Tiffany Exklusiv Band 99

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IN SEIDENEN FESSELN von STEPHANIE BOND
Gefesselt, erregt, atemlos vor Lust: Zoes heimliche Fantasie! Und unerfüllt – bis sie einen Langstreckenflug antritt. An Bord der Maschine: der umwerfende Australier Colin Cannon. Ein Mann mit einer Seidenkrawatte und dem Talent, sie erotisch einzusetzen …

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  • Erscheinungstag 21.06.2022
  • Bandnummer 99
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507653
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stephanie Bond, Lisa Renee Jones, Nancy Warren

TIFFANY EXKLUSIV BAND 99

1. KAPITEL

„Denk nur – dies ist dein letzter Flug als unverheiratete Frau.“

Zoe Smythe versuchte die Bemerkung ihrer Freundin Erica zu ignorieren und begrüßte weiterhin die Erste-Klasse-Passagiere an Bord des Flugzeugs, das von Atlanta nach Sydney fliegen sollte. „Willkommen an Bord … Guten Abend … Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“

In vertraulichem Ton fragte Erica: „Wirst du etwas Wildes und Ausgefallenes während deines Aufenthaltes in Sydney unternehmen, wenn ich weg bin?“

Zoe lachte trocken. „Wohl kaum. Ich habe genug zu tun, ich muss schließlich noch jede Menge Entscheidungen für die Hochzeit treffen.“

„Das hört sich nicht gerade nach Vergnügen an“, stellte Erica fest und stieß Zoe den Ellbogen in die Rippen. „Willkommen im Eheleben.“ Sie lachte über ihren eigenen Scherz. „Ich schlage vor, dass wir in den zwei Tagen, die ich da bin, uns ordentlich einen genehmigen und uns im Wellnessbad des Hotels einnisten.“

„Hört sich gut an.“

„Vielleicht haben wir Glück, und unsere Masseuse ist ein großer, strammer Australier.“

„Möglich.“ Zoe verkniff sich ein Grinsen. Sie wusste, dass Ericas Ehe erotisch gesehen nicht der Knaller war.

„Im Ernst, du wirst mir auf dieser Route fehlen.“

„Danke, aber eine Inlandsroute ermöglicht es mir, öfter zu Hause zu sein.“

„In ein paar Jahren wechselst du wieder zurück“, prophezeite Erica ihr.

Zoe machte im Scherz ein finsteres Gesicht und wandte sich wieder den Passagieren zu. „Willkommen an Bord … Guten Abend … Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“

„Ja, danke.“

Beim Klang des australischen Akzents schaute Zoe auf und blickte in die klarsten und grünsten Augen, die sie je gesehen hatte. Der Mann, dem diese Augen mit den langen Wimpern gehörten, war groß und hatte kurzes blondes Haar. An seinem markanten Kinn sprossen frische Bartstoppeln. Zoe hielt angesichts der männlichen Ausstrahlung dieses Fremden den Atem an. Der Ledermantel, den er gerade auszog, hatte die Farbe von gebranntem Ocker und erinnerte sie an die karge Landschaft des australischen Outbacks. Unter dem Mantel trug er einen makellosen grauen Geschäftsanzug. Der Hemdkragen war allerdings offen und die Krawatte gelockert.

Ein Cowboy und Unternehmer? Wie faszinierend. „Hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt in Atlanta, Sir?“, erkundigte sie sich und nahm seinen Mantel sowie sein Jackett entgegen.

„Ja, danke“, erwiderte er lächelnd. „Aber es ist immer schön, wieder nach Hause zu kommen und im eigenen Bett zu schlafen.“

Das war eine harmlose Bemerkung, die sie als Flugbegleiterin oft genug von Reisenden zu hören bekam. Doch irgendetwas an der Art, wie er das sagte, ließ vor ihrem geistigen Auge Bilder entstehen von diesem großen Mann, wie er nackt in seinem aus rohen Stämmen selbst gezimmerten Bett lag. Zoe nahm sich zusammen. Was war los mit ihr?

„Wenn ich bitte Ihre Bordkarte sehen dürfte, Sir, dann bringe ich Sie zu Ihrem Platz.“

Er gab ihr die Karte, und Zoes Puls beschleunigte sich, denn er saß in dem Bereich, für den sie zuständig war. Sie schaute auf seinen Namen – Colin Cannon – und reichte ihm die Bordkarte zurück. „Hier entlang, Mr. Cannon.“

Zoe spürte seinen Blick im Rücken, als der Mann ihr folgte, und war idiotischerweise froh, dass sie sich solche Mühe mit ihrem Äußeren gegeben hatte. Sie hatte sich für eine der raffinierteren Uniformen aus ihrer Arbeitsgarderobe entschieden, bestehend aus einem schwarzen Rock und einem dünnen taubengrauen Wickelpullover. Die braunen Haare hatte sie im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. Sie tadelte sich im Stillen dafür, dass es ihr nicht egal war, wie sie für diesen Passagier aussah, denn das passte nicht zu einer Frau, die in einem Monat ihren Traummann heiraten würde.

„Da wären wir, Sir, Platz 4A. Mein Name ist Zoe, und ich werde mich während der ersten Hälfte dieses Fluges um Ihre Wünsche kümmern.“ Seine Nähe beunruhigte sie, und ihr Smalltalk schien ungewollt eine erotische Anspielung zu enthalten.

„Zoe … hübscher Name.“ Er krempelte sich die Hemdsärmel hoch und entblößte muskulöse, gebräunte Unterarme, auf denen seidige helle Härchen sprossen.

„D-danke. Möchten Sie einen Cocktail, bevor wir starten?“

„Ein Wodka auf Eis wäre toll.“

Zoe war erleichtert, die kleine Kombüse betreten zu können, um den Drink zuzubereiten. Zu ihrer Bestürzung pochte ihr Herz heftig, und ihre Wangen glühten.

„Du Glückliche“, meinte Erica. „Du kriegst immer die aufregenden Kerle ab.“

„Tauschen wir die Abschnitte“, schlug Zoe vor.

Erica stutzte. „Warum?“

Zoe suchte fieberhaft nach einem Grund. „Na ja, ich habe ein komisches Gefühl bei Mr. 4A.“

Erica lehnte sich zurück, um einen Blick auf den Gegenstand ihrer Unterhaltung zu werfen.

Zoe packte ihre Freundin am Arm. „Sieh nicht hin! Sonst weiß er, dass wir über ihn reden.“

Erica grinste. „Na und? Und was genau meinst du mit ‚komischem Gefühl‘ ? Wie ein Perverser sieht er nicht aus.“

„Ist er wohl auch nicht. Er ist … also, er ist …“

„Sexy.“ Erica schnappte nach Luft. „Du meine Güte – er gefällt dir!“

Zoe gab einen spöttischen Laut von sich. „Das ist doch albern. In einem Monat werde ich heiraten. Schon vergessen?“ Sie fühlte sich ein wenig durcheinander und berührte Ericas Arm. „Tu mir diesen Gefallen, ja?“

Erica zuckte die Schultern. „Meinetwegen. Aber ich warne dich, das Paar auf 8A und B scheint kurz vor der Scheidung zu stehen.“

Zoe nahm den Drink, den sie eingeschenkt hatte. „Danke. Ich serviere den hier noch, dann kümmere ich mich um dein streitendes Paar.“ Sie holte tief Luft und ging zu Colin Cannons Platz, wo er mit ausgestreckten Beinen saß.

Als er aufsah, ließ er seinen Blick von ihren Beinen langsam aufwärts gleiten, bis er Blickkontakt hergestellt hatte. Um sie herum schien ein Vakuum zu entstehen, und Zoes Ohren knackten, als verändere sich der Kabinendruck. Dieser Mann hatte etwas an sich, auf das sie, so verwirrend es war, heftig reagierte. Ein einziger Blick genügte, und ihr Atem ging schneller, während ihr Hals wie zugeschnürt war. Es war eindeutig die richtige Entscheidung gewesen, mit Erica die Abschnitte zu tauschen. Hier war etwas Unkontrollierbares im Spiel, das sie lieber nicht näher analysierte.

Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie ihm den Drink hinstellte, denn dabei berührten sich ihre Finger, und ein elektrisierendes Gefühl schoss ihren Arm hinauf. Zoe hatte im selben Moment ein merkwürdiges Déjà-vu-Erlebnis, aber sie wusste nicht, warum. Sie wollte es auch lieber nicht wissen.

„Mr. Cannon, wie sich herausgestellt hat, bin ich doch nicht für diesen Abschnitt zuständig“, sagte sie.

Er wirkte enttäuscht. „Habe ich Sie verschreckt?“

Zoe schluckte. „Es hat nichts mit Ihnen zu tun, Sir.“

Er schien ihr nicht zu glauben, hob aber sein Glas. „Na dann, Cheers.“

Sie ging mit einem Gefühl des Bedauerns davon – als würde sie sich etwas entgehen lassen, das ihr Leben verändern konnte. Etwas Wundervolles … oder etwas Gefährliches. Als sie einen Blick über die Schulter warf, stellte sie fest, dass der Australier mit den blonden Haaren ihr mit seinen intensiven grünen Augen hinterherschaute.

Zoe drehte sich wieder um und setzte ein Lächeln auf für das junge Paar, vor dem Erica sie gewarnt hatte. Und tatsächlich redeten Jill und Jeremy Osbourne in einem derart stichelnden Ton miteinander, der für den vor ihnen liegenden langen Flug nichts Gutes verhieß. Noch schlimmer war jedoch, dass sie dazu entschlossen schienen, Zoe in ihre Zankereien mit hineinzuziehen.

„Was halten Sie von einer Frau, die dreiundzwanzig Paar Designerschuhe für eine zehntägige Reise einpackt?“, wandte Jeremy Osbourne sich in spöttischem Tonfall an sie.

„Ist es Ihre erste Reise nach Australien?“, erkundigte Zoe sich fröhlich.

„Ja“, antworteten die beiden missmutig im Chor.

„Ich wollte nach Hawaii“, sagte die Frau in vorwurfsvollem Ton.

„Ich dachte, diese Reise würde ein Abenteuer werden“, konterte ihr Mann.

„Und ich soll dir glauben, dass diese Reise nichts damit zu tun hat, dass dein größter Kunde in Sydney ist?“

„Mit meinem Gehalt bezahlst du immerhin deine Schuhe!“

„Sydney ist eine romantische Wahl für die zweiten Flitterwochen“, versuchte Zoe die beiden zu beruhigen.

„Sind Sie verheiratet?“, wollte Jill Osbourne wissen.

„In einem Monat“, antwortete Zoe lächelnd.

„Da haben Sie ja noch Zeit, es sich zu überlegen“, meinte die Frau.

„So toll ist die Ehe nämlich auch wieder nicht“, pflichtete ihr Mann ihr bei und schüttelte seine Zeitung.

