Stürmisch wie der Wüstenwind (Baccara)

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Das ist also die Frau, die er heiraten soll – und sie hat keine Ahnung davon! Prinz Kardal rettet Sabrina aus der Wüste, und auch wenn sie sich kratzbürstig und widerspenstig gibt: Das Temperament der Rothaarigen reizt ihn. Wie nur kann er sie zähmen? Und wie wird sie reagieren, wenn sie herausfindet, dass er der Scheich ist, dem sie versprochen ist?
  • Erscheinungstag 29.06.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783963690761
  • Laufzeit 04:26:25
  • Auflagenart ungekürzte Lesung
  • Audio Format mp3-Download
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sabrina Johnson hatte Sand im Mund und auch an diversen anderen Körperstellen, wo er eigentlich nichts zu suchen hatte, spürte sie den feinen gelben Staub.

Was bin ich bloß dumm, hielt sie sich vor, während sie unter ihrem Umhang kauerte und dem Heulen des Sturms lauschte. Man musste wirklich ziemlich verrückt sein, wenn man ganz allein Hunderte von Kilometern in die Wüste fuhr, die letzten Spuren der Zivilisation hinter sich ließ und sich mit einem Pferd und einem Lastenkamel auf die Suche nach einer geheimnisumwitterten Stadt begab. Nach einer Stadt, die noch dazu vielleicht gar nicht existierte!

Ein besonders heftiger Windstoß warf Sabrina fast um. Sie zog die Beine fester an ihren Körper, presste den Kopf auf die Knie und schwor sich, nie wieder impulsiv zu handeln. Vorausgesetzt, sie überlebte. Niemals wieder!

Sie hatte sich verirrt, war in einen Sandsturm geraten, und darüber hinaus wusste niemand, dass sie hier war. Also suchte auch niemand nach ihr. Ohne ein Wort zu ihrem Vater oder ihren Brüdern hatte sie sich weggeschlichen. Wenn sie zum Abendessen nicht erschien, vermuteten bestimmt alle, sie würde in ihrem Zimmer schmollen oder sie sei nach Paris zum Einkaufen geflogen.

Auf die Idee, sie könnte sich in der Wüste verirrt haben, kam sicher keiner. Ihre Brüder hatten sie mehr als einmal gewarnt, ihre verrückten Ideen würden sie noch das Leben kosten. Und genau danach sah es im Moment aus.

Es war so heiß und trocken, dass sie hustete. Doch das Kratzen im Hals wurde sie dennoch nicht los. Wie lange würde der Sturm noch dauern? Und wie sollte sie danach den richtigen Weg finden? Hoffentlich wurde sie nicht in die Luft gewirbelt und weggeweht. Solche Geschichten hatte sie schon gehört, wenn auch von ihren Brüdern, und die hielten sich nicht immer an die Wahrheit.

Scheinbar nach Ewigkeiten ließ das Heulen nach, die einzelnen Böen waren nicht mehr so stark, und Sabrina konnte leichter atmen. Vorsichtig spähte sie unter dem Umhang hervor, um die Lage einzuschätzen.

Rasch stellte sie etwas Gutes und etwas Schlechtes fest. Das Gute war die Tatsache, dass sie lebte. Noch. Das Schlechte war, dass Pferd und Lastenkamel verschwunden waren und mit ihnen Proviant, Wasser und Landkarten.

Das Schlimmste aber war, dass durch den Sturm die Piste, der sie gefolgt war, nicht mehr zu erkennen war. Ebenso waren sämtliche markanten Punkte verschwunden, die sie sich von dem Ort, an dem Geländewagen und Pferdeanhänger zurückgeblieben waren, bis hierher gemerkt hatte. Es konnte Wochen oder gar Monate dauern, bis der Wagen entdeckt wurde. Wie sollte sie so lange überleben?

Sabrina stand auf und drehte sich langsam im Kreis. Nichts kam ihr bekannt vor. In der Ferne tobte noch der Sturm. Sand stieg in Wolken zum Himmel hoch und verdüsterte die Sonne, die bereits tief am Horizont stand.

