Sturm des Begehrens

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Eingeschneit mit einem Traummann: Als die schöne Cassidy geschäftlich nach Montana reist, um eine Unterschrift von Jake Hunter zu bekommen, bricht ein Blizzard los. Alle Flüge werden gestrichen, und Cassidy bleibt. Ein gemütliches Feuer im Kamin, Gespräche - und unerwartete Leidenschaft … Doch kaum ist der Sturm vorbei, reist sie ab, mit einem süßen Geheimnis im Gepäck! Sie spürt, dass Jake seine Einsamkeit liebt. Vierzehn Monate später muss sie erneut nach Montana. Und abermals tobt ein Schneesturm übers Land und zwingt sie, bei Jake zu bleiben …


  • Erscheinungstag 15.11.2016
  • Bandnummer 1950
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723187
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wenn Boston nach Montana kommt, ist das nie gut.“ Stirnrunzelnd sah Jake in die Ferne.

„Du warst immer zu hart zu deiner Mutter.“

Jake wandte sich zu dem älteren Mann um, der neben ihm stand. Mit seinen fünfundsiebzig Jahren stand Ben Hawkins nicht mehr so aufrecht da wie früher. Aber sein schlohweißes Haar war noch immer voll, seine Haut von den vielen Jahren der Arbeit unter freiem Himmel wettergegerbt, seine blauen Augen blickten durchdringend.

„Und du warst immer zu nachgiebig.“

Ben zuckte mit den Achseln und lächelte ein wenig schief. „Sie ist meine Tochter.“

„Wohl wahr.“ Jake nickte. „Spielt keine Rolle. Wenn alles so läuft wie versprochen, wird dies das letzte Mal sein, dass Boston hier wegen irgendetwas anderem als einem Familienbesuch vorbeikommt.“

„Und du bist dir wirklich sicher bei der ganzen Sache?“ Ben zog den Kragen seines Mantels höher, um sich vor dem kalten Herbstwind zu schützen. „Ich meine nur … das, was du vorhast, kannst du nicht mehr rückgängig machen. Mit deiner Unterschrift verzichtest du auf alle Rechte an dem Unternehmen, das deine Familie aufgebaut hat.“

„Oh ja“, versicherte ihm Jake, „ich bin mir dessen vollends bewusst. Aber es war nur eine Frage der Zeit, Granddad.“ Er schüttelte den Kopf. „Hunter Media hat nichts, was ich will. Hat es niemals gehabt.“

Und er wusste genau, wie sehr seine Mutter darüber verärgert war. Sie hatte immer fest damit gerechnet, dass Jake einmal das Unternehmen übernehmen würde, das die Familie ihres Mannes aufgebaut hatte. Die Tatsache, dass Jake sich niemals wirklich dafür interessierte hatte, spielte bei ihren Plänen keinerlei Rolle. Elise Hawkins war vieles, aber vor allem war sie eines: entschlossen.

Ben ließ ein schnaubendes Lachen ertönen. „Du warst schon immer ein Starrkopf.“

„Ich bin nicht starrköpfig.“ Jake atmete tief ein, genoss die kalte Luft, die in seinen Lungen stach. „Ich weiß einfach, was ich will. Wusste es schon immer.“

Sein Blick wanderte über die Ranch, die er so liebte. Dieser Ort war sein Trost- und Zufluchtsort gewesen; damals, als er als Kind seine Sommerferien hier verbracht hatte – und nach seiner Rückkehr als Erwachsener, direkt nachdem er die Army verlassen hatte.

Oktober in den Bergen von Montana war ein wahres Spektakel. Als ob die Natur noch einmal eine ganz besondere Show bieten wollte, bevor sich der Winter mit seiner Eiseskälte über alles legte. Die Bäume verwandelten sich in ein farbiges Blättermeer aus leuchtendem Gold, Orange und Rot. Dunkle Wolken rasten über den Himmel, der so unendlich und blau war, dass einem die Augen wehtaten. Von der Koppel und aus der Halle drangen die Geräusche der Pferde und der Männer, die mit ihnen arbeiteten. Und zu Füßen des großen Ranchhauses, das Jake gebaut hatte, breitete sich der Whitefish Lake aus, saphirblaues Wasser, umgeben von großen Kiefern, die sich sanft im Wind beugten.

