Romana Gold Band 65

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  • Erscheinungstag 08.10.2021
  • Bandnummer 65
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503310
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julia James, Margaret Barker, Kay Thorpe

ROMANA GOLD BAND 65

PROLOG

„Ich soll was tun?“, fragte Nikos Vassilis und sah den alten Herrn am Schreibtisch stirnrunzelnd an.

Yiorgos Coustakis ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Auch mit achtundsiebzig Jahren war er immer noch ein beeindruckender Mann und sein Blick noch genauso durchdringend wie in seinen Jugendtagen. Er war kalt, berechnend und rücksichtslos und glaubte, dass alles seinen Preis hätte … ganz besonders die Menschen. „Sie haben mich genau verstanden. Wenn Sie meine Enkelin heiraten, werde ich einer Fusion nicht im Wege stehen.“

„Das soll ich Ihnen glauben?“, antwortete Nikos ruhig.

Der alte Grieche zuckte die Schultern. „Das sollten Sie besser, denn so lautet die Bedingung für das Geschäft. Und Sie wollen doch eins abschließen, stimmt’s? Oder sind Sie viertausend Meilen nur zum Spaß hierher geflogen?“

Sein Besucher betrachtete ihn ausdruckslos. In Yiorgos Coustakis’ Gegenwart Gefühle zu zeigen war ein schwerer Fehler – egal, worum es auch ging. Nikos würde ihm nie verraten, wie aufgebracht er gewesen war, als der Aufsichtsratsvorsitzende des Coustakis-Firmenimperiums ihn mitten in der Nacht angerufen und ihm praktisch die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Wenn er das Geschäft zum Abschluss bringen wollte, hatte er sich einen Tag später um neun Uhr morgens in Athen einzufinden!

Was für eine Unverschämtheit! Wenn es nicht Yiorgos Coustakis gewesen wäre, hätte er, Nikos, einen Wutanfall bekommen, denn zum Zeitpunkt des Anrufs hatte er gerade mit Esme Vandersee im Bett gelegen, und sie hatten ganz bestimmt nicht geschlafen! Aber der alte Grieche hatte nun einmal Vorzüge, mit denen sogar Esme, die Königin des Laufstegs, nicht mithalten konnte.

Aber die Bedingung war hart. Sollte er wirklich seine Freiheit aufgeben und eine Frau heiraten, die er noch nicht einmal kannte? War es das wert?

Nachdenklich sah er aus dem Fenster, aber er hatte keinen Blick für die atemberaubende Aussicht auf die Stadt Athen. Er kannte diesen lauten, verschmutzten Moloch nur zu gut, denn er war dort aufgewachsen und durch eine harte Schule gegangen.

Er hatte seinen Vater nie kennengelernt und mit seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen gelebt. Doch er hatte nie aufgegeben und seinen Weg gemacht. Jetzt, mit vierunddreißig Jahren, hatte er es geschafft. Der Kampf war erbarmungslos und lang gewesen, aber der Triumph dafür umso süßer.

Nun konnte er dem Ganzen noch die Krone aufsetzen … und zwar, indem er bei Coustakis Industries Fuß fasste.

„Ich hatte an einen Aktientausch gedacht“, sagte er schließlich gelassen.

Er hatte es schon von langer Hand geplant. Eigentlich war es ganz einfach: Er würde seine Firma Vassilis Inc. in das wesentlich größere Coustakis-Imperium eingliedern und im Gegenzug dafür Aktien erhalten. Dafür müsste er dem alten Mann finanziell natürlich sehr entgegenkommen, aber auch damit hatte Nikos gerechnet. Er wusste nämlich, dass Yiorgos Coustakis gern verkaufen würde, da es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten stand – was er allerdings offiziell nie zugeben würde. Ein für ihn vorteilhaftes Millionendollargeschäft kam da natürlich gerade recht, damit er sein Gesicht wahren konnte.

Doch die Enkelin hatte er, Nikos, nun gar nicht auf der Rechnung gehabt. Ganz im Gegenteil: Er hatte noch nicht einmal eine Ahnung gehabt, dass der alte Mann überhaupt eine hatte!

Eins zu null für dich, dachte Nikos bewundernd. Sein Gegner mochte zwar angeschlagen sein, aber er konnte seinem Rivalen immer noch das Wasser reichen!

„Ich bin mit dem Aktientausch einverstanden“, sagte Yiorgos Coustakis kühl, „und ich werde an Ihrem Hochzeitstag alles in die Wege leiten.“

Nikos’ Gedanken rasten. Was sollte er tun?

„Also?“, fragte der alte Grieche ungeduldig.

„Ich werde es mir überlegen“, erwiderte Nikos, stand auf und ging zur Tür.

„Wenn Sie jetzt mein Büro verlassen, ist das Geschäft gestorben.“

Nikos hielt inne und wandte sich um. Eins wusste er genau: Yiorgos Coustakis bluffte niemals. Einen Moment lang blickten sich die beiden Männer in die Augen, und dann ging Nikos langsam zum Schreibtisch, nahm den goldenen Füller, den Yiorgos Coustakis ihm reichte, und unterzeichnete den Vorvertrag.

Schweigend drehte er sich dann um und verließ das Büro.

1. KAPITEL

Andrea hörte, wie ihre Mutter gequält hustete, als sie in der Küche das Frühstück zubereitete, und sie zuckte zusammen. Die Bronchitis wurde anscheinend immer schlimmer, was auch kein Wunder war, denn ihre Mutter war Asthmatikerin, und ihre Lungen waren sowieso schon sehr geschwächt.

Der Arzt hatte auch nicht viel tun können. Er hatte Kim Medikamente verschrieben und ihr geraten, den Winter irgendwo im warmen Süden zu verbringen. Andrea hatte nur den Kopf geschüttelt. Sie hatten schon jetzt kaum genügend Geld, um die Miete und die Heizkosten bezahlen zu können – wie sollten sie da noch eine Reise ins Ausland unternehmen!

In diesem Moment hörte sie, wie die Post durch den Briefschlitz an ihrer Haustür geschoben wurde. Schnell sammelte sie die Umschläge auf, die auf dem verschlissenen Teppich lagen, denn sie wollte nicht, dass ihre Mutter sich noch mehr aufregte. Meistens waren es nämlich Rechnungen, die ihnen ins Haus flatterten, und auch diesmal hatte Andrea sich nicht getäuscht … doch halt, was war das? Ein cremefarbener Umschlag, auf dem ihr Name stand! Konnte das eine Mahnung oder sogar ein Zwangsräumungsbeschluss sein?

Verzagt öffnete sie ihn und betrachtete verblüfft das teure Wasserzeichenpapier mit dem Firmenbriefkopf. Stirnrunzelnd las Andrea das Schreiben und zerknüllte es dann zu einem Ball, den sie an die Wand warf. „Verdammt soll er sein!“, flüsterte sie und ballte die Hände zu Fäusten.

Doch dann dachte sie an ihre Mutter. Schnell hob sie das Papier wieder auf, glättete es und las die Zeilen noch einmal durch.

Sehr geehrte Miss Fraser,

Mr. Coustakis wünscht, Sie Ende nächster Woche in Athen zu sehen. Ein auf Ihren Namen ausgestelltes Ticket liegt Freitagmorgen am Flughafen Heathrow für Sie bereit. Als Anlage finden Sie einen Reiseplan, in dem auch Ihre Check-in-Zeit vermerkt ist. Man wird Sie in Athen auf dem Flughafen abholen. Rufen Sie bitte die oben angeführte Telefonnummer an, und bestätigen Sie den Erhalt dieses Schreibens.

Die Unterschrift lautete: „Im Auftrag von Mr. Coustakis“.

Andrea hätte am liebsten laut geschrien. Mr. Coustakis – alias Yiorgos Coustakis, Gründer und Besitzer von Coustakis Industries und Inhaber eines geschätzten Vermögens von vielen Millionen Pfund … und ein Mann, den sie bis an ihr Lebensende hassen würde.

Ihr Großvater, der nichts von ihr wissen wollte.

Vor zehn Jahren hatte er ihrer Mutter Kim Fraser einen Brief geschrieben und ihr jeden weiteren Kontakt untersagt. Er hatte sogar gedroht, sie zu verklagen. Nein, Yiorgos Coustakis hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass seine Enkelin für ihn nicht existierte.

Warum, zum Teufel, wollte er sie jetzt plötzlich treffen?

Andrea presste die Lippen zusammen. Er glaubte doch wohl nicht, dass sie ihm einfach so gehorchen würde? Nur über ihre Leiche! Energisch steckte sie den Brief in ihre Handtasche, konnte ihn aber trotzdem nie ganz aus ihren Gedanken verbannen.

Zwei Tage später kam ein weiteres Schreiben von Coustakis Industries, und diesmal war der Tonfall schon schärfer:

Sehr geehrte Miss Fraser,

Sie haben sich auf unser Schreiben, das Ihnen am 24. d. M. zugesandt wurde, nicht gemeldet. Bitte nehmen Sie unverzüglich Kontakt mit uns auf.

Auch diesen Brief nahm Andrea mit zur Arbeit, damit ihre Mutter ihn nicht zu Gesicht bekam. Kim hatte vom Vater des Mannes, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte, schon sehr viel erdulden müssen, und sie sollte nicht noch mehr leiden. Das hatte sie nicht verdient!

Diese Belästigungen mussten ein Ende haben! Andrea schrieb eine kurze, unfreundliche Antwort.

Ich beziehe mich auf Ihre beiden Schreiben und weise Sie darauf hin, dass ich nicht gewillt bin, nach Athen zu reisen. Alle weiteren Briefe werden von mir ungeöffnet vernichtet.

Sie druckte die kurze Notiz aus und unterschrieb sie dann, ohne zu zögern.

„Wann lerne ich meine Braut denn nun endlich kennen?“, fragte Nikos Vassilis und schwenkte den teuren Rotwein im Kristallglas hin und her. Er hatte mit seinem zukünftigen Geschäftspartner in dessen großem, prunkvollem Haus in einem Vorort von Athen zu Abend gegessen und wartete jetzt gespannt auf die Antwort des alten Mannes.

„Nächste Woche“, erwiderte sein Gastgeber kurz angebunden.