Der knurrende Magen erinnerte sie daran, dass sie seit dem Frühstück nichts gegessen hatte. Und sie hatte die Hauptstadt sogar vor Sonnenaufgang verlassen, besessen von dem Wunsch, die sagenumwobene Stadt der Diebe zu finden, um ihrem Vater zu beweisen, dass es sie wirklich gab. Er hatte sie stets wegen ihrer Faszination für diese Stadt geneckt, und nun war sie hier gestrandet.

Was sollte sie machen? Weiter nach der verborgenen Stadt suchen? Nach Bahanien zurückkehren und ihr Leben lang von ihrem Vater und ihren Brüdern ignoriert werden? Oder hier verdursten? Die dritte Möglichkeit gefiel ihr zwar am wenigsten, erschien ihr jedoch angesichts der Umstände am wahrscheinlichsten.

„Ich gebe nicht kampflos auf“, sagte Sabrina entschlossen, band das Kopftuch fester, schüttelte den Umhang aus, faltete ihn zusammen und hängte ihn sich über die Schulter.

Sie orientierte sich an der untergehenden Sonne. Wenn sie ein Stück nach Süden marschierte und sich dann nach Westen wandte, fand sie bestimmt den Wagen wieder. Darin lagerten noch Proviant und Wasser, weil sie nicht alles auf dem Kamel untergebracht hatte. Wenn sie erst gegessen und getrunken hatte, konnte sie bestimmt klarer überlegen, wie es weitergehen sollte.

Schleichende Angst folgte ihr wie ein Wüstenschakal, während sie gleichmäßig ausschritt. Doch sie vertrieb die Bestie. Sie war Sabrina Johnson und hatte schon Schlimmeres überstanden. Das stimmte zwar nicht, weil sie noch nie in einer solchen Gefahr geschwebt hatte, aber es war niemand da, der ihr den Schwindel hätte vorhalten können.

Eine halbe Stunde später hätte sie liebend gern ein Taxi gerufen. Eine Dreiviertelstunde später hätte sie ihre Seele für ein Glas Wasser verkauft. Eine Stunde später siegte die Angst. Sabrina war sicher, in der Wüste sterben zu müssen. Die Augen kratzten, so trocken waren sie, die Haut spannte, und die Kehle brannte wie Feuer.

Ob der Tod in der Wüste dem Erfrieren ähnelte? Wurde sie irgendwann müde und schlief ein?

„Bei meinem Glück bestimmt nicht“, murmelte sie. „Ich sterbe garantiert langsam und qualvoll.“

Dennoch setzte sie einen Fuß vor den anderen und achtete nicht auf die verlockende Fata Morgana, die im Schein der untergehenden Sonne vor ihr auftauchte, eine Oase und ein Wasserfall – und zuletzt etliche Reiter auf Pferden, die auf sie zukamen.

Pferde? Sie blieb stehen. Waren das wirklich Pferde? Tatsächlich, sie spürte das Trommeln der Hufe unter den Füßen. Das bedeutete, dass Rettung nahte. Rettung oder etwas weniger Wünschenswertes.

Sabrina hatte die Sommer in Bahanien bei ihrem Vater verbracht, um die Lebensweise seines Volkes kennenzulernen. Natürlich hatte er keine Zeit gehabt, um ihr etwas beizubringen, aber einige Leute aus seiner Dienerschaft hatten sich um sie gekümmert. Von denen hatte sie unter anderem erfahren, dass in der Wüste das Gesetz der Gastfreundschaft herrschte.

Andererseits war sie in Los Angeles zur Schule gegangen, und die Haushälterin ihrer Mutter hatte ihr eingeschärft, nie mit Fremden zu sprechen. Sollte sie abwarten oder sich verstecken? Sabrina sah sich um. Weit und breit gab es kein Versteck.

Die näher kommenden Männer waren traditionell in Burnus und Djellaba gekleidet. Die langen Umhänge flatterten hinter ihnen her, und sie ritten auf starken und doch eleganten Pferden, bahanischen Tieren, die speziell für die Wüste gezüchtet wurden.