Die Spannung zwischen den beiden war unübersehbar, und sie wussten genau, wie sie sich gegenseitig triezen und auf die Palme bringen konnten. Der schwere Rotwein schien die ewigen Streitereien noch anzufachen. Zoe fragte sich, warum die beiden verheiratet blieben, wenn sie sich gegenseitig so erbittert provozierten. Wenn sie und Kevin jemals so stritten …

Sie schüttelte den Kopf. Zwischen Kevin und ihr würde es nie so weit kommen. Oder?

Sie waren seit fast sechs Jahren zusammen, davon die Hälfte verlobt. Sie kannten einander so gut, dass es ihr manchmal vorkam, als wären sie bereits verheiratet. Das war beruhigend und angenehm, deshalb konnte sie sich auch nicht vorstellen, dass sie aufeinander losgingen wie dieses Paar. Die beiden steckten alle um sich herum an und säten …

… Zweifel.

Was albern war, weil es die perfekte Ehe nun einmal nicht gab. Zoe akzeptierte Kevins Eigenheiten und umgekehrt. Es war doch nur gut, dass sie vor allem Freunde waren und erst an zweiter Stelle ein Liebespaar. Und es war gut, dass nicht in allen Dingen zwischen ihnen Einigkeit herrschte, denn es bedeutete, dass sie Kompromisse schließen mussten, statt wie dieses streitende Paar zu enden. Oder wie ihre Eltern.

Ihre Unsicherheit wurde verstärkt durch die Blicke des Australiers, die sie ständig spürte, während sie sich in der ersten Klasse bewegte, ganz besonders als sie in San Francisco zum Tanken landeten und die meisten Passagiere die Gelegenheit nutzten, um sich kurz die Beine zu vertreten. Er lief im Gang auf und ab und brauchte aufgrund seiner Größe fast den ganzen Platz für sich, da selbst die erste Klasse nicht für Leute von seiner Statur gebaut war. Zoe fragte sich, ob er möglicherweise irgendein Profisportler war. Colin Cannon entstammte jedenfalls einem ziemlich beeindruckenden Genmaterial, und obwohl er einen Anzug trug, sah er nicht aus wie ein Mann, der den Großteil des Tages hinter einem Schreibtisch verbrachte.

Ihre Blicke trafen sich, und ein sinnlicher Schauer überlief Zoe. Sie war sich seiner Nähe so bewusst, als säßen sie nebeneinander und als berührten sich ihre Knie. Es war seltsam, denn alle anderen im Flugzeug schienen zu Nebenfiguren in dem privaten kleinen Drama zwischen ihnen zu werden. Wie konnte sie sich derartig zu jemandem hingezogen fühlen, mit dem sie lediglich ein paar Worte gewechselt hatte?

Das war unmöglich, entschied sie und unterbrach den Blickkontakt. Es handelte sich um eine Illusion, ausgelöst durch die dünne Höhenluft, die Müdigkeit und die Nervosität wegen der unerledigten Hochzeitsdetails, um die sie sich noch kümmern musste. Zoe versuchte den Mann auf der letzten und längsten Etappe des Fluges aus ihren Gedanken zu verdrängen, während sie sich um die Passagiere in ihrem Abschnitt kümmerte, einschließlich des zänkischen Paares.

Als sie ihre Schicht irgendwo über dem Pazifischen Ozean beendete, waren die Osbournes gnädigerweise eingeschlafen, genau wie die meisten anderen Passagiere. Bis auf die einsame Leselampe über dem Sitz 4A war es dunkel in der Kabine. Der Australier schien in irgendeinen dicken gebundenen Bericht vertieft zu sein, in dem er gelegentlich eine Seite markierte.

Zoe hätte ihn gern gefragt, in welcher Branche er tätig war oder ob er vielleicht eine Decke brauchte, irgendetwas, um seinen angenehmen Akzent zu hören. Ein Kribbeln breitete sich in ihr aus, und sie fühlte sich trotz der vielen Sitzreihen zwischen ihnen magnetisch von ihm angezogen. Das war sehr befremdlich, da sie nie mit Passagieren flirtete oder die Gelegenheiten nutzte, die sich ihr bei unverheirateten und verheirateten Männern boten. Sie war Kevin stets treu gewesen und hatte eine Situation, die außer Kontrolle geraten konnte, nicht einmal in Betracht gezogen.

Bis zu diesem Zeitpunkt. Dieser Mann hatte etwas Unwiderstehliches an sich, sodass Zoe es halbwegs bereute, die Abschnitte mit Erica getauscht zu haben. Vielleicht hätte sie während des Fluges etwas über ihn erfahren, was ihn für sie weniger anziehend gemacht hätte. Er könnte verheiratet sein, ein Haus voller Kinder haben, in dunkle Geschäfte verwickelt oder ein Chauvinist sein oder fragwürdige Ansichten haben.

Als würde er ihre Aufmerksamkeit spüren, schaute er hoch und winkte sie lächelnd zu sich.

Zoe blieb nichts anderes übrig, als zu ihm zu gehen. Ihr Herz schlug bei jedem Schritt schneller. Sie blieb vor seinem Sitz stehen und beugte sich zu ihm herunter, um die anderen Passagiere nicht zu wecken. „Ja, Mr. Cannon?“

„Ich störe Sie nur ungern, Zoe, aber ich habe etwas in meinem Jackett vergessen und weiß nicht, wo Sie es aufgehängt haben.“

Er duftete angenehm nach irgendeinem nicht identifizierbaren Gewürz. „Ich werde es für Sie holen“, versprach sie.

„Danke.“ Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, das auch seine sexy Augen erreichte und ihre Bedenken, er könnte eventuell gefährlich sein, postwendend zerstreute.

Durch den Gang zur Garderobe entkam sie seinem Blick und fand Gelegenheit, ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie benahm sich wie ein Schulmädchen, und das sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Sie legte die Hand an ihre Stirn, die sich warm anfühlte. Vielleicht brütete sie eine Krankheit aus. Ein wenig Schlaf und zwei Aspirin sollten helfen.

Zoe fand Mr. Cannons Jackett und legte es sich über den Arm. Dabei fiel etwas aus der Brusttasche und landete neben ihrem Fuß. Es handelte sich um ein schwarzes Schmuckkästchen. Sie hob es auf und schaute sich um, ob sie unbeobachtet war. Sacht strich sie über den Samt und widerstand dem Impuls hineinzusehen. Möglicherweise befand sich ein Verlobungsring darin? Das war nicht unwahrscheinlich, da Mr. Cannon keinen Ehering trug.

Der verrückte, unsinnige Anflug von Eifersucht auf die unbekannte Frau brachte sie wieder zurück in die Wirklichkeit. Sie sollte sich lieber Gedanken über den Verlobungsring an ihrem Finger machen, statt über die möglichen Liebesbeziehungen eines ihr völlig fremden Mannes.

Angewidert von sich selbst schob sie das Kästchen wieder in die Tasche und brachte ihm das Jackett. Er bedankte sich und zog aus einer anderen Tasche einen Handcomputer. „Ich hasse dieses Ding“, sagte er, „aber ich kann ohne nicht leben.“

Offenbar hatte er gar nicht das im Sinn gehabt, was immer in dem Schmuckkästchen sein mochte – und sie sollte es auch nicht weiter interessieren.

„Mr. Cannon, die Crew wechselt nun. Falls Sie also keinen weiteren Wunsch mehr haben, verabschiede ich mich jetzt von Ihnen.“

Sein Blick verriet Neugier. „Sie haben Feierabend?“

Bestürzt über die Reaktion ihres Körpers auf sein Interesse, befeuchtete sie sich die Lippen. „Ja. Genießen Sie den restlichen Flug.“

Sie richtete sich auf und ging zu der Stewardess, die ihren Abschnitt übernehmen würde. Erica gesellte sich mit skeptischer Miene zu ihnen. „Du meine Güte, dieser Aussie ist ein Traumtyp, Zoe, aber anscheinend etwas langweilig. Dich hat er allerdings genauer beobachtet …“

„Ist mir gar nicht aufgefallen“, sagte Zoe unbekümmert.

Erica musterte sie neugierig. „Wenn du meinst. Wie war das verheiratete Paar?“

„Wundersamerweise sind die beiden noch immer verheiratet.“ Zoe nahm ihre Umhängetasche aus ihrem Spind. Obwohl es albern war, freute sie sich, dass Colin Cannon nicht versucht hatte, sich an die temperamentvolle blonde Erica heranzumachen. Ein Mann, der beliebig flirtete, war er also nicht.

Nicht, dass das eine Rolle spielte.

Wenige Minuten später machte sie es sich auf dem ihr zugewiesenen Sitz in der Economy Class bequem, wo sie die verbleibenden sechs Stunden des Flugs verbringen würde.

Eigentlich hätte sie sofort einschlafen müssen, denn sie war müde und hatte Rückenschmerzen. Nur konnte sie ihren Verstand nicht abschalten und musste ständig an den Australier mit diesen grünen Augen denken, in denen unverhohlene sexuelle Neugier gelegen hatte, als er sie musterte. Das war einerseits schmeichelhaft, da sie sich lebendig und begehrenswert fühlte. Denn so sehr sie sich Kevins Liebe auch gewiss war – der leidenschaftliche Typ war er nicht. Sex rangierte irgendwo unterhalb von Football und dem Training für sein nächstes Langstreckenradrennen. Wegen ihres vollen Terminplans und der Hochzeitsvorbereitungen hatten sie seit Wochen nicht miteinander geschlafen, und Zoe redete sich ein, es sei in Ordnung, weil die Flitterwochen dadurch noch schöner werden würden.

Aber die Wahrheit lautete, dass sie einsam war, und Kevins mangelnde Aufmerksamkeit gab ihr das Gefühl, unzulänglich zu sein.

Ehe ihre Gedanken in diese gefährliche Richtung abdriften konnten, nahm sie sich den gebundenen Ordner mit den Details von „Kevins und Zoes Hochzeit“ vor. Er war voller Muster, Bestellformulare, Rezepte und Termine. Zu klären waren noch die Sitzordnung bei der Hochzeitsprobe und der Hochzeitsfeier, die Musik, die die Band spielen sollte, die Tischdekoration für den Tisch der Brautleute, die Geschenke für die Hochzeitsfeier und die Eheerlaubnis.

Genau wie noch ungefähr tausend weitere Einzelheiten.

Zoe nahm ihre Post, die sie mit einem Gummiband zusammenhielt, aus der Tasche. In letzter Zeit quoll ihr Briefkasten über von Broschüren von Fotografen, Partyservices, Floristen und Reisebüros. Dazwischen befanden sich Verträge, die durchgesehen und unterschrieben, Rechnungen, die bezahlt werden mussten. Sie sah die Umschläge durch, zog eine Rechnung vom Brautkleidergeschäft heraus, eine Reservierung für einen Limo-Service und den Vertrag mit dem Fotografen. Außerdem waren da noch Karten von Freunden und Verwandten, die nicht zur Hochzeit kommen konnten – die würden sie und Kevin später öffnen.

