So ein zärtliches Gefühl

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Einmal mit seinem glamourösen Zwillingsbruder den Platz tauschen? Warum nicht, denkt sich Tierarzt Nick Sheridan. Zumal er dann gefahrlos mit der schönen Colleen flirten kann. Nie hätte er jedoch damit gerechnet, was ihr erster, heißer Kuss mit seinem Herzen anstellt …


  • Erscheinungstag 10.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527378
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„So, das ist also meine Tierarztpraxis“, erklärte Nick den vierzehn kleinen Campkindern, als er sie zum Abschluss wieder ins Wartezimmer führte. „Hat noch jemand eine Frage?“

Vierzehn Köpfchen wurden gleichzeitig geschüttelt.

„Seid ihr auch sicher?“, fragte er noch einmal nach, obwohl er wusste, dass er sich auf gefährliches Terrain begab. Kleine Kinder konnten die seltsamsten Dinge fragen. Doch heute war er bereit, ein Risiko einzugehen.

In vier Tagen würde er in Urlaub fahren, und bis jetzt hatte noch nichts seine Pläne vereitelt. Es war fast ein Wunder. In der letzten Zeit war immer etwas dazwischengekommen, wenn er weggefahren wollte. Er verstauchte sich den Knöchel. Sein Vater wurde krank. Die Schweinepest brach aus, und er musste hierbleiben, um zu helfen. Dieses Mal würde es anders sein. Er hatte für jeden Notfall vorgeplant. Nichts würde ihn und seinen Bruder davon abhalten, eine Woche in San Francisco zu verbringen.

Plötzlich erhob sich eine kleine Hand. „Wenn ich groß bin, möchte ich genau wie Dr. Neal sein“, sagte das kleine Mädchen.

„Du meinst Dr. Nick, nicht wahr?“, verbesserte sie die Campleiterin, die die Kinder begleitete.

Doch das Mädchen – eine kleine Papierschildkröte, die auf ihrem T-Shirt gepinnt war, verriet, dass sie Bethany hieß – schüttelte so entschieden den Kopf, dass ihr Zopf ihrem Nachbarn ins Gesicht flog. „Nein, Dr. Neal“, erwiderte sie hartnäckig. „Wenn ich groß bin, will ich genau wie er sein.“ Sie wies auf das Poster, das an einer Wand im Wartezimmer hing.

Das Poster, in Auftrag gegeben von Love Pet Food, zeigte Nicks Zwillingsbruder, der mit einigen Welpen im Gras saß. Über ihm stand in großen Buchstaben Love ist alles, was du brauchst. Und im unteren Teil war angegeben, in welchem Fernsehkanal und zu welcher Zeit seine Tierarztsendung lief.

„Wenn ich groß bin“, sagte Bethany lauter, „werde ich meine eigene Fernsehshow haben, coole Kleidung tragen, schnelle Autos fahren und niemals heiraten.“

„Ich auch“, erfüllte ein Chor den Raum, und Nick kämpfte gegen ein Lächeln an. Neal schien ein tolles Leben zu führen, aber ein Blick auf das Gesicht der Leiterin sagte ihm, dass sie nicht dieser Ansicht war.

„Oh, nein, nein, nein.“ Die Frau schüttelte den Kopf, ihre Stimme nahm einen traurigen Klang an. „Das wollt ihr doch nicht wirklich. Dr. Neal hat ein sehr anstrengendes Leben. Er muss die ganze Zeit reisen. Er sieht kaum seine Familie hier in Three Oaks. Und er kann noch nicht einmal in einem Handballteam mitspielen, weil er nie bei einem Spiel da wäre.“

Armer, armer Dr. Neal, dachte Nick. Jede Woche eine neue Freundin zu haben, ist wirklich sehr anstrengend. Er reiste um die ganze Welt, statt die Landstraßen im Südwesten von Michigan entlangzufahren. Und statt jeden Mittwoch im Gemeindehaus Spaghetti zu essen, geht er in Drei-Sterne-Restaurants ein und aus.

