzern in seinen Augen bemerkte. „Genau das hatte ich vor. Und Sie schulden mir etwas – Sie haben einen meiner Lieblingsschokoriegel gegessen!“ Spielerisch drohte sie ihm mit dem Finger. „Wenn Sie sich noch einmal an meinen Sachen vergreifen, wird Ihnen mehr weh tun als nur der Kopf.“

Zu ihrer Überraschung lachte er laut auf, gleichzeitig knurrte sein Magen. „Sie hören es selbst, ich verhungere fast.“ Er stand auf und betrachtete verwirrt die moderne weiße Küchenfront. „Gibt es hier irgendwo etwas Essbares?“

Lara betrachtete ihn neugierig. Die Jeans saß perfekt und betonte seine schmalen Hüften und die athletischen Beine, das nach oben gerutschte T-Shirt enthüllte einen straffen Bauch und einen schmalen Streifen dunkler Locken, die im Hosenbund verschwanden. Verlegen wandte sie den Blick ab.

„Addison hat mich nicht erwartet und den Kühlschrank geleert. Es gibt nur, was ich mitgebracht habe: Brot, Schinken und gebackene Bohnen.“

„Nicht zu vergessen Wein, Unmengen an Schokolade und Chips und irgendeinen Kuchen“, fügte Reuben grinsend hinzu.

„Das alles ist für Sie tabu!“

„Ich habe eine Idee, wie Sie es wiedergutmachen können.“

„Was wiedergutmachen?“

„Dass Sie mich mit Calebs Pokal niedergeschlagen haben. Mit einem Schinken-Bohnen-Sandwich.“

„Was für eine seltsame Kombination, besonders um ein Uhr morgens.“ Angewidert schüttelte Lara den Kopf.

Theatralisch hob er eine Hand an den Kopf. „Aua! Ich finde, ein Uhr morgens ist die perfekte Zeit für so ein Sandwich. Das Dinner ist lange her und bis zum Frühstück dauert es noch ewig.“

Lara verkniff sich ein Lachen. Der Typ wurde ihr geradezu sympathisch, was ebenso sehr ihrem Schuldbewusstsein wie der knisternden Spannung geschuldet sein mochte, die plötzlich in der Luft lag.

„Also gut.“ Sie betätigte einige Tasten am Kaffeeautomaten. „Was möchten Sie trinken?“

Fasziniert betrachtete er die Maschine, und ihr fiel ein, wie lange es gedauert hatte, bis sie sie korrekt bedienen konnte.

„Ist die zum Kaffeekochen da oder zum Beamen?“

„Wenn ich Sie fortbeamen könnte, würde ich es sofort tun.“ Lara trat an den Kühlschrank, holte den Schinken heraus und heizte den Grill an.

Die Arme vor der Brust verschränkt, betrachtete Reuben sie amüsiert. „Jetzt zeigen Sie endlich Ihr wahres Gesicht.“

„Welches war mein falsches?“

„Der pinkfarbene Kampfteddy, der mir eine übergebraten hat.“

„Na, so was!“ Lara warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Sie haben mir den gemütlichen Fernsehabend ruiniert, mich zu Tode erschreckt, ich muss Sie die nächsten Wochen in meinem Refugium dulden. Obendrein machen Sie sich über meinen Lieblingsschlafanzug lustig, essen meine Schokolade auf und erpressen mich, Ihnen einen Imbiss zu bereiten.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Glauben Sie wirklich, Sie wären mein derzeitiger Lieblingsmensch?“

„Das meinen Sie doch nicht ernst!“

„Was genau?“, fragte sie, während sie eine Dose gebackene Bohnen aus dem Vorratsschrank holte.

„Das mit dem Lieblingsschlafanzug. Ich hoffe sehr, Sie besitzen einige heißere Teile.“

Lara erstarrte. Sie glaubte, sich verhört zu haben. Ihr Körper prickelte von Kopf bis Fuß wie nach einem Stromschlag. Verlegen öffnete sie die Dose, kippte den Inhalt in eine kleine Schüssel und stellte sie in die Mikrowelle. „Wie komme ich nur auf die Idee, dass Sie eine schreckliche Nervensäge sind?“

„Vielleicht leiden Sie unter einem Anfall von Frechheit? Wie viel Wein haben Sie eigentlich getrunken?“

„Längst nicht genug!“

„Wow!“ Er ließ sich gegen den nächsten Schrank sinken, als hätte sie ihn mit einem Faustschlag niedergestreckt. „Was ist denn mit Ihnen los?“

Sie zuckte die Achseln. „Das muss der Adrenalinschock sein. Der Einbruch, die Polizei …“ Sie gab den Schinken auf den heißen Grill. „Ich bin todmüde und müsste dringend schlafen. Stattdessen spiele ich die Gastgeberin und überlege, wie ich Caleb das mit dem Pokal erklären soll.“

Sie schob Brot in den Toaster und ging zum Kaffeeautomaten. „Sagen Sie endlich, was Sie wollen, oder kochen Sie sich Ihren Kaffee selbst.“

Lachend trat er neben sie. „Der pinkfarbene Teddy zeigt plötzlich Zähne!“

„Ein Kuscheltier wollte ich auch nie sein.“ Flink betätigte sie einige Tasten, und Kaffee und Milch schossen in die erste Tasse.

