Tiffany Sexy Band 55

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LIEBE - PRICKELND WIE CHAMPAGNER von HOFFMANN, KATE
Affäre à la Hollywood: Im Jet nach New York lernt die junge Autorin Lily den Regisseur Aidan Pierce kennen, in erotischen Nächten genießt sie mit ihrem Traummann die Liebe, prickelnd wie Champagner! Aber die Zeit ist knapp. Hat ihre filmreife Romanze ein Happy End?

PALMEN, MEER UND HEISSE NÄCHTE von SUMMERS, CARA
Coles erster Kuss geht Pepper nicht aus dem Kopf! Als sie zusammen mit ihrem smarten Kollegen auf der Karibikinsel Escapade einen Fall lösen muss, beschließt die schöne Privatdetektivin: Höchste Zeit für einen zweiten Kuss - und mehr …

KÜSSE UNTER TAUSEND STERNEN von BOND, STEPHANIE
Hemmungsloser Sex in der Wildnis? Ein abwegiger Gedanke für die stets vernünftige Gabby! Bis sie mit dem attraktiven Dell einen Survival-Trip antritt. Tagsüber warten auf Gabby aufregende Abenteuer - und nachts, in ihrem Zelt unter tausend Sternen, wartet Dell …


  • Erscheinungstag 11.01.2009
  • Bandnummer 0055
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952229
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

STEPHANIE BOND

Küsse unter tausend Sternen

Er oder ich? Ausgerechnet gegen Dell muss Gabby bei einem Survival-Trip antreten. Der Nervenstärkere bekommt den ersehnten Job in der Firma! Aber nicht die Wildnis macht Gabby schwach, sondern Dells Sex-Appeal. Als er sie auf seine Isomatte zieht, muss sie schnell entscheiden: Ist er ihr Konkurrent – oder der Mann, mit dem sie die Liebe genießen will?

CARA SUMMERS

Palmen, Meer und heiße Nächte

Heiße Lippen auf seinem Mund: Bevor Privatdetektiv Cole Buchanan begreift, was geschieht, hält er Pepper in seinen Armen! Einen atemlosen Kuss später steht sein Körper in Flammen. Aber sein Verstand schlägt Alarm. Warum will seine schöne Kollegin ihn verführen? Was steckt dahinter: echtes Gefühl – oder ein raffinierter Ablenkungsversuch?

KATE HOFFMANN

Liebe – prickelnd wie Champagner

Er ist ein Traummann! Wie gern würde die schüchterne Lily auf dem Flug von Hollywood nach New York mit dem Filmregisseur Aidan Pierce flirten – aber sie traut sich nicht! Doch gerade ihre Zurückhaltung findet er unwiderstehlich: Und kaum sind sie gelandet, fährt seine Limousine mit den getönten Scheiben vor. Niemand soll sehen, was jetzt geschieht …

1. KAPITEL

„Mit wem, glaubst du, hat sie geschlafen, um befördert zu werden?“

Gabrielle Flannery riss ihren Blick von der strahlenden Blondine los, zu deren Verabschiedung sich die ganze Abteilung versammelt hatte, und drehte sich stirnrunzelnd zu ihrer Kollegin und Freundin Tori um. „Ich weiß nicht, was du gegen Courtney hast. Sie war immer nett zu mir. Und zu dir auch.“

Tori stieß einen verächtlichen Laut aus. „Ja, weil wir sklavisch vor ihr gebuckelt haben.“

Gabrielle reckte sich, um aus dem hinteren Teil des Konferenzraums besser sehen zu können, wie der Kuchen feierlich angeschnitten wurde. „Also ich freue mich für Courtney. Es ist doch schön, dass sie weiterkommt.“

„Ja, ja“, murrte Tori. „Sie kriegt ein sechsstelliges Gehalt, einen gigantischen Werbe-Etat, einen nagelneuen Firmenwagen und ein Eckbüro. Die coolen Kids machen einen Punkt nach dem anderen, während wir alte Trottel noch immer bei null stehen.“

Es störte Gabrielle, als Trottel bezeichnet zu werden. „Aber wir haben doch auch einen eigenen Etat.“ Ihr Puls beschleunigte sich, als Dell Kingston vortrat, um anlässlich des Ereignisses einige Worte an die Anwesenden zu richten.

„Ja, und was für tolle Etats das sind“, sagte Tori hinter vorgehaltener Hand. „Findest du es nicht merkwürdig, dass all die aufregenden Produkte wie Designerkleidung und europäische Wagen an Leute wie Courtney Rodgers und Dell Kingston gehen, während unsereins sich mit Toilettenpapier und Hundefutter begnügen muss?“

Gabrielle bemühte sich um einen besseren Blick, obwohl Dell Kingstons markantes Profil weit interessanter war als der kunstvoll verzierte Baumkuchen. „Sie sind eben schon länger in der Firma“, antwortete sie abwesend.

„Zwei lausige Wochen länger, ja, und auf der Karriereleiter sind sie uns um Lichtjahre voraus.“ Frustriert schlug Tori an einen Zweig des Ficus, hinter dem sie standen. „Sieh uns an. Wir stehen als Zaungäste hinter einem Baum, um zuzuschauen, wie sie sich in ihrem Erfolg sonnen.“

Gabrielle biss sich auf die Lippe, als sie Courtney und Dell betrachtete. Die Barbie und der Ken von „Noble Marketing of Atlanta“ lächelten sich an, als ob sie ein intimes Geheimnis teilten.

„Jetzt, da Courtney geht, wird Dell ein freier Mann sein“, flüsterte Tori Gabrielle ins Ohr.

„Hör auf!“, zischte Gabrielle. Hätte sie Tori bloß nicht anvertraut, dass sie in Dell verknallt war. Zum Glück hatte sie nichts über das wahre Ausmaß ihrer Gefühle gesagt. Als ob Dell Kingston sich je für sie interessieren würde, außer vielleicht als Zielscheibe für blöde Witze. Er hänselte sie ständig wegen ihrer roten Haare und Sommersprossen und nahm dabei auch noch einen übertriebenen irischen Akzent an.

„Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“, riss Dell sie aus ihren Gedanken und setzte sein atemberaubendes Lächeln auf.

Es wurde still im Raum, und Gabrielle spürte, wie sie sich unweigerlich zu Dell hingezogen fühlte. Der Mann hatte eine unglaubliche Ausstrahlung.

Er wandte sich an die schöne Courtney. „Wir sind heute in Gegenwart dieser Zeugen hier“, begann er und brach dann ab. „Nein, Moment … das passiert nur in meinen Träumen.“

Alle lachten, als Courtney scherzhaft seinen Arm knuffte.

Gabrielle lachte mit, aber innerlich beneidete sie Courtney Rodgers, eine hochgewachsene, goldblonde und äußerst attraktive Südstaatlerin von vornehmer Herkunft. All diese Attribute hatte sie eingesetzt, um zur Top-Etatdirektorin aufzusteigen und einen Posten im New Yorker Büro der Firma anzutreten.

Allerdings war es schwer, der Frau weibliche List vorzuwerfen. Courtney arbeitete hart und hatte bei Noble viele Überstunden gemacht.

Gabrielle seufzte innerlich – aber nicht so viele Überstunden, wie sie und Tori verzeichnen konnten.

„Aber Spaß beiseite“, fuhr Dell fort, „wir alle werden Courtney vermissen und wünschen ihr nur das Beste für ihr neues Abenteuer. Oh, und damit alle es wissen – ich beabsichtige, den EOS-Etat zu übernehmen.“

Das Unternehmen EOS – Equipment für Outdoor-Sport – hatte einen enormen Werbeetat und einen wirklich heißen Repräsentanten. Gabrielle hatte als Courtneys inoffizielle Assistentin für die EOS-Werbung gearbeitet und gehofft, den Filmschauspieler Nick Ocean irgendwann einmal persönlich kennenzulernen. Sie hatte auch davon geträumt, dass der Firmenchef Bruce Noble ihr nach Courtneys Weggang den Etat geben würde, und war nun einigermaßen enttäuscht.

Dell sagte noch einige abschließende Worte, und alle applaudierten und riefen Courtney Glückwünsche zu.

Sie tritt nicht einfach einen neuen Job an, dachte Gabrielle. Courtney brach in ein neues Abenteuer auf. Bei einigen Leuten wirkte alles, was sie machten, aufregender und exotischer als das, was ein Durchschnittsmensch tat.

Der durchschnittliche Trottel.

Dell umarmte Courtney und ließ seinen Arm auf ihren Schultern liegen. Gabrielle beugte sich vor und fragte sich, wie man es bloß anstellte, diesen magischen Ort zu erreichen, wo die Welt einem zu Füßen lag. Wie beneidenswert diese Frau war, in Dells Galaxie zu kreisen … von ihm berührt zu werden …

Plötzlich neigte der Baum vor Gabrielle sich nach vorn. Nein, sie fiel! Den Ficus umschlingend, segelte sie vorwärts und landete auf dem Boden, wobei Blumenerde auf ihrem langen Rock landete. Rings um sie ertönten Laute des Schrecks, die dann in Lachen übergingen. Gabrielle drehte sich auf den Rücken, schloss die Augen und betete, dass alle sie wie gewöhnlich ignorierten und dass die Feier weiterging.

„Gabrielle“, zischte Tori. „Mister Noble starrt dich an. Steh auf!“

Das Gelächter schwoll an, und Gabrielle lag wie gelähmt und mit geschlossenen Augen da.

„Willst du mir die Show stehlen?“, erklang da eine Stimme über ihr.

Sie öffnete die Augen und sah Dell Kingston über sich gebeugt. Er blickte sie amüsiert an.

„Nein“, brachte sie mühsam hervor.

„Bist du verletzt?“

„Nein.“

Er ergriff ihre Hand und zog sie hoch. „Hier gibt’s nichts zu gucken. Gehen Sie bitte weiter zum Kuchenbuffet“, sagte er im autoritären Ton eines Polizisten.

Gabrielles Gesicht glühte vor Verlegenheit, als die Leute an ihnen vorbeidefilierten. Mr. Noble betrachtete sie blinzelnd, als ob er sich zu erinnern versuchte, wie sie hieß. Nervös wischte sie Blumenerde von ihrer hellbraunen Kostümjacke. Ihren Rock hatte es schlimmer erwischt, er war mit dunklen, feuchten Schmierflecken bedeckt. Ihr ramponiertes Outfit bildete einen kläglichen Kontrast zu Courtneys leuchtend blauem Seidenkostüm und war überdies total unpassend für die gerade herrschenden heißen Temperaturen.

„Ist wirklich alles okay mit dir?“, fragte Dell.

Sie nickte, noch immer wie versteinert vor Scham. „Sorry. Es tut mir leid.“

„Du musst dich nicht entschuldigen“, sagte er lachend und fügte leise hinzu: „Ich hab gar nicht gewusst, was für hübsche Beine du hast, Gabby.“

Gabby. Sie hasste diesen Spitznamen. Andererseits freute sie sich über Dells Kompliment.

