Romana Extra Band 109

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ÜBERRASCHENDES WIEDERSEHEN AUF MALTA von PENNY ROBERTS
„Gewinne Luca Moreno für unser Restaurant.“ Weil sein herrischer Großvater ihn erpresst, fliegt Armando nach Malta, wo sich der Sommelier Luca Moreno aufhalten soll. Doch als Armando ihn aufspürt, ist er fassungslos: Luca ist in Wirklichkeit Lucia – die Frau, die er nie vergessen hat!

DER HEISSE KUSS DES BRASILIANERS von TINA BECKETT
Drei Monate im exotischen São Paulo! Amys brasilianisches Abenteuer wird besonders aufregend, als sie eine sinnliche Affäre mit dem sexy Chirurgen Roque Cardoza beginnt. Doch mit jedem heißen Kuss scheint ihre gemeinsame Zeit schneller zu verrinnen …

VERBOTENE LIEBE? von SANDRA FIELD
Bloß keine Gefühle riskieren! Millionär Rafe Holden hat schon eine geeignete Kandidatin für eine Scheinehe gefunden. Doch dann trifft er die bezaubernde Karyn, und sie weckt genau das Verlangen in ihm, das er so sehr fürchtet. Wird er sich für mehr als eine Zweckehe entscheiden?

EIN INDISCHES LIEBESMÄRCHEN von SHOMA NARAYANAN
Die bunte Metropole Kalkutta, die festliche Hochzeit von Freunden und ein attraktiver Mann, der sie zärtlich verführt: Nach einer Liebesnacht vergisst Riya fast, dass Dhruv ihr damals im College das Herz gebrochen hat. Aber die Vergangenheit holt sie schnell wieder ein …


  • Erscheinungstag 06.07.2021
  • Bandnummer 109
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500258
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Roberts, Tina Beckett, Sandra Field, Shoma Narayanan

ROMANA EXTRA BAND 109

PENNY ROBERTS

Überraschendes Wiedersehen auf Malta

Sie muss es ihm sagen! Aber die wiedergefundene Liebe mit Armando ist so überwältigend, dass Lucia es immer wieder aufschiebt, ihm die Wahrheit zu gestehen. Bis es fast zu spät ist …

TINA BECKETT

Der heiße Kuss des Brasilianers

Dr. Cardoza hat sich geschworen, nie sein Herz zu verlieren. Warum muss er diesen Schwur ausgerechnet bei Amy brechen? Die Physiotherapeutin wird São Paulo bald verlassen und nach England zurückkehren …

SANDRA FIELD

Verbotene Liebe?

Liebe auf den ersten Blick! Unsterblich hat sich Karyn in einen Fremden verliebt. Doch dann erfährt sie, dass der attraktive Adlige Rafe Holden in Kürze ihre Zwillingsschwester heiraten wird …

SHOMA NARAYANAN

Ein indisches Liebesmärchen

Mit der bezaubernden Riya in Kalkutta ein Liebesmärchen erleben – eine Katastrophe für Dhruv! Denn schon bald wird er mit einer anderen eine traditionell arrangierte Ehe eingehen …

PROLOG

„Langweilt die Party Sie etwa?“

Als die tiefe Männerstimme hinter ihr erklang, zuckte Lucia ertappt zusammen.

Ertappt deshalb, weil derjenige, der die Frage gestellt hatte – wer immer er auch sein mochte –, mit seiner Vermutung genau richtiglag. Diese Party langweilte sie tatsächlich. Und zwar schrecklich. Den ganzen Abend hatte sie nichts weiter getan, als neben Austin zu stehen, zu lächeln und hübsch auszusehen.

Nicht, dass ihr das nicht bereits klar gewesen wäre, als sie zugestimmt hatte, den Bekannten ihrer Mutter zu diesem Gartenfest zu begleiten. Sie war lediglich als schmückendes Beiwerk mit von der Partie – und wie es schien, wurden auch in dieser Funktion ihre Dienste nicht länger benötigt. Austin kam ganz gut allein zurecht. Er stand einige Meter entfernt mit ein paar Geschäftspartnern zusammen und bemerkte überhaupt nicht, dass sie nicht mehr neben ihm ausharrte.

„Entsetzlich sogar“, entgegnete sie, ohne sich umzudrehen, und nippte an ihrem Chianti. „Und was noch schlimmer ist, der Wein ist viel zu kalt und außerdem mit Wasser verdünnt.“

„Das klingt, als würden Sie sich auskennen.“

Der frische Geruch von Rasierwasser vermischte sich mit dem Duft des Jasmins, der überall im Garten blühte. Gedämpftes Gelächter drang vom Seeufer her. Sie wandte sich um, um etwas Amüsantes zu dem Unbekannten zu sagen. Doch in dem Moment, als ihr Blick auf ihn fiel, stockte ihr der Atem.

Er war so groß, dass er sie um mindestens einen Kopf überragte, obwohl sie so hohe Absätze trug, dass das Gehen auf dem perfekt manikürten Rasen alles andere als vergnüglich war. Das war jedoch nicht das Erste, was ihr an ihm auffiel. Nein, es waren seine glutvollen, olivgrünen Augen, in denen sie am liebsten versinken wollte.

Sein Kinn war markant und von einem dunklen Bartschatten bedeckt, die Nase gerade, das kurze dunkle Haar dicht und leicht gewellt. Er war ein Bild von einem Mann. Und dann diese Ausstrahlung!

Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Wein. Es kümmerte sie jetzt nicht mehr, ob er gut war oder nicht – sie schmeckte ohnehin nichts.

„Ich …“ Sie brauchte einen Moment, um sich in Erinnerung zu rufen, was der Fremde gesagt hatte. Zum Glück war die Sonne bereits untergegangen – so war die Röte, die ihre Wangen sicherlich überzog, vielleicht nicht ganz so offensichtlich. „Ja, ich kenne mich ein wenig mit Wein aus“, sagte sie schließlich. „Und Sie? Langweilen Sie sich auch so schrecklich? Ich frage mich immer, wer solche Partys veranstaltet. Sie wissen nicht zufällig, wer unser Gastgeber ist?“

„Zufällig doch“, sagte er mit einem Lächeln, das ihr Herz sofort schneller schlagen ließ. „Ein guter Freund meines Großvaters.“

Lucia riss die Augen auf. „Ihr … Oh Gott, das tut mir leid. Ich … Vergessen Sie bitte einfach alles, was ich gesagt habe.“

„Das wäre aber wirklich bedauerlich. Zufälligerweise genieße ich es nämlich, mich mit Ihnen zu unterhalten.“

Sie hob eine Braue. „Ich schimpfe über diese Party, über den Wein, und dann beleidige ich auch noch einen Freund Ihres Großvaters …“

Er winkte ab. „Ich versichere Ihnen, dass ich Ihnen in jedem dieser Punkte aus vollem Herzen zustimme. Diese Party ist langweilig, der Wein ungenießbar. Typisch für Freunde meines Großvaters. Die haben keine Ahnung von gutem Wein, für sie zählt nur die Zahl auf dem Preisetikett. Salvatore selbst ist zwar ein schrecklicher Despot, aber zumindest von Wein versteht er etwas.“

Sie musste lachen, und als er in ihr Lachen einstimmte, war da mit einem Mal etwas zwischen ihnen, das sie nicht beschreiben konnte. Ein Knistern, ein Prickeln … eine Verbindung.

Sie war über sich selbst verwundert. War ihr der Alkohol etwa schon zu Kopf gestiegen?

„Das klingt, als gäbe es bei Ihren Familientreffen viel zu lachen.“

Er stöhnte theatralisch. „Sie haben ja keine Ahnung. Ein Nachmittag in einem Raubtierkäfig ist dagegen pure Entspannung. Und was diese Party angeht, die meisten Gäste könnten nicht mal einen Pinot grigio von einem Merlot unterscheiden, von daher wäre jeder gute Tropfen eine echte Verschwendung.“

Lucia hatte das Gefühl, seine Blicke wie Berührungen auf der Haut zu spüren. Sie bekam Gänsehaut am ganzen Körper, etwas, das sie bei einem Mann in der Intensität noch nie zuvor erlebt hatte.

Vor allem bei einem Mann, den sie gerade mal fünf Minuten kannte.

Jetzt winkte er den livrierten Kellner heran, der sich, ein Tablett auf der flachen Hand balancierend, zwischen den Gästen hindurchschlängelte.

Der Fremde nahm zwei Gläser und reichte ihr eins davon mit den Worten: „Der Champagner ist im Gegensatz zum Wein übrigens nicht verdünnt und wirklich gut. Das weiß ich deshalb so genau, weil er aus unserer Produktion stammt – womit er im Grunde genommen gar kein Champagner ist, denn der muss ja aus der Champagne kommen. In Italien hingegen heißt es einfach …“

Vino spumante – Schaumwein“, fiel sie ihm mit einem Lächeln ins Wort. „Ich weiß.“ Sie nippte daran und musste zugeben, dass er recht hatte. Der Schaumwein schmeckte außerordentlich gut. Sie nahm einen größeren Schluck, der wohlig prickelnd ihre Kehle hinabrann. Das Kribbeln in ihrem Bauch hatte jedoch andere Gründe.

„Sie passen nicht hierher“, sagte der Mann.

Einen Moment lang war sie nicht sicher, wie er es gemeint hatte, doch dann sprach er weiter: „Sie sind im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten hier interessant. Und …“

Er beugte sich vor, um ihr eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen, die sich aus dem kunstvollen Knoten gelöst hatte, zu dem sie ihr Haar am Nachmittag zusammengefasst hatte. Sein Finger streifte ihre Wange, und ihr Herz hämmerte wie verrückt.

Die Spannung, die zwischen ihnen in der Luft lag, war unbeschreiblich.

„Und?“, brachte sie mit bebender Stimme hervor.

„Sind Sie hier abkömmlich?“

Sie schluckte hart und nickte.

Das Lächeln, das seine Lippen umspielte, versprach mehr als tausend Worte.

„Ich würde Sie gern kennenlernen, Miss …“

„Lucia“, entgegnete sie heiser. „Nennen Sie mich einfach Lucia.“

„Armando Conti.“ Er ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. „Ich würde Sie gern kennenlernen, Lucia. Selbstverständlich nur, wenn Ihre Begleitung nichts dagegen einzuwenden hat.“

Sie schüttelte den Kopf. „Er würde mich vermutlich nicht einmal vermissen, wenn ich einfach jetzt mit Ihnen verschwände. Aber das mache ich natürlich nicht. Auch wenn ich ohnehin nur als hübsches Anhängsel mit von der Partie bin. Austin ist ein Bekannter meiner Mutter. Seine eigentliche Begleiterin hat ihm kurzfristig abgesagt, da bin ich spontan eingesprungen. Im Grunde kennen wir uns kaum.“

„Na, wenn das so ist – es gibt da ein kleines Restaurant ganz in der Nähe, in dem ein ausgesprochen hervorragender Tropfen serviert wird.“

Sie blickte zu ihm auf. „Und danach?“

„Lassen wir es doch einfach auf uns zukommen“, entgegnete er, in seinen Augen blitzte es herausfordernd. „Wollen wir?“

Einen Moment zögerte Lucia, dann gab sie sich einen Ruck. Sie ging zu Austin hinüber und informierte ihn, dass er den Rest des Abends ohne sie auskommen musste. Kurz fragte sie sich, was ihre Mutter wohl sagen würde, da sie sich einfach so von der Party stahl und ihn zurückließ. Doch schließlich kehrte sie zu Armando zurück und hakte sich bei ihm unter. Schon immer träumte sie davon, mal etwas Unüberlegtes, etwas Verrücktes zu tun. Etwas, das man sein Leben lang nicht vergaß. Spontan sein.

Heute Abend sollte es so weit sein.

1. KAPITEL

Fünf Jahre später

Der Anblick Maltas von oben riss Armando Conti aus seiner düsteren Stimmung.

Die Inselgruppe zwischen Sizilien und der Küste Nordafrikas war bekannt für ihre historischen Stätten – Spuren der Eroberung des Staates durch Römer, Mauren, Franzosen und Briten. Und so waren es vor allem Tempel mit prachtvollen Kuppeldächern und Festungen mit gewaltigen Mauern, die er aus dem Fenster seines Privatjets sah, als der Pilot in den Landeanflug überging.

Die Ablenkung währte jedoch nur kurz. Zu stark waren die Gedanken, die ihn schon seit dem Start in Rom beschäftigten. Zu stark die Verbitterung, die er verspürte. Seine Reise nach Malta hatte keinen erfreulichen Grund. Er kam weder her, um Urlaub zu machen, noch führten ihn geschäftliche Gründe her.