Er sah nicht gut aus, das hatte Nikos schon bei seiner Ankunft bemerkt. Sein Gesicht war aschfahl, und es schien, als hätte er Schmerzen. „Wann soll die Hochzeit stattfinden?“, fragte er kühl.

Der alte Grieche lachte hämisch. „Sie können es wohl gar nicht erwarten, was? Und das, obwohl Sie nicht einmal wissen, wie sie aussieht!“

Nikos zuckte die Schultern. „Das ist mir egal.“

Yiorgos Coustakis lachte wieder, gemeiner diesmal. „Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Machen Sie das Licht aus, bevor Sie sie ins Bett holen. Bei ihrer Großmutter musste ich das auch machen.“

Nikos runzelte die Stirn. Dieser Mann war wirklich abscheulich. Jeder in Athen wusste, wie er zu seiner Frau gekommen war. Er hatte das reiche, aus der High Society stammende Mädchen so für sich eingenommen, dass sie ihn am helllichten Tag in seiner Wohnung besucht hatte. Natürlich hatte er vorher dafür gesorgt, dass Marinas Vater davon erfuhr. Dieser konnte zwar gerade noch rechtzeitig verhindern, dass Yiorgos mit der unscheinbaren, langweiligen Marina schlief – was für eine Qual! –, aber ihr guter Ruf war für immer dahin … und Yiorgos Coustakis hatte eine wohlhabende Frau für sich gewonnen.

Bin ich eigentlich verrückt geworden?, dachte Nikos. Warum heiratete er eine ihm völlig unbekannte Frau, nur weil sie eine Coustakis war? Und was war mit dem Mädchen? Wie stand sie zu der ganzen Sache? Wahrscheinlich aber war es ihr egal. In der Welt der Reichen waren Vernunftehen ganz normal. Seine Zukünftige war sicher von klein auf darauf vorbereitet worden, ein Pfand für ihren Großvater zu sein. Wahrscheinlich war sie ein verwöhntes Püppchen, das nur ein Talent hatte: das Geld ihres Ehemannes für Kleidung, Juwelen und andere unwichtige Dinge aus dem Fenster zu werfen.

Nikos blickte sich schweigend in dem überfrachtet wirkenden Esszimmer um. Sollte sie doch! Sobald er Coustakis Industries übernommen hatte, würde sein Einkommen um das Zehnfache höher sein als jetzt, und seine Zukünftige konnte es ruhig ausgeben.

Wenn er verheiratet war, musste er allerdings in Liebesdingen etwas kürzertreten. Er kannte viele Männer, die sich mit ihrer Geliebten in der Öffentlichkeit zeigten, doch er hielt davon nichts. Deswegen musste er aber noch lange nicht auf entspannenden und leidenschaftlichen Sex mit attraktiven Frauen verzichten. Sobald es irgendwie ging, würde er sich von dem alten Mann verabschieden, nach Hause fahren und Xanthe Palloupis anrufen. Es war zwar schon drei Monate her, denn in der Zwischenzeit war er mit Esme Vandersee zusammen gewesen, doch Xanthe würde nur zu gern in seine Arme zurückkehren. Sie wusste ja auch ganz genau, dass er ihr am nächsten Morgen erlauben würde, sich bei einem Juwelier ein kleines, aber teures Andenken an seinen Besuch zu kaufen.

Würde er sich weiter mit ihr treffen, wenn er Yiorgos Coustakis’ Enkelin geheiratet hatte? Xanthe hatte natürlich neben ihm auch andere Liebhaber, doch das störte ihn nicht im Geringsten. Auch Esme tröstete sich wahrscheinlich in diesem Moment mit einem ihrer vielen Verehrer, denn als Topmodel lagen ihr die Männer zu Füßen. Nikos wusste aber auch, dass sie sofort zu ihm kommen würde, wenn er mit den Fingern schnippte.

Nur widerwillig dachte er an seine Braut. Auf jeden Fall musste er noch guten Sex haben, bevor er mit ihr ins Bett ging! Sie war sicher noch unschuldig, und mit ihr zu schlafen war nur eine lästige Pflicht. Trotzdem würde er so sanft mit ihr sein wie nur irgend möglich.

Wie sah sie wohl aus? Wahrscheinlich war sie furchtbar hässlich, denn Yiorgos Coustakis’ hämische Miene war ihm nicht entgangen. Was hatte der alte Mann noch gesagt? Machen Sie das Licht aus, bevor Sie sie ins Bett holen. Das fand er wohl auch noch lustig! Immerhin war er, Nikos, bekannt für seinen guten Geschmack in Bezug auf Frauen. Nur die attraktivsten durften sich an seiner Seite zeigen. Bald war er gefesselt an ein verwöhntes Mädchen, das ihm nur eins zu bieten hatte: die Kontrolle über Coustakis Industries. Wahrscheinlich lachte sich Yiorgos Coustakis jetzt schon halb tot, wenn er nur an die Ehe dachte.

Woher kam diese unbekannte Enkelin überhaupt? Soweit Nikos bekannt war, gab es keine Erben für das Firmenimperium. Yiorgos Coustakis’ einziger Sohn war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und Marina, die Frau des alten Mannes, hatte irgendwann einmal einen Schlaganfall gehabt, war danach zum Pflegefall geworden und erst vor Kurzem gestorben. Damit war Yiorgos Coustakis der Weg zu einer neuen Ehe versperrt gewesen, und es gab also keine neuen Erben. Was aber war mit seinem verstorbenen Sohn? War er vielleicht doch verheiratet gewesen und hatte eine Tochter gezeugt? Wahrscheinlich hatte seine Witwe wieder geheiratet und war in der Versenkung verschwunden, und der alte Mann hatte seine Enkelin irgendwo versteckt, bis er sie gewinnbringend einsetzen konnte.

Nikos konnte nur hoffen, dass die Kleine wirklich eine mustergültige griechische Braut war, denn das würde alles sehr erleichtern. Ihr war sicher bewusst, wie die Rollen verteilt waren: Sie war die pflichtbewusste Ehefrau, eine hervorragende Gastgeberin und liebevolle Mutter, und er war nach außen hin ihr Mann, würde sich aber weiterhin seine Geliebten halten. Das war doch auch ganz normal, oder?

Nikos trank einen Schluck Wein und hörte nur halb hin, als Yiorgos Coustakis ihm von einer Fusion erzählte, die er vor einigen Jahren in die Wege geleitet und die seinen Konkurrenten in den Bankrott getrieben hatte. Diese Geschichte interessierte ihn überhaupt nicht, denn er fragte sich gerade, wie es wohl war, Vater zu sein.

Yiorgos Coustakis hatte nicht mehr lange zu leben, und er wollte einen Erben, koste es, was es wolle. Ja, dachte Nikos, genau darum geht es. Und was war mit ihm? Wie stand er zu einem Kind? Er hatte keine Ahnung. Sein Vater hatte sich aus dem Staub gemacht, als seine Mutter mit ihm, Nikos, schwanger gewesen war, und er hatte ihn nie wiedergesehen. Seine Kindheit war freudlos gewesen, denn seine Mutter hatte in einer Bar gearbeitet und sich so gut wie nie um ihren Sohn gekümmert. Als er dann irgendwann zu Hause ausgezogen war, hatte sie es auch nicht sonderlich interessiert. Nachdem er zu Geld gekommen war, hatte er sie unterstützt, aber sie hatte ihm nie dafür gedankt. Vor zwölf Jahren war sie dann von einem Taxi überfahren worden und hatte nicht mehr miterlebt, wie ihr Sohn zu einem der führenden Geschäftsmänner Griechenlands aufgestiegen war.

Er trank noch etwas Wein. Es war ein sehr guter Jahrgang, das war ihm schon nach dem ersten Schluck klar geworden. Auch das hatte er mit den Jahren gelernt … er schätzte Wein und alle anderen schönen Dinge, und sobald er Coustakis Industries leitete, konnte er sich alles leisten, was sein Herz begehrte. Endlich war er am Ziel seiner Träume angekommen: Er war nicht nur wohlhabend, sondern gehörte zu den Superreichen dieser Welt. Wenn er dafür Yiorgos Coustakis’ Enkelin schwängern musste, war das nur ein kleiner Preis für das, was auf ihn wartete.

Und deshalb war es ihm egal, wie sie aussah.

Andrea hob die Post auf und betrachtete stirnrunzelnd den dicken Umschlag. Er war nicht von Coustakis Industries, sondern von einem der bekanntesten Kaufhäuser Londons. Mit zitternden Fingern öffnete sie ihn und zog eine goldene Kundenkarte heraus. Das beiliegende Schreiben informierte sie darüber, dass ihr ein Kredit von fünftausend Pfund eingeräumt worden war und dass ihre Rechnungen von Mr. Yiorgos Coustakis’ Büro bezahlt würden. Schnell öffnete sie den zweiten Umschlag – diesmal kam der Brief von Coustakis Industries – und las die Anweisungen. Sie sollte die Kundenkarte dafür benutzen, um sich für den Besuch in der darauf folgenden Woche bei Mr. Yiorgos Coustakis einzukleiden. Außerdem wurde sie noch einmal eindringlich gebeten, sich im Londoner Büro von Coustakis Industries zu melden und den Erhalt des Schreibens zu bestätigen.

Es ist nicht zu fassen!, dachte Andrea aufgebracht. Was hatte dieser Unmensch denn nun wieder vor? Warum konnte er sie nicht in Ruhe lassen? Die ganze Angelegenheit gefiel ihr überhaupt nicht.

Sie könnte die goldene Kundenkarte natürlich zerschneiden und sie ihrem Großvater mit einigen geharnischten Worten zurückschicken. Vielleicht verstand er dann, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte.

Wahrscheinlich aber nicht, denn Yiorgos Coustakis hatte schon immer seinen Kopf durchgesetzt. So, wie es aussah, schien er etwas von ihr zu wollen, denn er hatte sich bis jetzt noch nie um sie gekümmert. Es war also mehr als verdächtig, dass er sich plötzlich bei ihr meldete und ihr sogar einen Kredit zur Verfügung stellte. Dieser Mann hatte Geld und scheute sich nicht, es für seine Zwecke einzusetzen.

