Sündiges Verlangen einer Lady

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"Wie unschicklich!" Auf einem Ball ertappt Lady Hero Londons größten Verführer Lord Griffin beim Liebespiel mit einer verheirateten Dame. Doch als sich ihre Blicke treffen, mischt sich in Heros Entrüstung ein anderes, weitaus gefährlicheres Gefühl: Lust! Nie zuvor hat ein Gentleman derartiges Verlangen in ihr geweckt. Dem lasterhaften Lord scheint es ähnlich zu gehen - plötzlich ist Hero das neue Ziel seiner Begierde. Schamlos flirtet er mit ihr. Ein Skandal bahnt sich an … denn Hero ist verlobt - mit Lord Griffins angesehenem älteren Bruder! Da macht Griffin der hübschen Lady ein überraschendes Angebot. Kann sie dem liebestollen Casanova vertrauen?


  • Erscheinungstag 26.08.2016
  • Bandnummer 88
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765323
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war einmal eine schöne und kluge Königin, die lebte in einem Land auf der anderen Seite der Welt. Man nannte sie Ravenhair …

Aus „Queen Ravenhair“

London, England

Oktober 1737

Die Tochter eines Dukes lernt bereits früh im Leben das angemessene Verhalten in beinahe jeder Situation. Auf welcher Platte man geröstete Lerchen servierte. Wann man eine nicht ganz salonfähige Dowager Countess grüßte und bei welcher Gelegenheit man sie schnitt. Was man trug, wenn man in einem Boot die Themse hinabfuhr, und wie man die Avancen eines leicht angetrunkenen Earls mit geringem Einkommen nach einem Picknick abwehrte.

Eigentlich alles, dachte Lady Hero Batten trocken, nur wie man einen Gentleman ansprach, der sich gerade leidenschaftlich mit einer Dame vergnügte, die nicht seine Frau war, das nicht.

„Ähem“, versuchte sie es, während sie die Stuckornamente an der Decke über sich fixierte.

Die beiden auf dem Sofa schienen sie nicht zu hören. Stattdessen gab die Dame aus den Tiefen ihres scheußlichen rotbraun gestreiften Kleides, dessen Röcke man ihr über den Kopf gestülpt hatte, ein paar schrille Schreie von sich.

Hero seufzte. Sie befand sich in einem schummrigen Salon hinter der Bibliothek von Mandeville House und bedauerte es, dass sie sich ausgerechnet diesen Raum ausgesucht hatte, um ihren Strumpf zu richten. Hätte sie den blauen Orientalischen Salon gewählt, säße ihr Strumpf nun tadellos, und sie wäre längst wieder im Ballsaal – und hätte mit dieser peinlichen Situation nichts zu tun.

Vorsichtig senkte sie den Blick. Der Gentleman trug eine unauffällige weiße Perücke, hatte seinen bestickten Gehrock aus Satin beiseite geworfen und mühte sich in Hemd und einer smaragdgrünen Weste über der Dame ab. Seine Breeches und seine Unterwäsche hatte er bis zu den Knien heruntergezogen, um sich sein Vorhaben leichter zu machen, und immer wieder wurde eine muskulöse Pobacke sichtbar.

Unanständigerweise fand Hero den Anblick faszinierend. Wer dieser Gentleman auch sein mochte, sein Körper war recht … erstaunlich.

Sie riss ihren Blick fort, um sehnsüchtig zur Tür zu blicken. Tatsächlich würden es ihr nur wenige verdenken, wenn sie sich diskret umdrehte und auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schliche. Genau das hätte sie auch getan, als sie den Salon betreten und das Geschehen dort entdeckt hatte, wäre sie nicht zwei Minuten zuvor Lord Pimbroke im Gang begegnet. Denn wie der Zufall so spielte, hatte Hero das scheußliche rot-braun gestreifte Kleid früher an diesem Abend an Lady Pimbroke bemerkt.

Wenn Hero sich auch ungern einer peinlichen Lage aussetzte, so waren ihre eigenen Gefühle letztlich nicht so bedeutend wie ein mögliches Duell und die daraus folgende Verletzung oder gar der Tod eines der Kontrahenten.

Nachdem sie zu diesem Schluss gekommen war, nickte Hero, nahm einen ihrer Diamantohrringe ab und zielte auf das Gesäß des Gentlemans. Insgeheim war sie immer stolz auf ihre Treffsicherheit gewesen – nicht, dass sie täglich davon Gebrauch machte –, und sie war recht zufrieden, als sie den Mann aufjaulen hörte.

Er fluchte, drehte sich um und blickte sie über die Schulter hinweg mit den schönsten hellgrünen Augen an, die sie je gesehen hatte. Er war nicht wirklich gut aussehend – sein Gesicht war an den Wangenknochen zu kantig und sein Mund zu breit mit einem zynischen Zug, um dem männlichen Schönheitsideal zu entsprechen –, aber seine Augen würden jede Frau, ganz gleich ob alt oder jung, quer durch den Raum unwiderstehlich anziehen. Und dann würde ihr Blick auf der überheblich zur Schau getragenen Männlichkeit haften bleiben, die für ihn so selbstverständlich zu sein schien.

Oder vielleicht waren es nur die, äh, Umstände, die ihn so wirken ließen.

„Ich muss doch sehr bitten, meine Liebe“, sagte er gedehnt. Sein Ärger war einer leichten Belustigung gewichen, während er sie betrachtete. Seine Stimme war rau und sie klang entspannt. „Ich bin beschäftigt.“

Sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg – es war wirklich eine pikante Situation! –, aber sie erwiderte seinen Blick und vermied es sorgfältig, dass ihrer nicht tiefer glitt. „Das habe ich in der Tat bemerkt, aber ich dachte, Ihr solltet wissen, dass –“

„Es sei denn, Ihr seid eine von denen, die gerne zusehen?“

Nun glühte ihr Gesicht, aber sie würde diesem … diesem Schuft nicht gestatten, sie mit Worten in Verlegenheit zu bringen. Sie ließ ihren Blick verächtlich über seine zerknitterte Weste und das Hemd nach unten wandern – Letzteres verdeckte zum Glück seine aufgeknöpften Breeches – und wieder hinauf. Sie lächelte süßlich. „Ich ziehe Amüsements vor, bei denen ich nicht Gefahr laufe, einzuschlafen.“

Sie erwartete, dass ihre Beleidigung ihn verärgerte, doch stattdessen gab dieser Schuft ein abfälliges Schnauben von sich.

„Das passiert Euch oft, nicht wahr, Süße?“ Seine Stimme war voller Anteilnahme, doch ein Grübchen erschien neben seinem breiten Mund. „Einzuschlafen, während der Spaß gerade anfängt? Nun, macht Euch keine Vorwürfe. Es kann genauso gut die Schuld des Gentlemans sein wie Eure.“

Gute Güte, niemand hatte je so mit ihr gesprochen!

Langsam und furchterregend missbilligend hob Hero die linke Augenbraue. Sie wusste, dass es furchterregend missbilligend wirkte, weil sie im Alter von zwölf Jahren dieses Mienenspiel vor einem Spiegel stundenlang geübt hatte. Das Ergebnis konnte sogar reifen Matronen in ihren hochhackigen Schuhen bange machen.

Dieser diabolische Kerl zuckte nicht einmal mit der Wimper.

„Nun, so wie es aussieht“, erwiderte er auf diese widerlich gedehnte Weise, „haben meine Frauen dieses Problem nicht. Bleibt und seht zu – ich garantiere Euch, dass es lehrreich sein wird. Und wenn ich danach noch bei Kräften bin, dann zeige ich Euch vielleicht –“

„Lord Pimbroke ist auf dem Gang!“, platzte Hero heraus, bevor er dieses niederträchtige Angebot näher ausführen konnte.

Der Berg aus rot-braun gestreiften Röcken quiekte. „Eustace ist hier?“

„Ganz recht. Und er befindet sich auf direktem Weg hierher“, teilte Hero Lady Pimbroke mit nur ein klein wenig Befriedigung mit.

Der Gentleman wurde aktiv. Noch bevor Hero blinzeln konnte, hatte er sich von der Lady erhoben und strich ihre Röcke nach unten, um ihre hellen Schenkel zu verbergen. Er griff nach seinem Gehrock, sah sich rasch prüfend im Salon um und wandte sich dann zu Hero. Er klang immer noch ruhig und gelassen. „Lady Pimbroke ist ein Band oder eine Spitze oder etwas Ähnliches gerissen und Ihr wart freundlicherweise bereit, ihr zu helfen.“

„Aber –“

Er legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen – warm, groß und schockierend unangebracht. In diesem Moment ertönte eine männliche Stimme vom Gang her.

„Bella!“

Lady Pimbroke – oder Bella – quiekte vor Angst.

„Braves Mädchen“, flüsterte der Schurke Hero zu.

Er wandte sich an Lady Pimbroke, küsste sie auf die Wange und murmelte: „Ruhig, Liebling“, bevor er unter dem Sofa verschwand.

Hero hatte nur einen Augenblick, um zu sehen, wie Lady Pimbrokes hübsches, aber geistloses Gesicht aschfahl wurde, als sie begriff, in welcher Gefahr sie schwebte. Dann wurde die Tür zum Salon aufgerissen.

„Bella!“ Lord Pimbroke war groß, hatte ein gerötetes Gesicht und war offensichtlich angetrunken. Er sah sich streitlustig im Salon um, die Hand auf seinem Degen, aber er erstarrte bestürzt, als er Hero sah. „Mylady, was –?“

„Lord Pimbroke.“ Hero trat vor das Sofa und verbarg einen großen männlichen Fuß hinter ihren weiten Röcken.