Nein, er saß im Flieger, weil er sich zum ersten Mal in seinem Leben hatte erpressen lassen.

Von seinem eigenen Großvater.

Armando massierte sich den Nasenrücken und wandte sich vom Fenster ab. Als er sich in seinem Ledersessel zurücklehnte und die Augen schloss, dachte er an das verhängnisvolle Gespräch mit ihm zurück.

Salvatore Conti hatte ihn, seinen Enkel, wie einen seiner Geschäftspartner zu sich zitiert. Mit einer kurzen, aber unmissverständlichen Textnachricht.

Obwohl das Oberhaupt der italienischen Winzerfamilie Conti die siebzig längst überschritten hatte, war der Patriarch ein großer Freund von Technik. Vor allem in Hinblick auf moderne Kommunikationsmittel. Und eins wussten sowohl seine Geschäftspartner als auch seine Enkelsöhne genau, je kürzer eine Nachricht von ihm war, desto dringender sein Anliegen.

Nun, die Nachricht, die er von Salvatore bekommen hatte, bestand aus nur sechs Worten:

Erwarte dich Montag früh. Zehn Uhr.

Mehr nicht. Kein Gruß, kein Abschiedswort. Und eine Info über das Wo wäre unnötig gewesen. Salvatore Conti empfing jeden, egal ob Geschäftspartner oder Familienmitglied, grundsätzlich in seinem Arbeitszimmer auf seinem Weingut in der Toskana.

Dort hatte er dem alten Mann also gestern gegenübergesessen, ohne dass der Hauch einer familiären Verbundenheit aufgekommen war. Kein gemütlicher Platz im Salon, keine Erfrischung oder eine Stärkung war ihm angeboten worden, nicht mal einen Handschlag hatte es zur Begrüßung gegeben, geschweige denn eine Umarmung. Sein Großvater hatte nur kurz von seinen Unterlagen aufgeblickt, als er eingetreten war, und hatte ihm mit einem Nicken bedeutet, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

All das hatte Armando nicht überrascht, er kannte es nicht anders. Und obwohl er auf dem Weingut so viele Jahre seines Lebens verbracht hatte, war es ihm immer fremd geblieben. Ebenso wie sein Großvater.

Damit stand er nicht allein. Auch seine beiden Brüder hatten niemals ein wirklich inniges Verhältnis zu Salvatore aufbauen können, der das Familienunternehmen mit harter, strenger Hand bis nach ganz oben gebracht hatte. Sein Sohn Gustavo, Armandos Vater, war vor zwanzig Jahren zusammen mit seiner Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Danach wuchsen die drei Jungs, die ihre Eltern auf so tragische Weise verloren hatten, bei ihrem Großvater auf, der ihnen trotz dieses schlimmen Verlustes keinerlei Wärme oder gar Liebe schenkte.

Das Einzige, was Salvatore Conti je respektiert hatte, waren Erfolg und Macht. Aus diesem Grund hatte er auch für seinen eigenen Sohn nie mehr als Verachtung übriggehabt, denn Armandos Vater war mit seiner späteren Frau durchgebrannt, weil Salvatore ihre Liebe nicht billigte.

Dass der Mann, der seinen Sohn verstoßen hatte, plötzlich dessen Kinder aufzog, sorgte von Anfang an für große Spannungen. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Zumindest, was ihn und seinen ältesten Bruder anging. Lorenzo hatte den Kontakt komplett abgebrochen, wohingegen Vittorio, der Jüngste unter ihnen, nach wie vor auf dem Weingut lebte und als Kellermeister Salvatores rechte Hand war.

Vielleicht wäre es anders gewesen, hätte ihre Großmutter, Salvatores Ehefrau, noch gelebt, als sie aufs Weingut kamen. Doch die war ein paar Jahre zuvor gestorben und er und seine Brüder hatten sie nie kennengelernt.

Was Armando nun aber überrascht hatte, war das Anliegen seines Großvaters, das der ohne große Einleitung prompt zur Sprache gebracht hatte.

„Fliege nach Malta und gewinne Luca Moreno für das Veritas. Noch morgen!“

Beim Veritas handelte es sich um ein exklusives Restaurant, das genau genommen In Vino Veritas hieß und seit einem halben Jahr zur Conti-Winery gehörte. Salvatore hatte es unter großem Tamtam eröffnet. Ein neuer Unternehmenszweig seines Imperiums erregte selbstverständlich Aufsehen, sowohl bei Mitbewerbern und Kunden als auch bei den Journalisten. Die Eröffnung war ein Ereignis gewesen, über das europaweit berichtet worden war, was Armando natürlich mitbekam. Seit einigen Monaten zeigte sich aber, dass das Restaurant nicht den erhofften Erfolg hatte.

Für seinen Großvater, der stets die Schuld bei anderen suchte, lag das schlicht an den Gästen.

„Diese Banausen sind doch schon beim bloßen Anblick der Weinkarte überfordert“, hatte er seinem Ärger Luft gemacht. „Deshalb brauchen wir jetzt den besten Sommelier, der für Geld zu bekommen ist. Moreno wird die Gäste anlocken, die ich will. Echte Weinkenner!“

„Und warum erzählst du mir das alles?“, hatte Armando gefragt. Er hatte schon von Luca Moreno gehört, der so etwas wie ein Phantom unter den Weinkennern war. Sein Name war in aller Munde, aber er galt als extrem öffentlichkeitsscheu. Armando hatte zwischenzeitlich recherchiert und nicht ein einziges Foto des Mannes finden können. Nicht mal einen Schnappschuss. Gar nichts. „Schick ihm eine Nachricht und biete ihm das, was du jedem bietest, Geld.“

Sein Großvater hatte ihn kalt angesehen. „Ich habe ihm Nachrichten geschickt. Ich habe ihn sogar angerufen. Doch er reagiert auf keinen meiner Kontaktversuche. Deshalb brauche ich dich, Armando.“

„Ich wüsste nicht, was ich da für dich tun sollte. Und ich sehe ehrlich gesagt auch keinen Grund, dir zu helfen.“

Den Grund erfuhr er keine zehn Sekunden später. Ohne mit der Wimper zu zucken, setzte Salvatore Conti seinem Enkel die sprichwörtliche Pistole auf die Brust. Und zwar nicht, indem er ihm drohte. Nein, leider kannte sein Großvater ihn besser. Er wusste, dass es nur einen Weg gab, ihn unter Druck zu setzen – indem er einem Menschen drohte, der ihm wichtig war.

Armando hatte sich in der Vergangenheit schon viel von seinem Großvater bieten lassen, hatte oft genug Dinge getan, die er nicht wirklich tun wollte, aber das jetzt war eine andere Ebene.

Dies war pure Erpressung. Und noch dazu zu einem Zeitpunkt, der ungünstiger nicht hätte sein können. Gerade im Moment versuchte jemand, den exklusiven Nachtclub, den er in Rom betrieb, aus dem Geschäft zu drängen. Es kostete ihn seine gesamte Zeit, herauszufinden, wer dahintersteckte – und warum. Dass er seine Nachforschungen jetzt Luigi, seinem Geschäftsführer, überlassen musste, gefiel ihm gar nicht. Aber es ging nicht anders.

Und daran war nur sein Großvater schuld.

Tief atmete Armando durch. Während seine Gedanken zurückgeschweift waren, hatte er alles um sich herum vergessen. Waren sie schon gelandet? War die Maschine bereits ausgerollt? Er hatte keine Ahnung, wusste nur, dass er seinen Großvater dafür, dass der ihn nach Malta geschickt hatte, verfluchte. Ausgerechnet Malta! Es gab da etwas, das ihn unzertrennlich mit Malta verband, und Salvatore wusste das.

Es waren Erinnerungen.

Erinnerungen an eine wunderschöne Frau mit vollem schwarzbraunem Haar, kaffeebraunen Augen und Kurven genau an den richtigen Stellen.

Und an ein unvergessliches gemeinsames Wochenende …

Unwillkürlich ballte Armando die rechte Hand zur Faust. Niemals hätte er auf diese Frau reinfallen dürfen, die ihm nur bewiesen hatte, dass alle Frauen gleich waren und man sie nicht in sein Herz lassen durfte. Liebe war eine Erfindung, ein Märchen, und wenn er an etwas nicht glaubte, dann waren es Märchen.

Die Durchsage des Piloten, der verkündete, dass sie planmäßig gelandet waren, riss ihn aus seinen Gedanken. Die strahlende Spätnachmittagssonne empfing ihn, als er Minuten später aus dem Jet stieg. Unten auf dem Rollfeld wartete eine Limousine, die er von Rom aus gechartert hatte, und der Chauffeur stand bereit, um ihm die Tür aufzuhalten.

Das schöne Wetter vermochte seine Stimmung nicht zu bessern. Sein Plan war klar. Er würde diesem Luca Moreno einen unerwarteten persönlichen Besuch abstatten, klären, was zu klären war, und dann wieder in seinen Privatjet steigen und verschwinden.

Und dieses Mal würde er die Erinnerungen an eine gewisse Frau endgültig auf der Insel lassen und nie mehr nach Malta zurückkehren.

Nicht mal in Gedanken.

Auf dem Weg nach Valletta, der Inselhauptstadt, blickte er zum Fenster hinaus. Der Himmel war strahlend blau, die Häuserfassaden blendend weiß und die Oleanderbäume, die am Straßenrand wuchsen, blühten in verschiedenen Schattierungen von Rosé und Rot. Die Landschaft war karg und felsig, entbehrte aber nicht eines gewissen Charmes.

Zumindest, wenn man Steine mag, dachte Armando ironisch.

Er hatte die Adresse, unter der er Luca Moreno angeblich antreffen konnte, von seinem Großvater bekommen. Wie der da rangekommen war, hatte er nicht gefragt, und es interessierte ihn auch nicht sonderlich.

Das Haus, vor dem sein Fahrer jetzt anhielt, wirkte ein wenig schlicht dafür, dass hier ein Mann lebte, der in seinem Beruf doch sicher ordentlich verdiente. Aber vielleicht gehörte er einfach nur zu den Leuten, die ihr Geld lieber zur Seite legten, als es für unnötigen Luxus aus dem Fenster zu werfen.

Er selbst war Komfort und Luxus gegenüber nicht abgeneigt, konnte eine solche Einstellung dennoch respektieren.

Er stieg aus und sah an dem Gebäude hoch. Es hatte fünf Stockwerke, allesamt mit einem kleinen Balkon ausgestattet. Nur fünf Klingelschilder befanden sich an der Haustür, und auf ihnen standen keine Namen, nur Apartmentnummern.

Genervt strich er sich durchs Haar. Er würde es einfach überall versuchen müssen. Blieb nur zu hoffen, dass der Mann, nach dem er suchte, zu Hause war. Ansonsten konnte er sich unter Umständen auf eine lange Wartezeit einstellen.

Schritte erklangen hinter ihm, als er gerade auf die erste Klingel drücken wollte.

„Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?“

Armando erstarrte.

Diese Stimme …

Er hatte sie fünf Jahre lang nicht mehr gehört, hätte sie jedoch unter Tausenden wiedererkannt. Aber konnte es wirklich sein? Konnte es wirklich sein, dass …?

Nein, unmöglich!

Von einem Moment auf den anderen geriet Lucias Welt vollkommen aus den Fugen.

Wenige Augenblicke zuvor war noch alles in Ordnung gewesen. Auf dem Weg nach Hause hatte sie mit ihrer Mutter telefoniert:

„Ja, mamma, ich melde mich gleich nach meinem Vorstellungsgespräch morgen früh bei dir und sage dir, wie es gelaufen ist.“ Sie hatte ihr Handy zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, während sie in einer Hand die Einkaufstüte hielt und mit der anderen die Fahrertür ihres Mietwagens aufschloss. „Ich hoffe auch sehr, dass es klappt. Das Restaurant ist zwar eher klein und die Bezahlung nicht besonders im Vergleich zu meinen vorherigen Anstellungen, aber … Na ja, du weißt ja, dass es mir nicht vorrangig ums Geld geht …“ Sie öffnete die Wagentür, setzte sich hinters Steuer und stellte die Tüte auf den Beifahrersitz. „Ich muss jetzt Schluss machen. Gib Gino einen Kuss von mir, ja? Danke, mamma. Du bist die Beste.“

Sie beendete das Gespräch und legte ihr Telefon in der Mittelkonsole ab. Dann strich sie sich das schwarzbraune Haar aus dem Gesicht, das sich aus dem Zopf gelöst hatte, den sie mit einem Band am Hinterkopf zusammengefasst hatte.

