Tropennächte mit dem sexy Boss

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Lucy liebt ihren neuen Job in der angesagten Werbeagentur in Sydney – bis sie mit ihrem sexy Boss Marcus Hawke für einen neuen Auftrag auf die Fidschi-Inseln fliegt. Denn der Trip ins Südsee-Paradies sorgt für ein Gefühlschaos: Hals über Kopf verliebt sie sich in Marcus! Er scheint ihre Gefühle zu erwidern, doch selbst bei seinen heißen Küssen in einer tropischen Lagune weiß Lucy, dass es für sie beide kein Happy End geben kann: Marcus will niemals eine Familie – und sie hat einen kleinen Sohn, der ihr alles bedeutet …


  • Erscheinungstag 20.02.2024
  • Bandnummer 042024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524551
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lucy Spencer hatte den ersten Blackout ihres Lebens.

Ausgerechnet heute!

Jeder rationale Gedanke, den sie noch vor zehn Sekunden gehabt haben mochte, verabschiedete sich, als Marcus Hawke sie in das größte Büro führte, das sie je gesehen hatte. Die riesigen Panoramafenster boten einen fantastischen Ausblick über den Botanischen Garten und den funkelnden Hafen von Sydney. Ihre neuen Schuhe versanken in einem unfassbar dicken Teppich, und der braune Ledersessel, auf dem sie Platz nehmen sollte, war weicher als alles, worauf sie je gesessen hatte.

Dennoch nahm Lucy von all diesen Dingen kaum etwas wahr. Krampfhaft versuchte sie, sich an die Antworten zu erinnern, die sie für dieses Bewerbungsgespräch vorbereitet und tagelang eingeübt hatte.

Alles wie weggeblasen. Ausradiert. Beim ersten Blick auf den Mann, der sie interviewen würde.

Dabei war das hier ihr absoluter Traumjob. Vier lange Jahre hatte sie dafür studiert. Oracle Creative gehörte zu den erfolgreichsten jungen Werbeagenturen der Stadt. Ihr Gründer – der Mann, der ihr gerade gegenübersaß – war das vielleicht brillanteste Kreativtalent, das in den vergangenen Jahren hochgekommen war. Einige seiner Marketingkampagnen hatte sie während des Studiums analysiert.

Natürlich hatte Lucy ein Porträtfoto von Marcus Hawke auf der Website der Agentur gesehen. In dem Schwarz-Weiß-Bild schaute er mit herausforderndem Blick direkt in die Kamera. Er lächelte zwar nicht, wirkte aber auch nicht unfreundlich. Kurze dunkle Haare, dazu perfekt proportionierte, symmetrische Züge. Schon auf dem Foto sah er verdammt attraktiv aus. Doch dreidimensional und in echten Farben war er einfach … umwerfend. Noch dazu löste seine tiefe Stimme ein erregendes Prickeln in ihrem Körper aus.

Nichts in ihrem Leben – und obwohl sie erst dreiundzwanzig war, hatte sie bereits eine Menge durchgemacht – hatte sie auf die physische Reaktion vorbereitet, die dieser Mann in ihr auslöste.

Himmel, dies war der wichtigste Moment ihrer bisherigen Karriere, und sie hatte doch tatsächlich Probleme zu atmen! Wo war die souveräne, kompetente Designerin geblieben, die sie vermitteln wollte?

Unangenehm.

Zum Glück schien sie in eine Art Autopilotmodus zu schalten, denn sie schaffte es irgendwie, seine Fragen zu beantworten. Marcus nickte, lächelte sogar – und feuerte weitere Fragen auf sie ab. Wenn er lächelte, schmolz sie innerlich dahin. Es regten sich Körperteile in ihr, die seit Jahren brachlagen. Sie wusste nicht, wie sie es schaffte – aber irgendwie gelang es ihr, ihm von ihrem Abschluss in Grafikdesign und Kommunikation zu berichten. Sie erwähnte die praktische Erfahrung, die sie während des Studiums in einer kleinen Werbeagentur gesammelt hatte. Er wollte wissen, auf welche Arbeit sie besonders stolz war und welche Designer sie bewunderte. Zum Glück hatte sie jeden Abend, nachdem sie Lachie ins Bett gebracht hatte, mit ihrer Mutter geübt.