Sie machte von ihrer linken Augenbraue Gebrauch.

Lord Pimbroke trat tatsächlich einen Schritt zurück – was nach der ignoranten Reaktion des Schurken auf ihr Mienenspiel sehr erfreulich war – und stammelte: „Ich … ich …“

Hero wandte sich Lady Pimbroke zu und berührte sanft die grässliche gelbe Litze am Ellbogen ihres Ärmels. „Ich glaube, das hätten wir befestigt, nicht wahr?“

Lady Pimbroke erstarrte. „Oh! Oh ja, danke, Mylady.“

„Keine Ursache“, murmelte Hero.

„Wenn du hier fertig bist, meine Liebe“, meinte Lord Pimbroke, „dann bist du vielleicht bereit, auf den Ball zurückzukehren?“

Den Worten nach mochte er eine Frage gestellt haben, aber dem Tonfall nach meinte er etwas anderes.

Lady Pimbroke nahm verdrießlich seinen Arm. „Ja, Eustace.“

Und mit einem flüchtigen Gruß verließen die beiden den Raum.

Beinahe zeitgleich spürte Hero, wie an ihren Röcken gezogen wurde.

„Pst! Ich kann hier unten kaum atmen.“

„Lord und Lady Pimbroke könnten zurückkommen“, erwiderte sie gelassen.

„Ich glaube, ich kann unter Euren Rock sehen.“

Hastig trat sie beiseite.

Der Schuft rollte sich unter dem Sofa hervor und stand auf. Er überragte sie deutlich.

Nichtsdestotrotz sah sie ihn wütend von oben herab an. „Ihr habt nicht –“

„Na, na. Und wenn ich es getan hätte, glaubt Ihr wirklich, ich würde es Euch erzählen?“

Hero schnaubte und klang dabei wie Cousine Bathilda, wenn diese sich ganz besonders tugendhaft gab. „Zweifellos würdet Ihr Euch damit brüsten.“

Grinsend beugte er sich vor. „Erregt Euch der Gedanke?“

„Ist Eure Perücke zu eng?“, fragte Hero höflich.

„Bitte?“

„Nun, ich denke auf Eurem stolzgeschwellten Kopf muss sie sich sehr unangenehm anfühlen.“

Sein Grinsen wurde etwas grimmiger. „Mein Kopf ist nicht das Einzige, was überproportional groß ist, das kann ich Euch versichern. Vielleicht seid Ihr deshalb hier hereingekommen? Um einen Blick zu erhaschen?“

Sie verdrehte die Augen. „Ihr habt keine Spur von Schamgefühl, nicht wahr? Die meisten Männer würden zumindest Verlegenheit vortäuschen, wenn man sie bei einem solchen Vergehen erwischen würde, aber Ihr – Ihr stolziert herum wie ein aufgeplusterter Gockel.“

Er hielt dabei inne, sich den Gehrock überzustreifen, einen Arm ausgestreckt, den Ärmel halb angezogen, und riss die schönen grünen Augen auf. „Oh, natürlich. Ihr müsst eine Moralpredigt halten. Natürlich müsst Ihr Euch mir überlegen fühlen, wenn –“

„Ich habe gesehen, wie Ihr Ehebruch begangen habt!“

„Ihr habt gesehen, wie ich mich beim Ficken amüsiert habe“, sagte er mit deutlicher Betonung.

Sie zuckte angesichts dieser rohen Ausdrucksweise zusammen, wich aber nicht von der Stelle. Sie war die Tochter eines Dukes, und sie würde nicht vor einem solchen Mann flüchten. „Lady Pimbroke ist verheiratet.“

„Lady Pimbroke hatte bereits vor mir zahlreiche Liebhaber, und sie wird auch nach mir zahlreiche Liebhaber haben.“

„Das vergibt Euch Eure Sünde nicht.“

Er sah sie an und lachte – er lachte tatsächlich, langsam und tief. „Und Ihr seid frei von Sünden, ja?“

Sie musste nicht einmal darüber nachdenken. „Natürlich.“

Er verzog sarkastisch den Mund. „So sicher also?“

Sie starrte ihn beleidigt an. „Zweifelt Ihr an meinen Worten?“

„Oh nein, keineswegs. Ich glaube Euch sofort, dass es Euch nie in Euren gänzlich perfekten Sinn gekommen ist, zu sündigen.“

Sie reckte das Kinn und fühlte sich erregt – sie hatte noch nie mit einem Gentleman gestritten, schon gar nicht mit einem fremden Gentleman. „Und ich frage mich langsam, ob Euch je der Gedanke an Rechtschaffenheit in Euren gänzlich schamlosen Sinn gekommen ist.“

Er sah sie einen Augenblick an und ein Muskel an seinem Kinn zuckte. Dann verneigte er sich plötzlich. „Ich danke Euch, dass Ihr gegen Eure Überzeugung gehandelt und mich davor bewahrt habt, Lord Pimbroke töten zu müssen.“

Sie nickte steif.

„Und ich hoffe sehr, dass unsere Wege sich nie wieder kreuzen, Mylady Perfect.“

Unerklärlicherweise schmerzten Hero seine abschätzigen Worte, aber es gelang ihr, dies vor ihm zu verbergen. „Ich werde sicherlich dafür beten, Eure Gegenwart nie wieder ertragen zu müssen, Mylord Shameless.“

„Dann sind wir ja einer Meinung.“

„Absolut.“

„Gut.“

Einen Moment lang starrte sie ihn an; ihre Brüste drückten sich mit jedem zu schnellen Atemzug gegen ihr Korsett, und ihre Wangen glühten vor Erregung. In der Hitze des Gefechts waren sie einander näher gekommen, und sein Brustkorb streifte beinahe die Spitze ihres Mieders.

Er starrte zurück, die Augen so grün in seinem abscheulichen Gesicht.

Sein Blick fiel auf ihren Mund.

Ihre Lippen öffneten sich, und für eine endlose Sekunde vergaß sie zu atmen.

Er drehte sich um und ging zur Tür, dann verschwand er in dem schummerigen Gang dahinter.

Hero blinzelte und atmete zitternd ein, als sie sich benommen im Salon umschaute. An der Wand hing ein Spiegel, und sie ging darauf zu, um sich anzusehen. Ihr rotes Haar war immer noch elegant frisiert, ihr bezauberndes silbrig-grünes Kleid glatt. Ihre Wangen waren leicht gerötet, aber es stand ihr.

Seltsamerweise hatte sie sich nicht verändert.

Nun, das war gut.

Sie straffte sich und trat aus dem Zimmer. Ihre Schritte waren anmutig, aber hastig. Gerade heute war es wichtig, dass sie heiter, bezaubernd und perfekt aussah, denn heute würde ihre Verlobung mit dem Marquess of Mandeville bekannt gegeben werden.

Hero reckte das Kinn, als sie sich an das höhnische Lächeln des Fremden erinnerte, als er das Wörtchen „perfekt“ ausgesprochen hatte. Was konnte er denn gegen Perfektion haben?

Verdammt sein sollen alle selbstgerechten, perfekten Frauen – und dieses rothaarige Frauenzimmer im Salon ganz besonders!

Lord Griffin Reading schritt übellaunig in Richtung des Ballsaals im Haus seines Bruders. Dieses elende Mädchen! Sie hatte missbilligend und selbstgefällig dort gestanden und es gewagt, ihn von oben herab anzuschauen. Ihn! Wahrscheinlich hatte sie in ihrem ganzen, viel zu behüteten Leben noch nie ein menschliches Verlangen verspürt. Das einzige Anzeichen ihrer Verlegenheit waren die roten Flecken gewesen, die auf ihrem zarten Hals erschienen waren, als sie ihn angesehen hatte. Griffin grunzte. Dieser tadelnde Gesichtsausdruck hätte den Stolz eines jeden Mannes umgehend erschlaffen lassen.

Dumm nur, dass er erstaunlicherweise genau die gegenteilige Reaktion verspürt hatte – und das hatte nicht daran gelegen, dass er mit Bella keine Erfüllung gefunden hatte. Nein, die Aussicht, von einem wütenden gehörnten Ehemann entdeckt zu werden, worauf rasch ein blutiges Duell im Morgengrauen folgen könnte, hatte seine Leidenschaft gründlich abgekühlt, danke schön! Als er sich unter dem Sofa hervorgerollt hatte, war er vollkommen ruhig gewesen. Das hieß, bis er das hitzige Wortgefecht mit dieser Ich-bin-besser-als-Ihr-Frau gehabt hatte. Seine Männlichkeit hatte den Streit als ein seltsames Vorspiel für den Liebesakt gesehen, trotz ihrer offensichtlichen Achtbarkeit, trotz ihrer Feindseligkeit ihm und trotz seiner eigenen Ablehnung ihr gegenüber.

Griffin blieb in einer dunklen Ecke stehen und versuchte, sich zu beruhigen, während er den Diamantohrring in seiner Tasche befühlte. Er hatte ihn unter dem Sofa gefunden und ihn Lady Perfect zurückgeben wollen, bevor ihre scharfe Zunge ihn das Schmuckstück hatte vergessen lassen. Nun, es geschah ihr recht, ihren hübschen Ohrring zu verlieren, wenn das die Art war, wie sie mit Gentlemen sprach.

Er massierte sich die Schulter. Als er den Ballsaal vor einer halben Stunde betreten hatte, hatte er noch nicht einmal Zeit gehabt, seine Mutter und seine Schwestern zu begrüßen, bevor Bella ihm mit ihrem pikanten Vorschlag aufgelauert hatte. Hätte er gewusst, dass ihr Ehemann ebenfalls auf dem Ball war, hätte er sich niemals auf ein so gefährliches Rendezvous eingelassen.

