Traummänner & Traumziele: Karibik 2

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KARIBISCHE KÜSSE

Gefangen in einer lieblosen Ehe, fordert Lucy die Scheidung! Tycoon Dio Ruiz willigt ein - unter einer Bedingung: verspätete Flitterwochen in der Karibik! Lucy akzeptiert den Deal und merkt schon bald, was Dio im Schilde führt. Unter funkelnden Sternen fordert er eine Hochzeitsnacht!

NOCH EIN KUSS UND ICH BIN VERLOREN

Der attraktive Millionär Jarrett kennt alle Tricks der Frauen! Doch dieser ist neu: eine schöne Unbekannte wird bewusstlos in der Nähe seiner Villa auf der Karibikinsel St. Alicia gefunden. Als die Fremde zu sich kommt, kann sie sich angeblich an nichts erinnern

KARIBISCHE NÄCHTE DER SEHNSUCHT

Eine Brautmodenschau in der Karibik! Designerin Cara fühlt sich wie im Paradies. Wenn nur die Erinnerungen nicht wären: An Keith, der sie vor dem Altar schmählich im Stich ließ - und der auf einmal mit einem teuflisch sexy Lächeln vor ihr steht und so tut, als wäre nie etwas geschehen ...

FÜR IMMER NUR DU

Kira schwebt auf Wolke sieben. Auf einer Karibikinsel verbringt sie leidenschaftliche Stunden mit dem reichen Hotelier André Gauthier. Schon beginnt Kira von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen, da beschuldigt André sie, ihn betrogen zu haben - mit seinem Erzfeind!

LEIDENSCHAFT IN DEINEM BLICK

Raffaele Petri brennt vor Rache: Er will die Firma des Mannes zerstören, der seine Schwester auf dem Gewissen hat. Doch dabei muss ihm Lily Nolan helfen, deren Ruf als Analystin legendär ist. Sie lebt abgeschieden, und als er sie endlich in sein Team gelockt hat, versteht er auch warum: Eine Narbe zeichnet ihr Gesicht. Trotzdem übt Lily einen unwiderstehlich femininen Zauber auf ihn aus. Vehement besteht er darauf, dass sie ihn in die Karibik auf die Insel des Feindes begleitet - und ein atemloses Spiel zwischen Leidenschaft und Rache beginnt …


  • Erscheinungstag 20.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734381
  • Seitenanzahl 720
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Cathy Williams, Susan Mallery, Kat Cantrell, Janette Kenny, Annie West

Traummänner & Traumziele: Karibik 2

IMPRESSUM

Karibische Küsse erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Cathy Williams
Originaltitel: „The Wedding Night Debt“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA SOMMERLIEBE
Band 27 - 2016 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Beatrice Norden

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733734480

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Scheidung. So etwas gab es nur bei anderen Leuten. Bei Leuten, die sich nicht um ihre Ehe bemühten. Die nicht verstanden, dass man eine Beziehung pflegen und so sorgsam behandeln musste wie kostbares Porzellan.

Das hatte Lucy jedenfalls bisher immer gedacht. Nun fragte sie sich, wie es passieren konnte, dass sie in einem der prächtigsten Häuser Londons stand und auf ihren Mann wartete, um ihm zu sagen, dass sie die Scheidung wollte.

Sie blickte auf ihre diamantbesetzte Armbanduhr und fühlte, wie der Knoten in ihrem Bauch immer größer wurde. Noch eine halbe Stunde. Sie konnte sich nicht erinnern, wo ihr Mann die vergangenen anderthalb Wochen verbracht hatte. New York? Paris? In beiden Städten hatte er Wohnungen, aber vielleicht hatte er die Zeit auch mit einer anderen Frau in seiner Villa auf Mustique verbracht. Sie hatte keine Ahnung.

In dem riesigen Spiegel mit dem handgeschnitzten Rahmen sah sie sich selbst: einen Meter fünfundsiebzig, gertenschlank mit blondem Haar, das ihr lang über die Schultern fiel. Mit sechzehn war sie von einer Agentur entdeckt worden, und ihr Vater hatte versucht, ihr eine Karriere als Model einzureden. Warum ein so hübsches Gesicht verschwenden? Für schwierigere Aufgaben waren Frauen in seiner Welt nicht gemacht.

Gegen diese Ansicht hatte sie sich erfolgreich gewehrt. Aber was hatte ihr das Universitätsstudium genützt, wenn sie schließlich doch hier gelandet war? Sie bewegte sich in diesem riesigen Haus wie ein Geist von Raum zu Raum und spielte die perfekte Gastgeberin. Als ob das eine befriedigende Aufgabe war für jemanden mit einem Diplom in Mathematik!

Sie war zur Grünen Witwe mutiert, nur dass keine Kinder im Haus lachten und kein liebender Ehemann nach Hause kam und fragte, was es zum Essen gebe. Alles wäre besser als das, was sie hatte, nämlich nichts.

Jedenfalls fast nichts. Sie gestattete sich ein kleines Lächeln, denn ganz so steril wie in der Vergangenheit war ihre Situation nicht mehr. In den letzten zwei Monaten hatte sich ihre Lage verbessert.

Das entschädigte sie für die vergeudete Zeit, in der sie wie eine teure Puppe herausgeputzt, höflich lächelnd Dinner-Partys für die Reichen und Schönen gegeben hatte … für die sehr, sehr Reichen. Von all dem würde die Scheidung sie befreien. Vorausgesetzt Dio machte kein Theater. Sie wüsste keinen Grund, warum er das tun sollte, und doch bebte sie innerlich vor Aufregung.

Dio Ruiz war ein Leitwolf. Er war das Alphatier, das nur nach seinen eigenen Regeln spielte. Auf Frauen wirkte er ebenso sexy wie bedrohlich.

Lucy aber würde sich nicht einschüchtern lassen. Seit sie sich zur Trennung entschieden hatte, redete sie sich das Tag für Tag ein. Ich will die Scheidung!

Der einzige Haken an der Sache war, dass es ihn völlig unvorbereitet treffen würde. Dio mochte keine unliebsamen Überraschungen. Sie hörte die Eingangstür ins Schloss fallen, und ihr Magen verkrampfte sich. Ohne sich umzudrehen, spürte sie seine starke, übermächtige Persönlichkeit, als er den Raum betrat.

Erst jetzt wandte sie sich um und sah ihn an. So sehr sie ihn nach allem auch hasste, sein Anblick raubte ihr auch jetzt noch den Atem.

Bei ihrer ersten Begegnung war er ihr wie der bestaussehende Mann auf Erden erschienen. Daran hatte sich seither nichts geändert. Seine hellen, silbergrauen Augen standen in eindrucksvollem Kontrast zu dem rabenschwarzen Haar und der sonnengebräunten Haut. Die Lippen waren sinnlich geschwungen, der Blick wirkte stets ein wenig herablassend. Seine Miene verbreitete unmissverständlich die Botschaft, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte.

„Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst in Paris.“ Dio wirkte ehrlich überrascht. Ungeplante Begegnungen mit seiner Frau gab es nicht oft. Ihr Zusammentreffen verlief stets förmlich und arrangiert, niemals spontan. Gemeinsam traten sie nur bei sozialen Veranstaltungen auf. Sie hatten ihre eigenen Wohnbereiche in dem riesigen Haus, bereiteten sich in ihren privaten Kokons auf die Veranstaltungen vor und trafen sich erst in der großen Eingangshalle. Erst dann präsentierten sie der Öffentlichkeit das Bild des perfekten Paars, das mit der Wahrheit nicht das Geringste gemein hatte.

Gleich nach dem Betreten des Raums hatte Dio seine Krawatte abgenommen und auf das weiße Ledersofa geworfen. Nun stand er stirnrunzelnd vor ihr und öffnete die obersten Knöpfe seines Hemds.

„Also …“, begann er. „Was verschafft mir das unerwartete Vergnügen?“

Lucy atmete tief ein. Dios Duft würde sie mit verbundenen Augen erkennen. Er verströmte unwiderstehliche Männlichkeit.

„Störe ich deine Pläne für den Abend?“ Sie vermied es, auf die sonnengebräunte Haut zu blicken, die sich in seinem Hemdausschnitt zeigte.

„Mein Plan war, ein paar ziemlich langweilige Dokumente über eine Firma zu studieren, die ich zu übernehmen gedenke. Was glaubtest du denn, wobei du mich stören könntest?“

„Keine Ahnung.“ Lucy zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich weiß schließlich nicht, wie du in meiner Abwesenheit deine Zeit verbringst.“

„Möchtest du, dass ich dir meinen Tagesablauf erläutere?“

„Es ist mir egal, was du treibst, aber es hätte ein wenig peinlich werden können, wenn du mit einer anderen Frau im Arm erschienen wärst.“ Ihr Lachen klang kalt, und sie hasste sich selbst für ihren harten, abweisenden Tonfall.

So war es nicht immer gewesen. Als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn mit ihren Geschichten über ihr Studentenleben zum Lachen gebracht und ihrerseits fasziniert zugehört, wenn er von seinen vielen Reisen um die ganze Welt erzählte. Dass ihr Vater ihre Beziehung zu Dio nicht nur akzeptierte, sondern sie sogar nach Kräften unterstützte, war eine erfreuliche Abwechslung gewesen. Mit ihren früheren Bekanntschaften war er nie einverstanden gewesen, und er hatte sie das jedes Mal deutlich spüren lassen. Mit ein wenig mehr Lebenserfahrung hätte sie sich gefragt, woher dieser plötzliche Sinneswandel kam. So aber hatte sie sich Hals über Kopf verliebt und die Motive ihres Vaters nicht hinterfragt.

Als Dio ihr nach einigen romantischen Wochen einen Antrag machte, war sie außer sich gewesen vor Glück. Sein intensives Werben hatte sie ebenso beeindruckt wie die Tatsache, dass er nicht warten wollte. Keine lange Verlobung! Er hatte es eilig gehabt, ihr den Ring auf den Finger zu streifen, und sie hatte das Gefühl genossen, geliebt und begehrt zu werden.

Manchmal fragte sie sich, wie ihre Ehe verlaufen wäre, wenn sie nicht zufällig dieses Gespräch am Abend ihrer Hochzeit mitgehört hätte. In glückseliger Stimmung hatte sie sich durch das Hochzeitsfest treiben lassen. Auf der Suche nach Dio, den sie nirgendwo entdecken konnte, kam sie schließlich am Büro ihres Vaters vorbei und erkannte die beiden Stimmen sofort.

Was sie hörte, hatte sie innerlich zu Stein erstarren lassen. Was für ein Deal! Dio rettete mit seiner Investition die verlustreiche Firma ihres Vaters und bekam sie selbst als Zubehör dazu. Ihr Vater hatte geradezu auf der Ehe bestanden, vermutlich in der Annahme, Dio so fester an das Familienunternehmen binden zu können. Sie war das Sicherheitsnetz ihres Vaters!

Als sie ihn später mit dem Gehörten konfrontiert hatte, war ihm das nicht viel mehr als ein Schulterzucken wert gewesen, begleitet von dem Satz: „Dio bekommt mit dieser Ehe Zugang zu gesellschaftlichen Schichten, den ihm sein ganzes Geld nicht ermöglichen könnte.“

Innerhalb weniger Stunden war Lucy aus all ihren Träumen gestürzt. Sie war zwar eine verheiratete Frau, aber ihre Ehe war vorüber, ehe sie noch richtig begonnen hatte. Schlimmer noch, es gab für sie kein Entrinnen. Ihr Vater hatte dubiose Geschäfte mit geliehenem Geld gemacht, die ihn womöglich vor Gericht bringen konnten. Mit Dios Geld und ihrer Ehe war er gerettet. Sie hatte ihren Vater vor dem Gefängnis bewahrt, sich selbst aber in eines begeben.

Allerdings hatte sie darauf bestanden, dass die Ehe nur auf dem Papier bestand. Kein Sex! Keine romantischen Stunden! Wenn Dio glaubte, er habe sie mit Haut und Haaren gekauft, hatte er sich getäuscht. Anfangs war sie seinem Charme verfallen, wofür sie sich inzwischen schämte, aber ihren Stolz ließ sie sich nicht nehmen.

„Kann ich dir etwas zu trinken bringen?“, fragte Dio höflich. „Eigentlich müssten wir dieses seltene Ereignis feiern, findest du nicht? Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal ohne vorherige Verabredung gemeinsam im selben Raum waren.“

Dio hatte Robert Bishop und seine Firma schon lange im Auge gehabt. Aufmerksam hatte er verfolgt, wie der Betrieb immer weiter in Schulden versank, und wie ein geübter Jäger hatte er sich Zeit gelassen. Rache genoss man am besten kalt!

Er hatte nur nicht mit der Tochter gerechnet. Für seine Pläne war Lucy in ihrer zarten Schönheit eine unerwartete Komplikation. Mit ihrer Unschuld hatte sie etwas in ihm berührt, wovor ihn all sein Zynismus nicht bewahren konnte. Ursprünglich hatte er sie nur in sein Bett bekommen und sich eine Weile mit ihr vergnügen wollen, um Robert Bishops Demütigung perfekt zu machen. Doch schon nach kurzer Zeit hatte er erkannt, dass ihm das nicht genügen würde.

Leider war er nach eineinhalb Jahren weiter als je zuvor von seinem Ziel entfernt. Er hatte diesen herrlichen Körper noch immer nicht berühren dürfen. Lange hatte er sich eingebildet, das Spiel verlaufe nach seinen Regeln. Doch inzwischen hatte er einsehen müssen, dass sie und ihr betrügerischer Vater ihn hereingelegt hatten. Statt Robert Bishop die Polizei auf den Hals zu hetzen, hatte er dessen Firma gerettet, weil er Lucy an seiner Seite und in seinem Bett wollte. Ungewollt war er ihrem scheuen Charme verfallen. Sie war ihm zu Kopf gestiegen wie eine Droge.

Dabei hatte sie ihn nur zum Narren gehalten. Gott allein wusste, ob ihr schmieriger Vater den Plan ausgeheckt hatte, aber es spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, dass die beiden alle Trümpfe in der Hand hielten, während er keines seiner Ziele erreicht hatte.

Lucy lehnte den angebotenen Drink mit einem Kopfschütteln ab, doch er ignorierte ihre Weigerung. Er goss sich selbst ein Glas Whisky ein und brachte ihr ein Glas Wein.

„Entspann dich“, forderte er sie auf und drückte ihr das Glas in die Hand. Dann zog er sich ans Fenster zurück, nippte an seinem Drink und betrachtete sie schweigend. Sie hatte ihm bereits in der Hochzeitsnacht unmissverständlich klargemacht, dass es für sie keine echte Ehe war. Sie wollte keinen Sex, kein freundliches Geplauder, ihn nicht einmal besser kennenlernen.

Er hatte sich nie bemüht, die Situation zu ändern. Niemand konnte ihr vorwerfen, nicht die perfekte Vorzeigefrau zu sein. Mit ihrer Schönheit und ihrem eleganten Auftreten war sie für die Öffentlichkeit genau die richtige Partnerin an seiner Seite. Für die Welt seiner Geschäfte hätte er sich keine Bessere wünschen können.

„Da du nicht in Paris bist, scheint etwas mit dem Apartment dort nicht zu stimmen. Aber du solltest inzwischen wissen, dass ich mich um so etwas nicht kümmere. Das ist dein Job.“

Lucy versteifte sich innerlich. Ihr Job. Das sagte alles. Nicht gerade das, was eine junge Frau vom Leben erwartete. Eine Ehe, die man als Job bezeichnete.

„Mit der Wohnung in Paris ist alles in Ordnung. Ich wollte nur …“ Sie holte tief Luft und trank einen Schluck. „Ich habe beschlossen, dass wir reden müssen.“

„Wirklich? Worüber? Deinem Bankkonto geht es mehr als gut. Hast du etwas gesehen, das du unbedingt haben möchtest? Ein Haus in Italien vielleicht? Eine Wohnung in Florenz? Kauf sie dir.“ Er zuckte achtlos mit den Schultern und leerte sein Whiskyglas. „Solange es auch für geschäftliche Zwecke nutzbar ist, habe ich kein Problem damit.“

„Warum sollte ich mir ein Haus kaufen wollen, Dio?“

„Was denn dann? Juwelen? Ein Kunstwerk? Was?“

Sein Ausdruck gelangweilter Gleichgültigkeit machte sie wütend. Meist konnten sie wenigstens fünf Minuten höflich miteinander umgehen, wenn sie gezwungen waren, Zeit miteinander zu verbringen. Heute war Dio schlimmer als gewöhnlich. Das war keine gute Voraussetzung für ihr Vorhaben.

„Ich will mir überhaupt nichts kaufen.“ Unruhig begann sie, hin und her zu gehen, ohne auf die Kostbarkeiten zu achten, die sie umgaben. Wie alle ihre Häuser war auch dieses mit dem Besten eingerichtet, das für Geld zu haben war. Die Gemälde waren atemberaubend, das Mobiliar von Hand geschreinert und die Teppiche aus afghanischer Seide.

An nichts wurde gespart, und es war ihr Job, darauf zu achten, dass alle ihre Domizile tadellos in Schuss waren. Einige benutzte Dio selbst, wenn er sich im Land aufhielt. Andere stellte er Geschäftspartnern zur Verfügung, und dann hatte sie dafür zu sorgen, dass es den Gästen an nichts fehlte.

„Wenn das so ist“, sagte Dio, „dann komm zum Punkt und sag, was du zu sagen hast. Ich werde heute hier übernachten, weil ich einiges in der Stadt zu erledigen habe.“

„Und natürlich hättest du dir ein anderes Quartier gesucht, wenn du gewusst hättest, dass ich hier auf dich warte“, erwiderte Lucy spitz.

Seine Reaktion beschränkte sich auf ein müdes Schulterzucken.

„Ich finde“, begann Lucy zögernd, „dass sich die Bedingungen zwischen uns geändert haben, seit mein Vater gestorben ist.“

Diese Eröffnung nahm er stumm zur Kenntnis. Den Blick unverwandt auf sie gerichtet, stellte er sein Whiskyglas auf den Beistelltisch. Soweit es ihn betraf, war die Welt ohne Robert Bishop ein freundlicherer Ort, auf jeden Fall ein ehrlicherer. Wie seine Frau darüber dachte, wusste er nicht. Bei der Beerdigung hatte sie kaum ein Wort gesagt und ihr Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille verborgen.

