Spanisches Feuer

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Funkelnde schwarze Augen, sinnliche Lippen: Der spanische Weingutbesitzer Luis de la Camera erregt die zierliche Sophie unglaublich. Aber die heißen Gefühle für den Mann ihrer Cousine Miranda bleiben Sophies Geheimnis. Erst nach Mirandas Unfalltod besucht Sophie Luis auf seiner Hazienda …


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757779
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Telefon klingelte genau im falschen Moment. Sophie, die gerade Tabellenkalkulation machte, stöhnte auf. Sie musste noch so viel durcharbeiten und war daher bereits seit dem Morgengrauen im Büro.

Normalerweise kam sie um acht und arbeitete so lange, wie es nötig war, denn niemand sollte ihr mangelndes Pflichtbewusstsein vorwerfen. An diesem Tag wollte sie aber ausnahmsweise einmal früh gehen, damit sie genügend Zeit hatte, sich für ein Rendezvous fertig zu machen – ein heißes Rendezvous mit Oliver Duncan, dem Inhaber ihres Konkurrenten, der Werbeagentur Duncan’s. Sie würde den Abend also mit einem der begehrtesten Junggesellen Londons verbringen.

„Ich habe doch gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte, Narell“, meldete sie sich gespielt streng, denn sie wusste, dass Narell die beste Assistentin der Welt war. Es musste sich daher um etwas Wichtiges handeln.

Narells Stimme klang allerdings gequält. „Dieser Mann lässt sich leider nicht abwimmeln. Er will unbedingt mit dir sprechen.“

Sophie schnitt ein Gesicht. „Aha, unbedingt. Ich weiß nicht, ob ich Männer mag, die so hartnäckig sind. Wer ist es denn?“

„Es ist …“ Narell räusperte sich. „Es ist Don Luis de la Camara.“

Luis.

Luis!

Sophie klammerte sich an den Schreibtisch, als würde ihr Leben davon abhängen. Es war verrückt, dass ihr der kalte Schweiß ausbrach, wenn sie nur seinen Namen hörte! Sie verspürte ein erregendes Prickeln. Und dann Schuldgefühle.

Was hatte Luis de la Camara nur an sich? Ihr war doch klar, was für ein Mann er war – oberflächlich, sexy und tabu für sie. Und nun pochte ihr Herz wie wild, obwohl sie normalerweise ruhig und vernünftig war. Sie dachte nicht mehr an Oliver, sondern sah den Furcht einflößendsten Mann vor sich, den sie je kennengelernt hatte.

Dann riss sie sich allerdings zusammen und fragte sich, warum der arrogante Spanier sie hier im Büro anrief und darauf bestand, mit ihr zu sprechen.

Sie verfluchte den Tag, an dem ihre Cousine ihn geheiratet hatte, und nickte widerstrebend. „Okay, Narell. Du kannst ihn durchstellen.“

„Gut.“

Nach einer kurzen Pause hörte Sophie die unverkennbare sinnliche Stimme von Luis de la Camara und spürte zu ihrem Leidwesen, wie sie errötete. Er ist verheiratet, rief sie sich ins Gedächtnis, und zwar mit deiner Cousine. Du verachtest ihn, falls du das vergessen haben solltest.

Sie hatte lernen müssen, ihn zu hassen. Es war viel besser, einen Mann zu hassen, als sich einzugestehen, dass er einen auf eine beängstigende Weise erregte und dies zudem völlig unpassend war. Und wie sollte eine Frau etwas anderes als Hass für einen Mann empfinden, der sie mit unverhohlenem Verlangen in den Augen ansah, und das nur wenige Tage vor der Hochzeit ihrer Cousine?

„Sophie?“

Luis sprach ihren Namen aus wie kein anderer – mit singendem Tonfall und einem leichten spanischen Akzent, die ihr stets eine Gänsehaut verursachten. Schnell schaltete sie die Sprechanlage aus und nahm den Hörer ab, damit der Klang seiner Stimme nicht den Raum erfüllte.

„Ja, das bin ich“, erwiderte sie forsch und legte ihren Stift weg. „Das ist wirklich eine Überraschung, Luis.“ Was für eine Untertreibung!