„Haben Sie Fragen an mich?“, fragte er schließlich.

Mit einem Mal landete sie wieder in der Realität ihres Lebens. Ja, sie hatte einige Fragen vorbereitet, die sie einem potenziellen Arbeitgeber stellen wollte. Wie flexibel sind die Arbeitszeiten? Kann man während der Schulferien Urlaub nehmen? Und bei Gehaltsverzicht vielleicht mehr Urlaubstage bekommen?

Stattdessen fragte sie ihn, was die Unternehmensphilosophie ausmache. Sicheres Terrain.

Natürlich wusste sie, dass sie gesetzlich nicht verpflichtet war, ihm von Lachie zu erzählen. Genauso wie er sich nicht weigern durfte, sie einzustellen, nur weil sie alleinerziehende Mutter war.

„Wir sind ein junges, dynamisches Team. Alle verschreiben sich voll und ganz dem Job. Ich will Ihnen nichts vormachen: Von meinen Angestellten erwarte ich, dass sie hart arbeiten. Ich selbst arbeite auch hart. In den vergangenen Jahren hatte ich nicht einen freien Tag. Der Job ist …“ Marcus rieb sich das Kinn und schaute sie prüfend an, ehe er den Satz beendete: „… mein ganzes Leben.“

Lucy nickte.

Damit gibt er dir zu verstehen, dass du dich zu tausend Prozent auf den Job fokussieren musst. Und er sagt dir, dass er Single ist.

Marcus fuhr fort. „Die Stelle bedeutet lange Arbeitszeiten, aber dafür würden Sie großzügig entschädigt. Außerdem hätten Sie die Möglichkeit, an einigen der aufregendsten Werbekampagnen des Landes mitzuwirken. Wäre irgendetwas davon ein Problem?“

Er beugte sich vor, nur ein ganz klein wenig, doch es bewirkte, dass sich ihr die feinen Härchen im Nacken aufstellten.

Oh, sie wollte diesen Job so sehr! Mehr als beinahe alles andere.

Allein in diesem großartigen Büro zu sitzen, mit der City zu Füßen und in Gegenwart des attraktivsten Mannes, den sie je gesehen hatte, fühlte sich wie eine Belohnung an. Karma. Endlich lief etwas in ihrem Leben richtig. Endlich stand sie einmal auf der Gewinnerseite.

Also schüttelte sie den Kopf. „Das ist alles überhaupt kein Problem.“

„Und das ist dein Platz.“ Tara, die junge Büromanagerin von Oracle Creative, deutete auf einen großen weißen Schreibtisch, der bis auf einen riesigen Monitor mit dazugehörigem Computer leer war. Lucys Herz machte einen Satz, als sie den leistungsstarken Rechner sah. Der Traum jeder Grafikdesignerin.

„Vielen Dank“, murmelte sie, während sie ihre übergroße und leicht abgewetzte Handtasche auf dem makellosen Schreibtisch abstellte.

„Hier sind die Log-in-Daten.“ Tara reichte ihr einen pinkfarbenen Post-it-Zettel. „Falls du irgendwelche Probleme beim Einloggen haben solltest, lass es mich wissen. Schrei einfach um Hilfe. Mein Büro ist gleich da drüben.“ Sie zeigte über die anderen Arbeitsplätze in dem Großraumbüro hinweg zum Ende des Gangs.

Lucy nickte. Im Moment war sie etwas überwältigt von all den neuen Eindrücken an ihrem ersten Arbeitstag.