Sie betrachtete ihr Gesicht im Rückspiegel. Sie sah erschöpft aus, was nicht wirklich verwunderlich war, so viel, wie sie im Augenblick unterwegs war. Aber in ihrem Berufszweig fand man Jobs eben nicht an jeder Straßenecke. Als Koch, als Servierkraft oder Küchenhilfe konnte man sich in jedem Lokal auf der Welt bewerben – ausgebildete Weinkellner waren dagegen nur in höherklassigen Restaurants gefragt.

Auch dann, wenn man sich – wie es bei ihr der Fall war – in der Branche einen Namen gemacht hatte.

Einen Namen, wohlgemerkt, aber nicht ihren eigenen. Sie hatte sich bereits am Anfang ihrer Karriere einen Künstlernamen zugelegt, unter dem sie seitdem tätig war. Und zwar aus gutem Grund. Sie hatte nicht gewollt, dass eine gewisse Person sie ausfindig machte.

Was für eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet diese Person ihr nun – ziemlich aufdringlich – einen Job anbot.

Lucia ließ den Motor an und fuhr vom Parkplatz des kleinen Supermarktes ganz in der Nähe des Apartments, das sie nach ihrer Ankunft auf Malta vor etwas mehr als vier Monaten angemietet hatte. Sie hätte auch bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater einziehen können – die beiden hatten es ihr mehr als einmal angeboten. Sie brauchte jedoch ihr eigenes Reich. Sie war daran gewöhnt, auf eigenen Beinen zu stehen. Bei jedem ihrer Jobs hatte sie auf einer Wohnung bestanden, anstatt sich, wie viele ihrer Kollegen, mit einem Pensionszimmer zu begnügen.

Sie würde den Rest des Nachmittags nicht damit verbringen, über die Vergangenheit nachzugrübeln. Manche Menschen waren es schlichtweg nicht wert, dass man sich ihretwegen überhaupt den Kopf zerbrach.

Der Termin für ihr Vorstellungsgespräch in dem kleinen Restaurant auf der anderen Seite der Insel war morgen Vormittag. Sie würde sich nachher ein Glas von dem vorzüglichen Barolo gönnen, den sie kürzlich auf einer Weinmesse entdeckt hatte, und dann früh zu Bett gehen. Ruhige Abende waren in den vergangenen Jahren eher spärlich gesät gewesen. Nicht, dass sie das in irgendeiner Weise bereute.

Sie holte tief Luft. Was zählte, war das Hier und Jetzt, sonst nichts. Nur nicht an die Vergangenheit denken!

Das war selbstverständlich leichter gesagt als getan. Zumal gerade hier auf Malta, wo sie praktisch jeden Tag an jenes Wochenende vor fünf Jahren erinnert wurde.

An jenen Mann, der ihr Herz gestohlen und sie dann einfach zurückgelassen hatte.

Nach einem Wochenende voller Leidenschaft.

Doch natürlich war es nicht nur Malta, weshalb sie immer wieder an damals zurückdenken musste. Schließlich gab es etwas, das sie an jedem Ort der Welt an Armando Conti erinnern würde.

Jemanden.

Den wichtigsten Menschen in ihrem Leben.

Keine zehn Minuten später stellte sie ihr Auto am Straßenrand vor dem Apartmentgebäude ab, in dem sie derzeit lebte. Dabei fiel ihr gleich der protzige SUV auf, der vor ihr parkte. Schwarz und glänzend, mit getönten Scheiben, wurde er offensichtlich für eins auf keinen Fall genutzt: die Fahrt im Gelände. Lucia war sich ziemlich sicher, dass dieser Wagen bisher nie auch nur einen Spritzer Schlamm abbekommen hatte.

Sie wunderte sich noch immer, als sie ausstieg und die letzten Meter zur Haustür zurücklegte. Die Wohngegend war zwar gut, aber definitiv nicht reich. Hier herrschten Mittelklassewagen vor, der SUV fiel auffallend aus dem Rahmen.

Ein Besucher vielleicht?

Ihre Theorie wurde kurz darauf bestätigt – vor der Haustür stand ein Mann, der ebenso wenig in diese Gegend zu passen schien wie der schnittige Geländewagen, das konnte sie sogar beurteilen, obwohl er ihr den Rücken zuwandte. Der Schnitt seiner Anzugjacke war zu perfekt, und seine dunkle Hose saß einfach zu gut, um von der Stange zu stammen. Schuhe aus feinstem italienischem Leder und eine goldene Armbanduhr – sicher kein billiges Imitat – vervollständigten das Bild.

Wen könnte so jemand hier wohl besuchen wollen? Sie kannte ihre Nachbarn zwar kaum, ging aber nicht davon aus, dass sich jemand darunter befand, der sich solche Statussymbole leisten konnte.

Ohne lange nachzudenken, räusperte sie sich und fragte: „Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?“

Sie sah, wie der Mann erstarrte.

Und in diesem Moment fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Er war es!

„Armando“, stieß sie wie vom Donner gerührt hervor. „Was … was tust du hier?“

Langsam drehte er sich um. Stand ihr nun direkt gegenüber und starrte sie an. Seine ausdrucksvollen Augen spiegelten eine Vielzahl von Gefühlen wider. Überraschung, Staunen, Fassungslosigkeit – und schließlich vor allem eins.

Zorn.

Lucia blinzelte. Was für einen Grund hatte er, wütend auf sie zu sein? Ausgerechnet er? Sofort regte sich Entrüstung bei ihr, und sie verschränkte die Arme wie einen Schutzschild vor der Brust, wobei sie an ihre erste Begegnung vor fünf Jahren dachte. Daran, wie er sie auf der Party ansprach. Wie er sie zum Lachen brachte und sein Charme sie dahinschmelzen ließ.

Und daran, wie übel er und seine Familie ihr danach mitgespielt hatten.

Sie reckte das Kinn und fragte erneut: „Was willst du, Armando?“

„Von dir?“

Wenn er überrascht war, ließ er sich das nicht anmerken. Er wirkte völlig ungerührt, als er nun eine Braue hob.

„Gar nichts. Ich bin nicht deinetwegen hier. Es ist jetzt immerhin fünf Jahre her, dass wir uns zuletzt gesehen haben.“

„Stell dir vor, das weiß ich.“

„Gut so. Denn wenn es nach mir ginge, hätte ich es auch gern dabei belassen.“

Sie funkelte ihn an. Was bildete er sich eigentlich ein? „Entschuldige, du bist es, der vor meiner Tür steht – nicht umgekehrt.“

„Und ich will trotzdem nicht zu dir. Ich bin auf der Suche nach einem Mann, der angeblich hier wohnt. Hilf mir, ihn zu finden, und du bist mich ein für alle Mal los, so viel kann ich dir versprechen.“

Sie runzelte die Stirn. Eine böse Vorahnung stieg in ihr auf. „Und von wem genau sprichst du?“

„Sein Name ist Luca Moreno. Er ist Sommelier – wie du …“

Er hielt inne, und man konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen hinter seiner Stirn drehten.

„Lucia … Luca …“

Er schluckte hart, sie sah seinen Adamsapfel zucken, in seiner Miene zeichnete sich Begreifen ab.

„Luca Moreno … Das bist du!“

Ihr wurde eiskalt. Er hatte ihr Geheimnis durchschaut. Ausgerechnet er. Was, wenn …? Nein, rief sie sich zur Ordnung. Jetzt war nicht der Moment, in Panik zu verfallen. Nicht in seiner Gegenwart, das konnte sie sich einfach nicht erlauben.

„Ja, das bin ich“, bestätigte sie mit erzwungener Gelassenheit. Und nun, da sie eine Sekunde Zeit gehabt hatte, nachzudenken, ergab seine Anwesenheit sogar Sinn. „Du bist wegen des Jobangebots deines Großvaters hier.“

Er nickte knapp. „Salvatore will, dass ich dich für das Veritas rekrutiere – sein neuestes Projekt. Allerdings erwartet er einen männlichen Sommelier.“

„Zum Glück ist es völlig gleichgültig, was er erwartet – ich hatte ohnehin nie vor zuzusagen“, entgegnete Lucia gereizt. „Das kannst du deinem Großvater gern wortwörtlich so bestellen. Und jetzt …“ Sie holte tief Luft und dachte an das andere große Geheimnis, das sie verbarg. „Jetzt möchte ich dich bitten, zu gehen.“

„Nichts lieber als das.“ Er funkelte sie wütend an. „Auf Nimmerwiedersehen, Lucia.“

Sie schwieg. Was sollte sie auch sagen?

Sie sah zu, wie er mit steifen Schritten zu seinem Wagen zurückkehrte, die Hintertür öffnete und im Fond Platz nahm. Erst als der SUV kurz darauf mit quietschenden Reifen an der nächsten Straßenecke verschwand, atmete sie auf.

Sofort griff sie nach ihrem Handy und wählte die Nummer ihrer Mutter.

, ich bin’s. Ja, ich weiß, dass wir gerade erst telefoniert haben, aber … Gibst du mir Gino bitte noch mal schnell?“

Kurze Zeit später meldete sich eine helle Kinderstimme: „Ciao, mamma. Kommst du heute Abend und liest mir eine Geschichte vor?“

„Nein, mio tesoro, heute schaffe ich es leider nicht. Morgen vielleicht. Aber nonna liest dir bestimmt gern etwas vor. Ich wollte dir einfach nur gute Nacht wünschen. Buona notte e dolci sogni – träum süß.“

Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von dem Jungen, der im April vier Jahre alt geworden war.

Armandos Sohn.

2. KAPITEL

Glättend strich Lucia über ihren anthrazitfarbenen Bleistiftrock, straffte die Schultern und ließ einen letzten prüfenden Blick über ihre tailliert geschnittene weiße Bluse gleiten. Dann atmete sie tief durch und trat vom hellen Sonnenschein in das kühle Halbdunkel des Restaurants, in dem sie ihr Vorstellungsgespräch hatte.

Eigentlich war sie gut vorbereitet, sodass es keinen Grund gab, sich Sorgen zu machen. Doch die letzte Nacht war alles andere als angenehm gewesen. Immerzu hatte sie sich hin und her gewälzt und kaum ein Auge zubekommen – und das war heute Morgen im Spiegel nicht zu übersehen gewesen. Mit ein wenig Make-up war es ihr gelungen, die deutlichsten Spuren zu überdecken, ganz auf der Höhe war sie trotzdem nicht.

Und alles nur wegen Armando.

Der Mann, den sie die vergangenen fünf Jahre zu vergessen versucht hatte – erfolglos. Nicht nur, weil das Wochenende mit ihm zu den schönsten ihres Lebens gehörte, nein. Er hatte ihr auch gezeigt, wie gefährlich es war, sich einem anderen Menschen zu öffnen.

Wie schmerzhaft es war, wenn die eigenen Hoffnungen und Träume zerplatzten.

Das kleine Glöckchen über der Tür bimmelte leise, und es dauerte keine zehn Sekunden, bis der Inhaber des Restaurants – Matteo Vella – auf sie zutrat.

„Sie müssen Miss Moreno sein“, sagte er und streckte ihr mit einem freundlichen Lächeln die Hand entgegen. „Freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Um ehrlich zu sein, ich war überrascht, dass Sie sich auf unser Stellenangebot hin beworben haben. Der Name, unter dem Sie arbeiten, hat in der Branche ziemliches Gewicht.“

Lucia nickte. „Ich war in den letzten Jahren meistens für bekanntere Häuser tätig.“

„Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass wir Ihnen nicht die Art von Gehalt bieten können, die Sie gewohnt sind.“ Einladend hob er eine Hand und führte sie ins Innere des Restaurants.

Es war hübsch und liebevoll eingerichtet, wenn auch kein Vergleich zu den Sterne-Lokalen, in denen sie zuletzt gearbeitet hatte. Hier ging es nicht so sehr um Luxus und Exklusivität, sondern einzig um gutes Essen.

Und daran war definitiv nichts auszusetzen. Dass sie weniger verdienen würde, war ihr ohnehin bereits klar gewesen. Es gab jedoch wichtigere Dinge als Geld – und das sagte sie Mr. Vella auch.

„Dessen bin ich mir bewusst“, antwortete sie. „Und ich habe kein Problem damit. Es geht mir darum, für länger als nur ein paar Monate am Stück an einem Ort zu bleiben. Ich bin auf der Suche nach einer längerfristigen Anstellung. Mein Sohn ist jetzt vier Jahre alt, und es wird Zeit, sesshaft zu werden.“

Sie setzten sich an einen der Tische, die bereits für das Abendgeschäft hergerichtet waren. Weiße Tischdecken, auf Hochglanz polierte Weingläser und Besteck, in dem man sich spiegeln konnte.