Griffin seufzte. Aber jetzt war es zu spät, um sich Vorwürfe zu machen. Es war besser, die ganze peinliche Geschichte unter der Rubrik „Dinge, die man am besten so schnell wie möglich vergisst“ abzulegen. Megs und Caroline war es vermutlich gleichgültig, dass er verschwunden war, aber Mater würde sicher nach ihm Ausschau halten. Es hatte keinen Sinn, es aufzuschieben. Griffin zog noch einmal sein Krawattentuch zurecht, um sicherzugehen, dass es tadellos saß, und betrat den Ballsaal.

Die Kristalllüster funkelten und beleuchteten ein veritables Gedränge. Dies würde das Ereignis der Saison sein, und kein Mitglied der Londoner Gesellschaft wollte es verpassen. Griffin begann, sich seinen Weg durch die Menge der edel und farbenfroh gekleideten Menschen zu bahnen, aber er kam nur langsam voran, da er häufig alte Freunde und neugierige Bekannte begrüßen musste.

„Wie nett von dir, zu erscheinen, Liebling“, ertönte eine dunkle Stimme neben seinem Ellbogen.

Griffin wandte sich von zwei gekünstelt lächelnden Matronen ab, die ihm den Weg versperrten, und beugte sich hinab, um seine Mutter auf die Wange zu küssen. „Madam. Wie schön Euch zu sehen.“

Die Worte waren floskelhaft, nicht jedoch das Gefühl, das sich dahinter verbarg und ihn plötzlich zu überwältigen drohte. Er war seit beinahe einem Jahr nicht in London gewesen, und es war über acht Monate her, dass seine Mutter ihn auf dem Familiensitz in Lancashire besucht hatte. Er neigte den Kopf und betrachtete sie. Ihr feines Haar, dass sie in einem eleganten Knoten unter einer Spitzenhaube trug, mochte ein paar graue Strähnen mehr haben, aber ansonsten war ihr geliebtes Gesicht unverändert. Ihre braunen Augen, die von Lachfältchen eingerahmt wurden, wirkten intelligent, die weich geschwungenen Lippen waren geschürzt, um ein liebevolles Lächeln zu kaschieren, und die geraden Augenbrauen waren ständig ein wenig belustigt hochgezogen wie seine eigenen.

„Du bist so braun wie eine Haselnuss“, murmelte sie und legte ihm einen Finger auf die Wange. „Ich vermute, du bist über die Ländereien geritten.“

„Aufmerksam wie immer, meine liebe Mater“, erwiderte er und bot ihr seinen Arm.

Sie hängte sich bei ihm ein. „Und wie ist die Ernte?“

Seine Schläfe begann schmerzhaft zu pochen, aber Griffin antwortete fröhlich: „Recht gut.“

Er spürte ihren besorgten Blick. „Wirklich?“

„Es war ein trockener Sommer, also fällt die Ernte geringer aus als erwartet.“ Das war eine Beschönigung für etwas, das in Wirklichkeit eine miserable Ernte gewesen war. Zunächst einmal war ihr Land nicht besonders fruchtbar – was seine Mutter bereits wusste –, aber es hatte keinen Sinn, sie zu beunruhigen. „Wir werden Gewinn mit dem Getreide machen.“

Er blieb absichtlich vage, was er mit dem Getreide zu tun gedachte. Es war die Last, die er für seine Mutter und den Rest der Familie trug.

Seine Antwort schien sie zu beruhigen. „Gut. Lord Bollinger zeigt Interesse an Margaret und sie wird in dieser Saison neue Kleider brauchen. Ich will unsere Mittel nicht überstrapazieren.“

„Das ist kein Problem“, erwiderte er, während er die Ausgaben rasch im Kopf durchrechnete. Es würde wie immer knapp werden, aber es sollte ihm möglich sein, die Gelder aufzutreiben – vorausgesetzt, er erlitt keine weiteren Verluste. Der Schmerz in seiner Schläfe wurde schlimmer. „Kauft Megs alle Kinkerlitzchen, die sie braucht. Die Familienkasse hält es aus.“

Die Sorgenfalte zwischen ihren Brauen verschwand. „Und natürlich ist da noch Thomas.“

Er war darauf gefasst gewesen, dass sein Bruder erwähnt werden würde, aber irgendwie schaffte er es nicht, der leichten Anspannung seiner Muskeln Herr zu werden.

Natürlich spürte Mater es. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist, Griffin. Es ist jetzt an der Zeit, eure Unstimmigkeit zu bereinigen.“

Griffin schnaubte. Er glaubte nicht, dass sein Bruder die Angelegenheit lediglich für eine Unstimmigkeit hielt. Thomas verhielt sich in allen Dingen korrekt, und er hätte sich mit Griffin nicht wegen Trivialitäten gestritten. Das zu tun, hieße, sich von Emotionen beherrschen zu lassen, was für jemanden wie Thomas ein Gräuel war. Einen Augenblick lang musste er an Lady Perfects große graue Augen denken. Zweifellos würde eine Frau wie sie sich hervorragend mit seinem selbstgefälligen und überkorrekten Bruder verstehen.

Griffin versuchte, erfreut zu erscheinen, weil er Thomas wiedersehen würde. „Natürlich. Es wird wunderbar sein, mit Thomas zu sprechen.“

Mater runzelte die Stirn. Offensichtlich musste er an seinem erfreuten Gesichtsausdruck arbeiten. „Er vermisst dich, das weißt du.“

Er warf ihr einen ungläubigen Blick zu.

„Das tut er wirklich“, beharrte sie, obwohl er bemerkte, dass sich auf ihren Wangen zwei rote Flecken gebildet hatten – sogar Mater war sich nicht sicher, wie Thomas ihn empfangen würde. „Diese Entfremdung muss ein Ende haben. Es ist nicht gut für die Familie, es ist nicht gut für euch beide, und es ist nicht gut für mich. Ich werde nie verstehen, warum es sich bereits so lange hinzieht.“

Griffin sah in seinem Augenwinkel etwas silbrig-grün aufblitzen. Und er blickte sich um. Sein Puls ging schneller. Aber die Dame, die das Kleid trug, war bereits in der Menge verschwunden.

„Griffin, hör mir zu!“, zischte seine Mutter.

Er lächelte auf sie hinab. „Entschuldigt, ich dachte, ich hätte jemanden gesehen, den ich meiden wollte.“

Sie schnaubte. „Ich bin sicher, es gibt einige Damen von schlechtem Ruf hier, denen du nicht begegnen möchtest.“

„Diese hier ist eigentlich eher zu ehrbar“, erwiderte er leichthin. Seine Hand wanderte in die Tasche seines Gehrocks, und er befühlte den kleinen Diamantohrring. Er sollte ihn ihr besser zurückgeben.

„Tatsächlich?“ Für einen Moment dachte er, seine Mutter ließe sich von ihrer Strafpredigt ablenken. Dann schüttelte sie den Kopf. „Versuche nicht, das Thema zu wechseln. Du und Thomas habt diesen elenden Streit vor drei Jahren begonnen, und meine Nerven sind entsetzlich angespannt. Ich glaube nicht, dass ich noch einen weiteren eisigen Brief zwischen euch oder ein Essen mit euch beiden ertragen kann, wenn ich aus Angst davor, das falsche Gesprächsthema zu wählen, auf jedes einzelne meiner Worte aufpassen muss.“

„Friede, Mater!“ Griffin lachte leise und beugte sich hinunter, um seine aufgebrachte Mutter auf die Wange zu küssen. „Thomas und ich werden uns die Hände schütteln wie brave kleine Jungen, und du wirst mit uns beiden zu Abend essen, während ich in London bin.“

„Versprochen?“

„Bei meiner Ehre.“ Er hielt sich die Hand an die Brust. „Ich werde so freundlich und durch und durch nett sein, dass Thomas mich mit Beteuerungen brüderlicher Liebe überschütten wird.“

„Hm“, erwiderte sie. „Nun, ich hoffe es jedenfalls.“

„Nichts auf der Welt“, versicherte er ihr unbekümmert, „kann mich davon abhalten.“

„Na, glücklich?“

Hero drehte sich um, als sie die tiefe männliche Stimme hörte, und erkannte ihren geliebten älteren Bruder Maximus Batten, den Duke of Wakefield. Einen Augenblick lang verstand sie die Frage nicht. In den zwei Monaten, die sie gebraucht hatte, um ihre Verlobung mit dem Marquess of Mandeville zu arrangieren, hatte Maximus sie einige Male gefragt, ob sie mit der Verbindung zufrieden war, aber er hatte sie nie gefragt, ob sie glücklich war.

„Hero?“ Maximus’ gerade dunkle Augenbrauen zogen sich über seiner aristokratisch klassisch geformten Nase zusammen.

Sie hatte oft gedacht, dass Maximus’ Aussehen perfekt zu seinem Stand passte. Wenn man die Augen schloss und versuchte, sich einen perfekten Duke vorzustellen, würde Maximus dabei herauskommen. Er war groß, seine Schultern breit, aber nicht zu sehr, sein Gesicht lang und schmal; es wirkte nur ein wenig zu kalt und zu gebieterisch. Sein Haar war dunkelbraun und sehr kurz geschnitten, da er für gewöhnlich weiße Perücken trug. Auch seine Augen waren braun. Man hielt braune Augen oft für warm, aber ein ungeduldiger Blick von Maximus reichte aus, um in dieser Hinsicht jeden eines Besseren zu belehren. Wärme war das Letzte, was man mit dem Duke of Wakefield in Verbindung bringen würde. Aber trotz alldem war er ihr Bruder.