„Ja.“

Seine Stimme klang anders als sonst. Hart. Gequält. Und plötzlich hatte Sophie eine dunkle Vorahnung und erschauerte. „Was ist passiert?“, erkundigte sie sich ängstlich. „Warum rufst du mich bei der Arbeit an?“

Luis schwieg einen Moment, was ihr nur noch mehr Unbehagen verursachte, denn normalerweise zögerte er nicht. Es gab Männer, die nie um Worte verlegen waren, und Luis de la Camara war das beste Beispiel dafür.

„Was ist?“, flüsterte sie.

„Sitzt du?“

„Ja! Luis, um Gottes willen, sag es mir!“

Luis, der sich in einem anderen Land und in einer anderen Welt befand, zuckte zusammen. Er wusste nicht, wie er es ihr schonend beibringen sollte. „Es geht um Miranda“, begann er langsam. „Sophie, ich muss dir leider mitteilen, dass deine Cousine einen schrecklichen Unfall hatte. Sie … sie ist dabei ums Leben gekommen. Murio en un accidente de coche“, fügte er ungläubig hinzu, als würde er die schreckliche Wahrheit nur glauben, indem er die Worte in seiner Muttersprache wiederholte.

Sophie schrie auf. „Nein!“

„Es ist wahr“, bekräftigte er.

„Sie ist tot? Miranda ist tot?“, fragte sie, als könnte Luis es immer noch leugnen.

„Sì. Es tut mir leid, Sophie. Sehr leid.“

Ihr Magen krampfte sich zusammen. Miranda war tot? „Aber sie kann nicht tot sein!“, widersprach sie und schluchzte auf. Wie konnte eine schöne Frau von fünfundzwanzig plötzlich nicht mehr da sein? „Sag, dass es nicht wahr ist, Luis!“

„Glaubst du nicht, ich würde es tun, wenn ich könnte?“, meinte Luis, und seine tiefe Stimme klang beinah sanft, als er fortfuhr. „Sie ist heute Morgen bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“

„Nein.“ Sophie schauderte und schloss die Augen. Dann kam ihr ein noch schrecklicherer Gedanke, und sie öffnete die Augen wieder. „Was ist mit Felipe?“, rief sie, und ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie an ihren süßen kleinen Neffen dachte. „Er … er war doch nicht bei ihr, oder?“

„So früh am Morgen? Nein, Sophie, er war nicht bei ihr. Mein Sohn lag im Bett und schlief tief und fest.“

„Gott sei Dank!“, flüsterte sie, und während tiefer Schmerz sie überkam, dachte sie über seine Worte nach.

Wenn Felipe im Bett gelegen und geschlafen hatte, wo war Miranda dann in den frühen Morgenstunden gewesen? Und warum war Luis nicht verletzt? Es sei denn … es sei denn, er war es. „Bist du auch verletzt, Luis?“, fragte Sophie mit bebender Stimme.

In der klimatisierten Hazienda verspannte Luis sich, und seine Miene versteinerte. „Ich war nicht im Wagen“, antwortete er schroff.

Obwohl sie noch immer unter Schock stand, runzelte Sophie verwirrt die Stirn. Warum nicht?, überlegte sie. Warum war Miranda so früh am Morgen ohne ihre Familie unterwegs gewesen?

Sophie ballte die freie Hand zur Faust. Nach dem Warum zu fragen wäre in dieser Situation völlig unpassend gewesen. Sicher trauerte Luis um seine Frau, auch wenn es keine Liebesheirat und ihre Ehe nicht glücklich gewesen war. Miranda, die Mutter seines Sohnes, hatte ein tragisches Ende gefunden, und für ihn war eine Welt zusammengebrochen, ungeachtet dessen, was vorher passiert war.

Ihre Gefühle für ihn spielten in einer Zeit wie dieser keine Rolle. Sie, Sophie, musste ihm Mitgefühl entgegenbringen.

„Es … es tut mir so leid“, erklärte sie steif.

„Danke“, erwiderte Luis ausdruckslos. „Ich habe dich angerufen, weil ich es dir selbst sagen wollte und du es nicht von der Polizei erfahren solltest. Außerdem wollte ich dich fragen, ob ich deine Großmutter anrufen soll …“

Seine Worte erinnerten sie an eine schwere Aufgabe, die vor ihr lag, nämlich ihrer alten und gesundheitlich angeschlagenen Großmutter die traurige Nachricht zu überbringen. Sophie atmete gequält ein. Sie war froh, dass die Eltern ihrer Cousine nicht mehr miterleben mussten, was dieser zugestoßen war. War nicht der viel zu frühe Tod eines Kindes das Schlimmste, was Eltern widerfahren konnte, auch wenn die beiden sich nie besonders um Miranda gekümmert hatten?