„Ich nehme dasselbe wie Sie“, sagte er hastig.

Sie bereitete einen weiteren Caffè Latte zu, beförderte den fertig gegrillten Schinken auf einen Teller und holte die heißen Bohnen aus der Mikrowelle. Dann stellte sie das getoastete Brot und Butter auf den Tisch und reichte Reuben Teller und Besteck.

„Das Sandwich ist noch gar nicht fertig“, schimpfte er leise, während er den Toast mit Butter bestrich.

Du gehst mir echt auf die Nerven! dachte Lara. Solange er da war, würde es ihr schwerfallen, einen klaren Kopf zu bekommen und ihre Zukunft zu planen. „Bohnen machen das Brot nur matschig.“

„Matschig“, wiederholte er und wahrte nur mit Mühe eine ernste Miene.

Lara gab Schinken auf ihren Toast und häufte eine Portion Bohnen auf ihren Teller. „Ich bin gespannt, wie Sie Ihr Sandwich essen wollen, ohne sich mit Bohnen zu beschlabbern.“

Komisch, dachte Reuben. Der rosa Teddy gefiel ihm immer besser, besonders seit er Zähne zeigte.

Lara ärgerte sich sichtlich über seine Anwesenheit. Das konnte er ihr nicht verdenken, umgekehrt hätte er ebenfalls sauer reagiert. Er war froh gewesen, als Caleb ihm eine Bleibe angeboten hatte. Zwar konnte er sich mühelos ein Hotel leisten, hätte aber dort nicht die nötige Ruhe gefunden, den anstehenden Vertrag mit einem besonders schwierigen Klienten auszuhandeln. Egal, was Addison von ihm dachte, seine Tage als böser Bub waren längst vorüber. Heutzutage kam er vor lauter Arbeit kaum zur Ruhe – und schon gar nicht auf dumme Gedanken.

Amüsiert sah er zu, wie Lara versuchte, einzelne Bohnen mit der Gabel aufzuspießen. „Schlüpfrige kleine Scheißer“, murmelte er und versuchte, sein Sandwich zusammenzuhalten. Unter ihrem durchdringenden Blick biss er hinein. „Köstlich“, lobte er, sobald sein Mund wieder leer war.

„Es schmeckt tatsächlich“, gab sie zu.

„Besser als Wein und Schokolade?“

„Nie im Leben!“

Sie war witzig, zumindest, wenn sie ihren Schutzschild senkte.

„Da wir schon zusammenleben, wollen wir uns nicht duzen?“, schlug er vor.

Lara überlegt kurz, dann nickte sie.

„Wie bist du eigentlich an den Job bei Caleb und Addison gekommen?“

„Durch eine gemeinsame Freundin. Ich war gerade aus Australien zurückgekehrt, Addison suchte nach einem Kindermädchen.“

„Was hast du dort gemacht?“

„Ich wollte mir die Welt ansehen, habe aber jemanden kennengelernt und bin in Perth hängen geblieben. Dort habe ich dann als Kindermädchen gearbeitet.“

„Wieso bist du wieder hier?“

„Mein Visum ist abgelaufen und kein Australier war dumm genug, mich zu heiraten.“

Ihre kecke Art gefiel ihm immer besser. „Sind die Australier alle blind?“

„Der Typ, den ich kennengelernt habe, war Engländer. Leider habe ich mit Männern kein Glück. Ich falle auf jeden Verlierer und Schwindler rein. Ist ein Mann in irgendeiner Weise schlecht für mich, verliebe ich mich unweigerlich in ihn.“

Sofort war seine Neugier geweckt. „Ist dieser Kerl der Grund, dass du heute hier bist?“

Seufzend nickte sie. „Nach dem Sie –liebt – ihn – sie – liebt ihn – nicht –Erlebnis von heute darf ich meinen Traumurlaub wohl alleine antreten.“

„Was meinst du denn damit?“

„Kennst du den Film etwa nicht? Eine Frau macht zeitig Schluss im Büro. In der einen Version des Films erwischt sie eine frühere U-Bahn, in der anderen nicht. In der ersten überrascht sie beim nach Hause kommen ihren Freund im Bett mit einer anderen.“

Für einen Augenblick vergaß er sein Sandwich. „Das ist dir passiert?“

Sie nickte.

