Tiffany Sexy Band 96

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DIE QUINNS: DEX von HOFFMANN, KATE
"Ich will Sie." Für die junge Produzentin Marlie kommt nur ein Kameramann in Frage: Dex Kennedy. Doch der aufregende Ire lehnt seit einem tödlichen Dreh jedes Angebot ab. Auch ihres. Nun, wenn ihr Film ihn nicht reizt, vielleicht können ihn ihre Küsse überzeugen?

UNGEZOGEN AUSGEZOGEN von HUNTER, SAMANTHA
Bodyguard Ely Berringer hat seine Träume vergessen. Bis zu jener Nacht mit Lydia. Die Tattookünstlerin ist höllisch sexy, unabhängig - und plötzlich verschwunden. Auf einer Ranch findet er sie wieder. Und lüftet in heißen Nächten das Geheimnis hinter ihrer coolen Fassade …

DIE MACHO-THERAPIE von SHARPE, ISABEL
Sein Bein oder sein Ego: Jameson Cartwright weiß nicht, was stärker schmerzt, als ein Sturz seine Karriere ruiniert. Und es kommt noch schlimmer: Seine Schulfeindin Kendra soll ihn therapieren! Doch wieso ist sie so sanft? Nutzt sie ihre Reize etwa, um einen Wehrlosen zu quälen?


  • Erscheinungstag 04.11.2014
  • Bandnummer 96
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752026
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hoffmann, Samantha Hunter, Isabel Sharpe

TIFFANY SEXY BAND 96

KATE HOFFMANN

Die Quinns: Dex

Rote Wangen, funkelnde Augen und ein furchtloses Herz. Marlie ist ein Lichtstrahl in Dex’ dunklem Leben. Nie wieder wollte er nach dem Tod seines Partners eine Kamera anfassen, doch die süße Produzentin hat ihn in Stunden wilder Leidenschaft gewonnen – für ihren Film, für das Leben, für sie. Da bringen die Dreharbeiten etwas Unfassbares ans Licht …

SAMANTHA HUNTER

Ungezogen ausgezogen

„Zu viel Kleidung.“ Lydia zittert vor Verlangen, als Ely wieder vor ihr steht. Keinem hatte sie verraten, dass sie eine Ranch in Montana geerbt hat – am Ort ihrer schrecklichen Schuld. Doch Ely hat sie gefunden und bietet ihren Feinden die Stirn. Aber haben ein Vorzeigetyp wie er und ein Paradiesvogel wie sie eine Chance, oder sucht Ely nur ein Abenteuer?

ISABEL SHARPE

Die Macho-Therapie

Als Therapeutin sollte Kendra ihre Gefühle im Griff haben. Leider laufen die Sitzungen mit Jameson nicht nach Plan. War es vielleicht doch keine so gute Idee, diesen Traummann aus seiner Isolation zu locken? Ihre Nächte im Club und Theater mögen ja noch als Therapie durchgehen – aber was sie mit ihm am Strand anstellt, das ist streng tabu …

PROLOG

„Es sieht wunderschön aus, Sally. Einfach wunderschön.“

Aileen Quinn stand im Foyer ihres irischen Landhauses und ließ den Blick über die stimmungsvolle Dekoration schweifen. Eigentlich war es Anfang November ein wenig verfrüht, alles weihnachtlich herzurichten, aber das war ihr egal.

Die meisten Menschen warteten Mariä Empfängnis am achten Dezember ab, bevor sie mit dem Schmücken begannen, doch Aileen war schon jetzt voller Vorfreude. Dieses Jahr – zum ersten Mal, seit sie denken konnte – würde sie die Feiertage mit fast ihrer ganzen Familie verleben, und die Vorfreude darauf wollte sie ausgiebig genießen.

Sally, die Haushälterin, nickte lächelnd. „Ich hatte schon vergessen, wie viel Freude das Dekorieren macht. Dies wird bestimmt unser schönstes Weihnachten überhaupt.“

„Vielleicht sollten wir oben auch noch einen Baum aufstellen“, meinte Aileen. „Ich habe noch meine Sammlung von deutschen Glasornamenten. Die würde für einen kleinen Baum reichen.“

Früher hatte sie versucht, das Fehlen einer Familie auszugleichen, indem sie das Haus mit Weihnachtsschmuck überfrachtete. Aber echte Stimmung war dabei nie aufgekommen. Wie schön auch alles geschmückt war, es hatte nichts daran geändert, dass sie allein war. Daher hatte sie es in den letzten zwanzig Jahren dann einfach gelassen und die Feiertage so weit wie möglich ignoriert. Sie wäre sonst nur schwermütig geworden.

Es klingelte, und Sally ging zur Tür. „Das ist bestimmt Mr Stephens.“ Sie lugte durch die Scheibe und drehte sich wieder zu Aileen um. „Er hat einen Gast mitgebracht. Eine junge Lady.“

Aileen zog eine Augenbraue hoch und lächelte leicht. „Na, das ist eine Überraschung. Als ich das letzte Mal mit Ian sprach, unterhielten wir uns über sein ziemlich tristes Privatleben. Ich kann nicht glauben, dass sich das so schnell geändert hat.“

Sally zog die Tür auf. Aileen näherte sich auf ihren Stock gestützt, um die Gäste zu begrüßen. Ihr Blick fiel auf eine hübsche junge Frau mit hellgrünen Augen und dunklem Haar, das ihr in weichen Locken auf die Schultern fiel. „Hallo“, sagte Aileen und streckte die Hand aus. „Ich bin Aileen Quinn.“

Die junge Frau lächelte errötend. „Miss Quinn, es ist mir eine große Freude, Sie kennenzulernen. Vielen Dank, dass Sie mich in Ihrem Haus willkommen heißen.“ Sie schaute sich im Foyer um. „Es ist schön hier.“

Dem Akzent nach war sie Amerikanerin. Aileen sah Ian an. „Würden Sie uns bitte vorstellen, Mr Stephens?“

„Oh ja, ja. Entschuldigung. Miss Quinn, das ist Marlena Jenner von Back Bay Productions in Boston. Sie ist die Produzentin, von der ich Ihnen erzählt habe. Die Dame, die eine Dokumentation über Ihr Leben drehen möchte.“

Aileen lachte leise. „Verstehe. Nun, Mr Stephens, ich bewundere Ihre Hartnäckigkeit. Doch wie ich schon sagte, bin ich mir nicht sicher, ob mein Leben interessant genug für einen Film ist.“

„Oh, aber bestimmt“, meinte Marlena. „Sie haben es von einem armen Mädchen zur Millionärin gebracht. Ihre Bücher sind auf der ganzen Weltbeliebt, und ich bin davon überzeugt, dass Ihre Leser gern mehr über Sie erfahren würden. Sie haben in all den Jahren nur wenige Interviews gegeben, Miss Quinn.“ Sie holte kurz Luft, ehe sie fortfuhr: „Außerdem hat Ian mir von Ihrer Suche nach Ihren Brüdern erzählt. Vielleicht könnte ein Dokumentarfilm helfen, auch Conals Spur zu finden.“ Sie wandte sich zu Ian um. „Er heißt doch Conal, nicht wahr?“

Ian nickte, und Marlena setzte schon an, um weiterzusprechen. Doch Aileen kam ihr zuvor. „Miss Jenner, ich …“

„Bitte nennen Sie mich Marlie. Schließlich werden wir die nächsten Monate eng zusammenarbeiten. Zumindest hoffe ich das. Ich bin Ihr größter Fan und habe all Ihre Bücher gelesen. Manche davon sogar drei- oder viermal. Sie haben mir durch eine sehr schwierige Phase meines Lebens geholfen.“

Aileen schaute zwischen Ian und Marlie hin und her. „Nun, da Sie so entschlossen sind, sollten wir uns setzen und uns unterhalten. Sally, würden Sie uns bitte Tee bringen? Wir trinken ihn in der Bibliothek.“

Vielleicht hatte die hübsche junge Frau ja recht. Vielleicht war dies die einzige Möglichkeit, ihren Bruder und seine Nachkommen zu finden. Ein Film über ihr Leben könnte sie bei der Suche nach Conal viel weiter bringen als ihre fast fertiggestellte Autobiografie in Buchform.

Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Mit siebenundneunzig war sie dankbar für jeden neuen Morgen, den sie erlebte. Über Weihnachten plante sie eine große Familienzusammenkunft, für die sie extra ein Schloss gemietet hatte. Doch solange sie nicht wusste, was aus Conal geworden war, fehlte etwas.

Sie hakte sich bei Marlena unter. „Also, erzählen Sie, Miss Jenner. Wie soll das alles ablaufen? Wann fangen wir an?“

„Nächste Woche. Wir beginnen damit, Interviews mit Ihnen zu führen. Zum Abschluss würden wir auch gern Ihre Familie bei der Weihnachtsfeier filmen, falls Sie damit einverstanden sind.“

Die junge Dame schien recht engagiert zu sein. Außerdem war sie ein Fan von ihr, also konnte Aileen damit rechnen, dass das Filmporträt schmeichelhaft ausfallen würde. Sie hatte nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Conal. Er war der Einzige, den sie noch nicht gefunden hatte.

„Wunderbar“, meinte Aileen. „Und wie schnell kann die Dokumentation fertig sein?“

1. KAPITEL

Schweißgebadet wachte er auf. Die Dunkelheit schien ihn wie ein gigantischer schwarzer Strudel zu verschlucken. Dex Kennedy rang nach Luft, setzte sich auf und warf die Bettdecke beiseite.

Wo war er? Wie spät war es? Er holte tief Luft und versuchte, irgendeinen Geruch wahrzunehmen, der ihm einen Hinweis liefern könnte. Er war weder in der Wüste noch im Dschungel. Die Laken dufteten nach Lavendel, und da erinnerte er sich, dass er in Irland war, in der Wohnung seiner Schwester in Killarney. Ihm drohte keine Gefahr. Er befand sich in Sicherheit.

Dex schaltete die Nachttischlampe ein und rieb sich die Augen. Wann hören diese Albträume endlich auf? fragte er sich. Beinahe ein Jahr war inzwischen vergangen. Obwohl er sich körperlich von den beiden Schusswunden erholt hatte, war er gedanklich immer noch auf der Landepiste mitten im Dschungel Kolumbiens.

Er und sein Partner Matt Crenshaw waren dorthin geflogen, um Filmmaterial für eine Dokumentation über die Drogenkriege im Land zu sammeln. Mithilfe einiger Einheimischer hatten sie es geschafft, belastendes Material über eins der mächtigsten Kartelle zu filmen. Sie waren schon fast am Flugzeug und in Sicherheit gewesen, als Handlanger der Drogenbosse aus dem Hinterhalt auf sie geschossen hatten.