Im Foyer und den Fluren waren große, gerahmte Fotos von den erfolgreichsten Kampagnen der Agentur angebracht, doch die nicht-öffentlichen Bereiche sahen anders aus. Das Büro bestand, zumindest was sie bislang gesehen hatte, aus einem Mix aus konventionellen, voneinander abgetrennten Arbeitsplätzen und unkonventionellen Ecken voller Sofas und langer Tische sowie halb versteckter Nischen für ruhigere Gespräche. Üppige Grünpflanzen schufen eine angenehme Atmosphäre. Lucys Schreibtisch war zwar weiß, aber der dazugehörige Stuhl knallgelb. Neugierig schaute sie zu den angrenzenden Arbeitsplätzen hinüber. Deren Wände waren mit Zeichnungen, Drucken und Fotos beklebt.

Als sie nach unten blickte, sah sie das gerahmte Foto von Lachie in ihrer Handtasche. Darauf trug er ein Superman-Kostüm und saß hoch oben auf der Rutsche auf seinem Lieblingsspielplatz. Er lächelte so breit, als glaube er tatsächlich, in dem Anzug fliegen zu können. Verstohlen betrachtete sie die anderen Schreibtische. Alle Mitarbeiter hatten Fotos an ihre Trennwände gepinnt, doch es waren allesamt Bilder von Freunden und wilden Partynächten. Keine Kinder. Ganz sicher keine Babys.

Lucy wollte lieber einen günstigen Zeitpunkt abwarten. Natürlich musste sie dem Team irgendwann von Lachie erzählen, auch wenn vermutlich niemand auf die Idee kam, dass eine Dreiundzwanzigjährige, die gerade ihren Uni-Abschluss gemacht hatte, schon Mutter war.

„Ist das Ihr jüngerer Bruder?“, wurde sie oft gefragt. Wenn es sich um einen neugierigen Fremden handelte, der seine Nase in ihre Angelegenheiten steckte, nickte sie meist nur. Es war einfacher, als den Blick ertragen zu müssen, der sie oft traf, wenn sie die Wahrheit sagte.

Es wäre also nicht das erste Mal, dass sie log.

Nicht, dass sie wirklich vorhatte zu lügen. Sie wollte nur nicht gleich mit der Wahrheit herausplatzen.

Lucy loggte sich ins Computersystem ein und begann, das Intranet von Oracle zu durchforsten. Bislang war sie noch keinem Projekt zugeordnet worden. Als Marcus Hawke sie angerufen hatte, um ihr die Stelle anzubieten, deutete er an, dass einige interessante neue Projekte anstünden, er jedoch noch nicht in der Lage sei, ihr mehr zu verraten. Auf jeden Fall gäbe es genug Möglichkeiten für eine Designerin mit ihrer Qualifikation.

Oracle Creative, oder OC, wie er die Firma nannte, gehörte zu den am schnellsten wachsenden Agenturen in Sydney. Etwa dreißig Beschäftigte alles in allem. Lucy war dem Design-Team und Marcus selbst zugeordnet.

In diesem Moment lief Tara den Gang hinunter und rief allen laut zu: „Meeting mit Marcus im Konferenzraum in zwei Minuten!“

„Was?“ Lucy schaute hoch. Auf ein Meeting war sie nicht vorbereitet. Im Grunde war sie noch auf gar nichts vorbereitet.

„Kam gerade in den Kalender. Er hält uns gern auf Trab.“

Na, großartig. Obwohl, wenn sie eins in den vergangenen fünf Jahren gelernt hatte, dann mit kurzfristigen Veränderungen klarzukommen. Also schnappte sie sich einen Notizblock und einen Kugelschreiber und folgte den anderen ins Konferenzzimmer.

Wie Marcus’ Büro überblickte der Raum den schimmernden Hafen. Ihre Kollegen ließen sich an dem langen Tisch nieder. Lucy wählte einen Platz mit dem Rücken zur Fensterfront, da sie keine Ablenkung gebrauchen konnte. Nicht heute.