„Autsch! So ein Idiot. Wer ist er? Soll ich ihn verprügeln?“

Verblüfft riss sie die Augen auf. „Natürlich nicht!“

„Sag bloß, du liebst das Schwein noch immer?“

Traurig stützte sie den Kopf in die Hände. „Ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt je geliebt habe. Jedenfalls komme ich mir blöd vor. Ich habe alles zusammengerafft, was mir in die Hände fiel, und bin fortgelaufen.“

„Wie lange wart ihr zusammen?“

„Zehn Monate in Australien. Nach unserer Rückkehr nach London sind wir zusammengezogen.“ Gedankenverloren spielte sie mit ihrer Kaffeetasse. „Nicht, dass er sich an der Miete beteiligt hätte. Er ist Schriftsteller – das behauptet er jedenfalls. Offenbar hatte er auch noch Zeit für anderes.“

„Wer ist die Frau?“

„Die Nachbarin aus dem Apartment nebenan. Da sie wie eine Amazone gebaut ist, konnte ich sie nicht verprügeln. Sie hätte mich unter einem ihrer Schuhe Größe achtundvierzig zerquetscht.“

Reuben konnte nicht anders, er lachte.

Gequält lächelnd schnappte Lara sich ein Spültuch und warf damit nach ihm. „Das ist nicht lustig!“

Sein Kaffeebecher geriet ins Wanken, Kaffee spritzte auf sein weißes T-Shirt. Verdutzt sah er an sich herunter und beschloss, sich umzuziehen, indem er direkt das Shirt über seinen Kopf zerrte. „Ist hinter diesen Fronten irgendwo eine Waschmaschine versteckt?“ Die weißen Schränke sahen für ihn alle gleich aus.

Lara blieb das Lachen im Hals stecken. Sie fixierte Reubens Brust. Automatisch zog er den Bauch ein. Dabei hatte er das gar nicht nötig.

Dass sein nackter Oberkörper sie irritieren würde, hätte er nie gedacht. Offenbar war sie schüchterner, als sie sich gab.

„Ich hole mir eben ein frisches T-Shirt.“ Er ging in den Flur und zog eines aus seiner Reisetasche, schlüpfte hinein und kehrte zu ihr zurück. „Wo waren wir stehen geblieben?“

Lara saß immer noch da wie erstarrt. Einen Moment später schüttelte sie den Kopf und sah ihn an.

Erst in diesem Moment fielen Reuben ihre schönen blauen Augen auf. Die hatte er zuvor gar nicht bemerkt, im Gegensatz zu ihren verlockenden Kurven. Im Geist malte er sich aus, wie sie in einem hautengen Kleid aussehen würde, auf hohen Hacken, das blonde Haar in weichen Wellen um die Schultern fallend. Das Bild war so verlockend, dass er verwirrt das Erstbeste sagte, das ihm in den Sinn kann. „Gibt es denn außer deinen Arbeitgebern niemanden, zu dem du hättest gehen können?“

„Ich bin erst seit Kurzem in London und kenne nicht viele Leute. Meine Freunde leben alle in meiner Heimat Sheffield. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich getan hätte, hätte Addison mich fortgeschickt.“ Sie errötete, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst war. Josh hatte sie betrogen, Reuben war ins Haus eingedrungen. Sie beschloss, den Spieß umzudrehen. „Woher kennst du Caleb eigentlich?“

„Wieso fragst du?“

„Ich überlege immer noch, ob ich dich hierbleiben lasse oder doch noch einmal die Polizei rufe.“

Er winkte lässig ab. „Ich kenne Caleb schon seit Jahren.“

„Woher?“

„Ist das ein Verhör?“, fragte er seufzend. „Wollen wir nicht lieber ins Bett gehen?“ Es klang unbeabsichtigt zweideutig, und Lara errötete prompt.

„Du hast dich nach meiner Bekanntschaft mit den Connors erkundigt, da ist es nur fair, wenn ich dich dasselbe frage. Seltsamerweise habe ich dich nämlich nie zuvor im Haus gesehen.“

Reuben lehnte sich zurück. Vor Erschöpfung schmerzte sein Rücken. Er musste sich dringend hinlegen. „Wir sind zusammen zur Schule gegangen.“

„Auf welche?“

„Eton. Ich war ein vornehmes Kind“, fügte er hinzu, als sie überrascht die Luft einsog.