Nun, bei ihr und ihrer Mutter war nichts zu holen. Sie hatten Schulden, die nicht so einfach aus der Welt zu schaffen waren und sie sehr belasteten. Deshalb arbeiteten sie unentwegt und zahlten jeden Monat kleinere Beträge ab, doch es würde sicher noch Jahre dauern, bis alles getilgt war. Und das auch nur, wenn sie beide einen Job hatten, doch Kim ging es immer schlechter …

Nicht zum ersten Mal spürte Andrea, wie die Angst übermächtig wurde. Sie hätte ihrer Mutter so gern geholfen, denn diese hatte Schweres mitmachen müssen. Nur einmal im Leben, mit zwanzig, war sie richtig glücklich gewesen. Doch leider hatte das Schicksal nach nur wenigen Wochen alles zunichtegemacht. Trotzdem war Kim vierundzwanzig Jahre lang eine liebevolle Mutter gewesen, die alles für ihre Tochter getan hatte.

Ich wünschte nur, wir könnten hier ausziehen, dachte Andrea zum millionsten Mal. Das Hochhaus, in dem sie wohnten, gehörte der Stadt und war mehr als reparaturbedürftig. Andrea konnte verstehen, dass die Behörde nicht die knappen Steuergelder dafür verwenden wollte, Wände zu streichen, die, noch bevor die Farbe getrocknet war, wieder mit Graffiti beschmutzt waren. Die Apartments waren feucht, und Schimmel hatte sich im Badezimmer und in der Küche festgesetzt. All das war Gift für Kims Asthma.

Einen Moment lang dachte Andrea an den unbeschreiblichen Reichtum ihres Großvaters, doch gleich darauf schüttelte sie den Kopf. Sie wollte keinen Penny von ihm. Er konnte ihr gestohlen bleiben.

2. KAPITEL

Nikos blickte ungeduldig auf seine goldene Armbanduhr. Warum hatte der Alte ihn herbestellt? Er wartete jetzt schon seit zehn Minuten auf der Terrasse – und das war eine lange Zeit für einen viel beschäftigten Mann! Was bildete sich Yiorgos Coustakis eigentlich ein?

Ein Bediensteter kam aus dem Haus und fragte ihn höflich, ob er noch etwas zu trinken wünschte. Nikos schüttelte ungehalten den Kopf und fragte zum wiederholten Mal, wann Mr. Coustakis ihn empfangen würde. Der Mann in der Livree versprach, sich zu erkundigen, und ging leise davon.

Aufgebracht wandte Nikos sich ab und betrachtete die große Gartenanlage, die sich unter ihm erstreckte. Auch hier war alles darauf ausgelegt, den Besucher zu beeindrucken. Es war kein Ort, wo man gern spazieren ging, um sich zu entspannen. Nikos stellte sich vor, wie sich ein kleiner Junge wohl fühlen musste, wenn er hier spielen wollte. Es gab nichts als kostbare Pflanzen und penibel geharkte Wege und Beete. Nikos’ Miene wurde finster. So sollte sein Sohn nicht aufwachsen!

Was ihn wieder zum Thema brachte. Er sollte Yiorgos Coustakis’ Enkelin heiraten, ein nichtssagendes, verwöhntes Mädchen, das er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Sollte er es wirklich tun? War die Kontrolle über Coustakis Industries solch ein Opfer wert?

Natürlich!, dachte er energisch und schob die Bedenken beiseite. Der alte Mann würde sowieso in einigen Jahren tot sein, und dann konnte er, Nikos, sich ja wieder scheiden lassen – in gegenseitigem Einvernehmen natürlich.

Und was wird dein Sohn davon halten?, fragte eine innere Stimme.

Er zuckte die Schultern. Woher sollte er das wissen?

Plötzlich hörte er Schritte, wandte sich um und glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können.

Eine ihm unbekannte Frau hatte die Terrasse betreten. Theos, was für ein Anblick! Sie hatte langes, gewelltes rotes Haar, helle Haut, eine kleine Nase und einen vollen Mund. Ihre Augen waren braun wie Kastanien und ihre Wimpern unbeschreiblich lang.

Sein Körper reagierte sofort, als er diese auferstandene Aphrodite näher betrachtete. Ihre Brüste waren voll und fest und zeichneten sich unter ihrer engen Bluse deutlich ab. Sie hatte eine Wespentaille, sanft gerundete Hüften und lange Beine.

Aber sie trug Hosen! Nikos runzelte die Stirn. Bei dieser Figur hätte sie einen Rock tragen müssen, der sanft ihre Formen umschmeichelte.

Wer, zur Hölle, war diese Frau?

Gute Frage, dachte er und riss sich von diesem verführerischen Anblick los. Was tat dieses atemberaubend weibliche Wesen in Yiorgos Coustakis’ Haus?

Na, was wohl? Die Antwort lag doch auf der Hand. Sie war von ihm persönlich eingeladen worden – ganz persönlich. Jeder in Athen wusste, dass der alte Mann sich schon seit Ewigkeiten einen Harem hielt, und das schon lange bevor seine Frau zum Pflegefall geworden war. So, wie es aussah, hatte er sein „Hobby“ sogar mit achtundsiebzig Jahren noch nicht aufgegeben.

Angewidert schüttelte Nikos den Kopf. Es war ja verständlich, dass Yiorgos Coustakis gern Sex hatte, aber sich dafür so junge Mädchen zu halten war wirklich abstoßend.

Andrea zwinkerte kurz, als sie die Terrasse betrat, denn die Sonne blendete sie. Obwohl sie erst vor fünf Minuten angekommen war, hatte sie es nicht erwarten können, der kalten, düsteren Atmosphäre des Hauses zu entrinnen. Es dauerte einen Moment, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, doch dann stellte sie fest, dass sie nicht allein war. Ein großer, einschüchternd wirkender dunkelhaariger Mann in einem maßgeschneiderten Anzug und einer perfekt gebundenen Krawatte stand am Geländer und betrachtete sie mit durchdringendem Blick.

Er war Südländer, das sah man sofort. Sein Gesicht war sonnengebräunt und seine Züge markant. Doch das wirklich Beeindruckende an ihm waren seine stahlblauen Augen. Was für eine Farbe – und was für ein umwerfender Mann! Träumte sie vielleicht nur? Sie schüttelte den Kopf und machte kurz die Augen zu. Als sie sie wieder öffnete, war er immer noch da.

Doch es hatte sich etwas geändert. Er musterte sie plötzlich mit Abscheu. Warum der Sinneswandel?, fragte sie sich erstaunt, denn es war ihr nicht entgangen, wie verlangend er sie eben noch angeblickt hatte. Er war sehr an ihr interessiert gewesen, aber das überraschte sie nicht. Sie war an solche Reaktionen gewöhnt. Früher hatte sie das sehr gestört, doch mit der Zeit hatte sie Gegenmaßnahmen ergriffen, um die Männer wenigstens etwas abzuschrecken: Sie hatte begonnen, ihr Haar streng zusammenzubinden, benutzte wenig Make-up und trug normalerweise nur weite Kleidung, die ihren wohlgeformten Körper verbarg. Und das war auch wichtig, denn wenn die Männer sie erst einmal nackt sahen, erkaltete ihre Leidenschaft sowieso sofort.

Schnell wandte sie sich ab und blickte hinaus in den Garten. Sie wollte nicht mehr an das denken, was ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte – bis sie es dann endlich als Schicksal akzeptiert hatte. Ihre Mutter hatte ihr sehr dabei geholfen und dafür gesorgt, dass sie nie verzweifelte.

Für ihren Großvater hingegen empfand sie nur Hass und Abscheu. Trotzdem war sie nach Athen gekommen, aber nur, weil sie damit vielleicht ihrer Mutter helfen konnte. Um Kims willen stand sie jetzt hier auf dieser Terrasse und ertrug den verächtlichen Blick eines Mannes, den sie nicht einmal kannte.

Es war eine sehr schwere Entscheidung gewesen. Andrea hatte lange mit sich gerungen und schließlich ihre Freunde Tony und Linda um Rat gebeten.

„Warum tut er das nur?“, hatte sie die beiden immer wieder gefragt. „Er will doch etwas von mir … und das gefällt mir nicht.“

„Vielleicht möchte er dich ja nur kennenlernen?“, hatte Linda erwidert. „Wahrscheinlich ist er alt und krank und möchte sich vor seinem Tod mit dir versöhnen.“

„Wieso schickt er mir dann nicht selbst einen Brief? Oder Mum? Wenn er seinen Frieden machen will, hätte er bestimmt höflicher geschrieben und mich nicht zu einer Audienz zu sich befohlen.“

„Du solltest zu ihm fahren“, sagte Lindas Ehemann Tony ruhig. „Er will etwas von dir, und das gibt dir einen unschätzbaren Vorteil.“

Andrea runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht …“

„Das ist doch ganz einfach. Eine Hand wäscht die andere. Du gibst ihm etwas, und er revanchiert sich bei dir dafür.“

„Ich will gar nichts von ihm. Er kann mir nichts bieten!“

„Aber sicher kann er das! Er ist reich, Andrea.“

„Ich will sein Geld nicht“, antwortete sie kühl. „Soll er doch daran ersticken!“

„Du vielleicht nicht, aber was ist mit deiner Mum?“, fragte Tony leise.

Andrea schwieg betroffen.

„Er könnte eure Schulden bezahlen … und den Umzug nach Spanien.“

Andrea atmete tief durch. Im Geiste hörte sie ihre Mutter quälend husten und sah, wie sie sich zusammenkrümmte.

„Ich kann es nicht“, flüsterte sie verzweifelt.

„Denk darüber nach“, sagte Tony, „du nimmst das Geld ja nicht für dich, sondern für Kim. Und dieser Mann schuldet ihr noch etwas – immerhin hat sie seine Enkelin allein großgezogen und dafür nur Schimpf und Schande geerntet. Er besitzt ein riesiges Vermögen, und ihr wohnt in einer Sozialwohnung. Tu es für deine Mutter, Andrea.“

Das hatte am Ende den Ausschlag gegeben. Als Tony Spanien erwähnt hatte, war die Entscheidung schon gefallen. Obwohl sie Yiorgos Coustakis gern zum Teufel geschickt hätte, gab es keine andere Möglichkeit, als nach Athen zu reisen. Wenn sie ihren Großvater überreden konnte, ihrer Mutter ein kleines Apartment im Süden zu kaufen … dort, wo es immer warm und trocken war …

Und deshalb stand Andrea jetzt auf der Terrasse von Yiorgos Coustakis’ Anwesen. Sie würde ihrer Mutter die Wohnung in der Sonne verschaffen, koste es, was es wolle.