Dieser Anblick erzeugte eine tiefe Ruhe in Jake und berührte die dunklen Stellen in seinem Innersten, ganz genauso, wie es auch bei seinem ersten Besuch als Kind gewesen war. Schon damals hatte Jake gewusst, dass dies hier sein Ort war. Nicht Boston, wo seine Familie ihr kleines Imperium errichtet hatte und wo er zur Welt gekommen war. Sondern hier auf dem Berg, auf dem sein Großvater sich ein Leben aufgebaut hatte, dass Jakes Seele auf eine Weise berührte, wie nichts anderes es jemals getan hatte.

„Nein“, murmelte er, ohne den Blick vom See unter ihm abzuwenden. „Boston kann mir nichts bieten, was es mit diesem Ort aufnehmen kann.“

Ben nickte zustimmend. „Deine Mutter hat diese Verbindung mit dem Land, wie du und ich sie spüren, nie gefühlt.“

Diese Feststellung ließ Jake schmunzeln. Vielleicht übersprang die Liebe zum Land ja eine Generation, wer wusste das schon. Die Ranch war seit über hundert Jahren im Besitz von Bens Familie und ging stets an das älteste Kind über, um fortzuführen, was die Hawkins aufgebaut hatten, seitdem die ersten Siedler in Montana Fuß gefasst hatten. Nun, zumindest bis zu seiner Mutter, berichtigte Jake sich in Gedanken.

Elise Hawkins Hunter hatte sich auf der Ranch nie wohlgefühlt. Obwohl sie hier geboren und aufgewachsen war, hatte sie bei der ersten Gelegenheit die Flucht ergriffen. Auf dem College in Boston lernte sie Jakes Vater kennen, heiratete ihn wenig später und fand sich rasch in ihrem neuen Leben zurecht, von dem sie immer geträumt hatte. Kein frühes Aufstehen, um die Tiere zu versorgen. Kein immer gleicher Tagesablauf. Keine völlige Abgeschiedenheit, wenn die Ranch mal wieder eingeschneit war.

Sie war regelmäßig zur Ranch gekommen, um ihre Eltern zu besuchen, und hatte Jake und seine Schwester jeden Sommer für einige Wochen hergeschickt. Aber Boston war ihre Heimat, so wie die Ranch es nie gewesen war.

Elise konnte noch immer nicht verstehen, wie Jake sich gegen Wohlstand und Kultiviertheit und für ein Leben voll harter Arbeit und weiter, leerer Landschaften entscheiden konnte. Aber Jake besaß sein eigenes Geld – ein kleines Vermögen, das er sich durch kluges Investment und gut gewählte Risiken aufgebaut hatte. Es gab für ihn keinen Grund, sich an Hunter Media zu ketten und auf seine Anteile dort zu beharren.

Seine Mutter würde die Entscheidung vielleicht niemals verstehen können, aber immerhin hatte sie sie schließlich akzeptiert.

„Wann kommt sie denn nun, diese Assistentin deiner Mutter?“

Jake warf seinem Großvater einen Blick zu. „Irgendwann heute, und wenn wir Glück haben, ist sie morgen schon wieder auf dem Rückweg nach Boston.“

„Eine echte Schande, jetzt fliegt sie den ganzen Weg her für Papiere, die du auch hättest faxen können.“

„Du kennst doch Mom. Eine Pedantin eben.“ Jake schüttelte den Kopf und sprang vom Zaun herunter, sodass seine abgetragenen braunen Stiefel im weichen Boden der Koppel versanken. „Sie will die Papiere notariell beglaubigt haben, und ihre Assistentin ist Notarin.“

„Praktisch“, sagte Ben. „Aber ja, deine Mutter war immer extrem gründlich.“ Gründlich. Und starrköpfig. Ein Teil von Jake glaubte noch immer nicht daran, dass seine Mutter ihr Vorhaben, ihn nach Boston zurückzuholen, aufgegeben hatte. Aber eigentlich spielte es auch keine Rolle, ob sie aufgegeben hatte oder nicht. Er würde nirgendwohin gehen. Montana war seine Heimat. Sein Zufluchtsort. Und er wäre verdammt, wenn er dies aufgeben würde.