Die beiden waren leidenschaftliche Globetrotter gewesen und hatten die ganze Welt bereist, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. Eines Tages waren sie mit einem kleinen Flugzeug in den Bergen abgestürzt. Miranda war damals siebzehn gewesen und hatte bald danach begonnen, so zu leben, als würde es kein Morgen geben.

Und nun würde es für sie nie wieder ein Morgen geben.

„Nein“, brachte Sophie hervor, während sie mit den Tränen kämpfte. „Ich werde es meiner Großmutter selbst sagen, und zwar persönlich. Es wird leichter sein …“ Sie schluckte mühsam. Auf keinen Fall würde sie die Fassung verlieren, wenn Luis gewissermaßen dabei war. „Es wird weniger schlimm für sie sein, wenn ich ihr die Nachricht überbringe.“ Außerdem würde sie versuchen, sich mit ihren Eltern in Verbindung zu setzen, die sich gerade eine Kreuzfahrt auf einem Luxusliner gönnten.

„Bist du sicher?“, erkundigte sich Luis.

„Ja.“

„Es wird … schwer sein“, meinte er, und seine Stimme klang ungewöhnlich sanft. „Sie ist jetzt eine alte Frau.“

Sophie riss sich zusammen, um nicht auf seinen Tonfall zu reagieren. Es war sehr wichtig, dass sie für seinen Charme unempfänglich blieb. „Es ist nett, dass du dir Gedanken darum machst“, bemerkte sie kühl.

„Natürlich. Sie gehört doch zur Familie. Was hattest du denn erwartet, Sophie?“

Ja, was hatte sie erwartet? Sophie wusste es nicht, und sie überlegte, wie er ihr in dieser Situation eine solche Frage stellen konnte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihre geliebte Miranda einen so sinnlosen Tod sterben und ihr Neffe ohne Mutter aufwachsen könnte, noch dazu so weit entfernt von seinem Heimatland.

Felipe.

Allein der Gedanke an ihn veranlasste sie, ihren Kummer zu verdrängen und zu handeln. „Wann … wann ist die Beerdigung?“

„Am Montag.“

Damit hatte sie drei Tage Zeit.

„Ich komme. Ich fliege am Sonntag.“

Entsetzt stellte Luis fest, dass er ein gewisses Gefühl des Triumphs und gleichzeitig einen schmerzhaften Stich verspürte, weil er Sophie bald wieder sehen würde. Er verfluchte seinen Körper, der so verräterisch reagierte. „Ruf mich zu Hause oder im Büro an, und sag mir Bescheid, wann du landest“, erklärte er angespannt. „Du wirst nach Madrid und von dort aus nach Pamplona fliegen müssen. Ich lasse dich vom Flughafen abholen. Hast du verstanden?“

„Danke.“ Ihr fiel auf, wie beherrscht Luis klang, bis sie sich ins Gedächtnis rief, dass er immer so war und auch immer das Sagen hatte.

„Adios, Sophie“, sagte er leise.

Mit zittriger Hand legte sie den Hörer auf. Erst dann wurde ihr das ganze Ausmaß der Tragödie bewusst. Starr blickte sie auf die Wand vor sich und war völlig durcheinander, als sie an Miranda dachte.

Ihre arme Cousine war mutterseelenallein in einem fremden Land gestorben! Die arme, süße Miranda. Viele Frauen hatten sie allein deswegen beneidet, weil sie mit einem so begehrenswerten Mann verheiratet gewesen war. Mit einem Mann, von dem sie einen Sohn bekommen hatte, dessen Geld sie mit vollen Händen ausgegeben hatte, der sie aber nie wirklich geliebt hatte.

Einem Mann, in dessen dunklen Augen ein sehr sinnlicher Ausdruck lag. Sophie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er Miranda lange nach der Hochzeit treu gewesen war. Sie hatte die unmissverständliche Aufforderung ignoriert, die darin lag, weil sie Miranda liebte. Dass andere Frauen ähnliche Skrupel gehabt hatten, bezweifelte sie.