Kühl lächelnd wandte sie sich wieder dem faszinierenden Mann zu, der neben ihr stand. Oh ja, sie hatte ihn sofort durchschaut. Er tat so, als gehörte ihm die Welt, und ließ jeden wissen, wie reich er war. Sein teurer Anzug, die goldene Uhr, auf die er jetzt schon wieder ungeduldig blickte … Für ihn waren Stromkosten und Miete kein Thema, und auch Schimmel an den Wänden kannte er nicht.

Anscheinend konnte sie ihn auch mit ihrem teuren Designer-Hosenanzug nicht beeindrucken, den sie und Linda in dem eleganten Londoner Kaufhaus ausgesucht hatten! Und dabei hatte ihre Freundin sie vor dem Abflug heute Morgen noch frisiert und geschminkt, damit man ihr auch ganz bestimmt nicht ansah, dass sie aus ärmlichen Verhältnissen stammte. Das hätte sie sich schenken können, denn der Mann, der sie so verächtlich anblickte, wusste genau, wer sie war: Yiorgos Coustakis’ ungeliebte Enkelin.

Doch was kümmerte sie das? Die Meinung anderer Leute war ihr egal. Andrea wollte nur Gerechtigkeit für ihre Mutter.

„Hallo“, sagte sie kühl und reichte ihm die Hand, „mein Name ist Andrea. Wir sind uns noch nicht begegnet, oder?“

Nikos erwiderte die Geste nicht. Er brachte es keinesfalls über sich, diese Frau zu berühren. Die Vorstellung, wie sie diesen Greis liebkoste, und das nur wegen des Geldes, ließ ihn erschaudern.

Andrea ließ die Hand sinken, dachte aber nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. Was machte es da schon, dass der Fremde nichts von ihr hielt! Sie zuckte die Schultern, warf ihm einen kühlen Blick zu und wandte sich ab. Ihre Beine schmerzten, und sie legte die Hände auf das Geländer und stützte sich ab. Das lag daran, dass sie fast den ganzen Tag gesessen hatte – erst im Flugzeug und dann in der teuren Limousine, die am Flughafen für sie bereitgestanden hatte. Sie durfte nicht vergessen, heute noch ihre Übungen zu machen, aber zuerst wollte sie Tony anrufen.

Sie hatte mit ihren Freunden alles genau geplant. Yiorgos Coustakis war kaltblütig und rücksichtslos, und sie wollte verhindern, dass er sie übervorteilte. Deswegen hatten sie, Tony und Linda einige Vorkehrungen getroffen, damit ihr nichts geschah. Andrea sollte zum Beispiel jeden Abend von dem Handy aus anrufen, das Tony ihr geliehen hatte. Wenn sie sich bis dreiundzwanzig Uhr nicht gemeldet hatte, würde Tony die englische Botschaft in Athen kontaktieren und die Mitarbeiter darüber informieren, dass eine Engländerin in der griechischen Hauptstadt gegen ihren Willen festgehalten wurde. Wenn das nichts nutzte, würde Tony sich an die Regenbogenpresse wenden und die ganze Geschichte erzählen. Yiorgos Coustakis mochte gegen schlechte Publicity ja immun sein, aber was würden seine Aktionäre wohl sagen?

Und selbst wenn ihr Großvater sie dann einfach vor die Tür setzte, war es nicht das Ende der Welt. Sie hatte nämlich ihren Reisepass, tausend Euro und ein offenes Rückflugticket in einem Schließfach am Athener Flughafen hinterlegt. Den Schlüssel dazu hatte sie in ihrem kleinen Kosmetikkoffer versteckt.

Nachdenklich blickte sie hinaus in den Garten. Da sie kein Geld für die Reise gehabt hatte, war sie auf eine brillante Idee gekommen. Als sie mit der goldenen Kundenkarte einkaufen gegangen war, hatte sie in der Schmuckabteilung eine Perlenkette erstanden, die sie dann anschließend bei einem Juwelier gegen Bargeld eingetauscht hatte. Damit war ihre Flucht gesichert!

Nikos Vassilis konnte es nicht fassen. Die Fremde drehte ihm doch einfach den Rücken zu und tat so, als wäre er ein Niemand! Das hatte noch nie zuvor eine Frau gewagt – und schon gar keine, die ihr Geld auf diese Weise verdiente!

Doch bevor er etwas unternehmen konnte, hörte er ein diskretes Husten und wandte sich um. Der Bedienstete war zurückgekommen und informierte ihn, dass Mr. Coustakis jetzt bereit war, ihn zu empfangen.

Er warf der Frau am Geländer noch einen wütenden Blick zu und folgte dem Mann ins Haus.

3. KAPITEL

Als Andrea eine Stunde später in das halbdunkle Zimmer geführt wurde, straffte sie sich und bereitete sich insgeheim auf die Auseinandersetzung mit ihrem Großvater vor. Zuerst dachte sie, der Raum wäre leer, doch dann befahl eine männliche Stimme auf Englisch barsch: „Komm her!“

Inzwischen hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte den alten Mann erkennen, der an seinem Schreibtisch saß. Langsam ging sie auf ihn zu und betrachtete dabei in aller Ruhe ihre Umgebung. Sie schien in einer Bibliothek zu sein, denn an den Wänden waren Regale befestigt, in denen unzählige Bücher standen.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie ihren Großvater erreicht hatte. Natürlich, dachte sie erzürnt, genau das will er ja auch. Jeder, der dieses Zimmer betrat, war sofort im Nachteil. Gespielt fasziniert sah sie sich wieder um und tat so, als bemerkte sie den Mann am Schreibtisch gar nicht. Erst als sie direkt vor ihm stand, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn.

Das Erste, was ihr auffiel, waren seine Augen. Sie lagen tief in ihren Höhlen, und sein Gesicht war faltig und zerfurcht, doch sein Blick war durchdringend wie ein Messer.

„So“, sagte Yiorgos Coustakis heiser, „du bist also die Tochter dieser Hure!“ Er musterte sie abschätzend von Kopf bis Fuß und nickte dann. „Egal! Du erfüllst deinen Zweck.“

Andrea hatte so sehr gehofft, dass ihr Großvater sich vielleicht doch mit ihr versöhnen wollte, doch da hatte sie sich geirrt. Wie konnte er es wagen, ihre Mutter so zu nennen! Am liebsten hätte sie ihm gleich hier und jetzt die Meinung gesagt, aber sie beherrschte sich. Wenn sie die Fassung verlor, setzte dieser Widerling sie wahrscheinlich gleich ins nächste Flugzeug nach London – und zwar ohne jeden Penny!

Also blieb sie ruhig stehen und ließ ihn gewähren.

„Dreh dich um!“

Sie biss sich auf die Lippe, gehorchte dann aber schweigend.

„Du hast anscheinend gelernt, dich wie eine Dame zu bewegen“, sagte Yiorgos Coustakis schließlich kalt. „Das ist ja wenigstens etwas!“

Andrea dachte nicht daran, ihm zu antworten.

„Kannst du nicht sprechen?“, fragte er ungehalten.

Sie betrachtete ihn weiter schweigend, denn sie wollte keine Schwäche zeigen. In seinem Blick lagen Abscheu und Hass, und sie erkannte ganz deutlich, dass sie dieses Ungeheuer zu Recht ihr ganzes Leben lang verachtet hatte.

„Warum haben Sie mich hierher zitiert?“, fragte sie schließlich ausdruckslos.

„Wag es nicht, so mit mir zu reden!“, sagte er drohend.

Sie lächelte nur spöttisch, was seine Wut nur noch mehr anfachte. „Ich bin auf Ihren Befehl mehr als tausend Meilen geflogen“, erwiderte sie, und ihre Stimme war ganz ruhig, „und deshalb habe ich ein Recht darauf, zu erfahren, was Sie von mir wollen.“

Er lachte höhnisch. „Du hast ein Recht auf gar nichts! Ich weiß ganz genau, warum du gekommen bist. Du willst an meinem Reichtum teilhaben! Deswegen habe ich dir auch die goldene Kundenkarte geschickt, denn ich wusste ganz genau, dass du den Köder schlucken würdest!“ Der alte Mann beugte sich vor und stützte sich auf den polierten Mahagonitisch. „Lass dir eins gesagt sein: Ich gebe hier die Befehle. Wenn du mir nicht aufs Wort gehorchst, sitzt du im nächsten Flugzeug nach London. Verstanden?“

Er funkelte sie wütend an, doch sie hielt seinem Blick stand. Tony hat recht gehabt, dachte sie, er will etwas von mir. Nur was? Erst wenn sie das wusste, konnte sie ihre Forderungen stellen.

„Und was genau soll ich tun?“, fragte sie kurz angebunden.

„Das verrate ich dir, wenn ich so weit bin. Jetzt wirst du dich erst einmal zum Abendessen umziehen. Wir haben nämlich einen Gast. Da dir deine … Mutter“, er lachte spöttisch, „ja kein Benehmen beigebracht hat, werde ich es tun. In Griechenland haben sich die Frauen dem Mann unterzuordnen. Du solltest also deine Einstellung gut überdenken, denn wenn du mir in meinem Haus Schande machst, fliegst du im hohen Bogen hinaus. Jetzt geh!“

Andrea wandte sich ab und verließ die Bibliothek. Ihr Herz klopfte wild, und sie beruhigte sich erst wieder, als sie in ihrem Zimmer war und die Tür fest hinter sich geschlossen hatte. Das also war ihr Großvater, der Mann, dessen Sohn eine kurze, leidenschaftliche Affäre mit ihrer Mutter gehabt hatte.

Sie schuldete diesem Ungeheuer gar nichts! Keinen Respekt und schon gar keine Loyalität oder gar Liebe!

Um sich abzulenken, nahm sie ein Bad und genoss den Luxus, in dem mit Duftölen angereicherten Wasser zu liegen und den Schmerz in den verspannten Beinmuskeln von den Massagedüsen lindern zu lassen.