Cassidy Moores Hände schmerzten höllisch nach einer Stunde des verzweifelten Ans-Lenkrad-Klammerns. Einen Berg hinaufzufahren war qualvoller, als sie gedacht hatte. Vielleicht wäre es nicht ganz so schlimm gewesen, wenn die schmale Straße gerade gewesen wäre, anstatt sich in andauernden Kurven mit abrupten Neunzig-Grad-Knicks in die Höhe zu schlängeln. Leider waren diese Kurven aber nun mal da, genauso wie der steile Abhang zu ihrer Linken.

Hätte sie gewusst, was sie auf dieser Fahrt erwartete, dann hätte sie wahrscheinlich versucht, sich am Flughafen in Kalispell einen Panzer zu mieten statt der Limousine mit Allradantrieb, die sie jetzt fuhr.

„Andererseits“, murmelte sie vor sich hin, „hätte ein Panzer vermutlich niemals auf diese Straße gepasst.“

War es den Leuten, die diese Straße zu verantworten hatten, nicht in den Sinn gekommen, sie nur ein klein wenig breiter zu machen? Jedes Mal, wenn ihr ein anderes Auto entgegenkam, sah Cassidy den tödlichen Zusammenstoß im Geiste schon vor sich. Das Einzige, was man dieser Fahrt zugutehalten konnte, war die Tatsache, dass sie nicht mitten im Winter stattfand. Wie sollte man hier nur lebend runterkommen, wenn auch noch Schnee lag?

Allein der Gedanke verursachte ihr eine Gänsehaut. Unter normalen Umständen hätte ihr eine Fahrt durch die Berge vermutlich Freude gemacht, mit der Aussicht auf das wunderschöne farbige Herbstlaub auf beiden Seiten. Aber der Gedanke an den drohenden Tod durch Autounfall nahm dem Ganzen irgendwie den Spaß.

Cassidy war hier weit entfernt von allem, was ihr vertraut war, das wusste sie ganz genau. Geboren und aufgewachsen in Boston, hatte sie es in ihrem Leben maximal bis an die Grenze von Massachusetts geschafft. Sie war überfüllte Autobahnen gewohnt, verstopfte Straßen und Ampeln an jeder Ecke. In ihrer Welt warfen Wolkenkratzer lange Schatten auf die Straßen und erzeugten so dunkle Canyons mitten in der Stadt. Der Lärm zahlloser Autohupen sorgte dafür, dass es niemals still wurde.

Egal, es würde schon schiefgehen. Sie war nur für eine einzige Nacht hier, und morgen würde sie wieder im Flugzeug sitzen, die unterschriebenen Papiere für ihre Chefin in der Tasche.

Sie verließ die enge Straße und folgte einer geschotterten Auffahrt eine steile Anhöhe hinauf. Als sie das Blätterdach der Bäume hinter sich gelassen hatte, hielt sie abrupt an, stellte den Motor aus und starrte ungläubig auf das, was vor ihr lag.

Mein Sohn weigert sich, seine kleine Ranch zu verlassen, hatte ihre Chefin gesagt. Daher müssen Sie zu ihm fahren und die Papiere unterzeichnen lassen.

Kleine Ranch.

Kopfschüttelnd stieg Cassidy aus dem Auto, wobei ihre hohen Absätze bedenklich tief im Schotter versanken. Wie in Zeitlupe drehte sie sich einmal um die eigene Achse und ließ ihren Blick über die Umgebung wandern, bis sie schließlich wieder bei der „kleinen Ranch“ angelangt war. Es gab wirklich nichts, was daran klein war. Zugegeben, die einzigen Erfahrungen, die Cassidy wirklich zum Vergleich heranziehen konnte, entstammten dem Fernsehprogramm. Aber dies hier war keine normale Ranch. Jake Hunters Heim war ein wahrer Palast!

