Verlobung - bloß zum Schein?

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Die Scheinverlobung mit Stararchitekt Cameron ist für Violet ein rein geschäftlicher Deal. Wenn er sie zur Weihnachtsfeier begleitet, wird sie den Ruf als Dauersingle los, ohne ihr Herz zu riskieren. Aber was hat das rätselhafte Prickeln zu bedeuten, als er sie probehalber küsst?


  • Erscheinungstag 24.12.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521123
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Es war die Einladung, vor der sich Violet schon seit Monaten fürchtete. Seit zehn Jahren ging sie jetzt schon zu jeder Weihnachtsfeier im Büro ohne Partner. Zehn Jahre! Jedes Mal versprach sie sich, dass es im nächsten Jahr anders sein würde, und trotzdem war sie jetzt wieder hier und starrte mit einem flauen Gefühl im Magen auf die rotsilberne Einladungskarte in ihrer Hand. Es war schon schlimm genug, die scheelen Blicke ihrer Kolleginnen aushalten zu müssen, die von ihr wissen wollten, warum sie kein Date hatte. Aber der Gedanke, mit vielen Menschen in einem engen Raum zusammengepfercht zu sein, war eine wahre Qual für sie. Denn sie würde bestimmt kaum atmen können.

Es waren schließlich männliche Körper, an die sie gepresst wäre.

Körper, die viel größer und stärker waren als ihrer … Besonders wenn sie betrunken waren.

Violet blinzelte die Erinnerung fort. Heutzutage dachte sie kaum noch an diese Party. Na ja, nur hin und wieder. Sie hatte eine Art zerbrechlichen Frieden damit geschlossen.

Aber inzwischen war sie schon fast dreißig, und es war Zeit, etwas zu verändern. Höchste Zeit. Was bedeutete, dass sie auf die Weihnachtsfeier gehen musste, um sich selbst zu beweisen, dass sie ihr Leben wieder im Griff hatte.

Trotzdem blieb immer noch die bange Frage, was sie anziehen sollte. Die Weihnachtsfeier ihres Steuerbüros war eines der größten Events im Kalender des Finanzsektors. Hier ging es nicht nur um Drinks und Knabberzeug. Es handelte sich um eine jährliche Gala, auf der der Champagner in Strömen floss, das Essen von allerhöchster Qualität war, und auf der zu den Klängen einer Liveband getanzt wurde. Jedes Jahr gab es ein anderes Thema, und von den Angestellten wurde erwartet, dass sie an der Veranstaltung teilnahmen, um zu zeigen, wie wichtig ihnen ein harmonisches Betriebsklima war. Das Thema in diesem Jahr lautete Weihnachten der Stars. Violet musste also irgendetwas zum Anziehen finden, was nach Hollywood aussah. Aber eigentlich war Glamour nichts für sie. Sie mochte es nicht, wenn die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war, und sie war auch kein Fan von Partys. Punkt.

Sie legte die Einladung zwischen die Seiten ihres Buches und seufzte. Sogar im Gedränge eines Londoner Cafés zur Mittagszeit wurde ihr unter die Nase gerieben, dass sie Single war – um sie herum waren nur Paare. Sie war die Einzige, die allein an einem Tisch saß. Selbst ein Paar, das auf die 90 zuging, saß an einem Tisch am Fenster und hielt Händchen. Unwillkürlich erinnerte Violet der Anblick an ihre Eltern, die nach dreißig Jahren Ehe immer noch unsterblich ineinander verliebt waren. Auch ihre drei Geschwister hatten inzwischen den perfekten Partner gefunden. Sie bauten sich ein gemeinsames Leben auf, hatten Kinder und machten all die Dinge, die sie auch gern tun würde.

Violet war Zeugin davon gewesen, wie all ihre Geschwister sich verliebt hatten. Zuerst Fraser, dann Rose und schließlich Lily, die Kleinste. Sie war auf allen Hochzeiten gewesen, als Brautjungfer. Drei Mal. Immer stand sie im Saal und sah anderen dabei zu, wie sich ihre Romanze entfaltete, und dabei sehnte sie sich danach, selbst auf der Bühne zu stehen.

Warum konnte sie nicht jemanden finden, der perfekt für sie war?

