Romana Extra Band 62

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KLASSENTREFFEN - LIEBE INBEGRIFFEN von TAYLOR, BRYONY
Als Single zum Klassentreffen auf Santorin? Unmöglich! Also bittet Valentina kurzerhand den attraktiven Barkeeper Viktor, sie zu begleiten. Sie spielen allen das perfekte Liebespaar vor - doch schon bald ist die Leidenschaft für Valentina mehr als nur ein Spiel …

EIN HELD ZU WEIHNACHTEN von LOVELACE, MERLINE
Attraktiv, sexy, gefährlich! Mit dem Sicherheitsexperten Joe wollte Callie ein leidenschaftliches Abenteuer erleben - doch plötzlich will er mit ihr eine Familie gründen. Aber Callie ist noch nicht bereit, sich zu binden …

WENN ES NACHT WIRD IN PARIS von SPENCER, CATHERINE
Was der Milliardär Domenico Silvaggio d’Avalos begehrt, das bekommt er auch. Und jetzt will er die schöne, rätselhafte Arlene Russell! Seit sie ihn nach Paris begleitet hat, möchte er sie bei Champagner um Mitternacht in seiner Luxussuite verführen …

DER MILLIARDÄR UNTER DEM MISTELZWEIG von DOUGLAS, MICHELLE
Weihnachten mit einem Milliardär in München? Für ein Mädchen aus dem Outback eigentlich ein Traum. Doch Addies neuer Boss, Flynn Mather, ist ein rücksichtsloser Egoist. Widerstrebend begleitet sie ihn - und entdeckt auf der Reise Seiten an ihm, die sie mehr als anziehend findet …


  • Erscheinungstag 28.11.2017
  • Bandnummer 0062
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744045
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bryony Taylor, Merline Lovelace, Catherine Spencer, Michelle Douglas

ROMANA EXTRA BAND 62

BRYONY TAYLOR

Klassentreffen – Liebe inbegriffen

Mit der schönen Valentina nach Santorin? Da lässt sich Viktor Panatridis nicht lange bitten. Er soll ihren Verlobten zwar nur spielen – aber sehr bald verfällt er ihren Reizen …

MERLINE LOVELACE

Ein Held zu Weihnachten

Nur eine Nacht voller Leidenschaft – und Joe Russo weiß, dass er mit Callie den Rest seines Lebens verbringen will. Als sie einen Job in Rom annimmt, folgt er ihr. Aber kann er sie von seiner Liebe überzeugen?

CATHERINE SPENCER

Wenn es Nacht wird in Paris

Sardinien, Paris, Luxussuiten und Privatjets! Seit Arlene für Domenico Silvaggio d’Avalos arbeitet, lässt der charmante Milliardär keine Zweifel: Er will sie verführen. Aber nicht heiraten …

MICHELLE DOUGLAS

Der Milliardär unter dem Mistelzweig

Milliardär Flynn Mather ist hingerissen von der bezaubernden Addie und ihrer Begeisterung über das weihnachtliche München. Doch dann freundet sie sich ausgerechnet mit seinem ärgsten Konkurrenten an …

PROLOG

Emily Gregson stand auf der Terrasse ihres Hotelzimmers und schaute auf das Meer vor der Küste Santorins hinaus, das im hellen Sonnenlicht funkelte. Es war ein herrlicher Tag, wie geschaffen, um am Strand zu liegen oder mit dem Boot auf die Caldera hinauszufahren – den vom Meer überfluteten Krater des Vulkans, dessen Ränder den Inselarchipel bildeten.

Emily atmete tief ein und genoss die warme, salzige Luft. Es war schon ein paar Jahre her, dass sie zum letzten Mal hier gewesen war, doch sie erinnerte sich gern an ihre Zeit in Griechenland zurück.

Mit ihrem Ehemann war sie in der ganzen Welt herumgekommen. Für vier Jahre hatte seine Firma ihn nach Santorin versetzt. Emily hatte nie ein Problem damit gehabt, an verschiedenen Orten zu leben. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die gern sesshaft wurden. Ein Haus mit weißem Gartenzaun war einfach nichts für sie. Und als Lehrerin für Englisch und Französisch war es ihr zum Glück nie schwergefallen, eine Anstellung zu finden.

So auch hier auf Santorin.

Bei ihrer Arbeit hatte es ihr besondere Freude bereitet, die Fähigkeiten eines Jugendlichen zu fördern oder zu helfen, wenn Not am Mann war.

Sie dachte an Valentina Dimitriou, eine ihrer Schülerinnen. Valentina war ein wenig übergewichtig und eher still gewesen – eine Zielscheibe für ihre Klassenkameradinnen.

Als Emily vor einiger Zeit die Einladung zum Klassentreffen anlässlich des fünfjährigen Abschlussjubiläums von Valentinas Klasse erhalten hatte, war für sie gleich klar gewesen, dass sie daran teilnehmen wollte. Als Witwe im Ruhestand konnte sie schließlich reisen, wann und wohin sie wollte.

Auf Valentina freute sie sich besonders. Sie hatte vor einer Weile mit ihr telefoniert, und Valentina hatte ihr versprochen, dass sie zum Klassentreffen kommen würde.

Seufzend fuhr Emily sich über das silbergraue Haar, das der Wind in Unordnung gebracht hatte, und ging zurück in ihr klimatisiertes Hotelzimmer. Sie hatte Valentina nie wirklich vergessen können. Heute bedauerte sie, nicht mehr getan zu haben, um ihrer Schülerin zu helfen. Doch der damalige Schuldirektor hatte von Mobbing und Mediation nichts wissen wollen. Für ihn war die Welt solange in Ordnung, wie die Eltern seiner Schützlinge ihm nicht aufs Dach stiegen.

Emily dachte inzwischen, dass sie mehr Verantwortung hätte übernehmen sollen.

Sie hoffte, dass es Valentina gut ergangen war, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Sie war damals siebzehn gewesen, als Emily sie hatte zurücklassen müssen, weil ihr Ehemann wieder versetzt worden war.

Gern hätte sie irgendetwas für Valentina getan, denn sie hatte das Gefühl, es ihrer ehemaligen Schülerin schuldig zu sein …

1. KAPITEL

„Sie haben sich alle über mich lustig gemacht. Können Sie sich vorstellen, wie demütigend das für mich gewesen ist? Ich war damals fünfzehn und steckte mitten in der schlimmsten Phase der Pubertät. Mit allem Drum und Dran, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Erwartungsvoll schaute Valentina über den Rand ihres Ouzo-Glases hinweg den attraktiven Mann hinter dem Tresen an. Hörte man nicht immer, dass Barkeeper die billigeren Therapeuten waren?

Nun, dieser hier war für ihren Geschmack vielleicht einen Tick zu schweigsam, aber dafür sah er besser aus als der Psychologe, zu dem sie nach der Trennung von Vasili versuchsweise gegangen war. Und kompetenter war er wahrscheinlich auch.

Ob sie immer schon ein Kontrollfreak gewesen sei, hatte der Psychologe sie doch tatsächlich gefragt. Als hätte sie jemals versucht, Vasili an der kurzen Leine zu halten!

Vielleicht war sie manchmal ein klitzekleines bisschen anhänglich gewesen. Und es hatte ihr nicht besonders gefallen, wenn Vasili nach der Arbeit allein mit seinen Jungs ausgehen wollte.

Aber das war doch wohl nichts Ungewöhnliches. Als Paar unternahm man schließlich Dinge zusammen – nicht voneinander getrennt. Die Tatsache, dass er eben das nicht zu wollen schien, hatte sie als Zeichen für seine schwächer werdenden Gefühle gewertet. Und sie hatte Recht behalten: Drei Wochen vor der geplanten Hochzeit ließ er sie einfach so für eine andere sitzen.

Ausgerechnet jetzt!

Sein Timing hätte wirklich kaum schlechter sein können.

Ohne auch nur zu ihr aufzublicken, polierte der Barkeeper seine Longdrink-Gläser auf Hochglanz. Valentina verstand das als Aufforderung, weiterzusprechen.

„Wissen Sie, ich wollte es diesen Leuten einfach mal so richtig zeigen. Ich hab mich seitdem nämlich echt verändert.“ Sie stürzte den Rest ihres Drinks hinunter. „Aber meinen schönen Plan kann ich jetzt wohl vergessen. Ohne einen Verlobten zum Angeben brauche ich gar nicht erst beim Klassentreffen aufzutauchen.“

Zum ersten Mal zeigte der Mann hinter der Theke einen Hauch von Interesse. „Wenn das so ist, warum nehmen Sie dann nicht einfach jemand anderen mit? Gutaussehende Typen gibt es doch wie Sand am Meer. Oder muss er neben Modelmaßen auch noch Grips besitzen?“

Sie verzog das Gesicht. Nach vier Ouzo fühlte sie sich schon mehr als ein bisschen beschwipst – sonst trank sie so gut wie nie. Vielleicht hätte sie den letzten Drink besser weglassen sollen.

Der Ton, den ihr Gegenüber anschlug, schmeckte ihr nicht. Sie unterzog den Barkeeper daraufhin einer genaueren Betrachtung.

Schlecht sah er ja wirklich nicht aus, das musste sie zugeben. Dunkles Haar, funkelnde schwarze Augen und ein olivfarbener Teint. Seine Nase war ein wenig zu groß und nicht ganz ebenmäßig, was ihm allerdings eine etwas aristokratische Ausstrahlung verlieh und seiner Attraktivität daher keinen Abbruch tat.

Sie krauste die Stirn. „Warum fragen Sie? Melden Sie sich etwa freiwillig für den Job?“

„Ich?“ Er sah sie an, und sie hielt dem intensiven Blick aus seinen kohlschwarzen Augen stand.

„Warum denn nicht?“ Hatte sie das eben wirklich gesagt?

Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, lachte er auf. „Das soll wohl ein Scherz sein?“

Sie zuckte mit den Schultern. Wenn sie darüber nachdachte, kam ihr der Gedanke gar nicht so abwegig vor. Mit diesem Mann würde sie bei ihren alten Schulfreundinnen sicher Eindruck machen, und auf den Kopf gefallen schien er auch nicht zu sein. Außerdem war es ja eigentlich seine Idee gewesen.

Vielleicht war ihr erhöhter Alkoholpegel schuld, aber sie hielt diesen Plan plötzlich für eine gute Idee. Auf jeden Fall war er besser als alles, was sie bisher hatte vorweisen können – nämlich nichts.

Niente.

Nada.

Nothing.

Rien.

Sie stützte sich mit den Ellbogen auf den Tresen und musterte den Barkeeper von oben bis unten – oder zumindest bis so weit unten, wie sie ihn sehen konnte. Eigentlich war er wirklich perfekt. Und eines stand fest: Ihre alte Intimfeindin Katina, die sich immerzu über sie lustig gemacht und sie aufgezogen hatte, würde sich ganz schön umgucken, wenn sie mit ihm beim Klassentreffen auftauchte.

Valentina nickte, wie um sich selbst zuzustimmen. Sie hatte seit ihrem Schulabschluss vor fünf Jahren gute fünfzehn Kilo abgenommen, trug inzwischen eine stylische Kurzhaarfrisur und modische, figurbetonte Kleidung. Wenn sie in den Spiegel blickte, sah sie eine vollkommen neue Valentina vor sich. Hätte sie auch noch den richtigen Mann an ihrer Seite, dann würden ihre früheren Peinigerinnen ganz grün werden vor Neid.

Das hatte ihr Plan auch vorgesehen. Aber Vasili musste ja alles kaputtmachen. Ihre Beziehung und nebenbei auch die Hoffnung, es ihren ehemaligen Schulkameradinnen so richtig zu zeigen. Doch nun tat sich ihr überraschend eine ungeahnte Möglichkeit auf.

Unter normalen Umständen hätte sie vermutlich ihren besten Freund Yiannis gefragt. Der war zwar schwul, aber das musste ja niemand erfahren. Doch Yiannis befand sich auf einer Partykreuzfahrt mitten auf dem Mittelmeer und stand daher nicht zur Verfügung. Das Klassentreffen sollte schon am kommenden Wochenende stattfinden, ihr Flug ging bereits morgen. Ihr blieb also keine Zeit, einen geeigneten Ersatz aufzutreiben.

Der Barkeeper erschien ihr da geradezu ideal. Es musste ihr nur noch gelingen, ihn zu überzeugen.

Und das sollte doch wohl möglich sein, oder etwa nicht? Immerhin bot sie ihm einen kostenlosen Urlaub auf einer der schönsten Inseln Griechenlands an – etwas, das ein Mann in seiner Position, der sich mit einem mickrigen Gehalt und Trinkgeldern durchschlagen musste, sicher nicht jeden Tag erlebte.