„Hallo!“, rief sie, als die Männer sie erreichten, und bemühte sich um einen unbekümmerten Tonfall. Aufgrund der trockenen Kehle und der wachsenden Angst gelang ihr das jedoch nicht sonderlich gut. „Ich habe mich im Sandsturm verirrt. Sie haben nicht zufällig in der Gegend ein Pferd und ein Kamel gesehen?“

Anstatt zu antworten, umkreisten die Männer sie und unterhielten sich dabei in einer Sprache, die sie kannte, aber nicht verstand. Sie waren eindeutig Nomaden. Es blieb abzuwarten, ob das für sie gut oder schlecht war.

Einer der Männer deutete auf sie. Sabrina wich nicht von der Stelle, obwohl die anderen sich ihr immer weiter näherten. Sollte sie sagen, wer sie war? Nomaden würden auf den Namen ihres Vaters freundlich reagieren, aber Verbrecher würden sie gefangen nehmen, um Lösegeld zu erpressen. Immerhin hätte sie die Männer damit beeindrucken können, dass sie Sabrina Johnson war, auch bekannt als Prinzessin Sabra von Bahanien, obwohl sie im Moment nicht danach aussah. Doch vielleicht wäre sie dann umgebracht worden.

„Ich möchte eine Sklavin haben, aber du wärst wahrscheinlich nicht gut.“

Sie wirbelte zu dem Mann herum, der gesprochen hatte und von dem sie wegen seiner Kleidung kaum etwas sehen konnte. Er war groß, hatte gebräunte Haut, dunkle Augen und lächelte.

„Sie sprechen ja meine Sprache“, stellte sie verblüfft fest.

„Du sprichst nicht die Sprache der Wüste“, erwiderte er. „Und du findest dich hier nicht zurecht. Was machst du hier draußen?“

„Das ist unwichtig“, wehrte Sabrina ab. „Aber vielleicht könnten Sie mir ein Pferd leihen, damit ich zu meinem Wagen reiten kann.“

Auf einen Wink des Mannes stieg einer der anderen ab. Schon glaubte Sabrina, man würde ihren Wunsch erfüllen. Der Mann hatte tatsächlich auf sie gehört, was in Bahanien sehr ungewöhnlich war. Normalerweise ignorierten Männer völlig, was Frauen …

Der Nomade griff nach ihrem Kopftuch und zog daran. Sabrina schrie auf, und die Männer verstummten, als sie das lange rote Haar sahen, ein Erbe von ihrer Mutter, das in üppigen Locken auf ihren Rücken fiel. Die meisten Leute waren von der ungewöhnlichen Kombination von braunen Augen, rotem Haar und honigfarbener Haut fasziniert, vor allem in dieser Gegend.

Die Männer redeten miteinander, aber Sabrina verstand sie trotz aller Anstrengung nicht.

„Sie meinen, ich sollte dich verkaufen.“

Der Sprecher schien der Anführer zu sein. Sabrina bemühte sich, keine Angst zu zeigen, und straffte sich. „Brauchen Sie so dringend Geld?“, fragte sie möglichst verächtlich.

„Es erleichtert das Leben, selbst hier draußen.“

„Was ist aus der Gastfreundschaft der Wüste geworden? Die Gesetze Ihres Landes lassen nicht zu, dass Sie mich schlecht behandeln?“

„Es gibt Ausnahmen, wenn sich jemand so albern anstellt wie du.“

Er gab dem Mann neben ihr ein Zeichen, doch bevor der Kerl sie packte, rannte Sabrina los. Hinter sich hörte sie Hufschläge und sie lief noch schneller, doch es reichte nicht. Nach höchstens zwanzig Metern wurde sie auf ein Pferd gezogen und gegen eine muskulöse Brust gedrückt.