Hero sah lächelnd zu ihm auf. „Ja, ich bin ziemlich glücklich.“

War das Erleichterung, die sie in diesen ernsten Augen sah? Einen Augenblick lang verspürte sie verärgert einen verräterischen Stich. Maximus hatte bis zu diesem Augenblick nicht ein einziges Mal zu verstehen gegeben, dass ihr Glück bei dieser Verbindung eine Rolle spielen könnte. Das Zusammenführen von Ländereien und Interessen, die Stärkung seiner parlamentarischen Verbindung mit Mandeville, das waren wichtige Überlegungen. Sie wusste sehr gut, dass ihre Gefühle bei den Verhandlungen keinerlei Rolle spielten. Aber das bereitete ihr keine Probleme. Sie war die Tochter eines Dukes, und sie hatte von klein auf gewusst, was der Zweck ihres Lebens war und wohin sie gehörte.

Maximus presste die Lippen aufeinander und überblickte den Ballsaal. „Es ist noch nicht zu spät, deine Meinung zu ändern. Ich wollte, dass du das weißt.“

„Ist es das nicht?“ Sie sah sich im Ballsaal um. Mandeville House war erlesen geschmückt. Blaue und silberne Girlanden – die Farben der Familie Batten – waren mit dem Scharlachrot und Schwarz der Readings verschlungen. Blumenvasen standen auf jedem Tisch, und der Marquess hatte eine Kolonne von Dienstboten angeheuert und eingekleidet. Hero sah zu ihrem Bruder zurück. „Die Verträge sind bereits schriftlich festgelegt und unterschrieben.“

Maximus runzelte voller Missfallen die Stirn. „Wenn du dieser Verlobung wirklich entfliehen willst, kann ich sie brechen.“

„Das ist sehr großzügig von dir.“ Hero war von Maximus’ schroffen Worten gerührt. „Aber ich bin mit meiner Verlobung recht zufrieden.“

Er nickte. „Ich glaube, dann ist es an der Zeit, dass wir uns zu deinem Verlobten gesellen.“

„Natürlich.“ Ihre Stimme war ruhig, aber ihre Finger zitterten ein wenig, als sie sie auf den Arm ihres Bruders legte.

Glücklicherweise schien Maximus es nicht zu bemerken. Er führte sie zu einer Seite des Ballsaals. Er bewegte sich ohne Eile, jedoch mit der üblichen Entschlossenheit. Manchmal fragte Hero sich, ob ihr Bruder überhaupt bemerkte, dass man ihm sein Vorankommen erleichterte, indem man ihm rasch aus dem Weg ging.

Ein Mann stand mit dem Rücken zu ihnen neben der Tanzfläche. Er trug düsteres Schwarz und seine Perücke war schneeweiß. Er drehte sich um, als sie sich näherten, und für einen Augenblick setzte Heros Herz aus. Etwas an der Art, wie er die Schultern hielt und wie er sein Kinn im Profil vorstreckte, erinnerte sie an den Schurken, mit dem sie sich vor ein paar Minuten gestritten hatte. Dann sah er sie an, und sie knickste ernst vor dem Marquess of Mandeville, wobei sie sich selbst für ihre dumme Einbildung schalt. Es war schwer, sich jemanden vorzustellen, der Lord Shameless weniger ähnelte als ihr Verlobter.

Mandeville war groß und ziemlich gut aussehend. Würde Mandeville öfter lächeln, könnte man ihn sogar als schönen Menschen bezeichnen. Aber man spürte irgendwie, dass Schönheit bei einem Marquess unangemessen wäre, und man konnte den Marquess of Mandeville einiges nennen, aber gewiss nicht unangemessen.

„Euer Gnaden, Lady Hero.“ Mandeville verneigte sich elegant. „Ihr seht heute noch bezaubernder aus als sonst, Mylady.“

„Ich danke Euch, Mylord.“ Hero lächelte zu ihm auf und freute sich, dass sein sonst so trauriger Mund ein wenig weicher wurde.

Dann wanderte sein Blick zu einem ihrer Ohren. „Meine Liebe, Ihr tragt nur einen Ohrring.“

„Tatsächlich?“ Hero befühlte automatisch beide Ohrläppchen. Ihr Gesicht wurde heiß, als sie sich daran erinnerte, was mit dem fehlenden Schmuckstück geschehen war. „Du meine Güte, ich muss einen verloren haben.“

Rasch entfernte sie den einzelnen Diamantohrring und reichte ihn ihrem Bruder, damit er ihn in seiner Tasche verstaute.

„So ist es besser“, meinte Mandeville und nickte zustimmend. „Wollen wir?“, fragte er sie, sah dabei aber Maximus an.

Maximus nickte.

Mandeville gab seinem Butler ein Zeichen, aber es wurde bereits still im Raum, während die Gäste sich zu ihnen umdrehten.

Hero setzte ein heiteres Lächeln auf und stellte sich gerade und ruhig hin, so wie man es sie von Kindesbeinen an gelehrt hatte. Eine Dame ihres Ranges zappelte nicht herum. Sie stand nicht gerne im Zentrum der Aufmerksamkeit, aber das ließ sich nicht vermeiden, wenn man die Tochter eines Dukes war. Sie warf Mandeville einen Blick zu. Und eine Marchioness würde noch mehr Blicke auf sich ziehen.

Natürlich.

Hero unterdrückte einen kleinen Seufzer, atmete langsam ein und aus und stellte sich vor, sie sei eine Statue. Das war ein alter Trick, um Veranstaltungen wie diese zu überstehen. Sie war die hohle, perfekte Fassade der Tochter eines Dukes. Sie selbst – die Frau in ihrem Inneren – musste nicht unbedingt hier sein.

„Meine Freunde“, dröhnte Mandeville. Im Parlament war er für seine Redekunst bekannt, und seine Stimme war voll und tief. Hero fand, dass sie auch etwas Theatralisches hatte, aber natürlich würde sie ihm das niemals ins Gesicht sagen. „Ich heiße euch alle hier zu einer wichtigen Feier willkommen: zu meiner Verlobung mit Lady Hero Batten.“

Er drehte sich um und nahm ihre Hand, dann verneigte er sich und küsste galant ihre Fingerknöchel. Hero lächelte und knickste vor ihm, während die Gäste applaudierten. Sie richtete sich auf, und sofort war das Paar umrundet, als alle nach vorne drängten, um Glück zu wünschen.

Hero dankte gerade einer tauben ältlichen Countess, als Mandeville hinter ihr rief: „Ah, Wakefield, Lady Hero, ich möchte Euch jemandem vorstellen.“

Sie drehte sich um und sah in sinnliche hellgrüne Augen, die belustigt funkelten. Hero konnte ihn nur sprachlos anstarren, als Lord Shameless sich verbeugte und ihre Hand nahm, um mit seinen weichen, warmen Lippen über ihre Haut zu streichen.

Wie von weit entfernt hörte sie Mandeville neben sich sagen: „Meine Liebe, dies ist mein Bruder, Lord Griffin Reading.“

2. KAPITEL

Seit dem Tod ihres Gemahls, des verstorbenen Königs, hatte Königin Ravenhair ihr Königreich gerecht und friedlich regiert. Doch es ist nicht einfach für eine Frau, Macht in einer von Männern dominierten Welt auszuüben. Denn obwohl sie Ratgeber und Minister und Gelehrte hatte, konnte sie keinem von ihnen gänzlich trauen. Darum stand Queen Ravenhair jeden Abend auf ihrem Balkon und hielt einen kleinen braunen Vogel zwischen ihren Händen. Sie flüsterte dem Vogel ihre Geheimnisse und ihre Sorgen zu und dann, wenn sie die Hände öffnete, ließ sie ihn frei, und er flog in die Nacht hinaus und trug ihre Sorgen mit sich …

Aus „Queen Ravenhair“

Hero holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und setzte ein höfliches Lächeln auf – weder zu breit noch zu schmal. Es war ein sehr gemäßigter Gesichtsausdruck, der in keinerlei Hinsicht enthüllte, wie schockiert sie war, herauszufinden, dass Lord Shameless bald ihr Schwager werden würde. „Es freut mich, Euch kennenzulernen, Lord Reading.“

„Tut es das?“ Er beugte sich immer noch halb über ihre Hand, sodass nur sie sein Murmeln hören konnte.

„Selbstverständlich.“

„Lügnerin.“

Ihr höfliches Lächeln wurde ein wenig steif, als sie flüsternd zischte: „Wagt es nicht, eine Szene zu machen!“

„Eine Szene? Ich?“ Er kniff die Augen zusammen, und sie erkannte, dass sie wohl einen taktischen Fehler begangen hatte.

Hero versuchte, ihre Hand zurückzuziehen, aber der schreckliche Mann hielt sie nur noch fester, während er sich ohne Eile aufrichtete. „Wie schön, endlich meine neue Schwester kennenzulernen. Es macht Euch doch nichts aus, dass ich Euch ‚Schwester‘ nenne, Mylady? Es kommt mir so vor, als kennen wir uns bereits. Bald werden wir uns bei jedem Familientreffen begegnen – Nachtmahl, Frühstück, Tee und der ein oder andere Imbiss hier und da. Diese Aussicht raubt mir den Atem, meine liebe kleine Schwester. Was für eine fröhliche Familie wir doch sein werden.“

Er grinste sie unverschämt an.

Hero war angeekelt, dass dieser Schuft einen so vertrauten Ausdruck verwendete. Er war keineswegs ihr Bruder. „Ich glaube nicht …“

„Es tut mir so leid, das zu hören“, murmelte er.

Sie knirschte mit den Zähnen und zerrte verstohlen an ihrer Hand. Sein Griff blieb fest.