„Dell“, rief Courtney. „Ich brauche hier Hilfe.“

„Komme sofort!“, rief er zurück. Dann beugte er sich vor, berührte Gabrielles Nasenspitze und nahm seinen mit Erde verschmierten Finger fort. „Nimm dich vor diesen aggressiven Bäumen in Acht.“

Bei seiner Nähe schnürte sich ihr die Kehle zusammen. Seine Gesichtszüge waren kräftig und maskulin, sein kurzes dunkles Haar auf eine sexy Art verwuschelt. Seine Zähne hoben sich perlweiß gegen seine gebräunte Haut ab. Sein würziges Aftershave erregte ihre Sinne. Selbst wenn sie es versucht hätte, hätte sie kein Wort herausgebracht.

Deshalb drehte sie sich um und floh Richtung Ausgang.

Dell Kingston grinste, als er den schlanken Rotschopf aus dem Konferenzraum flüchten sah. Die Frau war zweifellos gut, wenn es darum ging, sich aus dem Staub zu machen. Und sie ist auch etwas tollpatschig, dachte Dell amüsiert. Wie oft hatte er sie vor der überlaufenden Kaffeekanne gerettet, vor einem unaufhörlich ratternden Fotokopiergerät, vor Lawinen von Schnellheftern im Materialraum. Dell stellte den unseligen Baum wieder auf, wobei er kleine Haufen von Blumenerde auf dem Teppich hinterließ.

Er foppte Gabby Flannery zu gern, weil sie so leicht rot wurde und nicht zurückschlug wie die anderen Frauen in der Abteilung. Es war offensichtlich, dass sie in ihn verknallt war, und bei der Vorstellung, wie Gabby nachts wach lag und von ihm träumte, musste er lächeln.

Es war zu niedlich, wirklich.

Allerdings war nichts Niedliches an den unglaublich langen Beinen, die ihr Sturz enthüllt hatte. Dell fragte sich, was für Geheimnisse das rothaarige Mauerblümchen wohl sonst noch unter ihren züchtigen Kostümen verbarg und wie aufregend die Frau möglicherweise sein könnte … wenn sie mit dem richtigen Mann zusammen war …

„De-ell“, rief Courtney ungeduldig.

„Komme sofort“, antwortete er und musste wieder an den glücklichen Umstand denken, dass Courtney die Firma verließ und nach New York ging.

Sie hatten schöne Zeiten im Bett miteinander verbracht, aber ansonsten passten sie überhaupt nicht zusammen. Courtneys Beförderung war ein Gewinn für Dell. Er würde den kostbaren EOS-Etat bekommen, und keiner stand ihm mehr im Weg. Gabby stellte keine Bedrohung dar, ganz im Gegenteil. Sie würde alles, was sie bei ihrer Arbeit über den Kunden erfahren hatte, bereitwillig an Dell weitergeben, und vielleicht würde sie ja sogar seine inoffizielle Assistentin werden.

Dann sah er wieder das Bild von der auf dem Boden liegenden Gabby vor sich, ihre langen Beine verführerisch gespreizt. Wenn Courtney weg wäre, müsste er sich auch einen neuen … Zeitvertreib suchen.

Und plötzlich war die Vorstellung von einer scheuen, schweigsamen, nützlichen Rothaarigen in seinem Bett äußerst reizvoll.

Gabrielle lief zu ihrem Schreibtisch, wütend auf sich selbst, weil sie sich wieder mal zum Gespött der ganzen Belegschaft gemacht hatte.

Tori hatte recht. Sie war ein Trottel.

„Hey, Gabrielle, warte!“, rief ihre Freundin hinter ihr her.

Aber Gabrielle stürmte in ihr Minibüro und ergriff ihren Aktenkoffer sowie ihre Handtasche. Wenn sie jetzt ging, würde sie nicht gemeinsam mit ihren Kollegen im Fahrstuhl stehen müssen.

„So schlimm war das gar nicht“, beschwichtigte Tori sie, aber dann musste sie doch lachen. „Okay, es war zum Brüllen komisch, wie du Courtney ihren glanzvollen Auftritt verdorben hast.“

Gabrielle seufzte frustriert. „Ich hab das doch nicht mit Absicht gemacht.“

„Ich werde meine Version erzählen“, sagte Tori grinsend.

Entnervt hängte sich Gabrielle ihre Tasche über die Schulter. „Ich geh jetzt nach Hause.“

„Aber heute ist Freitag. Wir haben uns als Platzanweiserinnen im Fox Theater zur Verfügung gestellt.“

Sie beide und sämtliche Senioren aus Midtown oh Gott, was für ein wundervolles gesellschaftliches Leben. „Heute kann ich nicht. Ich ruf dich irgendwann am Wochenende an.“

Tori fasste ihren Arm. „Was ist los mit dir? Es war doch nicht das erste Mal, dass du dich lächerlich gemacht hast und …“ Sie brach mitten im Satz ab und machte ein betretenes Gesicht. „Sorry. Ich hab’s nicht so gemeint, wie es sich angehört hat.“

Gabrielle schluckte. Dann blickte sie an ihrem verschmutzten und unmodernen Kostüm hinab und ließ den ganzen peinlichen Vorfall noch einmal Revue passieren. Am schlimmsten war ihr idiotisches Benehmen gegenüber Dell gewesen, der ihr immer das Gefühl gab, unattraktiv und unfähig zu sein. In ein paar Monaten würde sie dreißig werden, aber in Stresssituationen benahm sie sich häufig wie ein unreifer Teenager. Sie würde nie das Format von Dell Kingston oder Courtney Rodgers haben. Einmal ein Trottel, immer ein Trottel.

„Viel Spaß im Theater, Tori.“ Mit hängenden Schultern ging sie zum Fahrstuhl.

„Gabrielle!“, rief Tori ihr nach. „Sei doch nicht so verbohrt.“

Sie blickte starr geradeaus, als sie nach unten fuhr und dann in die Sommerhitze der City hinaustrat. Aber Toris Worte kreisten unentwegt in ihrem Kopf, während sie auf ihren Bus wartete. Sei doch nicht so verbohrt … vergiss deine großen Ziele … sei nicht gekränkt, wenn man dich übersieht … dich unterschätzt … dich ignoriert …

Gabrielle verfluchte ihr wollenes Kostüm, das sie in der feuchten Julihitze zu ersticken drohte. Endlich kam der Bus, und sie stieg zusammen mit anderen abgearbeiteten Leuten ein. Natürlich blieb der Bus nach wenigen Minuten in dem mörderischen Feierabendverkehr stecken.

Gabrielle blickte aus dem Fenster und sah nichts als stehende Autos. Das hat Symbolcharakter, dachte sie grimmig. Totaler Stillstand – wie in meiner Karriere.

Sie liebte ihren Beruf und hielt Noble für eine der besten Werbefirmen, aber sie hatte sich mehr erhofft. Jetzt sah sie sich mit sechzig noch immer als unbedeutende Marketing-Managerin, die bei Belegschaftsversammlungen noch immer hinter Kübelpflanzen stand.

Um ihre Gedanken von ihrer betrüblichen Lage abzulenken, griff Gabrielle nach der Zeitschrift, die auf dem Platz neben ihr lag. Sie blätterte durch die zerknickten Seiten, bis sie bei einem Artikel mit dem Titel „Der Adrenalinschub – verändern Sie Ihr Leben“ innehielt. Das interessierte sie, und sie begann zu lesen. In der Einleitung des Artikels stand, dass viele Menschen in ihrem Leben ein Stadium des Stillstands erreichten und dass man die Dinge nur durch Stärkung der geistigen Energie wieder in Bewegung bringen könnte.

Stellen Sie sich bildlich vor, was Sie erreichen wollen. Wenn Sie Ihr Ziel klar vor Augen haben, fragen Sie sich, was im Fall des Scheiterns schlimmstenfalls passieren könnte. Wahrscheinlich werden Sie nicht schlimmer dran sein als vorher. Aber wenn Sie Ihre Talente und inneren Kräfte mobilisieren, werden Sie nicht scheitern. Möglicherweise werden Sie sogar erfolgreicher sein, als Sie es sich in Ihren kühnsten Träumen ausgemalt haben.

Gabrielle setzte sich gerader hin. Sie hatte das Gefühl, dass dieser Artikel eigens für sie geschrieben worden war. Ändern Sie Ihr Denken. Ändern Sie Ihr Leben. Haben Sie Mut zum Risiko. Ein aufregendes heißes Prickeln rieselte durch sie hindurch.

Wann hatte sie das letzte Mal einen Adrenalinschub erlebt? Ihre Arbeit bei Noble war schon seit Jahren nicht mehr aufregend, und das Highlight ihrer Wochenenden war der ehrenamtliche Job im Fox Theater. Sie hatte kein Date gehabt, seit … seit Langem. Die einzigen besonderen Leute in ihrem Leben waren Tori, die deprimierend sein konnte, und Mc Gee, der nicht mal ein Mensch, sondern ihre Bulldogge war.

Sie seufzte. Adrenalinschübe hatte sie in letzter Zeit nur verspürt, wenn sie Dell Kingston im Flur begegnet war oder wenn er sie aus einem von ihr selbst angerichteten Schlamassel gerettet hatte.

Wie armselig, dass das Aufregendste in ihrem Leben eine Reaktion auf jemanden war, der ihre Existenz kaum wahrnahm. Andere Frauen in Gabrielles Alter, wie etwa Courtney, machten ihr Leben aufregend, indem sie die ausgetretenen Pfade verließen und etwas Neues anpackten.

Es ist Zeit, dass ich mein Leben in die Hand nehme, entschied Gabrielle. Aber wie? Nochmals überflog sie den Artikel.

Stellen Sie sich bildlich vor, was Sie erreichen wollen …

Was will ich? fragte sie sich. Was würde sie glücklich machen? Beachtet werden, anerkannt werden, ihre Intelligenz und ihre Begabungen entfalten …

Sie wollte den EOS-Etat.

Endlich hielt der Bus an der Haltestelle in Gabrielles Viertel. Sie steckte die Zeitschrift in ihre Tasche und stieg aus. „Ich will den EOS-Etat“, sagte sie vor sich hin, um zu testen, wie die Worte sich aus ihrem Mund anhörten.

Aber du hast doch Dell gehört. Er ist scharf auf den Etat, und natürlich wird Bruce Noble ihn ihm geben, meldete sich ihre innere Stimme zu Wort. Es war verrückt, zu denken, dass der Boss ihr einen der lukrativsten Etats der Firma anvertrauen würde – vor allem nachdem er heute Zeuge ihres Spektakels geworden war.

Andererseits kannte Gabrielle das Unternehmen EOS und seine Produkte am besten von allen in der Firma. Sie hatte mit den Produktingenieuren von EOS gearbeitet, um sich über die Besonderheiten der Erzeugnisse zu informieren. Die von ihr entworfenen Broschüren waren bei dem Kunden gut angekommen, weil darin alles erwähnt wurde, was der Verbraucher über die Qualität der EOS-Produkte wissen musste.