„Was willst du damit sagen?“

„Ich möchte nicht länger an dich gekettet sein, und ich sehe auch nicht mehr die Notwendigkeit.“ Sie versuchte laut und deutlich zu sprechen, doch sein intensiver Blick verunsicherte sie.

„Zufällig bist du auch an einen Lebensstil gekettet, um den dich die meisten Frauen beneiden würden.“

„Dann solltest du mich gehen lassen und eine von diesen Frauen für dich finden“, gab sie mit brennenden Wangen zurück. „Wir wären beide glücklicher … aber wie es mir geht, ist dir vermutlich gleichgültig.“ Lucy hielt seinem Blick nicht länger stand. Noch immer schaffte er es, sie in ihrem Innersten aufzuwühlen, obwohl sie alles getan hatte, um ihre Gefühle für ihn abzutöten. Als sie noch glaubte, dass er sich ernsthaft für sie interessiere, hatte sie nachts von ihm geträumt und sich tagsüber nach ihm verzehrt. Aber das war vorbei, seit sie die Wahrheit wusste.

„Soll das heißen, dass du mich verlassen willst?“

„Kannst du mir das verdenken?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage und blickte ihm jetzt endlich in die kühlen grauen Augen. „Wir führen keine Ehe, Dio. Jedenfalls keine richtige. Ich verstehe nicht einmal, warum du mich überhaupt geheiratet hast.“ Das stimmte natürlich nicht, denn ihr Vater hatte sie brutal über den Deal mit Dio ins Bild gesetzt.

„Du hättest meinen Vater auch kaufen können, ohne mich zu heiraten“, fuhr sie fort und hielt tapfer seinem eisigen Blick stand. „Ich weiß, dass ich nur Teil eines Deals war, weil mein Vater hoffte, du würdest deinen Schwiegervater nicht ins Gefängnis bringen wie einen gewöhnlichen Kriminellen.“

„Wie hättest du dich denn gefühlt, wenn dein lieber Daddy im Gefängnis gelandet wäre?“

„Niemand möchte einen engen Verwandten dort sehen.“

Dio hatte eine andere Antwort erwartet, aber er schwieg. Er war sehr erstaunt über die Entwicklung dieses Abends. Glaubt Lucy wirklich, so einfach davonzukommen? Erst fängt sie mich ein und lässt sich einen Ring anstecken, verweigert sich mir aber schon in der Hochzeitsnacht. Und nun, kaum dass ihr Vater gestorben ist, will sie mir vollends den Rücken kehren?

„Nein, Knastbrüder sind keine besondere Zier bei Familienfesten.“ Er stand auf, um sein Glas neu zu füllen.

„Sag mir eines, Lucy. Was hast du von dem … kreativen Umgang deines Vaters mit der Pensionskasse seines Unternehmens gehalten?“

„Ich habe nie genau gewusst, was er getan hat“, entgegnete sie verlegen. Bis zu jenem zufällig mitgehörten Gespräch hatte sie tatsächlich keine Ahnung von seinen Machenschaften gehabt. Aber statt nach den krummen Geschäften ihres Vaters hätte Dio sie besser nach ihrer Einstellung zu ihm als Mensch fragen sollen. Robert Bishop hatte seine Tochter stets gegängelt und klein gehalten. Statt des erhofften Sohnes hatte er sich mit einer Tochter abfinden müssen und nie akzeptiert, dass auch Frauen in allen Lebensbereichen leistungsfähig waren. Ihre bildschöne Mutter war für ihn nur ein Aushängeschild gewesen, mit der er sich bei wichtigen Empfängen schmücken konnte. Er hatte sie unterdrückt und betrogen, und Agatha Bishop war mit achtunddreißig Jahren an Krebs gestorben.

Während er sie ansah, fragte sich Dio, was wohl in diesem hübschen Kopf vorging. „Dann will ich deine Wissenslücke füllen“, erwiderte er grob. „Dein Vater hat viele Jahre lang die Pensionskasse seines Unternehmens geplündert und die Mitarbeiter betrogen. Der Mann war Alkoholiker. Er hatte gerade noch genügend funktionierende Gehirnzellen, um sich Gelder anzueignen, die nicht ihm gehörten. Er hätte das ganze Unternehmen versenkt, wenn ich nicht zu seiner Rettung gekommen wäre.“

„Warum hast du das denn überhaupt getan?“, fragte Lucy neugierig. Nach dem Wenigen, das ihr Vater angedeutet hatte, stammte Dio aus ärmlichen Verhältnissen. Doch als er wie aus heiterem Himmel in ihrem Leben erschien, war er bereits mehrere Millionen schwer. Warum gab er sich also mit der Firma ihres Vaters ab?

Das war eine lange und komplizierte Geschichte, und Dio hatte nicht die Absicht, sie ihr jetzt zu erzählen.

„Die Firma hatte Potenzial“, erwiderte er nur mit einem plötzlichen Lächeln, das ihr Herz schneller schlagen ließ. „Das Unternehmen hatte Verbindungen in die richtigen Netzwerke, und meine Intuition hat sich bezahlt gemacht. Es hat inzwischen mehr abgeworfen, als ich investiert habe. Und außerdem …“ Er sah sie einen Augenblick schweigend an, ehe er fortfuhr: „Wie viele notleidende Firmen gibt es schon mit einem solchen Bonus? Siehst du ab und zu mal in den Spiegel? Welcher gesunde Mann hätte dir widerstehen können?“

„Allerdings“, fuhr er gleichmütig fort, „habe ich dich ja nicht bekommen. Du bist mit mir ausgegangen, hast mich scheu angelächelt und mich glauben lassen, dass du dir etwas aus mir machst. Du hast mich ein Stück an dich herangelassen, es aber zu einer Kunstform entwickelt, dich im richtigen Moment mit unschuldigem Lächeln zurückzuziehen. Damals musste ich jeden Abend kalt duschen, wenn ich nach Hause kam. Und dann hast du mich in der Hochzeitsnacht eiskalt wissen lassen, dass du dich nicht als Teil des Deals betrachtest. Du hast mich an der Nase herumgeführt.“

„Ich … das war nie meine Absicht.“ Allerdings verstand Lucy, dass es Dio aus seiner Warte so vorgekommen sein musste.

„Warum fällt es mir nur so schwer, das zu glauben?“, entgegnete er. Erstaunt stellte er fest, dass er sein Glas bereits zum zweiten Mal geleert hatte. Vorsichtshalber verzichtete er darauf, es erneut zu füllen. „Du hast mit deinem Vater einen hübschen kleinen Plan ausgeheckt, um mich hereinzulegen.“

„Das ist nicht wahr!“ Hektische rote Flecken bedeckten Lucys Wangen.

„Als ihr mich erst am Haken hattet, konntest du die Maske fallen lassen. Und jetzt sprichst du plötzlich von Scheidung. Deinen Vater kann der lange Arm der Justiz nicht mehr erreichen, und du willst dich aus dem Staub machen.“ Nachdenklich neigte er den Kopf zur Seite. Ein neuer Gedanke war ihm plötzlich gekommen. Zum ersten Mal fragte er sich, wie sich seine Frau während seiner vielen Abwesenheiten wohl die Zeit vertrieb.

Es wäre ein Leichtes gewesen, ihr nachzuspionieren, aber er hatte sich nicht vorstellen können, dass diese Eisprinzessin etwas hinter seinem Rücken trieb. Allerdings war sie nicht immer so kalt gewesen. Bis zu ihrer Hochzeitsnacht hatte sie einen sehr sinnlichen Eindruck auf ihn gemacht. Gibt es also doch einen anderen Mann?

„Ich will dich verlassen, weil wir beide etwas Besseres verdienen.“

„Wie reizend von dir, auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen.“ Er verzog die Miene zu einem Lächeln, doch sein Blick blieb eisig. „Ich habe nie gewusst, dass du so eine mitfühlende Ader hast.“ Morgen würde er einen Detektiv auf sie ansetzen. Er musste wissen, was vor sich ging.

„Es gibt keinen Grund sarkastisch zu werden, Dio.“

„Wer ist sarkastisch? Ich denke allerdings …“ Er tat so, als müsse er über seine nächsten Worte sorgfältig nachdenken. „Du willst mich also verlassen. Aber dir ist hoffentlich klar, dass du nichts mitnehmen wirst.“

„Wie meinst du das?“

„Ich habe vor der Hochzeit einen wasserdichten Ehevertrag aufsetzen lassen. Du hast ihn brav unterzeichnet, obwohl ich nicht weiß, ob du ihn überhaupt gelesen hast.“

Lucy erinnerte sich schwach, dass sie ein langes, kompliziertes und langweiliges Dokument unterschrieben hatte. Ihr Vater hatte sie gedrängt, und sie hatte gehorcht.

Und jetzt wollte sie diese Ehe nur noch so schnell wie möglich beenden und ihn nie wiedersehen. Der Gedanke verursachte einen kleinen Stich tief in ihrem Inneren, doch sie schob das Gefühl rasch beiseite.

„Als reicher Mann hielt ich es für angeraten, mich zu schützen. Soll ich dir sagen, was du unterschrieben hast? Ich habe das gesamte Unternehmen mit Mann und Maus bekommen. Das ist der Lohn dafür, dass ich es vor dem unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch gerettet und deinen Vater vor dem Gefängnis bewahrt habe. Weißt du eigentlich, um welche Summen er den Pensionsfond betrogen hat und wie viel ich investieren musste, um die Angestellten vor der Altersarmut zu bewahren?“ Er sah Lucy an. Es erstaunte ihn immer wieder, dass sich hinter dieser unschuldigen Miene ein so durchtriebener Charakter verbarg.

Lucy ließ den Kopf sinken. Jedes Mal, wenn ihr Vater erwähnt wurde, schämte sie sich entsetzlich. Sie blickte auf ihre perfekt manikürten Hände hinab. Wie wundervoll würde es sein, nie wieder Nagellack tragen zu müssen. Vielleicht sollte sie eine Nagellackverbrennungsfeier veranstalten. Der Gedanke ließ sie lächeln.

Dio sah sie stirnrunzelnd an. Findet sie das alles etwa lustig?

„Solange du meine Frau bist“, brachte er mit mühsam kontrolliertem Zorn hervor, „bekommst du alles, was du dir wünschst.“

„Jedenfalls, solange du meine Einkäufe gutheißt“, entgegnete Lucy.

„Habe ich dir jemals einen Wunsch abgeschlagen?“

„Alles, was ich kaufe, sind Kleider, Juwelen und Accessoires“, entgegnete Lucy, „und auch nur, weil ich sie für die Rolle brauche, die ich für dich spiele.“

Dio zuckte achtlos mit den Schultern. „Von mir aus hättest du dir auch eine ganze Fahrzeugflotte anschaffen können.“ Seine Miene wurde noch finsterer. „Wenn du mich allerdings verlässt“, erklärte er kühl, „gehst du mit nichts als den Kleidern auf deinem Leib.“

Lucy wurde blass. Sie hasste die Schattenseiten des Reichtums, aber tatsächlich hatte sie nie ein anderes Leben gekannt. Bin ich nach all den Jahren des verwöhnt und umsorgt Werdens überhaupt auf ein Leben in der rauen Arbeitswelt vorbereitet? Sicher, sie hatte einen Universitätsabschluss, aber bevor sie damit etwas hatte anfangen können, war sie Hals über Kopf in diese Ehe gestürzt.

„Das ist mir egal“, gab sie trotzig zurück.

Dio hob spöttisch die Augenbrauen. „Du weißt doch nicht einmal, wie man einen Job sucht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Sieh dich doch an! Du bist im Luxus aufgewachsen, und während andere junge Frauen sich der Welt gestellt haben, hast du mich geheiratet und weiter im Luxus geschwelgt. Sag mir, was dich auf das große Böse vorbereitet hat, das man Realität nennt?“

Lucy erkannte in seinem kalten Blick, dass er sie wirklich ohne einen Penny hinauswerfen würde. Aber sie musste ihm recht geben. Sie war es nicht gewöhnt, sich um die banalen Dinge des täglichen Lebens zu kümmern. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis sie sich in der Arbeitswelt zurechtfand. Und wovon sollte sie in der Zwischenzeit leben?

„Wenn du gehen willst, hast du zwei Möglichkeiten.“ Dio beugte sich vor. „Du verlässt mich mit nichts, oder …“

„Oder … was?“, fragte sie ihn argwöhnisch.

2. KAPITEL

In dieser Form würde ihre Ehe nicht lange bestehen können, das war Dio klar. Eigentlich war das schade, denn sie hatten etwas ganz Ungewöhnliches geschaffen … eine wie eine geölte Maschine funktionierende Beziehung, die sich als sehr erfolgreich erwies. Lucy ergänzte seine Fähigkeiten in ungeahnter Weise mit ihren. Anders als sie war er nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden und hatte sich am eigenen Schopf aus einem Leben in Armut emporziehen müssen. Das war ihm nur gelungen, weil er seine Geschäfte hart und aggressiv verfolgte und sich auf seinem Weg alles nahm, was er brauchte.

Er war der König im Betondschungel und klug genug, um zu wissen, dass die Hyänen hinter jeder Ecke lauerten. Er war gleichermaßen gefürchtet und respektiert. Die angeborene Eleganz der Frau an seiner Seite glättete die scharfen Kanten seiner rauen Persönlichkeit. Als Team funktionierten sie prächtig.

Vielleicht hatte er deshalb nie die Probleme angesprochen, die unter der Oberfläche brodelten. Denn damit hätte er vermutlich ihre erfolgreiche Partnerschaft riskiert.

Aber vielleicht war er auch nur zu träge gewesen – dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht – und hatte sich eingebildet, dass die Frau, die er immer noch begehrte, irgendwann aus eigenem Antrieb auf ihn zugehen würde.

Womit er überhaupt nicht gerechnet hatte, war ihr Wunsch nach einer Scheidung.

Nun goss er sich doch noch einen Drink ein und kehrte zu seinem Stuhl zurück. „Als wir heirateten“, begann er schließlich, „habe ich mir keine Ehefrau vorgestellt, die im am weitesten entfernten Flügel des Hauses schläft, wenn wir eine Nacht unter demselben Dach verbringen. Das ist wohl kaum der Traum eines Mannes von einer glücklichen Ehe.“

„Ich hätte nie gedacht, dass du Träume von einer glücklichen Ehe hast, Dio. Du schienst mir nicht die Sorte Mann zu sein, der nach der Arbeit glücklich zu seiner Frau, den Kindern, dem Hund und dem Grill im Garten heimkommt.“

„Wie kommst du darauf?“

Ein Schulterzucken. „Du hast mir diesen Eindruck vermittelt.“ Und trotzdem habe ich mich in ihn verliebt. Der Blick aus seinen erstaunlichen Augen, die wohltönende Stimme und die Aufmerksamkeiten, die er ihr schenkte, hatten sie dazu verleitet, ihren Verstand auszuschalten und nur auf ihr Herz zu hören.

„Ich habe vielleicht mein Leben nicht darauf ausgerichtet, eines Tages vor einem Altar zu stehen. Aber das heißt nicht, dass ich mir eine Frau gewünscht habe, die das Bett nicht mit mir teilt.“

Lucy errötete. „Na ja, wir scheinen beide enttäuscht von dem, was wir bekommen haben“, entgegnete sie.

Dio wischte ihre Bemerkung mit einer abwehrenden Geste beiseite. „Es hat keinen Zweck, unsere Ehe zu analysieren“, stellte er fest. „Wir sollten lieber überlegen, wie wir mit der Situation umgehen.“ Er nippte an seinem Drink und sah sie nachdenklich an. „Ich könnte dir einen Vorschlag machen. Du willst die Scheidung? Gut. Ich kann dich nicht daran hindern, zum nächsten Anwalt zu laufen und die Scheidung zu beantragen. Obwohl du dann, wie gesagt, diese Ehe mit nichts verlässt als der Kleidung auf der Haut. Das ist bestimmt keine schöne Perspektive für jemanden, der die letzten eineinhalb Jahre keine Sekunde über Geld nachdenken musste.“

„Geld ist nicht alles auf der Welt.“

„Erfahrungsgemäß sagen das Leute, die genügend Geld haben. Menschen, die am Monatsende nicht wissen, wie sie die nächsten Rechnungen bezahlen sollen, haben gewöhnlich eine pragmatischere Sichtweise.“ Dio war in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Er wusste sehr gut, was Geld bedeutete. Es schenkte ihm die Freiheit, alles zu tun und zu lassen, was er wollte, ohne sich für jeden Penny rechtfertigen zu müssen.

„Ich wollte damit nur sagen, dass Geld allein nicht glücklich macht.“ Lucy dachte an ihre eigene freudlose Kindheit. Auf Außenstehende hatten sie wie eine glückliche, privilegierte Familie gewirkt. Hinter geschlossenen Türen hatte sie genau das Gegenteil erlebt. Kein Geld der Welt hatte daran etwas ändern können.

„Aber ein Mangel an Geld kann Not und Verzweiflung bringen. Stell dir vor, du müsstest all das hier verlassen und in einer Ein-Zimmer-Wohnung hausen, die du dir mit Mäusen im Schrank und Schimmel an den Wänden teilst.“

Lucy stöhnte. „Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen, Dio?“

„London ist teuer. Du würdest vielleicht ein wenig Geld verdienen, aber sicher nicht genug, um dir eine anständige Wohnung in einem netten Stadtteil leisten zu können.“

„Dann verlasse ich London eben.“

„Du willst aufs Land ziehen? Du hast dein ganzes Leben in der Großstadt verbracht. Du bist es gewöhnt, ins Theater zu gehen, in die Oper und zu Kunstausstellungen. Aber keine Sorge, du wirst nicht darauf verzichten müssen. Allerdings gibt es nichts umsonst im Leben. Du willst die Scheidung? Kannst du haben. Aber erst, wenn du mir gegeben hast, was mir zusteht.“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Lucys Hirn die richtigen Verbindungen herstellte und sie begriff, was er gerade gesagt hatte. Dennoch fragte sie ungläubig: „Was meinst du damit?“

Dio hob die Augenbrauen und lächelte diabolisch. „Erzähl mir nicht, dass jemand mit einem Abschluss in Mathematik nicht zwei und zwei zusammenzählen kann. Ich verlange nur meine Hochzeitsnacht, die du mir bisher verweigert hast, Lucy.“

„Ich … habe keine Ahnung … wovon du sprichst“, stammelte sie.