„Das ist weit weg von Irland.“ Ihre Neugier war geweckt.

„Allerdings.“ Auf weitere Erklärungen ließ er sich absichtlich nicht ein.

Lara stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Hattest du geschäftlich in den USA zu tun? Was machst du eigentlich beruflich?“

„Ein bisschen dies, ein bisschen das.“

„Komm mir bloß nicht so!“

„Ich bin Geschäftsmann.“

Sie machte eine abfällige Geste. „Das kann in London jeder Zweite von sich behaupten. Geht’s nicht etwas genauer?“

„Ich bin Sportagent – Spielervermittler“, sagte er, um sie endlich zum Schweigen zu bringen.

Staunend riss sie die Augen auf. „Wie Jerry Maguire?“

„Wenn ich jedes Mal einen Penny bekäme, wenn ich das höre …“

Doch sie ließ nicht locker. „Ich bin kein Sportfan, ganz im Gegenteil, aber kenne ich vielleicht einen deiner Klienten?“

„Eher nicht. Ich habe einige Fußballer und Kricketspieler unter Vertrag, einen Tennis- und etliche Basketball- und Baseballspieler. Und ein paar bekannte American Footballer.“

„Deswegen jettest du auch um die Welt.“

„Das gehört dazu. Meine Klienten arbeiten in den USA, Italien, Spanien und England, und ich halte ständig Ausschau nach weiteren guten Sportlern. Manchmal wird es mir fast zu viel. Die Sportwelt ist verrückt, die Finanzierung ganzer Teams kann von einem einzigen Spieler abhängen und von seinem Benehmen. Eine dumme Bemerkung im Interview lässt den Wert des gesamten Teams ins Bodenlose stürzen. Daher muss ich häufig Schadensbegrenzung betreiben. Ich reise wirklich viel, aber in den kommenden zwei Wochen bleibe ich in London.“

„Was für ein Glück für mich“, stellte sie trocken fest.

Zunächst wusste er nicht, ob sie das als Scherz oder sarkastisch meinte. Erst als sie lächelte, atmete er erleichtert auf.

„Etwas verstehe ich nicht: Du bist Calebs Freund, hast ihn aber, seit ich hier arbeite, nie zu Hause besucht?“

Bedächtig trank Reuben einen Schluck Kaffee. „Ich komme wegen Addison ausgesprochen selten hierher. Sie ist zu höflich, um es auszusprechen, aber sie mag mich nicht besonders.“

Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Reuben war lästig und gelegentlich arrogant, dennoch musste Addison einen triftigen Grund haben, ihn nicht zu empfangen. Musste sie sich deswegen Sorgen machen? „Was stört Addison denn an dir?“, fragte sie gespielt gleichmütig.

Reuben antwortete erst nach längerem Zögern. „Caleb und ich waren schon lange Freunde, ehe sie ins Spiel kam. Wir haben ziemlich wilde Dinge angestellt.“

„Wilde Dinge? Mehr magst du mir nicht verraten?“

„Nein, es ist besser so.“

Da verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah bedeutungsvoll zum Küchenfenster. „Es regnet heftig heute Nacht …“

„Das ist nicht dein Ernst! Du forderst mich nicht wirklich zum Gehen auf?“

Lara stand auf und ging zur Arbeitsfläche. „Oh, doch. Dabei wartet oben so ein schönes, bequemes Bett darauf, dass du die müden Knochen ausstreckst.“

Abrupt stellte Reuben die Kaffeetasse ab. „Du gerissene Manipulatorin!“

„Du könntest ein Mörder sein, ein Drogendealer oder …“ Sie rümpfte die Nase. „… noch schlimmer: ein Möchtegern.“

Verblüfft sah er sie an. „Ein was?“

Lara winkte ab. „Du bist Sportagent und erzählst von Sportlern, die sich daneben benehmen. Womöglich hängst du gerne mit ihnen ab, bringst sie hierher, und ihr veranstaltet eine wilde Party?“

Reuben schüttelte den Kopf. „Amüsant sind die Jungs nicht gerade, die meisten benehmen sich schlimmer als Zweijährige.“

„Dann erklärst du mir besser, was du mit wilden Dingen meinst.“

Du bist echt gut, zollte er ihr insgeheim Respekt. Er war ihr geradewegs in die Falle getappt.

Im Aufstehen stemmte er die Fäuste in die Seiten und streckte den schmerzenden Rücken durch. „Also gut. Wir sind von Felsvorsprüngen ins Meer gesprungen, ausgebüxt, gelegentlich kam die Polizei ins Spiel, und es gab natürlich Frauengeschichten. Addison fürchtet vermutlich meinen schlechten Einfluss.“

„Wegen der Risiken oder wegen der Frauen.“

„Ein wenig von beidem, glaube ich. Aber das alles liegt ewig zurück.“ Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, doch mehr brauchte sie nicht zu wissen.