Gabrielle erklomm die Treppen zu ihrer Wohnung im vierten Stock. War sie diese Treppen nicht stundenlang auf und ab gelaufen, um die Wanderstiefel von EOS zu erproben und zu begreifen, wie die Schuhe funktionierten?

Und hatte sie nicht einen Großteil ihres und Mc Gees Lebensraums den EOS-Produkten gewidmet – Zelten, Rucksäcken, Seilausrüstungen und Camping-Zubehör?

Mit Mc Gee an den Fersen ergriff Gabrielle die T-Stange über sich, hob die Füße und schwebte an dem von EOS entwickelten Seil zu ihrem Schlafzimmer. Dort angekommen, legte sie ihre Handtasche und den Aktenkoffer auf das Fußende des voll gepackten Betts, das sie die letzten drei Monate nicht benutzt hatte, weil sie ein im Wohnzimmer errichtetes Zelt testete.

Sie seufzte bei dem Anblick all der Kleidungsstücke, die sich auf dem Bett türmten. Und hatte sie nicht auch den größten Teil des Schrankraums zugunsten der Sportoutfits von EOS geopfert?

Zwar verbrachte Gabrielle ihre Wochenenden nicht mit lebensgefährlichen Unternehmungen, was Dell Kingston angeblich mit seinem Seilklettern und seinen Triathlons tat, aber sie analysierte die Produkte und kannte deren Schwachpunkte. Sie hätte gewettet, dass sie über die Erzeugnisse von EOS mindestens ebenso viel wusste wie Dell.

„Ich will den EOS-Etat“, wiederholte sie resolut.

Mc Gee bellte zustimmend.

Langsam zog Gabrielle ihr Kostüm und ihre verschwitzte Bluse aus, betrachtete das Zeug einen Moment lang und versenkte es dann im Abfalleimer. Sie zog Shorts und ein T-Shirt an und strich glättend über die widerspenstigen Haarenden, die aus ihrem Bauernzopf herausstanden. Liebe Güte, das Ding fühlte sich an wie ein Topfschrubber.

Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn nichts draus wird?

Sie würde gedemütigt sein und sich weiterhin mit ihren Etats für Damenhygiene und Hämorrhoidensalbe begnügen müssen. Aber würde eine Zurückweisung von Bruce Noble wirklich erniedrigender sein, als vor der ganzen Belegschaft den Ringkampf mit einem Baum zu verlieren?

Nein, entschied Gabrielle. Blieb nur die Frage, ob sie mit Bruce reden könnte, ohne wie ein Trottel vor sich hin zu stammeln. Sie blickte zu ihrem entsorgten Kostüm, an dem Mc Gee misstrauisch schnupperte. Und wenn sie in Courtneys Fußstapfen treten wollte, dann müsste sie ihre Garderobe ändern.

Sie langte in ihren Kleiderschrank und zog von ganz hinten das hellgrüne Kostüm hervor, das ihre Mutter ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Fiona Flannery war eine extravagante Rothaarige, die Gabrielle ständig dazu drängte, ihre Haarfarbe und ihren ungewöhnlichen Teint besser zur Geltung zu bringen. Oft schickte ihre Mutter ihr Kosmetika und Kleidung, die sie aber nicht benutzte oder trug. Ihr fehlte ganz einfach der Mut dazu.

Sie hielt sich das Kostüm an und betrachtete sich in dem Türspiegel des Kleiderschranks. Der Stoff war weich und schmiegsam, die Farbe hob ihre grünen Augen hervor. Die Jacke war figurbetont, der Rock endete ein gutes Stück über den Knien.

Dells Bemerkung über ihre langen Albino-Beine fiel ihr ein, und prompt wurden ihre Wangen heiß. Natürlich hatte er sie nur gehänselt, um zu sehen, wie sie errötete.

Sie fragte sich, wie Dell wohl reagieren würde, wenn er Wind von ihrer Absicht bekam. Würde er sich bedroht fühlen oder … lachen?

Was kann schlimmstenfalls passieren?

Sie würde wieder unsichtbar werden und sich damit abfinden müssen.

Gabrielle holte Mc Gees Leine und nahm für den Spaziergang die Zeitschrift mit. Mc Gee war der liebste Hund der Welt, aber er bewegte seinen gedrungenen kleinen Körper vorwärts wie eine schläfrige Schnecke. Eine Runde um den Block gab Gabrielle reichlich Zeit, um den Artikel nochmals zu lesen und dabei auf Tipps für ihr Vorgehen zu achten.

Um sich auf eine schwierige Situation vorzubereiten, sollten Sie die Szene visualisieren. Wie wünschen Sie sich die Handlung? Schreiben Sie ein Drehbuch. Üben Sie, was Sie sagen werden, bis Sie Ihren Part energisch sprechen können.

Visualisieren … üben …

In Gedanken malte Gabrielle sich die Szene aus, wie sie mit wackligen Knien und knallrotem Kopf in Bruce Nobles Büro stelzte. Dann visualisierte sie, wie sie am Montagmorgen selbstsicher das Büro ihres Bosses betrat, ihn „Bruce“ nannte und ihm mitteilte, dass sie den EOS-Etat haben wollte – nein, dass sie den Etat verdiente.

Doch jedes Mal, wenn sie Bruce Nobles Gesicht visualisierte, sah er bei ihrer Forderung ungläubig aus, skeptisch, perplex.

Als Gabrielle in ihre Wohnung zurückkehrte – nun mit Mc-Gee im Arm, weil er die Treppen nicht bewältigten konnte –, kam ihr plötzlich eine Idee. Sie nahm den Jahresbericht der Firma aus ihrem Aktenkoffer. In dem Heft befand sich ein ganzseitiges Farbfoto von Bruce Noble, sein Gesicht fast lebensgroß und … lächelnd. Gabrielle riss die Seite heraus, klebte sie auf ein Stück Pappe und schnitt dann das Gesicht ihres Bosses aus. Sie bohrte Löcher in die Augen und befestigte das Pappgesicht an der Vorderseite einer Baseballmütze.

„Mc Gee, komm her, Schätzchen.“

Mc Gee kam angewackelt und stand geduldig still, während sie ihm die Mütze auf den Kopf setzte.

„Perfekt!“ Gabrielle trat zurück und starrte Bruce Nobles lächelndes Antlitz an. „Bruce, ich möchte den EOS-Etat.“

Mc Gee bellte, wobei seine Hängebacken hüpften, ganz wie bei ihrem Boss.

„Warum?“ Sie griff nach dem grünen Kostüm und hielt es vor sich. „Weil ich zwei Jahre lang als Assistentin von Courtney gearbeitet habe. Ich kenne die Produkte, ich habe fast alle Texte geschrieben, und …“

Mc Gee kläffte, als ob er sie anfeuerte.

Sie löste die Spange von ihrem Zopf und fuhr mit den Fingern durch ihr langes lockiges Haar. „Und ich verdiene eine Chance, mich zu beweisen, Bruce. Ich habe dieser Firma sechs Jahre meines Lebens geschenkt, und ich bin gut in meinem Job. Genauso gut wie Dell Kingston. Und ich bin es leid, von allen übersehen zu werden.“

Die Erinnerung an die Szene im Konferenzraum ließ sie innehalten. Sie sah Dells spöttisches Lächeln vor sich, als er sie vom Boden hochzog. Er hatte sich über sie lustig gemacht, er sah nichts als den linkischen Tollpatsch in ihr. So wie alle anderen.

Ihr werdet schon sehen, dachte sie und lächelte. Am Montagmorgen würde sie beachtet werden, und zwar aus den richtigen Gründen.

2. KAPITEL

Dell drückte den Fahrstuhlknopf und trank aus seinem Kaffeebecher, um wach zu werden.

Er war am Sonntagmorgen mit seinem Mountainbike unterwegs gewesen und hatte den Nachmittag mit Klettern verbracht. Es hatte Spaß gemacht, aber nach der körperlichen Anstrengung hätte er an diesem Morgen gut noch etwas mehr Schlaf gebrauchen können.

Dell nickte dem Wachmann zu, der um diese Zeit der einzige andere Mensch in der Lobby war. Aber Bruce Noble saß immer schon in seinem Büro, bevor die meisten Menschen aufstanden, und das wollte Dell nutzen, um den EOS-Etat formell zu beantragen. Formell, weil es so gut wie sicher war, dass er den Etat bekommen würde. Er war ein erfahrener Etatdirektor, und EOS passte perfekt zu ihm, weil er den größten Teil seiner Freizeit draußen verbrachte und seinen Körper an immer neue Grenzen trieb.

Außerdem war ein Lebenslauf mit super Etats der kürzeste Weg zur Spitze.

Eine Spitzenposition ermöglichte eine frühe Beendigung des Arbeitslebens.

Ein früher Eintritt in den Ruhestand bedeutete Zeit für die Hobbys.

Daher war EOS eine wichtige Sprosse in Dells Karriereleiter.

Natürlich wollte er nicht anmaßend erscheinen. Deshalb würde er sich ans Protokoll halten und Noble sein Anliegen sachlich darlegen.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und Dell trat in die Kabine. Hinter sich hörte er das Klicken von High Heels – ein Geräusch, das seinen Puls stets auf Touren brachte.

„Stoppen Sie den Lift“, rief eine weibliche Stimme.

Er drückte den Knopf, blickte dann zur Lobby und sah eine hochgewachsene, langbeinige Frau durch die Halle schreiten. Sie trug ein modisches grünes Kostüm, und ihre Beine wurden durch diese hochhackigen Schuhe, die ihn immer so antörnten, noch verlängert.

Sie trat in den Lift. „Danke.“

Dell nahm einen tiefen Schluck aus seinem Kaffeebecher, während er die Schönheit neben sich einer eingehenden Musterung unterzog. Ihr Haar hatte die Farbe eines Ahornbaums im Herbst – atemberaubend.

Verdammt, was war nur an den Rothaarigen, das ihn in letzter Zeit so fesselte?

Abgesehen von ihrer rasanten Aufmachung, ihrem glamourösen Make-up und ihrer selbstsicheren Haltung erinnerte sie ihn ein wenig an …

Er verschluckte sich an seinem Kaffee und musste husten. „G-gab-by?“

Sie drehte sich zu ihm, und er blickte in die schönsten grünen Augen, die er je gesehen hatte. „Ja?“

Er zwinkerte. Moment mal … er hatte diese Augen schon vorher gesehen, aber waren diese Wimpern immer so lang, und war ihr Mund immer so voll und verführerisch? „B-bist du es wirklich, oder … wow …“, sagte er und verstummte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so ins Stottern gekommen war.

Die zarte Röte, die auf ihren Wangen erschien, war das erste Merkmal der alten Gabby. „Wolltest du nicht den Knopf für unsere Etage drücken?“

Wie ein Idiot stieß er drei Mal auf den Knopf, bis er aufleuchtete.

„Hattest du ein schönes Wochenende?“, fragte er, noch immer völlig durcheinander.

„Ja, danke“, erwiderte sie und schob sich eine Locke hinter ihr zierliches Ohr.