„Du verstehst mich sehr gut“, entgegnete er kühl. „Glaubst du vielleicht, ich habe mir eine sexlose Ehe vorgestellt, als ich dir den Ring an den Finger gesteckt habe? Du willst gehen? Na gut, du kannst verschwinden, sobald wir die Ehe auch wirklich vollzogen haben.“

„Das ist Erpressung!“ Lucy sprang auf und begann, ruhelos im Raum auf und ab zu gehen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Damals hatte sie sich so auf die Hochzeitsnacht gefreut! Und nun forderte er sie ein.

„Das ist mein Angebot. Wir schlafen miteinander, wie es sich für Mann und Frau gehört. Dann kannst du verschwinden und bekommst von mir Unterhalt, sodass du für den Rest deines Lebens komfortabel leben kannst.“

„Aber was hättest du davon? Du findest mich ja nicht einmal anziehend!“

„Komm ein wenig näher, und ich werde dir beweisen, wie sehr du dich irrst.“

Mit klopfendem Herzen verharrte Lucy vorsichtshalber in sicherer Entfernung. In seinem Blick las sie, dass er seine Worte ernst gemeint hatte. Seit vielen Monaten hatte sie ihr eigenes Verlangen unterdrückt, fast schon vergessen. Nun spürte sie, wie es sich tief in ihrem Innersten regte.

Aber auf gar keinen Fall würde sie mit ihm schlafen! Ihre Eltern hatten eine Vernunftehe geführt, und es war alles andere als eine glückliche Beziehung daraus geworden. Sie hatte sich geschworen, sich nur dem Mann hinzugeben, der sie wirklich liebte. Es gab keinen Grund, diesem Prinzip untreu zu werden.

Entsetzt sah sie ihn langsam auf sich zukommen. Mit jedem seiner Schritte begannen ihre Nerven ein wenig mehr zu flattern.

„Ein paar Wochen nur …“, flüsterte er und fuhr ihr aufreizend langsam mit den Fingerspitzen über die Wange. Er spürte, wie sie unter seiner Berührung zitterte.

Konnte es sein, dass diese unterkühlte Frau an seiner Seite doch nicht ganz so immun gegen seine Ausstrahlung war, wie sie ihn gern glauben machen wollte? Vielleicht bekam er jetzt die Gelegenheit, das herauszufinden. Wenn sie erst geschieden waren, würde er es nie erfahren.

„Wochen?“ Gebannt von seiner Berührung stand Lucy wie angewurzelt auf der Stelle. Sie spürte, wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten und gegen die Spitze ihres BHs drückten. In ihrem Körper rührte sich etwas, das sie fast schon vergessen hatte.

„Genau! Nur ein paar Wochen.“ Sie war seine Frau, und er wollte sie, wie es sich für einen Ehemann gehörte. Danach konnte er sie in die Freiheit entlassen. Erst damit würde das Kapitel abgeschlossen sein, das ihn mehr als jedes andere in seinem Leben quälte.

Dio spürte seine wachsende Erektion. Lucys Blick verriet ihm, dass sie sie auch bemerkt hatte. Ihre Augen waren geweitet, die Lippen leicht geöffnet. Es wirkte wie eine Einladung, der er nicht widerstehen konnte … und auch nicht wollte.

Seit er vor dem Altar neben ihr gestanden hatte, war er seiner Frau nicht mehr so nah gewesen. Diese Gelegenheit konnte er sich nicht entgehen lassen.

Lucy spürte, dass er sie küssen wollte. Sie legte ihre Hände flach auf seine Brust, als wollte sie ihn auf Abstand halten. Doch als seine Lippen auf ihren Mund trafen, krallte sie ihre Finger in sein Hemd und zog ihn an sich.

Sie fühlte ihren ganzen Körper in Flammen aufgehen, als habe Dio ein Streichholz an ein Bündel dürren Reisigs gehalten. Vor der Hochzeit war sein Werben zurückhaltend gewesen, fast keusch. Von Zurückhaltung war jetzt nichts zu spüren. Jetzt loderte ungezügeltes Verlangen, auf beiden Seiten.

Sie spürte, wie seine Hand unter ihr seidenes Top glitt und ihre Brust umfasste. Als er aufreizend mit dem Finger über ihre feste Brustwarze strich, keuchte sie atemlos.

Im nächsten Moment zog er sich zurück. Sie brauchte ein paar Sekunden, um wieder zu sich zu kommen und zu begreifen, was sie gerade getan hatte. Die Erkenntnis traf sie wie ein kalter Wasserguss.

„Was zum Teufel bildest du dir eigentlich ein?“, fauchte sie ihn an.

„Ich wollte dir nur beweisen, dass wir ein paar Wochen sehr angenehm miteinander verbringen könnten.“ Amüsiert sah er zu, wie sie verlegen die Arme vor der Brust verschränkte, als könnte sie damit ihre leidenschaftliche Reaktion ungeschehen machen.

„Ich habe nicht vor, für Geld mit dir ins Bett zu gehen!“

Dio verzog spöttisch den Mund. „Warum nicht? Du hast mich für Geld geheiratet. Im Bett hätten wir wenigstens ein bisschen Spaß dabei.“

„Ich habe dich nicht wegen deines Geldes geheiratet!“

„Ich will nicht weiter mit dir diskutieren. Ich habe dir deine Optionen genannt. Du hast die Wahl.“ Er drehte sich um und ging zur Tür.

„Dio!“

Er blieb stehen und wandte nur den Kopf zur Seite.

„Warum?“

„Warum was?“

„Warum spielt es eine Rolle, ob ich mit dir schlafe oder nicht? Es hat doch bestimmt im vergangenen Jahr genügend Frauen gegeben, die bereitwillig mit dir ins Bett gesprungen sind. Warum ausgerechnet ich?“

Er antwortete nicht gleich. Lucy schien zu glauben, dass er seine freie Zeit mit anderen Frauen verbrachte. Er hielt es nicht für nötig, ihr zu widersprechen. Dabei hatte er nicht nur mit keiner anderen Frau geschlafen, er hatte nicht einmal das Bedürfnis verspürt. Gewiss hatte es immer wieder Frauen gegeben, die sich ihm mehr oder weniger subtil angeboten hatten, doch ihn hatte es immer nur nach der einen verlangt, die sich ihm beharrlich entzog.

„Ich kann das einfach nicht“, sagte Lucy leise. „Ich … vielleicht kannst du mir ein kleines Darlehen gewähren, bis ich auf eigenen Füßen stehe.“

„Wovon willst du dich ernähren, dich kleiden oder Miete zahlen?“

„Ich … ich habe schon die eine oder andere Idee.“

Dios Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Welches Geheimnis verbirgt sie vor mir? Was hat sie hinter meinem Rücken geplant?

„Tatsächlich? Was denn zum Beispiel?“

„Ach, nichts“, wich sie aus. „Ich glaube nur, dass wir beide glücklicher sein könnten, wenn wir diese Ehe beendeten. Wenn du mir nur ein wenig Geld borgst …“

„Lucy, du würdest mehr als nur ein bisschen Geld brauchen, um ein selbstständiges Leben in London zu führen.“

„Und das Geld willst du mir nicht leihen, auch wenn ich verspreche, es bis auf den letzten Penny zurückzuzahlen?“

„Du müsstest dafür einen großartigen Job finden oder einen reichen Kerl, der dich aushält“, entgegnete er scharf. „Sonst kann ich dir garantieren, dass ich mein Geld nicht wiedersehe, bis ich alt und grau bin.“

„Dir wäre es also lieber, wenn man deine Exfrau als Bettlerin auf den Straßen sähe?“

„Wer wird jetzt dramatisch?“ Dio merkte, dass sie sich nicht von ihm einschüchtern ließ. „Ich werde dich natürlich nicht vollkommen mittellos auf die Straße setzen“, lenkte er ein. „Aber es wird dir gewiss schwerfallen, einen angenehmen Lebensstil zu führen. Es sei denn, du hättest einen wohlhabenden Gönner im Hintergrund. Gibt es den?“

Dio ärgerte sich über diese Frage, kaum dass er sie ausgesprochen hatte.

Lucy schüttelte den Kopf. „Ich stehe nicht auf reiche Männer“, erklärte sie. „Das habe ich immer schon gewusst, und die Ehe mit dir hat alle meine Vorurteile bestätigt.“

„Wieso?“ Dio wollte wütend auffahren, beherrschte sich aber gerade noch rechtzeitig.

„Du sagst immer, dass es nichts im Leben umsonst gibt. Und du lässt es klingen, als wäre dir das das Wichtigste von allem.“

„Ich kann mich nicht erinnern, so etwas behauptet zu haben.“

„Vielleicht nicht wörtlich, aber sinngemäß. Du scheinst es nicht für möglich zu halten, dass ich ohne ein fettes Bankkonto länger als eine Woche überlebe, aber …“

„Aber du hast plötzlich das Verlangen, mir das Gegenteil zu beweisen.“ Dio sah sie nachdenklich an. Es war etwas in ihren Gesichtszügen, das ihn immer schon fasziniert hatte. Sie war nicht aufdringlich sexy, so wie sie auch keine makellose Posterschönheit war, aber es war etwas an ihr, das seine Blicke wieder und wieder auf sich zog.

Dieses Etwas hatte seine Pläne durcheinandergebracht. Er hatte das Unternehmen ihres Vaters zu einem Spottpreis aufkaufen und ihn dann den Wölfen zum Fraß vorwerfen wollen, so wie er es verdient hatte. Doch er hatte nicht mit der Wirkung gerechnet, die diese Frau auf ihn hatte.

Sicher, er hatte sie einen für ihn sehr vorteilhaften Ehevertrag unterschreiben lassen, aber er würde es nie übers Herz bringen, sie völlig ohne einen Penny vor die Tür zu setzen. Daher kam ihm der Eindruck, dass sie nicht immun gegen seine Annäherung war, gerade recht. Vielleicht würde er ja doch noch auf seine Kosten kommen.

„Ich kann dir versichern, dass ich keinen Wohltäter im Hintergrund habe“, beteuerte Lucy. „Und ich will auch nie wieder einen reichen Menschen in meinem Leben haben.“

„Wie tugendhaft! Glaubst du wirklich, dass dich ein Leben mit einem armen Schlucker glücklich macht? Du solltest mal von deiner Wolke herunterkommen und auf den Planeten Erde zurückkehren.“

Nach einer kurzen Pause sagte Dio: „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe Hunger. Wenn wir dieses Gespräch fortsetzen wollen, dann nur bei einem Essen.“

„Aber du wolltest doch gerade wieder gehen“, erinnerte ihn Lucy.

„Das war, bevor du mir deine radikale neue Sicht auf das Leben vorgestellt hast.“ Er wandte sich um und machte sich auf den Weg in die Küche. Lucy blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit hatte sie das Gefühl, ein echtes Gespräch mit Dio zu führen. Sie war allein mit ihm, nicht umringt von Leuten, die sich um seine Aufmerksamkeit bemühten, und keine wichtigen Geschäftspartner mussten mit höflichem Smalltalk unterhalten werden.

Lucy kannte die Küche gut. Wenn sie hier Gäste bewirteten, musste sie die Caterer einweisen und mit der Kücheneinrichtung vertraut machen. Wenn Dio wie so oft außer Landes war, nahm sie hier allein ihre Mahlzeiten ein.

Dio neben sich in der Küche zu sehen, war sehr ungewohnt. Einen Moment sah sie ihn ungläubig an.

„Also, irgendwelche Vorschläge?“, fragte er schließlich.

„Vorschläge wofür?“

„Was wir essen können.“

„Was hättest du denn essen wollen, wenn du mich hier nicht angetroffen hättest?“, fragte Lucy zurück. Mit zitternden Knien ging sie zum Küchentisch und ließ sich auf einem der Stühle nieder. Sein eindringlicher Blick machte sie nervös. Ein Blick auf seinen Mund genügte, um sie an die Leidenschaft seines Kusses zu erinnern. Noch immer fühlten sich ihre Lippen heiß und geschwollen an.

„Ich habe die Nummern von zwei exzellenten Köchen in meinem Handy gespeichert“, entgegnete er. Ihr ungläubiger Blick schien ihn zu amüsieren. „Die haben gewöhnlich ganz schnell eine Antwort auf meine Frage, was ich essen möchte.“

„Dann ruf sie an und bestell dir etwas von deinen Küchenchefs“, entschied Lucy. „Nimm auf mich keine Rücksicht. Ich …“

„Du hast schon gegessen?“

„Ich habe keinen Hunger.“

„Das glaube ich nicht. Du fühlst dich doch nicht etwa unwohl mit mir gemeinsam in einer Küche? Wir sind schließlich verheiratet.“

„Ich fühle mich nicht unwohl“, erwiderte Lucy ein wenig zu heftig. „Nicht im Geringsten.“

„Also, was schlägst du dann vor?“

„Weißt du denn überhaupt, wo du in dieser Küche irgendetwas Essbares findest?“

Über diese Frage schien Dio einen Moment nachzudenken. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich gebe zu, ich habe keine Ahnung, was sich in den Schränken verbirgt. Ich weiß allerdings, dass im Kühlschrank ein ausgezeichneter Weißwein steht.“

„Erwartest du etwa, dass ich für dich koche?“

„Wie könnte ich das ausschlagen, wenn du es so nett anbietest?“ Dio lächelte spöttisch. Dann ließ er sich am Tisch nieder. „Für einen Mann zu kochen, verletzt hoffentlich nicht deine feministischen Prinzipien, oder? Falls doch, könnte ich selbst nachsehen, was ich hier in der Küche finde und meine Kochkünste daran erproben.“

„Willst du uns vergiften? Du kannst doch überhaupt nicht kochen.“ Sie erinnerte sich an eine beiläufige Bemerkung, die er in einem früheren Gespräch fallengelassen hatte.

„Da hast du auch wieder recht. Also nicht.“

So hatte Lucy sich den Abend nicht vorgestellt. Sie hatte Überraschung als Reaktion erwartet und vielleicht sogar Zorn. Dios Wutausbrüche waren gefürchtet. Stattdessen fühlte sie sich auf einmal wie im Auge eines Wirbelsturms.

Sie kochte gern, wenn sie allein war und keine Gäste unterhalten musste. Rasch suchte sie zusammen, was sie für ein einfaches Nudelgericht benötigte. Hätte sie nicht bei jeder Bewegung seine Blicke auf sich gespürt, hätte diese Tätigkeit sogar beruhigend wirken können.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte er mitten in die Stille. Sie fuhr herum und sah ihn stirnrunzelnd an. „Was glaubst du denn zu können?“

„Ich glaube, ich könnte gut das Gemüse kleinschneiden.“ Er trat neben sie an die Arbeitsfläche. Seine plötzliche Nähe ließ Lucy erschauern. Sie spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten.

Sei nicht dumm, schalt sie sich im Stillen. Doch sie bekam die Erinnerung an seinen leidenschaftlichen Kuss nicht aus dem Kopf. Sie wollte das nicht! Sie hatte sich in den vergangenen Monaten eingeredet, dass sie ihn verabscheute, und solange sie ihn hasste, fiel es ihr leichter, ihre Gefühle zu ignorieren. Dann konnte sie das kleine Zittern ignorieren, wenn er ihr zu nah kam, und das wohlige Ziehen zwischen den Beinen.

Sie war sich sicher gewesen, dass sie ihm nie etwas bedeutet hatte. Für ihn war sie nur Teil einer geschäftlichen Transaktion gewesen. Doch jetzt …

Sein Kuss hatte eine andere Sprache gesprochen. Er begehrte sie. Die Wölbung in seiner Hose war unmissverständlich gewesen. Allein der Gedanke daran ließ sie innerlich erbeben.

Sie schob ihm eine Zwiebel und ein paar Tomaten hin und erklärte ihm, wo er Schneidebrett und Messer fand.

„Die meisten Frauen würden sich über deinen Lebensstil freuen“, bemerkte Dio, während er unbeholfen mit den Tomaten hantierte.

„Du meinst, sie würden gern von Villa zu Villa tingeln und sich wie eine Haushälterin um jede Kleinigkeit kümmern, denn wehe, ein wichtiger Kunde entdeckt einen Fleck auf der Tischdecke?“

„Seit wann bist du so sarkastisch?“

„Das bin ich doch gar nicht!“

„Hör nicht damit auf. Ich finde es anregend.“

„Du hast gesagt, die meisten Frauen würden mich um meinen Lebensstil beneiden. Ich habe dir nur widersprochen.“

„Du würdest dich wundern, was Frauen alles auf sich nehmen, wenn nur der Preis stimmt.“

„Ich bin nicht so eine Frau.“ Lucy trat einen Schritt zur Seite, denn Dio war ihr immer näher gekommen. Angelegentlich beschäftigte sie sich mit dem Topf, in dem sie die Zutaten zusammenrührte.

Einen Moment fragte sich Dio, was für eine Art Frau sie wohl sein mochte, bis ihm wieder einfiel, dass er das nur zu gut wusste. Sie hatte sich mit ihrem Vater zusammengetan, um ihn in die Falle zu locken, damit ihr Vater der wohlverdienten Strafverfolgung entging.

Sollte sich herausstellen, dass diese Frau verborgene Tiefen hatte, dann war er gern bereit, sie auszuloten. Warum auch nicht? Im Augenblick fand er ihr Zusammensein wider Erwarten sehr vergnüglich.

„Was du da kochst, riecht gut“, sagte er deshalb, um die erstaunlich entspannte Stimmung zu erhalten.

„Wenn ich allein bin, koche ich gern“, gestand Lucy und freute sich über das kleine Lob.

„Du kochst selbst, obwohl du weißt, dass du jeden Wunsch frei Haus geliefert bekommen kannst?“, fragte er erstaunt.

Lucy musste lachen.

Dio erinnerte sich an dieses Lachen wie aus einem anderen Leben. Es war leise und zurückhaltend, als entschuldige sie sich zugleich dafür, dass sie überhaupt lachte. Früher hatte es in seinen Ohren immer sehr verführerisch geklungen.