Und nun würde ein kleiner Junge ohne seine Mutter aufwachsen.

Ihr Blick fiel auf das Foto in dem Silberrahmen, das auf ihrem Schreibtisch stand. Sie nahm es in die Hand, um es zu betrachten.

Es zeigte Felipe und war vor wenigen Wochen entstanden, kurz vor seinem ersten Geburtstag. Er war ein süßes Kind, sah seiner blonden Mutter allerdings überhaupt nicht ähnlich, sondern vielmehr seinem Vater. Und während sie ihn betrachte, tauchte vor ihrem geistigen Auge dessen attraktives, markantes Gesicht auf.

Funkelnde schwarze Augen, gesäumt von geradezu sündhaft dichten, langen Wimpern, und Haar, so dunkel wie die mondlose Nacht, in der sie Luis zum ersten Mal begegnet war. Damals war sie in dem Feinkostladen am Ende ihrer Straße mit ihm zusammengestoßen, und er war erstarrt und hatte sie eindringlich angeblickt, als würde er sie von irgendwoher kennen und seinen Augen nicht trauen.

Ihr war es genauso ergangen. Einen Moment lang hatte ihr Herz wie wild gepocht, und sie hatte ein übermächtiges Verlangen verspürt. So etwas passierte abgeklärten Großstadtfrauen normalerweise nicht.

Kann man sich wirklich im Bruchteil einer Sekunde verlieben?, fragte Sophie sich nun hilflos, während sie seine stolzen, aristokratischen Züge in Felipes Gesicht wieder erkannte, auf die sie scheinbar ihr Leben lang gewartet hatte.

Sie hatte beobachtet, wie seine Augen dunkler wurden, eine leichte Röte seine Wangen überzog und Luis die sinnlichen Lippen unbewusst öffnete. Als er sie dann mit der Zunge befeuchtete, stellte sie sich vor, wie es wäre, seine Zunge überall zu spüren …

Bisher hatte noch kein Mann sie so unverschämt gemustert. Er will mich, ging es ihr durch den Kopf. Und ich will ihn auch. Unwillkürlich fragte sie sich, ob sie ihm widerstehen könnte, wenn er sie berührte, und überlegte gleichzeitig, ob sie den Verstand verloren hatte.

Im nächsten Moment erschien Miranda, eine Flasche Champagner in der Hand, und blickte sie überrascht an. „Sophie! Du meine Güte!“, rief sie und sah zu ihm auf, ohne das Knistern zu bemerken. „Das ist ja ein Zufall! Wir wollten dich gerade besuchen, nicht, Schatz?“

Schatz?

Sophie verspürte einen schmerzhaften Stich, der mehr verriet als nur Enttäuschung, und beobachtete benommen, wie ihre Cousine besitzergreifend den Arm dieses großen, dunkelhaarigen Mannes mit den funkelnden Augen und den sinnlichen Lippen berührte.

„Wollt ihr … wollt ihr etwas feiern?“, erkundigte sie sich. Und im selben Augenblick wurde ihr klar, was die beiden feierten.

„Klar! Sophie, ich möchte dir Don Luis de la Camara vorstellen“, verkündete Miranda stolz und blickte in das Gesicht ihres Begleiters, das nun verschlossen wirkte. „Luis, das ist meine Cousine, Sophie Mills.“

„Deine Cousine?“, wiederholte er stirnrunzelnd, und seine Stimme klang sehr verführerisch. Der verlangende Ausdruck in seinen Augen war sofort verschwunden, und Sophie hatte das bedauernde Schulterzucken bemerkt, wohl wissend, dass Don Luis de la Camara sie nie wieder so ansehen würde. Als Cousine seiner zukünftigen Frau war sie für ihn tabu. Allerdings würde ein Mann wie er auch nicht davor zurückschrecken, wenige Tage vor seiner Hochzeit etwas mit einer anderen Frau anzufangen, so viel war ihr klar, und Sophie hasste ihn dafür.