Bei einem Umschlag mit Absender in Jacksonville, Florida, hielt sie inne. War der etwa vom Covington Women’s College? Wahrscheinlich eine Ausgabe der Universitätszeitung, in der ihre bevorstehende Hochzeit bekannt gegeben wurde. Dankbar für ein wenig leichten Lesestoff öffnete sie den Umschlag. Doch statt der Zeitung fand sie einen Begleitbrief zu einem violetten Umschlag, der ihr vage bekannt vorkam. Neugierig las sie den Briefkopf: Dr. Michelle Alexander.

Zoe runzelte erstaunt die Stirn. Ein Brief von ihrer ehemaligen Dozentin?

Liebe Miss Smythe,

Sie haben in Ihrem letzten Studienjahr an meinem Kurs „Sexualität und Psyche“ am Covington Women’s College teilgenommen. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass eine der freiwilligen Arbeiten darin bestand, die eigenen sexuellen Fantasien niederzuschreiben und in einem Umschlag zu versiegeln, der Ihnen dann zehn Jahre später zugestellt werden sollte. Beiliegend finden Sie daher Ihren Umschlag, der, um die Anonymität zu wahren, sorgfältig mit einem Zahlencode versehen katalogisiert wurde. Ich hoffe, sein Inhalt wird Ihnen hilfreich sein, wo immer Sie zehn Jahre später sein mögen und wie auch immer Ihre Lebensumstände heute aussehen mögen. Falls Sie Fragen haben, Sorgen oder ein Feedback, zögern Sie bitte nicht, Kontakt zu mir aufzunehmen.

Mit herzlichen Grüßen

Dr. Michelle Alexander

Zoe lachte. Der Kurs „Sexualität und Psyche“ war von den Studentinnen „Sex für Anfänger“ genannt worden. Sie erinnerte sich noch gut an den Kurs, das Gekicher und die lehrreichen Vorlesungen der selbstbewussten und attraktiven Dozentin. Sie erinnerte sich auch noch an diese Aufgabe an die Studentinnen, ihre sexuellen Fantasien aufzuschreiben. Aber sie wusste nicht mehr, was sie damals geschrieben hatte.

Zoe fuhr mit dem Finger über den Umschlag und war plötzlich nervös. Sie stand kurz vor ihrer Hochzeit. War dies wirklich der geeignete Zeitpunkt, sich an die erotischen Fantasien zu erinnern, die sie einst beschäftigt hatten?

2. KAPITEL

Zoe betrachtete den Umschlag, in dem sich der Brief befand, den sie vor zehn Jahren an sich selbst geschrieben hatte, und spottete über ihre Ängste. Wovor fürchtete sie sich? Bei dem violetten Umschlag handelte es sich schließlich nicht um die Büchse der Pandora – er würde keine Kette unvorhergesehener Ereignisse in Gang setzen. Wahrscheinlich würde sie sich herrlich amüsieren über ihre naiven Vorstellungen von damals.

Sie betrachtete die Passagiere links und rechts von ihr – die Frau zur Linken war wach und las ein Buch. Die Frau zu ihrer Rechten hielt ein schlafendes Kleinkind auf den Armen. Da Zoe sich ungestört fühlte, riss sie den Umschlag auf und zog zwei gefaltete Briefbögen heraus. Die Handschrift gehörte ihr, sauber und leicht geneigt. Von Nostalgie getrieben las sie den Brief, der nur für ihre Augen bestimmt war.

Liebe Zoe,

ich bin’s, Dein zweiundzwanzigjähriges Ich, das Dir schreibt. Ich hoffe, es lief bisher gut in Deinem Leben, wenn Du das hier liest. Ich hoffe, Du bist mit einem großartigen Mann verheiratet und stehst kurz davor, eine Familie zu gründen. Ich sage das, weil ich hoffe, dass Du bis dahin die Welt und Dich selbst entdeckt hast und zufrieden mit Deinen Entscheidungen bist.

Dr. Alexander bat uns, unsere sexuellen Fantasien aufzuschreiben, weil sie der Ansicht ist, dass wir wissen müssen, was uns erregt, bevor wir es von unseren Partnern erwarten können. Und dass wir erst eine erfüllte dauerhafte Beziehung haben können, wenn unser Partner unsere geheimsten Fantasien kennt und versteht, ganz gleich, wie ausgefallen sie sein mögen. Sie sagt, die stärkste emotionale Verbindung kommt aus einer starken körperlichen Verbindung, die wiederum das Fundament ist für Vertrautheit und Treue. Wenn jemand alles, was er sich wünscht, von einem Menschen bekommt, hat er laut Dr. Alexander keinen Grund zum Fremdgehen.

Diese Vorstellung gefällt mir besonders gut, weil mir Treue sehr wichtig ist. Andererseits möchte ich nicht unglücklich mit jemandem zusammen sein, wie es bei meinen Eltern der Fall war. Streit ist ihre einzige Form der Kommunikation. Manchmal möchte ich sie fragen, warum sie zusammenbleiben, wenn sie sich doch ganz offensichtlich nicht ausstehen können. Ich hoffe, dass sie nicht meinetwegen zusammenbleiben, denn sie sind nicht glücklich, und wenn sie sich streiten, fühle ich mich mies.

Wie dem auch sei, allzu viele sexuelle Erfahrungen habe ich noch nicht. Ich bin zwar keine Jungfrau mehr, aber um ehrlich zu sein, war der Sex bisher eher enttäuschend. Jedes Mal, wenn ich mit einem Jungen geschlafen habe, hoffte ich, es würde so werden, wie ich mir Sex immer vorgestellt habe – überwältigend, wie eine Droge, ohne die man nicht mehr leben kann. Aber so war es nie.

Vielleicht liegt es an mir. Weil ich offen bin und meine Meinung sage, glauben die Männer wahrscheinlich, dass ich die Kontrolle haben will. Dabei habe ich noch nie jemandem erzählt, dass ich in Wirklichkeit gern die Kontrolle hergeben möchte. Denn insgeheim sehne ich mich danach, an ein Bett gefesselt zu werden … mit Handschellen … und auf sechs verschiedene Arten mit einem Mann zu schlafen.

Mit glühenden Wangen schaute Zoe von dem Brief auf. Die Worte bewirkten, dass sie unruhig auf ihrem Sitz hin und her rutschte. Es musste sie einige Überwindung gekostet haben, sie vor zehn Jahren niederzuschreiben. Und wenn sie sich recht erinnerte, war es auch eine große Erleichterung gewesen. Mit einiger Bekommenheit las sie weiter.

Es hört sich schmutzig an, deshalb habe ich das auch für mich behalten. Ich suche nicht nach jemandem, der mich misshandelt – einen solchen Mann will ich nicht. Aber ich hoffe, eines Tages dem Mann zu begegnen, der meine Fantasie mit mir teilt, jemandem, dem ich trauen kann, mir nicht wehzutun, der mich nicht verurteilt und schlecht von mir denkt, weil ich die dunkleren Seiten der Sexualität erkunden will, die Lust und den Schmerz. Jemand, der genau weiß, wann er aufhören muss – und wann die Grenzen überschritten sind. Jemand, der ebenfalls auf der Suche nach jenen tiefen Gefühlen und der physischen Verbundenheit ist, die Dr. Alexander beschreibt.

Wo immer Du also bist, Zoe, ich hoffe, Du hast diesen Mann gefunden. Um unser beider willen.

Mit klopfendem Herzen beendete Zoe die Lektüre dieser intimsten Offenbarungen, die beunruhigende Fragen aufwarfen. Zum Beispiel: Was, wenn die naive Studentin von damals sich besser kannte als die Erwachsene heute? Sie schlug die Hand vor den Mund, erschrocken über die prophetischen Worte, die sie als junge Frau geschrieben hatte.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, erkundigte sich die Frau neben ihr freundlich.

Zoe stellte fest, dass ihre Sitznachbarin schön war. Sie hatte kurzes, stachliges schwarzes Haar mit einer pinkfarbenen Strähne und einer eigenartigen Augenfarbe. Violett vielleicht? Das war wegen des schwachen Lichts schwer zu sagen. „Ja, es geht mir gut, danke.“

„Ich hoffe, das sind keine schlechten Nachrichten.“ Die Frau deutete auf den Brief.

Zoe faltete ihn hastig zusammen und schob ihn wieder in den Umschlag. „Nein, nur ein Brief von einer alten Freundin.“

„Oh, wie schön. Ist es jemand, den Sie sehr vermissen?“

Zoe dachte über diese Frage nach und erinnerte sich an die junge Frau, die sie auf dem College gewesen war, voller Optimismus und Abenteuerlust, entschlossen, die Welt kennenzulernen und die Menschen, fest entschlossen auch, sich mit nichts weniger als dem vollkommenen Glück und der großen Liebe zufriedenzugeben.

„Ja, ich vermisse sie sehr“, antwortete sie wehmütig.

„Dann sollten Sie vielleicht ein kleines Treffen arrangieren.“ Die Frau zwinkerte ihr zu und widmete sich wieder ihrem Buch.

Das war ein interessanter Vorschlag – mit der Frau in Kontakt zu treten, die Zoe vor zehn Jahren gewesen war. Neugierig, ungebunden, hungrig nach Abenteuern. Auf Weltreise, um furchtlos die verschiedenen Kulturen zu entdecken. Bis sie eines Tages feststellte, dass alle ihre Freundinnen sich einen Partner gesucht hatten, den sie heiraten wollten. Daraufhin setzte Zoes Mutter sie unter Druck, auch endlich sesshaft zu werden. Dann machte sie jemand mit Kevin bekannt, und sie verstanden sich auf Anhieb.

Irgendwann im Lauf der Zeit war sie eine blassere Version ihrer selbst geworden, wie ein Lieblingshemd, das zu oft gewaschen wurde, aber immer noch gut genug war, um es zum Einkaufen im Supermarkt anzuziehen.

Bevor Panik in ihr aufsteigen konnte, hielt sie inne. Hatte sie immer noch die gleiche Einstellung zu Sex und Liebe? Beschäftigten sie noch die gleichen Fantasien?

Ja, musste sie sich schweren Herzens eingestehen. Wenn Kevin mit ihr schlief, machte sie die Augen zu und stellte sich all die Dinge vor, die er nicht mit ihr tat.

Hatte sie also eine gute Wahl getroffen? Hatte sie den richtigen Mann zum Heiraten gefunden?