„Also …“, begann er, als sie einander gegenüber vor ihren dampfenden Tellern saßen. „Sollen wir zu Ehren dieses seltenen Ereignisses unsere Gläser heben? Ich glaube nicht, dass wir während unserer Ehe schon einmal zusammen in dieser Küche gesessen haben.“

Nervös nippte Lucy an ihrem Wein. Die Situation drohte ihr aus den Händen zu gleiten. Mit wie vielen Frauen hat er wohl so intim zusammengesessen, während er angeblich glücklich mit mir verheiratet ist? Sie hatte nicht mit ihm geschlafen, aber sie war sich natürlich bewusst, dass Dio eine gesunde Libido hatte. Und er dürfte absolut keine Schwierigkeiten haben, Partnerinnen zur Erfüllung seiner Wünsche zu finden.

Sie hatte ihn nie gefragt, was er auf seinen vielen Auslandsreisen hinter ihrem Rücken tat. Ist mir doch egal, hatte sie sich eingeredet. Nun aber spürte sie einen Stich bei dem Gedanken an fremde Frauen in seinem Bett. Dabei hatte sie sich im Kopf viele gute Gründe zurechtgelegt, warum es besser war, sich von ihm zu trennen. Sie war seinem Charme einmal erlegen und wusste aus schmerzhafter Erfahrung, dass seine Versprechungen nichts bedeuteten.

„Das wird wohl daran liegen, dass wir gar keine richtige Ehe führen“, entgegnete sie vorsichtig. „Warum hätten wir also in der Küche sitzen und gemeinsam frühstücken sollen? So etwas tun nur echte Paare.“

Dios Lippen wurden schmal. „Und natürlich weißt du genau, was echte Paare tun. Dabei bist du diese Ehe eingegangen ohne die geringste Absicht, die eine Hälfte eines solchen Paars zu sein.“

„Ich glaube, wir haben beide nichts davon, wenn wir uns ständig über die Vergangenheit streiten. Wir sollten besser in die Zukunft blicken.“

„Und die Zukunft heißt für dich Scheidung?“

„Ich werde nicht für all dein Geld mit dir ins Bett gehen, Dio“, entgegnete Lucy entschlossen. Für einen winzigen Augenblick gestattete sie sich die Vorstellung, wie es wohl wäre, von ihm leidenschaftlich geliebt zu werden. Aber Liebe wäre das ganz sicher nicht, und Sex ohne Liebe kam für sie nicht infrage.

„Du entscheidest dich also für die Armut.“ Er schob seinen Teller von sich und drehte seinen Stuhl ein wenig, sodass er seine langen Beine zur Seite ausstrecken konnte.

„Ja, wenn es sein muss. Ich werde schon zurechtkommen. Ich …“

„Ja … was?“ Er sah sie aufmerksam an, als er das Zögern in ihrer Stimme bemerkte.

„Ich habe Pläne“, antwortete Lucy ausweichend. Sie wollte nicht mit ihm darüber reden, aus Angst, er könnte ihre zaghaften Gehversuche zunichtemachen.

„Was für Pläne?“, beharrte er jedoch.

„Nichts Großes oder Wichtiges. Ich muss mir selbst erst einmal klar darüber werden, welche Richtung mein Leben von hier aus nehmen soll.“ Sie stand hastig auf und begann, den Tisch abzuräumen, sorgfältig darauf bedacht, seinem Blick auszuweichen.

Dio sah zu, wie sie geschäftig in der Küche hin und her eilte, hier etwas abwischte, dort etwas wegräumte. Offenbar war ihr vor allem wichtig, dieses Gespräch nicht fortsetzen zu müssen.

Sie will mich also verlassen, und sie hat Pläne! In Dios Gedankenwelt konnte das nur eines bedeuten: Es gab einen Mann! Vielleicht keinen reichen, aber einen Mann, der im Hintergrund lauerte und sie in sein Bett bekommen wollte … sofern ihm das nicht bereits gelungen war. Ihre vorgetäuschte Ehe würde also durch ein Verhältnis ersetzt werden, das sie wahrscheinlich schon seit Monaten hinter seinem Rücken auslebte! Hat sie mich etwa schon von Anfang an betrogen und sich nur auf die Ehe eingelassen, um ihren Vater zu retten?

Es erstaunte Dio, dass Lucy einverstanden schien, ihn mit leeren Händen zu verlassen. Offenbar waren ihre sogenannten Pläne so verlockend, dass sie bereit war, auf ihr Luxusleben zu verzichten.

Als Erstes musste er herausfinden, was sie im Schilde führte. Das war einfach. Er konnte ihr entweder selbst nachspüren oder jemanden dafür anheuern. Er entschloss sich für die erste Option. Wozu jemand anders etwas tun lassen, was man selbst erledigen kann?

„Ich werde die nächsten Tage in New York verbringen“, sagte er abrupt, stand auf und ging zur Tür. Dort blieb er noch einmal kurz stehen und sah sich zu ihr um. „Solange du noch meinen Ring am Finger trägst, könnte ich darauf bestehen, dass du mich begleitest. Aber unter diesen besonderen Umständen kann ich darauf verzichten.“

„New York?“ Lucy sah ihn verwirrt an. „Ich kann mich nicht erinnern, dass New York in diesem Monat noch im Kalender steht.“

„Ich habe meine Pläne geändert“, informierte Dio sie kurz. Während er sie noch ansah, überlegte er bereits, was er in den nächsten Tagen unternehmen könnte, um ihr Geheimnis zu lüften. „Du kannst hierbleiben und über meinen Vorschlag nachdenken.“

„Das habe ich bereits getan. Mehr gibt es da nicht zu überlegen.“

„Dann bleibst du eben hier und denkst über die Konsequenzen nach.“

3. KAPITEL

Lucy hatte schon bessere Nächte verbracht. Sie sollte die Zeit damit verbringen, über die Konsequenzen nachzudenken, hatte Dio gesagt. Er hatte ihr das so kalt entgegengeschleudert, dass sie sich hatte beherrschen müssen, um ihn nicht laut anzuschreien.

Für Dio war diese Farce einer Ehe ein gutes Geschäft. Er brauchte eine Frau zum Repräsentieren an seiner Seite, und sie erfüllte dafür alle Voraussetzungen. Ihr Vater hatte ihr immer wieder eingeschärft, dass es ihre Pflicht war, diese Rolle zu spielen. Andernfalls habe ihr Mann es in der Hand, die Familie zu ruinieren. Das war Erpressung, und sie hatte funktioniert. Lucy hatte ihre Rolle perfekt ausgefüllt.

Schon am Tag nach ihrer Hochzeit war Dio geschäftlich auf die andere Seite der Welt geflogen. Für die Zeit seiner Abwesenheit hatte er genaue Instruktionen hinterlassen, wie Lucy sich mit der Hilfe eines Personal Coachs auf ihre Aufgabe vorbereiten sollte. Wie eine Marionette hatte sie sich manövrieren lassen, bis sie genau dem Bild entsprach, das die Öffentlichkeit von ihr erwartete. Sie hatte an Dios Seite die strahlende Gastgeberin gespielt und sich ansonsten zurückgezogen und ihr Leben in Einsamkeit geführt.

Ihr Ehemann hatte kommentarlos zur Kenntnis genommen, dass sie sich ihm in der Hochzeitsnacht verweigerte, und war seinen Geschäften nachgegangen. Für Lucy reichte das als Beweis, dass er sie von Anfang an nur benutzt hatte. Er hatte eine Frau gesucht, die sich souverän im Kreis der Reichen und Schönen bewegte. Und genau die hatte er mit Lucy bekommen, denn sie war in solchen Kreisen aufgewachsen.

Frauen, zu denen er sich hingezogen fühlte, waren in ihrer Vorstellung ihr komplettes Gegenteil. Sie stellte ihn sich mit dunkelhaarigen, vollbusigen Sirenen vor, die willig seine körperlichen Bedürfnisse befriedigten. Solche Frauen eigneten sich nicht zum Repräsentieren in feinen Kreisen. Also hatte er sie als willkommene Beigabe zum Geschäft mit ihrem Vater erworben.

Aber nun auf einmal wollte er mehr von ihr. Seit sie ihren Wunsch nach Scheidung ausgesprochen hatte, wollte er seine Besitzansprüche geltend machen. Er hatte sogar deutlich gemacht, für welchen begrenzten Zeitraum er von ihr die Erfüllung der ehelichen Pflichten verlangte.

Konnte es eine größere Beleidigung geben? Er ging davon aus, dass er binnen weniger Wochen von ihr gelangweilt sein würde! Noch jetzt brannte ihr Gesicht vor Scham, wenn sie daran dachte. Lucy verabscheute Dio, und doch wurde sie im Schlaf von ganz anderen Bildern geplagt. Sie träumte davon, dass er mit ihr schlief. Dass er sie an Stellen berührte, die nie zuvor berührt worden waren, und ihr zärtliche Liebkosungen ins Ohr flüsterte.

Die ganze Nacht hatte sie sich unruhig im Halbschlaf hin und her gewälzt. Am nächsten Morgen erwachte sie in einem leeren Haus. Dio war nach New York abgereist.

Seine Abwesenheit erlaubte ihr Ausflüge in die Freiheit. Also zog sie sich an, erledigte ein paar Telefongespräche und machte sich auf den Weg.

Sekunden nachdem die Haustür hinter Lucy ins Schloss gefallen war, erhielt Dio eine Benachrichtigung. Er war gerade mitten in einer Telefonkonferenz, aber diese Mitteilung war ihm wichtiger.

„Wenn sie irgendwo anhält, geben Sie mir Bescheid. Ich will wissen, wo sie hinfährt und mit wem sie sich trifft“, wies er seinen Informanten an.

Am Schreibtisch hielt er es jetzt nicht mehr aus. Unruhig tigerte er in seinem Büro hin und her, bis er schließlich vor einem Fenster stehenblieb. Es reichte vom Boden bis zur Decke und gewährte einen traumhaften Ausblick über die Stadt.

Die ganze Nacht hatte er über Lucys Wunsch nachgedacht, aber noch immer war es ihm unbegreiflich. Sie wollte ihn verlassen! Sie war die einzige Frau, die sich ihm jemals verweigert hatte. Natürlich war es undenkbar, sie mit Gewalt in sein Bett zu zwingen. Niemals wäre er in der Lage, ihr auch nur ein Haar zu krümmen. Jede andere Frau konnte er mit seinem Charme gewinnen, doch bei Lucy verbot ihm sein Stolz, weiterhin um sie zu werben.

Doch nun hatte sich die Situation dramatisch verändert, und es wurde Zeit zu handeln. Er musste wissen, was sie in seiner Abwesenheit trieb. Der Gedanke, dass sie ihn möglicherweise die ganze Zeit über mit einem anderen Mann betrogen hatte, ließ ihn vor Wut schäumen. Als er die Übernahme von Robert Bishops Firma geplant hatte, hatte er sich den Verlauf der Dinge ganz anders vorgestellt. Er hatte die Firma mit einem sorgfältig vorbereiteten Handstreich einkassieren und den Mann zum Teufel schicken wollen. Komplikationen mit dessen Tochter waren nicht vorgesehen gewesen.

Obwohl er sich gewöhnlich nicht lange mit der Vergangenheit aufhielt, gestattete Dio sich jetzt die Erinnerung an die Ereignisse, die ihn schließlich auf seinen Rachefeldzug geführt hatten. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater Tag für Tag für einen Hungerlohn geschuftet hatte, während seine Mutter in den Häusern anderer Leute putzen ging, damit die Familie einigermaßen über die Runden kam.

Den größten Teil der Geschichte aber hatte er von seiner Mutter gehört, nachdem sein Vater seinen langen Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Erst da hatte er erfahren, wie übel seinem Vater mitgespielt worden war. Als Kind armer Einwanderer mit brillantem Verstand hatte er Robert Bishop während des Studiums kennengelernt. Lucys Vater hatte nur so getan, als würde er studieren und stattdessen seine Zeit auf wilden Partys verbracht. Weil er aus einer reichen Familie stammte, konnte er sich eines hochdotierten Jobs sicher sein. Da das Familienunternehmen aber bereits erste finanzielle Verluste verzeichnete, war ihm klar, dass er andere Erwerbswege finden musste, wenn er den liebgewordenen Lebensstil beibehalten wollte.

Für Robert Bishop war die Begegnung mit Mario Ruiz ein Glückstreffer. Er hatte sich den armen, aber genialen Kommilitonen mit kleinen Zuwendungen gewogen gemacht. Als dieser später einige wichtige Erfindungen machte, rettete Bishop damit das schlingernde Familienunternehmen. Und der Erfinder? Bittere Galle stieg in Dio auf, wenn er daran dachte, wie sein Vater betrogen worden war.

Mario Ruiz hatte naiv einen Vertrag unterzeichnet, der nicht das Papier wert war, auf dem er geschrieben war. Damit hatte er seine Rechte aus der Hand gegeben. Als er schließlich argwöhnisch wurde und Robert Bishop darauf ansprach, versuchte dieser nur, ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Von den beträchtlichen Summen, die seine Patente einbrachten, hatte er nicht einen einzigen Penny gesehen.

Die Geschichte war so ungeheuerlich, dass Dio sie kaum glauben konnte. Erst nach dem Tod seiner Mutter hatte er im Nachlass seiner Eltern untrügliche Beweise entdeckt. Robert Bishop zu ruinieren, war viele Jahre lang sein Antrieb gewesen … bis die unschuldige Schönheit von Lucy Bishop seinen Plan ins Wanken brachte. Er hatte gezögert und war Kompromisse eingegangen, bis er feststellen musste, dass seine Rache nur zur Hälfte gelungen war. Denn er hatte zwar die Firma bekommen, aber nicht den Mann, und er hatte die Frau, aber nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.

Nun war er gespannt, wie sich diese Geschichte entwickelte. Und ganz gewiss wollte er nicht nach Lucys Regeln mitspielen.

Auf dem Weg aus dem Büro warf er seiner Sekretärin beiläufig zu, dass er in den nächsten Stunden nicht erreichbar sei. „Denken Sie sich Ausreden aus, wie Sie wollen“, schloss er und sah sie mit einem verschmitzten Lächeln an. „Betrachten Sie es als Ihren Ausflug in ein gefährliches Leben.“

„Ich lebe jeden Morgen gefährlich, wenn ich dieses Büro betrete“, gab seine überaus tüchtige, mittelalte Sekretärin unbeeindruckt zurück. „Sie haben keine Ahnung, was es heißt, für Sie zu arbeiten!“

Dio kannte sich in den Straßen Londons fast so gut aus wie sein Fahrer, doch für die angegebene Adresse musste er doch sein Navi benutzen. Sein Ziel lag irgendwo in East London. Er hatte keine Ahnung, wie es Jackson gelungen war, Lucy zu folgen. Wahrscheinlich hatte er den Wagen stehen gelassen und die gleichen öffentlichen Verkehrsmittel benutzt wie sie. Da er nicht der Fahrer war, der sie gewöhnlich zu Wohltätigkeitsveranstaltungen oder anderen gesellschaftlichen Ereignissen brachte, dürfte sie ihn auch nicht erkannt haben.

Dio war froh, dass er Jackson engagiert hatte. Er war vertrauenswürdig und bestens geeignet für all die kleinen Aufträge, die man besser nicht an die große Glocke hängte.

Dass Lucy mit Bus und U-Bahn gefahren war, erstaunte ihn sehr. Robert Bishop hatte seiner Tochter bestimmt nie erlaubt, so nah mit dem gemeinen Volk in Berührung zu kommen. Als Snob war ihr Vater nicht zu überbieten gewesen.

Er fragte sich, ob das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel mit Lucys plötzlicher Abneigung gegen alles zu tun hatte, was mit Geld zusammenhing. Wie lange würde sie sich wohl darin gefallen, nichts auf die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens zu geben? Es war eine Sache, dem schnöden Mammon abzuschwören, eine andere, auf das Leben in einer Villa im besten Stadtteil von London zu verzichten.

Bei dem Gedanken verzog Dio verächtlich das Gesicht. Sie war nun einmal die Tochter ihres Vaters, und Bescheidenheit hatte der ihr bestimmt nicht beigebracht.

Er umfuhr das ständig verstopfte Zentrum der Stadt und fand sich dennoch in endlosem Stop-and-go-Verkehr zwischen Ampeln und Fußgängerüberwegen. Es war schon nach elf, als er endlich vor einem unscheinbaren Gebäude inmitten einer Reihe kleiner Läden hielt.

Dio sah ein Wettbüro, einen indischen Schnellimbiss, einen Waschsalon, mehrere kleine Geschäfte und schließlich am Ende der Reihe ein dreistöckiges altes Gebäude mit einer blauen Tür. Schon wollte er Jackson anrufen und fragen, ob er ihm die falsche Adresse durchgegeben hatte. Doch er unterdrückte den Impuls. Stattdessen stieg er aus dem Wagen und betrachtete minutenlang das Haus. Die blaue Farbe an der Tür begann abzublättern, und alle Fenster waren trotz des sonnigen Tages geschlossen.

Das Geläut der Türglocke schien durch das ganze Haus zu dringen. Gleich darauf waren Fußschritte zu hören, und die Tür wurde einen Spalt geöffnet. Die Sicherheitskette blieb eingehakt.

„Dio!“ Lucy traute ihren Augen kaum. Sie wähnte ihren ungeliebten Ehemann meilenweit entfernt, doch der Mann, der so bedrohlich vor der Tür stand, war eindeutig keine Halluzination.

Hinter sich hörte sie Mark mit seinem weichen walisischen Akzent fragen: „Wer ist da, Lucy?“

„Niemand!“ Das waren die ersten Worte, die ihr in den Sinn kamen, und Dios Blick verriet, dass sie genau das Falsche gesagt hatte.

„Niemand?“ Dios Stimme klang leise, aber eisig kalt. Er hatte die Hand auf die Türklinke gelegt.

„Was machst du denn hier? Du wolltest doch nach New York.“

„Wer ist der Mann, Lucy?“

„Bist du mir etwa gefolgt?“

„Beantworte einfach meine Frage. Wenn nicht, werde ich die Tür aufbrechen und es selbst herausfinden.“

„Du solltest nicht hier sein! Ich …“ Sie fühlte, dass Mark hinter sie getreten war und durch den Türspalt zu erkennen versuchte, mit wem Lucy sprach. Mit zitternden Fingern löste sie die Sicherheitskette von der Tür.

Dio beglückwünschte sich selbst zu der erstaunlichen Selbstbeherrschung, mit der er das Haus betrat. Im Gegensatz zu dem pflegebedürftigen Äußeren waren die Wände im Inneren hell gestrichen. Die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt, betrachtete er den Mann an Lucys Seite mit finsterer Miene.