Du hast anscheinend gelernt, dich wie eine Dame zu bewegen. Das hatte beinahe wie eine Anklage geklungen, und Andrea schüttelte aufgebracht den Kopf.

Nachdem sie viel später aus der Wanne gestiegen war und sich ein flauschiges Frotteehandtuch umgeschlungen hatte, ging sie zurück ins Schlafzimmer und entdeckte eine Bedienstete, die gerade dabei war, unzählige Sachen in den Schrank zu hängen.

Das junge Mädchen wandte sich um, knickste und informierte Andrea in stockendem Englisch, dass sie ihr beim Ankleiden behilflich sein sollte.

„Ich komme allein klar“, antwortete Andrea schnell.

Die Bedienstete betrachtete sie erschrocken, und Andrea tat es leid, sie so schroff behandelt zu haben. „Vielen Dank, aber das ist nicht nötig“, sagte sie lächelnd und ging vorbei an dem großen Bett, auf dem eine schwere gold-weiße Tagesdecke lag, und stellte sich dann neben das Mädchen. Yiorgos Coustakis würde sich noch wundern! Bis auf den teuren Hosenanzug und den Schmuck hatte sie nichts mit der goldenen Kundenkarte gekauft, und so würde sie heute Abend einen ihrer alten Röcke und eine billige, im Kaufhaus erstandene Bluse anziehen. Doch als sie in den übergroßen Schrank sah, blieb sie starr stehen.

Die Stangen bogen sich unter der Last der noch in Plastik verpackten, an Bügeln aufgehängten Sachen. „Was …?“

Kyrios Coustakis hat befohlen, Sie neu einzukleiden“, sagte das Mädchen leise. „Die Sachen sind eben erst geliefert worden. Was möchten Sie heute Abend tragen, Kyria?“

„Nichts davon“, erwiderte Andrea ungehalten und nahm ihren einfachen blauen Rock und die Bluse von der Stange.

Die Bedienstete war entsetzt. „Aber … nein, Kyria, das ist ein offizielles Essen …“ Ihre Stimme bebte. „Kyrios Coustakis wird sehr wütend werden, wenn Sie nicht angemessen angezogen sind.“

Andrea betrachtete sie schweigend. Die furchtsame Miene des Mädchens sagte alles. Wahrscheinlich würde Yiorgos Coustakis sie entlassen, wenn sie, Andrea, nicht standesgemäß gekleidet zum Dinner erschien. „Also gut, suchen Sie etwas für mich aus“, sagte sie seufzend und setzte sich aufs Bett.

Gleich darauf lagen zwei wundervolle Designer-Kleider neben ihr. Sie entschied sich für das bodenlange aus grüner Seide. „Das nehme ich“, sagte sie und blickte das junge Mädchen an. „Wie heißen Sie?“

„Zoe, Kyria“, erwiderte die Bedienstete leise.

„Nennen Sie mich bitte nicht so. Mein Name ist Andrea.“

Zwanzig Minuten später stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich prüfend. Sie sah fantastisch aus! Mit dem Kleid hatte sich der Modeschöpfer selbst übertroffen. Gut, das Oberteil mit den Spaghettiträgern war etwas gewagt, brachte aber ihre vollen Brüste gut zur Geltung. Das weiche Material umschmeichelte ihren Körper und fühlte sich sehr gut an. So etwas Wundervolles hatte sie noch nie in ihrem Leben getragen!

Zoe half ihr beim Aufstecken der Haare, und danach legte sie ein leichtes Make-up auf, das die Wirkung des Kleides noch unterstützte. Schließlich musterte sie sich noch einmal im Spiegel, wandte sich dann ab und ging zur Tür, wo der Bedienstete ihres Großvaters schon auf sie wartete. Er blickte sie bewundernd an, und einen Moment lang stellte sie sich vor, dass er nicht ein Angestellter, sondern der Mann war, den sie auf der Terrasse getroffen hatte …

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und folgte ihm dann die große marmorne Treppe hinunter.

Auf in den Kampf, dachte sie entschlossen.

Nikos Vassilis parkte seinen Sportwagen vor Yiorgos Coustakis’ Haus und schaltete den Motor aus. Er hatte denkbar schlechte Laune, denn er war jetzt schon zum zweiten Mal an diesem Tag in dieses unerträglich überfrachtete Haus beordert worden. Warum sollte er schon wieder ein Abendessen mit dem alten Mann über sich ergehen lassen, wo doch ganz andere Freuden auf ihn warteten? Xanthe hatte sich als willkommene Abwechslung zu Esme Vandersee herausgestellt – kein Wunder, denn ihre üppigen Formen waren etwas ganz anderes als Esmes schlanker Modelkörper. Er freute sich schon darauf, sie wieder zu besuchen, wenn er diesen Pflichttermin hinter sich gebracht hatte.

Yiorgos Coustakis war eine richtige Nervensäge. Er glaubte wohl, ihn, Nikos, herumkommandieren zu können, und das nur so zum Spaß! Ihre Besprechung an diesem Nachmittag war völlig überflüssig gewesen, denn die Einzelheiten der Fusion von Vassilis Inc. und Coustakis Industries sollten sowieso den Anwälten und Finanzberatern überlassen werden. Aber offensichtlich fand es der alte Mann lustig, ihn nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

Plötzlich fiel ihm die Aphrodite wieder ein, die er auf der Terrasse gesehen hatte. Eins musste man Yiorgos Coustakis lassen: Was seine Geliebten anging, so hatte er einen erlesenen Geschmack.

Nikos’ Miene wurde finster. Diese Frau hatte kein Schamgefühl. Es schien ihr nichts auszumachen, dass der Alte ihr Großvater hätte sein können. Ganz im Gegenteil! Sie hatte sogar die Frechheit besessen, ihn, Nikos, herauszufordern.

Wenn sie nicht mit diesem abscheulichen, verknöcherten Mann ins Bett gehen würde, hätte Nikos bestimmt nichts gegen eine Liaison einzuwenden gehabt. Die Unbekannte war faszinierend und bestimmt eine gute Liebhaberin. Schade drum!

Schnell verdrängte er jeden Gedanken an sie. Immerhin sollte er bald heiraten! Wo war eigentlich seine zukünftige Braut? Es wurde Zeit, dass Yiorgos Coustakis sie ihm endlich vorstellte.

Seufzend glitt er vom Sitz und ging die imposante Treppe hoch, die zur Eingangstür führte. Hoffentlich hielt der alte Mann ihn nicht zu lange auf, denn Xanthe wartete sicher schon ungeduldig!

4. KAPITEL

Nikos stand im reich verzierten Salon und wartete ungehalten darauf, dass das Abendessen endlich beginnen würde. Nur leider schien sein Gastgeber es nicht gerade eilig zu haben. Zuerst hatten sie Brüderschaft getrunken, da sie ja immerhin bald verwandt sein würden, und nun erzählte Yiorgos Coustakis gerade von seinem neuesten Spielzeug – einer fünfzig Meter langen Jacht, die in der Woche zuvor in seinen Besitz übergegangen war. Er langweilte Nikos mit endlosen Beschreibungen der protzigen Inneneinrichtung und beschwerte sich unentwegt, wie teuer diese Errungenschaft gewesen war. Wenigstens war der alte Mann in guter Stimmung, denn seine Augen funkelten, und er lachte einige Male laut.

„Und du, mein Freund“, sagte er und schlug Nikos auf die Schulter, „wirst der Erste sein, der sie ausprobieren darf, denn ihr werdet eure Flitterwochen dort verbringen. Was hältst du davon?“

Nikos lächelte zufrieden. Sehr gut, dachte er, das wird der Welt zeigen, wer der zukünftige Herr im Haus ist!

In diesem Moment öffnete ein Bediensteter die großen Flügeltüren zum Salon, und unwillkürlich blickte Nikos auf. Jemand war hereingekommen.

Es war die umwerfende Fremde, die er auf der Terrasse gesehen hatte! Was, zum Teufel, hatte sie hier zu suchen?

Die Frau blieb einen Augenblick stehen und schritt dann langsam auf sie zu. Ihr Gang war geschmeidig, und ihre hochgesteckten roten Haare betonten ihr wundervolles Gesicht. Ganz zu schweigen von dem restlichen Körper …

Nikos atmete tief durch. Das Kleid stand ihr einfach fantastisch. Ihre sanfte Haut wirkte wie Seide, sie hatte einen Schwanenhals, und ihre nackten Schultern schienen wie gemeißelt zu sein.

Wie gern hätte er sie liebkost …

Doch dann stellte er fest, dass Yiorgos Coustakis ihn lauernd beobachtete. Was sollte das? Hatte der alte Mann seine Geliebte zum Essen eingeladen, um sie ihm, Nikos, vorzuführen und seine Reaktion zu beobachten? Sollte er die verbotenen Früchte nur sehen, aber nicht davon naschen dürfen? Nikos’ Miene wurde finster.

Als Andrea den Salon betrat, entdeckte sie sofort den Mann, an den sie vor noch nicht allzu langer Zeit gedacht hatte. Erschrocken blieb sie stehen, fasste sich dann aber sofort. Es war ihr nicht entgangen, dass der Fremde sie sehr interessiert betrachtete … doch genau wie am Nachmittag dauerte es nur den Bruchteil einer Sekunde, bis das Interesse in Abscheu umschlug.

Und wieder spürte sie, wie Wut in ihr aufstieg. Sie straffte sich und ging auf die beiden Männer zu. Die ganze Zeit blickte sie dem Unbekannten stolz in die Augen.

„Nun, was hältst du von ihr?“, fragte Yiorgos Coustakis seinen zukünftigen Geschäftspartner, als Andrea vor ihnen stand.

Was sollte das nun wieder? Wollte der alte Mann ihn in Verlegenheit bringen? Nikos gab die einzig vernünftige Antwort. „Du hast wirklich einen exzellenten Geschmack, Yiorgos.“

Sie sprechen Griechisch, dachte Andrea. Natürlich! Was denn sonst! Verstohlen betrachtete sie die beiden.

„Du hast großes Glück“, fuhr Nikos fort und überlegte verzweifelt, was er noch sagen konnte, ohne seine Abneigung zu verraten. Wenn doch der Abend schon vorüber wäre!

„Ich mache sie dir zum Geschenk“, sagte Yiorgos Coustakis und lächelte zufrieden.