Vella nickte. „Das kann ich gut verstehen. Allerdings muss ich Ihnen gestehen, dass ich Sie vor allem aus Neugier eingeladen habe. Wir sind eigentlich eher auf der Suche nach einem Kellner, der sich auch ein wenig mit Wein auskennen sollte. Für eine echte Sommelière haben wir offen gestanden nicht wirklich Verwendung. Sie sind mir deswegen doch hoffentlich nicht böse?“

Lucia, die bis eben noch hoffnungsvoll gewesen war, ließ die Schultern hängen. Dennoch zwang sie ein Lächeln auf ihre Lippen und schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Im Grunde hätte ich es mir schon denken können. Hier in der Gegend ist die Nachfrage nach Sommeliers nicht besonders hoch.“

Dennoch war es eine Enttäuschung. Trotz der finanziellen Einbußen wäre sie froh gewesen, den Job zu bekommen, denn ihre Mutter lebte mit ihrem zweiten Ehemann nur wenige Kilometer entfernt. Das war ein Grund für sie gewesen, ihren Vertrag in London nicht zu verlängern und stattdessen nach Malta zu gehen. Als Gino noch klein war, störte das „Vagabundenleben“ sie nicht weiter, doch allmählich wurde es Zeit, sesshaft zu werden. Ihr Sohn würde bald in die Schule kommen, und sie wollte es ihm nicht zumuten, weiterhin ständig aus seiner gewohnten Umgebung gerissen zu werden.

Dass ihre Mutter gerne bereit war, auf ihn aufzupassen, und sie ihn somit nicht in die Obhut eines Kindermädchens geben musste, war ein weiterer Bonus. Wenn es ihr denn gelang, auf Malta eine Anstellung zu finden. Zwar hatte sie noch einen zweiten Termin in der Gegend, doch wenn der ähnlich verlief, würde sie diese Hoffnung wohl begraben müssen.

Vella lachte. „Nein, vermutlich nicht“, sagte er. „Trotzdem habe ich jetzt ein schlechtes Gewissen. Darf ich Sie und Ihre Familie vielleicht heute Abend zum Essen einladen?“

„Das ist wirklich nicht nötig.“

„Aber ich bestehe darauf. Und ich werde mich auch für Sie bei meinen Kollegen umhören.“ Sie standen auf und er hielt ihr erneut die Hand hin. „Ich bitte noch einmal um Entschuldigung. Bis heute Abend dann?“

Lucia zögerte kurz und gab sich geschlagen. „Bis heute Abend.“

Hitze und grelles Sonnenlicht schlugen ihr entgegen, als sie wieder ins Freie trat. Sie griff in ihre Handtasche und holte ihre Sonnenbrille heraus. Im nächsten Moment ließ sie sie beinahe fallen, als eine ihr nur zu bekannte Stimme neben ihr erklang.

„Ich muss schon sagen, vom Vier-Sterne-Restaurant hierher, das ist ein ganz schöner Abstieg. Was hast du getan? Bist du deinem letzten Chef mit der Portokasse durchgebrannt? Oder, nein, lass mich raten. Du bist mit ihm ins Bett, und seine Frau war davon nicht besonders angetan.“

Lucia wirbelte herum und funkelte Armando zornig an. Was bildete er sich ein? Er kannte sie im Grunde doch gar nicht, immerhin hatten sie nur ein einziges Wochenende miteinander verbracht. Wie konnte er es sich erlauben, ein solches Urteil über sie zu fällen?

„Was willst du hier?“, fragte sie. „Was genau an ‚Auf Nimmerwiedersehen‘ hast du nicht verstanden?“

Ihm gegenüberzustehen war nach wie vor surreal. Als würde man die Augen schließen und sich, wenn man sie wieder öffnete, in der Vergangenheit wiederfinden. Er hatte sich kaum verändert. Das wellige dunkle Haar trug er vielleicht ein wenig länger, aber es waren noch immer seine olivgrünen Augen, die sie sofort in ihren Bann schlugen.

Auch wenn sie das ihm gegenüber nie zugeben würde – sie hatte ihn niemals vergessen. Seit jenem verhängnisvollen Wochenende vor fünf Jahren war kein Tag vergangen, an dem sie nicht wenigstens einmal an ihn hatte denken müssen. Und das nicht nur, weil jenes Wochenende nicht ohne Folgen geblieben war.

Nein, es lag nicht nur an Gino – obwohl die Tatsache, dass er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, diesbezüglich nicht unbedingt hilfreich war. So kurz die Zeit mit Armando auch gewesen war, sie hatte sich auf irgendeine Art und Weise mit ihm verbunden gefühlt.

Das hatte sie von dem Moment an gespürt, in dem sie ihn zum ersten Mal auf dieser Gartenparty sah. Deshalb war sie mit ihm essen und danach auf sein Hotelzimmer gegangen. Etwas, das sie normalerweise nicht tat. So war sie einfach nicht. Sie war keine Frau für eine Nacht – oder, wie in diesem Fall, für zwei Nächte.

Armando hatte sie nicht widerstehen können. Wie Wachs war sie in seinen Händen gewesen. Noch nie zuvor hatte ein Mann sie so leidenschaftlich, so hingebungsvoll geliebt.

Als ihre gemeinsame Zeit zum unvermeidlichen Ende kam, da er zu einer längeren Geschäftsreise aufbrechen musste, hatte sie auf mehr gehofft. Und es schien ganz so, als ginge es ihm ähnlich. Sie hatten nicht nur fantastischen Sex gehabt, sondern auch miteinander reden und lachen können. Dinge, die für sie mindestens ebenso wichtig waren wie der körperliche Aspekt einer Beziehung.

Sie erinnerte sich noch genau: Er hatte sie zum Abschied geküsst und ihr gesagt, dass er sie unbedingt wiedersehen wollte, wenn er wieder zurück in Italien war.

Er hatte sich also auf den Weg gemacht und Wochen waren vergangen. Wochen, in denen sie nichts von ihm gehört hatte, was ziemlich ernüchternd für sie gewesen war. Und dann hatte sie festgestellt, dass sie schwanger war. Das war ein Schock, denn es gab wohl nichts, mit dem sie weniger gerechnet hätte.

Nach einer unruhigen Nacht hatte sie beschlossen, mit Armando in Kontakt zu treten, obwohl sie sich vor seiner Reaktion fürchtete. Welcher Mann wollte schon ein Kind mit einer Frau, mit der er lediglich ein Wochenende verbracht hatte? Und dass sie das Kind bekommen würde, daran hatte für sie zu keinem Zeitpunkt auch nur der geringste Zweifel bestanden.

Über Austin, den Bekannten ihrer Mutter, den sie damals auf die Gartenparty begleitet hatte, war sie an Armandos vollen Namen gekommen und in dem Zusammenhang auch an den von Salvatore Conti. Sie hatte sich ein Flugticket nach Rom gekauft, und als sie Armando dort nicht antraf, suchte sie seinen Großvater auf dessen Weingut in der Toskana auf.

Dabei hatte sie nicht geahnt, dass sie sich geradewegs in die sprichwörtliche Höhle des Löwen begab.

Noch heute bekam sie eine Gänsehaut, wenn sie an Salvatore Conti dachte. Dieser Mann war eiskalt und berechnend. Als sie ihm von ihrer Situation erzählte, lachte er ihr ins Gesicht und bezeichnete sie als Lügnerin und Goldgräberin. Keinen Zweifel hatte er daran gelassen, dass sie für Armando nichts weiter als ein netter Zeitvertreib gewesen war. Eine Frau unter vielen. Und dass sie nicht die Erste war, die versuchte, auf diesem Weg Profit aus dem kurzen Zusammensein zu schlagen.

Conti hatte ihr klipp und klar gesagt, dass Armando nie etwas von der – wie er es bezeichnete – vermeintlichen Schwangerschaft erfahren würde. Als er ihr schließlich drohte, ihre noch junge Karriere als Sommelière zu zerstören, wenn sie nicht aus dem Leben seines Enkels verschwand, waren ihr die Worte des Protests im Hals stecken geblieben. Schluchzend hatte sie die Flucht ergriffen.

Und das nicht nur, weil sie ihren Beruf liebte und wirklich gut darin war. Nein, als bald schon vermutlich alleinstehende Mutter konnte sie es sich nicht leisten, ohne Job und mittellos dazustehen.

„Verstanden habe ich dich sehr wohl“, sagte Armando und riss sie aus ihren Erinnerungen. „Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich es auch einfach so hinnehmen muss.“

Lucia schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich nicht, Armando. Du sagtest doch selbst, dass es dir lieber gewesen wäre, mich nie wiederzusehen. Wieso verschwindest du also nicht einfach? Sag deinem Großvater, dass ich sein Angebot abgelehnt habe, und wir sind endgültig fertig miteinander.“

„Es geht hier aber nicht um dich oder mich, oder um das, was vor einer halben Ewigkeit zwischen uns vorgefallen sein mag. Meine Anweisung lautet, Luca Moreno für das Restaurant meines Großvaters anzuwerben. Und genau das gedenke ich zu tun.“

„Ohne mich!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn du tatsächlich glaubst, dass ich jemals auch nur in Erwägung ziehen würde, für deinen Großvater zu arbeiten, dann musst du völlig den Verstand verloren haben. Und jetzt geh. Bitte.“

„Tut mir leid, aber das kann ich nicht.“

Sie drängte sich an ihm vorbei, doch er war offenbar nicht bereit, einfach so aufzugeben, und kam ihr nach. Genervt wirbelte sie herum und funkelte ihn an. „Willst du mir vielleicht die ganze Zeit nachlaufen wie ein Hündchen? Es wird an meiner Entscheidung nichts ändern, das versichere ich dir. Du kannst also ebenso gut in den nächsten Flieger zurück nach Italien steigen.“

„Nur mit dir zusammen“, entgegnete er knapp. „Und wenn du mir zugehört hättest, dann wäre dir das klar.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, in dem nicht ein Funke Humor mitschwang. „Zudem wüsste ich auch nicht, warum ich dir irgendeinen Gefallen tun sollte, Lucia. Ich …“ Er hielt inne, als sein Handy zu klingeln begann. Grollend nahm er das Telefon aus der Innentasche seines cremefarbenen Leinenjacketts. „Da muss ich kurz rangehen … Ja, Vito, was gibt es?“

Er wandte sich ab, und Lucia zögerte nicht, die günstige Gelegenheit zu nutzen und das Weite zu suchen. Gut möglich, dass es auf Außenstehende wie eine Flucht wirken mochte, und im Grunde war es auch nichts anderes.

, ich weiß, was nonno gesagt hat. Dass es schnell gehen muss. Aber wie es aussieht, wird sich die ganze Sache noch ein wenig hinziehen. Ich kann es nicht ändern. Also sei so gut und richte ihm das aus, sobald du ihn siehst. No, ich habe keine Lust, ihm das selbst zu sagen. Tu mir den Gefallen bitte, Vittorio.“

Seufzend strich Armando sich durchs Haar, als sein jüngerer Bruder am anderen Ende der Leitung über Verantwortung und Pflichtgefühl schwadronierte.

Musste er sich das wirklich anhören?