„Wer sind Sie, und was zum Teufel haben Sie mit meiner Frau zu schaffen?“, fragte er mit gefährlich leiser Stimme.

Der Mann vor ihm war fast einen halben Kopf kleiner und von zierlicher Gestalt. Dio war sich sicher, dass er ihn mit einem Fingerstoß zu Boden bringen könnte, und am liebsten hätte er genau das getan. In dem Stadtteil, in dem er aufgewachsen war, hatte er gelernt, sich auch mit Fäusten durchzusetzen. Andererseits hatte er auch begriffen, dass es häufig besser war, wenn man nicht selbst die Schlägerei begann.

„Lucy, soll ich euch beide allein lassen, damit ihr reden könnt?“, fragte der andere statt einer Antwort an Dio.

„Dio, das ist Mark“, versuchte Lucy es noch mit einer höflichen Floskel, doch dann bemerkte sie das wütende Glitzern in den Augen ihres Mannes. Sie wusste, in welchem Umfeld er aufgewachsen war und wie dort in der Regel Konflikte gelöst wurden. Vermutlich war es tatsächlich am besten, wenn Mark sich zurückzog. Vielleicht war es an der Zeit, ihre Karten auf den Tisch zu legen und Dio alles zu erklären, bevor er mit den Fäusten auf Mark losging.

„Ich würde Ihnen ja die Hand schütteln“, fauchte Dio wütend, „aber wahrscheinlich würde ich sie Ihnen brechen. Also schlage ich vor, dass Sie Ihrem eigenen Vorschlag folgen und verschwinden. Und kommen Sie nicht zurück, ehe ich es Ihnen erlaube.“

„Dio, bitte …“, bat Lucy und schob sich zwischen die beiden Männer. „Es ist nicht so, wie du denkst.“

„Ich könnte den Kerl zu Brei schlagen“, erklärte Dio unbeeindruckt, „ohne einen Tropfen von meinem eigenen Blut zu vergießen.“

„Und darauf wärst du dann auch noch stolz, oder?“

„Stolz vielleicht nicht, aber sehr befriedigt. Also …“ Er sah den Mann hinter Lucy drohend an. „Sie verschwinden jetzt entweder, oder Sie kommen aus Ihrem Versteck hinter meiner Frau hervor und stellen sich wie ein Mann!“

Lucy legte ihre Hand beruhigend auf Dios Arm. Dann wandte sie sich zu Mark. „Ich rufe dich später an, o. k.?“

In Dios Kopf wirbelten Bilder von diesem schmächtigen Typen mit Lucy. Am liebsten hätte er die Situation auf die unter Männern übliche Weise geklärt. Aber was würde er damit beweisen? Trotz seiner Herkunft war er nie ein Schläger gewesen.

Als die Haustür ins Schloss fiel, begann er sich zu beruhigen. Erst jetzt bemerkte er, was ihm beim ersten Blick auf Lucy hätte auffallen müssen. Vor ihm stand nicht die teuer gestylte Vorzeigefrau. Verschwunden waren die Designerklamotten, der teure Schmuck und sogar die teure Uhr, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.

Er sah sie verwirrt an. Sie trug ein schlichtes weißes T-Shirt zu einer ausgeblichenen Jeans und Turnschuhen. Das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie sah so jung und sexy aus, dass sein ganzer Körper unmittelbar darauf reagierte.

Lucy spürte die Veränderung in der Atmosphäre, obwohl sie nicht verstand, woher sie kam. Die Stimmung war gereizt, aber sie war durchsetzt mit einer elektrisierenden Ladung, die ihr Herz schneller schlagen ließ.

„Willst du mir jetzt zuhören, damit ich es dir erklären kann?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, damit er nicht sah, wie sich ihre plötzlich erregten Brustwarzen durch den dünnen Stoff des T-Shirts abzeichneten.

„Was für ein Märchen wirst du mir denn erzählen?“

„Das habe ich nie getan, und damit werde ich jetzt auch nicht anfangen!“

„Das werden wir ja sehen. Hast du eine Affäre mit diesem Kerl?“

„Nein!“

Dio trat einen Schritt auf sie zu. „Du bist meine Frau!“ Die Bilder ließen sich einfach nicht aus seinem Kopf vertreiben.

Lucy wich seinem Blick aus. Ihr Atem ging schnell. Zu ihrem eigenen Entsetzen merkte sie, dass sie trotz Dios drohender Haltung schrecklich erregt war. In ihrem Inneren schien eine geheime Tür geöffnet worden zu sein, die sich nun nicht mehr schließen ließ. Und sie hatte Angst vor den Gespenstern, die sich dahinter verbargen.

Obwohl sie kein Wort gesagt hatte, hob Dio die Hand, als wolle er ihren Redefluss unterbrechen. „Und komm mir nicht damit, dass du nur auf dem Papier meine Frau bist. Lass mich jetzt nicht herausfinden, dass du mich die ganze Zeit hintergangen hast!“

„Wo wäre denn da der Unterschied?“, schleuderte sie ihm entgegen. Seine Unterstellung machte sie wütend. „Du betrügst mich doch ständig!“

„Wie kannst du so etwas behaupten?“, brauste Dio auf.

Lucy sah ihn erstaunt an. Hat er wirklich in der ganzen Zeit unserer Ehe mit keiner anderen Frau geschlafen? Erstaunlicherweise verspürte sie bei diesem Gedanken große Erleichterung. Sie war fest davon überzeugt gewesen, dass er sich das sinnliche Vergnügen, das sie ihm verweigerte, bei anderen Frauen geholt hatte.

Nur zu gern hätte sie nachgefragt, ob er wirklich die Wahrheit sagte. Und wenn es so war … warum.

„Also!“ Dios donnernde Stimme durchbrach ihre Gedanken und brachte sie in die Realität zurück. Vor ihr stand ihr aufgebrachter Ehemann. Er hatte das Geheimnis entdeckt, das sie in den letzten Monaten so sorgfältig gehütet hatte. „Wer zum Teufel ist dieser Kerl?“

„Hör bitte auf zu schreien, Dio. Ich werde dir alles erklären.“ Lucy war sich nicht sicher, wie er auf ihre Eröffnung reagieren würde.

„Ich warte! Und bleib lieber bei der Wahrheit!“

„Oder sonst?“

„Das willst du gar nicht wissen.“

„Ach hör auf, dich wie ein Neandertaler aufzuführen, und komm mit.“

„Neandertaler? Du solltest mich erleben, wenn ich richtig wütend bin!“

Einen Moment starrten sie einander stumm an.

„Komm einfach mit“, forderte Lucy ihn dann leise auf. Sie wandte sich um und trat zu einer Tür neben der nach oben führenden Treppe. Zögernd folgte Dio ihr.

„Da, sieh selbst!“ Lucy trat zur Seite und ließ ihn an sich vorbei in den Raum treten. Verwirrt sah Dio sich um. Vor sich sah er kleine Pulte, mit Büchern überladene niedrige Regale, eine Schultafel und Unmengen Poster an den Wänden.

„Ich verstehe nicht …“, gestand er, nachdem er sich einmal um die eigene Achse gedreht hatte.

„Es ist ein Klassenzimmer!“ Nur mühsam unterdrückte Lucy das Verlangen, ihn anzuschreien. Wie kann dieser Mann nur so engstirnig sein, dass er nichts begreift, was außerhalb seiner Welt geschieht?

„Warum triffst du dich mit einem Mann in einem Klassenzimmer?“

„Ich treffe mich nicht mit einem Mann in einem Klassenzimmer!“

„Willst du mir etwa einreden, dass ich mir diesen Loser, den ich gerade fortgejagt habe, nur einbilde?“

„Natürlich nicht! Also gut, ich habe mich in den letzten Monaten hier mit Mark getroffen.“

„Das geht also schon seit Monaten so?“ Er sah sie ungläubig an. Immerhin war sein Blutdruck langsam wieder einigermaßen normal. Er wusste nicht, warum, aber er war inzwischen überzeugt, dass sie tatsächlich keine Affäre mit dem anderen hatte. Aber natürlich musste er herausfinden, um was es in Wirklichkeit ging.

„Bitte, Dio, setz dich hin und hör mir zu.“

„Ich bin ganz Ohr und gespannt zu hören, womit sich meine Frau beschäftigt, wenn ich außer Landes bin.“

Er ließ sich auf einem der kleinen Stühle nieder, der unter seiner großen Gestalt fast verschwand. Obwohl er jetzt saß, umgab ihn noch immer eine bedrohliche Aura.

„Hast du das geplant?“, fragte sie plötzlich argwöhnisch. „Hast du nur vorgetäuscht, nach New York zu müssen, um mir nachzuspionieren?“

„Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“, entgegnete Dio ungerührt. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie ihn der Lüge bezichtigt hatte. „Allerdings bin genaugenommen nicht ich dir gefolgt, sondern Jackson, einer meiner Mitarbeiter. Nachdem er deinen Aufenthaltsort kannte, musste ich nur noch selbst kommen und herausfinden, was hier vor sich geht.“

„Das ist genauso, als hättest du mir selbst nachgeschnüffelt!“, entgegnete Lucy vorwurfsvoll.

„Es ist sogar besser, denn ich nehme an, du hast die U-Bahn und den Bus genommen, um hierherzukommen. Es wäre schwierig gewesen, mit dir im selben Bus zu fahren, ohne von dir bemerkt zu werden.“

„Aber warum? Warum gerade jetzt?“

„Kannst du dir das nicht denken, Lucy?“

„Du hast dich doch sonst auch nicht darum gekümmert, was ich während deiner Abwesenheit mache!“

„Bisher habe ich auch nicht damit gerechnet, dass sich meine Frau mit einem anderen Kerl herumtreibt, wenn ich nicht hinsehe. Ich wusste nicht, dass ich dich besser vierundzwanzig Stunden am Tag hätte bewachen lassen.“

„Das ist auch nicht nötig! Und das war es nie!“ Ihr wurde plötzlich klar, wie sehr er ihr in der Vergangenheit vertraut hatte. Sie wusste von genügend anderen Ehefrauen ähnlich reicher Männer, die ständig von Bodyguards bewacht wurden und sich keine Minute lang frei fühlten. Dio hatte das als paranoides Verhalten arroganter alter Säcke abgetan, die ständig fürchteten, der Rest der Welt wollte ihnen etwas wegnehmen. Dass er jetzt annehmen musste, sie habe sein Vertrauen missbraucht, schmerzte sie. So sehr sie ihn auch verabscheute, würde sie ihn niemals mit einem anderen Mann betrügen, solange sie noch an ihn gebunden war.

Plötzlich war es ihr sehr wichtig, dass er ihr glaubte. „Ich hätte dich niemals hintergangen, Dio“, beteuerte sie. „Mark und ich sind lediglich Arbeitskollegen.“

„Wie bitte?“

„Ich habe im Internet eine Seite gefunden, auf der man alles Mögliche aus dieser Region findet. Manche bieten gebrauchte Möbel an, andere suchen eine Wohnung oder Mitglieder für einen neugegründeten Club. Mark hat gepostet, dass er jemanden sucht, der den benachteiligten Kindern in dieser Gegend Nachhilfe in Mathematik gibt. Auf diese Anzeige habe ich geantwortet.“

Dio sah sie mit großen Augen an. Er schien das Gehörte kaum glauben zu können.

„Ich habe dir doch erzählt, dass ich immer schon gern unterrichtet hätte“, erinnerte Lucy ihn.

„Und ich wollte Feuerwehrmann werden, als ich acht war. Die Phase hat nicht lange gedauert.“

„Das ist nicht dasselbe!“

„Warum hast du mich überhaupt geheiratet, wenn du viel lieber benachteiligte Kinder unterrichtest?“

„Ich glaube, ich hatte keine andere Wahl“, entgegnete Lucy hitzig.

„Wir haben immer eine Wahl“, entgegnete Dio genauso aufgebracht.

„Wenn es um die eigene Familie geht, sind die Wahlmöglichkeiten mitunter sehr eingeschränkt.“

Die unterschwellige Botschaft verstand er sehr wohl. Sie hatte unmöglich zulassen können, dass ihr Vater für seine Niedertracht und Gier ins Gefängnis wanderte. Stattdessen hatte sie ihre eigenen Träume und Ziele aufgegeben. Allerdings war Daddys Rettung ihr finanziell aufs Angenehmste versüßt worden.

„Und jetzt, glaubst du, stehen dir alle Optionen offen, und du kannst machen, was du willst?“

„Du musst gar nicht zynisch werden, Dio! Hast du denn keine Träume, die du immer schon verwirklichen wolltest?“

„Im Moment träume ich davon, endlich die Hochzeitsnacht nachzuholen, die du mir verweigert hast!“ Damals war er auf ihr scheinbar so unschuldiges Wesen hereingefallen. Noch einmal würde ihm das nicht passieren. Das Märchen vom kleinen reichen Frauchen mit dem dringenden Bedürfnis, den Armen und Bedürftigen zu helfen, nahm er ihr nicht ab.

„Du bist gar nicht daran interessiert, mehr über dieses Haus zu hören, nicht wahr?“, fragte Lucy enttäuscht. „Als ich dich um die Scheidung gebeten habe, wolltest du auch nicht wissen, warum.“

„Soll ich dich jetzt danach fragen?“ Dio sah sie spöttisch an.

Lucy musste ein paarmal tief Luft holen, um sich zu beruhigen. Dio konnte so starrsinnig sein, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er dachte jetzt das Schlechteste von ihr und würde sich nicht davon abbringen lassen, ganz gleich, was sie ihm erzählte. Er wollte einfach nicht begreifen, dass nicht sie sich ihn geangelt hatte, sondern er sie aus den falschen Gründen geheiratet hatte.

„Zahlt man hier wenigstens genug, damit du nicht verhungern musst?“ Er machte eine weit ausladende Geste, die das kleine Klassenzimmer winzig erscheinen ließ. Dabei sah er sie unverwandt an.

Lucy war den Tränen nahe. „Hier wird niemand bezahlt. Es ist rein ehrenamtliche Arbeit.“

„Ach? Und in welcher Beziehung stehst du zu dem Kerl, der sich fast in die Hosen gemacht hätte?“

„Das hat er überhaupt nicht!“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

„Du bist so schrecklich eingebildet, Dio!“

„Ich will nur wissen, ob meine Frau etwas mit einem Typen hat, den sie im Internet aufgegabelt hat.“

Er klang jetzt ganz ruhig, doch Lucy hörte die Härte in seiner Stimme. Einen Moment fragte sie sich, ob nicht eine Spur Eifersucht in seinem besitzergreifenden Gehabe lag. Das war eine irritierende Vorstellung. Hastig verbannte sie diesen Gedanken aus ihrem Kopf, bevor er dort Unheil anrichten konnte.

„Ich habe kein Verhältnis mit Mark“, erklärte sie. „Allerdings ist er genau die Art von Mann, die mir gut gefallen würde.“

„Was soll das denn heißen?“, fuhr Dio auf.

„Ich meine damit, dass er ein wirklich netter Mensch ist. Er ist freundlich, rücksichtsvoll, einfühlsam, und die Kinder lieben ihn.“

„Klingt ja großartig!“

„Ja“, erwiderte Lucy. „Außerdem hat er viel Humor und bringt mich oft zum Lachen.“

„Und ich nicht?“

„Wir haben schon eine Ewigkeit nicht mehr miteinander gelacht.“

Von plötzlicher Unruhe getrieben stand Dio auf und ging in dem Raum hin und her. Diesmal nahm er seine Umgebung wirklich wahr. Er war tatsächlich in einem Klassenzimmer! Er nahm ein Übungsheft von einem der Tische und erkannte Lucys Handschrift in den Korrekturen und Bemerkungen.

„Du bist also nicht in diesen armseligen Lehrer verliebt“, stellte er schließlich fest. „Und beruht das auf Gegenseitigkeit?“

Für einen Augenblick erwog Lucy, alle Achtung in den Wind zu schlagen und ihm zu gestehen, dass der armselige Lehrer ganz verrückt nach ihr war. Eine dunkle Seite in ihr verlangte danach, die Eifersucht in seinem Blick zu sehen. Aber dann verwarf sie den verwegenen Gedanken.

„Mark interessiert sich nicht für Frauen“, log sie stattdessen. „Du weißt schon, was ich meine. Er ist glücklich mit seinem Partner, der in einer Anwaltskanzlei in Kent arbeitet. Wir sind nur gute Freunde.“

Dio entspannte sich. Es war ein unerträglicher Gedanke gewesen, dass Lucy sich hinter seinem Rücken mit einem anderen Mann eingelassen hatte. Ebenso unerträglich war die Vorstellung, dass er sie gehen lassen sollte, ohne den Preis einzufordern, mit dem sie die Rettung ihres Vaters erkauft hatte.

Sie wusste es vielleicht nicht, aber sie war seine größte Schwäche. Die vermeintliche Bedrohung durch einen anderen Mann hatte ihm klargemacht, dass es Zeit zum Handeln war. Bisher hatte er sich von seinem Stolz leiten lassen. Er hatte sich und ihr nicht eingestehen wollen, wie sehr er sie begehrte. Damit musste nun Schluss sein. Das war ihm hier klar geworden, wo er sie ohne Make-up und ohne ihre Designerkleidung in ihrer natürlichen Schönheit vor sich sah. Der Lehrer mochte vielleicht schwul sein, aber allein, dass er sie täglich so sah, war schon zu viel für Dio.

Er betrachtete Lucy lange, bis er die Röte in ihrem Gesicht aufsteigen sah. Als sie sich verlegen abwand, ließ er den Blick tiefer gleiten. Als sähe er sie zum ersten Mal, bewunderte er die schlanke Gestalt in der engen Jeans und dem knappen T-Shirt mit den herrlichen Rundungen darunter.

„Also gut“, stellte er fest, „wenigstens hast du mich nicht mit einem anderen Kerl betrogen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Du gefällst mir so.“

„Wovon redest du?“

„So schlicht und einfach. So sexy!“

Lucy errötete noch mehr. Sie spürte, wie ihr ganzer Körper auf diese unerwartete Aufmerksamkeit reagierte.

„Ich habe dir doch gesagt, ich bin nicht interessiert.“ Sie wollte ihn klar und deutlich in die Schranken weisen, hörte aber selbst die kleine Unsicherheit in ihrer Stimme. Sein triumphierendes Lächeln verriet, dass er sie ebenfalls bemerkt hatte.