Die Stimme der Campleiterin klang wieder etwas fröhlicher, als sie die Kinder um sich versammelte. „So, jetzt werden wir uns von Dr. Nick verabschieden, damit er sich wieder um seine Patienten kümmern kann.“

Nachdem die Kinder hinausmarschiert waren, wandte die Leiterin sich noch einmal kurz Nick zu. Sie lächelte verlegen. „Entschuldigen Sie Bethanys Bemerkung. Sie wollte sie nicht daran erinnern. Sie wusste nicht, wovon sie sprach.“

Nick lächelte. Seltsam, wie im Juli sich jeder in der Stadt für die unschuldigste Bemerkung über die Ehe entschuldigte. Oder über Autos. Oder Rehe. Das war einer der Gründe, warum er unbedingt eine Weile wegfahren wollte. „Das macht doch nichts“, versicherte er ihr. „Aber um ehrlich zu sein, ich finde, dass Sie Handball überschätzen.“

Sie lachte halbherzig, offensichtlich glaubte sie, er wollte nur tapfer sein und ging hinaus.

„Arme Kleine.“ Nicks Sekretärin schüttelte den Kopf. „Sich ausgerechnet Neal als Vorbild zu nehmen.“

Nick warf einen kurzen Blick zu Neals Poster hinüber. „Warum arme Kleine? Wer wünschte sich nicht wie Neal zu sein?“

Sara sah zu ihm hinüber. „Sie jedenfalls nicht“, erklärte sie mit der gleichen ungeduldigen Stimme, die sie bei ihren halbwüchsigen Kindern benutzte. „Sie brauchen Ihr Zuhause. Sie lieben es und wären an keinem anderen Platz auf der Welt glücklich.“

Nein, da irrte sie sich. Man war glücklich dort, wo die Menschen waren, die man liebte. Auf den Ort kam es nicht an.

Er hatte das gelernt, als sie in der Highschool einen Ausflug ins Museum für Industrie und Wissenschaft machten. Statt sich mit seinen Freunden die Raketen anzuschauen, war er mit Donna in die Puppenhausausstellung gegangen, weil sie der Lehrer nicht allein dorthin gehen lassen wollte. Bald waren ihm Puppenhaus und Raketen egal, nur noch Donna war ihm wichtig. Ihr Lachen, ihre Hoffnungen und Träume. Sie hatten ihre Träume in den Jahren, in denen sie gemeinsam zur Schule gingen, geteilt und die meisten von ihnen später wahr werden lassen. Dann, vor zwei Jahren, hatte ein Reh, das auf die Straße gelaufen war, plötzlich und unerwartet alles beendet.

Lange, lange Monate hatte er geglaubt einen langsamen Tod zu erleiden. Dann wurde ihm klar, dass er zwar nicht sterben würde, dass er aber auch nicht mehr lebendig war. Er steckte in einem Albtraum voller schmerzhafter Erinnerungen fest und sah keinen Ausweg. Alles, was ihm übrig blieb, war so weiterzumachen, wie bisher.

„Was liegt heute vor?“, fragte er.

Sara zog Akten aus dem Schrank und schenkte ihm keinen Blick. „Es steht alles in Ihrem Computer, wissen Sie?“

Das war ein Spiel, das sie jeden Tag spielten. „Großartig, wenn ich jetzt auch noch so clever wie Neal wäre, könnte ich ihn auch benutzen.“

Sie beugte sich mit einem tiefen Seufzer vor und schob ein Blatt Papier und eine Papprolle zu ihm hinüber. „Wir haben ein neues Colleen-Cassidy-Poster bekommen. Wenn Sie es nicht wollen, werde ich es Jeremy geben.“

Nick zog das Poster der jungen Frau, die wie Nick ein Aushängeschild von Love Pet Food war, aus der Rolle. Sie saß auf einem Heuballen und war von einem Dutzend junger Kätzchen umgeben. Nichts ist mit Love zu vergleichen stand in großen Buchstaben über ihrem Kopf, auch bei ihr waren Fernsehkanal und Sendezeit der Serie angegeben, in der sie die Hauptrolle spielte. Eine Tierärztin natürlich.

„Ich habe noch nie eine Tierärztin gesehen, die so angezogen ist.“ Sara lehnte sich etwas über den Schreibtisch, um das Poster besser zu sehen.