„Wohin wolltest du denn laufen?“, fragte der Reiter und gab sie nicht frei, obwohl sie sich wehrte. Sie verhedderte sich lediglich in seinem Umhang. „Wenn du nicht stillhältst, fessele ich dich und ziehe dich hinter dem Pferd her.“

Er war stark, und sein Körper strömte Wärme aus. Der Mann erinnerte sie an die Wüste – hart und gnadenlos. Was habe ich doch wieder mal für ein Glück, dachte sie grimmig und gab den Widerstand auf.

„Was wollen Sie von mir?“, fragte sie und sah ihn zornig an.

„Erstens, dass du das Knie aus meiner Magengegend nimmst.“

Sie blickte nach unten. Das von ihren Jeans bedeckte Knie drückte tatsächlich gegen seine Körpermitte. Wortlos zog sie das Bein zurück.

Die Sonne war bereits untergegangen. Jetzt war nicht mehr an Flucht zu denken. Sabrina hatte sich verirrt, war durstig und hungrig und wurde gefangen gehalten.

„Ach“, bemerkte er leise, „man kann also vernünftig mit dir sprechen. Sehr angenehm bei einer Frau … und sehr selten.“

„Soll das heißen, dass Sie alle Ihre Frauen auch nicht mit Schlägen zur Ordnung zwingen können? Was für eine Überraschung.“

Seine harten Züge erinnerten Sabrina an einen Felsen, der von den Winden der Wüste geformt worden war. Die Kopfbedeckung verdeckte sein Haar, doch bestimmt war es dunkel und reichte ihm bis zum Kragen. Er hatte breite Schultern und machte den Eindruck eines Mannes, der sich nicht so leicht unterkriegen ließ.

„Für eine Frau, die mir völlig ausgeliefert ist, bist du entweder unglaublich mutig oder unglaublich dumm.“

„Sie haben mir bereits vorgeworfen, dumm zu sein“, erinnerte sie ihn. „Völlig zu Unrecht, wenn Sie mich fragen.“

„Ich frage dich aber nicht. Und wie würdest du jemanden nennen, der sich ohne Führer und Ausrüstung in die Wüste wagt?“

„Ich hatte ein Pferd und …“

„Und der unfähig ist, seine Hilfsmittel zu schützen“, fiel er ihr ins Wort.

Anstatt zu antworten, blickte sie zurück. Die Männer hatten begonnen, ein Lager aufzuschlagen. Ein Kessel hing über einem kleinen Feuer. „Ihr habt Wasser?“, fragte Sabrina und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.

„Ja, und Lebensmittel. Im Gegensatz zu dir haben wir unsere Vorräte geschützt.“

Sie konnte den Blick nicht von dem Wassertopf wenden. „Bitte“, flüsterte sie.

„Nicht so schnell, mein Wüstenvogel. Bevor wir dir von unserem bescheidenen Proviant etwas abgeben, möchte ich sicherstellen, dass du nicht wieder wegfliegst.“

„Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass ich nirgendwo hingehen könnte.“

„Das hat dich beim ersten Mal auch nicht zurückgehalten.“ Er stieg ab, und bevor sie ihm folgen konnte, holte er ein Seil unter seinem Umhang hervor und packte ihre Handgelenke.

„Hey!“, protestierte sie. „Das ist unnötig! Ich laufe nicht weg.“

„Genau dafür werde ich sorgen.“

Sie wollte sich ihm entziehen, doch er war zu schnell und fesselte sie. Dabei rutschte sie zu weit nach hinten und fiel beinahe vom Pferd. Der Mann hielt sie am T-Shirt fest und zog sie zu sich heran. Er wankte nicht mal, als sie das Gleichgewicht verlor und gegen ihn prallte. Stattdessen schlang er ihr einen Arm um die Taille und ließ sie zu Boden gleiten. Bevor sie wieder zu Atem gekommen war, hatte er ihr auch die Beine zusammengebunden.

„Warte hier“, verlangte er und führte sein Pferd zum Lager.