Lara nickte, räumte den Geschirrspüler ein und reinigte die benutzten Flächen, bis die Küche wieder im ursprünglichen Glanz erstrahlte. „Dann ist es okay für mich.“

Ihre Blicke trafen sich, und als er in ihre schönen Augen sah, fragte Reuben sich, ob der Typ, der sie betrogen hatte, klar bei Verstand war.

Unvermittelt ging er ins Wohnzimmer, nahm die halb leere Weinflasche und ihr Glas und kehrte in die Küche zurück. „Ich möchte einen Toast ausbringen.“

Worauf?“

„Auf die Tatsache, dass wir in den nächsten beiden Wochen hier gemeinsam leben.“

Er füllte ihr Glas, reichte es ihr, ehe sie Einspruch erheben konnte, und stieß mit der Flasche dagegen. „Auf eine interessante Zeit.“

3. KAPITEL

Lara kam nicht zur Ruhe. Die Vorstellung, dass Reuben eine Etage über ihr schlief, verwirrte sie. Ihr war entsetzlich heiß und sie zog den Plüschschlafanzug aus. Da sie keinen anderen dabeihatte und mit einem Fremden im Haus nicht nackt schlafen wollte, tat sie etwas, das sie noch nie getan hatte. Sie schlich ins Schlafzimmer von Addison und Caleb und suchte nach etwas Leichterem.

Offenbar besaß Addison ausschließlich kurze spitzenbesetzte sexy Seidennachthemden. Als Lara wenig später in einem davon im Bett lag, zerrte sie ständig verlegen am Saum.

Immer noch hellwach, schnappte sie sich ihren Laptop, googelte Reuben und erhielt zahllose Treffer. Sie fand heraus, dass er kürzlich zwei unbekannte argentinische Fußballer in eine Erstligamannschaft vermittelt und den Club dadurch vor dem Bankrott gerettet hatte. Einen Tennisprofi hatte er durch mehrere kluge Trainerwechsel an die Weltspitze katapultiert, sieben Baseballteams stritten sich um einen seiner Klienten, und jüngst hatte er für einen vielversprechenden Basketballer einen überaus lukrativen Abschluss getätigt.

Natürlich gab es auch viele Fotos von ihm mit Sportlern und mit Frauen, eine glamouröser als die andere.

Viel später klappte sie den Laptop zu und knipste das Licht aus. Als Schritte auf der Treppe sie weckten, fragte sie sich, ob sie überhaupt geschlafen hatte, so müde war sie.

Sie hörte, wie Reuben unten in der Küche einen Schrank nach dem anderen öffnete und wieder schloss. Seufzend schlug sie die Bettdecke zurück, setzte sich auf und sah sich nach etwas zum Überziehen um. In dem sexy Nachthemd konnte sie sich ihm nicht zeigen. Da sie nichts fand, fasste sie sich ein Herz und schlich erneut in Addisons Zimmer, wo sie auf Anhieb das passende Negligé zu ihrem Nachthemd entdeckte.

Als sie gerade das Zimmer verließ, stieß sie beinahe mit Reuben zusammen, der, eine Tasse Tee in der Hand, durch den Flur ging.

„Das ist doch mal eine nette Abwechslung! Ist das nicht Calebs Zimmer?“, fragte er grinsend.

Lara errötete. „Ertappt! Verrate mich bloß nicht. Mir war so heiß, und ich habe keinen leichten Pyjama dabei.“

Reuben schien etwas sagen zu wollen, schüttelte dann aber nur den Kopf und reichte ihr die Tasse. „Hier. Ich habe dir Tee gekocht.“

„Heckst du vielleicht etwas aus?“, fragte sie argwöhnisch.

Er verkniff sich ein Grinsen. „Wie kommst du denn darauf?“

„Es steht dir ins Gesicht geschrieben.“

„Hast du heute schon etwas vor?“

Verlegen betrachtete Lara ihre rosa lackierten Zehennägel. „Ich habe noch keine Pläne gemacht.“

„Du hast doch Urlaub, oder? Was wolltest du denn mit deiner Zeit anfangen?“ Als sie nur schweigend zu Boden starrte, fiel es Reuben wieder ein: „Stimmt! Du wolltest mit diesem Schwachkopf von Exfreund zusammen sein.“

„Wie hast du ihn genannt?“

„Wenn er kein Schwachkopf wäre, hätte er dich nicht betrogen.“ Er hielt kurz inne. „Sollen wir kreativ werden und einen finsteren Racheplan aushecken?“

Unwillkürlich umfasste Lara ihre Tasse fester. „Dazu müsste ich an ihn denken, und das möchte ich lieber nicht.“

„Recht so. Ich muss gleich noch einige Erledigungen machen. Hast du Lust, mich zu begleiten?“ Kaum waren die Worte heraus, fragte sich Reuben, ob er noch bei Trost war. Ein Berg Arbeit türmte sich vor ihm auf, in seiner Mailbox warteten zahllose Nachrichten. Doch Lara tat ihm leid. Und sie gefiel ihm immer besser, besonders ihre schönen langen Beine, die unter dem kurzen Morgenrock vorteilhaft zur Geltung kamen.