Nick lächelte, konnte aber nicht den Blick von dem Foto nehmen. Die Shorts der jungen Frau waren äußerst knapp, und die Bluse gab den Ansatz ihrer vollen Brüste frei. Rötliches Haar, ein cremefarbener makelloser Teint und Augen so blau wie der Sommerhimmel, voller Versprechungen und Lebensfreude.

Sie weckte Träume von lauen Sommernächten – vorausgesetzt, jemand hatte noch Träume.

„Ich glaube nicht, dass die Menschen ihre Serie anschauen, um etwas über tierärztliche Praktiken zu erlernen.“ Er faltete das Poster und reichte es ihr nach einigem Zögern. „Machen Sie Jeremy eine Freude.“

Zwei Wagen fuhren vor dem Haus vor, und das Telefon klingelte. Prima. Es tat ihm gut, beschäftigt zu sein. Er nahm seine Patientenliste auf und ging in sein Sprechzimmer.

„Partyzeit! Partyzeit!“, schrie ein Papagei, als er den Raum betrat.

„Halt den Schnabel“, sagte Nick.

Er warf die Liste auf den Schreibtisch und wappnete sich gegen die Erinnerungen, die in diesem Zimmer lauerten. Der Schreibtisch, den Donna mit ihm ausgesucht hatte. Ihre gestickten Tierbilder an den Wänden. Selbst das Knarren des Schreibtischstuhles erinnerte ihn an sie. Sie hatte stets darüber gelacht und gesagt, dass er langsam einroste. Sie war jetzt bereits seit zwei Jahren tot, aber sie war immer noch überall.

Letztes Jahr hatte er die handgeschriebenen Etiketten an den Medikamenten- und Instrumentenschränken durch gedruckte ersetzt, es hatte nicht viel genutzt. Sie war immer noch hier.

Er beugte sich vor und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Oh Mann, er brauchte diesen Urlaub. Er musste unbedingt irgendwohin fahren, wo er mit Donna noch nie gewesen war, wo ihn keine Erinnerungen verfolgten. Irgendwohin, wo er endlich einmal durchschlafen konnte. Der Urlaub mit seinem Bruder war absolut notwendig.

„Nick“, rief Sara vom Empfangsraum herüber. „Ihr Bruder ist auf Leitung zwei.“

Nick nahm den Hörer ab. „He, Neal, ich habe gerade an dich gedacht?“

„Ich habe schlechte Nachrichten“, erwiderte Neal.

„Wahrscheinlich willst du mir sagen, dass du mit allen Englisch sprechenden Frauen in der Welt ausgegangen bist, und jetzt vor die Wahl gestellt bist, entweder eine Fremdsprache zu erlernen, oder einfach zu warten, bis Nachwuchs da ist.“

„Sehr witzig, Nick.“

„Danke.“

Neal holte tief Luft. „Eigentlich rufe ich an, um unseren Urlaub abzusagen.“

„Oh, das sind wirklich schlechte Nachrichten.“ Der Humor in Nicks Stimme verschwand von einer Sekunde auf die andere. „Ich habe mich so darauf gefreut, einige Zeit mit dir zu verbringen.“

„Ich auch. Aber ich muss auf eine Promotiontour. Mein Sponsor schickt mich nach Illinois, Iowa und Missouri.“

„Hört sich doch ganz lustig an.“

„Ja, und wie.“

„He, das ist mein Ernst“, erwiderte Nick. „Es mag vielleicht nicht Paris oder New York sein, aber du wirst zu so vielen Orten fahren, die du noch nie zuvor gesehen hast. Orte, die alle ihre eigene Geschichte und kulturellen Hintergrund haben. Ich finde das großartig.“

„Aber auch nur, weil du so etwas noch nie gemacht hast.“

„Es ist auf jeden Fall besser als Three Oaks im Juli.“

„Three Oaks mag nicht der aufregendste Ort der Welt sein, aber es ist zu Hause.“

Nick runzelte die Stirn. Er hatte immer geglaubt, dass sein Bruder das große Los gezogen hätte. Als ihre Eltern sich scheiden ließen – noch bevor Nick und Neal auf die Highschool kamen – war Neal derjenige gewesen, der mit der Mutter, die Kleinstädte hasste, nach Osten ging. Nick blieb mit seinem Vater, der die Heimat liebte, in Three Oaks.