„Jetzt halt mal die Luft an. Ich verstehe nicht, wie du den alten Mann überhaupt verteidigen kannst. Hast du immer noch nicht begriffen, was für ein Mensch er ist? In seiner Brust befindet sich kein Herz, sondern ein Eisblock. Und glaube ja nicht, dass er sich auch nur einen Deut um dich schert. Das wirst du spätestens in dem Moment feststellen, in dem du einmal nicht das tust, was er von dir verlangt.“

Vittorio schwieg einen Augenblick, ehe er das Wort ergriff: „Ich verstehe dich nicht, Armando. Wenn du ihn doch so sehr hasst, warum lässt du dich immer wieder von ihm vor den Karren spannen?“

„Nun, freiwillig ganz sicher nicht“, knurrte er. „Er hat mich regelrecht erpresst. Mein eigener Großvater! Kannst du dir das vorstellen?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Tja, es ist aber so. Ich weiß nicht genau, wie, doch irgendwie hat er diesen Schuldschein in die Finger bekommen …“

„Einen Schuldschein? Steht es um deinen Laden wirklich so schlecht?“

Armando verdrehte die Augen. „Nicht meinen Schuldschein“, erklärte er und ließ unerwähnt, dass sein Club tatsächlich im Moment alles andere als gut lief. „Es geht um einen guten Freund von mir. Du kennst ihn. Césare.“

„Natürlich. Aber was …“

„Sein Vater hat sich von einem Investmentberater zu einem windigen Spekulationsgeschäft überreden lassen und sich dafür sogar Geld geliehen. Die Sache ging schief, und anstatt einer hohen Rendite sah er sich plötzlich mit einem Schuldenberg konfrontiert, den er nicht zurückzahlen konnte. Ich nehme an, der ursprüngliche Gläubiger war froh, als Salvatore auf ihn zukam.“

Nonno hat den Schuldschein also in seinem Besitz?“

„Ganz genau. Und nun benutzt er ihn als Druckmittel, um mich nach seiner Pfeife tanzen zu lassen“, entgegnete Armando bitter. „Er weiß natürlich, dass ich Césare niemals im Stich lassen würde. Immerhin ist er mein bester Freund, und sein Vater würde es nicht überleben, wenn er sein Geschäft verlöre.“

Er und Césare kannten sich schon seit der Grundschule und ihre Familien sich mindestens ebenso lange. Signore Varese hatte ihm mitunter viel nähergestanden als sein eigener Großvater. Wobei das nicht wirklich etwas hieß, wenn man bedachte, wie Salvatore war. Aber Varese war immer freundlich zu ihm gewesen, hatte ihn mit einbezogen, auf Familienausflüge mitgenommen und ihm das Gefühl gegeben, dazuzugehören.

Für einen Jungen, der zu Hause nie so etwas wie Liebe oder Zuneigung erfahren hatte, war das etwas ganz Besonderes gewesen.

Armando wusste, dass Césares Vater sein kleiner Lebensmittelladen unglaublich wichtig war. Ihn zu verlieren, würde ihm das Herz brechen.

Dazu würde es jedoch nicht kommen. Nicht, wenn er irgendetwas tun konnte, um das zu verhindern.

Die Frage war nur – war das überhaupt noch möglich? Eigentlich war sein Vorhaben klar gewesen: Nach Malta reisen, Luca Moreno dazu überreden, für Salvatore zu arbeiten – und wieder nach Hause fliegen. Und im Gegenzug den Schuldschein ausgehändigt bekommen. Dass es ihm gelingen würde, den Sommelier zu überzeugen, daran hatte er nie wirklich gezweifelt. Menschen zu überzeugen, sie von sich einzunehmen, war ihm stets leichtgefallen. Vermutlich hatte sein Großvater auch gerade deshalb ihn mit diesem Auftrag betraut, und nicht Vittorio.

Doch jetzt, wo klar war, dass Luca in Wahrheit Lucia hieß und kein Mann, sondern eine Frau war, waren die Karten neu gemischt. Was, wenn es ihm tatsächlich gelänge, Lucia zu überzeugen, ihn zu seinem Großvater zu begleiten? Nicht, dass er diesbezüglich besonders hoffnungsvoll war. Sie hatte ihren Standpunkt mehr als deutlich klargemacht.

Aber selbst wenn – würde Salvatore unter diesen Umständen Wort halten und ihm den Schuldschein aushändigen, nun, wo feststand, dass Lucia nicht die erwartete Person war?

Und vor allem nach dem, was sie sich vor fünf Jahren geleistet hatte …

Armando hasste es, dass er die Reaktion seines Großvaters niemals wirklich einschätzen konnte. Doch was blieb ihm anderes übrig, als es darauf ankommen zu lassen? Er konnte es sich nicht erlauben, mehr Zeit als unbedingt nötig hier auf Malta zu verbringen. Nicht nach dem, was er nach seinem verunglückten zweiten Zusammentreffen mit Lucia von Luigi erfahren hatte.

Leise seufzend strich er sich durchs Haar. Am Morgen hatte das Ordnungsamt in seinem Club – dem Paradiso – eine routinemäßige Prüfung durchgeführt. Routinemäßig – als ob! Daran glaubte er ebenso wenig wie daran, dass es tatsächlich Hygieneprobleme in seinem Laden geben sollte. Doch genau das war bei der Überprüfung angeblich festgestellt worden.

Absoluter Unfug. Er war Geschäftsmann, der Club sein Lebensunterhalt. Für wie dumm hielt man ihn, dass er den riskierte, nur um hier und da ein paar Euro bei der Einhaltung der Hygienerichtlinien zu sparen? In seinen Augen war ein solches Verhalten vollkommen absurd.

Gegen Behördenwillkür konnte man sich aber nur schwer wehren, besonders in Rom. Ganz davon abgesehen, dass es sich vermutlich keineswegs um Willkür handelte, sondern um Vorsatz.

Seit Monaten ging das nun schon so. Jemand versuchte, ihm das Leben schwer zu machen. Und nach anfänglichen Fehlschlägen war dieser Jemand damit nun zunehmend erfolgreicher. Der Besuch vom Ordnungsamt war sein neuester Coup.

Es wurde Zeit, dass er herausfand, wer dahintersteckte. Ansonsten konnte er seinen Laden bald endgültig dichtmachen. Aber statt zu Hause Licht ins Dunkel zu bringen, saß er hier auf Malta fest.

„Also schön“, sagte Vittorio und riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Ich richte ihm aus, was du gesagt hast. Und ich werde versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen, was diesen Schuldschein betrifft – aber ich kann dir natürlich nichts versprechen.“

„Keine Sorge, ich mache mir da keine großartigen Hoffnungen. Salvatore wird auf dich sicher genauso wenig hören wie auf mich. Warum sollte er auch? Er hat mich schließlich genau dort, wo er mich haben will. Und er wird keine Sekunde zögern, seine Drohung wahr zu machen, wenn ich nicht tue, was er von mir verlangt.“

„Er ist kein Unmensch, Armando“, gab sein Bruder zu bedenken, doch wirklich überzeugt wirkte er nicht mehr.

Armando schnaubte. „Glaub, was du willst. Ich weiß, was ich weiß. Und jetzt muss ich Schluss machen. Ciao.

Er beendete das Gespräch, damit er sich nicht noch weiter in Rage redete. Vittorio konnte ja nichts dafür. Doch es machte Armando zornig, wenn er seinen jüngeren Bruder so reden hörte. Sie waren zusammen aufgewachsen. Salvatore hatte Vito kein Stück besser behandelt als ihn oder Lorenzo. Sie hatten alle unter seiner Strenge und seiner Gefühlskälte zu leiden gehabt.

Im Gegensatz zu Lorenzo und ihm hatte Vito jedoch nie aufgehört, nach der Anerkennung ihres Großvaters zu streben. Ein positives Wort, ein Zeichen des Wohlwollens, und er war ein williger Bauer auf Salvatores Schachbrett.

Früher war Armando nicht viel besser gewesen. Als Junge hätte er alles getan, um seinen Großvater zufriedenzustellen. Doch die Zeiten waren vorbei. Er wusste inzwischen, dass für Salvatore nur eins zählte: Geld und Macht.

Nie wieder würde er sich ein Bein ausreißen, nur um Salvatore zu gefallen.

Zumindest nicht freiwillig.

Er hatte genug eigene Probleme.

3. KAPITEL

„Tut mir leid, dass es nicht so gut für dich gelaufen ist, Liebes, aber du hast ja noch ein zweites Vorstellungsgespräch, oder?“

Seufzend wechselte Lucia das Telefon von einem Ohr zum anderen, nahm hastig einen Bissen von ihrem Croissant und schluckte ihn hinunter, ehe sie erwiderte: „Sì, mamma, ich bin praktisch schon auf dem Weg dorthin. Habt ihr drei wenigstens gestern Abend schön gegessen?“

Lucia hatte ihre Mutter, ihren Stiefvater und Gino in das Restaurant von Matteo Vella geschickt, da sie den Eindruck gehabt hatte, dass es ihm wirklich wichtig gewesen war, eine kleine Wiedergutmachung zu leisten. Ihr selbst war nach dem Gespräch mit Armando für den Rest des Tages sämtlicher Appetit vergangen.

„Es war einfach fantastisch“, schwärmte Rosalia Coletti. „Sogar Gino hat alles aufgegessen, und du weißt ja, was für ein mäkeliger Esser er ist.“

Beim Gedanken an ihren Sohn stieg ein heftiges Gefühl von Sehnsucht in ihr auf. Sie wollte Gino in den Arm nehmen, mit ihm kuscheln und ihm nah sein. Sie vermisste ihn so sehr, dass es fast schon körperlich schmerzte. Und das, obwohl sie ihn doch erst vor etwas mehr als vierundzwanzig Stunden zu ihrer Mutter gebracht hatte.

Es kam ihr viel länger vor.

Wahrscheinlich, weil innerhalb so kurzer Zeit so viel geschehen war. Allem voran das Wiedersehen mit Armando. Es hatte sie mehr aufgewühlt, als sie in Worte zu fassen vermochte. Nicht, dass sie mit irgendjemandem darüber reden konnte. Nicht einmal ihre Mutter wusste, wer Ginos Vater war. Und Armando … Der würde vermutlich eins und eins zusammenzählen können. Auch wenn sein Großvater ihm tatsächlich nichts von ihrer Schwangerschaft gesagt hatte.

„Auf jeden Fall hatten wir einen wirklich schönen Abend. Und du? Warum hast du uns nicht begleitet?“

„Mir war einfach nicht danach“, entgegnete sie ausweichend. „Und jetzt muss ich los. Gib Gino einen Kuss von mir, ja?“

Sie verabschiedete sich von ihrer Mutter, verließ ihre Wohnung und eilte die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Ihr Wagen parkte am Straßenrand, und sie öffnete ihn mit der Fernbedienung – doch als sie gerade eingestiegen war, setzte sich ein dunkler SUV direkt vor sie, der ihr irgendwie bekannt vorkam.

„Was …? So ein Idiot!“, schimpfte sie. Der Wagen hatte so weit zurückgesetzt, dass kein Blatt Papier mehr zwischen die beiden Stoßstangen passte. Dummerweise war hinter ihr kaum mehr Platz.

Sie war eingeparkt.

Wütend stieg sie aus und ging zu dem SUV hinüber. Sie hob gerade die Hand, um an die Scheibe auf der Fahrerseite zu klopfen, als das Fenster heruntergelassen wurde und sie in das grinsende Gesicht von Armando blickte.

„Du schon wieder!“ Sie funkelte ihn zornig an. „Fahr auf der Stelle deine Protzkarre hier weg. Ich habe einen dringenden Termin und würde jetzt gerne ausparken, wenn du nichts dagegen hast.“

„Und wenn ich etwas dagegen habe?“

Er stieg aus und grinste noch immer frech – am liebsten hätte sie ihm das Grinsen aus dem Gesicht gewischt, doch im selben Moment ließ es ihr Herz schneller klopfen.

Was war bloß mit ihr los?

„Was soll das werden?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn du nicht freiwillig wegfährst, rufe ich die Polizei. Dann wirst du abgeschleppt und bleibst auf den Kosten sitzen.“

Nicht, dass ihm das wirklich etwas ausmachen würde. Die Familie Conti war eine der reichsten ganz Italiens, und Salvatore Contis Einfluss ging weit über die Landesgrenzen hinaus. Da Armando im Auftrag seines Großvaters hier war, brauchte er sich über solche Kleckerbeträge sicher keine Gedanken zu machen.

Er wirkte vollkommen gelassen, als er sie angrinste. „Bis dahin dürfte sich dein Vorstellungsgespräch allerdings ebenfalls erledigt haben.“

Lucia fluchte unterdrückt. Er hatte recht, das dauerte alles viel zu lange. Aber, Moment! Woher …? „Woher weißt du von meinem Vorstellungsgespräch?“, fragte sie und kniff die Augen zusammen. „Spionierst du mir nach?“

„Finde dich damit ab, dass ich ein Nein von dir nicht akzeptieren werde. Und was deine Frage betrifft, es war gar nicht nötig, dir nachzuspionieren. Malta ist klein. Hier spricht es sich rasch herum, wenn ein Spitzen-Sommelier sich um eine Anstellung bewirbt.“

Lucia zückte ihr Handy, wählte die Nummer eines Taxidienstes und wollte einen Wagen bestellen, da nahm Armando ihr das Telefon einfach aus der Hand.

„Hey!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte, es ihm wieder zu entreißen, doch er war zu groß für sie.