„Ich muss einen Makler kontaktieren wegen einer neuen Wohnung und danach einkaufen.“

„Lebensmittel oder Kleidung?“ Nach dem Mitternachtsmahl herrschte gähnende Leere im Kühlschrank, wie Reuben wusste.

„Beides, fürchte ich“, seufzte Lara.

„Dann komm mit mir. Wir kaufen gemeinsam ein.“ Mit einer abwehrenden Geste tat er ihren skeptischen Blick ab. „Gestern Nacht habe ich deine Vorräte geplündert, da ist es nur fair, wenn ich die Lebensmittel bezahle.“

„Also gut. Ich trinke noch meinen Tee aus und ziehe mich an.“

Reuben nickte, machte kehrt und schlenderte davon. Lara sah ihm hinterher. Er hatte einen echt knackigen Hintern! Womöglich würden die zwei Wochen mit ihm doch nicht so unerträglich wie gedacht …

Bist du total durchgedreht? wunderte sich Reuben über sich selbst. Was hatte ihn nur dazu bewogen, Lara zum Mitkommen aufzufordern? Zugegeben, sie sah niedlich aus, und sie mussten eine Zeitlang miteinander auskommen. Deswegen brauchte er sie aber nicht gleich zu seiner besten Freundin zu machen.

Andererseits faszinierte sie ihn. Sie hatte etwas Besonderes an sich. Daher hatte er, als sie ihn am Vorabend nach den Gründen gefragt hatte, aus denen Addison ihn nicht mochte, zu Ausflüchten gegriffen. Er wollte sie nicht abstoßen.

Außerdem hatte Caleb ihm den Vorfall, der zu Addisons Abneigung geführt hatte, längst verziehen. Er kannte die Ursache für Reubens Verhalten: die katastrophale Ehe seiner Eltern. Seiner Frau hatte er davon jedoch nichts verraten. Bestimmt hatte er ihr auch nicht erzählt, dass er ihm das Familiendomizil als Übergangsquartier angeboten hatte.

Als er gerade die letzte E-Mail abschickte, kam Lara in die Küche. Sie trug eine rosa Rüschenbluse und Jeans, dazu schwarze Stiefel und einen bunten Regenmantel. Das Haar fiel in sanften Wellen um ihre Schultern. „Was genau hast du geplant?“, erkundigte sie sich. „Du weißt ja, ich bin kein Sportfan.“

„Keine Sorge. Ich muss zwar ins Fußballstadion, das dauert aber höchstens eine halbe Stunde. Danach gehen wir einkaufen.“

Nachdenklich nickte sie. „Könnten wir auch bei meiner Wohnung vorbeifahren? Dort steht noch ein Koffer mit meiner Sommergarderobe. Ich habe ihn vor einer Weile schon für meinen Urlaub gepackt.“

„Kein Problem. Ich bringe dich hin, dann kannst du ihn holen.“

„Es ist … ich glaube nicht … ich weiß nicht“, stammelte sie nervös.

„Nur die Ruhe!“ Reuben tätschelte ihre Hand. „Wenn du willst, gehe ich rein und hole ihn.“

„Das würdest du tun?“, fragte sie sichtlich erleichtert.

„Ja, klar. Kein Problem.“

Fasziniert beobachtete Lara, wie Reuben den knallroten Sportwagen geschickt durch den Londoner Verkehr manövrierte. Während sie sich nur mit gemischten Gefühlen auf die Straßen der Stadt wagte, nahm er jede noch so enge Kurve ohne Zögern. Innerhalb von Rekordzeit erreichten sie das Fußballstadion.

Reuben hielt ihr die Autotür auf und führte sie dann zu der imposanten Glasfassade. „Es dauert nicht lange“, versprach er auf dem Weg zum Empfang. „Lydia, wo ist der Vorstandsvorsitzende?“, fragte er die Rezeptionistin.