„Lord Reading, ich …“

„Aber Ihr werdet doch bitte mit mir tanzen, meine bezaubernde zukünftige Schwester?“, fragte er mit einer Unschuld, dass ihr die Sprache wegblieb.

„Ich –“

Er hob die Augenbrauen, als sie das sagte, und seine grünen Augen blitzten auf vor durchtriebener Belustigung.

„– glaube nicht“, knirschte sie, „dass es gut wäre …“

„Natürlich.“ Er senkte den Blick und neigte leicht den Kopf.

„Warum sollte eine solch edle Dame mit einem Taugenichts wie mir tanzen wollen? Es tut mir so leid, Euch belästigt zu haben.“

Seine Lippen zitterten tatsächlich. Hero spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Irgendwie hatte er es geschafft, sie schlecht dastehen zu lassen.

„Nun …“ Sie biss sich auf die Lippen.

„Das ist doch ein nettes Angebot, Hero. Was sagst du dazu?“, knurrte Maximus neben ihr.

Sie erschrak, nur ein klein wenig, aber Reading drückte warnend ihre Finger. Himmel! Sie hätte beinahe vergessen, dass sie sich inmitten eines überfüllten Ballsaals befanden. Etwas Derartiges war ihr noch nie passiert. Ganz gleich, wo sie sich befand, Hero war sich immer völlig der Tatsache bewusst, dass sie die Tochter eines Dukes war, und sie hatte es regelrecht verinnerlicht, wie sie sich zu benehmen hatte.

Sie sah Reading bestürzt an und bemerkte, dass er nicht mehr spöttisch lächelte. Tatsächlich war sein Gesicht ausdruckslos, als er sich an seinen Bruder wandte. „Selbstverständlich nur mit deiner Erlaubnis, Thomas.“

Als sie so nebeneinander standen, konnte Hero die Ähnlichkeit der Brüder deutlich erkennen. Sie waren gleich groß und neigten auch beide ihr markantes Kinn in einer besonderen Weise, als wollten sie jeden anderen Mann im Raum herausfordern. Als sie die Männer so betrachtete, dachte Hero, dass Readings Gesicht älter wirkte, obwohl sie wusste, dass er einige Jahre jünger war. Lord Readings Augen lagen tiefer, waren von mehr Fältchen umrandet, und sein Blick war wesentlich zynischer. Er sah aus, als hätte er mehr in seinem Leben erlebt als Mandeville.

Mandeville hatte seinem Bruder noch immer nicht geantwortet und das Schweigen wurde unangenehm. Die Dowager Marchioness stand zwischen den beiden Männern und sah ihren älteren Sohn besorgt an. Vielleicht teilte sie ihm stumm etwas mit.

Mandeville nickte seinem Bruder schließlich zu und lächelte, aber dieses Lächeln beschränkte sich auf seine Lippen, seine Augen blieben kalt.

Reading drehte sich auf der Stelle um und führte sie in Richtung Tanzfläche. Sein Schritt erschien gemessen, aber Hero hatte bereits den halben Saal durchquert, bevor sie wusste, wie ihr geschah.

„Was habt Ihr vor?“, zischte sie.

„Ein Menuett tanzen, glaube ich.“

Sie warf ihm angesichts des kindischen Scherzes einen vielsagenden Blick zu.

„Aber, aber, meine liebe Schwester –“

„Hört auf, mich so zu nennen!“

„Wie bitte, Schwester?“

Sie befanden sich nun auf der Tanzfläche, und er drehte sich um, um sie anzusehen, während die anderen Paare ihre Plätze einnahmen.

Hero kniff die Augen zusammen. „Ja!“

„Aber Ihr werdet bald meine Schwester sein“, antwortete er langsam und geduldig, als rede er mit einem nicht besonders intelligenten Kleinkind. „Die Frau meines großen Bruders, von höherem Rang als ich, wenn auch nicht älter. Wie sollte ich Euch sonst nennen, wenn nicht Schwester?“ Er sah sie mit weit aufgerissenen Augen so unschuldig an, dass sie beinahe lachen musste.

Zum Glück konnte sie sich zusammenreißen. Nur Gott wusste, was Mandeville – ganz zu schweigen von ihrem Bruder – denken würde, wenn sie auf ihrem Verlobungsball kicherte wie ein Schulmädchen. „Warum habt Ihr mich um einen Tanz gebeten?“

Er tat verletzt. „Warum? Um Eure wunderbare Verlobung mit meinem Bruder zu feiern natürlich.“

Sie hob wieder ihre linke Braue, auch wenn das in diesem Fall ärgerlicherweise wirkungslos war.

Er neigte sich zu ihr und flüsterte leise: „Oder möchtet Ihr vielleicht die Details unseres Zusammentreffens vor unseren Familien besprechen?“

Die Musik setzte ein und Hero knickste. „Warum sollte mich das kümmern? Mir scheint, Ihr habt mehr zu verlieren als ich, sollten die Umstände unseres Kennenlernens bekannt werden.“

„Das sollte man meinen“, erwiderte er, als sie einander umkreisten. „Aber diese Annahme zieht die Persönlichkeit meines Bruders nicht in Betracht.“

Hero runzelte die Stirn. „Was wollt Ihr damit andeuten?“

„Ich konstatiere“, murmelte Reading, „dass mein Bruder ein engstirniger Esel ist, der, wenn er Euch in diesem Salon mit Belle und mir entdeckt hätte, sofort einige unglückselige und falsche Schlüsse gezogen hätte.“

Der Tanz trennte sie für einen Augenblick, und Hero versuchte, mit der Vorstellung zurechtzukommen, dass ein Mann eine so finstere Seele hatte, dass er das Schlimmste von seinem eigenen Bruder denken konnte.

Als sie wieder aufeinandertrafen, fragte sie leise: „Warum sagt Ihr mir das?“

Er zuckte mit den Achseln. „Es ist die Wahrheit.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Ich denke, Ihr seid vor allem bestrebt, meine Zuneigung zu Eurem Bruder zu mindern, und es ist wirklich boshaft und gemein, was Ihr da versucht.“

Er lächelte, und unter seinem rechten Auge zuckte ein Muskel. „Lady Perfect, so treffen wir uns also wieder.“

„Hört auf, mich so zu nennen!“, zischte sie. „Ich weiß, dass Mandeville nicht so bösartig ist, wie Ihr zu glauben scheint.“

„Ich widerspreche einer Dame natürlich nur ungern, aber Ihr habt keine Ahnung, wovon Ihr redet.“

Sie sah ihn zornig an. „Ihr beleidigt sowohl Euren Bruder als auch mich, Sir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Euer Bruder Euch je etwas angetan hat, was eine solch widerwärtige Behandlung verdient.“

Er beugte sich über sie, so nahe, dass sie den Duft von Zitrone und Sandelholz riechen konnte. „Könnt Ihr nicht?“

Seine beinahe bedrohliche Nähe rief ein Erschauern in ihr hervor, das sie nicht unterdrücken konnte. Sie war keine kleine Frau – tatsächlich war sie größer als viele der Frauen, die sie kannte –, aber Reading war stattlich und überragte sie um mindestens einen Fuß. Er nutzte diese Tatsache, um sie einzuschüchtern.

Nun, sie war nicht so einfach einzuschüchtern. Sie schnaubte leise und drehte sich, um ihm in die Augen zu blicken. „Nein. Nein, ich kann mir kein so furchtbares Unrecht vorstellen, dass Ihr den Charakter Eures Bruders mir gegenüber derartig diffamieren würdet.“

„Vielleicht mangelt es Euch einfach an Vorstellungskraft“, murmelte er, die Lider gesenkt.

„Oder vielleicht seid Ihr derjenige, dem es an gewissen Dingen mangelt.“

„In Euren Augen dürfte das zutreffen. Schließlich bin ich nicht so perfekt wie mein Bruder. Ich bin kein maßgebliches Mitglied des Parlaments, und ich besitze weder sein gutes Aussehen noch seinen Anstand. Und“, er lehnte sich wieder nahe zu ihr, „ich führe keinen stolzen Titel.“

Einen Augenblick lang sah sie ihn ungläubig an, dann lachte sie leise. „Seid Ihr so eifersüchtig auf ihn, dass Ihr glaubt, ich heirate Euren Bruder nur um seines Titels willen?“

Es freute sie, zu sehen, dass er mit finsterem Blick den Kopf zurückwarf. „Ich bin nicht eifersüchtig –“

„Ach nein?“, unterbrach sie ihn süßlich. „Dann seid Ihr vielleicht nur ein Narr. Mandeville ist ein ehrenhafter Mann. Ein guter Mann. Und ja, ein Mann, der von seinen Freunden und jedem, mit dem er zu tun hat, respektiert wird – ganz nebenbei ist er zudem der Freund und Verbündete meines Bruders. Ich bin stolz, seine Verlobte zu sein.“

Der Tanz trennte sie, und als sie wieder aufeinandertrafen, nickte er steif. „Vielleicht habt Ihr recht. Vielleicht bin ich nur ein Narr.“

Überrascht blinzelte sie. Der Schuft, für den sie ihn gehalten hatte, würde nicht so unumwunden eine menschliche Schwäche eingestehen.

Er sah sie an, und ein Mundwinkel zuckte nach oben, als könne er ihre Gedanken lesen. „Werdet Ihr Thomas von unserer Begegnung erzählen?“

„Nein.“ Sie musste nicht einmal darüber nachdenken.

„Das ist klug. Wie ich bereits erwähnte, würde mein Bruder wegen Eurer Verstrickung in die Sache nicht gut von Euch denken.“

Hero wurde unsicher. Sosehr sie sich weigern wollte, Mandeville so etwas zuzutrauen, sosehr fürchtete sie, ihr Verlobter könnte doch falsche Schlüsse ziehen.