Das Haupthaus war zwei Stockwerke hoch und vollständig aus Holz und Glas errichtet, mit Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und den Blick auf den See und die Landschaft ungehindert freigaben. Eine Gruppe Kiefern stand dichtgedrängt am Haus. Weitere kleinere Gebäude waren über das Gelände verteilt, wahrscheinlich für die Arbeiter der Ranch. Die Glücklichen, dachte Cassidy, denn schon der Gedanke daran, jeden Tag zur Arbeit diesen Berg hinaufzufahren, sandte ihr Schauer über den Rücken. „Hallo, junge Dame.“

Überrascht von der tiefen Stimme, die direkt hinter ihr erklang, fuhr Cassidy herum. Leider konnten ihre Absätze der raschen Bewegung auf dem Schotter nicht folgen, und sie geriet gefährlich ins Schwanken. Der ältere Mann griff geistesgegenwärtig nach ihrem Arm und bewahrte sie so vor dem Umfallen.

„Wollte Sie nicht erschrecken“, sagte er lächelnd.

Er musste in den Siebzigern sein, aber seine Augen wirkten wach und klar. Sein Lächeln war warm und freundlich.

„Entschuldigung“, sagt sie und streckte ihre Hand aus. „Ich habe Sie nicht kommen hören. Ich bin Cassidy Moore.“

Er nahm ihre Hand und gab ihr einen festen Händedruck. „Sie sind Elises neue Assistentin.“ Nach einem zustimmenden Nicken fügte er hinzu: „Ich bin Ben Hawkins, ihr Vater.“

„Sie hat Ihre Augen.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Meine Augen, ja, aber alles andere zum Glück von ihrer Mutter, Gott hab sie selig.“ Er trat einen Schritt zurück. „Sie sind hier, um meinen Enkel zu sehen.“

„Ja“, sagte sie, dankbar für den schnellen Themenwechsel. „Ich hab einige Papiere, die er durchsehen und unterzeichnen soll …“

„Meine Tochter ist besessen von diesem Papierkram“, sagte er, machte aber eine einladende Geste. „Kommen Sie mit, ich bringe Sie zu Jake.“

Sie warf einen schnellen Blick zu ihrem Wagen und dachte an ihre Tasche, die vorne auf dem Beifahrersitz lag, bevor ihr der Gedanke kam, dass dies hier nicht Boston war und kein Handtaschendieb vorbeikommen und sie klauen würde. Also folgte sie Ben Hawkins mit vorsichtigen Schritten.

Cassidy hatte mit ihrer Kleiderwahl einen professionellen Eindruck machen wollen, aber nun, da es zu spät war, überdachte sie ihre Entscheidung noch einmal. Sie trug eine lange schwarze Hose, eine weiße Bluse und ein kardinalrotes Jackett, das ihr bis zur Taille reichte. Ihre schwarzen Pumps gaben ihr zusätzliche acht Zentimeter zu ihren mageren eins sechzig, was ihr in der Großstadt einen kleinen Selbstvertrauensschub gab. Hier, auf dem Schotterboden, wünschte sie sich stattdessen ihre Sneakers, die unten in der Tasche vergraben waren.

Aber erste Eindrücke zählten, und sie hatte vor dem Sohn ihrer Chefin einen professionellen Eindruck machen wollen. Also würde sie einen Weg finden, auf diesem Untergrund zu laufen und dabei auch noch halbwegs gut auszusehen.

„Es ist wunderschön hier“, sagte sie.

„Das ist es“, sagte der ältere Mann zustimmend und verlangsamte seine Schritte ein wenig. „Mein ganzes Leben habe ich hier zugebracht, aber seit Jake das Sagen hat, hat sich hier so viel verändert … manchmal sehe ich mich um und kann gar nicht glauben, was er in der kurzen Zeit geschafft hat.“

Sie sah ihn an. „Sie klingen sehr zufrieden dabei.“

„Oh, das bin ich auch.“ Er zwinkerte ihr zu. „Die meisten alten Männer haben es nicht gern, wenn sich was ändert. Aber was mich betrifft … wenn du dich nicht mehr veränderst, bist du tot. Und als Jake nach Montana kam, für immer, hab ich ihm die Ranch übergeben und gesagt: ‚Mach damit, was du willst.‘“ Er lachte leise und fügte hinzu: „Und er nahm mich beim Wort.“

Während sie sein Lächeln erwiderte, wusste Cassidy, dass sie Ben Hawkins sehr gut leiden konnte.