Doch die größte Ablenkung betrat kurz darauf den Raum. Alle verstummten, als Marcus durch die Tür kam. Er trug ein dunkelblaues Business-Hemd, keine Krawatte, der oberste Knopf geöffnet. Himmel, so konnte sie ein Stückchen nackte Haut sehen! Lucy schloss die Augen und holte einmal tief Luft. Seine Hose war schmal geschnitten und stand ihm ausgesprochen gut. Wobei sie den Verdacht hegte, dass Marcus Hawke am allerbesten aussah, wenn er möglichst wenig anhatte.

Schnell schob sie den Gedanken beiseite. Als seine strahlend blauen Augen ihrem Blick begegneten, nickte er ihr lächelnd zu. Mit heißen Wangen erwiderte sie das Lächeln. Sie hatte sowohl gehofft als auch befürchtet, dass sie eng mit Marcus zusammenarbeiten würde. Für ihre Zurechnungsfähigkeit wäre es vermutlich besser, wenn sie stärker mit Daphne, der Chef-Designerin, kooperieren würde. So hübsch Daphne auch war, sie brachte Lucys Puls nicht zum Rasen.

„Vielen Dank für euer Kommen“, begann Marcus, nachdem die Letzten Platz genommen hatten. „Ich habe euch hergebeten, um euch mitzuteilen, dass wir von OZ Airways eingeladen wurden, am Pitch für ihre neue Marketingkampagne teilzunehmen. Wir alle wissen, dass es der Tourismus derzeit überall auf der Welt schwer hat. Die Industrie befindet sich in der Krise. Der Auftrag ist simpel – eine vollständige Medienkampagne, um das Vertrauen in die Reisebranche und den Ruf der Airline wiederherzustellen. Ein Kinderspiel also.“

Kichern erklang um den Tisch herum. Marcus selbst grinste breit. Seine Augen funkelten, was ihn noch atemberaubender aussehen ließ als sowieso schon.

„Wenn wir diesen Pitch gewinnen, dann wird das der größte Etat sein, den Oracle je verantwortet hat. Es könnte uns einen Platz unter den einflussreichsten Agenturen Australiens sichern.“

Seine Stimme bebte bei den letzten Worten leicht. Lucy schaute sich um, wie die anderen reagierten, doch deren Gesichter blieben neutral.

„Wir müssen mit einem sehr engen Zeitfenster arbeiten. Einen ersten, provisorischen Entwurf müssen wir dem Kreativdirektor von OZ innerhalb von drei Wochen präsentieren.“

Lucy war neu in der Branche, doch das erschien ihr verdammt ambitioniert.

„Falls sie unseren Erstentwurf mögen, werden wir eingeladen, ihrem Vorstand ein vollständig ausgereiftes Konzept zu präsentieren. Hier bei Oracle sind wir ein Team. Das ist so eine Riesen-Chance, dass ich jede Fähigkeit und jede Idee nutzen will, die ihr alle habt. Nicht nur von der Kreativabteilung, sondern von euch allen. Ich dachte, dass wir mit einer Brainstorming-Runde beginnen. Reihum am Tisch. Es gibt keine falschen Ideen. Woran denkt ihr, wenn jemand ‚Flugreise‘ sagt?“

Meinte er das ernst? Sie war Grafikdesignerin, keine Texterin. Zudem war das hier ihr allererster Tag. Sie hatte nicht mal eine Tasse Tee gehabt.

Marcus deutete auf den jungen Mann zu seiner Linken. „Du fängst an.“

„Beengte Sitze.“

„Schlechtes Essen.“

„Lange Schlangen.“

Gelächter.

„Rucksacktouren durch Europa“, sagte eine junge Frau mit zwei Nasenpiercings.

Marcus nickte. Die Stimmung hob sich.

„Exotische Destinationen.“

„Tropische Inseln.“

„Bar Hopping in New York.“

Die Schlagworte flogen nur so um den Tisch, und Lucy musste sich vorbereiten, um auch etwas zu sagen. Woran dachte sie, wenn sie das Wort „Flugreise“ hörte?