Sie verscheuchte den Gedanken und sah Reading in die Augen. „Ich versuche, Euren Ruf bei Eurem Bruder zu bewahren.“

Er warf den Kopf zurück und lachte. Es klang voll und tief und männlich, und es zog die Blicke der anderen Tanzenden auf sich.

„Wisst Ihr das nicht? Ich habe keinen guten Ruf, den man bewahren könnte, meine liebe Lady Perfect. Legt Euren Schild und Euer Schwert beiseite, legt Eure glänzende Rüstung ab. Es gibt keinen Drachen, den man meinetwegen erschlagen muss. Es gibt nichts zu schützen.“

„Ist das so?“, fragte sie. Eine plötzliche Neugier machte sie unvorsichtig. Sie hatte ein Wispern über den mysteriösen Bruder ihres Verlobten gehört, aber die Gerüchte waren unerträglich vage gewesen. „Seid Ihr wirklich so unwiederbringlich verloren?“

„Ich bin ein wahrer Schuft.“ Er umkreiste sie langsam im Takt der Musik und flüsterte so leise, dass nur sie ihn hören konnte: „Ein Verführer, ein Wüstling, die übelste Art von Lebemann. Ich bin berüchtigt für meine Ausschweifungen – ich trinke zu viel, wälze mich in fremden Betten und rülpse in gemischter Gesellschaft. Ich besitze keinerlei Zurückhaltung, keine Moral, und ich habe auch kein Verlangen danach. Kurz gesagt, ich bin der Teufel persönlich, und Ihr, meine teuerste Lady Perfect, würdet gut daran tun, mich um jeden Preis zu meiden.“

Ein lautes, sehr männliches Lachen ließ Thomas Reading, den Marquess of Mandeville, zur Tanzfläche hinübersehen. Griffin hatte den Kopf zurückgeworfen, während er mit unziemlicher Hemmungslosigkeit lachte über etwas, das Lady Hero gesagt hatte. Glücklicherweise schien die Dame weniger amüsiert zu sein. Dennoch konnte Thomas nichts dagegen tun, dass sich seine Schultern reflexartig anspannten.

Zur Hölle mit Griffin!

„Euer Bruder scheint es zu genießen, mit meiner Schwester zu tanzen“, murmelte Wakefield.

Thomas sah den Duke an, und sein Blick traf auf kühle braune Augen. Es war immer sehr schwer, zu enträtseln, was Wakefield denken mochte; im Augenblick jedoch hätte er für eine männliche Sphinx Modell stehen können.

Thomas grunzte und sah wieder zu Griffin, der gerade um Lady Hero Batten, seine eigene Braut herumschritt. „Das tut er in der Tat.“

Wakefield verschränkte die Arme vor der Brust. „Hero ist ihr ganzes Leben behütet worden – so wie es sich für eine Frau ihres Standes gehört –, aber sie hat äußerst ausgeprägte moralische Grundsätze. Ich weiß, dass sie selbst im Angesicht der Versuchung nicht nachgeben wird.“

Thomas nickte und fühlte, wie eine heiße Welle der Scham an seinem Hals emporstieg. Er verspürte das Bedürfnis, wegen des unterschwelligen Tadels des Dukes an seinem Krawattentuch zu zerren. „Ich glaube Euch, Euer Gnaden. Lady Hero genießt mein absolutes Vertrauen, und ich werde sie niemals anders als mit größtem Respekt behandeln.“

„Gut.“ Wakefield verschränkte die Hände hinterm Rücken und schwieg einen Moment lang, während die Männer die Tanzenden beobachteten. Dann sagte er unvermittelt: „Die Klausel zeigt keine Wirkung.“

Thomas sah ihn scharf an. Im Bestreben, gegen die Plage des Ginmissbrauchs in der Londoner Unterschicht etwas zu unternehmen, hatten sie im letzten Juni eine Ginklausel zum Sweets Act des Parlaments hinzugefügt. Die Klausel versprach Informanten, deren Wissen die Festnahme illegaler Ginverkäufer zur Folge hatte, eine Belohnung.

„Jeden Tag werden mehr Ginverkäufer vor die Friedensrichter gebracht“, erwiderte Thomas langsam. „Inwiefern also zeigt die Klausel keine Wirkung?“

Wakefield zuckte mit den Achseln. Seine Stimme war leise und kontrolliert, sein Zorn jedoch offensichtlich. „Sie zerren die armen Frauen vor Gericht, die das Teufelszeug aus ihren Schubkarren verkaufen. Arme Schlucker, die nur ein paar Pennies am Tag verdienen. Wir müssen die Männer, die den Gin destillieren, erwischen. Die Mächtigen, die sich im Dunkeln verbergen und auf dem Rücken dieser armen Frauen reich werden.“

Thomas schürzte die Lippen. Es erleichterte ihn, dass Lady Hero auf der Tanzfläche Griffin stirnrunzelnd ansah. „Wenn genug Ginverkäufer geschnappt werden, wird es auch Auswirkungen auf die Schnapsbrenner haben – das versichere ich Euch. Die Klausel gibt es erst seit ein paar Monaten. Wir müssen abwarten, mein Freund.“

„Ich habe keine Zeit, abzuwarten“, erwiderte Wakefield. „London verfällt wegen dieser Plage. In unserer großartigen Stadt sterben heute mehr Menschen als geboren werden. Leichen stapeln sich in den Straßen und Dachkammern des East Ends. Ehefrauen werden von ihren vom Alkohol zerstörten Ehemännern im Stich gelassen, Säuglinge werden von ihren betrunkenen Müttern umgebracht, und Kinder werden zum Sterben zurückgelassen oder müssen sich prostituieren, um zu überleben. Wie soll England florieren, wenn die Arbeiter sich körperlich und geistig zugrunde richten? Wir werden als Nation verkümmern und versagen, wenn der Gin in unserer Stadt nicht ein für alle Mal ausgerottet wird.“

Thomas wusste, dass Wakefield wegen des Ginproblems besorgt war, aber warum zeigte er sich von dieser Sache so betroffen? Eine solche Leidenschaft passte nicht zu dem Mann, den er kannte.

Eine Bewegung auf der anderen Seite der Tanzfläche fiel ihm ins Auge und verscheuchte seine Gedanken. Eine Frau trat an den Rand der Menge. Ihre Röcke leuchteten orangefarben über gelben Unterröcken. Ihr Haar war so flammend rot, dass die Farbe kaum echt sein konnte, und auf ihren Lippen und Wangen musste sie Rouge verteilt haben. Jeder Mann auf jener Seite der Tanzfläche beobachtete sie, als sie kokett mit ihrem Fächer auf den Arm ihres männlichen Begleiters schlug. Dieser sagte etwas, und sie bog ihren weißen Hals zurück und lachte so ausgelassen, dass es ihre Brüste zum Wippen brachte.

„… nur wenn ein vermögender Mann fürs Ginbrennen zur Verantwortung gezogen wird“, sagte Wakefield.

Thomas blinzelte und stellte fest, dass er das meiste, was sein Gesprächspartner gesagt hatte, nicht mitbekommen hatte. Er wandte sich zum Duke, doch aus dem Augenwinkel konnte er immer noch sehen, wie die Frau anzüglich ihre Finger über die Wölbung ihrer Brüste gleiten ließ.

„Liederliche Dirne.“

„Wer?“

Verdammt, er hatte laut gesprochen, und nun erwartete Wakefield eine Antwort!

Thomas verzog das Gesicht. „Mrs. Tate.“ Mit dem Kinn deutete er auf die Frau am anderen Ende des Saales. „Jedes Mal, wenn ich sie sehe, hat sie einen anderen Verehrer, und alle sind jünger als sie selbst. Die Frau sollte wegen Vergehens gegen die Sittlichkeit unter Arrest gestellt werden. Jeder kann sehen, dass sie mindestens fünfunddreißig ist.“

„Achtunddreißig“, murmelte Wakefield.

Thomas drehte sich um, um ihn ungläubig anzusehen. „Ihr kennt sie?“

Wakefield hob die Brauen. „Ich glaube, das Gros der Londoner Gesellschaft kennt sie.“

Thomas sah wieder zu Mrs. Tate. Sprach Wakefield davon, dass man sie im biblischen Sinne kannte? Oder hatte der Duke die Frau in seinem Bett gehabt?

„Sie ist schlagfertig und ungezwungen“, meinte Wakefield leichthin. „Außerdem hat sie einen Mann geheiratet, der dreimal so alt war wie sie. Ich gönne ihr ein wenig Freude, nun, da sie verwitwet ist.“

„Sie stellt sich zur Schau“, erwiderte Thomas zähneknirschend. Er konnte Wakefields Blick spüren.

„Vielleicht, aber das nur mit unverheirateten Gentlemen. Sie gibt sich große Mühe, nicht mit einem Mann zu schäkern, der anderweitig vergeben ist.“

Als hätte sie das Wörtchen „vergeben“ gehört, sah Lavinia Tate plötzlich auf und erwiderte Thomasʼ Blick über die nicht unerhebliche Entfernung hinweg, die sie trennte. Auch wenn er sie gerade nicht sehen konnte, so wusste er, dass ihre Augen braun waren. Das, dachte er voller Befriedigung, ist etwas, das sie nicht verändern kann. Ihre Augenfarbe war einfach braun, und das würde immer so bleiben.

Sie wich seinem Blick nicht aus, vielmehr hob sie ihr Kinn so herausfordernd, dass es die Aufmerksamkeit eines jedes Mannes erregt hätte. Es war eine Geste so alt wie der Garten Eden, so alt wie Eva, die Adam aufforderte, einen Bissen der verbotenen Frucht zu kosten.