„Kein Scherz“, entgegnete sie mit einiger Verspätung. „Es ist mir vollkommen ernst. Ich lade Sie ein, mit mir nach Santorin zu fliegen. Wir werden in einem Vier-Sterne-Hotel wohnen, selbstverständlich all-inclusive. Sie müssen sich über keinerlei Kosten Gedanken machen. Alles, was ich im Gegenzug von Ihnen erwarte, ist, dass Sie meinen Verlobten spielen.“

Er hob eine Braue. „Das ist alles?“

„Ja. Das ist alles.“ Sie strahlte ihn an.

Er lachte leise. „Für Sarkasmus sind Sie wohl nicht sonderlich empfänglich, wie? Vielen Dank für Ihr freundliches Angebot, aber nein danke.“

Enttäuscht verzog sie das Gesicht. „Warum denn nicht? Ich meine, klingt das denn überhaupt nicht verlockend für Sie? Als Barkeeper verdient man doch sicher auch nicht das große Geld. Da ist ein Urlaub …“

Kurz glaubte sie, so etwas wie Ärger in seinem Blick aufflackern zu sehen, woraufhin sie verstummte. Doch schon im nächsten Moment wirkte er wieder völlig gelassen. Er schien sogar leicht zu lächeln.

Als er plötzlich nickte, war Valentina so überrascht, dass sie beinahe hintenüber vom Barhocker gefallen wäre.

„Stimmt“, hörte sie ihn sagen. „Ein Urlaub würde mir eigentlich ganz gut tun. Wissen Sie, was? Ich bespreche das noch rasch mit meinem Chef, und wenn er einverstanden ist, bin ich dabei.“

Es dauerte eine Weile, bis sie seine Worte verarbeitet hatte. Dann verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. „Na, das ist ja ganz fantastisch!“, rief sie und kramte einen verknitterten Zettel aus ihrer Handtasche. Ehe sie sich auf die Suche nach einem Kugelschreiber machen konnte, hielt er ihr bereits einen hin, was sie ungemein charmant fand. Sie kritzelte ihre Adresse und ihre Handynummer auf das Papier und schob es ihm über den Tresen hin. „Unser Flug geht morgen Mittag um eins, melden Sie sich also rechtzeitig bei mir, damit ich das Ticket noch auf Ihren Namen umschreiben lassen kann. Sonst muss ich davon ausgehen, dass Sie es sich anders überlegt haben.“

„Würde mir nicht im Traum einfallen“, sagte er – und sie hegte den starken Verdacht, dass er es wieder sarkastisch meinte.

Sie ging darüber hinweg. „Wunderbar“, sagte sie. Als er gerade nach dem Zettel griff, legte sie ihre Hand auf seine und tätschelte sie. „Sie werden es ganz bestimmt nicht bereuen, das versichere ich Ihnen. Und jetzt hätte ich gern die Rechnung, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Sie bezahlte und glitt vom Barhocker.

Auf dem Weg nach draußen stellte sie fest, dass vier Gläser Ouzo es nicht unbedingt leichter machten, auf hohen Absätzen zu laufen.

Als Valentina am nächsten Morgen erwachte, wollte sie am liebsten sterben. Oder vielleicht schon tot sein. Alles war besser als diese Kopfschmerzen.

Stöhnend drehte sie sich im Bett um. Sie hatte einen scheußlichen Geschmack im Mund, und in ihren Schläfen hämmerte es unaufhörlich. Als sie sich aufsetzte, rollte eine Welle der Übelkeit über sie hinweg, und auf dem Weg zur Toilette konnte sie nur eines denken: Nie wieder einen Tropfen Ouzo!

Eine Stunde, eine Dusche und zwei Schmerztabletten später hatte sie endlich ihre letzten Sachen in den Koffer gepackt und war bereit, ein Taxi zu rufen und sich zum Flughafen bringen zu lassen. Sie hatte eigentlich noch Zeit, aber sie musste sich eingestehen, dass sie ziemlich aufgeregt war.

Nicht zum ersten Mal überlegte Valentina, ob es wirklich eine gute Idee war, das Klassentreffen zu besuchen. Es war ja nicht so, als wäre sie verpflichtet, nach Santorin zu fahren, um all die Menschen wiederzusehen, die ihr in der Vergangenheit das Leben zur Hölle gemacht hatten. Sie konnte immer noch zu Hause bleiben.

Aber aus irgendeinem Grund hätte sich das für sie wie eine Niederlage angefühlt. Und sie war nicht bereit, klein beizugeben. Das hatte sie früher viel zu oft getan.

Und außerdem hatte sie Mrs. Gregson, die früher ihre Lieblingslehrerin gewesen war, versprochen zu kommen.

Der Anruf der älteren Dame hatte Valentina ziemlich überrascht.

„Ich weiß, dass es nicht die schönste Zeit in deinem Leben gewesen ist“, sagte Mrs. Gregson mit einem Seufzen. „Deine Klassenkameraden haben es dir nicht unbedingt leicht gemacht, aber … ich würde mich sehr freuen, dich wiederzusehen.“

Daraufhin hatte Valentina spontan entschieden, dass sie sich ebenfalls freuen würde – zumal ihr Leben mittlerweile vollkommen anders aussah als zu Schulzeiten.

Sie hatte etwas vorzuweisen. Gutes Aussehen, einen Job als Führungskraft und einen Verlobten.

Nun, Letzterer stand inzwischen nicht mehr auf der Liste. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzugrübeln. Besser, sie konzentrierte sich auf das, was vor ihr lag.

Sie brauchte nur noch ihr Handy – das elende Ding schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

So ein Mist!

Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und blickte sich suchend um. Ihr Handy lag nicht auf dem Nachttisch und auch nicht auf der Kommode. Im Badezimmer hatte sie ebenfalls schon dreimal nachgesehen, zudem unter dem Bett und in der Ritze zwischen der Matratze und dem Rahmen.

Nichts.

Plötzlich hörte sie ein Klopfen. Ja, tatsächlich, jemand klopfte an ihrer Apartmenttür.

Mit einem leisen Seufzen ging sie hin. Es konnte sich eigentlich nur um ihre Nachbarin von schräg gegenüber handeln, die ständig vor ihrer Tür stand, weil sie sich irgendetwas leihen wollte. Üblicherweise, ohne den geliehenen Gegenstand danach wieder zurückzugeben. Beim Rest der Hausgemeinschaft hatte sie sich schon unbeliebt gemacht, und Valentina war die Einzige, die ihr überhaupt noch etwas borgte.

Doch als sie leicht genervt die Tür öffnete, stand nicht etwa die schusselige Mitvierzigerin vor ihr, sondern ein Mann.

Ein Mann, der ihr irgendwie bekannt vorkam, den sie aber nicht auf Anhieb einsortieren konnte.

Und in der Hand hielt er …

„Mein Handy!“ Ihr fiel ein Stein von der Größe eines Felsbrockens vom Herzen. „Sie haben es gefunden? Ich habe es schon überall gesucht. Wie kann ich Ihnen danken?“

„Nun, vor allem, indem Sie weiterhin zu dem Angebot stehen, das Sie mir gestern Abend gemacht haben.“

„Angebot?“ Valentina blinzelte verwirrt. Sie konnte sich kaum an die vergangene Nacht erinnern. Alles war irgendwie verschwommen. Sie wusste noch, dass sie in irgendeine Bar gegangen war, um ihren Frust abzubauen. Aber viel mehr war da nicht.

„Was genau habe ich Ihnen denn angeboten?“, erkundigte sie sich vorsichtig. „Und wer sind Sie überhaupt?“

Ein ungutes Gefühl stieg in ihr hoch. Sie trank nicht oft, weil sie Alkohol nicht besonders gut vertrug. Sie hätte es wirklich besser wissen müssen.

Andererseits, wie schlimm konnte es schon sein?

„Oh, Sie erinnern sich nicht? Ich stand hinter der Bar, als Sie sich gestern betrunken haben. Und Ihr Angebot lautete, dass ich Sie kostenlos auf eine Reise nach Santorin begleiten darf, wenn ich im Gegenzug für die Dauer eines Klassentreffens Ihren Freund spiele.“

Valentina schluckte hart. Okay – es war schlimm. Sehr schlimm sogar. Auf gar keinen Fall konnte sie an Vasilis Stelle irgendeinen Wildfremden zum Klassentreffen mitschleppen. Wie sollte das funktionieren? Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht. Sie wusste nicht einmal seinen Namen! Wie sollten sie unter diesen Umständen ein verliebtes Paar spielen – noch dazu überzeugend? An die Demütigung, wenn die ganze Sache vor ihren ehemaligen Klassenkameradinnen aufflog, wollte sie gar nicht erst denken.

Nein, unmöglich.

„Ich … Es tut mir wirklich leid, aber …“

Er schaute sie durchdringend an. „Sie kriegen kalte Füße, hab ich recht? Verdammt, ich wusste doch, dass es Ihnen nicht ernst ist mit Ihrem Angebot. Aber Sie haben darauf bestanden, dass ich Sie begleite.“

Valentina unterdrückte ein Stöhnen. In was für eine unmögliche Lage hatte sie sich da bloß wieder hineinmanövriert?

„Ich bedauere wirklich sehr, dass ich …“

„Jaja, schon klar. Sparen Sie sich Ihre Ausflüchte. Sie haben es sich anders überlegt, das steht Ihnen praktisch auf der Stirn geschrieben. Aber eines sage ich Ihnen: Ich halte mich nicht bereit für den Fall, dass Sie die Sache doch durchziehen wollen. Suchen Sie sich einen anderen Idioten dafür.“

Er drückte Valentina das Mobiltelefon in die Hand, drehte sich um und wollte davonstapfen. Doch sie hielt ihn zurück.

„Moment!“

Sie war ebenso überrascht wie er. Als er sich zu ihr umdrehte und sie fragend anschaute, wusste sie erst einmal nichts zu sagen.

„Was denn noch?“, fragte er ungeduldig.

„Ich … kommen Sie doch erst mal rein. Dafür, dass Sie mir mein Handy zurückgebracht haben, verdienen Sie einen Kaffee als Dankeschön. Wo habe ich es eigentlich liegenlassen?“

Er zögerte kurz, ehe er ihr in die Wohnung folgte. Normalerweise ließ Valentina nicht einfach so einen völlig Fremden in ihre vier Wände. Doch zu ihrer Überraschung machte es ihr bei diesem Fremden nichts aus.

Sie schob den Gedanken beiseite. Jetzt mussten sie erst einmal klären, wie es weitergehen sollte.

„Sie haben mir gestern Abend Ihre Nummer gegeben“, erklärte er, während er am Küchentisch Platz nahm und sie sich daran machte, den Kaffee aufzubrühen. „Ich sollte Sie anrufen, um Ihnen mitzuteilen, ob ich Urlaub bekommen habe, und um alles Weitere zu besprechen. Doch als ich Ihre Nummer gewählt habe, klingelte es unter dem Barhocker, auf dem Sie gesessen hatten.“

Valentina spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. „Ich nehme an, gestern Abend war nicht unbedingt ein Glanzpunkt in meinem Leben.“

„Es hörte sich so an, als hätten Sie in letzter Zeit einiges durchgemacht.“

Ihre Wangen brannten jetzt. Oh nein! Sie hatte doch hoffentlich nicht …

„Die Sache mit Ihrem Ex war jedenfalls ziemlich unschön, das muss ich Ihnen zugestehen.“

Oh Gott, sie hatte.

Das war so unglaublich demütigend, dass ihr für einen Moment die Stimme versagte. Schließlich räusperte sie sich mühsam.

„Also, das Thema würde ich lieber nicht vertiefen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Er zuckte mit den Schultern. „Kein Problem. Aber mich würde interessieren, was nun Sache ist. Steht das Angebot mit dem Urlaub? Zwei Wochen Erholung auf Santorin könnte ich nämlich durchaus gebrauchen. Und wie Sie gestern mehrfach betont haben: Ein einfacher Kellner wie ich bekommt auch nicht oft eine solche Gelegenheit.“

Valentina wand sich innerlich. Hatte sie so etwas tatsächlich gesagt? Das passte eigentlich gar nicht zu ihr. Im nüchternen Zustand wäre sie nie so unhöflich, einen solchen Gedanken auszusprechen.

Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. „Hören Sie, es tut mir leid, wenn ich Ihnen irgendwie zu nahe getreten bin. Ich …“

Er winkte ab. „Ganz im Gegenteil. Um ehrlich zu sein, waren es genau diese Worte, die mich dazu bewogen haben, Ihr Angebot anzunehmen. Aber vielleicht sollten wir uns jetzt endlich mal vorstellen. Mein Name ist Viktor. Viktor Panatridis.“

Valentina nickte. „Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Viktor. Und ich bedaure, dass ich ein solches Chaos veranstaltet habe. Ich fürchte, der Alkohol und ich, das ist keine besonders gute Mischung.“

„Glauben Sie mir“, erwiderte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. „So etwas erlebe ich in meinem Job ständig. Allerdings …“

„Ja?“

Er grinste, und zu ihrer Überraschung spürte sie ein merkwürdiges Flattern in der Magengegend. Aber das war vermutlich dem Kater zuzuschreiben.