„Er fing direkt mit dem Bau des neuen Ranchhauses an“, sagte Ben und deutete mit einer Hand auf das beeindruckende Gebäude zu ihrer Linken. „Hat alles selbst entworfen und sogar einen Großteil der Bauarbeiten selbst erledigt.“

„Es ist wundervoll“, sagte sie mit einem erneuten Blick auf das traumhafte Gebäude.

„Das ist es. Aber zu viel Haus für einen Mann allein.“

„Allein?“ Sie runzelte die Stirn. „Wohnen Sie nicht auch dort?“

Ben lachte. „Nein, ich wohne dahinten.“

Er zeigte auf eines der kleineren Häuser, und sie bemerkte, dass dieses älter aussah als die Bauten, die es umgaben.

„Ist das ursprüngliche Ranchhaus und mein Zuhause.“

Sie näherten sich der Koppel, und Ben fasste sie sanft am Ellenbogen, um ihr beim Ausbalancieren zu helfen, als sie vom Schotterweg auf die weiche Erde wechselten. Sie verzog das Gesicht, als ihre Absätze einsanken, doch dann wurde ihr Blick von dem Cowboy eingefangen, der auf einem großen schwarzen Pferd über die Koppel ritt.

Der Mann wirkte so zu Hause im Sattel, wie sie es in ihrem Schreibtischstuhl war. Tier und Mensch bewegten sich so geschmeidig, als wären sie eins, und Cassidy trat unwillkürlich näher an den Zaun heran, vollkommen gebannt von dem Anblick. Ein eiskalter Wind wehte, doch sie bemerkte ihn kaum, während sie ihren Blick nicht von dem Mann auf dem Pferd lösen konnte.

„Das ist mein Enkel Jake“, bemerkte Ben neben ihr. „Ich sag ihm Bescheid, dass Sie da sind.“

Ben ging, aber Cassidy sah ihm nicht nach. Stattdessen studierte sie den Cowboy noch etwas genauer. Und erkannte schnell, warum es ihrer Chefin nicht gelungen war, ihren Sohn zur Rückkehr nach Boston zu überreden. Ein Mann, der so auf einem Pferd saß, würde niemals glücklich sein in einer Stadt voller Beton und Autos.

Schon aus dieser Entfernung konnte sie sehen, dass ihn eine Wildheit umgab, die sie faszinierte, obwohl ihr Verstand erste Warnsignale aussandte. Bei ihrem Besuch ging es schließlich nicht darum, den Sohn ihrer Chefin zu bewundern. Und ihr Aufenthalt hier würde nicht nur kurz sein, sondern auch rein geschäftlich. Was jedoch nicht bedeuten musste, versicherte sie sich selbst im Stillen, dass sie den Anblick nicht ein wenig genießen konnte.

Ben stieß einen durchdringenden Pfiff aus. Jake blickte auf und folgte dem Fingerzeig seines Großvaters hinüber zu Cassidy. Sie sah, wie sich seine Gesichtszüge anspannten, und sagte sich, dass es keine Rolle spielte. Als er näher an den Zaun heranritt, nahm sie jedoch schnell einige Schritte Abstand.

Waren alle Pferde so groß?

Jake Hunter schwang sich aus dem Sattel und kam an den Zaun. Er legte die Arme auf den obersten Balken, während er die Spitze eines seiner abgetragenen Stiefel am untersten Balken abstützte. Cassidy schluckte hart. Aus der Nähe sah er noch viel beeindruckender aus.

Schwarze Haare, die größtenteils unter dem Hut versteckt waren, lockten sich über dem Kragen seiner braunen Lederjacke. Mit ihrem durchdringenden Blau wirkten seine Augen wie Scherben aus Eis. Schwarze Bartstoppeln bedeckten seinen Unterkiefer, und sein Mund war zu einer schmalen Linie verzogen. Seine Jeans war alt und abgetragen, und darüber trug er ein Paar Chaps aus weichem hellbraunem Leder, die seine ganz offenkundig sehr langen, muskulösen Beine umschlossen.