Matt war ins Bein getroffen worden, bevor sie in die wartende Maschine einsteigen und fliehen konnten. Seine Oberschenkelarterie war verletzt worden. Er war vor Dex’ Augen verblutet, auf ihrem Flug hoch über dem Dschungel.

Dex atmete rasselnd ein und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Eine kleine Glasflasche mit Schlaftabletten stand ungeöffnet auf dem Nachttisch. Vielleicht sollte er doch ein paar davon nehmen. Die Aussicht, eine Nacht durchzuschlafen, war beinahe unwiderstehlich. Er sehnte sich danach, das Gedankenkarussell endlich stoppen zu können.

Dex schüttete die Pillen in seine hohle Hand und starrte sie an. Er konnte verstehen, dass manch einer einfach alle auf einmal schluckte. Schlafmangel stellte seltsame Dinge mit dem Verstand an und konnte einen zu verzweifelten Mitteln greifen lassen, nur um für ein paar Momente Frieden zu finden.

Leise fluchend warf er die Tabletten an die Wand.

„Dex?“ Gedämpft drang die Stimme seiner Schwester durch die Tür. „Bist du noch wach?“

„Ja!“, rief er.

„Bist du … Bist du okay?“

„Alles ist gut.“ Er schwang die Beine über die Bettkante, stand auf und stieg in seine Hose. Die Blutflecken auf ihr waren immer noch sichtbar, aber während der vergangenen Monate verblasst.

Er hätte die Hose wegwerfen sollen. Sie war eine ständige Erinnerung an das, was geschehen war. Doch Dex wollte erinnert werden. Matt war sein bester Freund gewesen und der Einzige, mit dem er je als Partner hatte zusammenarbeiten wollen. Schmerzhaft verkrampfte sich seine Brust. Er würde niemals vergessen.

Als er aus dem Zimmer kam, stand seine Zwillingsschwester Claire vor der Tür und musterte ihn besorgt. Ihr kurzes dunkles Haar stand ihr wirr vom Kopf ab, und ihr sonst sorgfältig geschminktes Gesicht war frisch gewaschen.

„Du siehst furchtbar aus“, stellte sie fest. „Wirklich, Dex. Wie lange willst du noch so weitermachen, bevor du dir endlich Hilfe suchst?“

„Ich bin in der Apotheke gewesen und habe mir Schlaftabletten gekauft“, entgegnete er auf dem Weg in die Küche.

„Haben sie nicht gewirkt?“

„Ich habe sie nicht genommen.“

Sie warf die Hände in die Luft. „Nun, wahrscheinlich haben sie deshalb nicht gewirkt. Es wird Zeit, dass du wieder ein geregeltes Leben führst und ein paar Nächte schläfst.“

Dex holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ging ins Wohnzimmer, wo er die Fernbedienung des Fernsehers nahm und einen Sportkanal einschaltete.

Claire sank neben ihm aufs Sofa und faltete die Hände im Schoß. Schweigend starrte sie ihn an. Als er sie ansah, bemerkte er Tränen in ihren Augen. „Nicht“, murmelte er. „Ich werde wieder okay. Es wird nur eine Weile dauern.“

„Vielleicht solltest du dir eine Aufgabe suchen“, schlug sie vor. „Untätig hier herumzuhängen tut dir nicht gut.“

„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Ich bin Filmemacher. Das ist alles, was ich je sein wollte, seit ich vierzehn war. Ich weiß nicht, ob ich dazu geeignet bin, Autos zu verkaufen oder in einem Pub zu kellnern.“

„Das meinte ich auch nicht. Ich habe auf dein Handy geguckt. Dein Agent simst dich wegen aller möglichen Projekte an. Außerdem habe ich diverse Anrufe für dich entgegengenommen. Warum redest du nicht einfach mal mit diesen Leuten? Hörst dir an, was sie für dich haben? Es kann nicht schaden.“

Dex trank einen Schluck Bier. Dass Claire sein Handy überprüft hatte, überraschte ihn nicht. Zwischen ihnen hatte es noch nie Geheimnisse gegeben. „Es wäre nicht dasselbe. Ich bin zwar ein guter Kameramann, aber Matt war derjenige, der die Geschichten erzählt hat. Ich kann eine Geschichte nur mit Bildern erzählen, nicht mit Worten.“

Claire nahm einen Zettel vom Tisch und reichte ihn ihm. „Ian Stephens. Er hat dreimal angerufen. Ein netter Mann, mit einem britischen Akzent, der sehr sexy klingt. Hier hast du seine Nummer und die von der Frau, mit der er zusammenarbeitet, Marlena Jenner. Sie ist die Produzentin des Projekts.“

Er starrte auf die beiden Nummern. „Was ist das für ein Projekt? Hast du gefragt?“

„Ein Film über Aileen Quinn.“

„Die Schriftstellerin?“

Sie nickte. „Meine Lieblingsautorin. Irlands Lieblingsautorin.“

„Das ist nicht die Art Arbeit, die ich normalerweise mache.“

„Das ist vielleicht gerade das Gute daran. Niemand würde auf dich schießen.“

„Ich bin noch nicht so weit, wieder zu arbeiten“, erwiderte er.

„Aber du hast es gerade gesagt, Dex. Du bist Filmemacher, wolltest nie etwas anderes sein.“

„Verdammt, ich bin mir nicht mehr sicher, was ich bin“, flüsterte er gequält. „Ich … Ich weiß einfach nicht, was ich will.“ Er schüttelte den Kopf. „Doch, ich weiß genau, was ich will – eine Nacht durchschlafen. Das ist mein größter Wunsch.“

Claire legte den Arm um seine Schultern und blieb neben ihm sitzen. So war es immer zwischen ihnen gewesen. Sie hatten schwere Zeiten durchgemacht, aber sie hatten sich stets gegenseitig gestützt.

Ihre Eltern waren Schauspieler, die in Irlands kleiner Filmbranche ziemlich erfolgreich gewesen waren. Die Familie hatte in London, New York City, Toronto und dann wieder in Dublin gelebt. Doch als ihr Vater eine Rolle in einer amerikanischen Fernsehserie bekam, waren sie nach Kalifornien gezogen. Eine irische Familie unter Filmstars, Palmen und ewigem Sonnenschein.

Für Dex und Claire, die damals schon in die Schule gingen, war die Umstellung schwierig gewesen. Sie fanden nicht leicht Anschluss und verbrachten viel Zeit miteinander. Als die vierte Staffel der Serie gedreht wurde und die Zwillinge auf die Highschool wechseln konnten, beschlossen sie, nach County Kerry zurückzukehren. Dort lebten sie bei der Mutter ihres Vaters, die sie liebevoll Nana Dee nannten.

Dierdre O’Meara Kennedy hatte sie durch ihre Teenagerjahre begleitet, bis sie mit dem Studium begonnen hatten – Dex am Filminstitut der UCLA und Claire am Historischen Seminar des Trinity College in Dublin. Aber das kleine Cottage auf der Halbinsel Iveragh war immer das einzige richtige Zuhause der Geschwister geblieben. Vor drei Jahren war Nana Dee gestorben und hatte ihnen das Häuschen, voll mit Erinnerungen an ihr Leben, hinterlassen.

„Es gibt etwas, das du für mich tun könntest“, sagte Claire.

„Ich werde dir nicht helfen, Klassenarbeiten zu korrigieren“, erwiderte Dex. „Oder das Chaos auf deinem Laptop entwirren. Oder deine Klapperkiste von Auto reparieren.“

„Wir müssen Nanas Haus ausräumen“, erklärte sie. „Ich habe mir überlegt, dass wir es vermieten könnten. Dazu müssten wir allerdings vorher alles durchsehen und entscheiden, was wir behalten möchten und was wir für den Gemeindeflohmarkt spenden könnten.“

„Sie hat über fünfzig Jahre in dem Haus gelebt“, entgegnete er.

„Ich weiß. Aber du hast Zeit, und es wird dich ablenken. Außerdem könnten wir die zusätzlichen Mieteinnahmen wirklich gebrauchen. Mit meinem Hungerlohn als Geschichtslehrerin kann ich deinen Bier- und Whiskeykonsum nicht mehr lange finanzieren.“ Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand und trank einen Schluck. „Versteh mich nicht falsch, ich bin froh, dass du hier bist. Doch du wirst immer blasser und kriegst einen Bauch. Du musst raus. Geh an die Sonne und trainiere.“

Dex lachte leise. „Na schön. Ich mach es. Was wollen wir behalten?“

„Wir lassen die Möbel stehen, damit wir das Haus möbliert vermieten können. Die Kleidung sehe ich durch. Sortier du die Erinnerungsstücke vor, die alten Fotos und Andenken, und lass sie uns später gemeinsam durchgehen.“

Die Idee gefiel ihm. Er musste sich auf etwas anderes konzentrieren als auf seine ungewisse Zukunft. Und wenn er bis zum Umfallen in Nanas Haus arbeitete, würde er vielleicht endlich Schlaf finden – auch das war eine Perspektive.

„In Wahrheit habe ich schon jemanden, der sich das Haus morgen anschauen möchte“, fuhr Claire fort. „Es ist eine Austauschlehrerin, die für ein Halbjahr an unsere Schule kommt. Zeig ihr alles, und sag ihr, dass bis zu ihrem Einzug im Januar alles fertig sein wird.“

„Okay.“

Claire umarmte ihn und drückte ihn fest. „Es wird besser, kleiner Bruder. Das verspreche ich.“

Er lächelte. Obwohl er nur sechs Minuten nach ihr geboren worden war, hatte sie ihn immer ihren kleinen Bruder genannt. „Ja. Ich weiß.“

Doch noch während er die Worte aussprach, zweifelte er an ihnen. Sein Leben, so wie er es einmal gekannt hatte, war vorbei. Jetzt trieb er in einem dunklen Meer von Unentschlossenheit. Die Dinge würden nie mehr dieselben sein. Wie könnten sie es auch?

Marlena Jenner starrte auf die Landkarte und dann auf den Wegweiser vor ihr. Vielleicht sollte sie einfach aufgeben und nach der Richtung fragen. Es dämmerte bereits. Wenn sie im Dunkeln die Karte nicht mehr lesen konnte, würde sie den Weg nie finden. Es kam ihr jetzt schon so vor, als wäre sie seit Stunden im Kreis herumgefahren.