Thomas wandte sich bewusst ab von ihrem stolzen Blick. Er hatte einst von dieser Frucht gekostet, und obwohl es ihm sehr schwergefallen war, hatte er sich von ihrer berauschenden Süße gelöst. Denn die Frau war eine Ehebrecherin gewesen. Und wenn es etwas gab, von dem er in seinem Leben genug gehabt hatte, dann waren es Ehebrecherinnen.

Lady Hero wirkte ruhig und ernst und fast sogar schön. Griffins dramatischer Vortrag über seine Sünden schien sie keineswegs zu beeindrucken.

„Ich wusste bereits, dass Ihr ein Lebemann seid“, erklärte sie, als er vor ihr stehen blieb. Sie knickste anmutig. „Aber da Ihr mein Schwager werdet, Lord Reading, fürchte ich, dass es etwas schwierig sein wird, Eure Gesellschaft ganz zu meiden.“

Diese Frau weiß genau, wie man die Illusionen eines Mannes über sich selbst zerstören kann, dachte er. Erneut erkannte er die schreckliche Ironie, dass von allen Frauen auf diesem Ball ausgerechnet Lady Hero Batten diejenige war, die Thomas zur Braut gewählt hatte. Eine Frau, die kein Geheimnis aus ihrem Missfallen an Griffin machte. Eine Frau, die ihn von seiner schlechtesten Seite kennengelernt hatte – und keine Anzeichen zeigte, das Gesehene zu vergessen. Eine Frau, die stolz auf ihre schneeweiße Seele war.

Lady Perfect – eine perfekte Frau für seinen perfekten Bruder.

Er betrachtete sie voller Abneigung und sah, wie sie ihre verdammte linke Augenbraue missbilligend hob. Sie war keine außergewöhnliche Schönheit, die Verlobte seines Bruders. Aber sie besaß jene Art von Eleganz, die man manchmal in der Oberschicht der englischen Gesellschaft fand – cremeweiße Haut, ein etwas zu längliches Gesicht, doch regelmäßige Züge, und Haar, das von Natur aus rötlich war und nicht vulgär gefärbt.

Er hatte diesen Frauentyp schon hundertfach gesehen und dennoch … Etwas an Lady Hero war zweifellos anders. Zum einen hätten ihn die meisten Damen ihres Ranges einfach im Salon seinem Schicksal überlassen. Sie aber hatte sich über ihre strikten Moralvorstellungen hinweggesetzt, um ihn und Bella zu retten. Hatte sie etwa aus Mitleid für zwei Fremde gehandelt? Oder war sie lediglich einem starren Verhaltenskodex erlegen, der sogar ihren eigenen Abscheu vor dem, was sie im Salon gesehen hatte, zunichte machte?

Griffin sah sich um. Die Musik war verklungen, der Tanz zu Ende, und er sollte sie zu seinem langweiligen Bruder zurückgeleiten. Was er natürlich auch tun würde – nur noch nicht jetzt gleich.

Er verbeugte sich und bot ihr den Ellbogen mit gespielter Fügsamkeit. „Traurig, nicht wahr?“

Sie blickte misstrauisch auf seinen Arm, war aber aufgrund ihrer strengen Anstandsregeln gezwungen, ihn zu nehmen. Griffin unterdrückte eine Welle des Triumphs.

„Was ist traurig?“, fragte sie voller Skepsis.

„Oh, dass eine Frau, die so fromm ist wie Ihr, die Gesellschaft eines Schuftes wie ich einer bin, erdulden muss, nur weil es die Höflichkeit gebietet.“

„Hm.“ Sie reckte das Kinn vor, während er sie langsam durch die Menge führte. „Ich hoffe, ich kenne meine Pflichten.“

Er verdrehte die Augen. „Kopf hoch! Meine Anwesenheit in Eurem Leben zu ertragen wird Euch sicher der Heiligsprechung näher bringen.“

Wenn er sich in diesem Moment nicht umgedreht hätte, um sie anzusehen, hätte er das Zucken ihrer weichen rosigen Lippen niemals bemerkt. Bei Gott, Lady Perfect hatte Humor! Er hatte sie lächeln sehen, aber ihr Miene war sonst unbewegt geblieben. Wie würde ein echtes Lächeln auf ihrem Gesicht aussehen? Was würde geschehen, wenn sie lachte?

Fasziniert neigte er seinen Kopf zu ihrem und atmete den Duft von Blumen ein. „Wenn ihr meinen Bruder nicht wegen seines Titels heiratet, warum dann?“

Große graue Augen sahen überrascht zu ihm auf, und sie erwiderte seinen Blick. Sie war ihm so nahe, dass er sich nur einen Zoll vorneigen müsste und seine Lippen würden ihre berühren. Er könnte herausfinden, wie sie schmeckte, ob sie unter seiner Zunge dahinschmelzen und sanft und süß wie Honig werden würde.

Bei Gott! Griffin riss den Kopf zurück.

Zum Glück schien sie seine Verwirrung nicht bemerkt zu haben. „Was meint Ihr?“

Er holte tief Luft und sah beiseite. Sie hatten den Saal nun beinahe durchquert und bewegten sich weg von Thomas; Hero schien es nicht zu bemerken. Griffin spielte mit dem Feuer, aber er hatte Gefahr schon immer als zutiefst verlockend empfunden.

„Warum heiratet Ihr Thomas?“

„Mein Bruder und er sind Freunde. Maximus hat mich gedrängt, die Verbindung einzugehen.“

„Ist das alles?“

„Nein, natürlich nicht. Mein Bruder hätte Mandeville niemals in Erwägung gezogen, wäre der Marquess nicht wohlangesehen, freundlich und vermögend.“ Sie zählte die Eigenschaften seines Bruders auf, als empfehle sie die Vorzüge eines Zuchtbocks.

„Ihr liebt ihn nicht?“, fragte er, nun wirklich neugierig geworden.

Sie runzelte die Stirn, als spräche er plötzlich Schwedisch. „Natürlich werde ich eines Tages Zuneigung für ihn empfinden, daran zweifle ich nicht.“

„Natürlich“, murmelte er und verspürte erneut dieses idiotische Triumphgefühl. „So wie für Euren Lieblingsspaniel vielleicht?“

Sie blieb abrupt stehen, und er hatte das Gefühl, dass sie, wenn sie nicht von ihrer Schicklichkeit zurückgehalten worden wäre, die Hände in die Hüften gestemmt hätte wie ein wütendes Marktweib. „Mandeville ist kein Spaniel!“

„Dann vielleicht eine Dänische Dogge?“

„Lord Griffin …“

Er zog sie weiter bis zur äußersten Ecke des Ballsaals. „Es ist nur, dass ich immer dachte, es wäre schön …“

„Was?“

„In seine Ehefrau verliebt zu sein – oder in Eurem Fall, in seinen Ehemann.“

Für einen Augenblick wurde ihr Gesicht weich, ihre grauen Augen wirkten ein wenig dunkler als sonst, ihre süßen Lippen waren leicht geöffnet. Griffin fühlte sich von ihrer unerwarteten Gefühlsregung angezogen. Erhaschte er gerade einen Blick auf die wahre Lady Hero?

Dann wurde sie wieder zu Lady Perfect, der Rücken war gestrafft, die Lippen zusammengepresst, und ihre Augen verrieten nichts. Dieser plötzliche Wandel war überaus faszinierend. Was nur hatte sie zu solch einem Chamäleon gemacht?

„Wie romantisch“, meinte sie gedehnt mit einer gelangweilten, durchaus gesellschaftstauglichen Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging, „zu denken, dass Liebe etwas mit der Ehe zu tun hat.“

„Warum?“

„Weil die Ehe in unseren Kreisen ein Vertrag zwischen Familien ist – wie Ihr sehr wohl wisst.“

„Aber kann es nicht mehr sein?“

„Ihr seid absichtlich begriffsstutzig“, erwiderte sie ungeduldig. „Ihr braucht mich nicht, um Euch die Regeln der Gesellschaft zu erläutern.“

„Und Ihr seid absichtlich dickköpfig. Meine Eltern haben sie gelebt.“

„Was?“

„Die Liebe“, antwortete er und versuchte, seine Verärgerung nicht in seiner Stimme mitklingen zu lassen. „Sie haben einander geliebt. Ich weiß, es ist selten, aber es ist möglich, auch wenn Ihr es nie erlebt habt –“

„Meine Eltern liebten sich auch.“

Nun war es an ihm, verwirrt auszusehen. „Wie bitte?“

Sie hatte den Kopf geneigt, sodass er nur ihren Mund sah, dessen Winkel sich traurig nach unten bogen. „Meine Eltern. Ich habe Erinnerungen an … an eine tiefe Zuneigung, die sie miteinander teilten.“

Er erinnerte sich plötzlich daran, dass ihre Eltern grausam getötet worden waren. Es war vor über fünfzehn Jahren ein aufsehenerregender Fall gewesen – der Duke und die Duchess of Wakefield waren vor einem Theater von Straßenräubern ermordet worden. „Es tut mir leid.“

Sie holte tief Luft und sah auf. Einen Augenblick lang wirkte ihr Gesicht so verletzlich, dass er es kaum ertragen konnte. „Das muss es nicht. Kaum jemand erwähnt sie mir gegenüber. Es ist, als hätten meine Eltern nie existiert. Ich war im Schulzimmer, als sie starben, aber ich habe schöne Erinnerungen an sie, bevor … bevor es geschah.“

Er nickte und verspürte plötzlich eine Zärtlichkeit, ein Bedürfnis, sie beschützen zu wollen, diese stolze, selbstbewusste Frau. Eine Weile schlenderten sie schweigend nebeneinanderher. Die Menge wogte unbeteiligt um sie herum. Es war, als wären sie seltsam abgesondert. Griffin neigte den Kopf gegenüber ein, zwei Leuten, die sie trafen, aber er ging zügig weiter, um jedes Gespräch im Keim zu ersticken.