Stimmte irgendwas nicht mit ihr? Nun ja, manchmal lud sie ein junger Mann ein, aber das ging nie über ein oder zwei Dates hinaus. Sie war von Natur aus schüchtern, und geistreiche Unterhaltung lag ihr nicht besonders. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie man flirtete. Nach ein paar Drinks ging es zwar besser, aber es war stets ein Fehler, den sie nicht wiederholen wollte. Das Problem bestand darin, dass die Männer so ungeduldig waren. Aber sie würde nicht mit jemandem schlafen, nur weil es von ihr erwartet wurde. Sie wollte sich zu einem Mann hingezogen fühlen und auch spüren, dass er sie anziehend fand. Sie wollte jemanden küssen, der sie …

Allerdings war es schon lange her, dass sie männliche Lippen auf ihren gespürt hatte. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie zuletzt richtig geküsst worden war. Und ein flüchtiger Kuss auf die Wange von ihrem Vater, Bruder oder Großvater zählten nicht.

Die Wahrheit war, sie war eine Null, was Dates anging. Eine Null, Null, Null. Bestimmt würde sie noch als alte Jungfer enden, die mit einhundertundfünfzig Katzen ganz allein lebte. Und in deren Schubladen sich Babysachen stapelten – für das Baby, nach dem sie sich gesehnt hatte, seit sie ein kleines Mädchen war.

„Verzeihung, ist hier besetzt?“

Violet sah zu dem Mann auf, dem die vertraute tiefe Stimme gehörte, und ein leichter Schauer lief ihr den Rücken herunter, als sie den besten Freund ihres Bruders aus der Universität erkannte.

„Cam?“ Ihre Stimme krächzte ein wenig, wie beim ersten Mal, als sie Cameron McKinnon getroffen hatte. Sie war achtzehn gewesen, als ihr Bruder ihn in den Sommerferien zu ihrem Anwesen mitgebracht hatte, Drummond Brae im Hochland von Schottland. „Was machst du denn hier? Wie geht’s dir? Fraser hat mir gesagt, du wärst in Griechenland und würdest dort für irgendeinen reichen Schnösel eine Jacht entwerfen. Wie geht’s dir? Seit wann bist du wieder hier?“

Hör auf zu plappern! Komisch, aber bei Cam war sie nie schüchtern. Im Gegenteil, sie redete sogar zu viel. Warum das so war, konnte Violet sich nicht erklären. Wahrscheinlich, weil er in keiner Weise bedrohlich wirkte und weil er ihr vertraut war. Er war stets höflich und ein bisschen distanziert, aber er gehörte schon lange zu ihrer Familie.

Cam ließ sich auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder und stieß dabei zufällig gegen ihre Knie. Die Berührung ging ihr durch und durch, wie ein elektrischer Schlag. Dabei wusste sie genau, dass Cam in einer anderen Liga spielte als sie. In einer ganz anderen Liga.

„Ich hatte hier in der Gegend ein Meeting. Das ging früher zu Ende, als ich gedacht hatte, und plötzlich fiel mir wieder ein, dass du dieses Café hier erwähnt hattest. Deshalb dachte ich, ich probier’s mal aus und schaue, ob ich dich treffe. Ich bin erst seit ein paar Tagen wieder zurück. Mein Vater will wieder heiraten, noch vor Weihnachten.“

Violets Augen weiteten sich. „Was, schon wieder? Zum dritten oder vierten Mal?“

Cams Mundwinkel zuckten. „Zum fünften Mal. Und seine Frau ist schon wieder schwanger, was die Zahl meiner Halbgeschwister auf sechs erhöht.“

Das war unglaublich. „Wie kannst du dir nur all ihre Geburtstage merken?“

„Nun, ich habe bei meiner Bank ein paar Daueraufträge eingerichtet. Damit bin ich aus dem Schneider.“

„Vielleicht sollte ich das auch machen“, erwiderte sie und dachte an ihre drei Neffen, zwei Nichten und das Baby ihrer Schwester, das bald auf die Welt kommen würde. Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. In Cams Gegenwart kam sie sich immer wie ein linkisches Schulmädchen vor, das vor einem Professor stand. Er war ganz anders als ihr Bruder, der das Leben leicht nahm und stets zu Scherzen aufgelegt war. Cam war ernster, er runzelte eher die Stirn, als zu lächeln.