Jetzt hörte sich Neal auf einmal so an, als ob er etwas vermissen würde. Vielleicht war sein Bruder gar nicht so anders als er. Aber verflixt noch mal, er führte ein aufregendes Leben, hatte Luxus und Ruhm, und er wollte Three …

Nick spürte, wie sein Herz schneller schlug. Wollte er wirklich …?

„Weißt du was …“, begann Neal langsam.

„Glaubst du wirklich, wir …“, fuhr Nick fort.

„Die Promotiontour …“

„Three Oaks …“

Beide hielten inne.

„Was ist mit meinen Patienten?“, fragte Nick.

„Ich bin vereidigter Tierarzt, außerdem ist noch dein Partner da.“ Neal legte eine Pause ein. „Aber du hasst es doch, in der Öffentlichkeit zu sprechen.“

„Nicht mehr so sehr wie früher“, gab Nick zu. „Aber was ist, wenn man sich dazu entschließt, das staatliche Tierschutzkomitee bereits diesen Monat zu gründen? Weißt du, mein Name steht auf der Liste.“

„Und da steht er bereits seit Jahren, aber selbst wenn du benannt wirst, was macht das schon? Ich werde dich würdig vertreten, ich bin doch an öffentliche Auftritte gewöhnt.“ Neal zögerte. „Ich weiß nicht, wer meine Reisebegleiter sein werden. Es könnten singende Kühe sein.“

Solange es keine Geister waren. „Ich arbeite mit dem hiesigen Tierschutzverein zusammen, und eine große Spendenaktion steht bevor. Glaubst du, du könntest damit zurechtkommen?“

„Was soll diese Frage? Ich habe bereits mehr Spendenaktionen in einer Woche hinter mich gebracht als du eine in einem ganzen Jahr“, erwiderte Neal.

Nick überlegte und tippte mit dem Kugelschreiber gegen die Armlehne seines Stuhles. „Weißt du“, sagte er schließlich. „Wir würden dieser Gegend einen Gefallen tun. Wir könnten etwas Regen gebrauchen.“ In der Vergangenheit hatte sich gezeigt, dass wenn immer Nick und Neal die Rollen tauschten, es in Strömen regnete.

„Und es muss Hunderte von Tieren im Mittleren Westen geben, die nur darauf warten, von dir gerettet zu werden.“

„Ich habe aufgehört alles retten zu wollen, was mir unter die Augen kommt“, erklärte Nick und schaute zu dem Papagei hinüber. Nun, das war letzten Monat gewesen, seitdem hatte er keine Streuner mehr aufgenommen.

„Was hältst du also von der Sache?“, fragte Neal. „Machst du mit?“

Nick schwieg. Er würde seinen Bart abrasieren müssen, aber mit ein bisschen Glück würde die Haut darunter nicht allzu blass sein. Und er würde den Wohltätigkeitsball des Tierschutzvereines versäumen. Aber auf diesen Festen fühlte er sich sowieso nie sehr wohl.

Wem würde es schaden, wenn sie die Rollen tauschten? Neal schien diese sechs Wochen in Three Oaks zu brauchen, und er selbst hatte sich geschworen, dieses Mal einige Zeit wegzufahren.

Und was für eine Zeit das würde. Sechs Wochen, die er in einer Welt verbringen würde, in der Beziehungen nicht länger als fünfzehn Minuten dauerten. Eine Welt, in der ihn nicht tagein, tagaus die Gespenster der Vergangenheit verfolgten, in der er endlich einmal durchschlafen konnte.

„Abgemacht“, schlug Nick ein.

1. KAPITEL

„Ich kann diese Frisur einfach nicht ausstehen.“ Lance Reece schaute besorgt in den Spiegel auf der Rückseite der Sichtblende und fuhr mit der Hand über sein blondes Haar. „Sieh doch nur, es ist viel zu kurz.“

Aber Colleen Cassidy schaute auf die Menschenmenge, die sich vor der Einfahrt des Villengrundstückes aufhielt. Blutdürstige Piranhas, hungrige Löwen, die Beute witterten. Reporter, die auf einen Skandal warteten.