„Nun, ich bin vorher noch nie auf eine Urlaubsreise eingeladen worden. Und machen Sie sich bitte keine Gedanken.“ Er seufzte. „Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass das Angebot zu gut klingt, um wahr zu sein …“

Neugierig musterte Viktor die junge Frau, die jetzt zwei Tassen aus einem Hängeschrank nahm und sich und ihm Kaffee einschenkte.

Ihm war ihre Reaktion auf seine letzten Worte nicht entgangen. Sie wirkte schuldbewusst und betroffen. Und wenn er ehrlich war, hatte er genau das beabsichtigt. Denn er wollte nicht zulassen, dass sie sich so einfach aus der Affäre zog.

Allerdings spielten finanzielle Gründe und die Aussicht auf einen kostenlosen Urlaub entgegen ihrer Annahme keine Rolle.

Was das betraf, hatte er nun wirklich keine Sorgen. Sie hielt ihn für einen einfachen Barkeeper, und er hatte nichts unternommen, um ihre Fehleinschätzung zu korrigieren. Ganz im Gegenteil. Abgesehen davon war sie tatsächlich ziemlich stark angetrunken gewesen.

Sie konnte also gar nicht wissen, dass er nicht irgendein schlechtbezahlter Barkeeper war, sondern ihm die Bar gehörte.

Zumindest zur Hälfte. Ebenso wie zehn weitere Bars, die sein Bruder und er überall im ganzen Land eröffnet hatten. Doch anders als Nikos, der ein echter Geschäftsmann war, arbeitete Viktor lieber mit den Händen. Er sprang gerne ein, wenn irgendwo Not am Mann war – so auch gestern Abend. Doch da hatte er noch aus einem weiteren Grund ausgeholfen.

Es war Nikos’ Idee gewesen, dass Viktor als Barmann Frauen kennenlernen sollte, bei denen er sich keine Gedanken machen musste, dass sie sich nur für sein Geld interessierten. Bei einem einfachen Barkeeper bestand die Gefahr schließlich kaum.

Zunächst hatte Viktor den Vorschlag als lächerlich abgetan. Doch schließlich war er zu dem Schluss gekommen, dass er es wenigstens versuchen konnte, denn nach der Geschichte mit Eleni fiel es ihm tatsächlich schwer, sich unvoreingenommen auf eine Frau einzulassen.

Er schob den Gedanken an die Vergangenheit beiseite.

Es ging ihm jedenfalls nicht um die Urlaubsreise – die hätte er jederzeit locker aus der Portokasse bezahlen können, wenn ihm danach gewesen wäre.

Es ging ihm um sie.

Etwas an dieser Frau hatte ihn vom ersten Moment an fasziniert. Und er wollte herausfinden, was genau diese Faszination auslöste. Außerdem hatte er ohnehin vorgehabt, nach Santorin zu fahren, um sich eine Bar anzusehen, die Nikos und er vielleicht kaufen wollten.

Zudem könnte es doch recht amüsant werden, ihren Freund zu spielen.

Sie war ihm sofort aufgefallen, obwohl sie eigentlich gar nicht seinem Typ Frau entsprach. Er mochte große Blondinen mit langen Beinen, die Wert auf perfektes Make-up legten und Designermode am wohlgeformten Körper trugen. Es war ihm egal, wenn das oberflächlich klang.

Valentina dagegen war dunkelhaarig und eher klein, sie hatte eine weibliche Figur mit entzückenden Kurven. Aber Moment, wo kam das denn nun schon wieder her? Kurven waren doch eigentlich gar nicht so sein Ding.

Er hätte sie umarmen können, als sie sich räusperte und ihn damit endlich aus seinen Grübeleien riss.

„Sie … wären also wirklich bereit, das für mich zu tun?“ Sie hob eine Augenbraue. „Und Ihnen ist auch klar, was das für Sie bedeutet? Als mein Freund dürfen Sie natürlich nicht mit hübschen Sonnenanbeterinnen am Strand flirten. Immerhin könnte sie jemand dabei beobachten, und das wäre für unsere Sache fatal.“

Interessant – nun war es schon unsere Sache.

Viktor unterdrückte ein amüsiertes Schmunzeln.

„Dessen bin ich mir natürlich bewusst“, sagte er ernst. „Und ja, ich bin bereit, dieses Spiel mit Ihnen zu spielen.“

Langsam nickte sie. „Es ist vollkommen verrückt, oder? Die ganz Idee … Aber ein Teil von mir will es trotzdem durchziehen, deshalb …“

„Dann haben wir das ja jetzt geklärt“, sagte er und erhob sich rasch. „Wann fliegen wir?“

„Ich wollte eigentlich gerade zum Flughafen, als Sie vor der Tür standen.“

„Kein Problem. Ich habe sicherheitshalber mein Gepäck mitgebracht. Für den Fall der Fälle, Sie verstehen.“

Sie sah zwar ein wenig überrumpelt aus, nickte aber. „Also schön. Dann tun wir das also wirklich?“

Viktor lachte. „In der Tat. Wir sollten den Flug nutzen, um uns ein bisschen besser kennenzulernen. Wenn wir ein verliebtes Paar spielen, sollten wir auch ein paar Dinge übereinander wissen, finden Sie nicht? Ach, und dieses förmliche ‚Sie‘ müssen wir natürlich auch sein lassen. Besser, wir gewöhnen uns so schnell wie möglich an einen vertraulichen Umgang miteinander. Es wäre doch ziemlich peinlich, wenn unsere kleine Geschichte auffliegt – vor allem für Sie.“ Wieder lachte er. „Ich meine natürlich – für dich.“

2. KAPITEL

Es war kein Problem, das Ticket für Vasili auf Viktor umzuschreiben. Da es sich um einen Inlandsflug handelte, gab es keine Passkontrolle, und sie wären vermutlich auch so durchgekommen. Doch Valentina brauchte wirklich keinen zusätzlichen Nervenkitzel. Sie wollte die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen und in ihr normales Leben in Athen zurückkehren.

Natürlich saßen sie im Flugzeug nebeneinander. Während Viktor jedoch lässig in der Bordzeitschrift blätterte, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er irgendwann. „Hast du etwa Flugangst?“

Es war kein großes Kunststück, sie zu durchschauen. Sie klammerte sich so an ihrer Armlehne fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Trotzdem verspürte Valentina eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Verlegenheit, als Viktor sie auf ihre Nervosität ansprach.

„Ich fliege nicht gerne“, sagte sie gepresst. „Über den Wolken zu schweben, noch dazu in so einer kleinen Maschine, ist mir einfach unheimlich.“

„Du weißt aber schon, dass …“

„Was?“, fiel sie ihm gereizt ins Wort. „Dass Fliegen sehr viel sicherer ist als die meisten anderen Fortbewegungsmittel? Dass ein Autounfall um einiges wahrscheinlicher ist als ein Flugzeugabsturz?“ Sie bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. „Stell dir vor, diese Argumente sind mir sehr wohl bekannt, aber sie ändern nichts daran, dass ich in Panik verfalle, sobald ich ein Flugzeug betrete.“

Viktor lächelte. „Eigentlich wollte ich sagen, dass es Atemtechniken gibt, die dir vielleicht helfen könnten.“

Skeptisch hob sie die Augenbrauen. Sie war es gewohnt, wegen ihrer Flugangst verspottet oder aufgezogen zu werden. Dass sie jemand tatsächlich ernst nahm und sich sogar Gedanken machte, wie er ihr helfen konnte, war neu.

„Atemtechniken?“

Er nickte. „Man nennt es die 4-7-8-Technik. Du legst die Zungenspitze an deinen Gaumen. So.“ Er öffnete den Mund und demonstrierte es ihr. „Dann atmest du ruhig und tief durch die Nase ein und zählst dabei bis vier. Als Nächstes hältst du die Luft an und zählst bis sieben, dann lässt du sie langsam durch den Mund entweichen. Dabei zählst du bis acht. Das Ganze wiederholst du viermal – danach sollte es dir deutlich besser gehen.“

„Ich weiß nicht …“

„Versuch es einfach mal.“ Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Schließ am besten die Augen.“

Sie tat, was er gesagt hatte, riss die Augen aber im nächsten Moment schon wieder auf, als er seine Hand auf ihre legte.

„Und ein …“

Sie atmete tief durch die Nase ein, wie er es ihr erklärt hatte.

Eins – zwei – drei – vier …

Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und spürte, wie ihre Lungen sich weiteten. Dann hielt sie den Atem an.

Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs – sieben …

Schließlich entließ sie die Luft ganz langsam, spürte, wie sie durch ihren Mund ausströmte. Ihre Schultern sanken herab, und ein Teil der Anspannung, die sie bis gerade noch verspürt hatte, wich mit der Atemluft aus ihrem Körper.

Es war wirklich erstaunlich.

Sie machte es noch einmal, mit demselben Effekt. Insgesamt viermal, so wie Viktor es ihr geraten hatte. Am Ende fühlte sie sich so entspannt wie nie zuvor in einem Flugzeug. Sie hielt die Augen geschlossen, während die Maschine auf der Startbahn beschleunigte, und zuckte nicht einmal zusammen, als das Flugzeug sich rüttelnd in die Luft erhob.

Zum Teil verdankte sie diesen erstaunlichen Erfolg zweifellos der Atemtechnik, aber einen nicht geringen Anteil hatte auch die Hand, die Viktor noch immer auf ihrer liegen gelassen hatte. Eine behagliche Wärme breitete sich von dort in ihrem ganzen Körper aus.

Als er seine Hand plötzlich wegzog, stellte sie erstaunt fest, dass sie sogar eingenickt sein musste.

„Möchten Sie etwas trinken? Kaffee oder Tee?“, fragte die Stewardess gerade.

Valentina blinzelte einen Moment irritiert. „Oh ja, ein Kaffee wäre schön. Und könnte ich auch noch ein Glas Wasser dazubekommen?“

„Selbstverständlich.“

Die Stewardess stellte die gewünschten Getränke vor ihr auf dem Ausklapptisch ab. Viktor bestellte ebenfalls einen Kaffee, dazu ein Glas Tomatensaft.

Angewidert verzog Valentina das Gesicht. „Igitt, Tomatensaft. Ist das nicht auch ein bisschen klischeehaft?“

Viktor lachte so laut auf, dass die Leute sich noch drei Reihen vor ihnen umdrehten. „Ich habe nie behauptet, dass ich für Klischees nichts übrig habe.“ Er grinste breit. „Ich bin sogar ein echter Liebhaber, musst du wissen.“

Bei seiner Wortwahl wanderten Valentinas Gedanken in ganz andere, gefährlichere Gefilde. Mit einem Mal fragte sie sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, seine Hände überall auf ihrer Haut zu spüren. Doch das ging natürlich nicht! Sie musste sich zusammenreißen. Immerhin war Viktor nicht wirklich ihr Freund – er spielte diese Rolle lediglich, weil sie ihn darum gebeten hatte.

Deshalb hatte er ihre Hand gehalten und ihr gezeigt, wie sie ihre Angst in den Griff bekommen konnte. Ein perfekter Freund machte so etwas nun einmal. Es wäre dumm von ihr, irgendetwas anderes auch nur zu denken. Furchtbar dumm und naiv. Genau das, was sie nicht mehr sein wollte.

Schweigend blickte sie zum Fenster hinaus, nachdem sie einen Schluck von ihrem Kaffee genommen hatte. Sie sah das tiefe Blau des Mittelmeers und die griechischen Inseln weit unter sich. Seltsamerweise machte ihr die Höhe überhaupt keine Angst. Sie zuckte nicht bei jedem Ruckeln der Maschine zusammen und achtete auch nicht ängstlich auf jedes Geräusch, das die Triebwerke verursachten.

Sie war vollkommen entspannt – solange sie nicht über den Mann neben sich nachdachte.

Valentina, hör auf damit! Mit Vasili ist gerade erst Schluss, und du willst dich gleich dem Nächsten an den Hals werfen?

Außerdem wusste sie so gut wie nichts über diesen Mann. Und genau das hatten sie doch eigentlich ändern wollen. Wenn sie ihren ehemaligen Klassenkameraden das glückliche Paar vorspielen wollten, dann würden sie sich schon ein wenig Mühe geben müssen.