Kopfschüttend warf sie die Karte beiseite. „Lass es einfach“, sagte sie laut. „Irland ist eine Insel. Und ich befinde mich gerade auf einer Halbinsel. Früher oder später werde ich entweder das Haus finden oder am Wasser landen.“

Sie las, was auf dem Wegweiser stand. „Knockaunnaglashy. Wie kommen sie nur auf diese Namen?“ Sie fuhr mit ihrem Fiat die schmale Straße hinunter. Nachdem sie zahlreiche Nachrichten bei Dex Kennedys Agenten hinterlassen hatte und ihr ebenso oft versichert worden war, dass er sich bei ihr melden würde, hätte sie beinahe aufgegeben. Doch nach zwei Wochen hatte sie überraschend einen Anruf von Kennedys Schwester Claire erhalten, die ihr gesagt hatte, wo sie Dex finden würde.

Unter den irischen Dokumentarfilmern war Dex Kennedy der beste. Es hieß, dass er zurzeit keinen Auftrag hatte, weil er noch unter dem Verlust seines Freundes und Partners Matt Crenshaw litt und auf ein geeignetes Projekt wartete. Und Marlie hatte das perfekte Projekt für ihn.

Gut, es war keine riskante, actionreiche Story, wie er sie sonst drehte, aber das bedeutete nicht, dass sie nicht wichtig war. Außerdem hatte Marlie für die Geschichte einen großartigen Aufhänger, der ihn hoffentlich reizen würde.

Dank ihrer Großmutter verfügte sie endlich über die finanziellen Mittel, um eine Dokumentation über ihre Lieblingsautorin Aileen Quinn zu drehen. Aileen hatte eingewilligt, persönlich darin mitzuwirken. In fünf Tagen sollten die Aufnahmen beginnen. Ein Kameramann von Dex Kennedys Kaliber würde das Projekt in der Branche erheblich aufwerten.

Doch zuerst musste sie Dex Kennedy finden. Die Straße schlängelte sich einen langen Hügel hinunter, und plötzlich ergab die Wegbeschreibung einen Sinn. „Biegen Sie an der blauen Hütte mit dem Reetdach rechts ab“, wiederholte Marlie, „und fahren Sie weiter, bis die Büsche über dem Weg zusammenwachsen.“ Eine gefühlte Ewigkeit rumpelte der Wagen über Schlaglöcher, und gerade als Marlie aufgeben und umkehren wollte, sah sie eine Reihe von Sträuchern, die sich über die schmale Straße bogen. „Noch einmal rechts an der Steinmauer neben der alten Abtei.“ Prompt tauchten die Mauer und eine Klosterruine vor ihr auf.

Marlie lächelte. Claire Kennedys Anweisungen stimmten auf den Punkt genau.

Der Ausblick über die sanften Hügel, kreuz und quer durchzogen von Steinmauern und dahinter die See, war atemberaubend. Wie überall in Irland leuchtete das Grün der Wiesen so intensiv, dass es fast in den Augen schmerzte. Vielleicht lag es an der Sonne, die tiefer am Himmel zu stehen schien als anderswo und immer hinter bauschigen weißen Wolken hervorlugte. Marlie fragte sich, ob die Landschaft im Film wohl ebenso beeindruckend wirken würde wie in Natur.

Sie sah das Ortsschild, noch ehe sie die kleine Ansammlung von Häusern und Nebengebäuden entdeckte. Obwohl sie nur eine halbe Autostunde von Killarney entfernt war, kam ihr der Ort wie aus einer anderen Zeit vor.

Es gab keine Hausnummern, aber dank Claires Beschreibung fand sie das Cottage trotzdem. Marlie hielt vor einer wuchernden Ligusterhecke und stieg aus.

Sie atmete tief durch, während sie durch den verwilderten Vorgarten auf das Haus zuging und im Stillen ihre Argumente rekapitulierte. Sie hatte vor, an Dex Kennedys Nationalstolz zu appellieren. Wer wäre besser geeignet, eine Dokumentation über eine große irische Schriftstellerin zu drehen als ein großer irischer Filmemacher? Niemand könnte die Geschichte besser erzählen als er. Für ihn wäre es noch dazu eine angenehme Abwechslung, die ihm ermöglichte, in seinem eigenen Bett zu schlafen.

Sie unterdrückte ein Stöhnen. Spielte das für einen Mann wie ihn überhaupt eine Rolle? Er war in Sierra Leone und Tschetschenien gewesen, in Libyen und Afghanistan. Hatte unter primitivsten Bedingungen gelebt, um an die besten Storys zu kommen. Wohnkomfort war vermutlich das Letzte, das ihn interessierte.

Energisch klopfte sie an die Haustür, die nur ein paar Sekunden später aufschwang. Marlie stockte der Atem. Vor ihr stand ein hochgewachsener Mann, der sie neugierig musterte. Sein offenes Hemd entblößte eine glatte, muskulöse Brust. Sein dickes rabenschwarzes Haar war zerzaust, als wäre er gerade aus dem Bett gekrochen.

„Hi“, brachte sie mit krächzender Stimme hervor. Mehr fiel ihr nicht ein.

„Hallo.“ Er schaute ihr in die Augen und zog leicht die Brauen zusammen. Marlie nahm sich vor, ihr Anliegen so schnell wie möglich vorzutragen – ehe er sie hinauswerfen konnte. Doch sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte an nichts anderes denken als daran, wie unglaublich attraktiv Dex Kennedy in Wirklichkeit war.

Sie hatte zwar Fotos von ihm gesehen, aber sie wurden ihm nicht gerecht, da er auf ihnen meist eine Sonnenbrille trug und eine Baseballmütze, die er sich tief in die Stirn zog. Jetzt hingegen, ohne Mütze und Brille, kamen seine ebenmäßigen Gesichtszüge voll zur Geltung. Er hatte hohe Wangenknochen und eine gerade Nase, ein starkes Kinn und Lippen, die … sehr zum Küssen reizten. Marlie schluckte schwer. Er war eindeutig der Typ Mann, bei dem eine Frau weiche Knie bekam.

Sie suchte nach einem Makel in seinem Gesicht und hätte fast schon aufgegeben, als sie die dunklen Schatten unter seinen Augen bemerkte. Er sah aus, als ob er in der vergangenen Nacht lange unterwegs gewesen wäre. Sie fragte sich, ob Schlafmangel ihn reizbar gemacht haben könnte, und beschloss, vorsichtig vorzugehen.

„Meine Schwester meinte, dass Sie vorher anrufen würden“, sagte er und trat zur Seite. „Kommen Sie herein. Ich bin Dex. Dex Kennedy.“

Oh, dieser Akzent! Wenn sein Aussehen sie nicht schon nervös gemacht hätte, dann hätte allein seine tiefe, volle Stimme es geschafft.

„Und Sie sind?“, fragte er. „Es tut mir leid, ich fürchte, ich habe es vergessen, falls meine Schwester mir Ihren Namen genannt hat.“

„Marlie. Marlie Jenner.“

Nun, dachte sie, das fängt doch eigentlich ganz gut an. Immerhin hatte er ihr nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen. Vielleicht hatte Claire ihr den Weg bereits geebnet.

„Kommen Sie“, forderte er sie erneut auf.

Ihr wurde bewusst, dass sie wie festgenagelt an der Tür stehen geblieben war, und sie trat ein. „Danke.“

„Es ist ein wenig kalt hier drin“, meinte er. „Wir haben die Heizung aus Kostengründen runtergeschaltet. Ich zeige Ihnen zuerst die Küche. Möchten Sie vielleicht einen Tee?“

Marlie folgte ihm. Sie war sich nicht sicher, was es in der Küche so Wichtiges zu sehen gab. Aber wenn es half, ihn für ihr Projekt zu begeistern, würde sie ihm sogar Tee kochen. Zumindest würde ihr das Zeit geben, sich zu sammeln.

„Ich könnte den Tee machen“, bot sie an.

„Nur wenn Sie auch einen wollen.“

„Eigentlich trinke ich lieber Kaffee.“

„Möchten Sie welchen?“

„Nein“, antwortete sie.

Peinliches Schweigen entstand. Marlie musste sich eingestehen, dass er sie ein wenig einschüchterte. Schließlich war Dex Kennedy ein preisgekrönter Dokumentarfilmer. Und noch dazu heiß.

„Was halten Sie davon?“, fragte er schließlich.

„Wovon?“

„Ich weiß, die Ausstattung ist nicht gerade luxuriös. Die Sachen sind alt, doch alles ist voll funktionstüchtig. So etwas wie eine Mikrowelle oder technischen Schnickschnack haben Sie hier nicht. Manche Menschen finden das charmant.“

„Ja. Das ist es auch.“

„Vermutlich möchten Sie jetzt das Schlafzimmer sehen?“ Wieder schaute er ihr in die Augen, aber diesmal ein wenig länger als nötig. Spürte er die gleiche seltsame Anziehungskraft wie sie? Oder bildete sie sich das nur ein?

„Hier entlang“, sagte er und ging vor. Marlie nutzte die Gelegenheit, um seine muskulösen Schultern unter dem ausgeblichenen Baumwollhemd zu bewundern. Ihr Blick wanderte tiefer und blieb an seinem Hintern hängen, ausgerechnet in dem Moment, als Dex plötzlich stehen blieb und sich umdrehte.

Er zog eine Augenbraue hoch, und es zuckte leicht um seine Mundwinkel. „Gehen Sie ruhig hinein. Möchten Sie vielleicht die Matratze ausprobieren?“

Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Trieb er ein Spiel mit ihr, um ihr Selbstbewusstsein zu erschüttern? Oder wollte er testen, wie weit sie gehen würde, um ihr Ziel zu erreichen? Obwohl sie dafür ganz sicher nicht mit ihm ins Bett steigen würde.

„Mr Kennedy, ich glaube nicht …“

„Das Bett ist nicht groß“, meinte er. „Aber ich denke, es ist genug Platz für … was auch immer.“ Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer. „Bitte sehr.“

Zögernd trat sie über die Schwelle. Was zum Teufel ging hier vor? „Mr Kennedy, ich weiß nicht, ob …“

„Sie müssen mich nicht Mr Kennedy nennen“, unterbrach er sie mit sanfter Stimme. „Dex genügt völlig.“

Marlie presste eine Hand an ihre Brust. Ihr Herz klopfte wild. Die ganze Sache war verrückt! Sie kannte diesen Mann nicht einmal, und doch – das wusste sie – würde sie aufs Bett fallen und sich ihm willig hingeben, wenn er ihr nur einen kleinen Schubs geben würde.

„Ah …“

„Dex“, sagte er, als ob sie eine Erinnerung brauchte.