Etwas Warmes und Vertrautes tanzte durch Cassidys Inneres, und sie atmete tief ein, in der Hoffnung, dass die kalte Bergluft ihr helfen würde, wieder klar zu denken. Leider war dies nicht der Fall.

„Sie sind nicht, was ich erwartet hatte“, sagte er mit angenehm tiefer Stimme.

Danke, gleichfalls, hätte sie ihm am liebsten entgegnet. Aber sie hielt sich zurück. Das war doch albern. Sie war hergekommen, um ihren Job zu machen. Er war der Sohn ihrer Chefin, um Himmels willen, und hier zu stehen und ihn anzuschmachten wie eine Idiotin entsprach keinesfalls dem Eindruck, den sie hatte machen wollen.

Mit einem lapidaren: „Na, ich freu mich jedenfalls, Sie kennenzulernen“ hielt sie ihm die Hand hin.

Er betrachtete ihre ausgestreckte Rechte eine lange Sekunde, griff dann durch den Zaun hindurch und nahm sie mit seiner Hand. Ein augenblicklicher Schock durchfuhr ihren Arm und ließ sich in ihrer Brust nieder, wo er ihr Herz in einen rasenden Galopp versetzte. Oh. Noch keine zehn Minuten hier und schon bei den Pferdemetaphern.

Nachdem er ihre Hand wieder losgelassen hatte, nahm Jake seinen Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Was es für Cassidy nicht besser machte, denn mal ehrlich, musste er so schön dichtes, glänzendes Haar haben?

„Mike!“ Sein Ruf schreckte sie dankenswerter Weise aus ihren Gedanken auf. Nachdem ein anderer Mann geantwortet hatte, rief Jake ihm zu: „Nimm Midnight, okay? Hab was Geschäftliches zu erledigen.“

„Alles klar, Boss“, sagte der Mann.

„Das Pferd heißt Midnight?“

„Genau.“ Jake kletterte über den Zaun und landete mit einem lockeren Satz direkt neben ihr.

Cassidy schluckte und rief sich in Gedanken zur Ordnung. Sie war nicht die Art Frau, die sich sinnlosen Tagträumen über gut aussehende Männer hingab. Normalerweise. Jake Hunter schien da eine Ausnahme zu sein. Er war wirklich groß – sie fühlte sich winzig klein, als er so neben ihr stand. Und das trotz ihrer Absätze, die zugegebenermaßen immer weiter im weichen Erdboden einsanken.

Mit einem Stirnrunzeln betrachtete er ihre Schuhe und sah ihr dann in die Augen. „Sie tragen solche Schuhe? Auf einer Ranch?“

„Ist das ein Problem?“

„Nicht für mich.“ Ein Lächeln flackerte kurz auf seinem Gesicht auf, verflog aber so rasch, dass sie nicht sicher war, ob sie es sich eingebildet hatte. Dann wandte er sich ab und ging zum Haus.

Sie sah ihm nach und kam nicht umhin, seine langen Beine zu bewundern, die sich so zielstrebig von ihr fortbewegten.

Er blickte nicht einmal zurück. Und bot ihr auch keine Hilfe an, so wie sein Großvater es getan hatte. Sie öffnete den Mund, um ihm hinterherzurufen, aber dann schloss sie ihn rasch wieder. Reichlich wütend zog Cassidy erst den einen, dann den anderen Absatz aus dem Boden und stakste auf das Ranchhaus zu. Ihr erster Eindruck war fabelhaft danebengegangen. Jetzt hielt er sie für eine Idiotin, der jeglicher Sinn für die passende Kleidung fehlte.

Aber das war egal, denn sie hielt ihn für einen absoluten Stoffel ohne Manieren, der sie einfach im Stich gelassen hatte, obwohl er ganz genau wusste, wie schwierig es war, in solchen Schuhen über den Schotter zu marschieren. Wow, das war’s dann wohl mit den wohlig-warmen Gedanken. Um einen ordentlichen Tagtraumhelden abzugeben, sollte der besagte Held wenigstens ein bisschen Anstand besitzen.