„Unten in der Spielerkabine.“

Sie gingen weiter und drangen tief ins Innere des Stadions vor. Es fiel Lara schwer, mit Reubens langen Schritten mitzuhalten. Sie musste fast laufen, um in den schier endlosen Fluren an seiner Seite zu bleiben.

Endlich blieb er vor einer Tür stehen. „Du wartest besser hier, sonst bekommst du etwas zu sehen, das nicht für deine Augen bestimmt ist.“ Er zwinkerte ihr zu und ließ sie alleine.

Seufzend lehnte sie sich gegen die kahle Betonwand. Beeil dich! dachte sie.

Wenig später hörte sie Stimmen. Ein Spieler kam aus dem Raum, warf ihr einen flüchtigen Blick zu, zog im Gehen sein Trikot aus und verschwand durch die nächste Tür.

Gleich darauf erschien ein anderer Spieler. Er trug ein strahlendes Lächeln im Gesicht und Shorts, sonst nichts. Überrascht schnappte Lara nach Luft und sah verlegen auf ihre Hände. Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie wahr, wie der Mann durch eine Tür mit der Aufschrift Physiotherapie verschwand.

Ein weiterer Sportler folgte, dann der nächste. Jeder hatte etwas weniger an als sein Vorgänger.

Verwirrt überlegte Lara, ob die Spieler hier unten immer halb nackt herumliefen? Die meisten ihrer Freundinnen hätten das Schauspiel genossen, sie fand es jedoch einfach nur peinlich. Hartnäckig konzentrierte sie sich auf ihre Fingernägel, die sich in einem üblen Zustand befanden. Die nächste Maniküre war längst überfällig.

Als die Tür erneut aufging, blickte sie unwillkürlich auf – und riss vor Staunen die Augen weit auf. Der Superstar des Teams, ein millionenschwerer, sonnengebräunter Athlet mit Waschbrettbauch schlenderte im denkbar winzigsten Slip über den Flur und warf ihr laszive Blicke zu. „Hallo, Baby!“

Oh, nein! stöhnte Lara innerlich. Was für ein Albtraum!

Zum Glück trat im selben Moment Reuben an ihre Seite. Er schlang einen Arm um ihre Schultern. „Sei nicht albern, Chris“, sagte er zu dem Fußballer. Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte er sich an Lara: „Ich hätte dich vor den Jungs warnen müssen. Sobald eine Frau hier unten ist, machen sie sich einen Spaß daraus, sich ihr in immer leichter bekleidetem Zustand zu präsentieren. Ignoriere sie einfach.“ Er schlug mit dem feuchten Handtuch, das er gerade in der Hand hielt, nach Chris und warf es ihm zu. Der Sportler ging dann prustend vor Lachen in die Kabine zurück.

Lara konnte es kaum glauben. „Sie haben mich veräppelt?“

Reuben nickte. „Wie jede Frau, die die Katakomben aufsucht. Sie können nicht anders. Die meisten von ihnen sind geistig auf dem Niveau von Zwölfjährigen stehen geblieben.“

Immer noch lag sein Arm auf ihren Schultern. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. „Können wir jetzt gehen?“

Als er sie anlächelte, kam es ihr vor, als ginge die Sonne auf. Sie hatte ihn bereits amüsiert und sarkastisch gesehen, diesmal kam das Lächeln jedoch aus seinem Inneren, und ihr Herz schlug augenblicklich schneller. Verstört senkte sie den Kopf und ging schweigend neben ihm her.

Irgendwann blieb Reuben unvermittelt stehen und hob ihr Kinn mit einer Hand an. „Du bist plötzlich so still. Was ist los mit dir?“

Sein melodiöser irischer Akzent verwirrte sie vollends. Nach Fassung ringend, atmete sie erst einmal tief durch. Dann griff sie zu einer Ausrede. „Ich fürchte, das Bild von Josh mit der anderen im Bett hat sich mir für immer eingeprägt. Es taucht zu den unmöglichsten Zeiten in meinem Kopf auf.“

Reuben nickte verständnisvoll. „Wir holen sofort deinen Koffer ab, danach kannst du endgültig einen Schlussstrich ziehen. Vergiss diesen Verlierer und freu dich auf deine Reise. Wohin geht es denn?“

„Ich mache eine Mittelmeerkreuzfahrt. Davon träume ich schon ewig. Und ich musste lange dafür sparen, auch weil man dafür elegante Kleidung braucht.“

„Das kann ich mir vorstellen. Welche Städte steuert ihr an?“ Er schien zu spüren, dass sie augenblicklich nicht mehr als harmloses Geplauder zuwege brachte.