Sie malte sich aus, wie sie Kevin erzählte, dass sie von ihm ans Bett gebunden oder mit seinem Ledergürtel gefesselt werden wollte. Er würde sie auslachen. Kevin war ein angenehmer Kerl, der keine düsteren Fantasien hatte, schon gar nicht wenn es um Sex ging. Er war schockiert gewesen, als sie einmal vorgeschlagen hatte, sich ein Pay-per-View-Pornovideo zu bestellen. Kevin war ein grundanständiger Mann, der Kartoffeln und Fleisch mochte und Sex in der Missionarsstellung. Und da sie sich verstanden, entschied Zoe, dass Fantasien von Fesselspielen etwas für Frauen waren, die Single bleiben wollten. Auf das Ausleben der geheimsten Fantasien zu verzichten schien ein kleiner Preis zu sein für Verlässlichkeit und Freundschaft.

Ihre Hand schloss sich fester um den Brief. Verlässlichkeit und Freundschaft? Das klang eher nach einem Hund, nicht nach dem Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Kevin würde ihr letzter Bettpartner sein. War das die große Liebe zwischen ihnen oder verstanden sie sich einfach nur gut? Waren sie beide einfach nur froh, dass sie nicht dauernd miteinander stritten wie ihre Eltern? Ihre Beziehung war gut …

Aber war sie gut genug, um sich ein Leben lang an diesen Mann zu binden?

Und warum musste sie unwillkürlich an ein Paar intensiver grüner Augen denken?

Colin war auf der letzten Seite des Jahresberichts angelangt und musste sich eingestehen, dass er sich an kein Wort dessen, was er gelesen hatte, erinnern konnte. Er fuhr sich übers Gesicht und las noch einmal zwei Absätze, bevor er es ganz aufgab und den Bericht zuklappte.

Diese Frau – Zoe. War ihr eigentlich klar, dass sie ihn völlig aus den Socken gehauen hatte?

Colin schüttelte über sich selbst den Kopf. Die amerikanische Ausdrucksweise seiner Mutter hatte auf ihn abgefärbt. Virginia Cannon neckte ihn jedes Mal, wenn ihm einer ihrer Sprüche über die Lippen kam. Und sie wäre sicher fasziniert, wenn sie wüsste, dass eine amerikanische Frau seine Aufmerksamkeit geweckt hatte, noch dazu eine, die genau wie seine Mutter aus den Südstaaten kam.

Vielleicht interessierte sie ihn gerade wegen ihres Südstaatenakzents, weil der ihn an die fröhliche, liebevolle Stimme seiner Mutter erinnerte. Andererseits hatte er auf seinen Reisen nach Atlanta zahllose Frauen aus den Südstaaten getroffen, und keine von ihnen hatte auch nur annähernd eine derartige Wirkung auf ihn gehabt. Er hatte sich stets unter Kontrolle, deshalb war es umso beunruhigender, dass eine Frau in einer züchtigen Uniform ihn schon nach einer harmlosen kurzen Unterhaltung so in ihren Bann zog. Besonders da offenbar auch sie der unerwarteten Anziehung zwischen ihnen zu widerstehen versuchte.

Colin schaute sich um, doch in der ersten Klasse war nach wie vor alles dunkel und der Vorhang vor dem Durchgang zur Economy Class zugezogen. Sie war dort hinten irgendwo, eingezwängt zwischen mürrischen Geschäftsleuten und schreienden Babys. Hatte sie das Knistern zwischen ihnen auch bemerkt? Dachte sie in diesem Augenblick auch an ihn? Fragte sie sich, was wohl passiert wäre, wenn sie sich unter anderen Umständen kennengelernt hätten … und was trotzdem noch passieren konnte?

Er war kein Mitglied im sogenannten „Mile-High-Club“, hatte also noch nie Sex in der Luft gehabt. Genau genommen hatte er bisher nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet. Außerdem war er sich ziemlich sicher, dass eine Stewardess für Sex auf der Flugzeugtoilette achtkantig gefeuert würde. Wie auch immer, er musste herausfinden, ob diese Frau ebenso neugierig auf diese Sache zwischen ihnen war wie er.

Colin stand auf und ging den Gang entlang zur Economy Class. Er konnte mit einer Zurückweisung fertig werden, aber nicht mit dem Bedauern darüber, etwas versäumt zu haben.

Er war nicht sicher gewesen, ob er sie im Halbdunkel der Kabine finden würde, und er wusste auch nicht, was er zu ihr sagen sollte. Wie macht man sich in einem Flugzeug an jemanden heran? Das Blut rauschte in seinen Ohren, als er die Sitzreihen absuchte, und als er sie entdeckte, beschleunigte sich sein Puls. Sie kaute auf ihrem Daumennagel und war anscheinend tief in Gedanken versunken. Colin blieb stehen und erkannte frustriert, dass sie in der Mitte einer Sitzreihe saß. Es würde schwierig sein, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ohne die anderen Passagiere aufzuwecken und sich zum Narren zu machen.

Er dachte nach. Die ganze Geschichte war ohnehin verrückt – diese Frau so heftig zu begehren, dass er sich in zehntausend Meter Höhe an sie heranmachte.

Aber dann schaute Zoe auf und entdeckte ihn, sein Verlangen wurde schlagartig stärker und er nahm wahr, wie sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht von überrascht zu fragend wandelte.

Aus Hilflosigkeit versuchte er ihr mit seinem Blick zu verstehen zu geben, was er dachte. Ihre Lippen teilten sich, der Ausdruck in ihren Augen wurde sanft. Als sie den Blick nach fast einer Minute noch immer nicht abwandte, atmete er tief durch und deutete mit dem Kopf kaum merklich zu den Toiletten in der Mitte des Flugzeugs. Sie verstand, denn sie presste die Lippen zusammen.

Colin wandte sich ab und ging heftig erregt zu einer der Kabinen, in der Hoffnung, dass Zoe ihm folgen würde.

Zoe saß stocksteif da und wagte nicht, sich zu bewegen. Mitten in ihre Überlegungen hinein war Colin Cannon aufgetaucht und hatte ihr zu verstehen gegeben, dass er ihretwegen gekommen war. Und jetzt wartete er auf sie in einer der Toiletten. Hatte sie sich anmerken lassen, was sie empfand? Wie sonst hätte er wissen können, dass sie hier hinten saß und über ihn nachdachte?

Es sei denn, er hatte vorn gesessen und über sie nachgedacht.

In gewisser Hinsicht war sie nicht allzu überrascht, denn seit er das Flugzeug betreten hatte, lag etwas Unerklärliches zwischen ihnen in der Luft. Ihr Umgang miteinander war nach außen höflich, während ihre Körper auf eine ganz andere Weise miteinander kommunizierten.

Und jetzt war der Moment der Wahrheit gekommen. Traute sie sich, zu ihm zu gehen? Sie drehte den Verlobungsring an ihrem Finger und dachte an Kevin. Treue war ihr nach wie vor sehr wichtig.

Andererseits waren sie noch nicht verheiratet, und Kevin brauchte es ja nie zu erfahren. Sie konnte ihr bizarres, beinah zwanghaftes Verlangen nach diesem Australier ausleben, und wenn sie landeten, wäre es vorbei.

Zoe schaute sich um, ob jemand mitbekommen hatte, was zwischen ihnen vorging. Die schwarzhaarige Frau neben ihr war in ihr Buch vertieft. Erica saß eine Reihe hinter ihr und schlief tief und fest. In der Kabine war es noch dunkel, doch sobald sie ins Tageslicht hineinflogen, würden alle aufwachen. Es hieß also, jetzt oder nie.

Zoe kam sich vor, als würde sie jemand anderem zusehen, als sie ihre Tasche mit Kleidung zum Wechseln nahm und sich auf den Weg zu den Toiletten machte. Sie hatte butterweiche Knie vor Nervosität – oder Vorfreude? Möglicherweise würde sie ihr Vorhaben schrecklich bereuen.

Aber aus irgendeinem Grund glaubte sie das nicht.

3. KAPITEL

Mit pochendem Herzen stand Zoe vor den Toiletten. In welcher Kabine war Colin?

An zweien war „Frei“ zu lesen, deshalb klopfte sie leise an und schaute hinein. Beide leer. Sie näherte sich der ersten Tür mit dem „Besetzt“-Schild, atmete tief durch und klopfte. Das Zeichen sprang auf „Frei“, was bedeutete, dass die Tür aufgeschlossen worden war. Zoe schluckte, schaute sich erneut nach allen Seiten um und sagte sich, dass sie ihre Meinung noch ändern konnte.

Doch selbst durch die Tür hindurch spürte sie die Anziehung und war nahezu machtlos. Nein, sie konnte diesem Mann nicht widerstehen und musste herausfinden, warum er sie dazu brachte, Dinge zu tun, die ihr vor ein paar Stunden im Traum nicht eingefallen wären.

Sie drehte den Türknopf und trat rasch ein.

Gemessen an den üblichen Flugzeugtoiletten – die auf den Inlandflügen waren nur halb so groß – gab es hier reichlich Platz, den Colin durch seine Größe und Erscheinung aber vollständig einzunehmen schien. Er lehnte an der Wand und betrachtete sie mit seinen unglaublich grünen Augen. Fragte er sich gerade, welche Sorte Frau so etwas tat?

Eine Frau wie ich, dachte sie, während sie regungslos vor ihm stand und ihre Tasche umklammerte. Sie wartete darauf, dass er sich rührte oder etwas sagte. Um sie herum war das Brummen der Triebwerke zu hören, was eine Atmosphäre der Abgeschiedenheit erzeugte.

Colin stieß sich von der Wand ab, um die Tür abzuschließen. Dann nahm er Zoe die Tasche ab und stellte sie auf eine Ablage, damit sie nicht länger im Weg war.

„Ich habe so etwas noch nie getan“, murmelte Zoe.

„Ich auch nicht“, erwiderte er und berührte ihre Wange. „Du bist wunderschön.“ Seine Stimme war heiser und sinnlich geworden. „Ich wusste nicht, ob du kommen würdest.“

„Ich wusste es selbst nicht“, gestand sie. „Ich bin mir immer noch nicht sicher, warum ich es getan habe.“

„Dann sind wir beide gleichermaßen verwirrt.“ Er hob ihr Kinn, um sie zu küssen.

Zoe rechnete damit, dass es einem Schock gleichkäme, die Lippen eines anderen Mannes auf ihren zu spüren – doch es war nicht schockierend, sondern einfach nur wunderbar und sehr aufregend. Er küsste sie leidenschaftlich, umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und begann ein erotisches Spiel mit seiner Zunge. Zoe hörte ein Stöhnen und erkannte, dass es von ihr stammte. Auch ihre Hände schienen ein Eigenleben zu führen, denn sie glitten an seiner Brust hinauf, über den gebügelten Stoff seines Hemdes und öffneten die Knöpfe.