Und der einzige Schutz, den sie hatte, war dieser Jammerlappen an ihrer Seite. Sie schaute zu Lance, einem aufsteigenden Sternchen einer Teenagerserie hinüber, der immer noch mit seinem Spiegelbild beschäftigt war, und hätte beinahe laut gelacht. Sie hatte noch nie einen männlichen Beschützer gebraucht, und das würde sich auch jetzt nicht ändern.

„Du siehst doch gut aus“, beruhigte sie ihn. „Hör endlich auf, dir Sorgen zu machen. Denk einfach, dass du großartig aussiehst, und jeder wird das Gleiche denken.“

„Du hast leicht reden“, jammerte er. „Du hast bereits eine eigene Serie.“

„Ja, sie hatte ihre eigene Serie, und Tierleben war zurzeit die gefragteste in der Fernsehlandschaft. Ihre Rolle der Sassy Mirabel, einer heißblütigen, äußerst attraktiven Tierärztin, war Stadtgespräch. Aber von heute auf morgen konnte sie die Karriereleiter wieder hinabstürzen und würde wieder für zweitklassige Filmrollen vorsprechen müssen. Nur eine falsche Bewegung, etwas schlechte Publicity, und alles wäre aus.“

Für einen winzigen Moment zog sich bei diesem Gedanken ihr Magen schmerzhaft zusammen, und sie fühlte sich verletzlich und ungeschützt. So wie damals, als die Kinder sie ausgelacht hatten, als sie herausfanden, dass ihre Geschichten über Mom und Dad und einem Hund namens Tommy nur erfunden waren.

Doch dann verdrängte sie diese negativen Gedanken entschlossen. Sie war jetzt zweiunddreißig und keine sechs Jahre alt mehr. Sie hatte dazugelernt, und niemand konnte ihr den Erfolg nehmen. Dafür würde sie sorgen.

„Wir halten den Verkehr auf.“ Colleen wies mit dem Kopf auf die Schlange luxuriöser Wagen, die sich hinter ihnen gebildet hatte. „Steig aus, und versuche so glücklich wie möglich auszusehen.“

Lance brummte etwas und verließ den Wagen. Colleen übergab den Wagenschlüssel dem Boy und eilte dann zu Lance hinüber. Sie hakte sich bei ihm unter. „Lächle, Sonnyboy“, flüsterte sie. „Es ist Showtime.“

Während sie den blumengesäumten Weg zum Haus hinaufgingen, wurden sie von Fotografen umschwärmt.

„Hallo.“ Sie schenkte jedem ein strahlendes Lächeln und winkte.

Die Fotografen kamen direkt zur Sache.

„Würden Sie sich bitte dort drüben hinstellen, Colleen?“

„Schenken Sie Lance diesen besonderen Blick. Ja, genau so.“

„Lächeln.“

„Drehen Sie sich ein wenig zur Seite.“

Colleen drehte sich. Man fotografierte sie gern von der Seite, weil so ihre aufregenden Kurven besonders gut zu Geltung kamen. Colleen gehorchte ihnen gern.

Als ihr Körper sich in der Junior-Highschool langsam zu entwickeln begann, war sie bereit jedem Jungen eine Ohrfeige zu verpassen, der sie deswegen aufzog. Doch Tante Jess – Mom war zu dieser Zeit bereits gestorben – hatte nur gelacht. „Männer mögen volle Brüste und einen wohlgeformten Po“, hatte sie gesagt. „Zeig Ihnen deinen Körper, und sie vergessen, dass du auch noch ein Innenleben hast.“ Und sie hatte recht behalten.

„Colleen. Lance. Es freut mich, euch zu sehen.“ Trevor Madison stand am Portal seines museumsartigen Hauses. Irgendwie gelang es ihm, freudig überrascht zu klingen, obwohl es seine Party war, und er als ihr Agent auf ihrer Anwesenheit bestanden hatte. „Das wird gestimmt ein toller Abend, nicht wahr?“

Aber Colleen hatte keine Lust über diesen Abend zu reden. Für sie würde es eine Party wie jede andere werden. Stattdessen schaute sie Lance an. „Es wird Zeit, dass du dich unter das Volk mischst.“

„In Ordnung.“ Ohne zu widersprechen, lief Lance los und verschwand bald in der Menge der Starlets.