Was offenbar zu viel erwartet war von jemandem wie Jake Hunter.

Jake ging geradewegs in den Hauptraum des Ranchhauses und an die Bar. Eigentlich war es zu früh für einen Drink, aber heute war alles anders. Heute hatte er in ein Paar nebelgraue Augen gesehen, und dabei war etwas in seinem Inneren zum Leben erwacht, das er schon seit zwei Jahren nicht mehr gespürt hatte. Und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch gut für immer darauf verzichten können, auf dieses heiße Kitzeln der Erwartung, tief in seinem Inneren.

Das einzige andere Mal, als er diese Empfindung gespürt hatte, hatte sie ihn direkt in eine Ehe aus der Hölle geführt.

„Gute alte Zeiten“, murmelte er und warf seinen Hut auf den nächstbesten Stuhl. Dem folgte ein schneller Blick hinaus aus den großen Frontfenstern über die Gras- und Schotterfläche vor dem Haus. Die verrückte Frau war auf dem Weg zum Eingang, mit kurzen, wackeligen Schritten, die fast dafür sorgten, dass er sich schuldig fühlte, sie draußen allein gelassen zu haben.

Fast. Er hätte ihr über den schwierigen Boden helfen können, ja. Aber dann hätte er sie berühren müssen, und der erste Kontakt und das Auflodern von etwas Heißem und Kompliziertem zwischen ihnen beiden hatten ihm erst mal gereicht. Eine Wiederholung wollte er nicht riskieren.

„Hab sie nicht gebeten herzukommen“, flüsterte er und schenkte sich einen Schluck irischen Whisky ein. In einer einzigen Bewegung kippte er die Flüssigkeit hinunter und genoss das Feuer, das durch ihn hindurchrann und alles wegbrannte, was er vielleicht empfunden hätte, wenn er ein anderer Mann gewesen wäre.

Durch das Fenster hindurch beobachtete er sie weiter. Hinter ihr füllte sich der Himmel mit schweren grauen Wolken, die sowohl Regen als auch Schnee bringen konnten. In Montana wusste man das nie so genau. Der Wind wehte ihre dunkelblonden Haare von den Schultern und ließ sie wie einen Heiligenschein um ihr Gesicht fliegen. Ihre kurze rote Jacke schloss sich über ansehnlichen Brüsten und endete direkt an ihrer schmalen Taille. Die schwarze Hose flatterte im Wind und offenbarte die Konturen ihrer Beine – kurz, aber wohlgeformt –, und die dämlichen Absätze ließen sie bei jedem Schritt bedrohlich wanken.

Ein Stadtmädchen. Genau wie die letzte Frau, die er in sein Leben gelassen hatte. Und obwohl sein Körper reichlich Interesse an ihr zeigte, riet sein Verstand ihn panisch zum Rückzug. Warum zum Teufel sollte er noch einmal in die gleiche Falle tappen, die ihn schon beim letzten Mal ein Stück seiner Seele gekostet hatte?

Er dachte daran, sich noch einen weiteren Drink zu genehmigen, entschied sich aber dagegen, als die Handlangerin seiner Mutter es schließlich bis zu den Verandastufen geschafft hatte und ihm ins Haus folgte.

„Mr. Hunter?“

„Hier drin.“ Zuerst hörte er nur das Klacken ihrer Absätze auf dem Bambusboden, und als diese immer näher kamen, trat er hinter der Eichenholzbar hervor.

Sie hielt im hohen geschwungenen Türrahmen inne, und er beobachtete sie dabei, wie sie den Raum in sich aufnahm. Gefallen und Anerkennung leuchteten in ihren Augen, und Jake spürte einen Funken Stolz in sich aufglühen. Als er auf die Ranch gezogen war, hatte er sich vorgenommen, ein neues, moderneres Ranchhaus zu bauen. Etwas, in dem für die ganze Familie Platz sein würde, wenn sie zu Besuch kam. Etwas, was dem Land seinen eigenen Stempel aufdrücken würde. Er wollte, dass das Land zu seinem wurde, und sein Großvater hatte ihm freie Hand gelassen.