„Okay, wir sollten unsere Geschichte durchgehen“, sagte sie daher. „Wie haben wir uns kennengelernt?“

Viktor lächelte sein jungenhaftes Lächeln und zuckte die Schultern. „Wir sollten so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben, denke ich. Wir haben uns also in einer Bar kennengelernt. Vielleicht auf einer Feier deiner Firma? Was arbeitest du?“

„Ich leite die IT-Abteilung eines großen Telekommunikationsunternehmens“, erwiderte Valentina nicht ohne Stolz. Sie hatte hart dafür geschuftet. Zuerst an der Uni und später, als man ihr als Berufseinsteigerin zunächst nur irgendwelche Hilfsjobs geben wollte. Die Wirtschaftslage war noch immer mehr als angespannt, und sie hatte froh sein können, überhaupt einen Job zu haben. Ihr ging es gar nicht so sehr ums Geld, sie wollte sich selbst etwas beweisen.

Viktor stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Ich bin beeindruckt.“

Sofort klopfte ihr Herz schneller, doch sie ließ sich nichts anmerken. „Was hast du denn gedacht, was ich mache? Vermutlich irgendeinen Job, für den man weder Qualifikation noch Köpfchen braucht …“

„Keineswegs. Mein erster Eindruck von dir war, dass du ziemlich smart bist, und dass sich jeder warm anziehen sollte, wenn er sich mit dir anlegen will.“

Sie spürte, wie sich die Hitze auf ihren Wangen ausbreitete, und wandte rasch den Blick ab.

Nach einer Weile räusperte sie sich. „Und du bist immer schon Barkeeper gewesen?“

Es kam ihr vor, als würde er mit der Antwort einen Moment zögern. Doch dann nickte er.

„Nun, zumindest habe ich schon seit jeher im Gastgewerbe gearbeitet. In der Bar, in der wir uns begegnet sind, helfe ich allerdings nur zeitweise aus.“

„Dann bist du nicht der Mann, der sich gerne irgendwo niederlässt?“

Darüber schien er kurz nachzudenken, ehe er den Kopf schüttelte. „Das würde ich zwar so direkt nicht sagen, aber vermutlich stimmt es schon, dass ich gerne frei und ungebunden bin. Es macht mir Spaß, neue Menschen kennenzulernen und fremde Orte zu erkunden. Auf Santorin war ich übrigens noch nie.“

„Ich bin dort aufgewachsen.“ Sie dachte an die Vergangenheit, an die quälenden Jahre in der Schule …

„Dann gehörst du also auch nicht unbedingt zur sesshaften Sorte, oder?“, unterbrach er ihre Gedanken. „Ich meine, immerhin scheinst du ja in Athen zu leben und zu arbeiten.“

Sie senkte den Blick, weil seine Worte zu viele Erinnerungen in ihr aufkommen ließen. Erinnerungen an ihre Familie – genauer gesagt an ihren Stiefvater und ihren Stiefbruder.

Die beiden Menschen, die sie dazu bewogen hatten, Santorin zu verlassen.

„Ich hatte meine Gründe, fortzugehen“, erwiderte sie heiser.

Er nickte. „Ach ja, ich erinnere mich. Du hast mir von den Leuten an deiner Schule erzählt, die dich schlecht behandelt haben. Deswegen nimmst du mich ja auch mit nach Santorin, nicht wahr? Um es ihnen mal so richtig zu zeigen.“

Valentina nickte. Allerdings gab es da noch etwas anderes, das sie auf Santorin erledigen musste. Doch damit hatte Viktor nichts zu tun …

„Und wo bist du aufgewachsen?“, fragte sie, um das Thema von sich abzulenken.

„Geboren wurde ich in New York, weil meine Eltern zu diesem Zeitpunkt dort lebten und arbeiteten. Aber aufgewachsen bin ich in einem kleinen Ort nahe Athen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht kommt ja daher mein Drang, die Welt zu erkunden. Eigentlich bin ich ein Großstadtjunge, aber bis zum Erreichen der Volljährigkeit war ich in einem winzigen Kaff gefangen.“

Valentina lachte. „Das klingt ja ganz furchtbar.“

„War es aber eigentlich überhaupt nicht. Mein Bruder und ich hatten eine sehr schöne Kindheit und Jugend. Aber ich schätze, mich hat es schon immer in die Ferne gezogen. Nikos ist da ganz anders. Wenn es nach ihm ginge, würde er nie auch nur einen Tag aus unserem Heimatort fortgehen. Er ist verheiratet und hat drei reizende Töchter.“

„Beneidest du ihn manchmal um sein Leben?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Wir mögen Brüder sein, aber wir sind vollkommen unterschiedliche Menschen. Ich würde mit Nikos’ Leben ebenso wenig glücklich werden wie er umgekehrt mit meinem.“

Langsam nickte Valentina. Das konnte sie gut nachvollziehen. Sehr gut sogar.

Sie wollte gerade etwas fragen, da leuchteten die Anschnallzeichen auf.

Kurz darauf knackten die Lautsprecher, und der Kapitän verkündete: „Wir werden in wenigen Minuten mit dem Landeanflug auf Santorin beginnen und hoffen, dass Sie …“

Valentina hörte nicht mehr hin. Mit einem Mal war ihre Anspannung zurückgekehrt. Aus irgendeinem Grund war ihre Furcht vor Landungen immer am größten. Vermutlich, weil bei der Landung die meisten Unfälle geschahen.

Sofort umklammerte sie die Armlehnen und presste die Zähne fest aufeinander. Doch ehe sie ganz in Panik geriet, legte Viktor seine Hand auf ihre.

„Tief einatmen.“

Sie schloss die Augen, und es dauerte nicht lange, da trug seine Stimme sie davon, und Valentina entspannte sich.

Irgendwann drehte sie ihre Hand herum und verschränkte die Finger mit seinen. Sie bemerkte, wie er sich neben ihr bewegte, öffnete die Augen aber nicht. Sie wollte seine Reaktion lieber gar nicht sehen.

Was, wenn er sie nun aufdringlich fand? Vermutlich schüttelte er ihre Hand nur deshalb nicht ab, weil sie so verängstigt und erbarmungswürdig wirkte.

Mit einem Ruck kam die Maschine auf der Rollbahn auf, und Valentina entfuhr ein heiseres Keuchen. Im nächsten Moment ließ sie Viktors Hand los und schlug die Augen auf.

Sie wollte raus. Nur noch raus.

Die Kabine des Flugzeugs, die ihr vorher schon eng vorgekommen war, schien immer weiter zusammenzuschrumpfen.

Sie war sich Viktors Nähe überdeutlich bewusst.

Ihr Herz hämmerte wie verrückt.

Das Hotel Santorin Palace gehörte zur gehobenen Kategorie der Häuser, die sich auf der Seite der Caldera an den Vulkanfels schmiegten. Die Gebäude waren in weiß gehalten, mit sparsamen blauen Akzenten, und schienen im hellen Sonnenschein regelrecht zu leuchten.

Ein paar Gäste hielten sich in der geräumigen Hotellobby auf, die mit bequemen Sofas und Sesseln ausgestattet war. Sie wirkten allesamt fröhlich, entspannt und erholt. Kein Wunder. Santorin war nicht ohne Grund ein beliebtes Urlaubsziel. Die Insel war traumhaft, sowohl auf der flacheren östlichen Seite mit ihren schwarzen Sandstränden als auch auf der schroffen, aber landschaftlich abwechslungsreichen Seite der Caldera.

Für Valentina war Santorin jedoch kein Urlaubsort. Sie war auf der Insel aufgewachsen, dies war ihre Heimat. Und gleichzeitig ein Ort, mit dem sie viele traurige und unschöne Erinnerungen verknüpfte.

Das schien Viktor nicht zu entgehen. „Du wirkst irgendwie bedrückt“, sagte er, nachdem sie am Empfang ihren Zimmerschlüssel entgegengenommen hatten.

Sie bekamen nur einen Zimmerschlüssel. Für ein Zimmer. Etwas, worüber sich Valentina eigentlich erst jetzt richtig Gedanken machte.

Um die Fassade aufrechtzuerhalten, mussten sie sich ein Zimmer teilen. Sie würde mit einem wildfremden Mann auf engstem Raum zusammenwohnen, in einem Bett schlafen …

Aber wem versuchte sie hier eigentlich etwas vorzumachen? Sie hatte absolut kein Problem damit, mit Viktor auf engstem Raum zusammenzuwohnen. Überhaupt nicht. Gerade das war vielleicht das Problem.

Nach der Trennung von Vasili musste sie sich darauf konzentrieren, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Das war jetzt wohl kaum der rechte Moment, um sich in die nächste Beziehung zu stürzen.

„Das bildest du dir ein“, sagte sie schroffer als beabsichtigt. „Du kennst mich doch überhaupt nicht.“

Es tat ihr sofort leid, ihn so abgefertigt zu haben, aber vielleicht war es besser so. Sie sollten einander nicht zu nahe kommen – das würde nur zu unnötigen Komplikationen führen.

Das Zimmer lag ganz oben, sodass sie für sich waren. Das Gepäck, so hatte der freundliche Mann an der Rezeption ihr versichert, würde ihnen noch nach oben gebracht werden, worüber Valentina froh war. Der Gedanke, das alles hier heraufschleppen zu müssen, gefiel ihr wirklich nicht.

„Wow, das ist wirklich nicht schlecht!“, sagte Viktor anerkennend, als er den hellen, großzügigen Wohnraum betrat. Passend zur äußeren Gestaltung der Anlage waren die Möbel weiß und blau.

Seufzend ließ Valentina sich auf das weiche Ledersofa sinken, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Einen Moment nur entspannen und die Seele baumeln lassen, ehe sie wieder in die Realität zurückkehren musste.

Nur einen winzigen Moment …

Es war hell, als sie die Augen wieder aufschlug. Durch die Fenster fiel das Licht der Morgensonne.

Hastig setzte Valentina sich auf und blickte sich um. Irgendwann, nachdem sie eingeschlafen war, musste Viktor sie zugedeckt haben. Es war eine so rührende Geste, dass sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie war froh, dass er nirgends zu sehen war.

Aber wo steckte er?

„Viktor?“

Sie stand auf und ging Richtung Schlafzimmer. Bis auf ihre Koffer war es vollkommen leer, wie auch das angrenzende Bad.

Sie runzelte die Stirn und beschloss, unten in der Lobby nach ihm zu suchen. Als sie etwa auf halber Strecke zum Foyer war, hörte sie eine vertraut klingende Stimme.

„Nein, ich bin sicher, sie wird ganz entzückt sein. Sie hat schon seit Wochen über nichts anderes geredet. Sie glauben ja gar nicht, wie lange sie sich schon auf dieses Klassentreffen freut und … Ach, da ist sie ja.“

Viktor stand am Fuße der Treppe, zusammen mit einer Frau, die ihr jedoch den Rücken zuwandte. Als sie sich umdrehte, zog es Valentina fast den Boden unter den Füßen weg.

Doch ihr Schock war nicht halb so groß wie der, der Katina Simonides ins Gesicht geschrieben stand. Ihre frühere Klassenkameradin war offenbar nicht darauf vorbereitet, einer völlig neuen Valentina zu begegnen.

Eines musste sie ihr jedoch lassen – sie erholte sich wahnsinnig schnell von ihrem Schreck. Mit einem Lächeln, das falscher nicht hätte sein können, kam sie auf Valentina zu.

„Na, ist das denn die Möglichkeit? Bist du es wirklich, Pummelchen? Ich hätte dich beinahe nicht wiedererkannt!“

Bei der Nennung ihres alten Spitznamens zuckte Valentina innerlich zusammen, aber sie zwang sich, sich nichts anmerken zu lassen. Viktor hob die Augenbrauen, sagte aber nichts, was sie ihm hoch anrechnete.

Irgendwie schaffte sie es, ebenfalls ein Lächeln aufzusetzen – auch wenn sie ziemlich sicher war, dass es nicht viel echter wirkte als Katinas.

„Nun ja“, sagte sie, „es sind immerhin fünf Jahre vergangen. Menschen verändern sich, entwickeln sich weiter.“ Sie erhöhte die Wattzahl ihres Lächelns noch ein wenig. „Und du? Immer noch mit Thanos zusammen?“

Thanos Raptis, strahlender Sportstar und Mädchenschwarm der Schule, war heute ein erfolgloser Geschäftsmann, der es innerhalb von fünf Jahren bereits geschafft hatte, eine Firma an die Wand zu fahren und eine weitere zahlungsunfähig zu machen. Er hatte eine kleine Tochter aus einer gescheiterten Ehe – mit Katina Simonides.

Das alles hatte Valentina bei ihren Online-Recherchen über die Jungs und Mädchen, von denen sie in der Schulzeit schikaniert worden war, herausgefunden. Deshalb wusste sie auch, dass Katina es keineswegs zur Modedesignerin gebracht hatte. Sie hatte es nicht einmal an die Uni geschafft, weil sie vorher schwanger geworden war. Heute arbeitete sie anscheinend in irgendeinem anonymen Callcenter, um den mickrigen Unterhalt aufzustocken, den sie für sich und ihre Tochter von Thanos erhielt.