„Na ja, wir haben immer die Ferien zusammen verbracht. Also sind wir eigentlich eher wie Schwestern.“ Miranda hatte ihr strahlendes, ansteckendes Lächeln gelächelt. „Wir heiraten, Sophie! Ist das nicht wundervoll? Luis hat mich gebeten, ihn zu heiraten.“

Sophie schauderte, als sie sich daran erinnerte, wie eifersüchtig sie in jenem Moment gewesen war. Auf die eigene Cousine eifersüchtig zu sein! Doch sie hatte sich ein Lächeln abgerungen, Miranda umarmt und Luis die Hand gegeben und dabei ein erregendes Prickeln verspürt. Er hob daraufhin ihre Hand an die Lippen gehoben, eine altmodische Geste, die zu ihm passte, da er ja ein spanischer Adliger war, und seine Augen funkelten spöttisch und herausfordernd zugleich.

Danach gingen sie in ihre Wohnung und stießen mit dem Champagner an. Doch während Miranda vor Lebensfreude nur so sprudelte, saß Luis ruhig da und wählte seine Worte sorgfältig, wenn er etwas sagte. Dabei schien er einerseits in ihre Welt zu gehören und wirkte dort andererseits völlig fehl am Platz. Denn er gehört Miranda, hatte sie sich ins Gedächtnis gerufen.

Energisch verdrängte Sophie die unliebsamen Erinnerungen und zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren und sich auf das Kind auf dem Foto zu konzentrieren. Felipes Gesicht hatte noch etwas Unschuldiges und ließ wenig von dem unbeugsamen Charakter seines Vaters erkennen.

Sie fragte sich, was jetzt wohl mit Felipe passieren mochte und ob sein Vater zulassen würde, dass die Erinnerung an seine Mutter immer mehr verblasste. Nachdenklich biss sie sich auf die Lippe. Würde er ihm je die Gelegenheit geben, etwas über seine Mutter und ihr Heimatland zu erfahren?

Plötzlich überwog ihr Pflichtgefühl ihre Besorgnis. Luis wird ihn uns nicht ganz wegnehmen, schwor sich Sophie. Ich werde darum kämpfen, ihn kennenlernen zu dürfen, als wäre er mein Sohn! Und er wird mich auch kennenlernen. Mit zittriger Hand drückte sie auf den Knopf der Sprechanlage und bat Narell, ihr einen Flug nach Spanien zu buchen.

Anschließend wusch sie sich das Gesicht, kämmte sich und rief Liam Hollingsworth zu sich ins Büro.

Als er sie sah, erschrak er. „Was hast du denn gemacht?“, erkundigte er sich. „Geht es dir gut?“

„Nein, nicht besonders“, erwiderte sie mit bebender Stimme.

„Verdammt, Sophie, was ist los? Was ist passiert?“

„Meine Cousine Miranda …“, begann sie. „Sie … ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich … ich muss zu meiner Großmutter fahren und ihr die Nachricht überbringen …“

„Oh mein Gott!“

„Und dann … muss ich zur Beerdigung nach Spanien fliegen.“

„Oh, Liebes!“ Sofort kam Liam um den Schreibtisch herum zu ihr und betrachtete sie besorgt, als sie zu weinen begann.

„Oh Liam!“, brachte Sophie hervor und schluchzte.

„Komm her“, meinte er sanft und nahm sie in die Arme.

Sie weinte noch ein bisschen, doch nach einer Weile löste sie sich von ihm und ging zum Fenster. Starr blickte sie hinaus. Es schien ihr, als wäre nichts mehr wie vorher. „Ich kann es immer noch nicht fassen“, sagte sie ausdruckslos.

„Wie ist es denn passiert?“, fragte er.

„Ich weiß nicht sehr viel. Nur dass sie einen Autounfall hatte. Ich war zu … schockiert, um mich nach den Einzelheiten zu erkundigen, schätze ich.“

„Und wie hast du es erfahren?“

„Ihr Mann Luis … Er hat mich aus Spanien angerufen, um es mir zu erzählen.“

Liam runzelte die Stirn. „Das ist doch dieser Millionär – der Mann, den du nicht ausstehen kannst, oder?“

„Genau der“, bestätigte sie angespannt und dachte daran, wie vielschichtig die Wahrheit war.