Sie dachte an das einzige Mal, das sie mit Lachie einen Flug nach Brisbane unternommen hatte. Er hatte den ganzen Flug über geweint, und sie war so erleichtert gewesen, wieder nach Hause zu kommen. Sie dachte daran, dass Lachies Vater, Alex, seit der Geburt des Jungen zweimal zum Urlaub in Übersee gewesen war. Oder Freunde von ihr, die nach der Highschool ein ganzes Jahr lang durch die Welt gereist waren. Alles Dinge, die sie verpasst hatte.

„Nach Hause kommen“, platzte sie heraus. Im selben Moment wusste sie, dass es die falsche Antwort war, doch es war alles, was ihr einfiel. „Tut mir leid“, fügte sie hinzu, „ich denke nicht wie eine Touristin.“

Ihre Entschuldigung lenkte Marcus’ Aufmerksamkeit auf sie. „Lucy“, sagte er. „Habt ihr alle bereits Lucy kennengelernt?“ Die meisten Leute am Tisch lächelten, schüttelten aber den Kopf. „Sie ist Grafikdesignerin und verstärkt seit heute Morgen das Kreativteam.“

„Seit ungefähr einer halben Stunde“, fügte Lucy hinzu, um ihre Ahnungslosigkeit zu erklären.

„Nach Hause kommen. Nein, das mag ich“, sagte Marcus und schenkte ihr ein Lächeln, das ihre Wangen zum Glühen brachte. „Sicher nach Hause zurückzukehren, ist genauso wichtig, wie aufzubrechen. Und Menschen in unserem Zuhause zu begrüßen, ist ebenso wichtig.“

Zustimmung erklang im Raum.

Marcus senkte den Kopf und notierte etwas in sein Tablet. Dann erhob er sich und umrundete den Tisch in ihre Richtung. Als er nur noch einen Meter von ihr entfernt war, hatte Lucy förmlich das Gefühl, die Luft verändere sich. Er schaute mit seinen blauen Augen auf sie herab. Aquamarin. Azur. Türkis. Irgendetwas, das in Richtung Blau-Grün ging. Wie eine tropische Lagune. Hatte er auf alle diese Wirkung? Wie schafften die anderen es bloß, in seiner Gegenwart irgendetwas zu arbeiten?

„Erzähl uns ein bisschen von dir“, forderte er sie auf.

Alle schauten sie an. Musterten sie. Sie waren alle jung, genau wie sie, aber sie kleideten sich punkiger. Ihre Frisuren waren nie älter als drei Wochen, immer perfekt geschnitten. Viele von ihnen hatten Gesichtspiercings. Und die meisten auch Tätowierungen.

Lucys Haar hatte seine natürliche Farbe. Ihre Haut war frei von Tattoos. Ihre einzigen Narben waren die unsichtbaren, die die Mutterschaft hinterlassen hatte. Sie hatte nicht mal Ohrlöcher, weil es ihr zu wehgetan hatte. Sie war ungefähr so hip wie eine achtzigjährige Oma. Und jetzt leuchtete ihr Gesicht tomatenrot, und alle würden sofort sehen, wie uncool sie war.

„Ich bin Lucy Spencer. Ich habe gerade meinen Abschluss an der Northern Sydney University gemacht. Während des Studiums habe ich für eine kleine Werbeagentur im Norden der Stadt gearbeitet, und ich freue mich wirklich sehr, die Chance zu bekommen, für Oracle zu arbeiten.“

So, das war doch das, was er gemeint hatte, oder?

Nicht nur war das hier ihr Traumjob, es war ganz sicher auch ihre einzige Chance, für eine derart prestigeträchtige Agentur wie Oracle zu arbeiten. Diese Stelle würde es ihr endlich erlauben, mit Lachie bei ihren Eltern auszuziehen. Sie liebte ihre Eltern, und die beiden beteten Lachie an. Sie versicherten ihr immer wieder, dass sie so lange bei ihnen wohnen konnte, wie sie wollte, doch das war nie Lucys Absicht gewesen. Sie konnte sich nicht endlos von den beiden unterstützen lassen. Sie war für die Entscheidungen, die sie im Leben traf, selbst verantwortlich.