Sie richtete sich kerzengerade auf und machte einen neuen Versuch. „Ich will mir ein eigenes Leben aufbauen, Dio. Ein wirkliches, echtes Leben. Mein Leben. Ich bin es leid, dauernd belanglose Gespräche mit Leuten zu führen, mit denen ich gar nicht reden möchte, oder mich mit Kleidern zu schmücken, die ich nicht tragen will.“

„Das hört sich sehr löblich an.“ Dio neigte den Kopf und sah sie prüfend an. „Du willst also weiter hier ehrenamtlich arbeiten?“

„Wie gesagt, Geld ist nicht alles auf der Welt.“

„Aber du bist überhaupt nicht als Lehrerin ausgebildet, oder?“

„Das hole ich so bald wie möglich nach, und die Arbeit hier wird mir dabei eine unschätzbare Erfahrung sein.“

„Dieses Haus ist doch nur eine Bruchbude. Ich bezweifle, dass es noch steht, bis du deine Ausbildung beendet hast. Du hast es vielleicht noch nicht bemerkt, aber hier ist Schimmel in den Wänden, und ich wette, die Rohrleitungen stammen noch aus dem Mittelalter.“

„Mark tut, was er kann, um Geld für die Renovierung aufzutreiben.“ Lucy schwieg eine Weile, und Dio nickte. Er verstand, was sie meinte und nur nicht auszusprechen wagte.

In schlechten Zeiten trennten sich gerade die Reichen nur ungern von ihrem Geld, und die Armen, deren Kindern hier geholfen werden sollte, hatten nicht viel, wovon sie sich trennen könnten. Dieses Gebäude würde früher oder später in sich zusammenfallen, und so sehr dieser Mark sich auch anstrengen mochte, er würde es nicht aufhalten können.

„Ich wusste gar nicht, dass du so daran interessiert bist, Gutes für die Gesellschaft zu tun“, meinte Dio. „Vielleicht kann ich dir ja dabei helfen.“

„Wie meinst du das?“ Lucy hatte sich gerade vorgestellt, wie ihr Vater wohl auf ihre ehrenamtliche Tätigkeit reagiert hätte. Er wäre entsetzt gewesen. In seinem Weltbild gaben sich Frauen nicht mit Menschen von niederem Status ab. Einen einträglichen Job in einem schicken Auktionshaus hätte er vielleicht akzeptiert. Aber Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen Mathematik beibringen? Niemals!

Der Gedanke, dass den Kindern diese Hilfe eines Tages genommen werden könnte, zerriss ihr fast das Herz. Sie engagierte sich noch nicht lange in dem Projekt, aber sie wusste, dass Mark sein Herz und seine Seele investiert hatte. Die Kinder würden am meisten darunter leiden, wenn dieses Gebäude nicht zu retten war.

„Du willst dich von mir scheiden lassen, nachdem du dich mir unsere ganze Ehe lang verweigert hast“, stellte Dio unverblümt fest. Er gab sich keine Mühe, die nackte Wahrheit zu kaschieren. „Gleichzeitig möchtest du, dass dieses Gebäude instand gesetzt wird? Dass eine gut funktionierende Einrichtung daraus wird?“

Er sah sie herausfordernd an. „Du weißt, ich will dich in meinem Bett. Ich wäre bereit, mich das etwas kosten zu lassen.“

4. KAPITEL

Lucy war entsetzt.

„Wie kannst du so etwas vorschlagen?“, fragte sie entrüstet. „Ist das neuerdings dein Niveau?“

Dio neigte den Kopf und sah sie lächelnd an. „Ich betrachte es als eine Form von Überredung.“

„Ich kann nicht glauben, was du da sagst.“

„Du bist meine Frau.“ Er sagte das in einem Tonfall, als gäbe es daran nichts zu rütteln. „Als du dir deinen kleinen Plan ausgedacht hast, einfach aus meinem Leben zu verschwinden, musst dir doch klar gewesen sein, dass ich dem nicht einfach tatenlos zusehe. Du solltest mich besser kennen, Lucy. Seit wann gebe ich kampflos verloren, was mir gehört?“

Nervös schob Lucy die Schulbücher auf dem Pult vor sich von einer Seite auf die andere. Sie kam sich vor wie eine Lehrerin vor einem aufsässigen Schüler. Allerdings waren die Größenverhältnisse verkehrt.

„Also?“, drängte er.

„Ich finde es einfach nicht in Ordnung, dass du mit dem Wohlergehen der Kinder spielst, für die diese Schule die einzige Chance im Leben ist.“

„Ich stelle niemandes Wohlergehen aufs Spiel. Du tust das.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. Eigentlich hatte er erwartet, im Lauf des Tages ins Büro zurückzukehren und war entsprechend gekleidet. Doch wie die Dinge lagen, kam ihm sein Büro im Moment unendlich weit entfernt vor. Erwartungsvoll lächelte er Lucy an.

Lucy wurde schwindlig. Dieses Lächeln! Es verwandelte schlagartig die harten, abweisenden Züge seines Gesichts. Und es erinnerte sie an die glücklichen Stunden, in denen sein Charme sie verzaubert hatte, bis sie sich vorkam, als könnte sie auf Wolken wandeln. Damals hatte sie mit angehaltenem Atem nur von einem Treffen zum nächsten gelebt. Heute schien es ihr unvorstellbar, mit ihm ins Bett zu gehen. Oder?

Sie hasste Dio dafür, dass er ihre Ehe wie ein gutes Geschäft mit ihrem Vater ausgehandelt hatte. Und sie fand es abscheulich, dass er sie bei gesellschaftlichen Anlässen wie ein Schmuckstück zur Schau stellte, nur um sie anschließend wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen, wenn er sie nicht mehr brauchte.

Erschrocken musste sie aber erkennen, dass er sie immer noch innerlich berührte und Gefühle in ihr weckte, die sie fast schon vergessen hatte. Sie hatte panische Angst davor, dass er sie erneut mit seinem Charme verführte. Lucy begriff, dass sie sich innerlich bei Weitem nicht so weit von ihrem Ehemann entfernt hatte, wie sie ihn glauben machen wollte. Das kurze verführerische Lächeln hatte genügt, um ihr diese unwillkommene Tatsache vor Augen zu führen.

Dio stand unvermittelt auf und streckte sich. „Ich kann hier nicht länger sitzen. Diese Stühle sind viel zu klein. Meine Gelenke sind wie abgestorben. Zeig mir, was es hier zu sehen gibt. Wenn ich diese Bruchbude sanieren soll, verschaffe ich mir am besten gleich einen Überblick, was alles getan werden muss.“

Stumm presste Lucy die Lippen zusammen. Will er mich zu einer unüberlegten Antwort verleiten, oder ist er bereits überzeugt, seinen Willen durchgesetzt zu haben?

„Du wirst diese Bruchbude nicht sanieren, und es interessiert dich auch nicht im Geringsten, was ich hier mache!“

„Beiden Behauptungen muss ich widersprechen“, erwiderte Dio ungerührt. Dabei sah er sie herausfordernd an.

Lucy konnte seinem Blick nicht länger standhalten. Er machte sie nervös. Schlimmer noch, ihr ganzer Körper reagierte in absolut unangemessener Weise auf seine Provokation. Darum war es wirklich besser, ihn in der Schule herumzuführen, als sich hier Auge in Auge mit seiner starken Persönlichkeit zu messen.

Also zuckte sie beiläufig mit den Schultern und begann mit der Führung durch die Räume. In den Klassenzimmern gaben Mark und seine Mitstreiter ihr Bestes, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Ihre Schüler trugen viele Probleme und Defizite mit sich herum, aber in allen schlummerten Fähigkeiten, die geweckt werden wollten. Je länger Lucy darüber sprach, desto mehr ging sie in ihrem Thema auf.

Dio erkannte, was er in ihrer Ehe vermisst hatte. Sie hatte der Welt eine wunderschöne Maske präsentiert, aber ihre Lebendigkeit war verborgen geblieben. Jetzt trat sie zu Tage, als Lucy voller Begeisterung erzählte, was diese kleine Schule alles bewirken konnte. Ihre Augen leuchteten, und ihre Wangen röteten sich, während sie erzählte, wie der einfühlsame, witzige und aufmerksame Mark mit einem Minimum an Hilfe und fast gar keiner finanziellen Unterstützung die Schule aufgebaut hatte. Dabei unterstrich sie ihre Worte mit ausladenden Gesten, und Dio war fasziniert von der fließenden Eleganz ihrer Bewegungen, während sie sprach.

„Die Lehrer arbeiten alle ehrenamtlich“, erklärte sie. „Mark hat einen Einsatzplan entwickelt, und inzwischen werden mehrere Fächer von richtigen Fachleuten unterrichtet.“ Sie führte Dio in einen weiteren Raum. „Du würdest nicht glauben, in was für Bedingungen manche der Kinder leben“, fuhr sie fort. „Dass sie überhaupt zu uns gebracht werden, ist der erste wichtige Schritt. Er zeigt, dass die Eltern begriffen haben, wie wichtig die Bildung ihrer Kinder ist. Aber ständig hören wir Geschichten von völlig überfüllten, winzigen Wohnungen, betrunkenen und gewalttätigen Nachbarn oder hungernden Familien. Ich weiß nicht, wo ich aufhören soll, wenn ich einmal angefangen habe.“

Dio hörte ihr aufmerksam zu. Gleichzeitig betrachtete er sie, als sähe er diese schöne Frau zum ersten Mal. Ein paar blonde Haarsträhnen waren der Spange ihres Pferdeschwanzes entkommen. Sie wirkte so unglaublich jung, fast wie ein Teenager.

„Wie sicher ist es hier?“, fragte er plötzlich.

„Wie bitte?“

„Was für Sicherheitsvorkehrungen habt ihr hier? Arbeitest du manchmal auch allein hier? Und womöglich auch noch abends?“

„Bist du etwa besorgt um mein Wohlergehen?“

„Das bin ich doch ständig“, entgegnete Dio und schien es wirklich ernst zu meinen. Lucy schlug das Herz bis zum Hals. Sie musste einen Moment ihre Gedanken sammeln, ehe sie ihm erklären konnte, dass sie niemals in den späten Abendstunden hier war und dass während ihrer Arbeitszeit ein ständiges Kommen und Gehen herrschte.

„Wie auch immer“, unterbrach Dio sie. „Da ich jetzt weiß, wo du deine Zeit verbringst, wenn ich nicht in der Stadt bin, werde ich dich ständig von zwei meiner Leibwächter begleiten lassen … und, Lucy, das ist nicht verhandelbar.“

„Du hast doch immer gesagt, dass du nichts von Männern hältst, die glauben, ihre Frauen von Leibwächtern schützen zu müssen!“

„Du würdest auch keinen brauchen, wenn du deine Zeit bei der Maniküre und beim Shoppen verbrächtest. Eigentlich hatte ich gedacht, dass das deine hauptsächlichen Freizeitbeschäftigungen seien.“

„Aber was macht es für einen Eindruck, wenn ich in diesem Stadtviertel von Leibwächtern begleitet werde?“ Lucy war hin und her gerissen bei dem Gedanken. Einerseits fühlte sie sich in ihrer Freiheit beschnitten, andererseits gefiel ihr der Gedanke, dass Dio sie beschützen wollte. „Ich kann nicht zulassen, dass sich große Muskelprotze hier herumtreiben“, widersprach sie. „Sie werden den Kindern Angst machen.“

„Ich glaube nicht, dass raue Kerle in dieser Gegend besonders auffallen.“

„Aber ich kann nicht arbeiten, wenn rechts und links von mir ein Leibwächter steht. Außerdem weiß hier niemand, wer ich bin.“

„Niemand hat dich erkannt?“ Dio sah sie skeptisch an.

Lucy erlaubte sich ein kleines Lächeln. „Warum sollte mich jemand erkennen? Sieh mich an! Ich trage Jeans und T-Shirts und habe mein Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Ohne Make-up und Schmuck bin ich nicht die Frau, deren Bild man aus den Zeitungen kennt.“

Ihr abfälliger Unterton war sehr deutlich. Erneut musste Dio feststellen, dass er seine Frau offenbar gar nicht richtig kannte. Sie schien sich aus echter Überzeugung für die Kinder dieses Viertels zu engagieren. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und schüttelte ungeduldig den Kopf. Oder ist ihr plötzlicher Hang zur Wohltätigkeit nur die vorübergehende Laune eines gelangweilten Luxusweibchens?

„Du wolltest wissen, was es in den anderen Räumen zu sehen gibt.“ Unvermittelt drehte Lucy sich um und setzte ihre Führung durch das Haus fort. Sie deutete hier auf Bücherregale und dort auf stapelweise Schreibpapier. Mit dem Erlös für ein einziges ihrer Schmuckstücke aus dem Safe könnte sie wahrscheinlich die ganze Schule mit Computern ausstatten.

Dio musterte die heruntergekommenen Wände, die jemand in einem Anflug von Optimismus leuchtend gelb gestrichen hatte. Nichts konnte jedoch verbergen, dass das ganze Gebäude in einem weit fortgeschrittenen Zustand des Verfalls begriffen war.

„Mark wird wahrscheinlich bald zurückkommen.“ Lucy beendete die Besichtigungstour in einem Raum, der nicht anders aussah als alle anderen. „Wenn es dich wirklich interessiert, kannst du ihn nach allem befragen, was du wissen möchtest.“

„Das lasse ich lieber sein.“ Dio schüttelte den Kopf. „Ich möchte ihm kein Riechsalz unter die Nase halten müssen, denn wahrscheinlich würde er in Ohnmacht fallen, wenn er mich immer noch hier antrifft.“

„Sehr witzig!“ Lucy ärgerte sich über Dios herablassende Art.

„Aber an dich habe ich einige Fragen. Gibt es hier irgendwo ein Restaurant, in dem wir etwas essen können?“

„Wir beide?“ Lucy sah ihn ungläubig an. Ein gemeinsames Essen ohne Prominenz und Geldadel um sie herum hatte es seit ihrer Hochzeit nicht mehr gegeben.

„Es gibt ein Bistro um die Ecke.“

„Bistro?“

„Es ist nur ein kleiner Laden, aber sie machen gute Sandwiches und servieren große Becher Tee.“

„Darauf kann ich verzichten. Irgendwelche anderen Vorschläge?“

Lucy blickte ihn kühl an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du bist hier in meinem Territorium, Dio.“

Dein Territorium? Dass ich nicht lache!“

„Es ist mir egal, was du denkst. Aber ich fühle mich hier mehr zu Hause als in all diesen seelenlosen Villen, in denen ich nur darauf achten muss, dass der Kühlschrank mit Champagner und Kaviar gefüllt ist und die Vorhänge regelmäßig gereinigt werden.“

Dios Lippen wurden schmal. „Wenn du dir vorgenommen hast, mich zu ärgern, muss ich dir gratulieren, Lucy. Du bist auf dem richtigen Weg.“

„Ich will dich nicht ärgern, aber ich meine es ernst. Wenn du dieses Gespräch fortsetzen möchtest, wirst du in dem kleinen Bistro essen, in dem auch Mark und ich unsere Mahlzeiten einnehmen. Ich kann nicht glauben, dass du so ein Snob bist.“

„Ich bin kein Snob!“, protestierte Dio heftig. „Aber ich habe in meinem Leben schon genug solcher fetttriefender Spelunken gesehen. Ich stamme aus einem Viertel wie diesem, und ich bin froh, dass ich es verlassen konnte. Ich habe nicht das geringste Verlangen, in diese Welt zurückzukehren.“

Lucy blieb der Mund offen stehen. Es war das erste Mal, dass Dio seine Herkunft erwähnte. Aus einigen abfälligen Bemerkungen ihres Vaters wusste sie natürlich, dass Dio sich in der Welt nach oben gearbeitet hatte, aber sie war erstaunt, dass er selbst davon sprach.

Auch Dio schien in diesem Moment bewusst zu werden, dass er mehr von sich preisgegeben hatte als beabsichtigt. Lucy hätte schwören können, dass er kurz errötete. Dann wandte er den Blick ab.

„Nein!“ Als sie sah, dass er sich zum Gehen wandte, griff sie nach seinem Arm. Die kurze Berührung genügte, um eine Hitzewelle durch ihren Leib zu jagen. Hastig zog sie die Hand zurück als hätte sie sich verbrannt.

„Wir … wir sollten reden“, stieß sie hervor und trat einen Schritt zurück. „Ich weiß, dass dich meine unerwartete Bitte nach einer Scheidung schockiert hat. Und ich hätte nie gedacht, dass du dich jemals für das interessieren würdest, was ich hier mache. Aber da du nun einmal hier bist … Wir können uns ja ein etwas feineres Restaurant suchen.“

„Nein, ist schon gut. Gehen wir in deine Imbissbude. So schlimm wird es schon nicht sein.“

Sie verließen das Gebäude, und Lucy verschloss die Tür hinter sich. Sie konnte es kaum abwarten, Dio nach seiner Vergangenheit zu fragen. Sie wusste, dass er in Armut aufgewachsen war, aber hatte er deshalb eine unglückliche Kindheit gehabt? Dass reiche Eltern kein Garant waren, um glücklich und behütet groß zu werden, hatte sie am eigenen Leib erfahren. Sie warf ihm einen vorsichtigen Seitenblick zu und erkannte an seiner Miene, dass er nicht in der Stimmung war, von Kindheitserinnerungen zu erzählen.

„Es ist wirklich nichts Besonderes“, betonte sie noch einmal, als sie vor dem Bistro standen. Es war noch ziemlich leer, und aus der Tür drang aromatischer Küchenduft.

„Das scheint mir die Untertreibung des Jahres!“, bemerkte Dio nach einem kritischen Blick auf die spartanische Einrichtung. Dabei sah er Lucy an und stellte fest, wie die Sonnenstrahlen in ihrem blonden Haar glitzerten. Er bemerkte, wie dicht ihre Wimpern auch ohne jedes Make-up waren und wie ihre roten Lippen auch ohne Lippenstift glänzten. Der Anblick ließ sein Herz rasend schnell klopfen.

„Aber ich werde mich mit dem dampfenden Teebecher und dem großen Sandwich trösten“, fuhr er lächelnd fort.