„Vielleicht habt Ihr recht“, meinte sie nach einer Weile. „Eine Ehe, in der die Partner sich lieben, ist sicherlich das Ideal.“

„Warum sich dann mit weniger begnügen?“

„Die Liebe kann auch nach der Hochzeit zwischen einem Ehemann und einer Ehefrau wachsen.“

„Sie kann ebenso gut nicht wachsen.“

Nachdenklich zuckte sie mit den Schultern. „Alle Ehen sind eine Art Spiel. Man versucht, die Chancen zu erhöhen, indem man klug wählt – einen Mann, der angesehen ist, aus einer guten Familie stammt und nett ist.“

„Und wir Readings haben keine Fälle von Wahnsinn oder Idiotismus in der Familie, was recht erfrischend für die weiteren Nachkommen eines aristokratischen Geschlechts ist“, murmelte er.

Sie krauste die Nase. „Wäre es Euch lieber, ich würde in eine Familie einheiraten, in der es Fälle von Wahnsinn gegeben hat?“

„Nein, natürlich nicht.“ Er runzelte die Stirn und versuchte, Worte dafür zu finden, warum ihre vermutlich kühle Entscheidung, seinen Bruder zu heiraten, ihn so störte. Bei Gott, er machte sich keine Sorgen um Thomas’ Herz. „Ihr habt selbst gesagt, dass eine Liebesheirat ideal ist. Warum wartet Ihr nicht darauf, eine einzugehen?“

„Ich habe gewartet. Ich bin vor über sechs Jahren in die Gesellschaft eingeführt worden.“

„Und Ihr habt die ganze Zeit über nach der wahren Liebe gesucht?“

„Vielleicht.“ Offensichtlich ungehalten zuckte sie mit den Schultern. „Oder so etwas Ähnliches wie die wahre Liebe. Ganz abgesehen davon: Wie lange sollte ich Eurer Meinung nach warten? Monate? Jahre? Ich bin vierundzwanzig. Ich habe die Verpflichtung, mich zu vermählen. Mich gut zu vermählen. Ich kann nicht ewig warten.“

„Eine Verpflichtung.“ Die Worte lagen ihm sauer auf der Zunge, obwohl ihm der Gedanke nicht neu war. Hatten nicht alle Damen ihres Standes eine sogenannte Verpflichtung, eine gute Verbindung einzugehen?

Sie schüttelte den Kopf. „Was, wenn ich meiner wahren Liebe im Alter von sechzig Jahren begegne? Was, wenn ich dem Mann, den ich liebe, nie begegne? Es gibt keine Garantie, dass ich ihm begegnen werde. Soll ich Eurer Meinung nach wegen einer vagen Hoffnung eine alte Jungfer werden?“

Er sah sie neugierig an. „Ihr glaubt, dass es eine wahre Liebe für Euch gibt?“

„Vielleicht nicht die eine große Liebe, aber ganz sicher jemanden. Ich glaube … Ja, ich glaube, dass wir uns verlieben können – vielleicht sogar sehr –, und dass es dort draußen einen Menschen gibt, der diese Liebe erwidern wird.“ Plötzlich verlegen, krauste sie die Nase. „Zweifellos haltet Ihr mein Gerede über die wahre Liebe für töricht.“

„Nein, überhaupt nicht. Ich weiß, dass es die romantische Liebe gibt. Ich habe sie schließlich mit eigenen Augen gesehen.“

„Und Ihr glaubt, ein Lebemann wie Ihr könnte sich unsterblich in eine Frau verlieben?“ Ihre Worte sollten ihn verspotten, aber ihre Stimme klang ernst.

Er zuckte mit den Achseln. „Vielleicht – obwohl es nach einem äußerst unbequemen Zustand klingt, in dem man sich befinden würde.“

„Dann wart Ihr noch nie verliebt?“

„Noch nie.“

Sie nickte. „Ich auch nicht.“

„Wie bedauerlich“, sagte er und schürzte die Lippen. „Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlt, von der großen Leidenschaft hinweggefegt zu werden? Alles für diesen einen einzigen Menschen auf der Welt zu geben?“

Ihr Mund verzog sich zu einem freudlosen Lächeln. „So idealistisch – und das als Lebemann? Wirklich, Ihr stellt die Bedeutung dieses Wortes auf den Kopf.“

„Das ist meine Fassade für die Gesellschaft“, erwiderte er leichthin. „Verwechselt sie nicht mit dem Wüstling, der sich dahinter verbirgt.“

Einen Moment lang sah sie ihn forschend an, dann nickte sie, als wäre sie zu einer Erkenntnis gelangt. „Das werde ich wohl kaum tun, wenn man bedenkt, auf welche Art ich Euch das erste Mal getroffen habe.“

Er lächelte, um seine Enttäuschung zu verbergen.

„Aber wenn Ihr so idealistisch seid, Mylord, was die Ehe angeht“, fuhr sie fort, „warum seid Ihr dann nicht glücklich verheiratet und habt ein Dutzend Kinder?“

„Ich bin idealistisch, was die Liebe betrifft, Mylady, nicht die Ehe. Für den Rest meines Lebens an eine Dame gebunden zu sein, umgeben von kleinen schmutzigen Kindern?“ Er erschauerte vor gespieltem Entsetzen. „Nein, ich werde die Ehe und alle dazugehörigen Pflichten meinem Bruder überlassen.“

„Und wenn Ihr eines Tages sterben werdet?“, fragte sie leise. „Was dann, Mylord?“

„Nun, dann wird alles verloren sein, Mylady. Das Leben eines Wüstlings wird in Trümmern liegen, das prächtige Exemplar eines Junggesellen wird von den Fesseln der Ehe und einer zarten Hand zur Strecke gebracht worden sein. Aber“, er hob mahnend den Finger, „das ist, wie Ihr selbst bemerkt habt, sehr, sehr unwahrscheinlich. Meine einzig wahre Liebe könnte eine Dame sein, die im fernen China lebt. Sie könnte ein altes Weib von neunzig Jahren oder ein zweijähriges Kleinkind sein. Vielleicht begegne ich ihr nie im Leben, und ich bin bereits im Voraus dankbar dafür.“

Er hatte ein kleines Lächeln auf diese weichen Lippen gezaubert, und sein Herz schlug bei diesem Anblick schneller. Ein Lächeln – ein echtes Lächeln – dieser Frau war wie die völlige Nacktheit einer anderen. Und das war ein wirklich seltsamer Gedanke.

„Warum, Mylord?“

„Weil“, er neigte sich so nah zu ihr, dass sein Atem eine widerspenstige rote Locke an ihrem Ohr wegblies, „ich Euch versichern kann, dass, auch wenn ich in Euren Augen alles andere als perfekt bin, ich mein Leben so, wie es ist, durchaus als perfekt empfinde. Ich genieße meine Ausschweifungen, meine Freiheit und die Möglichkeit, mich mit so vielen Damen wie ich möchte zu, äh, vergnügen. Für mich wäre die wahre Liebe eine einzige Katastrophe.“

Hero sah zu Readings hellgrünen Augen auf. Er hatte einen Euphemismus benutzt statt des derben Ausdrucks, den er im Salon verwendet hatte, aber dennoch machte dies seine Worte nicht weniger schockierend.

Sie schluckte, als sie sich eine Schar von Frauen vorstellte, die sich in seinem Bett tummelten, und wie seine muskulösen Pobacken sich hypnotisierend rhythmisch bewegten, während er zustieß. Himmel, sie sollte diese Vorstellung abstoßend finden! Aber stattdessen wollte sie ihre Hände auf ihre Wangen legen, um die Hitze, die dort aufstieg, zu kühlen. Sie sah, wie Readings Lider sich senkten und sein breiter Mund sich öffnete, um etwas zu sagen, das sie zweifelsohne noch mehr schockieren würde.

Zum Glück wurden sie unterbrochen.

„Dürfte ich meine Verlobte zurückhaben?“, fragte Mandeville mit einer Stimme, die ein wenig zu hart klang, um jovial zu sein.

Das spitzbübische Funkeln verschwand aus Readings Augen und mit ihm alles Weiche in seinem Gesicht. Was blieb, war eine ausdruckslose und ziemlich einschüchternde Maske. Ohne seinen ungewöhnlichen Sinn für Humor hätte Reading der Typ Mann sein können, dem andere in eine nahezu aussichtslose Schlacht folgten: ein Anführer, ein Staatsmann, ein Visionär.

Wie seltsam, so etwas über einen Mann zu denken, der freimütig bekannte, ein Wüstling zu sein!

Hero blinzelte und bemerkte, dass Mandeville ihr seinen Arm darbot. „Meine Liebe?“

Sie lächelte und knickste vor Reading, bevor sie den Arm ihres Verlobten nahm.

Reading verneigte sich so übertrieben, dass es an Spott grenzte. „Meine Glückwünsche, Thomas, zu deiner Verlobung. Lady Hero.“

Autor

Elizabeth Hoyt
Elizabeth Hoyt zählt zu den US-amerikanischen Bestseller-Autoren der New York Times für historische Romane. Ihren ersten Roman der Princess-Trilogie “Die Schöne mit der Maske” veröffentlichte sie im Jahr 2006, seitdem folgten zwölf weitere Romane. Gern versetzt die erfolgreiche Schriftstellerin ihre Romanfiguren in das georgianische Zeitalter.

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