Ein wenig überraschte es Valentina, sie überhaupt hier anzutreffen. Soweit sie wusste, lebte Katina noch immer auf Santorin. Warum also buchte sie sich in ein sündhaft teures Hotel ein, wenn sie ohnehin schon gezwungen war, mit ihrem Geld zu haushalten?

„Nein.“ Katina winkte ab. „Thanos und ich, das hat einfach nicht mehr gepasst. Wir haben uns vor zwei Jahren getrennt. Aber wie ich sehe, hast du tatsächlich jemand Vorzeigbaren gefunden.“ Der Blick, mit dem sie Viktor musterte, ließ Valentina triumphieren, machte sie aber auch wütend.

Aber warum? Sie hatte Viktor doch schließlich mitgebracht, weil sie eine solche Reaktion bei ihren früheren Peinigerinnen hervorrufen wollte. Wieso konnte sie sich dann nicht einfach zurücklehnen und ihren Triumph genießen?

Stattdessen ertappte sie sich dabei, wie sie besitzergreifend Viktors Hand ergriff. „Ja“, säuselte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Viktor und ich sind sehr glücklich.“

Sie sah Katina förmlich an, wie diese innerlich kochte. „Ach, wie schön für euch. Wie lange seid ihr denn jetzt zusammen?“

„Zwei Jahre“, antwortete Valentina.

Im selben Moment, in dem Viktor sagte: „Drei Jahre.“

Mit hochgezogenen Brauen schaute Katina zwischen ihnen hin und her. „Ja, was denn nun? Zwei oder drei Jahre?“

Valentina schluckte hart. Dies war Viktors und ihre Feuerprobe, der Test, der zeigte, ob sie als gespieltes Paar vor den anderen bestehen konnten. Und schon schien ihre ganze Geschichte in sich zusammenzufallen wie ein Kartenhaus.

„Ich, also …“, stammelte sie, doch zum Glück übernahm Viktor die Führung.

Er hob Valentinas Hand, die noch immer in seiner lag, an die Lippen und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. „Wir haben uns vor drei Jahren kennengelernt, aber offiziell zusammen sind wir erst seit zwei Jahren, da hat Valentina recht. Wir sind uns in einer Bar in Athen begegnet“, erzählte er. „Ich war mit ein paar Geschäftsfreunden dort, um einen großen Abschluss zu feiern. Sie ist mir gleich aufgefallen, weil sie die schönste Frau in der ganzen Bar war.“

Valentina spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Dann rief sie sich in Erinnerung, dass er das ja nur sagte, um die Geschichte ihres Kennenlernens glaubhaft rüberzubringen. Er machte das wirklich gut, das musste sie ihm lassen. Mit jedem Wort wurde Katinas Miene düsterer, obwohl sie sich bemühte, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten. Es musste sie unglaublich ärgern, dass ihre Mitschülerin, für die sie früher nur Hohn und Spott übriggehabt hatte, es so weit gebracht hatte.

„Ich habe mich erst gar nicht getraut, sie anzusprechen“, sagte Viktor weiter. Er lachte leise.

Sofort fingen die Schmetterlinge in Valentinas Bauch wieder an zu flattern. Doch sie zwang sich, das Gefühl zu ignorieren und stattdessen Viktors Bericht von ihrem Kennenlernen zu lauschen.

„Schließlich habe ich mir doch ein Herz gefasst und sie auf ein Glas Wein eingeladen. Wir haben uns unterhalten und … ich gebe es zu, ich war ihr vom ersten Moment an verfallen. Allerdings hat es noch eine Weile gedauert, bis ich Valentina davon überzeugen konnte, dass ich der Richtige für sie bin.“ Er grinste breit. „Und so wirklich fassen kann ich es immer noch nicht, dass sie sich am Ende für mich entschieden hat. Wenn ich ehrlich sein soll, ist sie viel zu gut für mich. Schauen Sie sie doch nur an …“

Valentina spürte, wie ihre Knie weich wurden. So hatte noch nie jemand über sie gesprochen. Und auch wenn es ein vollkommen fremder Mann war, von dem sie diese Worte hörte, so trafen sie sie doch mitten ins Herz. Sie drückte Viktors Hand. Er schaute sie an, und der Blick seiner dunklen Augen löste ein seltsames Kribbeln in ihrem Körper aus. Sie war wie erstarrt, konnte nichts anderes tun, als Viktor anzusehen. Und er hielt ihren Blick gefangen. Die Zeit schien stillzustehen, alles andere trat in den Hintergrund …

„Ich störe eure traute Zweisamkeit wirklich äußerst ungern, aber ich bin ein wenig in Eile“, beendete Katina das, was immer da gerade zwischen Valentina und Viktor passierte. „Ein paar von uns treffen sich gegen drei zum Lunch. Nur gut, dass wir hierzulande nicht so früh zu Mittag essen, sonst würde ich das heute gar nicht mehr schaffen. Wie sieht es bei euch aus, wollt ihr nicht mitkommen? Wir könnten über alte Zeiten plaudern, quasi als kleinen Vorgeschmack auf das eigentliche Klassentreffen. Na, habt ihr Lust?“

Valentina wollte dankend ablehnen, doch Viktor war schneller. „Natürlich. Wir kommen sehr gern.“ Valentinas entsetzten Blick und ihr angedeutetes Kopfschütteln ignorierte er vollkommen. „Wann und wo wollen wir uns treffen?“

Na prima, dachte Valentina. Das kann ja heiter werden …

3. KAPITEL

„Verdammt, Viktor, warum hast du das getan?“ Valentinas Blick sprühte Funken. „Ich will mit diesen schrecklichen Frauen keine Sekunde mehr verbringen als unbedingt notwendig!“

Viktor zuckte mit den Achseln. „Ich dachte mir schon, dass du versuchen würdest, dich zu drücken. Aber überleg doch mal: Gibt es eine bessere Gelegenheit, um ihnen unter die Nase zu reiben, wie weit du es gebracht hast? Ihnen wird das Essen in der Kehle stecken bleiben, wenn sie uns in Aktion erleben. Ich verspreche dir, das wird die Show des Jahrhunderts!“

Sie saßen in einer ruhigen Ecke im Frühstückssalon des Hotels, dennoch hielt Valentina ihre Stimme gesenkt, was er irgendwie charmant fand. Warum? Er hatte absolut keine Ahnung.

Wenn es um Valentina ging, verstand er sich selbst nicht. Im Grunde widersprach schon allein die Tatsache, dass er sie auf diese Reise begleitete, all seinen Prinzipien. Gut, dass die Reise ausgerechnet nach Santorin ging, passte perfekt in seine Pläne. Immerhin hatte er hier auch etwas zu erledigen. Dennoch ließ er sich nicht mit Frauen ein. Grundsätzlich nicht. Die Vergangenheit hatte ihn in dieser Hinsicht vorsichtig werden lassen.

Die Sache mit Eleni hatte ihn vorsichtig werden lassen.

Er wollte so etwas auf keinen Fall noch einmal erleben. Die Erfahrung reichte für den Rest seines Lebens.

Wobei die Dinge in diesem speziellen Fall ein wenig anders lagen … Nikos’ Plan sah immerhin vor, dass er Frauen kennenlernte. Trotzdem überraschte es ihn, was für eine Wirkung Valentina auf ihn hatte. Warum konnte er nicht aufhören, sie anzusehen? Warum nutzte er jede Gelegenheit, um wie aus Versehen ihre Hand zu streifen?

Es war schon beinahe lächerlich.

Er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte – ob es ihm nun passte oder nicht. Und das tat es nicht. Ganz und gar nicht.

Oder vielleicht doch, und er hatte sich deshalb so rasch von ihr zu der Reise überreden lassen? Ein Teil von ihm war offenbar sogar sehr daran interessiert, Valentina näherzukommen. Dummerweise machte diese Erkenntnis es ihm nicht leichter, seine nächsten Schritte zu planen.

Der Kellner kam und brachte für Valentina einen Kaffee mit Eiswürfeln und einen schwarzen Tee für Viktor. Er zog Tee anderen Getränken vor, und der hoteleigene war, wie er nach dem ersten Schluck feststellte, gar nicht einmal so schlecht.

Das Frühstück fiel eher spartanisch aus, wie in Griechenland üblich: Joghurt, Früchte und helles Brot. Viktor lud sich von allem etwas auf den Teller, während Valentina lustlos in ihrem Joghurt herumrührte.

„Vertrau mir“, sagte er. „Zusammen werden wir glänzen. Jede dieser Frauen wird dich um deinen Freund beneiden. Ich sorge dafür, dass du im besten Licht dastehst.“

Denn das war es doch, was Valentina wollte, richtig? Ihr ging es darum, sich zu rächen. Und er hatte versprochen, ihr dabei zu helfen. Deshalb war er schließlich hier.

Sie legte den Löffel ab und schaute zu ihm auf. „Ich weiß nicht, ob ich das wirklich noch will“, sagte sie.

„Hm?“

Sie seufzte. „Katina wiederzusehen war … surreal. Um ehrlich zu sein – am liebsten würde ich meine Sachen packen und in den nächsten Flieger zurück nach Hause steigen. Dann hätte ich diesen ganzen Mist endlich hinter mir.“

„Und danach? Willst du dich wirklich die kommenden Jahre fragen, ob es ein Fehler war, dir diese Chance entgehen zu lassen?“

Kurz schien sie darüber nachzudenken, ehe sie den Kopf schüttelte. „Ich weiß nicht, ich … Ach, ich wünschte, du hättest das nicht einfach so über meinen Kopf hinweg entschieden. Dieses Mittagessen … das ist mir alles irgendwie zu viel auf einmal.“

Seufzend fuhr Viktor sich durchs Haar. Er hatte nur gewollt, dass Valentina das bekam, wonach sie sich sehnte. Weil er sie lächeln sehen wollte. Du liebe Güte, wo war der Gedanke nun schon wieder hergekommen?

„Okay“, sagte er, stand auf und reichte Valentina die Hand. „Komm.“

Irritiert schaute sie zu ihm auf. „Was? Wohin gehen wir?“

„Raus“, sagte er. „Lass uns zusammen die Gegend erkunden. Und wenn du später immer noch keine Lust auf diese Lunch-Verabredung mit Katina und Co. hast, dann lassen wir sie einfach sausen.“

Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich brauche nichts zu erkunden, Viktor, ich bin hier aufgewachsen.“

„Umso besser!“ Er zog sie mit sich nach draußen. „Dann kannst du mich ja ein bisschen herumführen und mir die Sehenswürdigkeiten zeigen.“

Sie waren fast bei der Tür, als Valentina plötzlich stehenblieb.

„Was ist?“

„Also schön“, sagte sie. „Aber dann lass es uns auch gleich richtig machen.“

Knapp eine halbe Stunde später waren sie mit dem Mietcabrio, das die freundliche Dame an der Rezeption rasch für sie gebucht hatte, unterwegs in Richtung Südwesten. Viktor überließ Valentina die Führung, schließlich war es ihre Insel.

Sie genoss es, wie der Wind ihr das kurze dunkle Haar zerzauste. Das Wetter war einfach wundervoll. Die Sonne stand hoch am azurblauen Himmel, an dem sich lediglich ein paar harmlose Wölkchen tummelten. Die Landschaft war schroff, die Straße gesäumt von roten Felsen, Ginsterbüschen und gelben Strohblumen. Auf der linken Seite fiel die Küste steil zum Meer hinunter ab.

„Wohin fahren wir?“, wollte Viktor wissen.

Valentina lächelte geheimnisvoll. „Das wirst du sehen, wenn wir dort sind. Ich sage nur so viel, dass es sich um eine der größten Attraktionen von Santorin handelt.“

Ihre Stimmung war heiter und ausgelassen – viel besser, als sie sich im Hotel gefühlt hatte. Die Begegnung mit Katina und die Verabredung zum Mittagessen erschienen ihr plötzlich gar nicht mehr so furchtbar. Vielleicht hatte Viktor tatsächlich recht, und sie sollte diese einmalige Chance ergreifen.

Überhaupt musste sie zugeben, dass er seine Sache ziemlich gut machte. Er schien regelrecht in seiner Rolle aufzugehen, was schon beinahe amüsant war. Zwar verstand sie nicht so recht, warum er so engagiert war, aber ihr kam es ja nur entgegen. Zumindest, wenn er nicht so übereifrig wurde wie bei der Verabredung zum Lunch.

Sie hielten auf einem kleinen Parkplatz unterhalb steil aufragender Felsen. Viktor schien ein wenig skeptisch.

„Das hier soll eine der Attraktionen der Insel sein?“

Valentina lachte. „Nein, wir sind noch nicht ganz da. Aber den Rest des Weges müssen wir zu Fuß zurücklegen.“ Ohne lange darüber nachzudenken, ergriff sie seine Hand. „Komm mit, ich zeig’s dir.“

Sie folgten einem schmalen, schlecht befestigten Weg zum Meer hinunter. Als sie freien Blick auf den roten Strand von Kokkini Paralia hatten, hörte sie Viktor neben sich verwundert Luft holen.