Während der Fahrstuhl aufwärts surrte, bemühte Dell sich, sie nicht anzustarren. Aber er konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen. Die Verwandlung von dem hässlichen Entlein in den schönen Schwan grenzte an ein Wunder.

Ein heftiges Begehren stieg in ihm auf, und plötzlich wurde die Aussicht, Gabby als seine Assistentin zu bekommen, noch verlockender. Und sie schien offensichtlich ebenfalls Gedanken an eine Zusammenarbeit zu hegen. Warum hätte sie sich sonst so in Schale geworfen?

Die Fahrstuhltüren glitten auseinander, und Gabby stieg vor ihm aus.

„Ähm, Gabby …“

Sie drehte sich um. „Ja?“

„Ich wollte schon vor einiger Zeit mit dir über den EOS-Etat sprechen.“

„Wieso?“

Er setzte sein charmantestes Lächeln auf. „Na ja, ich werde Hilfe benötigen. Und ich weiß, dass Courtney deine Mitarbeit unentbehrlich fand.“

Entnervt verzog Gabrielle das Gesicht, woraus Dell schloss, dass Courtney mit Komplimenten gegeizt hatte.

„Ich würde mich freuen, wenn du deine Fachkenntnisse mit mir teilen würdest, da ich ja jetzt den Etat übernehme.“

Finster sah sie ihn an. „Hat Mr. Noble dir den Etat offiziell übergeben?“

„Nein“, sagte er, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. „Deshalb bin ich heute früher gekommen. Um mit ihm darüber zu reden.“

Nun musste sie lächeln. „Welch ein Zufall.“ Damit drehte sie sich um und ging weiter.

Dell blickte ihr nach, fasziniert von ihren sexy Hüftschwüngen. Dann blinzelte er – was hatte sie eben gesagt? Etwas von einem Zufall?

Zufall? Dell runzelte die Stirn. Sie meinte bestimmt nicht … Nein, unmöglich. Sie konnte doch nicht glauben, dass sie …

Alarmglocken schrillten in seinem Kopf, als ihm bewusst wurde, dass Gabby in diesem Moment auf dem Weg zu Bruce Nobles Büro war.

Gabrielle blieb an der Tür stehen und atmete tief durch. Die Begegnung mit Dell hatte sie ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht, aber sie musste sich auf ihr Ziel konzentrieren. Sie klopfte.

„Herein“, rief Bruce.

Sie sammelte die Kraft, die das Übungswochenende mit einem liebenswerten Bruce-Noble-Imitat ihr verliehen hatte. Nach einem nochmaligen tiefen Atemzug öffnete sie die Tür und ging hinein.

„Guten Morgen, Bruce.“

Erstaunt sah ihr Boss sie an. „Miss Flannery?“

„Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“

„Äh, nein … was kann ich für Sie tun?“

Sie blickte in sein lächelndes Gesicht und sagte die Worte, die sie tausend Mal geübt hatte: „Bruce, ich möchte den EOS-Etat.“

So wie es in dem Artikel empfohlen wurde, wappnete Gabrielle sich gegen eine negative Reaktion. Aber statt verärgert zu sein oder spöttisch zu lachen, nahm Bruce seine Brille ab und sagte: „Der EOS-Etat, aha. Offen gestanden bin ich überrascht, Gabrielle … aber angenehm überrascht.“

Ein kurzes Klopfen ertönte, und kurz darauf marschierte Dell Kingston forsch ins Büro seines Chefs. „Guten Morgen, Bruce.“

„Morgen, Dell. Miss Flannery und ich haben gerade über den EOS-Etat gesprochen.“

Gabrielle sah, wie Panik in Dells Augen aufblitzte, die aber schnell einem selbstbewussten Ausdruck wich. „Oh, gut. Ich hatte nämlich gedacht, dass Gabby künftig mit dem Assistententitel auf dem Etat arbeiten sollte.“

Bruce spitzte die Lippen. „Meinen Sie?“

„Ja, auf jeden Fall.“

„Nun, Gabrielle findet, dass ihr die volle Verantwortung für EOS übertragen werden sollte.“

Dell lachte. „Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich glaube nicht, dass Gabby schon so weit ist, einen so anspruchsvollen Kunden wie EOS zu betreuen.“

Wütend verschränkte Gabrielle die Arme vor der Brust. „Du meinst wohl, einen so wichtigen Kunden?“

Dell nickte, und Gabrielle spürte, wie ihr unter seinem direkten Blick immer heißer wurde. Einen Moment lang befürchtete sie, dass die altbekannte Sprachlosigkeit sich ihrer wieder bemächtigen würde. Sie riss ihren Blick von Dell los und schaute wieder zu dem lächelnden Gesicht, das mit ihr ferngesehen und dabei gehechelt hatte.

„Ich habe dieser Firma sechs Jahre gewidmet“, sagte sie bestimmt. „Ich habe mit einigen der ungewöhnlichsten und schwierigsten Produkten in unserer Palette gearbeitet, und die Kunden waren immer zufrieden.“

Bruce nickte zustimmend, und Gabrielle hätte fast seinen Kopf gekrault. „Ich möchte diesen Etat haben“, fuhr sie fort und hob ihr Kinn. „Ich kenne die Produkte in- und auswendig. Ich habe die Werbetexte entworfen und fast alle Broschüren geschrieben. Ich habe die Modernisierung des Online-Ladens vorgeschlagen und durchgeführt.“

Dell schnaubte. „Schreibtischarbeit ist eine Sache, Bruce, aber ich kenne die Leute bei EOS. Es sind echte Kerle, so wie ich einer bin. Wenn ich nicht arbeite, mache ich Touren auf meinem Mountainbike, oder ich klettere, laufe Marathons und, und, und. Outdoor-Sportarten sind mein Leben.

Bruce blickte zu Gabrielle, anscheinend wartete er auf eine Erwiderung.

Sie schluckte schwer. „Ich habe in dem Apartment-Haus, in dem ich wohne, die Treppen beim Testen von Wanderstiefeln abgenutzt. Und seit drei Monaten schlafe ich in einem EOS-Zelt, das ich in meinem Wohnzimmer aufgebaut habe.“

Erstaunt blickten beide Männer sie an, dann läutete das Telefon. Bruce schaute zur Telefonanlage. „Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment, ich muss diesen Anruf annehmen.“

Gabrielle langte nach dem Türknauf, aber Dell kam ihr zuvor und hielt ihr die Tür auf. Sie starrte ihn ärgerlich an und ging hindurch. Draußen im Flur ignorierte sie ihn, sagte sich immer wieder, dass ihre Nervosität unbegründet war. Sie hatte ihre Sache gut vorgebracht. Bruce hatte sie nicht ausgelacht und mit keinem Wort darauf angespielt, dass er und alle anderen am Freitag ihren weißen Baumwollslip gesehen hatten.

Dells leises Lachen riss sie aus ihren Gedanken. Er sah versöhnlich aus, und ihr Ärger schwand.

„Ach komm, Gabby. Du kannst doch nicht ernsthaft erwarten, dass Bruce dir den Etat gibt. Warum bleibst du nicht bei den Damenhygiene-Produkten und überlässt EOS jemandem, der den Job meistern kann?“

Bei diesen Worten setzte ihr Herz einen Schlag aus. Sie begriff, dass Dell all die Male, als er sie gehänselt hatte, innerlich über ihre Ungeschicklichkeit gelacht und sie als völlig inkompetent abgestempelt hatte. Hätte er gewusst, dass sie sich in diesen flüchtigen gemeinsamen Augenblicken in ihn verknallt hatte, hätte er noch herzhafter gelacht.

Sie fühlte sich entsetzlich, aber sie riss sich zusammen und stieß zwischen zusammengepressten Zähnen hervor: „Mein Name ist Gabrielle. Und bevormunde mich bitte nicht.“

Etwas, das sie nicht zu deuten vermochte, flackerte in seinen Augen auf. Feindseligkeit? Verachtung?

Plötzlich schwang die Tür hinter ihnen auf, und Bruce bat sie hinein. Gabrielle ging voran, längst nicht mehr so selbstsicher wie vor einigen Minuten. Aber jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.

Bruce lehnte sich an seinen Schreibtisch, die Arme vor der Brust verschränkt. „Ich habe eben mit Eddie Fosser von EOS telefoniert. Er möchte auch wissen, wer den Etat übernehmen wird. Ich hab ihm von meinem Dilemma erzählt.“ Er deutete zu Dell. „Auf der einen Seite habe ich einen Seniordirektor, der gut zu den Managern von EOS passt.“

Dell lächelte, und Gabrielle kochte innerlich. „Dazu passen“ bedeutete einen mit Testosteron vollgepumpten Mann.

Nun machte Bruce eine Handbewegung zu ihr. „Auf der anderen Seite habe ich eine Juniormanagerin, die mit den Produkten des Kunden vertraut ist und möglicherweise bei anderen Gelegenheiten … äh … übergangen wurde.“

Gabrielle lächelte. Vielleicht würde Bruce doch die richtige Entscheidung treffen.

„Eddie schlug während unseres Gesprächs etwas vor, das Ihnen beiden eine Gelegenheit bieten könnte, sich zu beweisen.“

Gabrielle und Dell tauschten einen verständnislosen Blick.

„EOS sponsert einen Survival-Trip, der dieses Wochenende in den Bergen stattfinden wird. Natürlich wird der berühmte Nick Ocean dabei sein, die Galionsfigur des Unternehmens. Außerdem nimmt Eddie mit ein paar anderen EOS-Managern teil, und einige ihrer großen Kunden machen auch mit. Es ist ein Wettstreit, bei dem jeder Teilnehmer Punkte sammelt. Eddie hat vorgeschlagen, dass Sie beide sich an dieser Sache beteiligen, und wer die meisten Punkte macht, bekommt den Etat. Ich finde, es ist eine prima Idee. Das Ganze findet im Amicalola Falls State Park statt. Sie würden am Donnerstag hinfahren und Montag zurückkommen. Na, was meinen Sie?“

Gabrielle brachte kein Wort heraus. Ein Wettkampf mit Dell in der Wildnis? Da war ihre Niederlage vorprogrammiert.

„Ich finde die Idee auch toll“, pflichtete Dell Bruce bei und drehte sich dann zu Gabrielle um. Seine Augen glänzten siegessicher. „Aber wenn dir nicht danach ist, Gabrielle, dann sag es ganz einfach, und wir bleiben bei dem ursprünglichen Arrangement – ich betreue den Etat, und du wirst meine Assistentin sein.“

Sie schluckte schwer, versuchte, sich an die Ratschläge in dem Artikel zu erinnern.

Plötzlich beugte Dell sich zu ihr rüber. „Komm schon, Gabby“, flüsterte er spöttisch. „Trau dich!“

Bei seinen herausfordernden Worten verspürte sie ganz plötzlich eine verblüffende Kraft. Sie sah Dell Kingston geradewegs in die Augen und sagte mit fester, klarer Stimme: „Okay, einverstanden.“

Großspurig grinsend streckte er ihr seine Hand hin. „Dann möge die oder der Beste siegen.“

Sie ergriff seine Hand, und bei der Berührung durchzuckte sie ein elektrisierendes Prickeln. Dell musterte sie von oben bis unten, und ihre so sorgfältig errichtete Fassade geriet bedenklich ins Wanken, als er sie so ansah … nicht spöttisch, nicht herablassend, sondern so, wie ein Mann eine Frau ansah.