„Das kannst du dir sparen“, erklärte er. „Ich habe deinen Termin nämlich bereits in deinem Namen abgesagt.“

Fassungslos starrte Lucia ihn an. Sie war ihm so nah, dass ihr der männlich-herbe Duft seines Rasierwassers in die Nase stieg. Und sie hasste es, dass bei diesem Geruch ihr Herz unwillkürlich schneller schlug.

Was stimmte bloß nicht mit ihr? Dieser Mann hatte ihr fünf Jahre lang die kalte Schulter gezeigt. Fünf Jahre, in denen er für sie – und vor allem für Gino – hätte da sein sollen. Er hatte nicht mal einen Gedanken an sie verschwendet.

Und jetzt stand sie ihm gegenüber, und ihr verräterisches Herz schlug Purzelbäume, als wäre all das niemals geschehen.

„Du hast … was? Das soll hoffentlich nur ein Scherz sein!“

„Nein, keineswegs. Ich soll dir übrigens ausrichten, dass du dich gern wieder melden kannst, sobald es deiner Tante besser geht.“

„Meiner … Was redest du denn da? Gib mir sofort mein Telefon, damit ich dort anrufen und alles richtigstellen kann.“

„Und was willst du denen erklären? Dass deine Tante auf wundersame Weise genesen ist?“

„Ich sage einfach, dass meine durchgeknallte Ex-Affäre es sich in den Kopf gesetzt hat, mir meine Jobchancen zu ruinieren“, entgegnete sie scharf.

Er lachte. „Versuch es, wenn du unbedingt willst. Allerdings ist mein Familienname auch hierzulande ein Begriff. Ich bin nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, mich als deine durchgeknallte Ex-Affäre zu bezeichnen.“ Er sah ihr geradewegs in die Augen. „Und wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist diese Art von Restaurant doch weit unter deinem Niveau.“

Lucia atmete tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Es half niemandem, wenn sie die Beherrschung verlor. Und im Grunde hatte er ja recht. Die Jobs, die hier auf Malta zur Verfügung standen, waren weit von dem entfernt, was sie gewohnt war – nicht nur finanziell, sondern auch von der Herausforderung her.

Hier konnte sie als bessere Weinkellnerin arbeiten und sich darüber hinaus allenfalls noch um die Verhandlungen mit Lieferanten kümmern. Aber was blieb ihr anderes übrig, als ihre Anforderungen deutlich herunterzuschrauben? Immerhin hatte sie Gino gegenüber eine Verantwortung, die sie nicht länger ignorieren durfte.

Bisher war sie damit durchgekommen, mit ihm von einem Ort zum anderen zu ziehen. Sie hatte in namhaften Restaurants in Paris, Madrid und London gearbeitet und sich dabei langsam, aber sicher immer weiter hochgedient. Um das zu erreichen, hatte sie flexibel sein müssen – doch spätestens in zwei Jahren, wenn Gino in die Schule kam, musste mit diesem wurzellosen Leben Schluss sein. Es war schlimm genug, dass er sich ständig an neue Kindermädchen gewöhnen musste. Ihn zu zwingen, immerzu die Schule zu wechseln … Nein, das kam überhaupt nicht infrage.

Sie zuckte die Achseln. „Ich spiele schon längere Zeit mit dem Gedanken, sesshaft zu werden. Meine Mutter lebt hier auf Malta und …“ Sie stockte, als ihr klar wurde, dass sie drauf und dran gewesen war, Gino zu erwähnen. „Und daher bietet es sich an, ebenfalls hierherzuziehen. Man weiß ja schließlich nie, wie viel gemeinsame Zeit einem noch bleibt.“

Er hob eine Braue. „Es muss schön sein, eine so enge Beziehung zu seiner Familie zu haben.“

Es sollte vermutlich höhnisch klingen, doch Lucia entging die Bitterkeit nicht, die in seiner Stimme mitschwang.

Sie reckte das Kinn. „Das ist es tatsächlich, ja. Meine Mutter hat mich in jeder meiner Entscheidungen unterstützt, und sie war immer für mich da, wenn ich sie brauchte. Ich weiß, dass sie sich wünscht, mich und … äh … öfter zu sehen, und diesen Wunsch möchte ich ihr gern erfüllen.“

Sie schluckte hart. Es fiel ihr nicht leicht, so zu tun, als würde es Gino nicht geben, und es fühlte sich nicht richtig an. Auch wenn Armando und sie ihre Differenzen hatten, verwirkte er dadurch nicht das Recht zu erfahren, dass er Vater war – und zwar von ihr persönlich.

Da er die Sprache bislang nicht darauf gebracht hatte, vermutete Lucia, dass sein Großvater ihm tatsächlich nichts von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte oder dass er annahm, sie sei gar nicht wirklich schwanger gewesen. Immerhin war Salvatore ja überzeugt davon gewesen, dass sie es nur auf das Vermögen seines Enkels abgesehen hatte. Daher war es wahrscheinlich kein Wunder, dass Armando gar nicht auf den Gedanken kam, nach ihrem Kind zu fragen. Das entließ sie jedoch nicht aus der Verantwortung, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie war es sowohl Armando als auch Gino schuldig.

Nur dass sie dummerweise nicht die geringste Ahnung hatte, wie sie es ihm beibringen sollte. Einfach so mit der Tür ins Haus zu fallen und zu sagen: „Ach übrigens, du hast einen Sohn, sein Name ist Gino, er ist vier Jahre alt“, erschien ihr jedenfalls wenig ratsam. Doch je länger sie wartete, umso schwieriger würde es werden, endlich reinen Tisch zu machen.

Sie schaute Armando an, und zum ersten Mal sah sie nicht nur den Mann, der ihr das Leben schwer machte, seit er wieder aufgetaucht war. Sie sah den Menschen, den sie damals, an jenem Wochenende vor fünf Jahren, kennengelernt hatte. Einen humorvollen, rücksichtsvollen, charmanten, unglaublich attraktiven Mann, der ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte. Einen Mann, der mit einem Lächeln ihr Herz flattern ließ und mit einem Blick ihre Knie hatte weich werden lassen.

Und vielleicht war dieser Mann ja noch irgendwo da drin, versteckt hinter einer Maske aus Spott und Sarkasmus, und wartete nur darauf, dass sich jemand die Mühe machte, hinter seine Fassade zu blicken.

Armando stand lässig gegen seinen Wagen gelehnt da und versuchte zu ergründen, warum er plötzlich etwas anderes verspürte als Zorn und Bitterkeit, wenn er Lucia ansah.

Obwohl es fünf Jahre her war, erinnerte er sich an den Tag, an dem er von seiner Geschäftsreise nach dem gemeinsamen Wochenende mit ihr zurückgekehrt war, so als wäre es erst gestern gewesen.

Er wusste noch, dass er guter Dinge war, entschlossen, weil einem Wiedersehen mit ihr nun endlich nichts mehr im Wege stand. Sie hatten während seiner Abwesenheit keinen Kontakt miteinander gehabt. Anfangs war er schlichtweg zu beschäftigt gewesen, und dann war sein Handy plötzlich aus seinem Hotelzimmer verschwunden, und er hatte nicht gewusst, wie er sie erreichen konnte.

Entsprechend entschlossen war er nach seiner Rückkehr gewesen, sie ausfindig zu machen, um die verlorene Zeit so schnell wie möglich wiedergutzumachen. Aber ehe er dazu kam, zitierte Salvatore ihn in sein Büro und stellte ihn vor vollendete Tatsachen.

Er erfuhr, dass Lucia bei seinem Großvater gewesen war und ihm von ihrem gemeinsamen Wochenende berichtet hatte. Dann hatte sie erklärt, dass sie von einem Konkurrenten darauf angesetzt worden war, sich in sein Vertrauen zu schleichen, um auf diese Weise an vertrauliche Informationen zu gelangen. Letztendlich war sie aber zu dem Schluss gekommen, dass sie von Salvatore mehr Geld bekommen konnte als von ihrem eigentlichen Auftraggeber.

Wie es sich dann wohl auch bewahrheitet hatte.

Zuerst hatte er seinem Großvater kein Wort glauben wollen. Er hatte versucht, Lucia zu sprechen, sich ihre Seite der Geschichte anzuhören. Doch sie war unter der ihm bekannten Handynummer nicht mehr zu erreichen gewesen. Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben … Am Ende war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich einzugestehen, dass er sich von der Schönheit einer Frau hatte blenden lassen.

Schon wieder.

Eigentlich hätte er es besser wissen müssen. Immerhin hatte Salvatore schon mal eine Frau dafür bezahlt, dass sie aus seinem Leben verschwand. Und zwar nicht irgendeine Frau, sondern seine erste große Liebe.

Danach hatte sich das Verhältnis zu seinem Großvater noch weiter abgekühlt. Armando hatte den Glauben an die Familie verloren und auch den an die Liebe. Zumindest bis zu dem Moment, in dem Lucia in sein Leben getreten war.

Ihr Verrat hatte ihm dann einmal mehr vor Augen geführt, dass er Frauen nicht vertrauen durfte. Schon gar nicht jenen, zu denen er sich hingezogen fühlte, denn ganz offensichtlich machten seine Gefühle ihn anfällig und schwach. Etwas, das er sich geschworen hatte, nie wieder zu sein.

Und doch stand er nun hier und dachte darüber nach, ob er nicht zu hart mit Lucia ins Gericht ging. Ganz offensichtlich hatte er vollkommen den Verstand verloren. Diese Erkenntnis änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass es sich genauso verhielt.

Außerdem war sie die attraktivste Frau, der er je begegnet war, und er fühlte sich nach wie vor zu ihr hingezogen.

Seufzend strich er sich durchs Haar. Dann öffnete er die Beifahrertür und sagte: „Steig ein, ich fahre dich zu deinem Termin.“

„Vielen Dank, ich kann selbst fahren.“

„Aber ich bin dafür verantwortlich, dass du dich verspätest. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, zu erklären, dass dich keinerlei Schuld trifft und es sich um ein dummes Missverständnis gehandelt hat.“

Sie runzelte die Stirn. „Warum willst du das für mich tun?“

Tja, das war eine verflixt gute Frage, noch dazu eine, die er sich selbst nicht beantworten konnte. Er war ihr nichts schuldig und sollte froh sein, wenn sie die Stelle nicht bekam. Immerhin wollte er doch, dass sie mit ihm nach Italien kam – oder?

„Willst du nun zu diesem Vorstellungsgespräch oder nicht?“

„Ja, aber …“

„Dann steig ein“, fiel er ihr ins Wort.

Es überraschte ihn ein wenig, dass sie seiner Anweisung Folge leistete. Vermutlich ging es ihr ebenso.

Er wartete, bis sie Platz genommen hatte, und setzte sich dann hinters Steuer. Lucia blickte stur zur Windschutzscheibe hinaus, als wäre sie sich seiner Anwesenheit gar nicht bewusst. Doch das kaufte er ihr nicht eine Sekunde ab. Ihm war ihre Nähe nur allzu deutlich bewusst. Zeit auf engstem Raum mit ihr zu verbringen, war möglicherweise nicht seine allerbeste Idee.

Sofort war es wieder da, dieses Prickeln, das er schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen gespürt hatte, aber seitdem hatte er dazugelernt. Er würde sich ganz gewiss nicht noch einmal auf sie einlassen.

Es änderte allerdings nichts daran, dass er sich mit jeder Faser seines Körpers danach sehnte, sie in seine Arme zu ziehen und sie zu …

No! Impossibile!

Irritiert steckte er den Schlüssel ins Zündschloss und scherte aus der Parklücke aus. Das Autoradio fing an zu dudeln – irgendeine alberne Schnulze, in der es um immerwährende Liebe und unendliches Glück ging. Als ob es so etwas tatsächlich gäbe. Seiner Erfahrung nach gab es guten Sex und weniger guten Sex – und der einzige Mensch, dem man wirklich vertrauen konnte, war man selbst.

Er schaltete es aus, bereute diese Entscheidung aber im nächsten Moment schon wieder, da die Stille im Wagen eine völlig neue Qualität annahm. Er musste sich beherrschen, um sie nicht mit bedeutungslosem Smalltalk zu durchbrechen.

Lucia schien es nicht viel anders zu gehen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie nervös ihre Finger ineinander verschränkte.

Schließlich sagte sie: „Ich verstehe immer noch nicht, warum du mir hilfst. Ich dachte, du willst unbedingt, dass ich mit dir nach Italien komme, um für deinen Großvater zu arbeiten.“

Das wollte er – oder nicht?