Colleen zog Trevor zur Seite, sodass sie halb von einer Kübelpalme verdeckt waren. „Hast du diesen Artikel in Worldwide News gelesen?“, fragte sie leise.

Trevor sah sie erstaunt an. „Ja, ich fand ihn großartig.“

„Du weißt, dass das eine Lüge ist.“

„Wann hat Worldwide jemals die Wahrheit erzählt?“

„Und was ist, wenn jemand die Story glaubt? Das könnte mich ruinieren.“

Trevor sah sie verwirrt an. „Wie?“

„Ich habe einen Ruf, auf den ich achten muss“, erklärte sie. „Meine Show ist darauf aufgebaut, und wenn die Leute glauben, dass ich …“

„Colleen, Darling. Wie geht es Ihnen? Ich habe Sie ja seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

Kalte Angst umklammerte plötzlich Colleens Herz, aber sie war zu diszipliniert, um sie zu zeigen. Sie drehte sich langsam um und maskierte sich mit einem Lächeln. „Cooper, wie nett, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?“

„Ich halte mich tapfer, Honey. Ich halte mich tapfer.“

Colleen wünschte sich, ans Ende der Welt laufen zu können, oder zumindest auf Tante Jess’ Veranda, auf der alles, was sie sich wünschte, wahr werden konnte. Aber Weglaufen war keine Lösung.

Mary Catherine Cooper war Reporterin für Worldwide News. Und nicht irgendeine, sondern die Reporterin schlechthin – sie besaß die Macht, einen Schauspieler zum Star zu machen oder seine Karriere zu ruinieren. Mittlerweile war es für sie zu einer Art Spiel geworden.

„Ihr neuer Freund ist wirklich niedlich.“ Cooper verzog die Lippen, es sollte wohl ein Lächeln sein.

„Ja“, erwiderte Colleen. „Lance Reece. Er spielt einen verwöhnten reichen Jungen in Central High.“ Colleen gab sich Mühe, all die Punkte zu berücksichtigen, die Trevor ihr und allen anderen Klienten beigebracht hatte. Erwähne immer den Namen, die Show des Schauspielers und füge dann noch etwas Nettes hinzu. „Er ist ein wirklicher Gentleman.“

„Wie schade.“ Coopers Haifischlächeln wurde breiter. „Ist er dann nicht ziemlich langweilig? Ich meine, für eine Frau mit Ihren Interessen …?“

Colleen zwang sich zu einem kehligen Lachen. Sie hatte schon schwierigere Situationen gemeistert. „Ja, aber ein Gentleman hat auch seine Vorteile.“ Colleen schwieg und sah Cooper an. „Sie folgen einem aufs Wort.“

Die Reporterin warf den Kopf zurück und lachte lauthals. So laut, dass die Leute um sie herum zu ihnen hinübersahen und zu lächeln begannen. Colleen wartete.

„Es ist zu sehen, dass Sie noch ganz die alte sind“, sagte Cooper nach einem Moment. „Wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht.“

„Sorgen um Colleen?“, warf Trevor ein.

„Nun, ein bestimmter Jemand hat gesagt, dass …“

„Und Sie glauben so einen Unsinn?“ Trevor winkte ab. „Wenn Sie die Wahrheit erfahren wollen, müssen Sie in Colleens Nähe bleiben.“

Colleen stockte der Atem. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht in Gegenwart dieser Cooper am ganzen Körper zu beben, und ihr Agent ermutigte auch noch diese hinterlistige Schlange, in ihrer Nähe zu bleiben?

„Wir haben etwas Großartiges geplant“, fuhr Trevor fort. „Colleen – oder sollten wir sagen Sassy Mirabel? – wird diesen Sommer auf eine Promotiontour in den Mittleren Westen gehen. Mit niemand anderem als …“ Er legte eine effektvolle Pause ein. „… Dr. Neal Sheridan.“

Neal Sheridan? Colleen starrte ihren Agenten ungläubig an. Nicht Neal Sheridan. Jeden anderen, aber nicht ihn.