Marcus nickte. Dann endlich wanderte sein Blick weiter zu der Frau, die links von Lucy saß, und ihr Puls beruhigte sich.

„Fangen wir noch mal an. Das Erste, was euch in den Kopf schießt, wenn ihr an ‚Flugreise‘ denkt?“

„Gecancelte Verbindungen.“

Allgemeines Stöhnen erhob sich.

Marcus schüttelte den Kopf. „Wie bereits gesagt: Es gibt keine falschen Antworten.“

„Die Business Lounge.“

„Asien.“

„Jetlag.“

Ein paarmal ging es noch reihum. Hin und wieder machte Marcus sich Notizen. Dann nickte er schließlich. „Ich danke euch allen. Daphne, Liam und …“ Seine blauen Augen suchten den Raum ab. „Lucy. Bitte bleibt noch. Ihr werdet zunächst das Kern-Team bilden. Alle anderen werden an irgendeinem Punkt sicher auch die Gelegenheit erhalten, sich in das Projekt einzubringen, aber vorerst könnt ihr an eure aktuellen Aufgaben zurückkehren.“

Als die anderen den Konferenzraum verlassen hatten, griffen Daphne und Liam nach ihren Sachen und setzten sich näher zu Marcus an den Tisch. Lucy folgte ihnen widerstrebend.

„Herzlichen Glückwunsch, Dream-Team“, begann ihr Boss. „Ich werde euch nichts vormachen und behaupten, dass es einfach wird, aber ich hoffe sehr, dass dieses Projekt zu einem echten Highlight eurer Karriere wird. Wenn wir den Pitch gewinnen, wird das die Krönung eures Lebenslaufs. Allerdings wird dieses Projekt euch den nächsten Monat völlig vereinnahmen. In den nächsten sechs Wochen werdet ihr OZ Airways leben und atmen. Warum sollten Menschen reisen? Was verpassen sie, wenn sie es nicht tun? Im Moment kämpfen alle Länder um Touristen. Warum sollte man sich also für Australien und OZ Airways entscheiden?“

Himmel, sie sollte glücklich sein. Ihr erster Tag im neuen Job, und schon durfte sie an Oracles größtem Projekt mitwirken. Jede andere Designerin wäre völlig aus dem Häuschen. Stattdessen verspürte Lucy echtes Magengrummeln.

„Lasst uns um drei Uhr wieder hier treffen. Bringt große Ideen und ganz viel Enthusiasmus mit.“ Marcus’ Blick suchte den von Lucy. „Es gibt keine falschen Antworten.“

Sie stand auf und beeilte sich, den Raum zu verlassen, weil sie dringend Luft holen musste – nicht dieselbe Luft, die Marcus in der vergangenen halben Stunde eingeatmet hatte.

Nicht, dass es ihr auf diese Weise gelingen würde zu entspannen.

Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß, lernte sie endlich die Kollegin kennen, die den Arbeitsplatz neben ihr hatte. Die Frau war ebenfalls Mitte zwanzig. Ihr dunkles Haar war kurz und keck geschnitten. Die Art Frisur, die man trug, wenn man nicht nur stylisch, sondern auch mutig unterwegs war.

„Hi, ich bin Amy“, sagte sie und deutete auf die Frau neben ihr, „und das ist Janelle.“

„Woher kommst du?“, fragte Janelle.

„Ich komme frisch von der Uni.“

„Oh, du hast einen Abschluss?“ Amy und Janelle wechselten einen Blick.

Lucy nickte. Sie hatte das Gefühl, die falsche Antwort gegeben zu haben. „Ja, aber ich habe während des Studiums bereits für eine kleinere Medienagentur gearbeitet.“

Diese Antwort schien Janelle zufriedenzustellen.