Colin streichelte ihren Rücken und drückte sie so fest an sich, dass sie seine Erektion spürte. Heiß durchflutete es ihren Körper, und sie sehnte sich verzweifelt nach seiner Berührung. Sie wollte ihn spüren, tief in sich.

Zuerst zog sie ihren Pullover und BH aus, dann seine Krawatte und sein Hemd, anschließend ihre Strumpfhose und den Slip, dann öffnete sie seinen Gürtel. Angesichts der Größe seines aufgerichteten Glieds sog sie scharf die Luft ein. Als sie es umschloss, stöhnte Colin genussvoll auf und suchte in der Gesäßtasche seiner Hose nach einem Kondom.

„Es ist das Einzige, das ich habe“, erklärte er. „Machen wir das Beste daraus.“

Zoe streifte es ihm über und spürte, dass sie bereit für ihn war. Ein warmes Gefühl durchströmte sie, als er sie erneut voller Zärtlichkeit und Hingabe küsste. Als er sanft in eine ihrer aufgerichteten Brustwarzen biss, drückte sie sein Glied, um ihm zu signalisieren, wie sehr ihr dieses Spiel aus Lust und Schmerz gefiel. „Jetzt“, flüsterte sie.

Er drehte sie zum Spiegel um und küsste ihren Nacken, während er ihre Reaktion beobachtete. Er löste ihre Haarnadeln, und ihr Haar fiel ihr sogleich auf die Schultern. „Sieh dich an“, forderte er sie auf und biss zärtlich in ihr Ohrläppchen.

Zoe erkannte sich fast nicht wieder. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen voll und sinnlich und leicht geöffnet. Ihre Lider dagegen waren fast geschlossen. Sie sah lüstern aus, sexy und sehr erregt.

Er umfasste ihre vollen Brüste. Behutsam reizte er ihre Brustwarzen und Zoe erlebte eine völlig neue Lust – genießend, fordernd, Verlangen nach mehr. Sie rieb sich an seiner Erektion und wollte so schnell wie möglich ihren Rock ausziehen. Doch als sie nach dem Saum griff, hielt er ihre Hände fest und hob sie über ihren Kopf.

„Bald“, flüsterte er, „jetzt noch nicht.“

Er wickelte seine Krawatte um ihre Handgelenke und machte einen lockeren Knoten. Zoe registrierte vage, dass sie sich befreien konnte, wenn sie wollte. Aber das wollte sie nicht. Während er ihre Hände mit der einen Hand gegen den kühlen Spiegel drückte, stellte er mit der anderen Hand magische Dinge an, indem er sie unter ihren Rock schob, um ihren sensibelsten Punkt zu liebkosen. Zoe stöhnte und wand sich. Sie wollte endlich mit ihm schlafen, doch er schien entschlossen zu sein, ihr süße Qualen zu bereiten.

Er streichelte ihre kleine Knospe, küsste ihren Hals und beobachtete sie. Seine Augen, seine Hände, sein Körper … sie glaubte, es nicht mehr lange aushalten zu können. Ein Vibrieren entstand tief in ihr, tief innen, langsam und gewaltig drängte es sich in ihr Bewusstsein, in ihre Empfindungen, in ihre Seele. Schließlich gelangte sie zu einem überwältigenden Orgasmus, heftig wie nie zuvor. Als sie wieder zu sich kam, registrierte sie, dass Colin ihre kleinen Schreie mit seinen Küssen erstickte.

Zoe war froh, dass einer von ihnen noch geistesgegenwärtig war und darauf achtete, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie jedenfalls schaffte es momentan nicht, sich über andere Menschen Gedanken zu machen, denn sie konnte nur noch fühlen … wie ihre Finger allmählich taub wurden durch die Fessel … wie ihre Oberschenkel gegen den Waschbeckenrand gedrückt wurden … wie das Verlangen in ihr brannte.

Seine Miene verriet, dass auch er es nicht mehr lange aushalten würde, deshalb spreizte sie ihre Beine und drängte sich an ihn, sodass sie die Spitze seines aufgerichteten Glieds an ihrem empfindsamsten Punkt spürte. Colin gab einen kehligen Laut von sich und drang nun vollständig in sie ein.

Zoes Knie drohten angesichts der überwältigenden erregenden Gefühle nachzugeben, doch sie lehnte sich gegen den Spiegel und konzentrierte sich darauf, die Augen nicht zuzumachen. Sie wollte Colins Gesicht sehen, während er mit ihr schlief.

Er war ein schöner Mann. Seine Arme waren lang und muskulös, seine Brust breit und mit feinen seidigen Härchen bedeckt. Seine Gesichtszüge waren markant und überraschend ausdrucksstark. Ihm war deutlich anzusehen, dass ihm der Sex ebenso viel Vergnügen bereitete wie ihr. Zufrieden passte sie sich seinem Rhythmus und Tempo an. Dass sie ihre Hände nicht benutzen konnte, half ihr, sich auf andere Stellen ihres Körpers zu konzentrieren – ihre Brustwarzen waren hypersensibel, außerdem schien Colin in dieser Stellung einen äußerst empfindsamen Punkt zu erreichen …

Zoe kam zum zweiten Mal, diesmal unvermittelter und noch intensiver. Colin vergrub das Gesicht in ihren Haaren und drang auf dem Höhepunkt seiner Lust ein letztes Mal tief in sie ein.

Hinterher gab er ihnen beiden einen Moment, sich zu erholen, ehe er ihre Hände losband und ihr half, ihre überall herumliegenden Sachen zusammenzusuchen. Zoe hielt sich den Pullover vor die Brust und strich mit der anderen Hand die Haare aus ihrem Gesicht. „Ich würde gern noch ein wenig bleiben, um mich frisch zu machen.“

Er nickte, zog sein Hemd an und stopfte es geübt in die Hose, nachdem er es zugeknöpft hatte. „Klar. Übrigens, das war erstaunlich“, sagte er beiläufig, während er den Gürtel durch die Schlaufen an seiner Hose fädelte.

Zoe war verblüfft, wie entspannt sie beide waren, und schob es darauf, dass ihr Gehirn noch nicht wieder vollständig mit Sauerstoff versorgt wurde. Der Sex war zweifellos überwältigend gewesen.

Colin band sich den zerknitterten Schlips mit einem lockeren Windsorknoten um. „Darf ich dich wiedersehen?“

Zoe stutzte – damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte ihn für einen Geschäftsreisenden gehalten, der auf einen Quickie aus war. Und seine Behauptung, er habe so etwas noch nie vorher getan, hatte sie ihm auch nicht geglaubt. Aber egal, was seine Motivation war und wie seine Lebensumstände waren – ihre konnte sie nicht ignorieren. „Das geht nicht. Ich bin …“ Sie hob die Hand, damit er den Verlobungsring funkeln sah. „Ich heirate in einem Monat.“

„Ah, ich verstehe.“ Er lächelte kurz, konnte seine Enttäuschung damit jedoch nicht verbergen.

„Ich bedaure nicht, was passiert ist“, versicherte sie ihm. „Ich wollte es ja auch. Aber du verstehst sicher, warum es hier enden muss.“

„Natürlich.“

Zoe dachte an das mit schwarzem Samt bezogene Schmuckkästchen aus Colins Jackentasche, doch sie erwähnte es nicht. Sie sollte nicht einmal von dessen Existenz wissen.

„Wie schade“, sagte er, wusch sich die Hände und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Ihm beim Waschen zuzusehen kam ihr aus irgendeinem Grund viel intimer vor als das, was sie gerade getan hatten. „Wir hätten Spaß haben können.“ Er warf die Papierhandtücher in den Müll. Die Hand schon auf dem Türknopf, hielt er noch einmal inne, in den Augen erneut dieses Funkeln. „Viel Glück, Zoe.“

„Danke.“ Zum ersten Mal, seit sie sich begegnet waren, war sie verlegen.

Er schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber anders, denn er biss sich kurz auf die Unterlippe. „Er kann sich glücklich schätzen“, sagte er schließlich, bevor er verschwand.

Zoe schloss die Tür wieder ab und stützte sich auf den Waschbeckenrand, um sich im Spiegel zu betrachten. Sie sah tatsächlich so aus, als hätte sie leidenschaftlichen Sex gehabt … und es genossen. Doch als sie an Kevin dachte, empfand sie Scham und Reue. Er würde sich entsetzlich betrogen fühlen, wenn er wüsste, was sie getan hatte … und wie gut es gewesen war.

Deshalb würde sie es ihm nie erzählen. Sie hatte ihre kleine Affäre mit einem Mann gehabt, bei dem sie weiche Knie bekam, und sogar eine sanfte Kostprobe von Fesselspielen bekommen. Und jetzt war es vorbei. Nun konnte sie das Leben führen, das Kevin und sie gemeinsam geplant hatten, ohne das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

Darf ich dich wiedersehen?

Sie sollte nun aber ihre Gedanken beiseiteschieben und sich beeilen, damit niemand sich fragte, warum die Toilette so lange abgeschlossen war. Am Waschbecken machte sie sich schnell frisch und tauschte ihre Uniform gegen die Kleidung, die sie für ihren Hotelaufenthalt in Sydney herausgesucht hatte. Zum Schluss band sie ihre Haare wieder zu einem dicken Knoten im Nacken zusammen.

Darf ich dich wiedersehen?

Als sie aus der Toilettenkabine trat, erwachten die Passagiere langsam aus ihrem Schlaf. Licht fiel durch die Fenster, wo die Rollos ein paar Zentimeter geöffnet waren. Zoe fühlte sich unsicher auf dem Weg zu ihrem Platz, aber niemand schien ihr ansehen zu können, dass sie vor wenigen Minuten auf der Toilette wilden Sex mit einem Fremden gehabt hatte.

Darf ich dich wiedersehen?

Erica war wach und musterte Zoes neues Outfit skeptisch, da sie sich nur selten umzogen, ehe sie aus dem Flugzeug stiegen. Zoe winkte ihr kurz zu und versuchte gelassen zu wirken. Doch kaum saß sie, wanderte ihr Blick zu dem Vorhang, der die erste Klasse von der Economy Class trennte.

Darf ich dich wiedersehen?

„Es würde nicht funktionieren“, murmelte sie.

„Haben Sie etwas gesagt?“, erkundigte sich die schwarzhaarige Frau neben ihr.

Zoe sah sie an. Die Augen der Frau waren wirklich violett. Wie eigenartig. Vielleicht trug sie gefärbte Kontaktlinsen. „Nein. Ich habe nur mit mir selbst gesprochen.“

„Hilfreiche Angewohnheit“, sagte die Frau lächelnd. „Es ist nämlich erstaunlich, zu was alles man sich selbst überreden kann.“

„Oder was man sich ausreden kann“, gab Zoe reuevoll zu bedenken.