Drinnen erwartete ihn die nächste Überraschung. Lucy war hier gut bekannt! Der Koch und die Bedienung begrüßten sie herzlich. Sie hatten offenbar Kinder, denen Lucy bei den Matheaufgaben geholfen hatte und tauschten kurz Berichte über die Lernfortschritte aus.

„Und dies …“, beendete Lucy das kurze Gespräch mit den beiden und deutete auf Dio, ohne ihn dabei anzusehen, „… ist ein Freund. Er überlegt, ob er vielleicht helfen kann, das Schulgebäude zu sanieren und besser auszustatten.“ Sie spürte, wie sich Dio neben ihr empört aufrichtete. „Er ist wirklich sehr daran interessiert, den Kindern in diesem Viertel zu helfen“, fuhr sie deshalb hastig fort und versuchte, ihn mit einem freundlichen Lächeln zu besänftigen.

Fürs Erste schien Dio ihre kleine Lüge zu akzeptieren. „Ich bin selbst in einer Umgebung aufgewachsen, die nicht viel anders aussah als diese hier“, erklärte er. Dabei setzte er sein strahlendstes Lächeln auf. Die Bedienung Anita verfiel augenblicklich seinem Charme. „Ich habe in Häusern wie diesen gelebt und auf Straßen wie diesen gespielt und gekämpft. Sie können mir glauben, der einzige Ausweg ist Bildung.“

Anita nickte begeistert, und auch John, der Koch, signalisierte männlich zurückhaltend seine Zustimmung. Lucy schien niemand mehr zu beachten.

„Diese reizende junge Frau und ich“, fuhr Dio fort, „besprechen gerade die Möglichkeiten. Es hängt alles davon ab, ob sie auf meinen Vorschlag eingeht. Ich könnte mir vorstellen, das Gebäude zu kaufen und zu sanieren. Zusätzlich würde ich die Klassenzimmer mit den bestmöglichen Unterrichtsmaterialien ausstatten. Computer sind ja aus dem heutigen Leben nicht mehr wegzudenken und sollten deshalb auch in jedes Klassenzimmer gehören. Wie sonst sollen die Kinder an Informationen über die Welt dort draußen kommen? Aber wie gesagt, Lucy und ich sind gerade in Verhandlungen.“

Sobald sie mit ihren dampfenden Teebechern und zwei riesigen, zum Bersten gefüllten Sandwiches an einem Tisch in der Ecke saßen, beugte Lucy sich vor und zischte: „Was hast du dir denn dabei gedacht, Dio?“

„Na hör mal! Warum hast du mich nicht als deinen Ehemann vorgestellt?“

„Weil das zu jeder Menge Fragen geführt hätte“, wehrte Lucy ab. „Sie hätten wissen wollen, wer ich wirklich bin, und herausgefunden, wie reich du bist.“

„Und mich dann für ein Lösegeld entführt?“

„Du hast ein lächerliches Ego!“ Lucy nippte an ihrem Tee und blickte Dio über den Becherrand hinweg an. „Hast du gelogen bei dem, was du den beiden gerade gesagt hast?“

Dio ahnte, wovon sie sprach. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er plötzlich Details über seine Herkunft preisgegeben hatte. In dem sozialen Dschungel, aus dem er kam, galten andere Gesetze als in dem Finanzdschungel, in dem er jetzt lebte. Damals hatte er gelernt, dass Schweigen Gold ist, und diese Erkenntnis hatte sein Leben geprägt.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, entgegnete er wahrheitswidrig. „Gutes Sandwich übrigens“, versuchte er abzulenken.

Doch so leicht war Lucy nicht von ihrem Weg abzubringen. „Bist du hier in der Nähe aufgewachsen?“

„Wird das nicht ein bisschen viel Neues für einen einzigen Tag?“, wehrte er ab. Zum wiederholten Mal an diesem Tag dachte er, wie schön Lucy war. Er war gespannt darauf zu entdecken, was sich unter diesem T-Shirt und der Jeans verbarg. Bei dem Gedanken spürte er, wie seine Erregung sichtbare Ausmaße bekam. Viel zu lange schon hatte er sich mit Fantasien begnügen müssen, während die Frau ihm gegenüber, die ihn in die Ehe gelockt hatte, die unnahbare Eisprinzessin spielte. Aber nicht mehr lange! Das war ein enorm befriedigender Gedanke.

„Heute hatten wir schon jede Menge Enthüllungen und haben Dinge gemeinsam unternommen, ohne dass uns die High Society über die Schulter gespäht hat. Wo wird das noch enden? Ach ja, ich weiß. Im Bett.“

Lucy lief rot an. Sein eindringlicher Blick brachte ihre Nerven zum Flattern, und als das Wort Bett fiel, überschwemmte sie eine wahre Flut erregender Bilder. All ihre Prinzipien gerieten unter diesem Ansturm ins Schwanken. Doch eines blieb ihr heilig: Sex und Liebe waren für sie untrennbar.

„Ich fand es unverschämt von dir, vor John und Anita anzudeuten, dass du nur in die Schule investierst, wenn ich auf deine Forderungen eingehe.“

„Ach, war es das? Ich wollte nur ehrlich sein. Nette Leute, übrigens. Es muss schwierig sein mit den Kindern.“

Seine plötzlichen Gedankensprünge verwirrten Lucy. „Was muss schwierig sein?“ Für sie war schwierig, dass ihre sorgfältig zurechtgelegten Pläne innerhalb kürzester Zeit in sich zusammengefallen waren. Sie hatte nicht erwartet, dass ihr Scheidungswunsch auf fruchtbaren Boden fallen würde, und nicht damit gerechnet, wie sich die Dinge seitdem entwickelten. Vor allem die erotische Spannung, die völlig unerwartet zwischen ihnen entstanden war, brachte sie zusehends durcheinander.

„Es ist bestimmt nicht leicht, wenn Eltern mit mies bezahlten Jobs versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und sich gleichzeitig mit den Kindern hinzusetzen und Hausaufgaben zu machen. Ich nehme an, seine Freunde sind in einer solchen Situation.“

„Sie werden Mark erzählen, was du gesagt hast.“

„Und? Wäre das ein Problem?“

„Du musst immer deinen Willen durchsetzen, oder?“ Lucy sah ihn wütend an, musste den Blick jedoch gleich wieder abwenden, denn Dio sah einfach zu sexy aus. Monatelang hatte sie sich gegen diese Empfindung gewehrt, aber nun hatte sich die Atmosphäre zwischen ihnen geändert.

„Immer!“, bestätigte Dio ungerührt. „Was glaubst du, wird dein rücksichtsvoller, einfühlsamer Freund denken, wenn er herausfindet, dass Erfolg oder Misserfolg seines Projekts von dir abhängen? Wenn ich dich richtig verstanden habe, investiert er richtig Herzblut darin.“

„Willst du damit unterstellen, dass es für mich nur eine Laune ist?“, fuhr Lucy auf. Wütend biss sie in ihr Sandwich.

„Mir ist noch nie aufgefallen, wie süß du aussiehst, wenn du wütend bist“, bemerkte Dio. „Aber Ärger gehörte ja auch nicht zu den Gefühlsregungen, die du als Gastgeberin zeigen solltest.“

Lucy hielt den Blick gesenkt. Sie dachte daran, wie hohl und leer ihre Ehe gewesen war, und dann fielen ihr all die Mädchenträume ein, wegen der sie Dio überhaupt erst geheiratet hatte.

„Ich finde es sehr erfüllend, mit diesen Kindern zu arbeiten“, erwiderte sie, ohne auf seine Schmeichelei einzugehen. „Viel befriedigender jedenfalls als Smalltalk mit Menschen, die ich nicht mag und kaum kenne. Und auf jeden Fall wichtiger als die Matinee in einer neuen Galerie oder die aufgeplusterte Hochzeit in der sogenannten besseren Gesellschaft.“

Im Stillen musste Dio ihr recht geben. Zu den lästigsten Dingen seines unaufhaltsamen Aufstiegs gehörten die gesellschaftlichen Ereignisse, die ihm nicht das Geringste bedeuteten. Doch anscheinend gehörten sie zum großen Spiel, und er war realistisch genug, das zu akzeptieren.

Allerdings wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass seine Frau, die ja aus eben jenen Kreisen stammte, diesen Teil ihres Daseins langweilig fand. Er hatte sogar geglaubt, dass sie sich ausschließlich darum die Ehe mit ihm erschlichen hatte, weil sein Reichtum ihr dieses Leben ermöglichte.

Nun sah er sie stirnrunzelnd an und versuchte, die Widersprüche zu begreifen, die er nach und nach unter ihrer glatten Oberfläche zu erkennen begann.

„Es wird sich wie ein Lauffeuer in der Nachbarschaft verbreiten, dass sich ein finanzkräftiger Investor für unsere kleine Nachhilfeeinrichtung interessiert.“

„Allerdings nicht irgendein Investor.“

Lucy schob ihren Teller zur Seite. „Was soll ich den Leuten denn sagen?“, fragte sie leise. Immer neue Gäste waren in das Café gekommen und warfen ihnen neugierige Blicke zu.

„Du könntest ihnen sagen, dass du mit den Bedingungen deines finanzkräftigen Investors nicht einverstanden bist.“

„Sie sind ja auch unannehmbar!“

„Ach was, du weißt doch selbst, dass du mich willst.“

„Wie bitte?“

„Schockiert?“ Dio lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück und verfolgte amüsiert, wie sie sich in gleichem Maß vorbeugte, damit niemand ihr Gespräch belauschen konnte. „Du willst es dir nicht eingestehen, aber so ist es nun einmal. Du bist scharf auf mich.“

„Das bin ich nicht!“

„Sollen wir das einmal testen?“ Er drehte sich um und ließ seinen Blick durch das kleine Bistro schweifen. „Wie wäre es, wenn dein finanzkräftiger Investor dich jetzt küsste? Erinnerst du dich noch an den letzten Kuss? Wie wäre es mit einer Wiederholung? Hier und jetzt. Dann kann das Publikum entscheiden, ob du dich zu mir hingezogen fühlst oder nicht.“

„Mit dem Kuss gestern hast du mich überrumpelt!“ Lucys Wangen waren rot. Sie wusste, dass sie nicht wie die ruhige, beherrschte Lehrerin wirkte, die alle in ihr sahen. Sie sah genauso aus, wie sie sich fühlte: verwirrt, überwältigt … erregt.

„Dann bist du diesmal also vorbereitet. Wir werden sehen, wie lange du dem widerstehen kannst, was zwischen uns brodelt.“

„Zwischen uns brodelt überhaupt nichts!“, wehrte Lucy mit belegter Stimme ab.

„Mach dir nichts vor!“ Dio wischte ihre Ablehnung mit einer lässigen Handbewegung beiseite. „Es war die ganze Zeit da, auch wenn du dich mir immer entzogen hast.“

„Psst! Nicht so laut!“

Doch er ignorierte ihre verzweifelte Warnung. „Ich habe gesehen, wie du mir nachsiehst, wenn du dich unbeobachtet glaubst. Du hast dir zwar die Ehe erschlichen und dich zurückgezogen, als du mich am Haken hattest, aber du kommst dennoch nicht gegen deine Gefühle an.“

Lucy stützte den Kopf auf die Hände und wünschte, sie könnte sich an einen anderen Ort beamen.

„Wir stammen aus Welten, die kaum unterschiedlicher sein können“, fuhr Dio fort. „Hast du befürchtet, du könntest dich an der Arbeiterklasse anstecken, wenn du mir zu nah kommst?“

„Wie kannst du mir so etwas unterstellen? Unsere Ehe ist nur ein geschäftliches Arrangement, mehr nicht, und ich hatte nicht vor …“

Dio unterbrach sie. „Lass uns nicht wieder davon anfangen. Das Einzige, was mich interessiert, bist du. Ich will deinen Körper bei mir spüren, will hören, wie du in Ekstase meinen Namen rufst und um Befriedigung deiner Lust bettelst.“

„So etwas wird nie geschehen!“

„Oh, doch! Du musst nur deinen eigenen Gefühlen folgen.“

„Und das weißt du genau, weil …?“ Sie wollte abfällig und sarkastisch klingen, hörte sich aber zittrig und fast flehend an.

„Weil ich Frauen kenne. Denk auch an die Belohnung: großzügige Unterhaltszahlungen, eine renovierte und gut ausgestattete Nachhilfeeinrichtung, dankbare Eltern und glückliche kleine Kinder. Kannst du dir einen besseren Start in deine ersehnte Freiheit vorstellen?“

Dio beugte sich vor, sodass sie nun beide die Ellbogen auf den Tisch gestützt hatten, die Gesichter dicht beieinander. „Ich habe eine Idee. Machen wir die damals ausgefallene Hochzeitsreise, Lucy. Zwei Wochen. Danach muss ich in Hongkong eine Firmenübernahme verhandeln, und du kannst dein unabhängiges Leben beginnen. Wie hört sich das an?“

5. KAPITEL

Widerstreitende Gefühle tosten in Lucy. Während Dio überraschend zu einer Krisensitzung nach New York entschwunden war, dachte sie über ihre Wahlmöglichkeiten nach. Nach ihrer Berechnung blieben elf Tage für ihre „Hochzeitsreise“, bevor er nach Hongkong fliegen musste.

Ihr war klar, dass er sie elegant ausgetrickst hatte. Er hatte den „finanzkräftigen Investor“ sehr überzeugend gespielt, und das Gerücht von einer neuen Schule verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Für die meisten Bewohner im Viertel waren die Renovierung und die Anschaffung von Computern und anderen Unterrichtsmaterialien längst beschlossene Sache. Sollte dieser Traum platzen, würde man ihr allein die Schuld geben.

Am Tag, nachdem sie mit Dio im Bistro gegessen hatte, war Mark mit einem Arm voller Kataloge zur Arbeit gekommen. Außerdem machte er Andeutungen über einen Artikel in der nationalen Presse. „Ist es nicht herzerwärmend“, hatte er gesagt, „dass es in dieser düsteren Welt noch solche Helden gibt?“

Lucy hätte fast der Schlag getroffen. In welcher Welt würde man Dio Ruiz als Helden bezeichnen?

Glücklicherweise hatte niemand nach den geheimnisvollen Bedingungen gefragt, an die sein Angebot geknüpft war. Das erleichterte Lucy ungemein, denn sie wusste nicht, was sie auf eine solche Frage hätte antworten sollen.

Bisher hatte Mark die Miete für das Gebäude nur mit Hilfe von Spenden und seltenen Zuwendungen der Stadt bestreiten können. Nun erschienen plötzlich zwei Mitglieder des Stadtrats und verkündeten strahlend, dass man in Erwägung ziehe, das Gebäude zu kaufen. In wohlklingenden Reden erklärten sie, wie hilfreich es für die Gemeinde wäre, eine solche Einrichtung dauerhaft zu unterhalten. Sie deuteten sogar die Möglichkeit an, einige Vollzeitkräfte einzustellen, um den in diesem Viertel zahlreichen Migrantenkindern beim Lernen zu helfen.

Dio rief zweimal täglich an, um sich nach Lucys Wohlbefinden zu erkundigen. Das hatte er in all den Monaten ihrer Ehe nicht ein einziges Mal getan. Aber sie ließ sich nicht beeindrucken, denn sie wusste genau, dass er damit nur den Druck erhöhen wollte.

Zwei Wochen … danach werde ich frei sein.

Ihre Gedanken und Gefühle pendelten unablässig hin und her. Würde es wirklich so schlimm sein, mit ihm zu schlafen? Vor der Hochzeit hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht. Sie hatte ihre Jungfräulichkeit bewahrt und es kaum erwarten können, sie ihm zu schenken.

Jungfrau war sie noch immer, aber auch sehr viel realistischer als damals. Früher hatte sie davon geträumt, nur aus Liebe zu heiraten und ihre Jungfräulichkeit dem Mann zu schenken, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Aus diesem Traum war sie unsanft erwacht. Aber warum sollte sie die Realität leugnen? Sie begehrte Dio immer noch.

Und als sie am dritten Tag nach Dios Abreise ihr Handy ans Ohr hielt und seine wohltönende, samtweiche Stimme hörte, musste sie sich eingestehen, dass allein dieser Klang ihre Sinne erregte. Selbst vom anderen Ende der Welt gelang es ihm im Handumdrehen, ihre Abwehr zu durchbrechen. Ihre Pulsfrequenz erhöhte sich, und ihr Atem ging schneller. Ihr ganzer Körper reagierte auf die Stimme des Mannes, den sie einerseits verachtete und nach dem sie sich andererseits verzehrte.

„Was machst du gerade?“

Lucy setzte sich an den Küchentisch. „Marie hat gekündigt. Das war früher oder später zu erwarten. Sie ist viel zu ehrgeizig, um ewig Putzfrau zu bleiben. Jetzt hat sie ein Stipendium fürs College bekommen. Ich fürchte, du wirst dir eine neue Reinigungskraft suchen müssen.“

Ich soll eine neue Reinigungskraft suchen?“

„Na ja, ich werde ja nicht mehr da sein“, erwiderte Lucy kühl und malte sich in freudiger Erwartung aus, wie sie die Tür der prächtigen Villa in London zum letzten Mal hinter sich schloss. Dass gleichzeitig eine kalte Hand nach ihrem Herzen zu greifen schien, passte ganz und gar nicht zu dieser Vorfreude.

Tausende Kilometer entfernt runzelte Dio in der VIP Lounge im JFK Airport von New York die Stirn. Er hatte nicht die Absicht, ein Gespräch über die scheidende Reinigungskraft zu führen. Dass Lucy nicht bereit war, sich darum zu kümmern, zeigte nur zu deutlich, wie sehr sie sich bereits von ihm gelöst hatte.

„Über die Putzfrau mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist“, erklärte er unwillig.

„In spätestens zwei Wochen wird es so weit sein. Dann kommt Marie nicht mehr“, gab Lucy zu bedenken.

Dio war dieses Themas überdrüssig. Es gab ganz anderes, worüber er viel lieber sprechen wollte.

„Was hast du gerade an? Bist du noch im Pyjama? Findest du es nicht auch eigenartig, dass wir uns noch nie in Pyjamas gesehen haben?“

Lucy war froh, dass er sie nicht sehen konnte, denn sie war bei dem Gedanken prompt errötet. Ihr wurde bewusst, dass sie unter dem Morgenmantel keinen BH und nur einen winzigen Slip trug.