In Wahrheit hatte sie seinen Namen tatsächlich für einen Moment vergessen – wie auch den Grund, aus dem sie hergekommen war. „Dex“, wiederholte sie. Langsam drehte sie sich zu ihm um, entschlossen, sich der Versuchung zu stellen.

„Oh, um es nicht zu vergessen, Claire meinte, dass die Miete sehr moderat ist. Für ein Haus wie dieses.“

„Miete?“

„Sie haben nicht damit gerechnet, Miete zu zahlen?“

„Hat Ihre Schwester Ihnen gesagt, dass ich komme?“

„Ja. Sie hat mir erzählt, dass Sie eine Bleibe brauchen, wenn Sie nächstes Halbjahr an ihrer Schule unterrichten.“

Ah, offensichtlich hielt er sie für jemand anders. Doch vielleicht könnte sie das zu ihrem Vorteil nutzen. Wenn er sie erst etwas besser kannte, wäre er vielleicht eher geneigt, ihren Vorschlag anzunehmen.

„Wie hoch ist die Miete?“

„Hat Claire Ihnen das nicht gesagt?“

Marlie schüttelte den Kopf. „Ich glaube, sie wollte erst sichergehen, dass mir gefällt, was ich sehe.“ Sie schaute ihm direkt in die Augen.

„Und tut es das?“

Sein Blick fiel auf ihre Lippen, und sie hielt den Atem an. Ein Mann starrte nicht ohne Grund auf den Mund einer Frau. Es sei denn, sie hatte etwas zwischen den Zähnen. Oh Gott.

„Ja“, antwortete sie kurz. „Wo ist das Bad?“

Er deutete auf eine Tür neben der Küche. Marlie eilte hinüber und trat ein. Mit einem Blick in den Spiegel prüfte sie ihr Lächeln. Nein, da war nichts. Sie stöhnte innerlich auf. Das hieß, dass er ihren Mund fixiert hatte, weil er …

„Kann ich Ihnen noch etwas zeigen?“ Dex stand plötzlich an der Schwelle.

Hastig wirbelte sie zu ihm herum und lehnte sich ans Waschbecken. Okay, er spielte also tatsächlich mit ihr. Vielleicht wurde es Zeit, dieses Theater zu beenden und ihm zu erklären, warum sie wirklich hier war. Sie holte tief Luft.

„Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“, fragte er. „Oder essen?“

„Ich … Ich hatte spät Lunch“, stammelte sie. Sollte das eine Einladung sein? Oder war er einfach nur hungrig? „Aber ich würde gern noch etwas essen“, fügte sie schnell hinzu.

„Gut. Am Ende der Straße gibt es einen Pub. Das Essen ist gut.“ Er lächelte. „Dann lassen Sie uns gehen.“

Er knöpfte sich das Hemd zu, nahm eine Jacke und hielt Marlie die Tür auf. Sie bot an zu fahren, doch er bestand darauf, dass sie seinen SUV nahmen, einen staubigen BMW. Er half ihr beim Einsteigen und ging um das Auto herum zur Fahrerseite, während sie ihn durch die Windschutzscheibe beobachtete. Es fühlte sich immer noch komisch an, als Beifahrer auf der linken Seite zu sitzen, aber an diesem Tag schien ohnehin alles verdreht zu sein.

Fürs Erste würde sie die Dinge einfach laufen lassen. Was könnte es schaden? Sie wollte Dex unbedingt für dieses Projekt. Und wenn der richtige Augenblick kam, ihm zu sagen, wer sie wirklich war, dann würde sie es tun.

„Bereit?“, fragte er, als er sich hinters Lenkrad setzte.

Marlie nickte. „Ich glaube schon.“

Im Pub war nicht viel los. Dex hielt Marlie die Tür auf und ließ sie vor ihm eintreten. Dabei kämpfte er gegen den Drang an, seine Hand auf ihren Rücken zu legen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit verharrte er innerlich nicht in der Vergangenheit. Nein, die Gegenwart hatte ihn fest im Griff. Seine Gedanken überschlugen sich, und sein Körper reagierte mit erhöhter Herzfrequenz. Marlie war so hübsch, auch wenn sie nicht sein Typ war. Eigentlich stand er auf exotische Schönheiten, Französinnen oder Italienerinnen. Ganz sicher nicht auf den Typ amerikanisches Mädchen von nebenan. Aber er war nicht mehr derselbe. Vielleicht hatten sich auch seine Vorlieben gewandelt.

Sie setzten sich an einen Tisch in der Nähe des Tresens und bestellten ein Guinness. Fasziniert starrte Dex auf ihren Mund, als sie sich den Schaum von den Lippen leckte. In der vergangenen Stunde hatte es einige Momente gegeben, in denen er sich darin verloren hatte, Marlie einfach nur anzuschauen. Sie war wie eine frische Brise, die all die Spinnweben aus seinem Kopf blies und ihm das Gefühl gab, wieder lebendig zu sein. Doch wollte er diese Frau wirklich verführen? Sie war Lehrerin. Claires Kollegin. Aber verdammt, wenn sie willig war, warum sollte er dann noch zögern?

„Meine Schwester sagte mir, dass Sie im nächsten Halbjahr an ihrer Schule unterrichten werden. Welche Fächer geben Sie?“

„Ach … das ist langweilig. Erzählen Sie mir von sich“, entgegnete sie. „Sie sind Filmemacher?“

Er runzelte die Stirn. „Woher wissen Sie das?“

„Ich habe Ihre Filme gesehen.“

Dex lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Dass er auf Fans traf, passierte selten, außer wenn er auf irgendeiner Preisverleihung war.

„Das mit Ihrem Partner tut mir leid“, fügte Marlie hinzu. „Es muss eine schwere Zeit für Sie gewesen sein.“

Bis zu diesem Moment hatte er den Albtraum verdrängt. Nun erkannte er, dass das niemals ganz möglich sein würde. „Das war es“, erwiderte er. „Aber jetzt versuche ich, mich auf andere Dinge zu konzentrieren.“

„Das ist ein guter Vorsatz.“ Sie lächelte ermutigend. „Was haben Sie als Nächstes vor?“

Wenn du wüsstest! dachte er. „Ich bin noch unentschlossen.“

„Ich hätte da vielleicht etwas für Sie“, sagte sie.

Wenn es nichts damit zu tun hatte, ihr die Sachen vom Leib zu reißen und es auf der Stelle mit ihr zu treiben, war er nicht wirklich interessiert. „Ich möchte nicht über die Arbeit reden“, entgegnete er. „Lassen Sie uns darüber sprechen, was Sie jetzt vorhaben. Das nächste Halbjahr fängt erst im neuen Jahr an. Kehren Sie über Weihnachten in die Staaten zurück? Was ist mit Ihrer Familie? Feiern Sie nicht alle zusammen?“

„Das schon. Aber normalerweise arbeite ich und kann mir nicht freinehmen …“

„Sie arbeiten in den Staaten über die Feiertage? Gibt es denn dort keine Schulferien?“

Mit großen Augen schaute sie ihn an. „Ich bin keine Lehrerin.“ Sie räusperte sich. „Und ich habe auch kein Interesse, Ihr Cottage zu mieten, obwohl es ein sehr hübsches Häuschen ist.“

Dex starrte sie an. „Ich verstehe nicht ganz.“

„Mein Name ist Marlena Jenner, und ich arbeite an einem Dokumentarfilm über Aileen Quinn. Ich habe versucht, über Ihren Agenten mit Ihnen in Kontakt zu treten, doch als das nicht funktionierte, beschloss ich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ihre Schwester Claire meinte …“

„Marlena. Richtig. Sie sind nicht die Lehrerin.“ Schnell stand er auf. Sie hatte mit ihm gespielt. Er unterdrückte einen Fluch. Sowohl seinem Agenten als auch seiner Schwester hatte er gesagt, dass er in den kommenden Monaten nicht einmal über Arbeit nachdenken wollte. Er brauchte dringend eine Pause und ärgerte sich, dass seine Schwester ihm diese Frau ins Haus geschickt hatte.

„Ich bin nicht interessiert.“

„Aber Sie haben mich noch nicht angehört.“ Sie erhob sich ebenfalls. „Ich bin sicher, sobald Sie …“

„Sie haben nicht verstanden“, unterbrach er sie wütend. „Ich bin nicht interessiert.“ Kopfschüttelnd ging er zum Tresen und warf das Geld für ihre Drinks auf die polierte Oberfläche.

Was zum Teufel war nur los mit ihm? Normalerweise konnte er sich auf seine Menschenkenntnis verlassen. Er hätte merken müssen, dass Marlie Hintergedanken hatte. Doch kaum hatte er sie gesehen, hatte er nur noch daran denken können, wie er sie ins Bett bekommen könnte. Nicht, dass er nicht immer noch daran dachte. Aber unverbindlicher Sex funktionierte nur, wenn beide dasselbe wollten – pure Befriedigung ihrer Lust. Sie hingegen hatte nur mit ihm gespielt, um ihm ihr Projekt vorstellen zu können.

Er verließ den Pub, dicht gefolgt von Marlie. „Warten Sie“, rief sie. „Geben Sie mir wenigstens die Chance, es Ihnen zu erklären!“

Er riss die Tür auf der Beifahrerseite auf. „Steigen Sie ein. Ich bringe Sie zurück.“

„Nein.“

Dex schnappte nach Luft. Wollte sie es wirklich darauf anlegen? Er konnte sie nicht einfach mitten auf der Straße stehen lassen. Bis zu ihrem Auto waren es zu Fuß fünfzehn Minuten bei Kälte und Wind. Und er war nicht der Typ Mann, der eine Frau im Stich ließ.

Er schlug die Tür zu. „Na gut. Wenn Sie mir Ihr Projekt vorstellen möchten, fangen Sie an. Jetzt gleich.“

Herrje, wie schön sie war! Ihre Haut war gerötet, ihre grünen Augen funkelten. Das gelockte Haar flog ihr ums Gesicht. Er war versucht, sie zu packen und zu küssen.