„Barcelona, Monte Carlo, Pisa, Marseille, Rom … Dorthin wollte ich schon immer, und das lasse ich mir von niemandem nehmen.“

„Recht so! Bringen wir es hinter uns, ein für alle Mal.“

Reuben klopfte schon zum zweiten Mal an die Wohnungstür. Dabei sah er zum Auto weiter unten an der Straße zurück, in dem Lara auf ihn wartete.

Endlich hörte er ein Geräusch, dann ging die Tür auf und ein halb nackter Mann mit ausgeprägtem Bauchansatz stand vor ihm. Er hatte so gar nichts Interessantes an sich, wirkte gleichzeitig aber sehr von sich eingenommen. Unwillkürlich fragte Reuben sich, was Lara an ihm gefunden haben mochte.

„Wer sind Sie?“, fragte der Kerl. In der Wohnung klapperte etwas, offenbar war die Nachbarin ebenfalls anwesend.

„Ich bin ein Freund von Lara und will ihre restlichen Sachen abholen.“

Josh runzelte die Stirn. „Ich habe Sie noch nie gesehen!“

„Und das werden Sie auch nicht wieder. Geben Sie mir einfach Laras Koffer, dann bin ich auch schon fort.“

„Da kommen Sie leider zu spät.“ Der Typ grinste süffisant. „Ich habe ihre Sachen gestern aus der Wohnung geräumt, und die Müllabfuhr war bereits da.“ Zufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust.

„Was haben Sie?“ Reuben packte ihn an den Schultern und drückte ihn gegen die Wand.

Da bekam es Josh offenbar mit der Angst zu tun. „Wieso hätte ich das Zeug behalten sollen?“, stammelte er. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie zurückkommen wollte.“

Fassungslos schüttelte Reuben den Kopf. „Erst lassen Sie sich mit einer anderen im Bett ertappen und dann geben Sie Lara keine Chance, ihr Eigentum zu holen?“

„Sie hat mich angeschrien und wüst beschimpft. Ich konnte wirklich nicht ahnen, dass sie noch einmal hier auftaucht.“

Im selben Augenblick trat eine hochgewachsene, kräftige Frau aus der Wohnung. Sie hielt ein Handy in der Hand. „Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei. Und richten Sie Lara aus, dass Sie hier nicht länger willkommen ist.“

Angewidert und bebend vor Zorn, starrte Reuben sie an. Roter Nebel stieg in seinem Kopf auf, genau wie in der Nacht, als er Caleb verprügelt hatte. Damals hatte er sich geschworen, nie wieder auszurasten.

Widerwillig ließ er Josh los. „Ihr zwei verdient einander! Lara ist zehnmal mehr wert als jeder einzelne von euch.“ Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt und ignorierte die wüsten Beschimpfungen. Es machte ihn wütend, dass die beiden Lara nicht respektierten.

Mit weit ausholenden Schritten und finsterer Miene eilte er zum Auto zurück, stieg ein und schlug die Tür ins Schloss.

„Hast du den Koffer nicht bekommen?“, fragte Lara verblüfft.

Ihr unschuldsvoller Blick bereitete ihm Magengrimmen. Er fürchtete, die schlechte Nachricht könnte ihr das Herz brechen. Sie hatte lange auf ihren Traumurlaub gespart, ihr mieser Exfeund hatte gewiss nichts dazu beigetragen. Was würde es sie kosten, ihre Urlaubsgarderobe zu ersetzen?

„Wir holen deine Sachen später“, sagte er kurz angebunden und startete den Motor. „Zuerst kaufen wir die Lebensmittel ein.“

Kurz darauf fuhren sie vor einem der exklusivsten Kaufhäuser Londons vor. Reuben stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete Lara die Tür. „Hier kannst du nicht parken“, protestierte sie, gerade als ein Page in Livree erschien, sich hinters Steuer setzte und das Auto davonfuhr. Sie sah ihm immer noch verblüfft hinterher, als Reuben sie schon ins Gebäude führte.

„Ich wusste gar nicht, dass es hier einen Parkservice gibt!“

„Ich habe eben Freunde in den höchsten Positionen.“

Was soll das denn heißen? fragte sie sich. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie in dem eleganten Einkaufstempel in Jeans, schlichter rosa Bluse und Stiefeln irgendwie fehl am Platz wirkte. Die verlocke...

Autor

Michelle Douglas
Das Erfinden von Geschichten war schon immer eine Leidenschaft von Michelle Douglas. Obwohl sie in ihrer Heimat Australien bereits mit acht Jahren das erste Mal die Enttäuschung eines abgelehnten Manuskripts verkraften musste, hörte sie nie auf, daran zu arbeiten, Schriftstellerin zu werden. Ihr Literaturstudium war der erste Schritt dahin, der...
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Lindsay Evans
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