„Na ja, Leute, die einem irgendetwas ausreden wollen, gibt es ohnehin genug.“

Zoe lächelte. „Ich bin Zoe. Ist das Ihre erste Reise nach Australien?“

„Ich bin Lillian, und ja, es ist meine erste Reise. Ich kann es kaum erwarten, mir alles anzusehen. Sie sind wahrscheinlich schon Dutzende Male hier gewesen.“

„Ein paar Mal“, bestätigte Zoe. „Aber dies ist meine letzte Reise. Ich habe mich auf eine Inlandsroute versetzen lassen, damit ich öfter zu Hause bin. Ich heirate demnächst.“

„Oh, wie wunderbar.“

„Ja.“ Zoe hoffte, dass sie sich begeisterter anhörte, als es ihr vorkam.

„Dann ist dies Ihre letzte Sause als Single?“, neckte ihre Platznachbarin sie.

„So ähnlich.“

„Und danach könnten Sie sich mit der alten Freundin treffen, die Ihnen den Brief geschrieben hat.“

Zoe nickte höflich, wusste jedoch, dass die verheiratete Zoe sich für immer von der Zoe verabschieden musste, die damals ihre erotischen Fantasien aufgeschrieben hatte. Trotzdem, der Brief hatte den Anstoß zu dem Abenteuer mit Colin gegeben, also nahm sie ein paar gute Erinnerungen mit nach Hause, etwas, woran sie denken konnte, wenn sie die Augen zumachte …

Es gelang ihr, eine Weile einzudösen, und dann landeten sie auch schon.

„Warum hast du dich umgezogen?“, fragte Erica, als sie sich auf dem Gate im Terminal trafen.

„Ich habe Rotwein auf meinen Pullover geschüttet“, log Zoe und rollte ihren Koffer auf den Ausgang und die Zollkontrolle zu. Dank ihrer Ausweise der Fluglinie kamen sie sofort durch. Colin Cannon war nirgends zu sehen, aber da er Einheimischer war, musste er wahrscheinlich durch eine andere Passkontrolle. Als sie an der Gepäckausgabe vorbeikamen, hielt sie unwillkürlich Ausschau, um einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen.

„Wen suchst du denn?“, wollte Erica misstrauisch wissen.

„Ach, die Frau, die neben mir saß, war so nett, da wollte ich ihr zum Abschied noch einmal zuwinken.“

„Los, schnappen wir uns ein Taxi. Ich kann es kaum erwarten, mir das Hotel anzusehen.“

Zoe folgte ihrer Freundin und verspürte eine leichte Wehmut, als sie losfuhren und den Flughafen hinter sich ließen. Sie würde Colin höchstwahrscheinlich nie wieder begegnen.

Umso besser. Sie lehnte sich zurück und kaute an ihrem Daumennagel.

Erica deutete auf die dicke Mappe, die aus Zoes Tasche herausschaute. „Ich hoffe, du denkst während deines Aufenthaltes hier nicht ständig an die Hochzeit.“

„Nein, das verspreche ich. Ich muss nur ein paar E-Mails verschicken.“

„Hauptsache du änderst deine Meinung über die Kleider für die Brautjungfern nicht, denn ich freue mich schon auf meines. Wie, sagtest du, heißt diese eigenartige Farbe? Apricot?“

„Tut mir leid, das war die Idee meiner Mutter.“

„Ist schon in Ordnung. Ich weiß noch, wie meine Mutter war, als ich meine Hochzeit plante.“

Zoe nickte. Ihre Mutter schien entschlossen zu sein, ihrer Tochter die Hochzeit zu bescheren, die sie sich selbst immer gewünscht hatte: mit Seide und Schleifen, Spitze und Flitter. Was Zoe inzwischen völlig deplatziert vorkam, da sie nach dem Abenteuer mit Colin ständig an Leder und Metall denken musste.

Sie nahm sich zusammen. Die Details der Hochzeitsvorbereitungen würden ihr dabei helfen, sich wieder auf ihren Bräutigam zu konzentrieren.

Darf ich dich wiedersehen?

Zoe verbannte Colins Bild aus ihrem Kopf und schaute aus dem Seitenfenster des Taxis. Für sie war Sydney eine Mischung aus New York und San Francisco – voller geschäftig umhereilender Menschen und mit einem schönen Hafen, in dem die Farben Blau und Weiß vorherrschten. Das Hotel befand sich nicht weit vom Stadtzentrum entfernt in einem älteren Teil der Stadt. Wegen seiner Wellness-Atmosphäre erfreute es sich unter den Flugbegleiterinnen großer Beliebtheit, nur war es Zoe immer zu teuer gewesen. Dies war ihr erster Aufenthalt. Erica würde nur zwei Nächte bleiben und dann in die Staaten zurückkehren. Zoe aber hatte all ihre angesammelten Kreditkartenpunkte eingelöst und gönnte sich zehn Tage.

In der Lobby rankten sich üppige Grünpflanzen, und es gab künstliche Wasserläufe. Das Einchecken ging schnell und problemlos, das Gepäck wurde ihnen von Pagen in weißen Anzügen abgenommen.

„Ich muss ein Nickerchen machen, bevor wir irgendetwas unternehmen“, sagte Erica gähnend.

„Mach nur“, ermunterte Zoe sie. „Mein Handyempfang ist ausgezeichnet, also werde ich versuchen, Kevin zu erreichen, und dann meine E-Mails durchsehen.“

Erica verabschiedete sich und ging zu den Fahrstühlen, während Zoe sich eine ruhige Ecke suchte und per Handy ihre E-Mails abfragte. Sechs Nachrichten waren von ihrer Mutter, und den Betreff-Zeilen nach zu urteilen, drehte es sich in allen um irgendwelche Änderungen der Sitzordnung beim Probedinner, mit der Zoe sich befassen sollte.

Sie verschob die Lektüre der Nachrichten auf später, schaltete auf Telefonmodus um und gab Kevins Nummer ein. Sie musste unbedingt mit ihm reden, aber da es in Atlanta fast Mitternacht war, rechnete sie nicht damit, dass er sich meldete. Für gewöhnlich ging er zeitig zu Bett, um für seinen Frühsport ausgeruht zu sein. Seine Voicemail sprang an, und beim vertrauten Klang seiner Stimme bekam sie sofort Gewissensbisse.

„Hallo, ich bin’s“, sagte sie fröhlich. „Der Flug war …“ treulos „… angenehm. Ich bin …“ fremdgegangen „… gut angekommen.“ Zoe presste die Lippen zusammen und sagte sich, dass sie sich benehmen müsse, als sei alles in Ordnung. Als spüre sie nicht noch die Nachwirkungen des Zusammenseins mit einem anderen Mann und als würden diese Bilder sie nicht noch immer verfolgen. „Ich ruf dich später noch mal an. Tschüs.“ Erst nachdem sie aufgelegt hatte, wurde ihr klar, dass sie ihm nicht gesagt hatte, dass sie ihn liebte.

Erneut meldeten sich Schuldgefühle, diesmal mit voller Wucht. Sie schloss die Augen und wartete, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, und sagte sich, dass sie ohnehin nichts weiter tun konnte, als damit zu leben.

Sie schaute sich in der luxuriösen weißen Lobby um und genoss die einem Glockenspiel ähnlichen Klänge der Aborigines-Musik aus den Lautsprechern. Die Sonne schien auf die hellen Bodenfliesen und Messingbeschläge. Deckenventilatoren bewegten die Zweige der eingetopften Feigenbäume. Sie atmete tief ein und wieder aus. Diese beruhigende Atmosphäre war genau das, was sie brauchte, um sich zu entspannen und Colin Cannon zu vergessen.

„Das ist aber eine nette Überraschung.“

Zoe wirbelte herum und entdeckte ausgerechnet diesen Mann am Empfangstresen, eine Reisetasche in der einen, einen Aktenkoffer aus Leder in der anderen Hand. Sein Ledermantel reichte fast bis auf den Boden. Sämtliche Alarmglocken schrillten in Zoes Kopf. Als sich der erste Schock legte, traten Ungläubigkeit und Wut an seine Stelle.

Mit pochendem Herzen ging sie zu ihm. „Mr. Cannon“, begann sie und gab sich Mühe, ruhig zu bleiben. „Was im Flugzeug passiert ist, war eine einmalige Sache. Sie hatten kein Recht, mir hierher zu folgen.“

Er schien verblüfft zu sein. „Ich bin Ihnen nicht gefolgt, Zoe. Das ist reiner Zufall.“

Sie musste einräumen, dass das durchaus möglich war. „Dann … dann müssen Sie eben in einem anderen Hotel absteigen.“

„Das wird schwierig“, sagte er.

Zoe verschränkte die Arme. „Warum?“

Colin wurde von der Empfangsdame unterbrochen, die ihm eine flache Holzschachtel über den Tresen zuschob. „Ihre Schlüssel, Mr. Cannon. Ich lasse den Pagen kommen.“

Er bedankte sich bei der Frau und wandte sich dann wieder mit amüsierter Miene an Zoe. „Weil mir dieses Hotel zufällig gehört.“

4. KAPITEL

Die Nachricht, dass sie gerade in ein Hotel eingecheckt hatte, das dem Mann gehörte, mit dem sie heißen Sex in einer Flugzeugtoilette gehabt hatte, verwirrte Zoe zutiefst. Von der Peinlichkeit, Colin Cannon vorgeworfen zu haben, ein Stalker zu sein, mal ganz abgesehen.

„Ich … ich …“ Mehr brachte sie nicht heraus.

Ein Lächeln erschien auf seinem attraktiven Gesicht, als er auf die äußerst luxuriöse Lobby deutete – seine Lobby. „Danke. Mich macht dieses Hotel manchmal auch sprachlos. Deshalb habe ich es gekauft.“ Er beugte sich zu ihr herüber und fügte leiser hinzu: „Ich bitte um Verzeihung. Wenn ich gewusst hätte, dass du das gleiche Ziel hast wie ich, hätte ich mit meiner Einladung gewartet, bis sich uns bequemere Möglichkeiten bieten.“

Zoe schluckte. „Vergessen wir das einfach, ja?“

„Zu spät“, erwiderte er. „Du hast einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen.“

Er auch bei ihr, wie sie sich eingestehen musste. Aufgrund seiner Nähe nahm sie seinen Duft wahr, wie im Flugzeug, als sie das Gesicht an seinen Hals geschmiegt hatte. Er trug auch noch die Seidenkrawatte, mit der er ihre Handgelenke gefesselt hatte. Zoe wich einen Schritt zurück, um einen klaren Kopf zu bekommen.

„Ich ziehe in ein anderes Hotel“, verkündete sie.