Lucy wünschte sich, dass die beiden sie mochten. Sie wollte unbedingt reinpassen in die Agentur. Während sie zu Janelles Arbeitsplatz hinübersah, suchte sie nach einem weiteren Gesprächsaufhänger. Da hing das Poster eines Musikfestivals. Eine Reihe Fotos, die Janelle mit etlichen, breit grinsenden Party-Leuten zeigte. Es war nichts, womit Lucy etwas anfangen konnte.

„Wie lange arbeitet ihr schon hier?“, fragte sie.

Die beiden erzählten ihr, dass sie bereits seit ein paar Jahren für Oracle arbeiteten, danach verebbte der Gesprächsfaden. Zweifellos fanden die beiden, es stünde ihnen zu, an der OZ-Kampagne zu arbeiten. Und Lucy stimmte ihnen zu. Die zwei hatten eher das Recht, daran mitzuwirken, da sie länger in der Agentur waren. Welche Ahnung hatte Lucy schon von einem großen Pitch wie diesem?

Also gut, sie besaß einen Abschluss, aber wenig praktische Erfahrung. Anstatt zu arbeiten und alles Entscheidende im Job zu lernen, hatte sie Windeln gewechselt, Strampler gewaschen und endlose Portionen Spaghetti Bolognese gekocht.

Manche Leute – unhöfliche – fragten sie, ob sie es bereue, Lachie bekommen zu haben. Was für eine Frage! Lachie war ihre ganze Welt! Aber sie bereute andere Dinge. Sie wünschte, sie hätte die Highschool erst abgeschlossen. Sie wünschte, die Beziehung zu Alex hätte funktioniert. Sie wünschte, ihr Leben wäre nicht so viel härter gewesen als das anderer Gleichaltriger.

Und ja, sie wünschte sich, sie hätte eine zwanglose Zeit an der Uni gehabt. Hätte genauso ausgehen, feiern und Jungs treffen können wie alle anderen Mädels …

Oracle war eine moderne Agentur voller junger, hipper Mitarbeiter. Zweifellos ging man mit den Kollegen zu After-Work-Partys, unterhielt sich über seine Dates und Urlaube, die man plante – all die Dinge, die eigentlich selbstverständlich waren, wenn man jung und ungebunden war.

Wie sehr wünschte Lucy sich, nur für ein paar Stunden vorgeben zu können, bei ihr wäre es genauso. Innerlich sagte sie sich, dass es in Ordnung war, so zu fühlen. Lachie war in den vergangenen fünf Jahren ihre oberste Priorität gewesen. Jetzt arbeitete sie, und Lachie ging zur Schule. Vielleicht … vielleicht durfte sie tatsächlich eine Weile so tun als ob?

Und außerdem: Wenn Marcus gewusst hätte, dass sie eine alleinerziehende Mutter war, hätte er ihr dann die Chance gegeben, an dem Oz-Airways-Pitch mitzuarbeiten? Dieses Projekt wird euch völlig vereinnahmen In den nächsten sechs Wochen werdet ihr OZ Airways leben und atmen. Was, wenn er wüsste, dass sie andere Verpflichtungen hatte? Dass er, egal wie sehr sie sich auch in den Job stürzen würde, niemals ihre erste Priorität sein konnte? Hätte er sie dann dem Kern-Team zugeordnet?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wie auch immer, sie war nicht bereit, irgendetwas zu riskieren.

Lucy hatte sich von zu Hause ein Sandwich mitgebracht, das sie am Schreibtisch aß, während sie sich einen Überblick über das IT-System von Oracle verschaffte. Dann begann sie, „OZ Airways“, „Reisen“ und „Tourismus“ zu googeln. Um drei trafen sie sich in Marcus’ Büro. Es war nicht weniger einschüchternd als der Konferenzraum. Im Grunde war es sogar noch schlimmer, da intimer und voller persönlicher Dinge von Marcus.