Sabrina wand sich im Sand. „Sie können mich doch nicht so einfach liegen lassen!“

Amüsiert sah er sie mit seinen dunklen Augen an. „Ich würde schon sagen, dass ich das kann.“

Ungläubig sah sie ihm nach. Er sagte etwas zu den anderen, die darüber lachten. Zorn vertrieb die Angst. Dem würde sie es zeigen! Heftig zerrte sie an den Fesseln. Wenn sie erst frei war, würde sie nach Bahanien zurückkehren und ihn erschießen oder aufhängen lassen.

Als sie nicht loskam, wandte sie dem Lager den Rücken zu. Es reichte, dass sie das Essen roch. Sie musste nicht auch noch beim Kochen zusehen. War dieser Fremde wirklich ein solches Ungeheuer, dass er ihr nichts zu essen gab? Typisch Wüstenbewohner. Männer wie er betrachteten Frauen lediglich als Besitz.

„Da wäre ich ja beim König der Kobolde besser aufgehoben gewesen“, murmelte sie und hielt die Tränen zurück. Bloß keine Schwäche zeigen! Sie musste überleben, um sich zu rächen. Also schloss sie die Augen und stellte sich vor, woanders zu sein.

Es duftete dermaßen verlockend nach Essen, dass sie sich wünschte, noch im Palast zu sein. Gut, ihr Vater beachtete sie wenig, und ihre Brüder ignorierten oder neckten sie, aber war das so schlimm?

Dabei war sie am Tag zuvor auf ihren Vater, den König von Bahanien, noch grenzenlos zornig gewesen, als er verkündete, er hätte sie verlobt.

„Das ist nicht dein Ernst!“, hatte sie erwiderte.

„Mein völliger Ernst. Du bist zweiundzwanzig, also weit über das heiratsfähige Alter hinaus.“

„Ich bin im letzten Monat dreiundzwanzig geworden“, entgegnete sie, „und wir leben in einer modernen Welt, nicht im Mittelalter.“

„Das ist mir durchaus bewusst, aber du bist meine Tochter. Du wirst den Mann heiraten, den ich für dich auswähle, weil du eine Prinzessin von Bahanien bist und wir Verbündete brauchen.“

Ihr Vater kannte nicht mal ihr genaues Alter. Wie sollte sie ihm da zutrauen, den geeigneten Mann für sie auszusuchen? Vermutlich betrachtete König Hassan einen schrecklichen alten Kerl mit drei Ehefrauen und Mundgeruch als geeignet.

Stets hatte sie die Sommermonate im Palast verbracht, doch ihr Vater hatte kaum mit ihr gesprochen. Seine Söhne nahm er auf Reisen mit, sie nie. Und als sie mit ihrer Mutter zur Ausbildung nach Kalifornien ging, hatte er nie angerufen oder geschrieben. Wieso erwartete er, dass sie sich nun plötzlich nach seinem Willen richten würde?

Anstatt im Palast zu bleiben und darauf zu warten, ihren König der Kobolde kennenzulernen, war sie geflohen, um die Stadt der Diebe zu suchen. Jetzt war sie Gefangene der Nomaden. Vielleicht wäre der König der Kobolde doch gar nicht so schlecht gewesen.

„Was denkst du?“

„Dass ich zwar Urlaub brauche, ihn mir aber anders vorgestellt habe.“ Sie öffnete die Augen und betrachtete den Unbekannten. Er hatte das Kopftuch und den Umhang abgelegt und trug jetzt nur eine Hose unter einer Tunika. Sie hätte es vorgezogen, wenn er nicht so atemberaubend gut ausgesehen hätte.

Stolz stand er vor ihr, eine kraftvolle Gestalt vor dem herrlichen pechschwarzen Nachthimmel. Sabrina hatte sich in Bahanien nie ganz wohl gefühlt, aber die Sterne hatten sie stets fasziniert. Heute wurde sie jedoch von etwas anderem gefesselt.

Der Mann war hochgewachsen, das dichte dunkle Haar war kurz. Die Gesichtszüge erkannte sie nicht klar, aber die Zähne schimmerten weiß, als er lächelte.

„Du besitzt den Mut eines Kamels“, stellte er fest.