Er machte ein enttäuschtes Gesicht. „Bitte nicht. Es ist ein großes Hotel, wahrscheinlich laufen wir uns nicht einmal über den Weg. Bist du Stammgast?“

„Nein“, entgegnete sie. „Nichts für ungut, aber das liegt ein bisschen außerhalb meiner Preisklasse. Meine Kollegin und ich haben es uns ausnahmsweise einmal gegönnt.“

„Ah, eine Vor-Hochzeitsfreude.“

Sie nickte verlegen.

„Dann soll es auch wirklich etwas Besonderes sein“, sagte er augenzwinkernd und drehte sich wieder zum Empfangstresen um. „Bitte veranlassen Sie, dass Miss Smythe und …“ Er sah Zoe an. „Wie heißt deine Freundin?“

„Erica Winston.“

Er nickte der Angestellten zu. „Bitte veranlassen Sie, dass Miss Smythe und Miss Winston während ihres Aufenthaltes freien Zugang zu unserem Wellnessbereich haben.“

„Sehr wohl, Sir“, antwortete die Frau.

„Das ist nicht nötig“, sagte Zoe und spürte, wie ihr die Farbe ins Gesicht schoss.

„Es ist mir ein Vergnügen.“ In seinen Augen lag ein Ausdruck des Bedauerns. „Genieß deinen Aufenthalt, Zoe.“ Er hob die Hand zu einem kurzen Gruß und ging davon.

Benommen schaute sie ihm hinterher und fühlte sich, als sei sie gerade eben einer Katastrophe entgangen. Es ist alles in Ordnung, beruhigte sie sich. Der Mann schien kein Problem damit zu haben, ihre kleine Affäre zu vergessen. Im Gegenteil, er schaffte ihr sogar Anreize, sie zu vergessen. Wahrscheinlich war es ohnehin nur eines von vielen Abenteuern für ihn gewesen, weshalb er gar nicht verstehen würde, dass es für sie ein Fehltritt monumentalen Ausmaßes gewesen war. Einer, den sie kaum würde vergessen können, wenn Colin im selben Hotel wohnte wie sie.

Aber wie sollte sie Erica erklären, dass sie das Hotel wechseln wollte? Schließlich hatten sie sich beide auf diese Auszeit gefreut. Und jetzt, wo sie den Wellnessbereich unbegrenzt nutzen konnten …

Nein, sie würde hierbleiben, zumindest bis Erica in zwei Tagen wieder abreiste. Danach würde sie die Situation erneut einschätzen. Wie Colin schon gesagt hatte, das Hotel war groß genug, sie mussten sich nicht über den Weg laufen.

Für ein Nickerchen, das sie sich versprochen hatte, war sie viel zu aufgewühlt, deshalb hängte sie sich ihre Tasche über die Schulter und verließ das Hotel. Draußen blinzelte sie in die grelle Sonne. Da sie wusste, wie glühend die Sonne in Australien schien, cremte sie sich mit Sonnenmilch ein und kaufte sich in dem ersten Laden, an dem sie vorbeikam, einen Hut mit breiter Krempe. In den Staaten war Herbst, doch auf dieser Seite des Äquators hatte der Frühling begonnen, und es war überraschend warm.

Zoe schlenderte durch die Straßen und hielt Ausschau nach interessanten kleinen Schmuckgeschäften. So machte sie es an jedem ihrer Reiseziele, sie suchte nach Perlen, Steinen und anderen Materialien für ihr Hobby Schmuckdesign. Australien war bekannt für Opale, und sie fand, die seien genau der richtige Akzent an den silbernen Gliederarmbändern, die sie für ihre Brautjungfern machte.

Diese Suche lenkte ihre Gedanken außerdem wieder in die richtige Richtung, nämlich in die Zukunft, auf ihre Hochzeit. Gleichzeitig genoss sie die Atmosphäre des Hafens. In der Luft lag der Salzgeruch des Meeres, und Zoe schnappte hier und da die Unterhaltungen der vorbeigehenden Menschen auf, die sich über die Ereignisse des Tages unterhielten.

An einem Stand kaufte sie sich ein Fischbrötchen, lehnte sich gegen ein weißes Geländer und beobachtete essend die Gegend. Dabei stellte sie fest, wie geschärft ihre Sinne waren. Alles um sie herum kam ihr klarer vor, lebendiger, deutlicher. Schiffshörner ertönten, das Wasser plätscherte sanft gegen die Pfeiler der Pier. Irgendwo lachten Kinder.

Vielleicht waren ihr Jetlag und der Schlafmangel dafür verantwortlich, doch insgeheim wusste sie, dass das erotische Abenteuer mit Colin der Grund dafür war. Unwillkürlich malte sie sich aus, wie es wäre, mit ihm eine ganze Nacht zu verbringen … unter seinem Kommando.

Sie staunte immer noch darüber, wie viel Intensität zwischen zwei Menschen entstehen konnte, hatte etwas Derartiges noch nie erlebt. Es war, als sei ihr ein Schleier von den Augen genommen worden, und sie konnte nicht glauben, dass sie nie etwas davon gewusst hatte. Dabei war sie kein behüteter Mensch – jedenfalls hatte sie sich nie dafür gehalten. Sie betrachtete ihren Verlobungsring und musste sich die Wahrheit eingestehen – seit sie Kevin kannte, hatte sie sich nach und nach von ihrer Abenteuerlust verabschiedet und sich darauf eingestellt, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Diese Entwicklung war ein ganz normaler Bestandteil des Erwachsenwerdens, und es ging so langsam, dass sie es nicht einmal mitbekommen hatte.

Darum fühlte sie sich von der Affäre mit Colin auch überrumpelt. Der Vorfall war so einzigartig, als würde man einen Blitz in eine Flasche sperren. Man traf den richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und beide waren auch noch in der richtigen Stimmung. Aber es würde nie wieder passieren, weder mit ihm noch mit sonst wem. Es war einfach Glück gewesen.

Zoe fütterte mit dem Rest ihres Brötchens die Möwen und beobachtete, wie die Vögel die Brocken verschlangen. Der Ausdruck puren Verlangens in Colins Augen war ebenso animalisch gewesen. Seine Begierde hatte sie dazu gebracht, Dinge zu tun, an die sie seit Jahren nicht gedacht hatte.

Bis dieser Brief sie erreichte.

Sie nahm ihn aus ihrer Umhängetasche und drehte ihn mehrmals hin und her. Wie unheimlich, dass sie ihn so kurz vor ihrer Hochzeit bekommen hatte. Aber sie erinnerte sich daran, dass Dr. Alexander gesagt hatte, in zehn Jahren, wenn die meisten Mädchen des letzten Studienjahrs Anfang dreißig wären, würden sie höchstwahrscheinlich an entscheidenden Wendepunkten in ihrem Leben stehen – entweder kurz vor der Hochzeit, der Elternschaft oder auch der Scheidung. Das ist der perfekte Zeitpunkt, noch einmal alles auf den Prüfstand zu stellen, hatte Dr. Alexander gesagt. Auch die Sexualität befinde sich in diesem Alter auf dem Höhepunkt.

Zoe hob eine Hand an ihre erhitzte Wange. War das der Grund, warum sie so heftig auf den Australier reagiert hatte? Weil ihre Hormone verrückt spielten? Gab die Natur ihr damit einen Wink, Spaß zu haben, ehe es zu spät war? Bevor sie verheiratet war und eine Familie gegründet hatte?

Sie verstaute den Brief wieder in ihrer Tasche. Eigentlich hatte sie auf dieser Reise über ganz andere Dinge nachdenken und vor den Strapazen der Hochzeit noch einmal durchatmen wollen. Sie hatte sich innerlich auf das gemeinsame Leben mit Kevin vorbereiten wollen.

Eine Affäre mit einem Fremden jedenfalls hatte nicht auf dem Programm gestanden. Und die hatte sie nur mit ihm gehabt, weil er breite Schultern besaß, blond und sexy war, noch dazu reich, älter und Australier, also in jeder Hinsicht der komplette Gegensatz zu ihrem Verlobten.

Eine große Gestalt kam den Gehsteig entlang auf den Yachthafen zu, und Zoe hielt den Atem an. Es war Colin, der sie im gleichen Moment entdeckte. Er trug eine Khaki-Cargoshorts, eine blaue Windjacke und ausgeblichene Bootsschuhe. In der Hand trug er eine kleine Reisetasche. Offenbar war er unterwegs zu einem der Boote – zweifellos zu seinem. Er winkte ihr freundlich aus einigen Metern Entfernung zu.

Zoe reagierte nicht, zumindest nicht äußerlich, doch sein Anblick weckte alle möglichen lüsternen Empfindungen. Unwillkürlich sah sie Szenen des Liebesspiels auf der Flugzeugtoilette deutlich vor sich – sein Gesicht dicht neben ihrem im Spiegel, während er sie von hinten nahm und ihre Handgelenke über ihrem Kopf gefesselt waren. Benommen von der Überfrachtung ihrer Sinne hielt sie sich am Geländer fest. Sie brauchte dringend Schlaf, denn sie war erschöpft und fühlte sich wehrlos. Sobald sie sich ausgeruht hatte, würde es ihr leichter fallen, mit dem fertig zu werden, was passiert war. Und dann würde sie auch eher in der Lage sein, Colin zu widerstehen, wenn sich ihre Wege kreuzten.

Er zögerte und machte dann Anstalten, zu ihr zu gehen.

Zoe wandte sich rasch ab und ging eiligen Schrittes davon, zurück zum Hotel. Sie spürte förmlich, dass er ihr hinterherschaute, und erkannte mit Entsetzen, dass sie nicht nur vor Colin davonlief, sondern auch vor ihrer eigenen Schwäche.

Denn in seiner Nähe traute sie sich selbst nicht.

„Zoe, was ist los mit dir?“, fragte Erica mit gedämpfter Stimme.

In der Schlammwanne neben ihr lag Zoe, Kamillenteebeutel auf den Augen und ein warmes, feuchtes Handtuch auf dem Gesicht. Nur ihre eingewickelten Köpfe schauten aus der schwarzen Brühe, was ein kleines Problem darstellte, da Zoe sich dringend an der Nase kratzen musste.

„Nichts ist mit mir“, erwiderte sie. „Wie kommst du darauf?“ Sie fand selbst, dass sie ein bisschen zu schrill klang.

„Keine Ahnung, deswegen frage ich ja. Du bist seit zwei Tagen irgendwie komisch. Bedrückt dich etwas?“

Offenbar hatte sie nicht gut verbergen können, dass Colin sie beschäftigte. Sie hob einen schlammbedeckten Arm aus der Wanne und nahm Teebeutel und Handtuch vom Gesicht. „Mir gehen nur so viele Dinge durch den Kopf, das ist alles. Tut mir leid, dass ich dir keine gute Gesellschaft war.“

Erica lachte unter ihrem Handtuch. „Machst du Witze? Jim und ich brauchten mal Abstand voneinander, und das hier war himmlisch. Aber ich mache mir Sorgen um dich.“ Sie drehte ihren umwickelten Kopf in Zoes Richtung. „Du kriegst doch wohl keine kalten Füße wegen der Hochzeit mit Kevin, oder?“

Zoe lachte gezwungen. „Unsinn.“ Aber sie war froh, dass Erica ihr Gesicht nicht sehen konnte.