In der Hauptsaison war der kurze Küstenabschnitt, der von gewaltigen roten Klippen umschlossen wurde, von Touristen und Verkäufern regelrecht überlaufen. Heute aber hatten sie das gesamte Areal für sich.

Schon streifte sie Schuhe und Socken ab und ließ sie achtlos am Wegesrand liegen. Dann schaute sie Viktor herausfordernd an. „Worauf wartest du noch? Zieh deine Schuhe aus. Du willst doch mein Santorin kennenlernen. Dann aber auch auf meine Weise.“ Sie grinste. „Mit den Füßen im Wasser.“

Viktor zögerte nicht lange und zog ebenfalls Schuhe und Socken aus. Danach rollte er noch den Saum seiner verblichenen Jeans hoch. Valentina hatte sich am Morgen für Leinenshorts entschieden.

„Erzähl mir von diesem Ort“, bat er, während sie Hand in Hand durch die Brandung liefen. Das Wasser umspielte ihre Füße, und die Strömung zog den roten Sand unter ihren Sohlen ins Meer.

Sie holte tief Luft. „Spricht diese Umgebung nicht für sich?“

„Ich dachte, du spielst für mich die Reiseleiterin.“

Valentina lachte. „Also schön, wie du willst.“ Sie räusperte sich und warf sich in Positur. „Meine Damen und Herren, wir befinden uns hier am roten Strand von Akrotiri. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, sind die Felsen hinter uns und der Sand leuchtend rot. Die Farbe haben wir den Eisensedimenten zu verdanken, die im Fels eingelagert sind und … Vorsicht!“

Valentina sprang zurück, als eine große Welle auf den Strand zugerollt kam, doch Viktor war zu langsam. Die Woge durchnässte ihn bis zu den Hüften.

Nach einer Schrecksekunde brach Valentina in schallendes Gelächter aus. „Tut mir leid“, stieß sie mit Tränen in den Augen hervor. „Aber dein Gesichtsausdruck gerade war … wirklich unbezahlbar!“

Viktor stand da, und für einen Moment befürchtete sie schon, ihn ernsthaft beleidigt zu haben. Doch dann fing er ebenfalls an zu lachen.

Sie lachten so lange, bis sie sich die schmerzenden Bäuche hielten und keuchend um Atem rangen. Dann ließen sie sich nebeneinander in den Sand sinken und schauten aufs Meer hinaus.

„Es ist wirklich schön hier“, sagte Viktor nach einer Weile. „Verbindest du diesen Ort mit irgendwelchen besonderen Erinnerungen?“

Valentina schluckte. Sie hätte mit der Frage rechnen sollen, doch aus irgendeinem Grund traf sie sie vollkommen unvorbereitet. Als junges Mädchen war sie häufig mit ihren Eltern hier gewesen – damals, bevor ihr Vater gestorben war. Lange bevor ihr Stiefvater und dessen Sohn in ihr Leben getreten waren. Sie war dreizehn Jahre alt gewesen, als ihr Vater starb. Noch immer sprach sie nur ungern über dieses Thema.

Und dann war da auch noch ihr Stiefbruder, an den sie am liebsten nicht einmal denken wollte. Nur, dass ihr schon bald gar nichts anderes mehr übrigbleiben würde. Immerhin konnte sie die Sache nicht für alle Zeit vor sich herschieben.

Früher oder später musste sie sich mit Alexis auseinandersetzen. Schon allein ihrer Mutter zuliebe …

Das Klingeln ihres Handys ersparte es ihr, eine unverfängliche Antwort auf Viktors Frage finden zu müssen. Ein Blick aufs Display reichte, und sie spürte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.

Es handelte sich um eine SMS, die Antwort auf eine Frage, die sie ein paar Tage zuvor mit zitternden Fingern getippt hatte.

Wenn es unbedingt sein muss, komm morgen Nachmittag vorbei. Aber versprich dir nicht zu viel von diesem Treffen!

Sie atmete bewusst langsam aus, um die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Die Methode hatte sich schon im Flugzeug bewährt, warum sollte sie nicht auch wirken, wenn es um ihren Stiefbruder ging? Wenn sie die Wahl hätte, würde sie allerdings einen Achtzehn-Stunden-Flug jederzeit einem Wiedersehen mit Alexis vorziehen.

„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte Viktor besorgt.

Rasch zwang Valentina ein Lächeln auf ihre Lippen, doch sie war sich ziemlich sicher, dass es missglückte. Den Beweis dafür erhielt sie, als sie zu Viktor blickte. Seine Stirn war in Falten gelegt, und er musterte sie durchdringend.

Dennoch schüttelte sie den Kopf. „Es ist nichts“, sagte sie. „Nur eine lästige Verpflichtung, der ich hier auf Santorin nachgehen muss.“

Er sah skeptisch aus, sagte aber nichts.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, dann stand sie auf und klopfte sich den Sand von den Shorts. „Es ist fast schon halb zwei. Wenn wir rechtzeitig zu unserer Verabredung zurück im Hotel sein wollen, sollten wir uns beeilen.“

Er schaute sie fragend an, sagte aber immer noch nichts, worüber Valentina froh war.

Zwar war das Mittagessen mit Katina und den anderen für Valentina ein willkommener Vorwand gewesen, um unbequemen Fragen auszuweichen. Sonderlich erpicht auf ein vorzeitiges Wiedersehen war sie jedoch nicht, als sie gegen halb drei einen letzten Blick in den Spiegel warf.

Viktor hatte nach ihrer Rückkehr etwa zehn Minuten benötigt, um rasch zu duschen und sich mit beiden Händen durchs Haar zu fahren, dann war er auch schon fertig gewesen. Sie brauchte entschieden länger.

Sie wusste, dass es im Grunde nur um ein harmloses Mittagessen ging und dass sie die Sache locker sehen sollte. Als eine Gelegenheit, den anderen einen Vorgeschmack auf die neue Valentina zu gewähren. Doch sie konnte nur daran denken, dass diese Frauen ihr die gesamte Schulzeit über das Leben schwergemacht hatten. Und dass sie jetzt einfach umwerfend aussehen musste.

Alles musste perfekt sein. Dies war sozusagen die Generalprobe für ihren großen Auftritt beim Klassentreffen am Abend. Die Garderobe hatte sie beim Kofferpacken in Athen schon ausgewählt. Das Sommerkleid aus taubenblauer Rohseide hatte sie mehr als ein Monatsgehalt gekostet – und sie konnte sich über ihren Lohn wirklich nicht beklagen. Dazu trug sie silberne Sandaletten von Louboutin mit mörderisch hohen Absätzen. Ihren frechen Pixieschnitt hatte sie mit etwas Haarwachs in Form gebracht, das Make-up äußerst sorgfältig aufgetragen. Ihr Lippenstift besaß die Farbe von Himbeersorbet und schimmerte leicht.

„Ja“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und nickte zufrieden. „So kannst du dich sehen lassen.“

Sie trat aus dem Badezimmer, und es zeigte sich, dass sie mit diesem Urteil durchaus nicht falsch lag.

Viktor, der gerade dabei war, sein Sakko überzustreifen, verharrte mitten in der Bewegung und starrte sie einfach nur an. Und zwar mit einer solchen Intensität, dass Valentina spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

„Du …“ Er räusperte sich. „Du siehst unglaublich aus, Valentina. Fantastisch.“

Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und der Anblick bannte sie. Elektrisierte sie.

„Wollen wir dann los?“, fragte er und riss sie aus ihren vollkommen unangebrachten Gedanken. Sie schalt sich innerlich. Was war bloß in sie gefahren? Sie reagierte doch sonst nicht so heftig auf den Anblick eines Mannes.

Als er ihr seinen Arm bot, hakte sie sich dankbar unter. All die Stufen auf diesen Absätzen zurückzulegen, erschien ihr wie ein kleines Kunststück, aber sie langte unbeschadet am Fuße der Treppe an.

Das Restaurant war relativ leer, was sie nicht weiter verwunderte. Die meisten Griechen nahmen ihr Mittagessen erst in den Nachmittagsstunden ein, doch die Touristen im Hotel waren nicht daran gewöhnt.

Valentina atmete tief durch und wappnete sich innerlich für das Wiedersehen mit ihren ehemaligen Mitschülerinnen. Viktor spürte offenbar ihre Anspannung und drückte sanft ihren Arm.

Bereit? schien sein Blick zu fragen, und Valentina nickte knapp. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, doch sie war so bereit, wie sie es zu werden vermochte.

Sie hätte gar nicht in Worte fassen können, wie froh sie war, Viktor an ihrer Seite zu haben. Irgendwie übte er eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Er erdete sie, wenn sie die Kontrolle zu verlieren drohte.

„Los“, sagte sie schließlich und zwang sich zu einem Lächeln.

Mrs. Gregson – die ältere Frau hatte sie gebeten, sie Emily zu nennen, doch das brachte Valentina irgendwie nicht über sich – hatte sich in all den Jahren kaum verändert. Die Falten hatten sich ein wenig tiefer in ihre Haut gegraben, und ihr Haar war von silbernen Strähnen durchzogen. Doch ihre Ausstrahlung war noch immer warm und mütterlich.

Wenn Valentina in ihrer Zeit als Gespött der Klasse jemand geholfen hatte, dann war es diese Frau gewesen.

Valentina freute sich, ihre ehemalige Lehrerin für Englisch und Kunst mit Katina und den anderen am Tisch sitzen zu sehen. Sie hatte nicht damit gerechnet, Mrs. Gregson schon vor dem offiziellen Termin zu treffen.

Beinahe hätte sie die ungläubigen und feindseligen Blicke gar nicht wahrgenommen, die die anderen Frauen am Tisch ihr entgegenbrachten. Emily Gregson erhob sich und schloss sie in die Arme.

„Valentina, mein Kind“, sagte Mrs. Gregson und betrachtete sie eingehend. „Ich wusste schon immer, dass der Schmetterling sich eines Tages entfalten würde.“

Die Worte überraschten Valentina, und nicht nur sie, wie sie erkannte, als sie in die Gesichter ihrer früheren Schulkameradinnen schaute. Katina sah von allen noch am wenigsten boshaft aus. Doch sie hatte ja bereits Gelegenheit gehabt, den ersten Schock zu überwinden.

Außer ihr waren noch zwei weitere Mitglieder der ehemaligen Mädchenclique anwesend. Sie machten eine Miene, als hätten sie gerade etwas Widerwärtiges geschluckt. Vermutlich ist es auch so, dachte Valentina und triumphierte innerlich. Die eigene Arroganz muss eine bittere Pille sein.

„Ich darf mich vorstellen“, brach Viktor das angespannte Schweigen. Er musste ebenfalls merken, dass es zwischen den Frauen vor aufgestauten Emotionen knisterte, doch er ging mit einem Lächeln darüber hinweg. „Mein Name ist Viktor, ich bin Valentinas Verlobter – und hoffe, sie bald dazu zu bekommen, Ja zu sagen.“

Er erntete eine Runde gekünsteltes Lachen, und mit einem Mal war aller Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet. Valentina konnte nicht umhin festzustellen, dass es ihr nicht gefiel, wie die anderen Frauen ihn förmlich mit ihren Blicken auszogen.

Am liebsten hätte sie sich zwischen Viktor und seine Bewunderinnen gestellt, um zu verhindern, dass sie ihn weiter angafften.

Einzig Emily Gregson schien nicht empfänglich zu sein für seine umwerfend männliche Ausstrahlung. Sie lächelte lediglich wissend, was Valentina ebenfalls irritierte. Was glaubte ihre frühere Lehrerin zu wissen?

Sie schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich auf Viktor, der ihr inzwischen einen Stuhl zurechtgerückt hatte. Er ließ sich neben ihr nieder – und zwar sehr viel näher, als erforderlich gewesen wäre. Dabei lächelte er so entwaffnend, dass ein ganzer Schwarm Schmetterlinge in Valentinas Bauch aufflatterte.

Aus der Nähe bemerkte sie, dass seine Augen nicht einfach schwarz waren. Um die Pupillen herum lag ein Ring in einem warmen Goldton, von dem aus sich einzelne Linien sonnenstrahlförmig durch die Iris zogen.

Fasziniert starrte sie ihm in die Augen, konnte gar nicht mehr wegsehen, und er hielt ihren Blick mühelos gefangen. Die Zeit schien stillzustehen. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen.

Dann brach Katinas Stimme den Bann. „Wollen wir bestellen? Ich sterbe vor Hunger!“

Sie bestellten leichte, bekömmliche Speisen. Valentina entschied sich für einen Salat mit Putenbrust, dazu ein Glas trockenen Weißwein, doch als das Essen vor ihr stand, stocherte sie nur lustlos darin herum. Mit den Gedanken war sie bei Viktor – wie heute schon den ganzen Tag.