„Herzlichen Dank. Kamele sind nicht mutig.“

„Aha, wenigstens so viel weißt du über die Wüste. Gut. Wie wäre es dann mit dem Mut eines Wüstenfuchses?“

„Laufen die nicht immer weg?“

Er zuckte mit den Schultern. „Du hast mich verstanden. Auch gut.“

Liebend gern hätte sie ihm die Zunge gezeigt, doch sie holte nur tief Atem. Irgendetwas duftete himmlisch. Ihr Magen knurrte laut, als sie den Teller in der einen und den Becher in der anderen Hand des Mannes entdeckte.

„Abendessen?“, fragte sie vorsichtig.

„Ja.“ Er ging in die Hocke und stellte Teller und Becher in den Sand, bevor er ihr beim Aufsetzen half. „Aber kann ich dich denn auch losbinden?“

Sabrina musste sich beherrschen, um sich nicht nach vorne kippen zu lassen und direkt vom Teller zu essen. „Ich schwöre, dass ich nicht weglaufen werde.“

„Wieso sollte ich dir vertrauen?“, fragte er und setzte sich neben sie. „Ich weiß von dir nur, dass du den Verstand eines Flohs besitzt.“

„Mir gefallen diese Tiervergleiche gar nicht“, wehrte sie ab. „Wenn Sie darauf anspielen, dass ich Pferd und Kamel verloren habe, so war das nicht meine Schuld. Ich habe sie vor dem Sandsturm festgebunden, mich mit einem dicken Umhang geschützt und auf die Erde gedrückt. Dass ich überlebt habe, ist doch ein Beweis für meinen Verstand.“

„Wie steht es damit, dass du allein in der Wüste bist?“, fragte er, offenbar nicht beeindruckt, und griff nach dem Becher. „Oder sollen wir darüber reden, dass Pferd und Kamel fort sind?“

„Lieber nicht.“ Sie beugte sich vor und trank aus dem Becher.

Das Wasser war kühl und sauber. Nie zuvor hatte Sabrina etwas so gut geschmeckt. Sobald der Becher leer war, stellte der Fremde ihn weg und hob den Teller hoch.

Sabrina betrachtete die Fleischstücke sowie das Gemüse und dann seine Hände. „Sie wollen mich doch nicht etwa füttern, oder? Wenn Sie mich schon nicht losbinden, lassen Sie mich wenigstens allein essen.“ Die Vorstellung, dass er ihr Essen berührte, war ihr unangenehm, obwohl er sauber wirkte.

„Gestehe mir das Privileg zu“, sagte er spöttisch und griff nach einem Stück Fleisch.

Eigentlich hätte sie tapfer bleiben und ihn abweisen sollen, aber sie beugte sich vor und achtete nur darauf, seine Finger nicht mit den Lippen zu berühren.

„Ich bin Kardal“, stellte er sich vor, während sie kaute. „Wie heißt du?“

„Sabrina“, erwiderte sie vorsichtig und hoffte, dass er den Namen nicht mit der Prinzessin Sabra von Bahanien verband. „Sie sprechen nicht wie ein Nomade“, fügte sie hinzu, um ihn abzulenken.

„Ich bin einer“, versicherte er und reichte ihr das nächste Fleischstück.

„Dann sind Sie woanders zur Schule gegangen. England? Amerika?“

„Wie kommst du darauf?“

„Wegen Ihrer Wortwahl und Ihrer Ausdrucksweise.“

„Was weißt du schon von Ausdrucksweise?“

Sie kaute und schluckte. „Auch wenn Sie das von mir denken, bin ich nicht dumm. Ich habe studiert und weiß so einiges.“

Der Blick seiner dunklen Augen schien tief in ihre Seele vorzudringen. „Was denn, mein Wüstenvogel?“

„Ich … also …“

Die Antwort blieb ihr erspart, weil er ihr etwas Gemüse reichte, doch dieses Mal passte sie nicht auf, und sein Zeigefinger berührte ihre Unterlippe. Im selben Moment stockte ihr das Herz, und ihr Magen zog sich zusammen. Eine Vergiftung, schoss es ihr durch den Kopf. Bestimmt hatte er ein fürchterliches Gift unter das Essen gemischt.