„Denn falls doch, wäre dies der richtige Zeitpunkt, sich alles zu überlegen. Oh, übrigens habe ich den Mann aus dem Flugzeug wiedergesehen.“

Zoes Herz machte einen Satz. „Welchen Mann?“

„Diesen tollen Kerl aus der ersten Klasse, bei dem du ein ‚komisches Gefühl‘ hattest. Erinnerst du dich?“

„Oh ja“, bestätigte Zoe mit einem leisen Lachen.

„Ich sah ihn heute Morgen in der Lobby. Er lief hier herum, als gehöre ihm das Hotel.“

„Gut zu wissen“, meinte Zoe vorsichtig. „Dann kann ich ihm aus dem Weg gehen.“

„Genau.“ Erica seufzte dramatisch. „Das hier wird mir fehlen. Ich möchte immer noch gern wissen, mit wem du geschlafen hast, dass wir freien Zugang zum Wellnessbad bekommen haben.“

Zoe verschluckte sich fast. „Das habe ich dir doch erzählt. Als ich die Zimmer buchte, erwähnte ich, dass ich mir vor meiner Hochzeit noch einmal etwas gönnen wollte. Offenbar hat der Manager das mitbekommen und sich eine kleine Überraschung einfallen lassen.“

„Tja, es hat jedenfalls funktioniert. Ich habe mich noch nie so verwöhnt gefühlt. Haben wir irgendeinen Service nicht bekommen?“

„Ich glaube nicht“, sagte Zoe. „Obwohl ich das Brazilian Waxing bereue.“

„Die Stellen werden schon bald nicht mehr so empfindlich sein“, versicherte Erica ihr. „Glaub mir, du wirst begeistert sein. Sex nach einer Haarentfernung im Intimbereich ist fantastisch.“

Das Gesicht und der Körper des falschen Mannes kamen Zoe in den Sinn, sodass sie beinah laut gestöhnt hätte. „Wann geht dein Flug morgen?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.

„Sehr früh. Ich werde versuchen, dich nicht zu wecken, wenn ich gehe. Hast du große Pläne für morgen?“

„Vielleicht mache ich einen Spaziergang durch die Royal Botanic Gardens. Außerdem würde ich mir gern Manly Beach ansehen, bevor ich abreise.“ Sie hatte die Hoffnung, dass die allein verbrachte Zeit ihr helfen würde, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

„Das hört sich gut an. Hast du schon mit Kevin gesprochen?“

„Nein, wir verpassen uns andauernd.“ Auch das war ein Teil des Problems, denn wenn sie mit ihrem Verlobten sprach, würde sie Colin schon vergessen. Aber wenn Kevin als Vertreter für Sportgeräte nicht unterwegs war, verbrachte er jede freie Minute auf seinem Rennrad. Sie würden sogar die Flitterwochen in den Staaten verbringen, damit er sein Rennrad mitnehmen konnte. Sicher, Boulder, Colorado, war eine schöne Stadt, und es machte ihr überhaupt nichts aus, dass es außerdem einer der besten Orte im Land für Radrenntraining war.

Wirklich, es störte sie ganz und gar nicht.

An Ericas letztem Abend beschlossen sie, ein Musikfestival im Hafen zu besuchen. Sie tranken Bier und hörten sich auf verschiedenen Bühnen alle möglichen Musikstile an, von den pulsierenden Rhythmen der Aborigines bis zu stampfendem Rockn’ Roll. Das Wetter war angenehm mild, die Besucher in bester Stimmung.

Zoe war froh über den Lärm und die Aktivitäten, denn sie brauchte sich dann nicht zu unterhalten. Allerdings nahm ihr Körper den konstanten Takt der Musik auf, sodass sie ihn bis in die Nervenenden spürte. Das wiederum weckte Erinnerungen an einen ganz anderen Rhythmus. Vom Alkohol entspannt, tanzten Zoe und Erica in der Menge. Zoe fühlte sich angenehm aufgeputscht vom starken Bier und der Energie der Menschen um sie herum.

„Sieh nicht hin“, schrie Erica ihr ins Ohr, „aber dort drüben ist dein sexy Aussie!“

Zoe bewegte sich weiter zur Musik der nächstgelegenen Bühne und drehte sich beiläufig um. Tatsächlich, nur wenige Meter entfernt stand Colin Cannon und beobachtete sie mit seinen faszinierenden grünen Augen. Er schien aus der Menge herauszuragen, trug Jeans und ein weißes Hemd, und seine gebräunte Haut unterstrich die Vitalität, die er ausstrahlte. Sein sonnengebleichtes Haar war zerzaust und sexy.

Seine Nähe bewirkte, dass sich der Bass der Musik in einen erotischen Rhythmus verwandelte. Zoe tanzte weiter zur Musik, die Arme über den Kopf erhoben. Ein Schauer überlief sie, als sie merkte, dass Colin sie mit seinen Blicken verschlang, deshalb war sie froh, dass hier nichts passieren konnte. Er konnte sie ruhig beobachten, und sie konnte es genießen, mehr nicht, denn zum Glück hatte sie Erica dabei.

Dummerweise fliegt Erica morgen, flüsterte eine leise Stimme in ihr.

Zoe ignorierte die Stimme und wandte sich mit langsamen, erotischen Bewegungen ab. Die Männer um sie herum stießen anerkennende Pfiffe aus und machten zweideutige Bemerkungen, doch sie tanzte nur für Colin. Nachdem sie eine komplette Drehung vollführt hatte, blickte sie auf … aber er war fort. Enttäuscht hielt sie Ausschau, tadelte und schämte sich aber sofort für ihr Verhalten. Schließlich hatte sie ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie auf keinen Fall dort weitermachen würden, wo sie aufgehört hatten. Und es sah ganz danach aus, als habe er die Absicht, ihren Willen zu respektieren.

Zoe seufzte. Anscheinend war er ein echter Gentleman.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ihn zum letzten Mal gesehen hast“, bemerkte Erica.

Zoe winkte ab und tat, als wüsste sie nicht, wovon ihre Freundin sprach. Der restliche Abend verlief für sie weniger interessant, trotzdem blieb sie, bis Erica keine Lust mehr hatte. Und ihre Freundin wollte den letzten Abend in Freiheit in vollen Zügen genießen, deshalb flirtete sie und tanzte provozierend mit einigen Männern, nur um deren Einladungen, den Rest des Abends gemeinsam zu verbringen, am Ende doch auszuschlagen. Trotz ihrer Klagen über den mageren Sex in ihrer Ehe schien Erica nicht auf der Suche nach einer Affäre zu sein.

„Gehen wir“, sagte sie gegen zwei Uhr morgens. „Ich muss in ein paar Stunden aufbrechen und langsam wieder in die Realität zurückkehren.“

Zoe hakte sich auf dem kurzen Weg zurück zum Hotel bei ihrer Freundin unter. „Gib es zu, Jim fehlt dir, oder?“

„Ja.“ Erica klang wehmütig und ein wenig betrunken. „Jim ist kein Hengst im Bett, aber er wärmt mir die Füße und bringt mich zum Lachen. Das ist es doch, was letztlich zählt, oder?“

„Ja“, pflichtete Zoe ihr bei.

„Außerdem ist es zu viel verlangt, alles mit einem einzigen Menschen haben zu wollen – großartigen Sex und großartige Liebe. Oder etwa nicht?“

„Stimmt.“ Allerdings hatte Dr. Alexander in ihrem Kurs „Sex für Anfänger“ das genaue Gegenteil behauptet. Zoe spürte noch immer das sinnliche Kribbeln, das Colins Auftauchen ausgelöst hatte. Der Mann wirkte wie eine kosmische Kraft auf sie.

Inzwischen war es kühler geworden, deshalb gingen sie schnellen Schrittes durch die kopfsteingepflasterten Straßen. In der Hotellobby schaute Zoe sich nach dem Besitzer um, doch um diese Zeit hatten nur noch ein paar Angestellte Dienst. Oben auf ihrem Zimmer angekommen, bat Erica telefonisch um einen Weckanruf und fiel anschließend ins Bett, wo sie sofort einschlief.

Zoe dagegen lag vollständig bekleidet auf ihrem Bett, starrte an die Decke und versuchte zu ergründen, warum sie sich so durcheinander und rastlos fühlte, warum ihre Gedanken ständig zwischen zwei Männern hin und her sprangen, wo einer der beiden sich doch auf ihre Bitte hin von ihr zurückgezogen hatte. Sie fühlte sich innerlich zerrissen und ärgerte sich, dass sie ihre Gefühle für Kevin in Gefahr gebracht hatte.

Auf der anderen Seite des Zimmers klingelte ihr Handy und leuchtete im dunklen Zimmer. Zoe sprang auf und lief schnell hin, um Erica nicht zu wecken. Auf dem Display erschienen Kevins Name und seine Nummer. Zoe atmete tief durch, bevor sie sich meldete.

„Hallo, Zoe, ich bin’s. Habe ich dich geweckt?“

„Ehrlich gesagt, nein.“ Sie schlüpfte in ihre Schuhe, schnappte sich den Zimmerschlüssel und ging hinaus auf den Flur, auf der Suche nach einer ruhigen Ecke, in der sie ungestört telefonieren konnte.

„Hast dich noch nicht an die neue Zeitzone gewöhnt, was?“

„Genau.“ Sie ging zu dem Sofa neben dem Fahrstuhl. „Wie geht es dir?“ In Atlanta war es kurz nach Mittag, Kevin machte wahrscheinlich gerade Pause.

„Fabelhaft“, antwortete er und klang dabei so aufgeräumt wie eh und je. „Ich hatte gestern eine gute Trainingsfahrt. Die neuen Schuhclips machen einen großen Unterschied aus.“

„Wie schön“, sagte sie und versuchte, ein wenig Begeisterung für seine leidenschaftliche Freizeitbeschäftigung aufzubringen. Schließlich würde das bald einen Großteil ihres Lebens berühren.

Autor

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Das erste Buch der US-amerikanischen Autorin Stephanie Bond erschien im Jahr 1995, seitdem wurden über 60 Romane von ihr veröffentlicht. Ebenfalls schrieb sie Bücher unter dem Pseudonym Stephanie Bancroft. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, beispielsweise erhielt sie 2001 den RITA-Award. Im Jahr 1998 bekam Stephanie Bond den “Career Achievement...

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