Auf eine alberne Herausforderung hin hatte sie eingewilligt, mit diesem Mann vier Tage in der Wildnis zu verbringen.

Und vier Nächte.

Und etwas in seinen dunklen Augen sagte ihr, dass bei all den Gefahren in der rauen Natur Dell Kingston die größte Bedrohung für sie darstellte.

„Ich bleibe dabei, dass du den Verstand verloren hast“, sagte Tori, die verschlafen im Türrahmen ihrer Wohnung stand. „Erst diese Rundumerneuerung, und jetzt ziehst du mit … diesem Mann in die Berge.“

„Das hatten wir schon.“ Gabrielle übergab ihrer Freundin Mc Gee, der in Toris Armen zappelte. „Ich muss es tun, um den EOS-Etat zu bekommen.“

„Ich verstehe nicht, wieso dieser blöde Etat dir so wichtig ist.“

Gabrielle merkte an Toris Ton, dass sie sich im Stich gelassen fühlte, und legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Du hast doch selbst die Ungerechtigkeit bei der Vergabe der Etats bemängelt, Tori. Ich kämpfe nur für das, was ich verdient habe.“

Das besserte Toris Stimmung kein bisschen, im Gegenteil: Sie wurde sogar noch mürrischer. „Ich habe Sendungen über diese Survival-Trips gesehen. Die Veranstalter locken einen mit Beschreibungen von romantischen Lagerfeuern an, und ehe man sich versieht, rennt man um sein Leben, weil man von irgendeinem Kerl mit einer Armbrust verfolgt wird.“

Gabrielle schüttelte den Kopf. „Du siehst zu viel fern, Tori. Mir sind keine romantischen Lagerfeuer versprochen worden. Ich rechne mit dem Schlimmsten, wie etwa Käfer zu essen, von Klippen zu baumeln …“

„… mit Dell Kingston ein Zelt zu teilen …“

Gabrielle blinzelte. „Wie bitte? Wer hat hier den Verstand verloren?“

„Darüber sind sich alle in der Firma einig. Dass Dell den Etat kriegt und dich nebenbei auch noch verführt.“

Langsam wurde Gabrielle wütend. „Sag diesen Klatschmäulern, dass sie sich irren.“

„Sei auf jeden Fall vorsichtig“, mahnte Tori. „Ich weiß, was du für Dell empfindest …“

„Ich nicht …“

„Ich weiß, was du für Dell empfindest, und ich möchte nicht, dass du etwas tust, was du später bereuen wirst.“

Toris Bemerkungen machten Gabrielle noch nervöser, als sie wegen der bevorstehenden Autofahrt mit Dell ohnehin schon war. Sie hatte nie einen eigenen Wagen vermisst, aber jetzt hätte sie gern einen besessen. Schon bei dem Gedanken, stundenlang neben ihm zu sitzen, bekam sie Herzklopfen.

„Glaub mir, Tori, Dell hat nichts anderes im Kopf, als bei dem Wettbewerb mehr Punkte zu machen als ich.“

„Stimmt. Er will punkten, und zwar bei dir.“

Gabrielle rieb sich die Schläfen. Dies konnte sie überhaupt nicht gebrauchen. „Macht es dir auch wirklich nichts aus, Mc Gee zu versorgen?“

Tori wiegte Mc Gee in den Armen. „Wir werden bestimmt prima miteinander klarkommen. Hey, ist dir schon mal aufgefallen, dass Mc Gee und Mr. Noble sich ein wenig ähnlich sehen?“

„Nein. Findest du?“ Gabrielle wandte sich ab. „Ich ruf dich an, falls mein Handy in den Bergen funktioniert.“

„Viel Glück!“, rief Tori. „Besorg mir ein Autogramm von Nick Ocean. Und mach dein Zelt immer gut zu!“

Dell sah zum hundertsten Mal auf seine Uhr und dann wieder zum Eingang der Bahnstation. Hatte er sie verpasst? In Anbetracht ihrer Haarfarbe konnte er sich das nicht vorstellen.

Und in Anbetracht ihrer Neigung zu Missgeschicken lag sie womöglich irgendwo am Fuß einer Treppe oder hing an einem Fahnenmast. Die Frau könnte von Glück reden, wenn sie das Wochenende einigermaßen heil überstand. Dell grinste bei dem Gedanken an das bevorstehende Outdoor-Abenteuer. Dieser Wettstreit war eine geniale Idee von Bruce. Der Mann hatte Gabbys Bewerbung um den Etat nicht kurzerhand ablehnen können, weil dann der Personalrat über ihn hergefallen wäre. Ein Wettbewerb war der ideale Weg, Dell den Etat zukommen zu lassen, ohne dass es nach einer einsamen Chefentscheidung aussah.

Dell war noch immer verblüfft, dass Gabby so schnell eingewilligt hatte mitzumachen. Zwei kleine Worte von ihm, und sie war dabei. Perfekt. So würde sie nach dem Wettbewerb denken, dass sie sich nach Kräften bemüht hatte, und Dell dann bereitwillig assistieren. Außerdem war dieser Trip eine tolle Gelegenheit für sie, mit ihm warm zu werden.

Es gab nur ein einziges Problem …

Ein roter Farbblitz erregte plötzlich Dells Aufmerksamkeit, und richtig, es war Gabby – heute mit einem Pferdeschwanz. Sie trug eine weite Cargohose, ein weißes T-Shirt und einen gigantischen Rucksack, mit dem sie kaum aufrecht stehen konnte. Herrje, sie sah so jung und verletzlich aus, und so … sexy.

Das Problem, das Dell die ganze Woche über beschäftigt hatte, traf ihn jetzt mit voller Wucht, sodass er unruhig auf seinem Sitz hin und her rutschte.

Die kleine Gabby Flannery war immer ein Objekt seiner Neugier gewesen, weil sie so still und reserviert war. Aber in letzter Zeit musste er jedes Mal, wenn er sie sah, gegen einen Ansturm der Begierde ankämpfen. Seit sie diese schmalen Kostüme mit den kurzen Röcken anzog und ihr Haar offen trug, war die Frau ein Problem für ihn.

Wie er in den folgenden vier Tagen seine Hände bei sich behalten und gleichzeitig dafür sorgen sollte, dass Gabby sich nicht den Hals brach, wusste Dell nicht.

Er stieg aus seinem Geländewagen und winkte. Sie lächelte und hob die Hand, aber die Bewegung warf sie aus dem Gleichgewicht, sodass sie rückwärts stolperte und auf ihrem Po landete.

Dell verdrehte die Augen und eilte über die Straße, um ihr zu helfen. „Ist dir was passiert?“

Sie schüttelte den Kopf und fummelte an den Rucksackgurten über ihrer Brust.

„Lass mich das machen“, sagte er und öffnete die Schnallen, wobei er sich zwang, nicht darauf zu achten, dass er ihre vollen Brüste zufällig streifte.

Dies war kein vielversprechender Anfang.

Als er sie befreit hatte, half er ihr hoch und ergriff den Rucksack. „Um Himmels willen, hast du eine Leiche da drin?“

„Nein, ich wollte nur für alles gerüstet sein.“

„Lass mich raten. Fünf Paar High Heels und ein Schminkkoffer?“

Ärgerlich sah sie ihn an. „Nein!“

Er zwinkerte ihr zu und hängte sich ihren Rucksack über die Schulter. „Wir sind spät dran. Höchste Zeit, dass wir losfahren.“

„Sorry. Ich musste meinen Hund noch zu Tori bringen, und die Züge hatten Verspätung.“

„Hast du ein Schoßhündchen?“

Sie lachte, und er freute sich, weil er sie so selten lachen sah. „Mc Gee ist eine Bulldogge, und ich glaube nicht, dass er es freundlich aufnehmen würde, Schoßhündchen genannt zu werden.“

„Origineller Name“, sagte er widerstrebend. Er hatte immer einen Hund gewollt, aber seine vielen Reisen hinderten ihn daran, sich einen anzuschaffen. Jedenfalls war das seine Ausrede.

Er verstaute ihren Rucksack hinten im Wagen neben seinem, der nur halb so groß und schwer war wie ihrer. Aus seiner langjährigen Erfahrung wusste er, was man bei Outdoor-Trips wirklich benötigte. Die meisten Leute packten zu viel ein. „Deine Freundin Tori wirkt ein wenig unfreundlich auf mich.“

„Sie mag dich auch nicht“, konterte Gabby, während sie auf der Beifahrerseite einstieg und die Tür zuknallte.

Stirnrunzelnd setzte er sich auf seinen Sitz. „Ich hab nicht gesagt, dass ich sie nicht mag.“

„Schon gut“, sagte sie kurz angebunden. „Wir sind daran gewöhnt.“

„An was gewöhnt?“

„Wir sind es gewohnt, von den Etatdirektoren ignoriert zu werden.“

Er fing an zu stottern. „Aber … aber wir … ignorieren die Juniormanager doch nicht.“

„Nein? Wie heißt denn der Knabe, der neben mir sitzt?“

„Der Neue?“

„Er arbeitet seit fünf Jahren in der Firma.“

„Ach ja, stimmt.“ Dell versuchte, sich das Gesicht des Mannes zu vergegenwärtigen. „Mike sowieso?“

„Nah dran. Oscar. Oscar White. Netter Typ mit zwei Kindern. Arbeitet etwa siebzig Stunden pro Woche.“

„Oh. Tja also, dann sind wir uns wohl nicht sehr oft über den Weg gelaufen.“

Sehr zu Dells Ärger erwiderte sie darauf nichts. Er startete den Motor und fuhr los. „Dann wohnst du also hier in der Nähe?“

„Nein, ich bin eben von Toris Wohnung gekommen. Ich wohne in Midtown.“

„Wirklich? Ich auch.“

„Ich weiß. Ich hab dich ein paar Mal sonntagmorgens in meinem Lebensmittelgeschäft gesehen.“

„Warum hast du nie hallo gesagt?“

„Weil du immer mit einer Frau zusammen warst. Manchmal mit Courtney, manchmal auch nicht.“

Er wand sich innerlich, und unerklärlicherweise stellte er sich vor, wie Gabby sonntagmorgens in seinem Bett aufwachte und wie sie zusammen zum Laden liefen, um eine Zeitung und etwas fürs Frühstück zu kaufen. Die Fantasie beschäftigte ihn so sehr, dass er fast die Auffahrt zu dem Highway verpasste, der nach Norden zu den Georgia Mountains führte.

„Ich hab dich auch im Fox Theater gesehen“, sagte sie.

„Ach ja? Gehst du oft ins Fox?“

„Ich bin dort ehrenamtliche Platzanweiserin.“

„Wirklich? Ich dachte, das machen nur alte Leute.“

„Alte Leute und ich“, sagte sie munter.