Sie war aber so hungrig, dass sie weiteraß, bis der Teller leer war. Und sie trank auch einen zweiten Becher Wasser, den Kardal ihr reichte. Hinterher kehrte er nicht zu den Männern ans Feuer zurück, sondern blieb sitzen und betrachtete sie.

„Wer bist du?“, fragte er leise und sah ihr in die Augen. „Warum bist du allein in der Wüste?“

Mit vollem Magen fühlte sie sich weniger verwundbar und hatte auch keine Angst mehr. Vielleicht sollte sie lügen, aber das hatte sie noch nie gut gekonnt. Am einfachsten war, wenigstens teilweise die Wahrheit zu gestehen.

„Ich suche die verborgene Stadt der Diebe.“

Sabrina rechnete damit, dass er Interesse oder Erstaunen zeigte, aber nicht damit, dass er so laut lachte, dass Männer und Pferde zu ihnen herübersahen.

„Sie können meinetwegen so viel lachen, wie Sie wollen!“, fauchte sie Kardal an. „Ich weiß genau, wo die Stadt liegt, und ich finde sie!“

„Diese Stadt ist eine Legende. Abenteurer suchen sie seit Jahrhunderten vergeblich. Wieso glaubst du, ein Mädchen könnte mehr Erfolg haben?“

„Einige hatten Erfolg“, behauptete sie. „Ich besitze Landkarten und Tagebücher.“

Kardal ließ den Blick über ihren Körper wandern. Zu den Jeans trug sie ein T-Shirt und Wanderstiefel. Hinter ihr lag der Umhang, den sie bald brauchen würde. Schon jetzt wurde es kühl.

„Und wo genau befinden sich derzeit diese Landkarten und Tagebücher?“, erkundigte er sich äußerst höflich.

Sabrina biss die Zähne zusammen. „In meinen Satteltaschen.“

„Ach so, auf dem Pferd, das weggelaufen ist?“

„Ja.“

„Dir ist doch wohl klar, dass es ohne Landkarten wesentlich schwieriger ist, diese angeblich existierende Stadt zu finden.“

„Darauf bin ich auch schon gekommen“, erwiderte sie und ballte die Hände zu Fäusten.

„Trotzdem willst du weiter nach der Stadt suchen?“

„So leicht gebe ich nicht auf. Ich komme wieder und werde sie finden.“

Kardal stand auf und blickte auf sie hinunter. „Das klingt sehr entschlossen, aber deine Pläne beruhen auf einer sehr interessanten Annahme.“

In der Dunkelheit konnte sie ihn kaum noch sehen. „Auf welcher?“

„Dass ich dich freilasse.“

Kardal hielt die Augen geschlossen, obwohl sich die Frau neben ihm drehte und wand. Der Boden war hart, aber nicht unbequem, doch Sabrina war bestimmt nicht zufrieden. Er hatte ihr die Fußfesseln abgenommen, ihre Hände aber zusammengebunden gelassen und das Seil an seinem Gürtel befestigt. Vermutlich wäre sie sonst geflohen.

„Das ist doch lächerlich“, zischte sie, während seine Männer schnarchten. „Wohin sollte ich denn mitten in der Nacht und in der Wüste laufen? Binden Sie mich sofort los!“

„Wenn du nicht still bist, bekommst du einen Knebel“, erwiderte er. „Und der wird nach einiger Zeit höchst unangenehm.“

Sie holte scharf Atem, sagte aber nichts mehr, sondern wickelte sich enger in den dicken Umhang. Es war inzwischen sehr kühl. Kardal war sicher, dass sie bald für die Wärme seines Körpers dankbar sein würde, auch wenn sie das bestimmt nicht sagte. Frauen verhielten sich selten vernünftig.

Wie hatte sie bloß so leichtsinnig sein können, sich allein in die Wüste zu wagen? Er und seine Männer hatten dem einsamen Wanderer helfen wollen. Dann hatte er erkannte, dass es sich um eine Frau handelte, und er hatte sofort gewusst, wer sie war.