Nervös zuckte sie mit den Schultern. „Ich habe meinen Laptop im Auto gelassen. Die Präsentation, die ich vorbereitet habe, funktioniert besser mit Bildern.“

Leise lachend hielt er ihr die Tür auf. „Dann lassen Sie uns fahren.“

Widerstrebend stieg sie ein. Als er sich hinters Steuer setzte, drehte sie sich zu ihm um. „Ich wollte Sie nicht in die Irre führen. Ich dachte nur, wenn Sie mich erst besser kennen würden, könnten Sie mir eher vertrauen.“

„Oh, natürlich. Lügen sind immer eine gute Basis für Vertrauen.“

„Können wir nicht einfach noch einmal von vorn anfangen?“ Sie streckte die Hand aus. „Hallo, ich bin Marlena Jenner. Ich bin Produzentin bei Back Bay Productions in Boston und würde mich gern mit Ihnen unterhalten.“ Als er darauf nichts erwiderte, zappelte sie mit den Fingern. „Kommen Sie schon. Sie waren auch nicht ganz unschuldig an der Situation.“

Dex lachte und ergriff ihre Hand. „Tatsächlich? Was habe ich denn getan, um Sie so durcheinanderzubringen?“

Marlie zog ihre Finger zurück und hob trotzig das Kinn. „Sie wollten mich küssen.“

„Das wollte ich nicht.“ Himmel, war er so leicht zu durchschauen? „Wie kommen Sie darauf?“

„Ich habe es einfach gespürt.“

„Ach wirklich? Weil Sie so gut über Männer Bescheid wissen? Irische Männer im Besonderen?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie wissen nichts von mir.“

„Und Sie wissen fast nichts von mir“, konterte er.

„Ich weiß, was Sie wollen.“

„Beweisen Sie es.“

Was dann kam, geschah so schnell, dass Dex es nicht verhindern konnte. Marlie lehnte sich zu ihm herüber, umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und küsste ihn. Zuerst war er völlig überrumpelt, doch dann zog er sie an sich.

Ihre Lippen öffneten sich leicht, und er ließ seine Zunge in die süße Wärme ihres Mundes gleiten. Ihr leises Seufzen wertete er als Ermutigung, und er begann, ihren Rücken zu streicheln. Sein Herz raste und pumpte hastig das Blut durch seine Adern.

Der Kuss endete so plötzlich, wie er begonnen hatte. Marlie wich zurück und sah Dex mit großen Augen an. „Ich … Ich glaube, damit ist der Beweis erbracht.“ Sie rutschte auf ihre Seite zurück und schnallte sich an. „Wir können fahren.“

„Verdammt, Sie wollen mich anscheinend wirklich für Ihr Projekt.“

„Ja. Niemand könnte es so gut wie Sie.“ Sie atmete scharf ein. „Ich meine die Dokumentation“, fügte sie rasch hinzu. „Nicht den Kuss.“ Sie räusperte sich. „Obwohl der auch gut war.“

„Ja, mir ist klar, wie Sie das meinen.“ Sein Herz klopfte immer noch wild. Noch nie hatte ihn ein Kuss so erregt.

„Nur damit Sie es wissen: Das ist normalerweise nicht meine Art. Zurzeit läuft einfach alles anders als geplant.“

„Wird es noch mehr Küsse geben, oder verkehren wir von jetzt an rein geschäftlich miteinander?“

„Könnte ich Sie eher dazu bringen, den Job anzunehmen, wenn ich Sie küsse?“ – „Wahrscheinlich nicht“, antwortete er.

„Dann war es vermutlich das letzte Mal.“

„Gut.“ Er startete den Wagen und fuhr los.

Obwohl Marlena Jenner die perfekte Ablenkung für ihn wäre, würde er sie nicht benutzen, nur um seine Lust zu befriedigen. Er war noch nicht bereit, wieder zu arbeiten, und nichts und niemand – nicht einmal ein paar aufregende Küsse – könnte ihn umstimmen. Sobald sie wieder am Cottage waren, würde er Marlie nach Hause schicken.

2. KAPITEL

Marlie nutzte die Rückfahrt vom Pub, um in Gedanken ihre Präsentation durchzugehen. Sie hatte nur eine Chance, Dex zu überzeugen, deshalb durfte ihr kein Fehler unterlaufen.

Er bog in die Einfahrt neben dem Cottage ein und schaltete den Motor aus.

„Ich hole nur rasch meinen Computer“, sagte sie und fasste an den Türgriff.

Doch Dex legte eine Hand auf ihren Arm und hielt sie zurück. „Warten Sie.“

Ihr Blick fiel auf die Stelle, auf der seine Finger ruhten. Ihre Wangen wurden heiß, und sie musste sich zwingen zu atmen. „Was ist?“

„Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Sosehr mir der Kuss gefallen hat – nichts, was Sie sagen, wird mich überzeugen können, bei Ihrem Projekt mitzumachen. Deshalb brauche ich Ihre Präsentation nicht zu sehen. Aber wenn Sie mit hineinkommen möchten, damit wir uns bei einem Drink ein wenig besser kennenlernen können, wäre ich daran interessiert.“

Sie öffnete den Mund und starrte Dex einen Moment sprachlos an. „Ich … Wie können Sie es wagen …? Nein! Nein, ich bin nicht interessiert, auf einen Drink mit hineinzukommen.“ Sie stieg aus und schlug die Tür hinter sich zu.

Schnell folgte er ihr. „Ich dachte nur, weil Sie mich geküsst haben und es zu genießen schienen, dass …“

Kopfschüttelnd wandte sie sich von ihm ab. In Wahrheit hätte sie seine Einladung liebend gern angenommen, um zu sehen, wohin ein paar Drinks führen würden. Doch das wäre höchst unprofessionell. Außerdem wollte sie ihm nicht die Genugtuung geben.

Sie wirbelte zu ihm herum. „Ihnen entgeht ein wirklich großartiges Projekt. Sie hätten die Chance, etwas Wichtiges für eine wunderbare Schriftstellerin Ihres Landes zu tun. Und glauben Sie nicht, dass ich nicht weiß, dass Sie es auch mit verbundenen Augen und einer Hand auf den Rücken gefesselt tun könnten.“

Dex lächelte. „Das wäre nicht ganz einfach.“

Marlie fluchte leise und marschierte zu ihrem Auto, während sie gegen die Tränen ankämpfte. Sie hatte es vermasselt. Dabei konnte sie nicht einmal sagen, an welcher Stelle sie etwas falsch gemacht hatte. Irgendwo zwischen Pub und Cottage hatte er seine Meinung geändert. Davor war alles so gut gelaufen.

Oder nicht? Vielleicht hatte er nie ernsthaft die Absicht gehabt, sich ihre Präsentation anzuhören. Vielleicht war er nur auf eine schnelle Nummer zwischendurch aus. Sie schloss die Tür zu ihrem Wagen auf und stieg ein. Ich hätte ihn niemals küssen dürfen, dachte sie dabei.

Eigentlich war sie nicht impulsiv, vor allem nicht bei Männern. Dex hatte einfach etwas an sich, das sie völlig irrational handeln ließ.

Sie lenkte den Fiat auf die Straße, an Dex vorbei, und hielt auf die Lichter der Ortschaft zu.

Während sie durch die Dunkelheit fuhr, sammelte sie sich und dachte angestrengt über eine Alternative nach. Doch sie musste sich eingestehen, dass sie alles auf eine Karte gesetzt hatte – auf Dex. Obwohl sie eine Liste von anderen Kameraleuten hatte, die an dem Projekt interessiert sein könnten, hatte sie bislang zu keinem von ihnen Kontakt aufgenommen.

Regentropfen fielen auf die Windschutzscheibe. Marlie hielt am Straßenrand und schaute auf die Landkarte, um den kürzesten Weg zurück nach Killarney zu finden. Aber dann zögerte sie. Wollte sie wirklich so leicht aufgeben?

„Nein“, murmelte sie. Er hatte ihr nicht einmal eine Chance gegeben. Zumindest keine Chance, über ihr Projekt zu reden.

Sie wendete, fuhr zurück zum Cottage und parkte neben der Steinmauer.

Das Haus war dunkel. Marlie fragte sich, ob Dex bereits fort war. Doch sein Wagen stand immer noch in der Einfahrt. Es war früh, noch nicht einmal acht Uhr. War er etwa schon zu Bett gegangen? Wenn sie hier wartete, könnte sie ihn am nächsten Morgen abfangen, wenn er vielleicht besser gelaunt war. Oder sie könnte gleich jetzt an die Tür klopfen und verlangen, dass er sie anhörte.

Sie nahm ihren Laptop und stieg aus. Nichts war ihr je in den Schoß gefallen. Warum sollte es mit Dex Kennedy anders sein? Sie würde diese lächerliche Anziehungskraft verdrängen und ihn davon überzeugen, dass dieser Film das Wichtigste in ihrem Leben war – und in seinem.

An der Tür holte sie tief Luft und klopfte an. Ihr Herz raste. Nach dem zweiten Klopfen wurde ihr klar, dass er nicht vorhatte zu öffnen.

„Ich weiß, dass Sie da sind. Ich werde nicht fortgehen, ehe Sie mich angehört haben.“

Sie presste ein Ohr an die Tür. Aber sie hörte nichts. Vielleicht machte er einen Spaziergang.

Es war kalt und regnerisch. Früher oder später würde er nach Hause kommen. Sie würde im Auto warten, bis sie sah, dass das Licht anging, und dann noch einmal anklopfen.

Sie setzte sich wieder ins Auto und zog fest die Jacke um sich. Bei diesem Wetter konnte er nicht lange fortbleiben. Es sei denn, er war mit einem Freund ausgegangen. Sie stöhnte. Er könnte weg sein, bis die Pubs schlossen.

Ihr Handy klingelte. Sie holte es aus der Tasche und meldete sich. „Ja?“

„Miss Jenner, hier ist Ian Stephens.“

Sie unterdrückte ein Stöhnen. Was würde noch alles schiefgehen? Bei ihrem Glück hatte Aileen es sich inzwischen wahrscheinlich anders überlegt. „Hallo. Wie geht es Ihnen?“

„Danke, gut. Entschuldigen Sie die späte Störung, aber ich wollte Sie fragen, ob wir das erste Interview einen Tag vorverlegen könnten. Miss Quinn hat einen Termin übersehen. Außerdem kann sie es nicht abwarten, endlich anzufangen.“

„In Ordnung“, erwiderte Marlie. „Also fahren wir schon am Freitag statt am Samstag zu ihr.“

„Danke. Einen schönen Abend noch und bis bald.“

Marlie steckte das Handy ein und schloss die Augen. Sie musste es schaffen. Schließlich hatte sie ihren Chefs bei Back Bay Productions schon erzählt, dass sie Dex Kennedy für das Projekt verpflichten würde. Wenn sie jetzt gestehen musste, dass er nicht mit ihr zusammenarbeiten wollte, würden sie das Vertrauen in sie verlieren. Zweifel hatten sie ohnehin schon. Ihr blieb nichts anderes übrig, als Dex zu überzeugen. Egal zu welchem Preis.