Wie machte sie das bloß? Warf ihn immerzu aus dem Gleichgewicht und gab ihm das Gefühl, ein Snob zu sein. „Ich schätze, das ist eine tolle Möglichkeit, die Vorstellungen umsonst zu sehen.“

Sie nickte und schaute aus dem Fenster. Dell hatte sich nie Gedanken über ihr Gehalt gemacht, aber er erinnerte sich vage, dass er als Juniormanager nur über ein schmales Budget verfügt hatte. Für Theaterkarten war kein Geld da gewesen.

„Wie alt bist du, Gabby?“

Nach langem Schweigen antwortete sie: „Es wäre mir lieber, wenn du mich nicht so nennen würdest.“

Er lachte. „Ich finde es niedlich.“

„Ich möchte nicht niedlich sein“, sagte sie. „Ich möchte ernst genommen werden. Denkst du, ich weiß nicht, was alle sagen?“

„Was sagen sie denn?“

„Dass dieser Wettstreit ein Witz ist – dass ich ein Sportass wie dich niemals schlagen kann.“

Er überlegte sich seine Antwort gut, zumal er das Gerede in der Firma möglicherweise unabsichtlich angefacht hatte. „Bruce sieht das offenbar anders“, sagte er und bekam sofort Gewissensbisse, weil er falsche Hoffnungen in ihr weckte. Natürlich würde sie ihn niemals schlagen können. Die Frau wurde ja nicht mal mit ihrem Rucksack fertig.

Sie verfiel wieder in Schweigen und betrachtete die vorbeiziehende Szenerie.

„Woher stammst du eigentlich?“, fragte Dell nach einer Weile.

„Ich bin in einer Kleinstadt außerhalb von Chattanooga aufgewachsen.“

Sie war also ein Mädchen aus der Kleinstadt – das überraschte ihn nicht. „Klingt nett. Sind deine Eltern noch dort?“

Sie nickte.

Da keine weitere Information zu erwarten war, ergriff Dell wieder das Wort. „Ich bin in Washington aufgewachsen.“

„Ich weiß. Ich hab die Biografien der Seniordirektoren für den Jahresbericht zusammengestellt. Deine Eltern arbeiten für das Außenministerium, und du hast deinen Magister an der Emory-Universität gemacht.“

Was seine Biografie nicht verriet, war, dass seine Eltern bitter enttäuscht waren, weil er nicht Jura oder Politikwissenschaften studiert hatte, sondern Marketing, was in ihren Augen unter seinem geistigen Niveau war. Abgesehen von dieser Wissenslücke wusste Gabby dennoch mehr über ihn als er über sie. Eigentlich hätte ihm das egal sein müssen, denn normalerweise interessierte er sich nicht sonderlich für die Lebensgeschichten der Frauen, mit denen er zu tun hatte. Aber aus irgendeinem Grund wollte er wissen, wie Gabrielle Flannery tickte, warum sie trotz ihrer äußeren Unbeholfenheit so beherzt war.

Nach einer so peinlichen Sache wie dem Sturz mit dem Baum hätten andere Leute sich wochenlang nicht gezeigt. Gabby hingegen marschierte kurz darauf ins Büro des Chefs und bat um einen wichtigen Etat.

„Ich glaube, es sind ungefähr zwei Stunden Fahrt zu den Amicalola-Fällen.“

„Eher drei“, berichtigte sie ihn und zog ein Bündel Papiere aus einer der Taschen in ihrer Cargohose. „Mein Orientierungssinn ist miserabel, aber ich habe die Informationsblätter, die Bruce uns gegeben hat, sehr gründlich gelesen.“

Natürlich. „Dann kannst du mir vielleicht erzählen, was uns erwartet.“

„So detailliert sind die Angaben nicht, nur dass wir einen gut bestückten Rucksack mitbringen und den Wetterbericht studieren sollen.“

Wetterbericht. Dell blickte zum Himmel. Hm, vielleicht hätte er diese Papiere doch lesen sollen.

„Wir werden vor Ort weitere Anweisungen bekommen.“ Sie drehte sich zu ihm. „Kennst du Nick Ocean?“

Oh Mann, er kannte diesen Ausdruck. Hatte ihn in Courtneys Augen gesehen, als sie von dem Filmstar sprach. „Ich hab ihn ein paar Mal auf Messen getroffen.“

„Ich soll Tori ein Autogramm von ihm mitbringen.“

„Pass auf, wenn du in seiner Nähe bist. Ich hab gehört, dass er gern junge Frauen anmacht.“

„Komisch“, erwiderte sie leise, während sie durch die Papiere blätterte. „Dasselbe hab ich über dich gehört.“

Er räusperte sich, und nur das Läuten seines am Armaturenbrett befestigten Handys ersparte es ihm, sich zu verteidigen. Wegen des Verbots, am Steuer zu telefonieren, drückte er die Lautsprechertaste. „Hallo?“

„Hey, Darling, hier ist Courtney.“

Er warf Gabby einen Seitenblick zu. Sie sah nicht so aus, als ob sie zuhörte, aber Dell ärgerte sich, dass er das Headset für das Telefon nicht mitgenommen hatte. „Hi. Das ist ja eine Überraschung.“

„Ich wollte dir nur Glück für dein Wochenende in der Wildnis wünschen – zwinker, zwinker.“ Courtney lachte ausgelassen.

„Äh, danke. Wir sind auf dem Weg dorthin.“

„Wir?“

„Gabby … ich meine, Gabrielle fährt mit mir mit.“

„Oh.“

„Sie hat keinen Wagen.“

„Verstehe“, sagte Courtney mit einem anzüglichen Unterton. „Na, Gabby wird sich in den Bergen sicher wie zu Hause fühlen – mit all den Bäumen.“ Courtney lachte laut über ihren Witz.

Nervös rutschte Dell auf seinem Sitz hin und her. „Courtney, das Telefon ist auf Lautsprecher geschaltet.“

„Oh. Sorry, Gabby“, sagte sie und klang überhaupt nicht zerknirscht.

„Wie läuft es in Manhattan?“, fragte er, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

„Prima! Meine Wohnung ist fantastisch, der Blick aus meinem Büro atemberaubend, und die Männer hier finden meinen Südstaatenakzent exotisch.“

„Das ist ja schön“, sagte er leichthin.

„Tja also, ich muss jetzt los. Ich wünsch euch beiden viel Spaß bei diesem Abenteuer“, sagte sie in ihrem typischen Singsang. „Und tut nichts, was ich nicht tun würde.“

Dell stellte das Handy aus, verärgert über Courtneys unsensible Bemerkungen. „Sorry“, sagte er entschuldigend.

Gabby las einfach weiter, was ihn noch mehr verstimmte. Warum sprach die Frau nicht mit ihm? Sie saß lesend da, umgeben von einem leichten, fruchtigen Duft, der seine Sinne erregte.

Ob die Frau überhaupt eine Ahnung hatte, wie reizvoll sie war? Hatte sie je in den Armen eines Mannes gelegen, der wusste, was er tat?

Dell fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er musste sich in den Griff kriegen. Dieses unerwartete Begehren trübte seinen Verstand.

Er warf einen Blick auf Gabbys hinreißendes Profil und stöhnte innerlich.

Und sie waren noch nicht einmal angekommen.

Gabrielle versuchte vergeblich, sich auf die Papiere zu konzentrieren. Es wäre ihr lieber gewesen, die Unterhaltung zwischen Dell und Courtney nicht mit anzuhören. Und das Allerletzte, was sie brauchte, war Courtneys spöttische Anspielung auf die intime Umgebung, in der sie und Dell sich befanden. Als ob sie sich der Nähe des neben ihr sitzenden Mannes nicht äußerst bewusst wäre.

In seinen Khakishorts und dem hellblauen T-Shirt sah Dell ungeheuer sexy aus. Und er wirkte in der Freizeitkleidung viel lockerer als im Anzug.

Ja, er fühlte sich sichtlich wohl, was Gabrielle von sich nicht behaupten konnte. Der Anblick seiner gebräunten, muskulösen Arme und Beine verursachte ihr Unbehagen. Und sie durfte nicht zulassen, dass ihre kindische Verknalltheit sie von dem Wettstreit ablenkte. Sie benötigte ihre volle Konzentration, wenn sie bei diesem Wettbewerb eine Chance haben wollte. Mit jedem Kilometer, den der Tachometer registrierte, wurde der Stein in ihrem Magen schwerer. Sie knabberte an ihrem Daumennagel. Was hatte sie sich da bloß eingebrockt?

Dell bog von dem Highway auf eine zweispurige Landstraße ab. Mit der sich ändernden Landschaft wurde Gabrielle noch nervöser. Um zur Ruhe zu kommen, zog sie den Artikel hervor, den sie aus der Zeitschrift herausgerissen und als geistige Unterstützung mitgenommen hatte.

Jeder hat brachliegende Begabungen, die man in außerge

wöhnlichen Lebenssituationen nutzen kann.

Obwohl Gabrielle den Text bereits auswendig kannte, las sie diesen Abschnitt nochmals, um sich erneut Mut zu machen. Aber irgendwie konnte sie sich nicht so recht konzentrieren. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber es kam ihr so vor, als ob die Straße steiler und kurvenreicher wurde.

Plötzlich rebellierte ihr Magen, und sie umklammerte den Griff über der Tür.

„Was ist?“, fragte Dell.

„Ich … mir ist … übel. Könntest du … vielleicht … etwas … langsamer fahren?“

„Vielleicht könntest du aufhören zu lesen. Wir sind spät dran, wie du weißt“, gab er zurück.

„Ich … glaube, ich … vertrage … das Autofahren nicht. Ich … fahre nicht oft … in Autos.“

„Ach du liebe Güte.“ Leise vor sich hin fluchend, verlangsamte er die Fahrt und ließ ihr Fenster herunter.

Sie hielt ihren Kopf heraus und atmete tief durch. Wahrscheinlich bot sie Dell einen jämmerlichen Anblick, aber es war noch immer besser, als wenn sie sich vor ihm übergab. Nach ein paar Minuten beruhigte ihr Magen sich ein wenig, aber jetzt spürte sie ein Kratzen im Hals, und ihre Nase begann zu laufen.

Brennnesseln.

Das Abenteuer in der Wildnis hatte ihre Allergien ausgelöst. Das verhieß nichts Gutes für das Wochenende. „Hast du ein Kleenex?“, fragte sie schniefend.

Er bremste. „Musst du dich übergeben?“

„Nein, jedenfalls noch nicht. Meine Allergien setzen mir zu.“

„Sieh im Handschuhfach nach.“

Sie klappte das Fach auf, und eine Kondomschachtel fiel ihr in die Hand. Dann erblickte sie einen schwarzen BH, ein Suspensorium und ein Töpfchen mit dem Etikett „Slippery Sex“. Der Mann besaß eine Liebeshütte auf Rädern.

Er grinste. „Weiter hinten.“

Ihr brannte das Gesicht, als sie das Handschuhfach durchwühlte. Hinter zwei Landkarten fand sie einen Stoß Papierservietten von einem Fastfood-Restaurant, riss eine heraus und nieste hinein. Sie hätte das Fenster schließen müssen, traute sich aber nicht, weil ihr noch immer etwas übel war. „Bitte fahr langsamer“, stöhnte sie flehentlich.