Sabrina Johnson, auch bekannt als Prinzessin Sabra, einzige Tochter von König Hassan von Bahanien – eigenwillig, schwierig, verwöhnt und nicht mal mit der Intelligenz einer Dattelpalme gesegnet.

Wahrscheinlich wäre es am besten gewesen, sie ihrem Vater zurückzubringen. Allerdings würde der König kaum dafür sorgen, dass sich bei ihr etwas änderte. Kardal hatte gehört, dass König Hassan seine einzige Tochter ignorierte und ihr gestattete, dass sie den Großteil des Jahres bei ihrer Mutter in Kalifornien verbrachte und so ungezügelt wie die einstige Frau des Königs lebte.

Kardal öffnete die Augen und blickte zu den funkelnden Sternen hinauf. Er war ein Mann dieses neuen Jahrhunderts, gefangen zwischen Tradition und Fortschritt, und er versuchte, sich stets möglichst klug zu verhalten. Wenn er sich aber vorstellte, wie Sabrina ihre Zeit in Beverly Hills mit Affären und einem ausschweifenden Lebenswandel verschwendete …

Sie war unbeschreiblich schön, aber sie besaß das Herz und die Seele eines verwöhnten und eigensinnigen Kindes. Sie war keine traditionelle Frau der Wüste, aber auch kein Juwel der westlichen Kultur. Sie passte nirgendwo hinein, und er konnte sie nicht brauchen.

Sabrina drehte sich auf den Rücken und zog an dem Seil, das sie beide miteinander verband. Kardal bewegt sich nicht. Sie seufzte, atmete aber bald darauf gleichmäßig.

Morgen musste er entscheiden, was er mit ihr machen sollte. Aber vielleicht wusste er das schon und wollte es sich nur nicht eingestehen.

Sabrina hatte ihn nicht erkannt. Es war auch möglich, dass man ihr seinen Namen nicht gesagt hatte. Bei der Vorstellung lächelte er. Wenn sie nichts wusste, wollte er auch nichts verraten.

Noch nicht.

2. KAPITEL

Sabrina wurde nur langsam wach. Das harte Bett gab keine Spur nach, doch es war sehr warm, vor allem auf der einen Seite.

Als sie die Augen öffnete, sah sie über sich den bereits hell werdenden Himmel. Sie lag nicht in ihrem Bett im Palast, auch nicht in ihrem Zimmer im Haus ihrer Mutter. Stattdessen befand sie sich in der Wüste und war an einen Mann gefesselt, den sie nicht kannte.

Er schlief noch. Das nutzte sie aus, um ihn zu betrachten. Auch im sanften Morgenlicht wirkte er hart und stark, eben ein Mann der Wüste. Er hielt ihr Schicksal in den Händen, doch sie glaubte nicht mehr, dass ihr Leben in Gefahr war. Sie sorgte sich auch nicht um ihre Tugend, obwohl sie dazu eigentlich Grund gehabt hätte.

Dichte Wimpern berührten die Wangen. Der Mund sah im Schlaf ausgesprochen entspannt aus. Die Haut war gebräunt, wodurch die ausgeprägten Wangenknochen und das kräftige Kinn noch betont wurden. Wer war dieser Kardal? Wieso hielt er sie gefangen, anstatt sie zur nächsten Stadt zu bringen?

Unvermittelt öffnete er die Augen. Aus nächster Nähe sahen sie einander an, aber Sabrina konnte in seinem Gesicht nichts lesen. Sein Blick wirkte sonderbarerweise enttäuscht.

Wortlos stand er auf. Das Seil hatte er offenbar schon in der Nacht gelöst. Es lag auf den Decken. „Du bekommst eine Schale Wasser für die morgendliche Reinigung“, erklärte er, bückte sich und band ihr die Hände los. „Versuch nicht zu fliehen, sonst überlasse ich dich meinen Männern“, fügte er hinzu und wandte ihr den Rücken zu.

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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