Die Wände zierten hohe Regale voller Bücher in den unterschiedlichsten Größen, Formen und Farben. Zusätzlich zu den Büchern befanden sich ein paar kleine Skulpturen in den Regalen, die teuer aussahen. Auch ein paar gerahmte Fotografien waren zu sehen. Aus der Entfernung sahen sie wie Familienporträts aus. Älter schon. Doch sie war zu weit weg, um es genau sagen zu können. Und da war eine Kappe des Northern Suburb Rugby-Teams. Das war auch ihre Lieblingsmannschaft. Sie wünschte, sie hätte nicht gewusst, dass Marcus ebenfalls ein Fan war. Genau genommen wollte sie nicht mehr über ihn und sein Privatleben wissen als unbedingt nötig.

„Wie ich heute Morgen bereits sagte, halte ich nichts von klar definierten Rollen.“ Er sah Lucy an. „Natürlich bist du Designerin, ebenso wie Daphne, und Liam ist Marktforscher. Aber wir alle haben Ideen und einen Kopf zum Denken.“ Er drehte seinen ganzen Körper in Richtung Lucy und konzentrierte sich auf sie.

Sofort wurde ihr warm. Es war nicht unangenehm – ganz und gar nicht. Nur unglücklich, dass zwei weitere Personen anwesend waren, die sie genau beobachteten.

„OZ Airways ist nicht einfach nur eine Fluggesellschaft – sie kooperiert mit vielen anderen Playern, etwa mit Reiseveranstaltern, Hotels und Restaurants. Insofern präsentiert es sich als Gesamtpaket. Wir dürfen nicht nur an die Flugreise an sich denken, sondern an alle Aspekte der Reise von der Haustür bis zum Zielort und zurück.“

Daraufhin präsentierte Liam eine kurze Analyse des Reisemarkts, der gegenwärtigen Trends und der Ausgabegewohnheiten der üblichen OZ-Kunden. Dabei skizzierte er vor allem die Veränderungen der letzten fünf Jahre.

Im Anschluss verbrachten sie die nächsten zwei Stunden damit, Ideen zu entwerfen und bei vergangenen Kampagnen zu rekapitulieren, was gut funktioniert hatte und was weniger. Lucy machte das immens viel Spaß. Marcus hatte völlig recht: Hier gab es keinen Raum für Egos oder für falsche Antworten. Nach einer besonders lebhaften Diskussion über die Stärken und Schwächen von Schauspieler Paul Hogan blickte Lucy entsetzt auf ihre Armbanduhr. Es war schon fünf!

„Es tut mir sehr leid, Marcus, aber ich muss los. Ich habe … ähm … einen Termin.“

Er schaute sie an, sagte aber nichts. Verschämt blickte sie zu den anderen. Alle wirkten konsterniert. Daphne stand sogar der Mund leicht offen.

„Gibt es noch etwas, das erledigt werden muss, bevor ich gehe?“

„Morgen früh möchte ich von euch allen ein erstes Grafik- oder Marketingkonzept bekommen. Als Hausaufgabe.“

Hausaufgabe. Klar. Nicht mal jetzt, wo sie ihren Abschluss in der Tasche hatte, entkam sie dem.

Ein Grafik-Konzept.

„Du wirst es morgen früh auf deinem Schreibtisch haben. Tut mir wirklich leid, dass ich losmuss“, stammelte sie, während sie den Blicken der anderen auswich und den Raum verließ. Sie wollte wirklich nicht wissen, was die drei wohl über sie sagen würden, kaum dass die Tür zufiel.

Es war ihr schrecklich peinlich, aber die einzige andere Option war genauso unangenehm: Wenn sie das Büro nicht pünktlich um fünf verließ, würde sie es nicht rechtzeitig schaffen, Lachie von der Hausaufgabenbetreuung nach der Schule abzuholen.

Autor

Justine Lewis
Mehr erfahren