„Und wann ist die Beerdigung?“

„Am Montag. Ich fliege am Sonntag hin.“ Sie seufzte. „Oh Liam, ich weiß nicht, ob ich das ertragen kann.“

Er nickte verständnisvoll. „Na ja, es wird nicht einfach sein. Aber danach werdet ihr euch nie wieder sehen.“

Sophie schüttelte den Kopf. „So einfach ist es leider nicht. Ich wünschte, das wäre es. Ich kann Luis nicht einfach aus meinem Leben verbannen, so gern ich es auch täte. Vergiss nicht, dass er der Vater meines Neffen ist. Ich bin es Miranda und Felipe schuldig …“ Die Worte schienen aus ihrem tiefsten Inneren zu kommen. „… um ihn zu kämpfen.“

Starr blickte er sie an. „Um ihn zu kämpfen?“, wiederholte er. „Du meinst doch nicht etwa, dass du das Sorgerecht für ihn beantragen willst, oder? Du hättest nicht die geringste Chance, es zu bekommen. Nicht wenn dieser Luis so reich und mächtig ist, wie du sagst. Außerdem ist er der Vater.“

Müde rieb sie sich die Schläfen. „Ich weiß nicht, was ich meine. Ich weiß nur, dass ich nach Spanien fliegen muss. Um Felipe zu zeigen, dass er Verwandte hat und er uns nicht egal ist.“

„Und nach der Beerdigung? Kommst du dann gleich zurück?“

Sophie sah ihn an. „Keine Ahnung. Aber ich werde trotzdem etwas arbeiten, denn ich nehme meinen Laptop mit. Und ihr werdet sicher eine Weile ohne mich auskommen, nicht?“

„Natürlich werden wir das“, erwiderte Liam leise. „Wir werden dich nur vermissen, das ist alles.“

„Danke“, flüsterte sie und begann, ihre Aktentasche zu packen.

Liam und sie kannte sich schon sehr lange. Sie hatten sich an der Universität kennengelernt und festgestellt, dass sie beide denselben Sinn für Humor und dasselbe Ziel hatten – viel Geld zu verdienen, ohne dabei den Spaß am Leben zu verlieren. Und so hatten sie irgendwann die Werbeagentur Hollingsworth-Mills gegründet. Da sie ihre Arbeit beide mit großer Begeisterung machten und junge Mitarbeitern mit ähnlichen Zielen eingestellt hatten, stellte sich nun ein unvorhergesehener Erfolg ein.

Doch was spielte das zu einem Zeitpunkt wie diesem für eine Rolle?

Da sie zu aufgewühlt war, um selbst fahren zu können, nahm Sophie den Zug nach Norfolk. Das Herz war ihr schwer, als sie den Weg zu dem Cottage ihrer Großmutter entlangging, in dem Miranda und sie stets einen Teil ihrer Sommerferien verbracht hatten. Sie waren meilenweit an den langen, leeren Stränden in der Nähe gelaufen, auf Bäume geklettert und hatten die Enten auf dem Teich mit Brotkrumen gefüttert.

Und sie, Sophie, hatte beobachtet, wie Miranda immer schöner wurde. Hatte selbst erlebt, was für eine Macht Miranda damit über die Männer ausübte …

Sophie läutete die altmodische Türglocke und hoffte, sie würde die richtigen Worte finden, um ihrer Großmutter die traurige Nachricht zu überbringen.

Felicity Mills war allerdings schon fast achtzig und hatte in ihrem Leben viel erlebt. „Schlechte Neuigkeiten“, sagte sie ausdruckslos, nachdem sie ihr ins Gesicht geblickt hatte.

„Ja. Es geht um Miranda …“

„Sie ist tot“, erklärte ihre Großmutter steif. „Stimmt’s?“

„Woher hast du das gewusst?“, flüsterte Sophie eine ganze Weile später, nachdem ihre Großmutter und sie gemeinsam geweint und etwas Trost in den alten Fotos von Miranda als Baby, Kleinkind und anderen Phasen des Lebens gesucht hatten. Nur ihr Hochzeitsfoto hatte sie nicht lange betrachten können, denn der Anblick von Luis’ Gesicht verursachte ihr Gewissensbisse. „Woher?“, wiederholte sie.