„Ich bin schon unter der zulässigen Mindestgeschwindigkeit. Bei diesem Gekrieche werden wir nie den Berg hochkommen“, moserte er, drosselte aber das Tempo und winkte zwei Fahrzeuge an ihnen vorbei. Als zwei Radfahrer sie am Berg überholten, fuhr Dell sich entnervt mit der Hand durchs Haar. „Vielleicht sollte ich dich zurückbringen.“

„Nein! Ich werde okay sein, sobald ich mich akklimatisiert habe.“

Sein Lachen klang nicht besonders freundlich. „Und wie lange wird das dauern?“

„Das weiß ich … nicht“, stieß sie hervor, weil schon wieder ein Nieser nahte. Sie langte blindlings nach einer der Servietten auf ihrem Schoß und nieste in den schwarzen BH. Danach hielt sie das Ding mit Zeigefinger und Daumen hoch und blickte zu Dell. „Sorry.“

Er schnappte sich den BH und warf ihn aus dem Fenster. Dann starrte er entsetzt zum Armaturenbrett. „Oh nein!“

„Was ist?“

„Das Warnlicht ist an. Wahrscheinlich ist der Motor überhitzt.“ Er fuhr an den Straßenrand und stellte den Motor aus. „Ich kann dies alles hier nicht glauben.“

„Stell die Heizung an“, näselte sie.

„Warum denn das?“

„Es wird die Temperatur des Motors senken.“

Er sah skeptisch aus, tat aber, was sie vorschlug. Dann stieg er aus und hob die Kühlerhaube. Dampf zischte in die Luft. Dell ruderte mit den Armen und suchte nach der Ursache.

„Prüf nach, ob der Wassertank ein Leck hat“, rief Gabrielle aus dem Wagen und trompetete in eine Serviette.

„Auuuuu!“, heulte er.

Seufzend schnappte sie sich das Suspensorium, stieg aus und sah, wie Dell sich die Finger hielt.

„Hast du etwa die Kappe abgenommen? Die ist doch heiß“, bemerkte sie.

„Das wusste ich!“ Fluchend wedelte er mit seinen roten Fingern in der Luft herum. „Ich hab’s nur vergessen.“

„Geh zurück“, befahl sie, wickelte das Suspensorium um ihre Finger und löste die Verschlusskappe. Es kam noch mehr Dampf heraus. Gabrielle befühlte den Zuleitungsschlauch, bis sie ein Loch entdeckte. „Da ist dein Problem – ein defekter Schlauch.“

Ungläubig starrte Dell sie an. „Du kennst dich mit Autos aus?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ein bisschen. Hast du einen Ersatzschlauch?“

Er seufzte. „Nein.“

„Warte hier.“ Gabrielle ging zum Heck des Wagens, nieste drei Mal, wischte sich die Augen und öffnete die Luke. Sie kramte in ihrem Rucksack herum und beförderte eine Rolle Textilklebeband zutage, dann eine Flasche Wasser und ein Erste-Hilfe-Set. Mit diesen Dingen ging sie wieder nach vorn. „Zeig mal deine Hand.“

Er brummelte irgendetwas, streckte dann aber widerstrebend seine verwundete Hand vor. An den Unterseiten seiner Finger reihten sich dicke Blasen aneinander. Gabrielle öffnete die Flasche und goss das kühle Wasser über die malträtierte Haut. Dell zog scharf die Luft ein und atmete dann erleichtert aus.

Gabrielles Atmung ging auch nicht regelmäßig, was sie nicht gänzlich auf ihre Allergien schieben konnte. Das Wasser über seine und ihre Hand laufen zu sehen war erotischer als schlichte Erste Hilfe. Schnell beendete sie diese Behandlung und nahm die Tube mit der Brandsalbe aus dem Verbandskasten. Sie drückte einen Klecks auf ihre Fingerspitze und trug die Salbe vorsichtig auf die Blasen auf. Dann riss sie eine Mullbinde aus der Verpackung, wickelte den Verband zwei Mal um seine Finger und befestigte die Enden mit Heftpflastern.

„So“, sagte sie munter, und als sie aufblickte, sah sie direkt in seine tiefbraunen Augen und las darin Überraschung sowie … Begehren? Gabrielles Herz begann zu hämmern.

Er befeuchtete seine Lippen und beugte sich vor, bis ihre Münder nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Was nun?“, murmelte er. „Es sieht ganz so aus, als seien wir … gestrandet.“

Als sein Atem über ihren Mund strich, wurde sie von Panik erfasst. Er wollte sie doch sicher nicht küssen. Vielleicht hatte sie etwas im Auge oder ein Blatt im Haar … Aber er schien auf ihren Mund zu blicken, und hatte sie es sich nicht genau so ausgemalt? Dass Dell ihr in die Augen schauen und sich in sie verlieben würde? Dass er sie küssen würde und wüsste, dass sie die Richtige war?

Sie vergaß zu atmen, bis sie nach Luft ringen musste. Der körperliche Schock riss sie in die Wirklichkeit zurück. „Gestrandet?“ Sie wandte sich wieder dem Motor zu. „Nicht unbedingt.“

Wieder voll auf ihr Ziel gerichtet, riss sie mit den Zähnen ein dreißig Zentimeter langes Stück von dem robusten Klebeband ab und wickelte es dann fest um den schadhaften Schlauch. Danach ergriff sie die Wasserflasche und sagte: „Geh zurück!“

Er tat es und sah ihr aufmerksam zu. Sie füllte das restliche Wasser in den Kühlwassertank, wartete, bis der Dampf schwächer wurde, und schraubte die Kappe dann lose auf den Stutzen. „Starte das Ding.“

Mit einem zweifelnden Ausdruck im Gesicht stieg er ein und ließ den Motor an. Sie prüfte indessen, ob das Klebeband hielt. Die Kappe ließ sie lose, falls sich wieder Druck aufbaute. Dann schlug sie die Kühlerhaube zu, wischte sich die Hände an ihrer Hose ab und stieg wieder ein. „Fahr langsam zur nächsten Tankstelle!“ Sie nieste kräftig und putzte sich die Nase. Die kurze Zeit im Freien hatte ihrer Allergie nicht sehr gutgetan.

„Vielen Dank“, sagte Dell. „Das war … eindrucksvoll.“

„Du solltest vielleicht dieselbe Mühe in die Ausstattung eines Werkzeugkastens investieren wie in die deiner erotischen Überraschungsbox hier“, riet sie ihm und stopfte die Kondome und das Körperöl ins Handschuhfach zurück. Sie bekam einen heftigen Niesanfall und verfluchte ihre Allergie, die offensichtlich ihren Kopf benebelte. Nicht zu fassen, dass sie bei allem, was auf dem Spiel stand, um ein Haar Dells Sex-Appeal erlegen wäre.

Und noch viel schlimmer war, dass sie mehr über das Innenleben eines Autos wusste als über die Handhabung eines Kondoms.

3. KAPITEL

Dell starrte zu der halben Portion von einer Frau, die zusammengesunken auf dem Beifahrersitz saß, geplagt von Übelkeit und einer fiesen Allergie. Gabrielle hatte sie beide eben gerettet und ihn auf eine Art erregt, wie er es lange nicht mehr erlebt hatte.

Was für Trümpfe sie wohl noch im Ärmel haben mochte?

Er legte den Gang ein und fuhr langsam weiter, wobei er die Motorkontrollleuchte im Auge behielt. Leise Schnarchlaute ertönten, und er blickte zu der schlafenden Gestalt hinüber. Die Allergieattacke muss sie erledigt haben, dachte er, noch immer über Gabbys Aktion verblüfft. Sie war ausgezeichnet vorbereitet, und irgendwie fühlte er sich durch ihre Planung in den Schatten gestellt.

War dies vielleicht ein Vorgeschmack dessen, wie ihr Wettkampf sich abspielen würde?

Dell verwarf seine Bedenken. Eine kleine Reparatur am Straßenrand nach der Anleitung in einer Frauenzeitschrift war eine Sache. Das Überleben in der Wildnis war etwas völlig anderes. Das Schnarchen wurde lauter, und Dell lächelte. Schließlich hatte schon die Fahrt zum Schauplatz des Wettstreits sie total geschafft.

Aber das gab ihm Gelegenheit, Gabby ausgiebig zu betrachten – die feinen Linien ihres Gesichts, ihre grazile Figur und die üppigen Rundungen ihrer Brüste. Wie war es möglich, dass er jahrelang nicht bemerkt hatte, wie attraktiv sie war?

Weil er normalerweise eher auf extrovertierte Schönheiten stand. Weil er wusste, was von Frauen wie Courtney zu erwarten war, nämlich Spaß und ein lockeres Verhältnis ohne Verpflichtungen. Aber eine Frau wie Gabby hatte wahrscheinlich keine Erfahrungen mit Affären und würde Sex mit etwas Verrücktem wie etwa Liebe verwechseln.

Nein, sagte Dell sich, Komplikationen konnte er nicht in seinem Leben gebrauchen – nicht zu einem Zeitpunkt, wo er beruflich an die Spitze kam und jetzt schon zu wenig Freizeit für seinen geliebten Outdoor-Sport hatte.

Er zwang sich, seinen Blick von Gabby abzuwenden und sich wieder auf die Straße zu konzentrieren. Sie durfte seine Gedanken nicht derart beherrschen.

Nach einigen Kilometern fuhr er auf den Hof einer hinterwäldlerischen Tankstelle und begrüßte durch das Fenster einen hageren jungen Burschen, der eine Latzhose mit dem Namensschild „Walt“ über seiner hemdlosen knochigen Brust trug. „Können Sie einen Kühlwasserschlauch auswechseln?“

Der Mann spuckte auf den Sandboden. „Kein Problem. Stellen Sie die Kiste da drüben hin.“

Dell fuhr zu der angegebenen Stelle und runzelte die Stirn, als er Walt durch das Fenster starren sah.

„Hübsches Mädel“, sagte er, als Dell ausstieg. „Ihre Tochter?“

„Nein“, entgegnete Dell scharf. Herrje, sah sie so jung aus und er so alt? „Meine Freundin“, stellte er klar, um den Mann in die Schranken zu weisen.

Walt hob die Kühlerhaube und befühlte den umklebten Schlauch. „Gute Arbeit.“

„Danke“, sagte Dell noch gereizter.

„Hierfür werd ich ein paar Minuten brauchen.“Walt schrieb etwas auf einen Zettel, den er Dell gab. „Sie können inzwischen drinnen bezahlen.“

Dell öffnete die Beifahrertür, um das Fenster einen Spaltbreit herunterzulassen. Dabei fiel sein Blick auf Gabbys herzförmiges Gesicht, das von der Hitze gerötet war. Lange goldfarbene Wimpern betonten ihre hohen Wangenknochen. Aus dem Pferdeschwanz hatten sich kleine Löckchen gelöst, die zart ihr Gesicht umspielten. Gabby sah eher wie ein Teenager aus als wie eine Frau, die er begehren durfte. Aber die Art, wie sie ihn angesehen hatte, als sie sich unter der Kühlerhaube beinah geküsst hätten, bewies, dass sie durch und durch eine Frau war.