Nikos glaubte, sich verhört zu haben. Wurde der alte Mann jetzt auch noch senil? Oder sollte das ein Bonbon sein, damit er leichter über die unscheinbare Enkelin hinwegkam? „Das ist wirklich großzügig, Yiorgos“, erwiderte er schnell, „aber das kann ich nicht annehmen.“

„Warum nicht?“, wollte Yiorgos Coustakis kurz angebunden wissen. „Ich dachte …“ Gespielt erstaunt schwieg er, um den Augenblick der Wahrheit noch länger hinauszuzögern. Es machte ihm zu großen Spaß, diesen arroganten, ehrgeizigen Emporkömmling zappeln zu lassen. „Wir waren uns doch einig. Du wolltest meine Enkelin heiraten und konntest es gar nicht erwarten, sie endlich kennenzulernen.“ Vergnügt beobachtete er, wie Nikos allmählich verstand, in welche perfide Falle der Alte ihn gelockt hatte.

„Das ist meine Enkelin, Nikos. Was hast du denn geglaubt?“

Nikos hatte das Gefühl, als müsste er gleich im Erdboden versinken. Nur seine jahrelange Erfahrung ließ ihn nicht das Gesicht verlieren. „Das hier ist tatsächlich meine zukünftige Braut?“, fragte er kühl.

Yiorgos Coustakis lachte höhnisch und freute sich immer noch, dass er Nikos einen Streich gespielt hatte. Er wusste ganz genau, was der jüngere Mann gedacht hatte, und er hatte sich einen Spaß daraus gemacht, ihn in die Irre zu führen. Schließlich wandte er sich seiner Enkelin zu. „Ich möchte dir jemanden vorstellen“, sagte er auf Englisch.

Andrea hatte in der Zwischenzeit den Blick nicht von dem Fremden lösen können. Sie hatte ihn ja schon auf der Terrasse für bemerkenswert attraktiv gehalten, doch im Smoking sah er einfach atemberaubend aus!

„Das ist Nikos Vassilis, einer meiner Geschäftsfreunde“, sagte Yiorgos Coustakis.

Nikos konnte es immer noch nicht glauben. Theos, die Frau war wirklich fantastisch! War sie wirklich ein Mitglied der Coustakis-Familie? Das konnte eigentlich gar nicht sein. Der alte Mann hatte ihn eben schon einmal hereingelegt, vielleicht …

Ach was, dachte er, das ist mir so etwas von egal! Plötzlich war die auferstandene Aphrodite nicht eine verbotene Frucht, sondern ganz in seiner Reichweite.

Erschrocken sah Andrea, wie ihr Gast sie von Kopf bis Fuß verlangend betrachtete. Du meine Güte, ging er immer gleich so zur Sache? Dennoch wehrte sie sich nicht, als er galant ihre Hand nahm und sie sanft mit seinen Lippen berührte.

„Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er höflich. „Sie heißen …?“

Sie sah ihn an, und ein heißer Schauer überlief sie. Doch dann fasste sie sich und flüsterte: „Andrea …“

„Andrea …“, wiederholte er mit verführerischer Stimme, „das ist ein sehr schöner Name.“

Er hielt ihre Hand noch eine kleine Ewigkeit fest, ließ sie dann los und hakte Andrea unter. „Du bist wirklich ein Teufel, Yiorgos“, sagte er zu seinem Gastgeber, „aber der Witz war gut, das muss ich dir lassen.“

Andrea blickte die beiden fragend an, denn Nikos hatte wieder Griechisch gesprochen. Was war los? Warum lachten sie? Doch sie hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn Nikos hatte sich ihr wieder zugewandt. „Darf ich Sie ins Esszimmer begleiten?“

Eigentlich hätte sie ja Nein sagen und sich aus seinem Griff befreien müssen, doch sie brachte es nicht fertig. Wie im Traum ließ sie sich von ihm in den riesigen Speisesaal führen.

Yiorgos Coustakis hatte am Kopfende des langen Mahagonitisches Platz genommen, und seine Enkelin und Nikos saßen rechts und links von ihm. Als Nikos die Frau ihm gegenüber ansah, wurde ihm bewusst, wie glücklich er sich schätzen konnte.

Eine schönere Braut hätte er sich nicht wünschen können. Selbst mit einer unscheinbaren Ehefrau wäre er zufrieden gewesen, doch mit dieser Venus an seiner Seite und in seinem Bett war er der zufriedenste Mann auf der ganzen Welt! Plötzlich war das Eheleben eine Verlockung und keine Bürde mehr!

„Du hast mir verheimlicht, Yiorgos, dass deine Enkelin eine englische Mutter hat“, sagte er auf Griechisch und spürte Andreas Blick auf sich.

Der alte Mann lehnte sich zurück und lächelte spöttisch. „Das sollte eine Überraschung sein.“

„Noch eine?“ Nikos fragte sich, was Yiorgos Coustakis noch für ihn in petto hatte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Andrea. „Wohnen Sie mit Ihrer Mutter in England?“, wollte er auf Griechisch wissen.

Andrea blickte ihn an und wollte etwas antworten, doch ihr Großvater ließ es nicht zu. „Sie spricht kein Griechisch“, sagte er schnell auf Englisch.

Nikos betrachtete seine zukünftige Braut erstaunt. „Wieso nicht?“ Auch er benutzte jetzt Andreas Muttersprache.

„Ihre Mutter hat ihren eigenen Kopf, was Erziehung angeht“, sagte der alte Mann kurz angebunden.

Andrea funkelte ihn aufgebracht an, doch als er ihr einen warnenden Blick zuwarf, zuckte sie zusammen. Wieder musste sie an seine unverblümte Drohung denken: Wenn du mir nicht aufs Wort gehorchst, sitzt du im nächsten Flugzeug nach London. Genau das durfte nicht geschehen, denn ihre Mutter verließ sich auf sie. Egal, was geschah, Kim sollte ihre Wohnung im sonnigen Süden haben – selbst wenn es Yiorgos Coustakis dadurch gelingen würde, sein rücksichtsloses Verhalten zu vertuschen. Also biss sie sich auf die Lippe und schwieg.

Nikos hatte sie amüsiert betrachtet. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass Andrea ihrem Großvater gern widersprochen hätte, und er fragte sich, warum. Wie mochte ihre Mutter wohl sein? War sie von Yiorgos Coustakis verstoßen worden, weil sie „andere“ Vorstellungen vom Leben hatte? Wahrscheinlich war sie eine verwöhnte, spitzzüngige Engländerin, die gern beim Polospiel zusah und teuer gekleidet eine Party nach der nächsten besuchte. Warum hatte sie Andreas Coustakis überhaupt geheiratet? Die Ehe hatte ja auch nicht lange gehalten, denn sonst hätte er, Nikos, etwas davon gehört. Soweit er wusste, hatte es auch keine trauernde Witwe bei der Beerdigung gegeben. Und wieso hatte Yiorgos Coustakis erlaubt, dass seine Enkelin in England erzogen wurde? Immerhin war sie die Erbin seines Imperiums! Was hatte ihm seine Großzügigkeit eingebracht? Nichts! Andrea sprach nicht einmal Griechisch!

Ich könnte es ihr beibringen, dachte er und stellte sich vor, wie er diese wundervolle Frau in den Armen hielt und sie noch viel mehr lehrte … wie man einen Mann verwöhnte, zum Beispiel …

In diesem Moment wurde das Essen serviert, und Nikos widmete sich den erlesenen Speisen. Immer wieder blickte er zu seiner zukünftigen Braut hinüber. Wie alt mochte sie wohl sein? Fünfundzwanzig? Eher jünger, denn sonst hätte Yiorgos bestimmt schon lange einen Ehemann für sie gefunden. Das Leben in der elitären englischen High Society hatte sie wohl mehr reifen lassen, als wenn sie in Griechenland erzogen worden wäre.

Plötzlich fiel ihm siedend heiß noch etwas ein. War sie überhaupt noch unschuldig? Englische Mädchen verteilten ihre Gunst sehr großzügig – das wusste doch jeder Grieche! Er überlegte sich, ob er Yiorgos Coustakis danach fragen sollte, doch er entschied sich dagegen. Die Antwort lag sowieso auf der Hand: Willst du wirklich auf die Fusion verzichten, mein Freund?

Es war sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Unschuldig oder nicht, er würde Andrea Coustakis heiraten, weil sie Coustakis Industries als Mitgift in die Ehe brachte.

Die Bediensteten räumten das Geschirr ab, und Andrea lehnte sich zurück. Das Essen war hervorragend gewesen – irgendwann hatte sie aufgehört, die Gänge zu zählen –, und das hatte sie etwas von dem beunruhigenden Mann abgelenkt, der ihr gegenübersaß. Als er sie plötzlich ansprach, zuckte sie zusammen.

„Wo genau in England wohnen Sie?“, fragte er höflich.

„In London“, erwiderte sie und wagte es, ihn kurz anzublicken.

„Das ist eine wunderbare Stadt, aber es geht dort auch sehr hektisch zu.“

„Ja.“ Sie nickte und dachte daran, dass sie zwei Jobs hatte, an den Wochenenden und abends arbeiten musste und jeden Penny sparte, um die Schulden ihrer Mutter begleichen zu können. Da auch Kim in einem Supermarkt angestellt war, hatten sie nur wenig freie Zeit, die sie gemeinsam verbringen konnten.

„Welche Nachtclubs sind denn gerade angesagt?“, wollte Nikos wissen und nannte einige Namen, die Andrea nur aus Zeitungen kannte.

„Das weiß ich nicht“, antwortete sie ehrlich, „denn das ist nicht die Abendunterhaltung, die ich bevorzuge.“

„Ach ja“, sagte Nikos erstaunt, „wohin gehen Sie dann?“

„Ins Theater.“ Das war nicht gelogen, denn das schönste Geschenk, das sie ihrer Mutter und sich machen konnte, war ein Besuch des National Theatre oder eine Aufführung der Royal Shakespeare Company. Allerdings waren die Karten teuer, und deshalb konnten sie sich so einen Luxus nicht sehr oft leisten.

Nikos zählte einige berühmte Musicals auf, die im Londoner West End gespielt wurden. Er ist anscheinend öfter in der Stadt, dachte sie und schüttelte den Kopf. Tickets für diese Veranstaltungen waren für sie unerschwinglich.