„Ich kann es nicht erklären“, erwiderte ihre Großmutter seufzend. „Ich habe nur in dein Gesicht gesehen und wusste Bescheid. Außerdem war es in gewisser Weise unvermeidlich. Miranda ist der Sonne immer zu nahe gekommen, und es war klar, dass sie sich eines Tages verbrennen würde.“

„Aber wie kannst du es einfach so hinnehmen?“

„Wie könnte ich es nicht? Ich habe den Krieg miterlebt, mein Schatz. Was man nicht ändern kann, muss man eben akzeptieren.“

Sophie drückte ihr die Hand. „Kann ich irgendetwas für dich tun, Granny?“

Ihre Großmutter schwieg eine Weile und sah sie starr an. „Ja, es gibt etwas“, antworte sie schließlich. „Allerdings weiß ich nicht, ob es geht. Ich bin zu alt und gebrechlich, um zur Beerdigung nach Spanien zu fliegen – aber ich würde Felipe gern noch einmal sehen, bevor ich sterbe.“

Die Kehle war ihr plötzlich wie zugeschnürt, und Sophie schluckte. Sicher war das unter diesen Umständen nicht zu viel verlangt, nicht einmal von Luis. „Dann werde ich ihn dir bringen“, erwiderte sie mit bebender Stimme. „Das verspreche ich dir.“

„Vielleicht erlaubt Luis es ja nicht.“

In Sophies Augen schimmerten Tränen. „Er muss es einfach, Granny.“

„Einfach wird es nicht sein, Sophie. Du weißt, wie besitzergreifend er bei Felipe ist und was für ein Mann er ist. Nur wenige Menschen würden es wagen, ihn zu verärgern.“

„Dazu wird es hoffentlich nicht kommen“, erklärte Sophie und blickte sie dann verwirrt an. „Hasst du ihn nicht, Granny? Dafür, dass er Miranda so unglücklich gemacht hat.“

„Zum Glücklichsein gehören immer zwei“, meinte ihre Großmutter langsam. „Und Hass ist die reinste Zeitverschwendung. Was würde es nützen, wenn ich den Vater meines Urenkels hassen würde?“

Doch wenn sie, Sophie, Luis nicht hasste, was würde ihr dann bleiben? Eine überwältigende Anziehungskraft, die hoffentlich nicht mehr so stark war. Schließlich hatte sie ihn kurz nach Felipes Taufe zuletzt gesehen, als er mit Miranda und Felipe nach England gekommen war. Und damals hatte sie ganz bewusst Abstand zu ihm gehalten, allerdings seinen Blick ständig auf sich gespürt. Sie hatte überlegt, ob er sein Treuegelübde bereits gebrochen hatte, und ihre Cousine irgendwann gefragt, ob etwas nicht stimmen würde.

Diese hatte lediglich die Schultern gezuckt. „Ach, Luis hätte eine sanftmütige Spanierin heiraten sollen, die das Haus nicht verlässt“, hatte sie bitter gesagt. „Offenbar kann er nichts mit einer Frau anfangen, die sich in der Pampa nicht wohlfühlt.“

Als das Flugzeug am Sonntagabend in Pamplona landete, herrschte immer noch drückende Hitze. Sophie eilte durch den Zoll und ließ den Blick durch die Ankunftshalle schweifen. Sie rechnete damit, einen Chauffeur mit einem Schild zu sehen, auf dem ihr Name stand. Stattdessen sah sie Luis. Er überragte alle anderen Männer und zog noch immer die Blicke aller Frauen auf sich. Nein, er hatte sich überhaupt nicht verändert. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Offenbar war Don Luis de la Camara gekommen, um sie selbst abzuholen.

2. KAPITEL

Luis beobachtete, wie Sophie in der Ankunftshalle auf ihn zukam und viele Männer sich nach ihr umdrehten, was sie jedoch nicht zu merken schien. Die Spanier mochten nun mal blonde, hellhäutige Frauen, auch wenn sie nicht so aufreizend aussah, wie ihre Cousine es getan hatte.

Er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte. Sie trug ein Sommerkleid, das ihre schlanken Beine zur Geltung brachte, und darüber eine Jacke. Deutlich erinnerte er sich an seine erste Begegnung mit ihr. Mit ihrer natürlichen Schönheit und Anmut und ihrem Sex-Appeal, der ihr selbst nicht bewusst war, hatte sie seine Fantasie angeregt. Sofort war heftiges Verlangen in ihm aufgeflammt, und er hatte sich dafür verachtet, weil er es niemals würde stillen können.

Schließlich stand sie vor ihm. In ihren blauen Augen lag ein grimmig-entschlossener Ausdruck.

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr.

Sharon träumte davon, Journalistin zu werden, doch...
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