Eine Frau, die klug genug war, sich nicht von ihm küssen zu lassen.

Dell verschloss die Wagentüren und ging in den Kassenraum, wo er die Warenregale inspizierte und ein Medikament gegen Allergien entdeckte. Er nahm zwei Packungen, ergriff eine Flasche Wasser und bezahlte die Ware zusammen mit der Reparatur. Als er hinausging, schloss Walt gerade die Kühlerhaube.

„Fertig. Sie können weiterfahren.“

Als Dell von dem holprigen Hof auf die Straße fuhr, wachte Gabby auf. Sie rieb sich die Augen. „Wo sind wir?“

Er erklärte es ihr und zeigte zu seinen Einkäufen auf dem Sitz zwischen ihnen. „Ich hab auf der Tankstelle ein Histamin gegen deine Allergie besorgt“, sagte er und war merkwürdig stolz auf sich.

Sie griff nach der Tüte. „Vielen Dank. Sind wir bald da?“

„Nein, noch lange nicht. Ist auf diesen Papieren eine Telefonnummer, die ich anrufen kann, um zu sagen, dass wir …“

Er brach ab und fluchte in sich hinein. „Schon gut. In dieser Gegend gibt’s keinen Empfang für Mobiltelefone.“

Gabby drückte eine Kapsel aus der Verpackung, warf sie sich in den Mund und spülte sie mit einem Schluck Wasser hinunter. „Werden wir uns sehr verspäten?“

„Um mindestens zwei Stunden.“Was auf Eddie Fosser nicht den besten Eindruck machen würde.

Sie griff sich an den Magen, als Dell in forschem Tempo eine Kurve nahm. „Oh, fahr bitte nicht so schnell!“ Stöhnend ließ sie das Fenster herunter und hielt ihren Kopf heraus.

Dell seufzte frustriert und drosselte das Tempo. Zumindest war die Landschaft spektakulär. Die hügeligen Felder waren mit hohem, üppigem Gras bewachsen und von mächtigen Bäumen gesäumt. In der Ferne ragten die Gipfel der Georgia Mountains auf, was bedeutete, dass hier irgendwo die Zuwege zum Appalachenpfad begannen.

Nach einer ewig langen Fahrt, die sie in Schneckentempo zurückgelegt hatten, zeigte Gabby auf ein Schild. „Das ist der Ort, wo wir hinmüssen – der Clay Stream Trail, neun Kilometer.“

Dell seufzte erleichtert. „Neun Kilometer. Toll.“ Das war höchstens eine Viertelstunde Fahrt, und wahrscheinlich würden sie vor dem Regen ankommen, den die grauen Wolken am Horizont ankündigten.

Plötzlich stotterte der Motor, dann verstummte er. Dell schlug auf das Lenkrad. „Nicht schon wieder!“

Gabby beugte sich herüber. „Dieses Mal liegt es nicht am Kühlwasser“, brachte sie schniefend hervor.

Ihr herablassender Tonfall ärgerte ihn maßlos. „Und warum nicht?“

„Weil die Benzinkontrollleuchte an ist. Wir haben keinen Sprit mehr.“

Dell starrte ungläubig zu dem rot leuchtenden Lämpchen auf dem Armaturenbrett. Er konnte nicht fassen, dass er nicht ans Tanken gedacht hatte. Wo war er bloß mit seinen Gedanken?

Gabbys Gelächter beantwortete seine Frage. Er war mit seinen Gedanken bei Gabrielle Flannery, und zwar seit ihrer Begegnung in Bruces Büro. Ihr entzückter Gesichtsausdruck hätte seinen Tag gerettet, wenn ihre Freude nicht auf seine Kosten gegangen wäre. „Ich finde das gar nicht komisch.“

„Wo bleibt dein Sinn für Humor?“, erwiderte sie grinsend, öffnete die Tür und hüpfte aus dem Wagen. „Wir sollten jetzt besser losgehen, wenn wir zum Camp wollen.“

„Aber bis dort sind es neun Kilometer!“

„Zu der Tankstelle ist es viel weiter. Und falls ein Wagen hier hochkommen sollte, können wir ihn anhalten“, erklärte sie, schloss die Tür und ging zum Heck des Wagens.

Dell stieg aus und knallte seine Tür zu. „Was hast du vor?“

„Ich hol meinen Rucksack.“

Er lachte spöttisch. „Das Ding kannst du nicht neun Kilometer lang schleppen.“

„Wart’s ab.“ Sie zog den Rucksack zum Rand und schob ihre Arme in die Schultergurte.

Er sah, dass sie zu dem Marsch entschlossen war. „Wie wär’s, wenn wir die Rucksäcke tauschen?“

„Kommt nicht infrage!“ Sie schloss die Gurte über ihrem Bauch und richtete sich langsam auf. Dell sah, wie sie wackelte, und stürzte zu ihr, um sie zu stützen.

„Es geht prima“, sagte sie, gewann an Halt und machte ein paar Schritte in Richtung Clay Stream Trail. „Gehen wir.“

Seufzend schnappte Dell sich seinen Rucksack, schloss den Wagen ab und folgte Gabby. Ihre zügigen Schritte beeindruckten ihn, zumal sie aufgrund ihrer verstopften Nase durch den Mund atmen musste. Er sprach nicht, denn eine Unterhaltung hätte Gabbys Tempo nur verlangsamt. Außerdem schien sie im Gegensatz zu den meisten Frauen die Stille zu bevorzugen. Es war erfrischend … und gleichzeitig beunruhigend.

Sie waren ungefähr zwei Kilometer gewandert, als Dell einen tiefen Atemzug machte, um die reine Gebirgsluft in sich aufzunehmen. Sie enthielt einen Hauch von Gabbys fruchtigem Duft, und er bemerkte: „Hm, dies ist gar nicht so schlecht.“

Die Worte waren kaum aus seinem Mund, als ein Regentropfen auf seine Wange fiel. Und ehe er den Tropfen fortwischen konnte, hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet, und es goss in Strömen.

Er erwartete, dass Gabby jetzt hysterisch kreischen würde, aber sie hob ihr Gesicht zum Himmel und streckte ihre Zunge heraus, um einige Regentropfen aufzufangen. Dann griff sie hinter sich und zog eine leichte Regenjacke aus einer Seitentasche ihres Rucksacks. Sie warf sich die Jacke über Kopf und Schultern und marschierte unverdrossen weiter. Dell entschied jedoch, dass es dumm wäre weiterzugehen.

„Komm.“ Er fasste Gabbys Hand und rannte zu einer Baumgruppe am Straßenrand. Sie drängten sich unter dem Blätterdach einer mächtigen Eiche zusammen, und Dell erschauerte, weil er bis auf die Unterwäsche durchnässt war.

Gabby schüttelte ihre Regenjacke. „Hast du was zum Abtrocknen?“

Er öffnete seinen tropfenden Rucksack und inspizierte den Inhalt – Unterwäsche zum Wechseln, ein Paar dicke Socken, eine Badehose, zwei T-Shirts und ein Deo-Stick. Entnervt machte er den Rucksack wieder zu. „Nicht nötig. Ich bin okay.“

Gabby nahm ihren Rucksack ab und lehnte ihn an den Baum. Sie zog ein kleines Handtuch aus einer Außentasche, wischte sich damit die Arme ab und bot es Dell an. Er lehnte stur ab. „Was hast du bloß alles eingepackt?“, fragte er lachend.

„Genug, um ein Wochenende in der Wildnis zu überstehen, so wie es in den Papieren empfohlen wird.“

Allmählich erkannte Dell, dass es ein Fehler gewesen war, die Papiere nicht zu lesen. Fröstelnd hockte er sich neben Gabby, die an den Baumstamm gelehnt dasaß.

„Glaubst du, dass sie jemanden losschicken werden, um uns zu suchen?“

„Ich hoffe, sie tun das nicht. Abgefangen zu werden, bevor ich überhaupt ankomme – was für einen Eindruck würde ich da wohl auf Eddie Fosser machen?“

„Und was ist mit mir?“

Er sagte nichts, sondern rutschte hin und her, um eine bequemere Lage an dem Baum zu finden.

„Es ist dir egal, was für einen Eindruck er von mir hat, stimmt’s?“

„Das hab ich nicht gesagt.“

„Aber gedacht.“

„Ich hab gedacht, dass dies ein Wettkampf sein soll“, antwortete er, nervös wegen dieser frustrierenden Unterhaltung und Gabbys Nähe.

„Es ist ein Wettkampf“, sagte sie und blickte ihn durchdringend an.

Rotgoldene feuchte Löckchen ringelten sich um ihre Stirn, und die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen hoben sich wie hingetupfte Muster von ihrer nassen hellen Haut ab. Ihre langen Wimpern waren von der Nässe dunkel, ihre Lippen voll und sinnlich. Ihre Jugendlichkeit wirkte vor dem Hintergrund eines heftigen Sommerregens noch erotischer.

Heißes Begehren flammte in Dell auf, gefolgt von einem Schauer, der ihm den Rücken hinunterlief.

„Ich kann dir ein Sweatshirt leihen“, bot Gabby an.

„Ich bin okay“, beharrte er.

Aber er war nicht okay. Wie er da in diesem Kokon aus feuchtem Dunst neben ihr saß, überkam ihn der Drang, sie tief und ausgiebig zu küssen. Sie schien seine Absicht zu spüren, denn sie fuhr sich mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe.

Dell deutete das als eine Aufforderung, und bevor er die möglichen Folgen analysieren konnte, beugte er sich vor und senkte seinen Mund auf ihren. Sie erwiderte seinen Kuss mit einer Intensität, die sogar ihn überraschte.

Während sie mit der Zunge seinen Mund erforschte, neigte sie ihren Kopf, um ihm noch näher zu sein.

Doch plötzlich löste sie sich von ihm.

„Hör nicht auf“, flüsterte er frustriert.

„Ich höre einen Wagen.“ Sie schob ihn fort und sprang auf, ergriff Rucksack und Regenjacke und lief durch den strömenden Regen zum Straßenrand. Mit ihrer freien Hand winkte sie dem sich nähernden Pick-up zu. „Hey! Wir brauchen Hilfe!“

Der Wagen hielt, und der Fahrer drehte das Fenster herunter. Zu Dells Verdruss war es Walt, der Mann von der Tankstelle. Er grinste Gabby an, als wäre sie ein Geschenk, das mit dem Regen vom Himmel gefallen war.

Dell schnappte seinen Rucksack und joggte durch den Regen, wobei er hoffte, dass die Dusche wenigstens seine Libido abkühlen würde. Als er neben Gabby stehen blieb, wurde Walts Lächeln schwächer, aber er winkte einladend. „Steigt ein!“

Entschlossen riss Dell die Tür auf und sah auf der Sitzbank einen riesigen weißen Hund liegen.

Autor

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