„Ich mag Shakespeare“, sagte sie und spürte sofort, dass sie die falsche Antwort gegeben hatte, denn ihr Großvater blickte sie verächtlich an. Was, zum Teufel, war an dem großen englischen Dichter auszusetzen? Sie musste nicht lange auf eine Erklärung warten.

„Frauen sollten mit ihrer Bildung nicht angeben“, sagte Yiorgos Coustakis kurz angebunden, „denn Männer mögen so etwas nicht.“

Andrea konnte es nicht fassen. Waren die Griechen wirklich so engstirnig und arrogant? Fragend sah sie zu Nikos hinüber. War er der gleichen Meinung? Hatten auch bei ihm weibliche Wesen keine Rechte?

Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Welches Stück von Shakespeare mögen Sie am liebsten?“, fragte er ruhig.

„Viel Lärm um nichts“, erwiderte sie sofort und störte sich nicht daran, dass ihr Großvater wütend schnaubte. „Beatrice ist meine Lieblingsheldin! Ich finde es toll, dass sie auf alles eine Antwort hat und sich nicht von Benedict unterkriegen lässt. Das ist ein richtiger Kampf der Geschlechter!“

Nikos wünschte sich, er hätte nicht gefragt. Kampf der Geschlechter? Was für ein Unsinn war das denn? Es wäre besser gewesen, wenn das Mädchen in Griechenland erzogen worden wäre, denn dann würde sie es nie wagen, so etwas zu äußern!

Andrea sah sofort, dass sie ihn verärgert hatte, und ihre Miene wurde finster. Nikos Vassilis war ein umwerfender Mann, doch wenn man hinter die attraktive Fassade blickte, war er genau so ein Macho wie ihr Großvater.

Unvermittelt stand ihr Großvater auf und blickte Nikos bedeutungsvoll an. „Wir werden in zwanzig Minuten den Kaffee im Salon trinken, nachdem ich die Börsennotierungen überprüft habe.“ Er drehte sich um und ging hinaus.

Auch Nikos hatte sich erhoben. Er wartete, bis der alte Mann das Zimmer verlassen hatte, und wandte sich dann Andrea zu. „Sogar in seinem Alter ist er nicht bereit, die Zügel für einen Moment aus der Hand zu geben.“

„Er hat doch schon genug Geld“, antwortete sie kurz angebunden.

„Sie können sich nicht beschweren, Andrea. Der Reichtum Ihres Großvaters erlaubt Ihnen ein Leben im Luxus.“

Wie gern hätte sie ihn über die wahre Natur seines Gastgebers aufgeklärt. Aber wenn sie Nikos Vassilis von der Leiche in Yiorgos Coustakis’ Keller erzählen würde, schickte der alte Mann sie bestimmt gleich wieder nach London, und genau das musste sie verhindern.

Nikos ging um den Tisch herum und blieb vor Andrea stehen. „Kommen Sie“, sagte er und hielt ihr lächelnd die Hand hin, „wir haben zwanzig Minuten für uns. Das müssen wir ausnutzen.“

Seine Gesellschaft war der ihres Großvaters sicher vorzuziehen. Deshalb hakte Andrea sich bei ihm ein und ließ sich auf die Terrasse führen. Wieder verspürte sie ein seltsames Gefühl, als sie Nikos berührte. Der wundervolle Himmel, an dem viele blitzende Sterne standen, und die warme Nacht taten ein Übriges, um ihr Herz schneller klopfen zu lassen. Schnell befreite sie sich aus Nikos’ Griff, stellte sich an das Geländer und blickte hinaus in den dunklen Garten.

Ein leises, anhaltendes Zirpen weckte ihre Aufmerksamkeit. „Was ist das für ein Geräusch?“, fragte sie erstaunt.

„Das sind Zikaden“, antwortete Nikos und stellte sich hinter sie. „Sie sehen aus wie Heuschrecken und leben in Büschen. Ihr Zirpen ist charakteristisch für die Mittelmeerregion“, fuhr er fort. „Sie haben doch sicher schon von diesen Tieren gehört?“ Stirnrunzelnd betrachtete er sie. Selbst wenn sie in England aufgewachsen war, hatte sie ihren Großvater sicher oft besucht. Zikaden sollten ihr also nicht fremd sein.

Andrea schüttelte den Kopf, war aber in Wirklichkeit ganz woanders. Sie erinnerte sich wieder daran, wie ihre Mutter von dem Mann gesprochen hatte, den sie über alles geliebt hatte. Ihre Stimme hatte fröhlich und entspannt geklungen, und sie hatte ihrer Tochter geschildert, wie sie am Strand entlanggegangen waren … wie das Wasser des Mittelmeers sanft ans Ufer geschlagen war und die Zikaden im Hintergrund gezirpt hatten …

„Woran denken Sie?“, fragte Nikos leise und ließ die Hand sanft über ihre nackte Schulter gleiten.

Deine Berührung fühlt sich so gut an … irgendwie elektrisierend, dachte sie verträumt.

„Geht es um einen Mann?“, wollte er wissen, und sein Tonfall wurde schärfer.

„Ja …“

Er ließ die Hand sinken. „Wie heißt er?“

Erst jetzt bemerkte sie, wie aufgebracht seine Stimme klang. Was war los mit ihm? „Andreas“, antwortete sie kühl.

„Andreas … und weiter?“ Er straffte sich und betrachtete sie mit finsterer Miene.

Wollte er sie etwa einschüchtern? Das hier war doch keine Inquisition! Dennoch beschloss sie, ihm reinen Wein einzuschenken. „Andreas Coustakis, mein Vater.“

Nikos nickte kurz, und es war ihm anzumerken, wie unangenehm ihm das war. „Ich muss mich entschuldigen, Andrea. Haben Sie ihn gekannt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete sie, und ihr Herz wurde schwer, als sie daran dachte, dass ihr Vater wahrscheinlich auf der gleichen Terrasse gestanden hatte wie sie jetzt. Er hatte in diesem Haus gelebt und es in der Nacht des Unfalls wütend verlassen … „Meine Mutter spricht oft von ihm“, fuhr sie dann leise fort.

Er hörte, wie ihre Stimme bebte. Auch er hatte seinen Vater nie kennengelernt, und seine Mutter hatte so gut wie nichts von ihm gewusst. Es hatte sie auch nicht interessiert. Er war ein Seemann auf Landurlaub gewesen und aus dem Norden gekommen. Vielleicht war er Skandinavier gewesen, denn er, Nikos, war sehr groß für einen Griechen.

Andreas Mutter hingegen hatte ihren Mann so geliebt, dass sie ihrer Tochter immer wieder von ihm erzählte. Was hat Andrea für ein Glück, dachte er beinahe neidisch. Wie gern hätte er auch mehr über seinen Vater erfahren …

„Wie ist er denn so gewesen?“, fragte Nikos mitfühlend.

„Er hat meine Mutter vergöttert“, erwiderte sie leise, „er hat sie immer ‚meine süße Taube’ genannt und versprochen, ihr die Sterne vom Himmel zu holen …“ Sie zögerte einen Moment. „Und dann ist er gestorben, und der Traum war zu Ende.“

Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Nikos legte die Arme um Andrea und zog sie an sich. „Ganz ruhig“, sagte er und strich ihr übers Haar.

Einen Moment lang genoss sie seine Liebkosungen und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder sicher und getröstet. „Es tut mir leid“, sagte sie schließlich, „es muss an diesem Ort liegen. Mein Vater hat in diesem Haus gewohnt. Erst jetzt wird mir bewusst, wie real er war.“ Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, doch er ließ es nicht zu.

„Weinen Sie ruhig um ihn, denn damit ehren Sie ihn, Andrea.“

Sie blickte auf. Die Tränen an ihren Wimpern schimmerten wie Diamanten, und ihr sanfter Mund war mehr als verführerisch.

Nikos konnte sich einfach nicht beherrschen. Langsam senkte er den Kopf und presste die Lippen auf ihre.

Erschrocken wollte sie sich wehren, doch er zog sie näher an sich und ließ seine Zunge spielen. Es dauerte nicht lange, und Andrea war ihm erlegen. Sie bebte am ganzen Körper und gab jeden Widerstand auf. Nikos spürte, wie die Leidenschaft in ihm aufstieg. Sein Kuss wurde fordernder, und er ließ die Hände über Andreas Rücken gleiten und umfasste ihren Po.

Andrea stöhnte leise auf. Sie konnte nicht mehr klar denken und ihre Emotionen unter Kontrolle bringen. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Heiße Begierde schien durch ihre Venen zu fließen und riss sie mit in den Strudel der Lust.

Doch plötzlich wurde ihr bewusst, wo sie sich befanden, und sie schüttelte den Kopf. „Nein …“

Was war bloß in sie gefahren? Sie kannte ihn doch gar nicht. „Nein“, flüsterte sie noch einmal und versuchte, ihn fortzustoßen.

Sofort ließ Nikos sie los, obwohl er sie am liebsten noch näher an sich gepresst und ihren verführerischen Körper länger genossen hätte. Er wollte die Hände über ihre vollen Brüste gleiten lassen und jeden Zentimeter ihrer seidenen Haut liebkosen.

Theos, er begehrte diese Frau! Die Leidenschaft, die er für Andrea empfand, war überwältigend und trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. Dieses Gefühl war neu und erschreckend zugleich. Bei Esme und Xanthe war es etwas ganz anderes gewesen – und auch bei allen anderen Frauen, mit denen er bis jetzt geschlafen hatte. Er hatte mit allen nur guten Sex haben wollen, ganz ohne jede Verpflichtung.

Hatte es vielleicht damit zu tun, dass er Andrea heiraten sollte? Hatte diese Tatsache etwas in ihm ausgelöst, das ihn völlig überwältigte? Noch nie hatte er eine Frau ganz allein für sich besitzen wollen. Seine Geliebten hatten es mit der Treue nie genau genommen, und es war ihm immer egal gewesen. Für sie war er eben nur ein weiterer wohlhabender Mann, mit dem sie ins Bett gingen. Esme Vandersee zum Beispiel hatte einen ganzen Hofstaat an Verehrern und suchte sich ihre Liebhaber nach Lust und Laune aus. Und Xanthe ließ sich ihr luxuriöses Leben nicht nur von ihm allein finanzieren, denn dazu hatte sie viel zu hohe Ansprüche. Natürlich war sie taktvoll genug, die Männer streng getrennt zu halten. Trotzdem hätte Nikos auf Anhieb sechs reiche Athener nennen können, die ihre Gunst genossen.