„Wenn wir die nächsten zwei Wochen gemeinsam …“

„Elf Tage!“, unterbrach sie ihn heftig.

Da entspannte sich Dio und lächelte triumphierend. Er hatte sie nicht ohne Grund während seiner Abwesenheit jeden Tag angerufen. Sie hatte es nicht ausdrücklich ausgesprochen, aber er hatte die Kapitulation in ihrer Stimme gehört. Seine Erregung wuchs. Tausende Kilometer entfernt fühlte er sich seinem Ziel sehr nah.

„Wenn wir die nächsten elf Tage zusammen verbringen wollen, sollten wir uns unterhalten können.“

„Wir wissen beide, wie man eine Unterhaltung führt, Dio. Wir haben während unserer gesamten Ehe nichts anderes getan.“

„Das war so oberflächlich“, entgegnete er. „Da sich unsere Beziehung verändert hat, finde ich das nicht mehr angemessen.“

„Unsere Beziehung hat sich nicht geändert!“, widersprach Lucy.

„Ach nein? Ich könnte schwören, du hättest mir gerade mitgeteilt, wie viele Tage du mit mir in unseren längst überfälligen Flitterwochen verbringen willst.“

Sie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Ihr Morgenmantel hatte sich geöffnet, und als sie an sich hinabsah, fiel ihr Blick auf die Schwellung ihrer Brüste und die sanfte Rundung ihrer Schenkel.

Ohne dass sie es bewusst bemerkt hatte, war ihre Entscheidung innerlich gefallen. Bald würde Dio diese Brüste und diese Schenkel betrachten … und berühren.

Sie spürte die Hitze zwischen ihren Beinen und war schockiert! Es war, als reagiere ihr Körper schon jetzt auf die bevorstehenden Freuden.

„Also gut, Dio“, gab sie nach und versuchte, ihre Stimme unbeteiligt klingen zu lassen. „Du hast gewonnen. Ich hoffe, du bist stolz auf dich.“

„Im Moment spüre ich ganz andere Dinge als Stolz.“ Seine Stimme klang ein wenig rau.

Und Lucy musste sich noch etwas eingestehen: Von all den Begründungen, die sie sich für ihr Nachgeben eingeredet hatte, zählte nur eine einzige wirklich. Sie hatte ihren Widerstand nicht aufgegeben, weil sie damit die kleine Schule retten konnte oder weil Dio ihr eine finanziell gesicherte Zukunft versprochen hatte.

Nein, sie hatte sich auf seine Forderung eingelassen, weil sie es selbst wollte. Trotz allem, was er ihr angetan hatte, fühlte sie sich unwiderstehlich zu Dio hingezogen. Wenn sie keinen Sex zusammen hätten, würde sie sich zeitlebens fragen, wie es wohl gewesen wäre. Ihr Kopf mochte sich noch eine Weile wehren, ihr Körper hatte bereits entschieden. Dass sie damit auch einige Vergünstigungen erhielt, sollte dem Kopf das Nachgeben leichter machen.

„Ich würde dir gern sagen, was ich gerade fühle“, hörte sie Dio weitersprechen. „Aber ich sitze in der Lounge am JFK, und ich möchte nicht, dass die Umstehenden die wachsende Ausbeulung in meiner Hose bemerken.“

„Dio! Das … das ist …“

„Ich weiß. Sehr bedauerlich, wenn man bedenkt, dass ich noch ein paar Stunden länger werde warten müssen.“

„Das habe ich nicht gemeint!“

„Nein?“

„Nein!“, entgegnete Lucy entschieden. Als wollte sie ihre Entschiedenheit noch betonen, zog sie den Morgenmantel heftig zusammen und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. Diese Reaktion kam ganz instinktiv, obwohl sie natürlich wusste, dass er sie nicht sehen konnte. „Ich … ich würde lieber die Details unseres … Arrangements … besprechen.“

„Nenn es ruhig beim Namen!“, forderte Dio sie trocken auf. „Uns erwarten elf Tage Flitterwochen.“

„Ich lasse mich nur darauf ein, weil ich keine andere Wahl habe.“

„Das klingt nicht sehr begeistert“, erwiderte Dio. Er musste jetzt behutsam sein, um diese ersten Schritte zum Sieg nicht zunichte zu machen. Sie würde schon noch zugeben, dass auch sie mit ihm ins Bett wollte.

„Inzwischen erwarten hier alle, dass du wie ein Götterbote herniedersteigst und die Schule mit Geld überhäufst.“

„Ich habe mein Leben nie danach ausgerichtet, was andere Menschen von mir erwarten.“

„Wie kann ich wissen, dass du zu deinem Wort stehst, wenn diese sogenannten Flitterwochen vorüber sind?“

„Gar nicht“, sagte Dio brüsk. Ihr Zweifel kränkte ihn. Sein Ehrenwort hatte immer gegolten. Er war vielleicht nicht mit einem silbernen Löffel im Mund auf die Welt gekommen, aber in seiner Welt waren die meisten Geschäftspartner ehrlicher als manch einer aus dem sogenannten Geldadel. „Du wirst dich auf das verlassen müssen, was man Vertrauen nennt.“

Voller Scham dachte Lucy an ihren Vater, der so viele Menschen betrogen hatte. Dio dagegen hatte sie nie angelogen. Er mochte sie aus den falschen Gründen geheiratet haben, aber er hatte nie behauptet, sie zu lieben. Sie war sich sicher, dass er sein Wort halten würde.

Hastig schob sie die Erinnerung an ihren betrügerischen Vater beiseite. „Soll ich etwas buchen?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln. „Ich nehme an, du wirst eine deiner Villen …“

„Für diesen Anlass kannst du die Rolle der ‚persönlichen Assistentin‘ verlassen“, erklärte Dio. „Sie passt irgendwie nicht zur … freudigen Erwartung.“

Seine raue Stimme verursachte allerlei merkwürdige Dinge in Lucys Körper. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl herum. „Aber ich muss doch Flüge für uns buchen, oder?“

Lucy zog es vor, das Gespräch mit so profanen Fragen zu bestreiten. Dio sollte nicht vergessen, dass ihre Flitterwochen auf einer gewissermaßen geschäftlichen Vereinbarung beruhten.

Diese Hochzeitsreise sollte nichts mit romantischen Gefühlen zu tun haben. Sie würden sich keine zärtlichen Liebesbekenntnisse ins Ohr flüstern und einander auch nicht beim Candle-Light-Dinner sehnsüchtig in die Augen sehen. Sie wusste, was Dio von ihr wollte, und sie musste sich eingestehen, dass sie dasselbe wollte. Also würden sie beide ihr Verlangen stillen und es dann als erledigt betrachten.

„Darum musst du dich nicht kümmern“, wehrte Dio ab. „Ich lasse meine Sekretärin alles Nötige veranlassen.“

„Aber wohin geht es? Und wann genau?“

„Ich bin jetzt in New York. Wenn ich in London bin, packe ich nur schnell meinen Koffer um. Stell dich darauf ein, dass wir morgen um diese Zeit schon unterwegs sind.“

„Wie bitte? So schnell kann ich nicht fertig sein!“

„Natürlich kannst du das. Meine Sekretärin wird sich um alles kümmern. Sei du nur für mich bereit!“

„Für dich bereit?“

Er lachte leise über ihr Aufbrausen. Ihr Widerstand, so halbherzig er auch war, steigerte sein Verlangen nur noch.

Er stellte sich ihren Körper vor … die Brüste, von denen er in einem gelegentlich etwas gewagteren Ausschnitt eine Ahnung bekommen hatte … den flachen Bauch … die langen Beine, die in kurzen Röcken so prächtig zur Geltung kamen … die schlanken Schenkel …

Nur mühsam zügelte er seine Fantasie. Ob wohl schon andere Männer diesen herrlichen Körper genossen hatten, bevor Lucy ihm begegnet war? Das war ein äußerst unerfreulicher Gedanke, und er schob ihn hastig beiseite.

„Ja, für mich bereit“, bekräftigte er. „Streng deine Fantasie an!“

„Jawohl, mein Gebieter“, erwidert Lucy spöttisch, woraufhin sie ihn am anderen Ende erneut auflachen hörte. Es war ein sehr aufregendes Geräusch. Der zufriedene Klang eines Mannes, der bekommen hatte, was er wollte.

Sie versuchte, sich zu konzentrieren. „Was soll ich einpacken?“

„Gar nichts. Ich sorge dafür, dass du alles Nötige an unserem Ziel vorfinden wirst.“

„Aber ich lasse mich nicht wie eine Barbiepuppe herausputzen. Das gehört nicht zu unserer Abmachung. Außerdem hast du mir immer noch nicht gesagt, wohin wir reisen!“

„Ich weiß. Das macht es noch spannender, nicht wahr?“ Damit beendete er das Gespräch. Lucy fixierte das Telefon in ihrer Hand. Wieder einmal ärgerte sie sich über ihren Noch-Ehemann. Wie kann er von mir verlangen, mit ihm auf so eine Reise zu gehen? Ihm war die Antarktis als Reiseziel ebenso zuzutrauen wie die Karibik oder eine Millionenstadt. Vielleicht hatte er es sich auch leicht gemacht und seine Sekretärin einfach eine Pauschalreise buchen lassen.

Die nächsten Stunden verbrachte sie damit, sich vorzustellen, wie die Tage ihrer „Flitterwochen“ wohl verlaufen würden. Vor der Hochzeit hatte sie sich nicht getraut, ihm zu gestehen, dass sie immer noch Jungfrau war, und nach der Hochzeit hatte das Thema keine Rolle mehr gespielt. Wie wird er diese Eröffnung aufnehmen? Bestimmt erwartet er eine erfahrene Gespielin. Als der Abend nahte, war Lucy ein einziges Nervenbündel.

Zum ersten Mal, seit sie mit Dio verheiratet war, machte sie sich nicht für seine Ankunft zurecht. Sonst hatte sie sich streng an die Rolle gehalten, die er ihr zugewiesen hatte. Wann immer sie zusammen auftraten, war sie die elegante, jederzeit präsentable Dame des Hauses.

Doch nun hatte sich die Lage geändert, und sie beschloss trotzig, ihn in Jeans und einem verblichenen alten T-Shirt aus ihrer Studentenzeit zu empfangen. Sie hatte auf jegliches Make-up verzichtet und ließ ihr Haar offen herabhängen.

Jetzt stand sie an der derselben Stelle, an der sie ihn mit ihrem Scheidungswunsch konfrontiert hatte, und war so angespannt und nervös wie damals. Vor lauter Nervosität hörte sie nicht einmal, wie Dio das Haus betrat. Darum schrak sie heftig zusammen, als er plötzlich hinter ihr stand.

„Ich habe mich gefragt, ob du wohl auf mich warten würdest.“ Dio schlüpfte aus seinem Jackett und warf es achtlos auf das Sofa. Selbst in der ersten Klasse war es ein ermüdender Flug gewesen, aber als er Lucy vor sich sah, fühlte er sich plötzlich wieder wach und lebendig.

Während des Flugs hatte er sich gefragt, in welcher Stimmung er sie antreffen würde. Bei ihrem Telefongespräch hatte er Untertöne wahrgenommen, die ihn hoffnungsvoll gestimmt hatten. Inzwischen war er sicher, dass er sein Ziel erreichen konnte. Der Lockruf des Geldes würde übermächtig sein. Das Unterrichten mochte ihr Spaß machen, aber als Lehrerin würde sie bei Weitem nicht genug Geld für den Lebensstil verdienen, den sie zeitlebens gewöhnt gewesen war. Bei dem Gedanken huschte ein kleines, siegessicheres Lächeln über seine Miene.

„Wir sollten über die Pläne für morgen sprechen“, begann Lucy tapfer. „Ich muss wissen, wann wir abreisen. Ich … ich habe ein paar Dinge gepackt …“ Ihre Stimme wurde brüchig und erstarb dann ganz. Wenn er nur nicht so verdammt gut aussähe! Die Spannung zwischen ihnen war förmlich greifbar, und sie spürte, wie sich die Haare in ihrem Nacken aufrichteten. Sein eindringlicher Blick ließ sie innerlich zittern.

Eigentlich hatte sie ihm mit klaren Worten zu verstehen geben wollen, dass ihr Arrangement nur für die Flitterwochen galt … und die begannen erst mit Erreichen ihres Reiseziels. Das wollte sie ihm unmissverständlich sagen, doch es war, als wäre ihre Zunge plötzlich am Gaumen festgeklebt.

„Hast du während meiner Abwesenheit an mich gedacht?“, fragte Dio herausfordernd. „Ich habe nämlich an nichts anderes denken können als an dich.“ Er trat einen Schritt auf sie zu, und unwillkürlich wich Lucy genauso weit zurück, um den Abstand wiederherzustellen.

Dio folgte ihr und war ihr wieder ganz nah. Unwillkürlich stöhnte Lucy auf. „Ich dachte, wir würden … ich meine … erst wenn wir angekommen sind.“

„Warum warten? Unsere Flitterwochen sind durch meine unerwartete Reise nach New York ja ohnehin schon verkürzt. Da ist es doch nur fair, wenn wir diese Zeit wieder ausgleichen. Wenn ich schon für zwei Wochen bezahle, dann will ich die Zeit auch nutzen.“

Lucy hatte nicht damit gerechnet, buchstäblich hoch genommen zu werden. Sie erkannte die Richtung, die Dio einschlug, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals.

Als Dio einmal sehr plötzlich zu einer eilig einberufenen Konferenz am anderen Ende der Welt abgereist war, hatte sie sein Schlafzimmer zum Lüften betreten. Beim Anblick des noch immer zerwühlten Betts war sie wie erstarrt stehen geblieben. Sie hatte sich vorgestellt, wie er dort nackt unter den Laken gelegen hatte. Vorsichtig hatte sie die Hand auf das Laken gelegt und war heftig zurückgezuckt, als sie spürte, dass es noch warm war.

Jetzt legte er sie auf diesem Bett ab. Dann trat er zurück und stand mit verschränkten Armen zögernd vor ihr. Er war einfach seinem Instinkt gefolgt, als er Lucy wie ein Höhlenmensch gepackt und in sein Schlafzimmer geschleppt hatte. Aber nun …

Sie sah unglaublich schön aus – und sehr verletzlich. Dio kam sich plötzlich vor wie ein ungehobelter Barbar. Ratlos fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und trat ans Fenster. Dort blickte er einen Moment hinaus, bevor er die Jalousie herunterließ, um das Licht der Straße auszusperren.

Lucys Herzschlag raste noch immer, und das Blut strömte heiß durch ihre Adern. Sie begehrte ihn so sehr, dass sie vor Verlangen hätte sterben können. Doch Dio stand reglos da und blickte stumm auf sie herab.

Vielleicht ist er endlich zu Sinnen gekommen, dachte sie. Vielleicht ist ihm klar geworden, dass es ihm nicht die gewünschte Befriedigung verschaffen wird, wenn er mich nur mit Erpressung in sein Bett bekommt.

Warum macht dieser Gedanke mich nicht froh? Warum stehe ich nicht auf und verlange die Scheidung ohne solch lächerliche Bedingungen? Warum versuche ich nicht, vernünftig mit Mister Ehrenmann zu sprechen, der bestimmt irgendwo hinter Mister Höhlenmensch verborgen ist?

Die Antwort war einfach. Sie wollte ihn! Seine Provokationen hatten eine Tür geöffnet, und nun wollte sie auch hindurchtreten. Sie war neugierig auf das, was dahinter lag, und wollte es erkunden.

Sie schob sich auf dem Bett zurück, bis sie sich aufrecht gegen die Kissen lehnen konnte. Ihr blondes Haar floss seidig um ihr errötetes Gesicht. Dio war ihr rechtmäßiger Ehemann, doch sie war so verlegen wie ein Teenager bei der ersten Verabredung mit dem begehrtesten Jungen in der Schule.

„Warum stehst du so herum?“, forderte sie ihn mit heiserer Stimme heraus. „Ist es nicht das, was du wolltest? Du hast mich in dein Schlafzimmer geschleppt, damit ich mein Versprechen einlöse. Hier bin ich!“

Dio hörte ihre Worte, doch sie klangen nicht überzeugend. Ihre Stimme passte nicht zu dem Bild, das er sich in den Monaten ihrer Ehe von ihr gemacht hatte. Eine kalte, berechnende Frau würde ihre Aufforderung nicht so stockend hervorbringen. Sie würde nicht krampfhaft die Finger ineinander verschränken, um das Zittern ihrer Hände zu verbergen.

„Ich merke gerade, dass ich nicht so auf aufopferungsbereite Märtyrerinnen stehe, wie ich gedacht habe“, sagte er und löste sich von der Fensterbrüstung, an die er sich gelehnt hatte.

„Nicht einmal auf solche, die du dir mit viel Geld gekauft hast?“

„Früher warst du nicht so zynisch, Lucy.“ Er musste daran denken, wie sie ihn früher angelacht hatte. Dieses unschuldige, mädchenhafte Lachen hatte ihn damals um den Verstand gebracht. Bestimmt war sie auch damals schon nicht so unschuldig gewesen, wie sie getan hatte, aber wenigstens war sie nicht so scharfzüngig gewesen wie jetzt.

„Ich bin erwachsen geworden“, erklärte sie geradeheraus.

„Du kannst gehen.“ Dio griff nach dem obersten Knopf seines Hemds. „Es war ein langer Flug, und ich bin müde. Ich werde noch duschen, und dann will ich ins Bett.“

Das ist es nicht, was ich will!

Sie musste sich entscheiden. Sie konnte das passive Opfer spielen und sich davonschleichen, aber diese Rolle hatte sie das ganze letzte Jahr gespielt. Jetzt bot sich ihr die einmalige Chance, selbst die Kontrolle über die Situation zu gewinnen.

„Und wenn ich nicht gehen will?“, fragte sie mutig.

Dio erstarrte, die Hand noch immer am Hemdknopf. So hatte er Lucy noch nie gesehen: das Kinn trotzig erhoben, der Blick klar und herausfordernd und anscheinend zu allem entschlossen.

„Wie meinst du das?“

„Du weißt genau, was ich meine.“

„Ich möchte es klar und deutlich hören, damit kein Raum für Missverständnisse bleibt.“

„Ich habe mich gefragt …“

„Was hast du dich gefragt?“ Er war jetzt neben sie ans Bett getreten.

„Wie es wohl wäre … du weißt schon … mit dir …“

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

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