Er wusste nur, dass er Césare helfen musste. Dass sein Großvater bekam, was er verlangte, stand dagegen nicht besonders hoch auf seiner Prioritätenliste. Wenn er ganz ehrlich war, wäre es ihm sogar lieber, wenn genau das nicht geschähe.

Dummerweise hing zu viel davon ab, dass er erfolgreich war. Aber wollte er dabei wirklich auf Methoden zurückgreifen, die Salvatore einsetzte? Wie sollte er morgens noch seinen Anblick im Spiegel ertragen, wenn er sich verhielt wie der Mann, den er über alles in der Welt verachtete.

„Ja“, sagte er schließlich, wobei er den Blinker setzte und nach links abbog. „Aber mir ist eins klar geworden. Ich will es nicht um jeden Preis.“

Ihr Kopf ruckte herum, und er spürte ihren Blick so deutlich wie eine Berührung.

Er strich sich durchs Haar, dann holte er tief Luft. „Hör zu, es tut mir leid. Wie ich mich aufgeführt habe, seit ich vor deiner Tür aufgetaucht bin, war nicht in Ordnung. Ich war einfach völlig überrumpelt, dich plötzlich wiederzusehen. Es war ein ganz schöner Schock – nach all der Zeit …“

Sie lachte leise. „Glaub mir, für mich kam es auch total überraschend. Nach so vielen Jahren hätte ich nicht damit gerechnet, dich jemals wieder zu Gesicht zu bekommen. Und noch dazu auf der Suche nach meinem Alter Ego.“

„Warum hast du eigentlich diesen Namen angenommen? Luca Moreno?“

Sie zögerte – oder bildete er sich das nur ein?

„Ich wollte einfach einen Neuanfang“, erklärte sie dann. „Einen klaren Schnitt. Niemand sollte wissen, wer ich bin.“

Er nickte und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was ihre Worte bei ihm auslösten. Er konnte sich durchaus ausmalen, wieso sie einen solchen Schritt unternommen hatte. Seinetwegen. Sie hatte sich immerhin von Salvatore dafür bezahlen lassen, aus seinem Leben abzutauchen. Und sein Großvater gab sich nicht mit halben Sachen zufrieden.

Sicher hatte er darauf bestanden, dass sie nie wieder mit Salvatore in Kontakt trat – wenn er jetzt darüber nachdachte, dann war sein Großvater wahrscheinlich auch für das Verschwinden seines Handys damals verantwortlich. Mehr als ein kurzer Anruf an einen seiner Mitarbeiter, einige von ihnen hatten ihn auf seiner Geschäftsreise begleitet, war vermutlich nicht nötig gewesen.

Was immer Salvatore auch getan hatte, der Erfolg war durchschlagend gewesen. Bis vor ein paar Tagen hatte er nicht die geringste Ahnung gehabt, wo Lucia sich aufhielt. Sie hatte ihre Sache also wirklich gut gemacht, und die Änderung des Namens, unter dem sie arbeitete, hatte dabei sicherlich geholfen.

Armando hatte versucht, sie ausfindig zu machen – vergeblich.

Danach war ihm klar geworden, dass sein Großvater ihm die Wahrheit gesagt hatte, obwohl es bitter war.

Was für eine Ironie, dass ausgerechnet Salvatore ihn nun auf Lucia angesetzt hatte – wenn auch unabsichtlich.

Wenn es nicht so traurig wäre, hätte er beinahe darüber lachen können.

All das gehörte jedoch der Vergangenheit an, und er hatte beschlossen, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Das erforderte, Lucia nicht für das zu verurteilen, was damals geschehen war. Oder zumindest nicht zu sehr. Denn am Ende war er auf ihre Mitarbeit angewiesen, wenn er diesen verdammten Schuldschein in die Finger bekommen wollte. Da konnte er es sich nicht leisten, sie ständig vor den Kopf zu stoßen, so schwer es ihm auch mitunter fallen mochte.

Zum Glück erreichten sie in dem Moment das Restaurant, in dem sie das Vorstellungsgespräch hatte. Er fuhr an den Straßenrand und sah zu, wie sie sich nervös den Rock ihres cremefarbenen Etuikleids glattstrich, obwohl der makellos faltenfrei war.

„Soll ich gleich mit reinkommen, um alles aufzuklären?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf und reckte entschlossen das Kinn. „Ich schaffe das auch allein“, entgegnete sie fest.

Sie stieß die Beifahrertür auf und stieg aus dem Wagen, und Armando kam nicht umhin zu bemerken, wie unglaublich lang ihre tiefgebräunten Beine in dem schmal geschnittenen Kleid aussahen. Sein Puls beschleunigte sich unwillkürlich, und er hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

Reiß dich zusammen, Armando, rief er sich zur Ordnung. Lucia ist sexy, ja, aber du wirst wohl kaum denselben Fehler zweimal begehen wollen, oder?

Ihr zu vergeben war eine Sache – sich erneut auf sie einzulassen eine vollkommen andere. Allerdings hatte er sie nie aus dem Kopf bekommen. Mit ihr war es anders gewesen. Besonders.

Sie hatten nur ein einziges Wochenende miteinander verbracht, doch das hatte gereicht.

Er schloss die Augen und lehnte sich in seinem Sitz zurück.

Es konnten kaum fünf Minuten vergangen sein, als die Beifahrertür plötzlich wieder aufgerissen wurde. Lucia stieg ein und legte den Sicherheitsgurt an. Ihre Miene war undurchdringlich, und als er zu einer Frage ansetzte, hob sie die Hand.

„Ich will nicht darüber reden, okay? Fahr mich bitte einfach nur nach Hause.“

Armando zögerte kurz, dann nickte er, ließ den Motor an und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein.

4. KAPITEL

Lucia saß auf dem Beifahrersitz und bemühte sich, Armando zu ignorieren, was sich jedoch als vollkommen unmöglich erwies. Aber das kannte sie ja bereits. Immer, wenn er in ihrer Nähe war, schlug ihr Herz schneller. Die Luft schien zu flirren wie über Asphalt in der Sommerhitze, und mit jeder Faser ihres Körpers fühlte sie sich zu ihm hingezogen.

Dabei hatte sie allen Grund, wütend auf ihn zu sein. Und das war sie auch. Das war sie wirklich. Immerhin hatte der Besitzer des Restaurants, mit dem sie heute einen Termin gehabt hatte, ihr gerade erklärt, dass die Stelle inzwischen an den nächsten Bewerber vergeben worden war. Und das nur wegen Armandos Lüge, dass sie wegen eines Krankheitsfalls in der Familie nicht zum vereinbarten Termin kommen würde. Da half es auch nichts, dass man Armando zugesichert hatte, sie könne das Vorstellungsgespräch später nachholen. Der Job war weg.

Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte nicht so ärgerlich auf Armando sein, wie es vielleicht angemessen wäre. Nein, korrigierte sie sich sofort: wie es definitiv angemessen war.

„Es ist nicht so gut gelaufen, vermute ich?“, fragte er nach einer Weile, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

Sie sah ihn an und konnte ein leichtes Zucken in ihren Mundwinkeln nicht zurückhalten. „Entweder das oder ich habe gerade das kürzeste Vorstellungsgespräch in der Geschichte der Vorstellungsgespräche geführt.“ Seufzend schüttelte sie den Kopf. „Nein, mir ist jemand zuvorgekommen.“ Sie zuckte die Achseln. „Wer zu spät kommt, den bestraft eben das Leben.“

Er strich sich durchs Haar und seufzte. „Lucia, ich muss mich noch einmal bei dir entschuldigen. Ich gebe zu, dass ich mir über die möglichen Konsequenzen meines Verhaltens nicht wirklich Gedanken gemacht habe. Und auch wenn ich meine Gründe habe, dich im Auftrag meines Großvaters nach Italien zu holen – der Zweck heiligt eben nicht immer die Mittel.“

Sie winkte ab. Er wirkte ehrlich zerknirscht, und angesichts seiner Worte fiel es ihr noch schwerer, an ihrem Ärger auf ihn festzuhalten. „Vermutlich wäre die Stelle ohnehin nichts für mich gewesen. Du hattest nicht ganz unrecht damit, dass die Jobs, auf die ich mich beworben habe, nicht meinen Qualifikationen entsprechen, aber … ich habe meine Gründe, mich möglichst hier in der Umgebung niederzulassen.“

„Ja, deiner Mutter zuliebe – ich erinnere mich.“

Etwas in ihrem Inneren zog sich zusammen. Er war sehr viel aufmerksamer, als sie gedacht hatte. Und sie war ihm gegenüber noch immer nicht wirklich ehrlich.

Sicher, ihre Mutter war ein Grund dafür, dass sie am liebsten auf Malta bleiben wollte. Aber das vor allem deshalb, weil sie Gino dann nicht wieder in die Obhut eines ihm fremden Kindermädchens geben musste, wenn sie arbeiten ging. Doch das konnte sie Armando gegenüber schlecht eingestehen.

Nicht, solange er nichts von Ginos Existenz wusste.

Aber vielleicht war dies ja genau der richtige Moment, um reinen Tisch zu machen …

Sie holte tief Luft. „Armando, ich war diesbezüglich nicht vollkommen ehrlich zu dir. Ich …“

Er legte eine Hand auf ihr Knie. „Vermutlich sollten wir noch einmal ganz von vorn anfangen, Lucia. Lass mich dich heute Abend zum Essen einladen. Dann reden wir offen und ehrlich über alles. Was sagst du?“

Lucia schluckte hart. Das war die Gelegenheit, endlich alle Karten auf den Tisch zu legen. Eine Gelegenheit, wie sie sich vielleicht nie wieder bieten würde.

Sie fürchtete sich jedoch davor, welche Konsequenzen die Wahrheit mit sich bringen würde. Was, wenn Armando beschloss, dass er Gino ganz für sich haben wollte? Sie gab sich nicht der Illusion hin, dass sie der geballten Macht des Conti-Clans irgendetwas entgegenzusetzen hatte.

Falls Armando wirklich einen Anspruch auf Gino geltend machen würde, dann könnte sie ihn nicht daran hindern. Und gegen ein gemeinsames Sorgerecht hatte sie auch im Grunde gar nichts einzuwenden. Sie fürchtete nur, dass ihm das nicht reichen würde. Ihm – oder seinem Großvater.

Allerdings erinnerte sie sich nur zu gut an dessen Worte, als sie ihn damals auf seinem Weingut aufgesucht hatte:

„Dieses Kind, wenn es denn existiert, würde niemals den Namen Conti tragen“, hatte er gewettert. „Ebenso wenig wie Sie, meine Liebe. Die Frau, die mein Enkel einmal heiratet, werde ich aussuchen. Und es wird ganz sicher keine dahergelaufene Schwindlerin sein, die unserer Familie nichts zu bieten hat. Allerdings glaube ich Ihnen ohnehin kein Wort von Ihrer Geschichte. Sie sind nicht die Erste, die mein Enkelsohn nach ein paar Tagen Spaß einfach fallengelassen hat. Glauben Sie mir, er hat sich längst Ersatz für Sie gesucht. Sollten Sie sich darauf Hoffnungen gemacht haben oder auf einen Anteil an unserem Vermögen, so muss ich Sie enttäuschen. Ehe ich eine Goldgräberin und Betrügerin in unsere Familie einheiraten lasse, friert die Hölle zu.“

Sie zweifelte nicht daran, dass es ihm absolut ernst damit gewesen war. Doch am Ende ließ sich die Tatsache nicht leugnen, dass Gino sein Urenkel war und daher ein potenzieller Erbe. Bisher mochte er annehmen, dass es gar kein Kind gab – aber das würde sich sehr schnell ändern, wenn alle Karten erst einmal auf dem Tisch lagen.

Trotzdem konnte sie nicht länger schweigen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Sie hatte die Stimme ihres Gewissens ignorieren können, solange Armando nicht viel mehr als eine ferne Erinnerung gewesen war.

Jetzt aber …

Sie nickte. „Also schön, fangen wir von vorne an“, sagte sie, als er vor ihrem Apartmentgebäude vorfuhr.

„Heute Abend um halb acht? Ich hole dich ab.“

Lucia stand vor dem Spiegel und musterte sich skeptisch. Dann seufzte sie frustriert, zog das bunt geblümte Sommerkleid wieder aus und warf es aufs Bett.

Viel zu aufreizend! Der knappe Rock und das tiefe Dekolleté schrien regelrecht Verführung. Und das war nicht das Bild, das sie Armando gegenüber präsentieren wollte.

Sie öffnete den Kleiderschrank und schob einige Bügel hin und her, ehe sie ein Ensemble aus Bluse und Rock herausnahm und es sich anhielt.