Er hatte nichts dagegen. Sollten sie sich doch amüsieren.

Der Gedanke aber, dass Andrea Coustakis vielleicht einen anderen liebte, war unerträglich gewesen. Er wollte der einzige Mann in ihrem Leben sein, koste es, was es wolle. Noch nie hatte er so etwas für eine Frau empfunden, und er gab sich diesem neuen Gefühl ganz hin.

Andrea stand an das Geländer gepresst und betrachtete ihn schweigend. In ihrem Blick lag Angst.

„Es tut mir leid, Andrea“, sagte Nikos sanft, „ich wollte dich nicht erschrecken.“ Als sie nicht antwortete, lächelte er und ließ die Hand noch einmal sanft über ihre Wange gleiten. „Du bist so wunderschön, und deshalb habe ich einfach den Kopf verloren.“

Sie bebte am ganzen Körper und brachte kein Wort heraus.

„Sieh mich nicht so an“, fuhr er schnell fort, „ich verspreche dir, ich werde dich ohne deine Einwilligung nicht mehr berühren. Aber ich werde alles daransetzen, dass du mich bald darum bittest“, fügte er ernst hinzu und wich einige Schritte zurück. „Komm, wir haben noch so viel zu besprechen.“

Sie ließ sich von ihm unterhaken und ging mit ihm die große Terrasse entlang. Die Nachtluft kühlte ihr heißes Gesicht, und Andrea atmete tief durch und versuchte, die Fassung wiederzugewinnen.

Sie kannte diesen Mann nicht, und trotzdem stand sie hier mit ihm unter dem Sternenhimmel und ließ sich von ihm küssen – und zwar auf eine Weise, die sie schwindelig gemacht und ihre Gefühle in ein Chaos gestürzt hatte.

Komm, wir haben noch so viel zu besprechen. Was sollte das heißen? Hatte er diese Worte nur so dahergesagt, oder steckte etwas anderes dahinter?

„Ich wüsste nicht, was ich mit Ihnen zu besprechen hätte“, erklärte sie deshalb schnippisch und zog es vor, beim formellen „Sie“ zu bleiben. Fragend blickte sie ihn an und war wieder so fasziniert von seinen markanten Gesichtszügen, dass sie bis auf ein einziges Wort nicht verstand, was er antwortete.

Schockiert blieb sie stehen. „Was haben Sie da gerade gesagt? Wiederholen Sie das bitte!“

Nikos lächelte sie an. „Wir sollten uns über unsere Hochzeit unterhalten, Andrea“, sagte er sanft.

5. KAPITEL

Andrea glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können. „Unsere was?“, fragte sie entsetzt.

„Unsere Hochzeit natürlich“, erwiderte Nikos erstaunt. Es kam ihm vor, als hätte Andrea sich im Bruchteil einer Sekunde in eine andere Person verwandelt.

Sie sah ihn fassungslos an. „Unsere Hochzeit?“ Das letzte Wort brachte sie kaum heraus. „Was ist das? Ein schlechter Scherz? Oh nein!“, rief sie, als sie zu erkennen glaubte, was los war, „Sie sind verrückt …“

Entsetzt wirbelte sie herum und wollte von der Terrasse flüchten, doch Nikos packte ihren Arm. „Wie hast du mich genannt?“

Er drückte fester zu, und sie zuckte vor Schmerz zusammen. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien, aber es gelang ihr nicht. „Lassen Sie mich sofort los!“, schrie sie aufgebracht.

Nikos musterte sie mit finsterer Miene. „Was, zum Teufel, geht hier vor?“, wollte er wissen. „Ich wollte dir nur versichern, dass du freie Hand hast, was die Planung unserer Hochzeit angeht. Allerdings muss ich auf einer Trauung in Griechenland bestehen.“ Es war ihm ein Rätsel, warum Andrea so erschrocken reagierte. Diese Ehe war doch von ihrem Großvater eingefädelt worden – warum dann also die Aufregung?

„Einer Trauung?“, fragte sie noch einmal ungläubig.

„Natürlich. Was ist daran so schwer zu verstehen?“ So langsam verlor er die Geduld.

„Ich soll Sie heiraten?“

Jetzt reichte es! Sie tat ja gerade so, als wäre das der abwegigste Vorschlag, den sie je gehört hatte! Wütend funkelte er sie an und ließ sie los.

Andrea rieb sich die schmerzende Stelle und hätte sofort wieder die Flucht ergriffen, wenn Nikos sich ihr nicht in den Weg gestellt hätte.

„Wir müssen reden“, sagte er ungehalten.

Sie schüttelte energisch den Kopf und dachte verzweifelt darüber nach, wie sie diesem Albtraum am besten entkommen konnte.

„Wenn du mich nicht heiraten willst, warum hast du mich dann geküsst?“, wollte er wissen.

„Sie sind total verrückt!“ Entsetzt versuchte sie, an ihm vorbeizukommen, doch er ließ es nicht zu.

Nikos seufzte ungeduldig und blieb starr stehen. Warum war sie plötzlich so hysterisch? Es kam ihm beinahe vor, als wüsste sie nichts von der geplanten Heirat. Das war aber doch nicht möglich! Wieso also dieser Aufstand? Wollte sie ihn vielleicht gar nicht zum Mann nehmen? War das der Grund für ihre unerklärliche Reaktion? Das kann gut sein, dachte er und spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. Was, wenn er nicht gut genug für Yiorgos Coustakis’ Enkelin war? Immerhin war er „nur“ der uneheliche Sohn einer Bardame und eines unbekannten Seemanns!

Dieser Gedanke schmerzte ihn und ließ Nikos jedes Mitgefühl verlieren. Warum hatte sie ihrem Großvater nicht erzählt, dass sie so gegen diese Ehe war? Die Antwort lag auf der Hand. Es wäre dem alten Mann egal gewesen.

Nun, es war auch für ihn, Nikos, nicht wichtig. Er würde diese Frau heiraten, ob sie wollte oder nicht. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. „Sei still“, befahl er kühl, „du gehst nirgendwohin, bevor du dich nicht beruhigt hast.“

Plötzlich durchflutete ihn ein heftiger Schmerz, und Nikos fluchte laut. Andrea hatte ihm gegen das Schienbein getreten, sich losgerissen und rannte jetzt, so schnell sie nur konnte, auf die große Terrassentür zu.

Nikos biss die Zähne zusammen und lief ihr hinterher. An der Esszimmertür holte er sie ein, packte sie an den Schultern und schüttelte sie rau. „Schluss damit!“, sagte er aufgebracht. „Benimm dich gefälligst!“

Plötzlich wurde ihm bewusst, warum er so wütend war. Noch nie hatte ihn jemand so verletzt. Warum wollte sie ihn nicht heiraten? Er war doch eine gute Partie und weder alt noch hässlich. Es war einfach unerträglich! Diese letzten Wochen hatte er mit sich gerungen und sich dann schließlich damit abgefunden, eine ihm völlig Unbekannte zu heiraten, und dann stellte sich heraus, dass sie gar nicht an ihm interessiert war! Ganz im Gegenteil! Es schien für sie das Ende der Welt zu bedeuten, wenn sie ihn zum Mann nehmen musste!

Andrea presste die Hände gegen seine Brust und machte sich los. Ihr Herz klopfte wild, und sie spürte, wie Wut in ihr hochstieg und die Panik verdrängte.

Sie konnte nicht glauben, was sie da gehört hatte. Das war doch nicht wahr! Bitte nicht! „Das mit der Hochzeit ist ein Witz, stimmt’s?“, fragte sie entnervt, „irgendein Scherz, den ich überhaupt nicht lustig finde.“

Jetzt verlor auch Nikos die Geduld. Ach, so sah sie das also! Sie war also nicht bereit, den vaterlosen Emporkömmling aus den Slums zu heiraten! Drohend betrachtete er sie, und sie zuckte zusammen. Er machte ihr Angst!

„Du bist die Erbin des Coustakis-Imperiums“, sagte er kalt, „und ich bin der Mann, der es einmal übernehmen wird, wenn sich dein Großvater zur Ruhe setzt. Eine Ehe mit dir ist also nur logisch.“

„Die … Erbin …?“ Andrea blickte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Verstehe ich Sie richtig, Mr. Vassilis? Sie wollen mich heiraten, damit Sie irgendwann einmal das Unternehmen meines Großvaters leiten können?“

Erleichtert nickte er. „Du hast es erfasst.“

Das war ja viel schlimmer, als sie es sich in ihren furchtbarsten Albträumen ausgemalt hatte. „Ich muss Sie leider enttäuschen, Mr. Vassilis, denn ich werde Sie nicht heiraten. Sie müssen sich eine andere reiche Erbin suchen.“

Als sie sich abwenden wollte, hielt er sie am Arm fest. „Du beleidigst mich, Andrea.“

Sie spürte, wie ihr ein Schauder über den Rücken lief. Mit diesem Mann war nicht zu spaßen. Trotzdem war sie nicht bereit, sich von ihm einschüchtern zu lassen.

Ich beleidige Sie? Ganz im Gegenteil. Sie sind Gast im Hause meines Großvaters und sollten sich entsprechend benehmen.“ Andrea versuchte, geduldig zu bleiben, was ihr unter diesen Umständen sehr schwerfiel. „Ich verstehe natürlich, dass die griechische Mentalität anders als die englische ist, aber auch in diesem Land bedeutet ein Kuss auf der Terrasse sicher nicht das Ja zu einer Eheschließung! Sie haben mich auch nicht kompromittiert, falls Sie das im Sinn hatten. Deshalb können Sie meinen Großvater auch nicht erpressen, nur weil ich in Ihre Arme gesunken bin wie ein … Dummkopf!“

Sie war ja selbst an allem schuld! Das hatte sie davon, wenn sie mit einem umwerfenden Fremden in einer lauen Nacht unter einem romantischen Sternenhimmel auf der Terrasse stand!

Autor

Margaret Barker
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