Sie kannte ihn gerade einmal seit ein paar Stunden, dennoch empfand sie mehr für ihn, als sie seit Langem für irgendjemanden empfunden hatte. Wie war das möglich? Und was viel wichtiger war – wie schaffte sie es, dass das wieder aufhörte?

Sie sollte sich wirklich um andere Dinge kümmern. Ein neuer Mann stand nicht auf ihrer Prioritätenliste. Es war so schon alles kompliziert genug.

„Wie ist es dir seit deinem Abschluss ergangen?“, wandte sich Mrs. Gregson an Valentina und brach damit das unbehagliche Schweigen. Mit einem Lächeln in Viktors Richtung fügte sie hinzu: „Was dein Liebesleben betrifft, wissen wir ja schon einiges. Aber mich würde interessieren, ob du dich am Ende dazu entscheiden konntest, Kunst zu studieren.“

„Kunst?“ Viktor blinzelte überrascht. „Du malst? Das hast du mir nie erzählt.“

„Das ist ja auch nicht unbedingt etwas, womit man angeben kann“, zischte Elena, die zu Schulzeiten Katinas engste Freundin gewesen war. Sie war noch immer so spindeldürr wie früher, was fast ungesund wirkte.

„Oh, sie malt sogar ganz wunderbar.“ Mrs. Gregson ignorierte den hämischen Kommentar und lächelte voller Stolz. „Sie besitzt echtes Talent, und ich habe versucht, sie zu fördern, wo ich konnte. Aber mit den Mitteln, die einem an einer öffentlichen Schule zur Verfügung stehen, ist das nicht leicht.“ Sie lächelte traurig. „Du hast also eine andere Laufbahn gewählt?“

Wie sollte sie ihrer ehemaligen Lehrerin erklären, dass sie sich für eine Karriere im IT-Bereich entschieden hatte – und zwar vor allem, weil sie es ihrem Umfeld unbedingt hatte beweisen wollen?

Wie oft hatte ihr Stiefvater sie für ihre künstlerischen Ambitionen verhöhnt und verspottet. „Mit hübschen Bildern kann man kein Geld verdienen“, hatte er immer gesagt. „Als Künstlerin bist du mittellos, und dann liegst du uns nur weiter auf der Tasche.“

Natürlich waren seine Worte von purer Gehässigkeit bestimmt gewesen. Doch Valentina hatte befürchtet, dass er am Ende recht behalten könnte. Schließlich hörte man doch immer vom hungernden Künstler …

„Ich leite die IT-Abteilung eines großen Telekommunikationsanbieters“, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln.

Während die anderen Frauen vorgaben, sich auf ihre Teller zu konzentrieren, konnte Valentina in ihren Mienen Neid und Missgunst lesen. Wirklich freuen konnte sie sich darüber allerdings nicht. Sie mochte ihren Job, und sie war gut darin. Doch im Malen war sie ganz aufgegangen. Es war etwas, das sie wirklich geliebt hatte.

„Nun, die Hauptsache ist, dass du glücklich bist“, sagte Emily Gregson schließlich. „Auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass du es mit deinem Talent weit hättest bringen können.“

„Was hast du denn so gemalt?“, wollte Viktor wissen. „Ich würde mir gern einmal etwas ansehen.“

„Du hast ihm deine Arbeiten nie gezeigt?“ Mrs. Gregson blinzelte überrascht. „Warum denn bloß nicht?“

„Ach …“ Valentina winkte ab. „Es ist schon ewig her, seit ich das letzte Mal einen Zeichenblock in der Hand hatte. Ich hab ehrlich gesagt schon beinahe vergessen, dass ich das überhaupt jemals gemacht habe.“

Dafür erntete sie sowohl von ihrer früheren Lehrerin als auch von Viktor einen ungläubigen Blick. Lediglich Katina und ihre alten Freundinnen wirkten ungerührt – aber das wunderte Valentina nicht. Es dürfte sie nicht besonders interessiert haben, dass Valentina früher gern gezeichnet hatte. Wozu auch? Was nicht als Munition diente, um sie niederzumachen, war für die Mädchen irrelevant gewesen.

Wenn sie ehrlich war, liebte sie es nach wie vor zu zeichnen. Das Gefühl, einen Stift in der Hand zu halten und etwas zu erschaffen, war einfach unbeschreiblich. Genau deshalb hatte sie damit aufgehört, so schwer es ihr auch gefallen war. Sie musste sich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig war im Leben.

Und Zeichnen gehörte bedauerlicherweise nicht dazu.

Doch wie immer, wenn sie ans Zeichnen erinnert wurde, versetzte es ihr einen Stich ins Herz, und sie empfand Wehmut und eine leichte Traurigkeit.

„So, jetzt wird es aber wirklich Zeit für mich, aufzubrechen“, verkündete Mrs. Gregson, nachdem sie aufgegessen und gezahlt hatten. Sie schob ihren Stuhl zurück und erhob sich; die anderen taten es ihr gleich. „Es hat mich wirklich sehr gefreut, euch alle wiederzusehen. Und spätestens beim Klassentreffen werden wir ja noch einmal Gelegenheit haben, uns in Ruhe zu unterhalten.“

Valentina war froh über die allgemeine Aufbruchsstimmung. Sie verabschiedete sich von Mrs. Gregson, die sie zu ihrer Überraschung wieder in die Arme schloss.

„Wir sehen uns dann am Wochenende“, sagte sie mit einem Lächeln. „Es hat mich ganz besonders gefreut.“

„Mich auch“, entgegnete Valentina ehrlich. Das Wiedersehen mit ihrer früheren Lehrerin war das Einzige gewesen, was dieses Mittagessen ansatzweise erträglich gemacht hatte – neben Viktor.

„War es wirklich so schlimm, wie du es dir vorgestellt hast?“, fragte Viktor, als sie am Abend in ihr Zimmer zurückkehrten. „Du hast dir jedenfalls nicht viel anmerken lassen.“

Valentina bedachte ihn mit einem leicht ärgerlichen Blick. „Was blieb mir denn anderes übrig? Du hast mich ja praktisch ins eiskalte Wasser geworfen, da musste ich schwimmen.“ Sie seufzte. „Aber so schlimm war es nicht“, räumte sie schließlich ein. „Was vor allem an Mrs. Gregson lag. Sie ist wunderbar, oder? Damals, als alle auf mich losgegangen sind, war sie immer für mich da.“

Viktor nickte. „Sie macht einen sehr netten und freundlichen Eindruck. Und dass sie dir geholfen hat, war anständig von ihr. Die meisten Lehrer, mit denen ich es in meiner Jugend zu tun hatte, waren nicht so einfühlsam.“

„Ja, leider traf das auch auf die meisten meiner Lehrer zu“, entgegnete Valentina. „Aber lass uns jetzt nicht darüber sprechen. Mir ist nämlich noch etwas aufgefallen.“

„Und das wäre?“

„Wir müssen uns in einigen Sachen genauer absprechen. Wären die anderen nicht so schweigsam gewesen, hätten wir ernsthaft in Schwierigkeiten geraten können. Du weißt viel zu wenig über mich – und umgekehrt.“

Er lächelte. „Du willst mich also besser kennenlernen? Warum hast du das nicht gleich gesagt?“

Ihre Wangen fingen an zu brennen. „So habe ich das nicht gemeint, und das weißt du.“

Er zuckte mit den Achseln. „Schade. Aber einen Versuch war es wert. Wann und wo willst du denn üben?“

Valentina gähnte. „Nun, heute Abend würde sich anbieten, wenn du nichts anderes vorhast.“

„Dann bleibt nur noch die Frage, wer die Couch nimmt und wer das Bett.“

„Da die Sache mit der vorgetäuschten Verlobung meine Idee war, schlafe ich selbstverständlich auf der Couch“, stellte sie klar. „Etwas anderes kommt überhaupt nicht infrage.“

„Soll das heißen, du gibst mir nicht die Gelegenheit, mich als Gentleman zu erweisen?“

„Ich diskutiere das nicht mit dir“, erklärte sie und gähnte wieder. „Du nimmst das Bett, und damit basta.“

Er seufzte und hob die Schultern. „Also schön, ganz wie du meinst. Aber dann entscheide ich, wo unsere kleine Trainingsrunde stattfindet.“

Sie hob eine Braue. „Und was schwebt dir vor?“

„Das Bett.“ Er verschwand durch die Verbindungstür ins Schlafzimmer, und als sie ihm einigermaßen entsetzt folgte, saß er bereits auf der Matratze und klopfte auf die freie Hälfte neben sich. „Komm schon, es ist groß genug, und ich werde dich schon nicht beißen. Aber wenigstens sitzt man hier bequem, und ich habe es nicht so weit, wenn ich müde werde.“

Valentina gab nach – was nicht zuletzt daran lag, dass die Matratze sich wunderbar weich unter ihr anfühlte. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück. „Dann erzähl doch mal“, murmelte sie. „Was gibt es über dich zu wissen?“

4. KAPITEL

Als Valentina am nächsten Morgen erwachte, brauchte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Alles wirkte irgendwie falsch – bis ihr klar wurde, dass sie nicht zu Hause in ihrem eigenen Bett war, sondern im Hotel.

Dann wurde sie sich bewusst, dass sie offensichtlich nicht auf der Couch geschlafen hatte. Sie musste eingedöst sein, während Viktor ihr aus seinem Leben erzählt hatte. Vermutlich war das von Anfang an sein Plan gewesen. Sich auf dem Bett zu unterhalten, weil es dort so bequem war? Was für ein Unsinn!

Sie wusste, dass er es nur gut gemeint hatte. Ihre Nacht war trotzdem unruhig gewesen, ihre Träume merkwürdig. Immer wieder waren Katina und die anderen Frauen darin aufgetaucht, aber auch Mrs. Gregson – und ihr Stiefbruder.

Beim Gedanken an Alexis wurde ihr ganz anders – vor allem, wenn sie daran dachte, dass sie heute mit ihm verabredet war. Sie wollte am liebsten gar nicht hingehen, doch sie wusste, dass ihr keine Wahl blieb. Wenn sie das Unrecht wiedergutmachen wollte, das ihrer Mutter geschehen war, dann führte kein Weg an einem Treffen mit dem Sohn ihres Stiefvaters vorbei.

Natürlich triffst du dich mit ihm. Immerhin hast du es jahrelang unter einem Dach mit ihm ausgehalten. Da kommt es auf eine Stunde nicht an.

Sie atmete tief durch und erhob sich vom Bett. Licht fiel durch die Jalousien herein und warf helle Streifen an die Wände. Die frühen Morgenstunden waren längst vorüber.

Barfuß durchquerte sie das Zimmer, wobei ihre Füße tappende Geräusche auf dem polierten Holzboden machten. Sie öffnete die Tür zum Wohnraum und schaute sich um. Das Laken auf der Couch war zerwühlt und halb heruntergerutscht. Von Viktor keine Spur.

Plötzlich ging die Tür zum Badezimmer auf, und Viktor trat heraus – in all seiner männlichen Pracht.

Nun, nicht ganz, denn er hatte ein Handtuch locker um seine Hüften geschlungen und rubbelte sich mit einem weiteren das Haar trocken. Doch davon abgesehen war er nackt.

Valentina leckte sich über die Lippen und beobachtete, wie die Wassertropfen über seine gebräunte Haut perlten. Seine Brustmuskeln waren unglaublich definiert, und sie fragte sich, ob sie wohl so fest und unnachgiebig waren, wie sie aussahen.

Am liebsten hätte sie es gleich herausgefunden, doch sie hielt sich zurück.

Verdammt, was war bloß los mit ihr? Diese Gedanken waren völlig unangebracht!

Als er aufblickte, glitt ein Lächeln über sein Gesicht, und Valentina musste sich mit einer Hand an der Couch abstützen. Das war nicht fair! Kein Mann durfte zugleich so gut aussehen und so charmant sein. Das dunkle Haar fiel ihm in feuchten Strähnen ins Gesicht, seine Wangen waren vom Duschen leicht gerötet. Seine dunklen Augen schienen regelrecht zu leuchten, aber das lag vermutlich nur am hellen Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster fiel.

„Du bist wach“, stellte er fest.

Sie nickte. Plötzlich war sie sich nicht sicher, auch nur ein einziges Wort hervorbringen zu können, so zugeschnürt war ihre Kehle.

„Geht es dir ein bisschen besser?“

Valentina räusperte sich. „Es ging mir auch gestern nicht schlecht“, erwiderte sie. „Es war einfach ein bisschen viel für mich. Ich …“ Sie zuckte mit den Achseln. „Das ist alles nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt habe.“

Mit drei großen Schritten war er bei ihr, und als er ihr eine Hand auf die Schulter legte, breitete sich ein Kribbeln in ihrem Körper aus. „Willst du darüber reden?“

Hastig trat Valentina einen Schritt zurück. Wollte sie darüber reden? Worüber? Darüber, dass sie nicht aufhören konnte, ihn anzustarren? Dass sie mit ihren Fingern durch sein Haar fahren, seine glatte Haut berühren wollte?