Beides landete kurz darauf neben dem Sommerkleid auf dem Bett, und sie zog das nächste Outfit hervor. Und das nächste. Und das nächste. Doch nichts sagte ihr wirklich zu. Entweder es war zu sexy oder zu geschäftsmäßig – oder zu leger oder zu elegant.

Schließlich ließ sie sich rücklings auf die Matratze fallen und legte eine Hand über die Augen. Was war eigentlich mit ihr los? Wieso war es ihr so wichtig, wie sie aussah? Immerhin ging es nicht darum, Armando zu gefallen, sondern ihm reinen Wein einzuschenken.

Es ging bei diesem Abendessen um Gino – und nichts anderes.

Oder zumindest sollte es das.

Aber warum fing ihr Herz dann schon beim bloßen Gedanken an zu flattern, allein mit ihm an einem Tisch im Restaurant zu sitzen?

Sie setzte sich auf und schüttelte den Kopf. Dann trat sie wieder vor den Schrank und unterzog den übrigen Inhalt einer erneuten, gründlichen Begutachtung. Schließlich fand sie ganz hinten ein knöchellanges, türkisblaues Kleid mit kleinem Ausschnitt, das am Oberkörper eng anlag und sie von der Hüfte abwärts in sanften Wellen umschmeichelte.

Ja, das war genau das Richtige. Rasch flocht sie ihr Haar zu einem Zopf, da klingelte es auch schon an der Tür.

Mit einem leisen Fluch schlüpfte Lucia in ihre Schuhe – halbhohe Sandaletten, mit denen sie sich etwas größer fühlte, die aber trotzdem einigermaßen bequem waren. Seit Gino auf der Welt war, hatte sie keine ihrer Zehn-Zentimeter-Absätze mehr getragen, und sie vermisste es auch nicht. Man mochte fantastisch darin aussehen, doch das war die Schmerzen in den Füßen einfach nicht wert, die man dafür aushalten musste.

Sie schnappte sich ihre Handtasche von der Kommode in der Diele, warf ihr Handy und ihre Schlüssel hinein, riss die Tür auf – und wäre beinahe in Armando hineingelaufen, der direkt vor ihr stand.

Als sie überrascht zurückstolperte, reagierte er blitzschnell, ergriff sie bei den Schultern und hielt sie fest.

„Ich dachte, du wartest unten“, stieß sie mit erstickter Stimme hervor, wofür sowohl der Schreck als auch Armandos überwältigende Nähe verantwortlich waren. „Wie bist du überhaupt ins Haus gekommen?“

„Eine Nachbarin war so freundlich, mich beim Hinausgehen hereinzulassen.“ Er schmunzelte amüsiert. „Ich soll dir ausrichten, dass es aber auch Zeit wurde.“

Sie blinzelte irritiert. „Zeit? Was wurde Zeit?“

„Dass du dir endlich einen Mann suchst.“

Lucia unterdrückte ein Stöhnen. Das konnte nur Mrs. Tahir gewesen sein, die ein Stockwerk unter ihr wohnte. Die ältere Dame passte hin und wieder auf Gino auf, wenn ihre Mutter keine Zeit hatte. Sie konnte von Glück reden, dass sie Armando gegenüber Gino mit keinem Wort erwähnt hatte. Das hätte sie in ganz schöne Erklärungsnot gebracht.

Zwar hatte sie ohnehin vor, ihm heute die Wahrheit zu sagen – doch sie wollte den richtigen Moment abwarten, wie immer der auch aussehen mochte. Jetzt und hier im Hausflur, zwischen Tür und Angel, jedenfalls definitiv nicht, so viel stand fest.

„Du siehst fantastisch aus“, sagte er.

Der Blick, der über ihren Körper glitt, war wie eine Liebkosung.

„Du warst damals schon wunderschön, aber heute … Du wirkst irgendwie fraulicher.“

Sie lachte leise, obwohl seine Worte sie mit Wärme erfüllten. „Wenn du damit sagen willst, dass ich in den vergangenen fünf Jahren zugenommen habe …“

„Nein.“ Energisch schüttelte er den Kopf. „Das ist es nicht, was ich meinte, und ich glaube, das weißt du auch.“ Dann hielt er ihr seinen Arm hin. „Wollen wir?“

Nach kurzem Zögern hakte sie sich bei ihm unter. Seine Wärme und der männliche Duft, der von ihm ausging, benebelten ihr fast die Sinne. Sie musste all ihre Willenskraft mobilisieren, um sich nicht an ihn zu lehnen.

Wieso hatte dieser Mann nur eine so überwältigende Wirkung auf sie?

Armando blickte starr auf die Straße hinaus und versuchte, Lucia auf dem Beifahrersitz neben sich zu ignorieren. Was schlichtweg unmöglich war, angesichts der Tatsache, dass sein Puls einfach nicht aufhören wollte, wie verrückt zu hämmern.

Mit einem unterdrückten Seufzen strich er sich durchs Haar, ehe er einen Gang hinunterschaltete und von der Hauptstraße in einen kleinen Privatweg abbog.

Er hatte sich die Wahl des Restaurants, in das er sie ausführen würde, nicht leicht gemacht. Auf keinen Fall sollte es zu romantisch sein, denn es fiel ihm auch so schon schwer genug, in ihrer Gegenwart die Kontrolle zu bewahren. Kerzenschein und Geigenmusik? Nein, danke. Über diese Phase ihrer Beziehungen waren sie nun wirklich weit hinaus.

Wobei ihm das Wort Beziehung sofort gegen den Strich ging. Nur weil sie vor fünf Jahren einmal ein Wochenende miteinander verbracht hatten, konnte davon ja wohl kaum die Rede sein.

Im Grunde genommen war es absurd, dass sie ihm nach all der Zeit überhaupt noch immer im Kopf herumspukte. Vor allem, wo ja klar war, welche Absichten sie verfolgt hatte. Doch so ungern er es sich auch eingestehen mochte, keine der Frauen, mit denen er kurze, unverbindliche Affären gehabt hatte, konnte ihr das Wasser reichen. Nicht mal ansatzweise.

Nicht, dass er daran interessiert gewesen wäre.

Nein, genau die Art von lockeren Bekanntschaften war das, was er wollte. Er war ein Mann, er konnte seine Bedürfnisse nicht einfach so wegleugnen. Aber mehr als Sex war für ihn nach Lucia nicht wieder infrage gekommen. Davon, Gefühle in die Beziehung zu einer Frau zu investieren, hatte sie ihn endgültig geheilt.

Das hatte er sich bisher zumindest eingeredet, doch konnte es nicht vielleicht sein, dass in Wirklichkeit etwas ganz anderes der Grund dafür war, dass er sich auf keine andere Frau mehr eingelassen hatte?

Womöglich gerade, weil er sie nicht hatte vergessen können?

Er schob den Gedanken beiseite.

Zum Glück tauchte nun am Ende des Weges das Restaurant auf. Es befand sich in einer alten Villa, die auf einem kleinen Hügel thronte, umgeben von knorrigen Eichen und Aleppo-Kiefern.

Die Sonne stand bereits tief am Himmel und badete die Landschaft in orangerotes Lodern. Armando parkte auf dem mit Kies gestreuten Rondell, stieg aus und ging um den Wagen herum, um Lucia die Tür zu öffnen. Er streckte ihr eine Hand entgegen, und sie ließ sich von ihm beim Aussteigen helfen.

Ihm stockte der Atem, als er sie ansah. Ihr goldenes Haar leuchtete in der Dämmerung wie Bronze. Ihre helle Haut schien zu strahlen, und er verspürte den schier überwältigenden Drang, sie in seine Arme zu ziehen und sie bis zur Besinnungslosigkeit zu küssen.

Was er natürlich nicht tun würde.

Auf gar keinen Fall!

Er straffte die Schultern. „Komm“, sagte er und legte ihr eine Hand auf den Rücken. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich sterbe vor Hunger.“

Nebeneinander schritten sie die sich nach oben hin verjüngende Freitreppe zur Eingangspforte hinauf. Ein Mann im Frack stand dort, nickte ihnen höflich zu und hielt ihnen die Tür auf.

Telefonisch hatte Armando angewiesen, dass der Tisch, den er für sie reserviert hatte, von sämtlichem romantischen Firlefanz befreit sein sollte. Keine Blumen, keine Kerzen – nichts dergleichen. Doch als der Kellner sie an ihren Platz führte, erkannte er seinen Fehler.

Wie gewünscht waren alle auch nur entfernt romantisch wirkenden Objekte von ihrem Tisch verbannt worden. Leider machte das kaum einen Unterschied angesichts der Tatsache, dass sie auf einer Terrasse saßen, von der aus man einen wunderschönen Blick über das Tal und vor allem auf den Sonnenuntergang hatte.

Jasminsträucher rankten sich an den sandsteinfarbenen Mauern und Säulen empor und verströmten ihren betörenden Duft. Ein lauer Wind wehte, und anstelle von romantischer Musik war nur das Zirpen der Grillen und das Rauschen der Blätter der alten Steineichen zu hören, deren Kronen sich über das Dach der Terrasse erstreckten.

Kurz gesagt, es war romantisch. Sehr sogar. Und das gänzlich ohne Kerzen oder Blumen. Hinzu kam, dass sie die ganze Terrasse für sich allein hatten. Aber jetzt war es zu spät, um einen Rückzieher zu machen.

Er rückte Lucia ihren Stuhl zurecht, sodass sie sich setzen konnte. Als sie lächelnd zu ihm aufblickte, machte sein Herz einen kleinen Satz.

„Es ist wirklich schön hier. Hast du schon mal hier gegessen?“

Er schüttelte den Kopf und nahm ihr gegenüber Platz. „Nein, aber ich habe nur Positives gehört. Vor allem der Fisch soll sehr zu empfehlen sein.“

„Oh, ich liebe Fisch.“ Sie strahlte. „Ganz besonders Dorade.“

Der Kellner trat zu ihnen an den Tisch und wollte ihnen die Speisekarten überreichen, doch Armando winkte ab. „Haben Sie heute Dorade auf dem Menü?“

Der Mann nickte diensteifrig. „Soeben fangfrisch vom Hafen eingetroffen. Gegrillt mit Zitronen-Kräuter-Marinade und Gemüse.“

Fragend schaute er Lucia an, die begeistert zustimmte. Er wandte sich wieder dem Kellner zu: „Zwei Mal, bitte. Und dazu eine Flasche Chardonnay – vielleicht hier aus der Region?“

„Da darf ich Ihnen den Isis ans Herz legen. Frische Fruchtaromen und eine ausgeprägte Zitrusnote, mineralisch im Abgang.“

Armando nickte. „Das klingt sehr vielversprechend.“ Als sie wieder unter sich waren, wandte er sich mit einem Lächeln an Lucia: „Und, was sagt die Expertin? Wie hat er sich angestellt?“

„Nun.“ Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Genau lässt sich das natürlich erst beurteilen, nachdem ich einen Wein verkostet habe. Allerdings ist mir der Isis ein Begriff, und ich kann mich der Empfehlung unseres Kellners nur anschließen. Eine wirklich gute Wahl zur gegrillten Dorade.“

Schweigen legte sich über die Terrasse, und Armando suchte nach etwas, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen – und zwar so unverfänglich wie möglich.

„Du wolltest mir heute Mittag etwas sagen?“, meinte er schließlich und schenkte ihr ein ermunterndes Lächeln.

Lucia schien einen Augenblick lang zu erstarren.

„Ich … Ah, da kommt der Wein.“

Tatsächlich trat der Kellner mit einem Weinkühler zu ihnen an den Tisch. Er mochte sich täuschen, aber Lucia wirkte fast ein wenig erleichtert.

„Darf ich Ihnen einschenken?“, fragte der Mann.

Armando nickte.

Kurz darauf waren sie wieder allein, und er neigte den Kopf zur Seite. „Nun?“

„Willst du nicht erst einmal probieren?“, fragte sie.

Er nahm das Glas und roch daran, schwenkte es und roch erneut, ehe er nippte. Schließlich nickte er anerkennend. „Sehr gut.“

Sie musste den Verstand verloren haben. Anders konnte Lucia es sich nicht erklären, dass der Anblick von Armando, wie er ein Glas Wein trank, sie derartig in seinen Bann zog. Doch die Art und Weise, wie er die Lippen schürzte und …

Stopp! Sofort aufhören!

Gerade noch war sie wie versteinert gewesen und hatte nicht gewusst, wie sie zur Sprache bringen sollte, was sie zur Sprache bringen musste. Und nun dies!

Autor

Sandra Field

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