Der feuchte Wind kühlte seine Wangen, und Dex schob die Hände tiefer in die Taschen. Er war bis auf die Knochen durchgefroren, aber er spürte die Kälte nicht. Er wollte nur die Taubheit, die sie brachte.

Das Wetter passte zu seiner Stimmung, kalt und düster. Volle zehn Minuten war er im Cottage auf und ab gegangen und hatte seine Entscheidung, Marlie Jenner fortzuschicken, bereut. Als dann die Wände auf ihn zuzukommen schienen, hatte er nach draußen fliehen müssen.

Wenn er lange und schnell genug marschierte, würde er müde werden und vielleicht etwas Schlaf finden. Seine Begegnung mit Marlie hatte jedenfalls nicht zu seiner Entspannung beigetragen. Nach ihrer heftigen Reaktion auf seine Einladung zu einem Drink hatte er seinen Irrtum erkannt. Er hatte geglaubt, dass sie sich ehrlich zu ihm hingezogen fühlte, doch offensichtlich hatte sie nur aus Berechnung mit ihm geflirtet.

Er war schon so lange mit keiner Frau mehr zusammen gewesen, dass er die Signale nicht mehr richtig deuten konnte. Acht Monate lang hatte er nicht die geringste Lust auf weibliche Gesellschaft verspürt. Und nun sehnte er sich plötzlich verzweifelt nach einer weiteren Chance, Marlie zu berühren, sie zu küssen oder auch nur den Duft ihres Haars einzuatmen.

Denn kaum dass ihre Lippen sich berührt hatten, war es ihm so vorgekommen, als ob eine Tür aufgestoßen wurde und die Sonne gleißend hell hereinschien und seine Seele wärmte. Er hatte das Gefühl gehabt, er könnte sein Leben wieder in die Spur bringen, wenn er nur eine kleine Weile in dem Licht stehen bleiben würde.

Was faszinierte ihn so an ihr? Marlie war hübsch, ohne Frage. Er konnte kaum den Blick von ihrem Gesicht abwenden. Aber da war noch etwas. Sie strahlte eine Unschuld aus, eine gewisse Naivität, die den Frauen, mit denen er sonst ausging, fehlte.

Wie leicht wäre es, eine Beziehung mit ihr einzugehen, auch wenn es nicht richtig wäre! Sie war wie eine Droge, nach der er schnell süchtig werden könnte, wohl wissend, dass sie sein Problem nur vorübergehend verschwinden ließ und nicht löste.

Außerdem war da noch die Sache mit dem Berufsethos. Dex hatte nie Privates mit Geschäftlichem vermischt. Es war eine eiserne Regel, die Matt und er für sich aufgestellt hatten – und einer der Gründe für ihren Erfolg. Sie hatten sich bei der Arbeit durch nichts ablenken lassen.

Und wenn das noch nicht reichte, dann hatte Dex einfach nicht das Recht, sie in sein verkorkstes Leben hineinzuziehen, mochte sie auch noch so verführerisch sein. Niemand verdiente das. Es war richtig gewesen, sie fortzuschicken. Er brauchte mehr Zeit, um die Vergangenheit zu bewältigen.

Wie lange wohl noch? fragte er sich. Wann würde die Dunkelheit endlich heller werden? Es gab Tage, an denen er sich kaum aufraffen konnte aufzustehen.

Und doch war all das vergessen gewesen, kaum dass er Marlie gesehen hatte. Vielleicht brauchte er also eine Frau, irgendeine Frau, um sich ein wenig zu zerstreuen. Jede Frau außer Marlie Jenner.

Als er sich dem Cottage näherte, bemerkte er ein Auto direkt neben dem Gartentor. Wer könnte das sein? Claire? In dem Moment trat der Mond hinter den Wolken hervor, und Dex erkannte Marlies Fiat.

„Verdammt.“ Er trat näher und schaute durchs Seitenfenster. Marlie saß zusammengekauert auf dem Fahrersitz, die Augen geschlossen. Als er anklopfte, zuckte sie erschrocken zusammen und starrte ihn an.

„Was machen Sie hier draußen?“, fragte er, nachdem sie die Scheibe heruntergelassen hatte.

„Ich habe auf Sie gewartet.“ Sie rieb sich die Augen und lächelte schwach.

„Ich dachte, dass wir vorhin alles geklärt hätten.“

„Sie haben mir nicht gestattet, Ihnen meine Präsentation vorzuführen“, entgegnete sie scharf. „Ich akzeptiere Ihr Nein nicht, solange Sie sich nicht angehört haben, was ich zu sagen habe.“

Dex stieg auf der Beifahrerseite ein. „Es ist nicht so, dass ich nicht gern mit Ihnen zusammenarbeiten würde“, meinte er. „Ich glaube nur nicht, dass ich im Moment von Nutzen sein würde. Es ist, als hätte ich die Orientierung verloren, ohne zu wissen, ob ich sie je wiederfinde.“

„Sie werden es nicht wissen, wenn Sie es nicht versuchen“, konterte sie.

„Ich weiß aber, dass ich gerade drei Stunden im Regen herumgelaufen bin, um Sie aus meinem Kopf zu bekommen.“

Marlie wich seinem Blick aus. „Vielleicht fühlen Sie sich schuldig, weil Sie mir keine Chance gegeben haben?“

Er lachte leise. „Was ich fühle, hat nichts mit Schuld zu tun.“ Er drehte sich zu ihr um. „Sagen Sie mir, warum Sie so versessen darauf sind, diesen Film zu machen. Reich und berühmt werden Sie mit Dokumentationen nicht, das kann ich Ihnen versichern. Also muss es einen anderen Grund geben. Warum dieser Film? Warum Aileen Quinn?“

Sie zögerte mit der Antwort.

„Erzählen Sie mir nichts, von dem Sie glauben, dass ich es hören will“, warnte er sie. „Sagen Sie mir die Wahrheit.“

Sie nickte. „Als ich jünger war, fühlte ich mich oft … einsam. Ich passte nirgendwo richtig hin – weder in meine Familie noch zu den Kindern in der Schule. Die meiste Zeit fühlte ich mich als Außenseiter. Dann bekam ich eines Tages ein Buch von Aileen Quinn in die Hand. Damals war ich zwölf und ganz aufgeregt, dass mir die Bibliothekarin Lektüre für Erwachsene gegeben hatte. Ich fand mich selbst in der Geschichte wieder. Die Romanheldin stand ganz allein in der Welt da, doch sie ging stark und entschlossen ihren Weg. Da sagte ich mir, dass ich das auch schaffen könnte.“ Sie sah ihn an. „Aileen Quinn hat mein Leben verändert. Ich weiß, dass das theatralisch klingt, aber es ist wahr.“

„Das ist ein guter Grund“, meinte er. „Sie sind mit Leidenschaft bei der Sache.“

„Statt an all die Gründe zu denken, warum Sie nicht an dem Projekt mitarbeiten können, sollten Sie darüber nachdenken, warum Sie es tun sollten.“

„Und was könnten das für Gründe sein?“, fragte er.

„Ich will ehrlich sein. Mit Ihrem Namen wird der Film viel mehr Beachtung finden als nur mit meinem. Die Menschen werden ihn sehen wollen. Wir werden für Aufmerksamkeit bei Filmfestivals und Verleihfirmen sorgen.“

Dex ließ ihre Argumente auf sich wirken. Alles, was sie anführte, stimmte. Sein Name würde ihr viele Türen öffnen. Doch wenn er ihr Angebot annahm, musste es mit derselben Professionalität geschehen, auf die er und Matt bestanden hatten. Er würde einen Weg finden müssen, seine Gedanken – und seine Hände – von Marlie zu lassen.

„Es gibt noch andere Leute in Irland, die den Job übernehmen könnten“, erwiderte er.

„Aber ich will Sie.“

Er sah ihre eigensinnige Kopfhaltung und den entschlossenen Blick und spürte, wie sein Widerstand dahinschmolz. Zumindest sollte er sich ihren Vorschlag anhören. Unter Umständen würde er dann darüber nachdenken, den Film zu machen. Doch falls er sich mehr von der Frau als von dem Projekt gefesselt fühlte, dann würde er sie fortschicken.

Arbeit wäre vielleicht gut für ihn. Aber eine Affäre mit dieser schönen und zugleich verletzlichen Amerikanerin roch nach Problemen. Und davon hatte er in letzter Zeit genug erlebt.

„Verraten Sie mir eins“, bat er. „Wenn ich nicht zurückgekommen wäre, hätten Sie dann hier draußen übernachtet?“

„Vermutlich.“ Marlie zuckte mit den Schultern. „Ich musste es noch einmal versuchen.“ Sie sah ihn an. „Werden Sie mich anhören?“

„Ja“, antwortete Dex. „Ich kann Ihnen allerdings nichts versprechen, außer …“, er hielt kurz inne, „… außer dass ich Sie nicht wieder küssen werde. Im Fall einer Zusammenarbeit muss unsere Beziehung rein geschäftlich bleiben.“

„Selbstverständlich. Keine Küsse. Oder Berührungen. Weil die zu Küssen führen würden. Alles rein geschäftlich.“

„Gut. Warum nehmen Sie nicht Ihren Computer und kommen mit rein?“

„Jetzt? Sie möchten nicht bis morgen früh warten?“

„Nein. Ich bin nicht müde. Wir können es gleich jetzt erledigen.“

Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Einverstanden. Danke. Sie werden nicht enttäuscht sein. Sie werden Ja sagen. Ich weiß es.“

Als Dex ausstieg, wurde ihm klar, dass ihre Vorhersage vermutlich stimmte. Es würde ihm schwerfallen, einer Frau etwas abzuschlagen, die so schön und leidenschaftlich wie Marlie Jenner war. Unwillkürlich fragte er sich, wie er sie daran hindern sollte, falls sie beschloss, ihn wieder zu küssen.

Sie folgte ihm mit ihrem Laptop ins Haus. Dex half ihr aus der Jacke, wobei seine Finger ihre Schultern streiften und sich für einen Moment in ihrem Haar verfingen. Verlangen durchzuckte ihn, das er mühsam unterdrückte.

„Ich werde uns einen Drink holen“, sagte er. „Was darf ich Ihnen bringen?“

„Was haben Sie da? Etwas zum Aufwärmen wäre nicht schlecht.“

„Whiskey“, murmelte er. „Wir brauchen einen Whiskey. Nehmen Sie doch schon auf dem Sofa Platz.“

Er ging in die Küche, nahm die Whiskeyflasche aus dem Schrank über der Spüle und trank einen großen Schluck. Reiß dich zusammen. Sie ist nur eine Frau. Nur eine hübsche Frau.