Nein, zum Teufel, darüber wollte sie ganz sicher nicht mit ihm reden!

Natürlich wusste sie, dass er etwas anderes meinte. Er musste annehmen, dass ihre gedrückte Stimmung mit Katina und den anderen zu tun hatte. Zum Teil stimmte das. Doch es war vor allem der Gedanke an das Treffen mit Alexis, der sie beschäftigte.

Sie hatte ihren Stiefbruder seit Jahren nicht gesehen – und sie konnte nicht behaupten, dass sie darüber besonders unglücklich war. Nun aber blieb ihr gar keine andere Wahl. Immerhin ging es hier nicht um sie, sondern vor allem um ihre Mutter.

Alexis hatte nach dem Tod seines Vaters die Bar übernommen, obwohl sie rechtmäßig Ioanna Dimitriou zustand. Es war schlimm genug, dass Valentinas Mutter sich nicht gegen ihren gierigen Exmann zur Wehr gesetzt hatte. Aber dass auch dessen Sohn damit durchkommen sollte, kam für Valentina überhaupt nicht infrage.

Sie zwang sich, nicht weiter darüber nachzugrübeln. Das Thema machte sie nur wütend.

„Ist schon gut“, sagte sie.

Viktor musterte sie besorgt, nickte aber. „Schön. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn irgendetwas ist. Und nun – hast du Lust, heute etwas zu unternehmen?“

Sie lächelte gequält. „Das würde ich wirklich gerne, aber ich habe heute bedauerlicherweise schon etwas vor.“

Irrte sie sich, oder wirkte er ein wenig enttäuscht? Nein, das musste sie sich einbilden. Er hatte sie schließlich nur nach Santorin begleitet, weil für ihn ein kostenloser Urlaub dabei heraussprang. Und wenn Valentina ihn nicht brauchte, stand ihm der Tag zur freien Verfügung. Vermutlich freute er sich sogar über die Gelegenheit, die Insel auf eigene Faust erkunden zu können.

Auch wenn er nicht sonderlich erfreut wirkte …

Sie schob den Gedanken beiseite. „Und? Weißt du schon, was du heute unternehmen willst?“

Er nahm ein T-Shirt aus dem Koffer, der offen neben der Couch lag, und streifte es sich über den Kopf. Valentina bedauerte das, aber es half ihr, wieder ein wenig klarer zu denken.

„Keine Ahnung. Ich schätze, ich werde mich vielleicht an den Pool legen und mich von der Sonne grillen lassen. Bist du zum Abendessen wieder zurück?“

Sie nickte abwesend.

Valentina zitterten die Knie, als sie auf der Strandpromenade von Kamari eintraf – eine Stunde zu früh für ihre Verabredung mit Alexis. Ihr Herz hämmerte, und ihre Kehle war wie zugeschnürt, so sehr hasste sie die Vorstellung, ihren Stiefbruder gleich wiederzusehen.

Reiß dich zusammen, Valentina. Du weißt genau, wie wichtig es ist, dass du diese Angelegenheit regelst. Vor allem für Mama.

Sie trat in das schummrige Halbdunkel der Bar, die vor über sechzig Jahren von ihren Großeltern eröffnet worden war.

„Alexis?“

Als sie keine Antwort erhielt, schaute sie sich neugierig um. Vieles hatte sich verändert, seit sie vor fünf Jahren zum letzten Mal hier gewesen war. Es überraschte sie, dass sich alles noch in einem relativ guten Zustand befand. Das hatte sie ihrem Stiefvater überhaupt nicht zugetraut.

Es war jetzt etwa drei Jahre her, dass ihre Mutter in Tränen aufgelöst bei ihr vor der Tür gestanden hatte. Gregorios hatte sie davongejagt, sie hatte nichts dabeigehabt außer der Kleidung, die sie am Leib trug. Die Bar, die eigentlich ihr gehörte, hatte er jedoch weiterhin betrieben. Aus Furcht vor ihrem Exmann hatte Ioanna keine rechtlichen Schritte eingeleitet.

Doch nun war Gregorios tot, und Valentina hatte keineswegs vor, die Bar seinem Sohn Alexis zu überlassen. Ihre Mutter sollte zurückerhalten, was ihr rechtmäßig zustand – dafür würde sie sorgen!

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Kurz vor halb zwei. Irgendjemand war offensichtlich da, ansonsten hätte die Tür nicht sperrangelweit offen gestanden.

„Alexis, bist du da?“, rief Valentina und ging auf den hinteren Bereich der Bar zu. Sie wollte gerade wieder umdrehen, als sie im Lagerraum jemanden laut fluchen hörte.

„Alexis?“

Die Tür flog auf. „Großer Gott, Valentina, du hast dich wirklich kein Stück verändert. Kaum bist du wieder da, nervst du auch schon.“

Sie verzog das Gesicht. Das war typisch Alexis. Er hatte sie von Anfang an nicht ausstehen können, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Irgendwie hatte sie bei ihm und seinem Vater gleich gewusst, dass man ihnen nicht über den Weg trauen konnte. Und am Ende hatte sie leider recht behalten …

„Tut mir leid, wenn du das so siehst. Aber du weißt ja, weswegen ich hier bin. Dein Vater hat …“

„Apropos – möchtest du mir nicht erst einmal zu meinem Verlust kondolieren?“

Valentina runzelte die Stirn. Obwohl – oder gerade weil – sie sich charakterlich sehr ähnlich gewesen waren, hatten Vater und Sohn sich nie sonderlich gut verstanden.

Trotzdem sagte sie: „Mein Beileid.“ Dann fuhr sie gleich fort: „Und wie stellst du dir vor, dass es hier weitergeht?“

„Ich behalte die Bar, und du kehrst zu deiner Mutter nach Athen zurück – Ende der Geschichte.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß sowieso nicht, warum du unbedingt herkommen wolltest. Es gibt nichts zu klären.“

Ungläubig starrte Valentina ihn an. „Es gibt nichts zu klären? Dein Vater hat meine Mutter vor die Tür gesetzt und die Bar vereinnahmt, als wäre sie sein Eigentum. Dabei weißt du ebenso gut wie ich, dass sie rechtmäßig meiner Mutter gehört.“

Alexis grinste verschlagen. „Da täuschst du dich.“

Nun wurde Valentina richtig ärgerlich. „Was soll das bedeuten? Nur weil Gregorios die Dreistigkeit besessen hat, sich anzueignen, was ihm nicht gehört, bedeutet das nicht, dass es auch rechtens ist. Ich werde mir einen Anwalt nehmen und vor Gericht ziehen.“

Alexis warf den Kopf zurück und lachte schallend. „Gericht? Mach dich doch nicht lächerlich!“

Wütend funkelte Valentina ihren Stiefbruder an. Wie konnte er es wagen sie auszulachen? Nach allem, was sein Vater ihrer Mutter angetan hatte. Was er ihnen antat!

„Daran ist überhaupt nichts lächerlich!“ Sie stemmte die Fäuste in die Seiten. „Ich bin sicher, dass jeder Richter des Landes zugunsten meiner Mutter entscheiden wird. Du solltest dich schon mal nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen.“

„Meinst du? Warte mal kurz.“ Er verschwand im Hinterzimmer und kehrte kurz darauf mit einem Aktenordner zurück, legte ihn auf dem Tresen ab und blätterte darin, bis er die gesuchte Seite fand. Dann drehte er den Ordner so, dass Valentina lesen konnte, was auf dem Papier stand.

„Bitte was?“ Fassungslos starrte sie das Dokument an. „Schenkungsurkunde“ stand dort – unterzeichnet von ihrer Mutter.

Es fühlte sich an, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Ihre Mutter hatte Gregorios die Bar überschrieben? Einfach so? Aber warum hatte sie Valentina nie etwas davon gesagt? Dieses Papier veränderte alles.

Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Das kann nicht sein.“

„Du siehst es doch“, erwiderte ihr Stiefbruder grinsend. „Bist du immer noch der Meinung, dass die liebe Ioanna vor Gericht Recht bekommen würde?“ Alexis trat einen Schritt auf sie zu. Sie wich instinktiv zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Er baute sich vor ihr auf und blickte aus kalten Augen auf sie herab. „Ich an deiner Stelle würde mir zweimal überlegen, ob ich es wirklich versuchen will.“

Sie schluckte hart. Früher hatte Alexis sie mit seiner düsteren Aura und seinem beißenden Sarkasmus eingeschüchtert. Doch Valentina war wild entschlossen, es ihm diesmal nicht so leicht zu machen. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sondern eine erwachsene Frau, die es im Leben zu etwas gebracht hatte.

Alexis hatte ihr verdammt noch mal den angemessenen Respekt zu erweisen.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Soll das eine Drohung sein? Pass bloß auf, sonst könnte ich mich gezwungen sehen, dich anzuzeigen. Du kannst mir keine Angst mehr machen, Alexis. Die Zeiten sind längst vorbei. Ich sag dir was: Ich werde so lange kämpfen, bis meine Mutter das wiederbekommt, was ihr rechtlich gehört. Das garantiere ich dir!“

Alexis reagierte erst überrascht, wurde dann aber nur wütender. „Raus aus meiner Bar! Du beeilst dich besser, ehe ich meine guten Manieren vergesse.“

„Die hast du nie besessen“, entgegnete Valentina und reckte das Kinn. „Du bist genauso selbstsüchtig, hinterhältig und kaltherzig, wie dein Vater es gewesen ist. Aber wie heißt es so schön? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

Die Bar lag direkt an der Strandpromenade und sah von außen recht vielversprechend aus. Jetzt, im hellen Sonnenlicht, war die Neonreklame natürlich ausgeschaltet, und die Barhocker und Tische, die sonst draußen standen, stapelten sich unter dem Vordach.

Viktor trat näher und bemerkte, dass die Tür zum Gastraum einen Spalt weit offen stand.

Keine Sekunde hatte er vorgehabt, sich an den Pool zu legen, wie er es Valentina gegenüber behauptet hatte. Er gehörte nicht zu den Menschen, die sich freiwillig in der prallen Mittagssonne rösteten, nur um einen schönen Teint zu bekommen. Als waschechter Grieche war er ohnehin mit olivfarbener Haut gesegnet, die selbst dann noch gesund aussah, wenn er sich tagelang in geschlossenen Räumen aufhielt.

Er war schließlich auch nach Santorin gereist, um sich die Bar anzusehen, die man ihm und seinem Bruder angeboten hatte.

Ihr Zustand schien tatsächlich gut zu sein. Er wollte sich in Ruhe drinnen umschauen – und zwar möglichst nicht im Beisein des jetzigen Besitzers.

Der würde nur versuchen, die schmuddeligen kleinen Details vor ihm zu verbergen. Das konnte Viktor ihm noch nicht einmal verdenken, immerhin wollte jeder so viel Gewinn machen wie irgend möglich. Aber Viktor war zu lange im Geschäft, um sich wie ein blutiger Anfänger über den Tisch ziehen zu lassen.

Er trat auf die Terrasse und lauschte angestrengt, doch es blieb still – abgesehen von der Musik, die aus der Bar erklang. Als Nächstes hörte er Stimmen, jedoch so weit entfernt, dass er nicht verstehen konnte, was gesprochen wurde.

Perfekt. Wenn die Leute sich im hinteren Bereich der Bar aufhielten, konnte er sich umsehen, ohne ertappt zu werden.

Drinnen war es ziemlich dunkel, da die Rollos noch heruntergelassen waren. Trotzdem konnte er die Einrichtung gut erkennen, nachdem sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.

Er blickte sich um. Den Mittelpunkt bildete eine große Bar aus dunklem Holz, die schon älter, aber gepflegt wirkte. Die meisten Wirte bevorzugten heute moderne Designs mit viel Glas und Edelstahl, doch Viktor mochte es klassisch. Diese Bar entsprach genau seinem Stil.

Die Lampen über der Bar waren heruntergedimmt und warfen kleine Inseln aus Licht auf den Boden. In einem indirekt beleuchteten Regal an der Wand standen Flaschen und Gläser in verschieden großen Fächern. Die Auswahl war recht gut; es gab sogar teuren Cognac für den feinen Gaumen eines Geschäftsmanns, der auf einen Abschluss anstoßen wollte.

Autor

Merline Lovelace
Als Tochter eines Luftwaffenoffiziers wuchs Merline auf verschiedenen Militärbasen in aller Welt auf. Unter anderem lebte sie in Neufundland, in Frankreich und in der Hälfte der fünfzig US-Bundesstaaten. So wurde schon als Kind die Lust zu reisen in ihr geweckt und hält bis heute noch an.
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