Während Colleen noch versuchte, den Schock zu überwinden, lachte Cooper bereits laut. „Amerikas schärfster und attraktivster Tierarzt“, rief die Frau. „Du meine Güte! Was für ein Paar! Wir wollen nur hoffen, dass Colleen seinem Charme widerstehen kann.“

„Warum sollte ich seinem Charme widerstehen?“ Colleen sah die Reporterin mit dem unschuldigen Blick an, den sie so gut geübt hatte, und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Es hört sich doch so an, als wäre er der perfekte Partner für mich.“

Cooper lachte erneut. „Vielleicht. Aber ich glaube, er hat sogar mehr Herzen gebrochen als Sie.“

Colleen winkte ab. Das war die letzte ihrer Sorgen. „Glauben Sie mir, mein Herz ist in Sicherheit.“

„Ich werde an Ihre Worte denken.“

Das überhebliche Lächeln auf dem Gesicht der Frau ärgerte Colleen. Sie würde sich auf keinen Fall verlieben. Sie würde es nicht zulassen, dass irgendjemand eine so große Macht über sie ausübte.

„Können Sie sich tatsächlich vorstellen, dass ich mich verlieben könnte?“, fragte Colleen spöttisch. „Ich suche Spaß und keine Liebe für die Ewigkeit.“

Aber sie konnte nicht leugnen, dass Neal Sheridan ihr Sorgen machte. Er war ein ausgesprochen schöner Mann, männlich und vital, dazu noch intelligent. Ein Mann, der einer Frau wahrscheinlich nur durch einen Blick in die Augen bis ins Herz schauen konnte.

Und Liebe war nicht das schlimmste Geheimnis, das ein Frauenherz verbergen konnte.

Nick schaute auf den Teller mit Pfannkuchen, den die Kellnerin gerade gebracht hatte. Es war lange her, seit er das letzte Mal in einem Restaurant gefrühstückt hatte. Er würde einige Extrameilen laufen müssen, um diese Kalorien abzuarbeiten. Er goss Sirup über den Pfannkuchenturm und schnitt dann ein Stück davon ab.

„Es ist komisch, dich ohne Bart zu sehen“, bemerkte Neal. „Als wenn ich mich selbst betrachten würde. Ich habe vergessen, wie seltsam dieses Gefühl ist.“

Nick strich sich mit der Hand über die Haut. „Mein Kinn ist glücklicherweise nicht sehr viel blasser als meine übrige Gesichtshaut. Entweder hatte ich den dünnsten Bart der Welt, oder es ist gar nicht zehn Jahre her, seitdem ich ihn habe wachsen lassen.“

„Es kommt einem gar nicht so lange her, nicht wahr?“

„Doch, wie eine Ewigkeit.“ Nick lachte leise. Ein Lachen, das schnell erstarb.

Eine Ewigkeit und trotzdem war es, als wäre alles erst gestern gewesen. Er sah Donna, wie sie mit gerunzelter Stirn mit der Hand über seinen Bart fuhr und dann ihre Wange gegen seine rieb. Er hatte ihr angeboten, ihn wieder abzurasieren, aber sie meinte, dass er damit sehr intellektuell aussehen würde. Fast weise, hatte sie lächelnd gesagt.

„Es ist wohl besser, ich gebe dir meinen Hotelschlüssel, bevor ich es vergesse“, meinte Neal. „Meine Kleidungsstücke sind dort. Ich habe nur das Persönlichste mitgenommen.“

Nick legte die Gabel zur Seite und nahm zögernd den Schlüssel aus Neals Hand. In den zwanzig Stunden, die seit dem Telefongespräch mit seinem Bruder vergangen waren, hatte Nick ein Dutzend Gründe gefunden, warum er nicht an Neals Stelle reisen sollte. Er hatte sogar schon Neals Telefonnummer gewählt, um abzusagen, aber dann hatte er sich an die Wehmut in Neals Stimme erinnert, an die Sehnsucht nach Three Oaks, und rasch wieder aufgelegt. Trotzdem war das Ganze verrückt. Sicher, sie hatten bereits als Kinder die Rollen vertauscht, nur, dass sie jetzt keine Kinder mehr waren.

Autor

Andrea Edwards
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