„Also was meinen Sie?“ Marlie nahm ihr Glas und nippte daran. „Bitte sagen Sie mir, dass Sie es wenigstens interessant finden. Es ist eine wunderbare Geschichte, und Aileen ist eine unglaublich tolle Frau. Sie werden Sie lieben und …“

Dex legte einen Finger an ihre Lippen, und Marlie verstummte. Sie hatte ihr Projekt präsentiert. Jetzt wollte sie seine Meinung hören. „Haben Sie irgendwelche Fragen? Oder vielleicht Anmerkungen?“

Er lachte leise. „Ich habe viele Fragen. Doch ich weiß nicht, ob ich sie stellen sollte.“

„Bitte, tun Sie es. Fordern Sie mich heraus. Streiten Sie mit mir. Ich will genau wissen, was Sie denken.“

„Sie haben keine Ahnung, wie schön Sie sind, nicht wahr?“ Dex schüttelte den Kopf. „Das ist genau das, was ich gerade denke.“

„Das meinte ich nicht.“

„Ich weiß. Aber es musste gesagt werden.“ Er drehte den Laptop zu sich herum und starrte auf ein altes Foto von Aileen Quinn.

Marlie beobachtete ihn im flackernden Licht des Kaminfeuers. Sie verspürte Lust, ihn zu berühren und sich wieder in wilder Leidenschaft zu verlieren wie vorhin, als sie sich geküsst hatten.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie nach diesem Kuss eine rein berufliche Beziehung haben könnten, und war sich nicht einmal sicher, ob sie das überhaupt wollte. Es war eine ganze Weile her, dass es einen Mann in ihrem Leben gegeben hatte. Und sie war noch nie mit jemandem zusammen gewesen, der so erfolgreich – und sexy – wie Dex war.

Doch wenn er darauf bestand, würde sie Distanz wahren.

„Miss Quinn ist ein interessantes Thema“, räumte er ein. „Aber ich sehe einfach keinen Aufhänger. So wäre es nur eine Verfilmung ihrer Biografie.“

Marlie hatte den interessantesten Aspekt der Story als Trumpfkarte zurückgehalten. „Aileen Quinn hatte vier ältere Brüder. Kurz nach ihrer Geburt wurden sie von ihrer Mutter weggeben. Aileen hat erst letztes Jahr von diesen Brüdern erfahren und seitdem alles darangesetzt, die Nachkommen ihrer Brüder aufzuspüren. Zu Weihnachten werden sich alle hier in Irland zu einer großen Familienzusammenkunft treffen, und wir werden dabei sein. Einen der Brüder hat sie noch nicht gefunden, daher wird die Suche nach ihm Teil des Films sein. Vielleicht finden wir ihn ja gemeinsam.“

„Das ist allerdings spannend“, stimmte Dex zu.

„Jeder der direkten Nachkommen erhält eine Million Euro von Aileen“, fuhr Marlie fort. „Es ist wie ein Lottogewinn. Lebensverändernd. Da gibt es noch viele wunderbare Geschichten zu erzählen.“

Er klappte den Laptop zu. „Ich habe eine große Sorge, und die betrifft Ihre offensichtliche Bewunderung für Aileen Quinn.“

„Ich bewundere sie wirklich.“

„Sie müssen eine angemessene Distanz zu ihr wahren, damit Sie sie objektiv sehen können, mit all ihren Fehlern. Ich werde nicht mitmachen, wenn Sie nur ein nettes Porträt drehen wollen. Unter Umständen werden Sie einige harte Entscheidungen treffen müssen, und ich muss wissen, ob Sie dazu in der Lage sind.“

Unbehaglich ließ sie die Schultern kreisen. „Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.“

„Niemand ist perfekt, Marlie. Wenn Sie Aileen Quinns Geschichte erzählen wollen, dürfen Sie die unangenehmen Dinge nicht weglassen.“

„Da gibt es nichts Unangenehmes“, erwiderte sie. „Ich habe das vorläufige Manuskript ihrer Autobiografie gelesen. Sie hat ein vorbildliches Leben geführt.“

„Jeder hat Leichen im Keller“, entgegnete Dex. „Unser Job ist es, sie zu finden.“

„Nein“, sagte sie. „Ich werde keine schmutzige Enthüllungsstory daraus machen.“

„Das will ich auch nicht. Ich rede nur von der Wahrheit. Von dem, was sie zu dem Menschen gemacht hat, der sie jetzt ist. Das ist die Geschichte, die wir erzählen. Die ganze Geschichte. Können Sie das?“

Sie nahm ihren Laptop. „Selbstverständlich.“ Sie konnte es versprechen, weil sie wusste, dass Aileens Leben frei von Skandalen war. Dex würde das auch noch feststellen.

„Okay“, meinte er und stand auf. „Ich weiß nun alles, was ich wissen wollte. Kann ich etwas Bedenkzeit haben?“

„Natürlich. Aber nicht lange. Wir fangen laut Drehplan am Freitag an.“

„Freitag?“

Marlie nickte. „Ich weiß, es ist kurzfristig, doch ich konnte ja nicht ahnen, dass es so lange dauern würde, Sie zu finden.“ Sie schaute auf die Uhr und erschrak. Es war fast ein Uhr nachts. Beim Aufstehen schwankte sie ein wenig. Der Whiskey war ihr zu Kopf gestiegen. „Ich sollte jetzt gehen. Die Fahrt nach Killarney ist lang.“

„Sie können nicht mehr fahren. Sie haben zu viel getrunken.“

Sie strich sich übers Haar. „Sie haben recht. Vielleicht sollte ich ein Taxi rufen?“

Dex zog sie an der Hand wieder herunter aufs Sofa. „Ich glaube, es ist besser, wenn Sie heute Nacht hierbleiben.“

„Nein. Ich habe nichts dabei, und … und wir würden mit dem Feuer spielen.“ Sie schaute auf ihrer beiden Finger, die jetzt so fest miteinander verschränkt waren, dass sie seine Hand nicht von ihrer unterscheiden konnte.

„Es wird okay sein. Sie können ein Schlafzimmer haben, und ich nehme ein anderes.“ Er ließ ihre Hand los. „Wenn wir zusammenarbeiten, werden wir uns daran gewöhnen müssen, Zeit miteinander zu verbringen.“

„Sie werden es also tun?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Mir fällt kein guter Grund ein, warum ich es ablehnen sollte. Dafür fällt mir ein sehr guter Grund ein, warum ich es tun sollte.“

„Welcher ist es? Bitte sagen Sie nicht, weil Sie mich gern küssen.“

„Nein, sondern weil ich glaube, dass wir einen verdammt guten Film machen könnten.“

Trotzdem fragte sich Marlie, ob sein Sinneswandel nicht doch mehr mit dem Kuss als mit ihrer Präsentation zu tun hatte. „Ja, der Film wird großartig“, stimmte sie ihm zu. „Also kann ich meine Leute anrufen und sie bitten, einen Vertrag mit Ihrem Agenten auszuhandeln?“

„Einverstanden. Morgen früh fangen wir an.“

„Ich habe einen Produktionsplan aufgestellt. Da das erste Interview mit Aileen schon für Freitag vorgesehen ist, habe ich noch viel zu tun. Außerdem bin ich der Meinung, Sie sollten sich vorher noch mit Aileen treffen, um sie kennenzulernen. Sie werden sie lieben.“

„Nein, das werde ich nicht. Und Sie sollten es auch nicht tun“, entgegnete er warnend.

Sie ging über die Bemerkung hinweg. Es war lächerlich, dass sie Aileen nicht bewundern durfte. „Und Ian Stephens, ihren Assistenten. Er versorgt mich mit Hintergrundinformationen. Außerdem habe ich mir bereits einige Studios angesehen, die wir vorübergehend mieten könnten.“

„Ich habe ein eigenes kleines Studio in Dublin, das wir nutzen können.“

Marlie konnte kaum glauben, wie sich auf einmal alles zum Guten wandte. Nachmittags hatte sie noch befürchtet, dass es mit dem Film – und ihrer Karriere – aus sein könnte. Doch morgen schon würde sie mit ihrem ersten eigenen Projekt beginnen. Sie konnte es kaum abwarten.

„Gut.“ Sie unterdrückte ein Gähnen. „Ich sollte mich lieber hinlegen. Der Whiskey hat mich müde gemacht.“

Dex stand auf und führte sie zu einem der Schlafzimmer. „Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie einfach Bescheid.“

„Haben Sie etwas, worin ich schlafen kann?“, fragte sie.

„Warten Sie hier.“ Er verschwand in ein anderes Zimmer und kehrte mit einem ausgeblichenen Rugby-Trikot zurück. „Wie ist es damit?“

„Wunderbar.“ Marlie kämpfte dagegen an, ihn zu umarmen und wieder zu küssen. Nur um ihre Dankbarkeit auszudrücken. Ein Handschlag würde nicht genügen. Schließlich stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns morgen, Dex.“

„Gute Nacht, Marlie.“

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschossen, lehnte sie sich dagegen und atmete tief ein. Es war sonderbar, die Nacht unter einem Dach mit einem Mann zu verbringen, den sie kaum kannte.

Sie setzte sich auf das alte Eisenbett. Nachdem sie Dex mit ins Boot geholt hatte, hätte der Druck eigentlich weniger werden müssen. Stattdessen war es schlimmer geworden. Sollten sie als Kollegen nicht miteinander harmonieren, würden die nächsten zwei Monate sehr schwierig werden.

Dex war eine starke Persönlichkeit, und sie hatte noch keine Erfahrung als Produzentin und viel zu verlieren. Aber wenn die Dokumentation ein Erfolg würde, könnte sie endlich die Anerkennung ihrer Familie gewinnen.

Es war nicht leicht, eine Jenner zu sein. Ihre Eltern waren beide Chirurgen am besten Krankenhaus in Boston, an dem ihr Vater gleichzeitig Chefarzt war. Ihre vier älteren Geschwister, zwei Schwestern und zwei Brüder, hatten sich nach der Ausbildung an renommierten Universitäten ebenfalls für eine medizinische Laufbahn entschieden. Boston Magazine hatte die Jenners sogar porträtiert und sie „Bostons erste Familie in Sachen Medizin“ genannt.

Marlie seufzte. Sie war schon immer das „schwarze Schaf“ der Familie genannt worden, weil sie anders als die anderen war. Sie liebte die Kunst – Bücher, Filme und Musik. Als Kind hatte sie Klavier gespielt und Ballettunterricht genommen, doch mit ihrer Begabung dafür hatte sie keinen Eindruck machen können. Sie hatte weder eine Klasse übersprungen, noch die Aufnahmeprüfung fürs College mit Bravour bestanden. In den Augen ihrer Familie war sie eine Versagerin.