Er hatte gute Arbeit geleistet mit dem Haus. Hatte es selbst entworfen und gemeinsam mit einem Architekten daran gearbeitet, um genau den richtigen Ort für sich zu schaffen – etwas, was so aussah, als hätte es schon immer hier gestanden, mitten zwischen den Bäumen. Es war ihm wichtig gewesen, das Draußen ins Innere zu holen, und er war zufrieden mit dem Ergebnis.

Die Stützbalken waren so bearbeitet worden, dass sie wie Baumstämme aussahen. Die Fenster zwischen den Balken umrahmten den See unter ihnen und gaben den Blick frei auf das weite Land, die Wälder und den Himmel, die Montana zum besten Ort auf dieser Erde machten. Dunkelbraune Ledersofas und – sessel waren in dem großen offenen Raum verteilt aufgestellt, auch vor dem steinernen Kamin an der gegenüberliegenden Wand, in dem munter die Flammen tanzten und vom scharfen Wind durch den Schlot gezogen wurden.

„Wow“, sagte sie und bewegte sich langsam in den Raum hinein. „Einfach nur … wow.“

„Danke.“ Er lächelte, trotz allem, angesichts ihrer Reaktion auf dieses Haus, das er so liebte. „Es ist ziemlich gut, muss ich zugeben.“

„Oh nein“, sagte sie mit einem leichten Kopfschütteln, während sie sich im Kreis drehte. „Es ist mehr als nur ziemlich gut. Es ist so wunderschön, dass ich Ihnen sogar verzeihe, dass Sie ein Mistkerl waren und mich draußen im Stich gelassen haben.“

Ein überraschtes Lachen entfuhr ihm. „Ein Mistkerl? Reden Sie so mit dem Sohn Ihrer Chefin?“

Kühle graue Augen musterten ihn. „Ich habe den Verdacht, dass sie es mir nicht übel nehmen würde.“

Er dachte einen Augenblick darüber nach, stellte sich vor, wie seine Mutter darauf reagiert hätte, als er ihre Assistentin im Hof hatte stehen lassen, und verzog das Gesicht. „Nein. Vermutlich nicht.“

„Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass Sie nicht sonderlich erfreut sind, mich zu sehen? Oder halten Sie einfach ganz allgemein nichts von Frauen?“

Einer von Jakes Mundwinkeln zuckte verräterisch. „Eine Gegenfrage: Sind Sie immer so direkt?“

„Normalerweise ja“, sagte sie und nickte. „Aber das sollte ich mir wahrscheinlich abgewöhnen. Okay, wie wäre es, wenn wir uns als quitt betrachten und noch einmal von vorne anfangen?“

Für einen langen Augenblick sah Jake sie einfach nur an. Er versuchte, nicht zu bemerken, wie sehr ihre Augenfarbe der des Nebels glich, der über dem See aufstieg. Oder wie weich ihr Haar aussah, vor allem jetzt, wo es vom Wind zerzaust war, als wäre sie gerade aus dem Bett gekommen. Verdammt, es war einfach schon zu lange her, seit er das letzte Mal mit einer Frau zusammen gewesen war.

„In Ordnung“, sagte er schließlich, wenn auch nur, um die Gedanken zu unterbrechen, die ihm durch den Kopf gingen und zunehmend eine Richtung annahmen, die er unbedingt vermeiden wollte. „Abgemacht. Sie haben einige Papiere, die ich mir ansehen und unterschreiben soll, richtig?“

„Genau. Sie sind in meiner Tasche im Auto.“

Sie drehte sich tatsächlich um und machte Anstalten, über den Schotterweg zurück zu ihrem Auto zu laufen und ihre Tasche zu holen. Jake brachte sie mit einem raschen „Einer der Jungs bringt Ihre Sachen rein“ zum Innehalten. „Sie sind wahrscheinlich müde vom Flug und der Fahrt hier den Berg hoch …“

Autor

Maureen Child

Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

Ihre liebste...

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