„Aber das bin ich nicht“, murmelte sie, während sie sich auszog. Sie hatte es geschafft, Dex Kennedy zu engagieren, einen der besten Dokumentarfilmer der Welt. Mit ihm zusammen würde sie etwas schaffen, auf das jeder in ihrer Familie stolz sein würde.

Sie legte sich ins Bett und versuchte, sich zu entspannen. Eine Zeit lang hörte sie Dex nebenan umhergehen, dann, nach ungefähr einer halben Stunde, wurde es still. Sie versuchte, ihn sich ohne Hemd und Hose vorzustellen. Vielleicht sogar nackt. Lag er auch wach und dachte an den Kuss?

Wenn sie mutig wäre, würde sie zu ihm unter die Bettdecke schlüpfen und ihrem Verlangen nachgeben. Aber mehr als diesen einen spontanen Kuss durfte es nicht geben. Morgen würden sie noch einmal von vorn anfangen, nur diesmal als Geschäftspartner. Sie würde die Anziehung, die er auf sie ausübte, vergessen oder zumindest ignorieren.

Allmählich entspannte sie sich und döste ein. Bis ein Schrei sie aufschreckte. Sie setzte sich verwirrt auf, rieb sich die Augen und lauschte. Dann hörte sie Dex’ Stimme.

War noch jemand im Haus? Mit wem redete er?

Sie stand auf und öffnete die Tür einen Spaltbreit.

„Dex?“, rief sie leise. Sie ging ins Wohnzimmer, wo immer noch Licht brannte. Er lag auf dem Sofa, die Augen geschlossen.

Es dauerte nur einen Moment, bis sie begriff, dass er einen Albtraum hatte. Verzweifelt murmelte er etwas in einer fremden Sprache, die sich nach Spanisch anhörte. Dann schlug er um sich und stieß einen leisen Fluch aus.

Marlie war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Sie trat auf Zehenspitzen näher und beobachtete ihn. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Wut und Schmerz wider. Der Albtraum ließ ihn immer noch nicht los, deshalb beugte sie sich zu ihm und berührte seine Schulter. „Dex?“

Er zuckte zusammen und holte wieder mit einem Arm aus, wobei er sie am Auge traf. Erschrocken schrie sie auf. Sie presste die Fingerspitzen an ihre Braue und merkte, dass sie blutete.

„Um Gottes willen!“ Ungläubig starrte Dex sie an. „Habe ich Sie geschlagen?“

„Nein, nein. Es war ein Versehen. Sie hatten einen Albtraum, und ich habe versucht, Sie zu wecken und …“

„Ich habe Sie geschlagen.“ Fluchend stand er auf. „Lassen Sie sehen.“

„Es ist nichts. Nur eine Schramme. Es ist meine Schuld.“

„Kommen Sie mit.“ Sanft nahm er sie bei der Hand und zog sie ins Badezimmer, wo er ihr Auge im hellen Licht untersuchte. „Es ist nur ein kleiner Kratzer.“ Er holte eine Handvoll Eis aus der Küche, wickelte es in einen feuchten Waschlappen und drückte ihn an ihre Braue.

„Es tut mir so leid“, sagte er kopfschüttelnd. „Jetzt sehen Sie, weshalb ich mich von anderen Menschen fernhalten sollte.“

„Es war nur ein Albtraum“, erwiderte sie. „Keine große Sache, wirklich nicht.“

Er zwang sich zu einem Lächeln, dann drehte er sich um und ließ sie allein im Bad zurück.

Marlie starrte ihr Spiegelbild an und begriff, dass die Wunden, die Dex erlitten hatte, noch lange nicht verheilt waren. Sie hatte ihre ganze Karriere auf das glänzende Paket Dex Kennedy gesetzt – nur um zu entdecken, dass es innen zerbrochen war.

3. KAPITEL

Seine Hand zitterte, während er in einer Schublade nach Pflaster suchte. Genau deshalb sollte ich keine Frau in mein Bett lassen, dachte Dex. Er konnte die Albträume nicht verhindern. So etwas wie eben könnte jederzeit wieder passieren. Vielleicht sogar mit schlimmeren Folgen.

„Es hat aufgehört zu bluten“, sagte Marlie. Sie stand in der Badezimmertür und nahm den Waschlappen von ihrer Stirn. „Sehen Sie?“

Dex nickte. „Es tut mir leid. Ich … Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Ist in Ordnung. Wirklich. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.“

Noch nie zuvor hatte er eine Frau körperlich verletzt. Der Gedanke, dass er Marlie wehgetan hatte, erfüllte ihn mit Abscheu auf sich selbst. „Ich muss einen Spaziergang machen.“

„Nein“, erwiderte sie. „Sie bleiben hier.“ Sie nahm auf dem Sofa Platz und klopfte auffordernd auf das Polster neben sich, bis er sich zu ihr setzte. „Was haben Sie geträumt?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete er. „Ich kann mich nach dem Aufwachen nie richtig erinnern.“

„Glauben Sie, dass es etwas mit dem zu tun hat, was in Kolumbien passiert ist?“

„Ich hätte Ihnen nicht davon erzählen sollen.“

„Das brauchten Sie nicht. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht“, erklärte sie. „Ich hatte gehört, dass Sie deshalb nicht mehr arbeiten wollten.“

„Aber Sie haben es offenbar nicht geglaubt.“

„Ich hatte nichts zu verlieren und alles zu gewinnen“, entgegnete sie. „Ich fand, dass es das Risiko wert war.“

„Eins aufs Auge zu bekommen?“

Marlie drückte seine Hand. „Finden Sie nicht, dass diese Darstellung ein wenig übertrieben ist?“

Dex zuckte mit den Schultern. „Ich bin Ire. Wir neigen dazu, unsere Geschichten zu dramatisieren.“

Sie lächelte. „Wenn das so ist.“

Sie schwiegen für eine ganze Weile, doch er empfand es nicht als unangenehm, sondern eher als beruhigend. Vielleicht wurde es Zeit, wieder ein normales Leben zu führen oder es wenigstens zu versuchen.

„Mir ist nicht nach schlafen zumute“, sagte er.

„Mir auch nicht.“

„Wir könnten Ihren Produktionsplan durchgehen. Außerdem haben wir noch nicht über das Budget geredet.“

„Einverstanden. Dann lassen Sie uns arbeiten.“

Während sie das Projekt Aileen Quinn in allen Einzelheiten durchsprachen, fand Dex immer mehr Gefallen daran. Außerdem wollte er mehr Zeit mit Marlie verbringen, um zu sehen, wohin all dies führen könnte. Vor allem jedoch wollte er sein Trauma überwinden. Und in ihrer Nähe – während er neben ihr saß, sie berührte, ihrer Stimme lauschte – fühlte er sich so wohl wie schon lange nicht mehr.

„Darf ich Sie etwas fragen?“

„Klar“, sagte sie.

„Haben Sie schon mehr Projekte dieser Art verwirklicht? Was haben Sie sonst noch produziert?“

Sie zögerte, dann lächelte sie verkrampft. „Dies und das. Viele Dinge.“

„Zum Beispiel? Sie scheinen alles über mich zu wissen. Nun möchte ich wissen, wie Sie ticken. Ich würde mir gern ein paar Ihrer Filme anschauen.“ Er spürte, wie unangenehm ihr seine Bitte war, und begann zu zweifeln. War Marlie wirklich, was sie vorgab zu sein? „Gibt es überhaupt ein Filmprojekt?“

Sie schnappte nach Luft. „Natürlich. Warum fragen Sie das?“

„Ich hatte gerade den Verdacht, dass Sie nicht ganz ehrlich zu mir sind.“

Sie sprang auf und stellte sich vor ihn. „Okay, okay. Dies ist mein erster Film als Produzentin. Vorher war ich Produktionsassistentin. Dann hatte ich die Idee zu dieser Dokumentation, fand jemanden, der sie finanziert, und jetzt bin ich hier.“

„Warum sollte jemand einen Anfänger wie Sie finanziell unterstützen?“

„Nun, ehrlich gesagt habe ich das Geld von meiner Großmutter bekommen. Sie ist ziemlich reich.“ Sie räusperte sich. „Okay, richtig reich. Sie will mir eine Chance geben, weil auch sie an das Projekt glaubt. Ich schäme mich nicht, dass ich ihr Geld nehmen muss, um es zu verwirklichen. Jeder muss irgendwo anfangen, und ich fange hier und jetzt an.“ Unbehaglich schaute sie ihn an. „Sie können nicht mehr aussteigen. Wir haben einen mündlichen Vertrag.“

„Ich hätte Nein sagen sollen“, murmelte er.

Sie runzelte die Stirn. „Aber Sie haben es nicht getan.“

Sollte er ehrlich sein? Er hatte zugestimmt, weil sie hübsch und witzig war und ihm ein gutes Gefühl gab. Sie roch angenehm, ihr Haar fühlte sich wie Seide an, und er konnte nicht aufhören, daran zu denken, sie zu küssen. Das waren nur ein paar der Gründe, weshalb er Ja gesagt hatte.

„Sie wollten die Wahrheit von mir hören“, fuhr Marlie fort. „Jetzt müssen Sie ehrlich zu mir sein. Warum haben Sie Ja gesagt?“

„Ihre Ideen haben mich fasziniert. Sie sind gut. Außerdem wird es Zeit, dass ich wieder arbeite.“

„Es hat nichts damit zu tun, dass ich Sie geküsst habe?“

„Nun … vielleicht ein bisschen.“

„Das darf nicht wieder passieren. Unsere Beziehung muss rein beruflich sein.“

„Selbstverständlich“, erwiderte Dex. „Ich bin vollkommen Ihrer Meinung.“ Er zog sie wieder neben sich aufs Sofa.

Lange sahen sie einander in die Augen. „Sie denken daran, mich wieder zu küssen, nicht wahr?“ Sie seufzte weich. „Das könnte ein Problem werden. Vielleicht sollten wir es noch einmal tun, um die Sache endgültig abzuhaken.“

Er nickte. „Das wäre eine Möglichkeit.“

Sie holte tief Luft und lächelte verkrampft. „Also tun Sie es einfach, damit wir es hinter uns bringen.“

Autor

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Seit Kate Hoffmann im Jahr 1979 ihre erste historische Romance von Kathleen Woodiwiss las – und zwar in einer langen Nacht von der ersten bis zur letzten Seite – ist sie diesem Genre verfallen.
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