Unwillkürlich landete ihr Blick auf seinen Lippen, die so fein ziseliert waren, wie bei einer Statue. Allerdings war die Unterlippe etwas voller, und Violet ertappte sich bei dem Gedanken, wie es wohl sein mochte, sie zu küssen.

Aber das war natürlich undenkbar. Ein Mann wie Cameron McKinnon würde ein Mädchen wie sie niemals küssen. Er traf sich mit Frauen, die aussahen, als kämen sie gerade von einem Fotoshooting. Glamouröse, weltgewandte Frauen, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzten.

„Und, wie geht es dir, Violet?“, fragte er in diesem Moment und unterbrach ihre Gedanken.

„Äh … ganz okay.“ Wenigstens bekam sie keinen Ausschlag, aber die Röte, die über ihre Wangen kroch, war mindestens so schlimm.

„Nur okay?“ Er klang ernst und konzentriert, als wäre sie der einzige Mensch, mit dem er in diesem Moment sprechen wollte. Cam war ein wirklich guter Zuhörer, und Violet hatte sich oft gewünscht, sie hätte ihm nach jener schrecklichen Party ihr Herz ausschütten können. Denn dann wäre ihr Leben wahrscheinlich anders verlaufen.

Sie bemühte sich um ein Lächeln. „Mir geht’s gut. Ich hab nur furchtbar viel zu tun vor Weihnachten. Außerdem muss ich noch Geschenke besorgen, für all meine Neffen und Nichten. Wusstest du, dass Lily und Cooper ein Baby bekommen? Mum und Dad planen für uns alle eine große Weihnachtsfeier in Drummond Brae. Hat Mum dich schon eingeladen? Es wird wahrscheinlich Großvaters letztes Weihnachtsfest sein, daher wollen alle kommen.“

Cam sah sie bedauernd an. „Mein Vater hat sich entschlossen, an Heiligabend zu heiraten.“

„Oh, wo denn?“

„Hier in London.“

„Vielleicht könntest du danach ja nach Schottland fliegen“, erwiderte sie. „Oder hast du andere Verpflichtungen?“ Wie zum Beispiel eine Freundin. Bestimmt würde er eine haben, er war nicht der Typ für kurze Affären. Dazu sah er zu gut aus, war zu reich, zu intelligent und zu sexy. Aber falls er eine hatte, behielt er es für sich. Überhaupt behielt er sein Privatleben für sich. Manchmal hatte Violet sich gefragt, ob er eine geheime Geliebte hatte, die er irgendwo versteckt hielt, um sie vor dem Rampenlicht zu schützen, in dem er als international erfolgreicher Schiffbauingenieur immer wieder stand.

„Mal sehen“, erwiderte er. „Bestimmt erwartet Mum, dass ich sie besuche, besonders nachdem ihr dritter Ehemann Hugh sie verlassen hat.“

Violet kräuselte die Stirn. „Oh, das tut mir leid. Ist sie darüber sehr traurig?“

Cam warf ihr einen vielsagenden Blick zu. „Nein, nicht besonders. Er hat nämlich ziemlich viel getrunken.“

„Verstehe.“

Cams Familiengeschichte war legendär. Seine Eltern hatten sich in seinem sechsten Lebensjahr eine bittere Scheidungsschlacht geliefert, und er wurde seitdem zwischen den beiden Haushalten hin- und hergeschickt. Mit acht Jahren hatte man ihn dann ins Internat gesteckt. Vielleicht ist er deshalb ja so ernst, dachte Violet.

In diesem Moment kam eine Kellnerin, die sich nach ihren Wünschen erkundigte.

„Möchtest du noch einen Kaffee?“, fragte Cam.

Sie schüttelte den Kopf und legte die Hand auf ihr Glas mit dem Latte. „Nein, danke, das reicht.“

„Ich hätte gern einen Kaffee, schwarz“, sagte er zu der Bedienung.

„Hast du gemerkt, wie sie dich angeschaut hat?“, fragte Violet, nachdem die Kellnerin gegangen war.

Er schüttelte den Kopf. „Für so was hab ich keine Zeit.“ Sein Handy klingelte. Er runzelte die Stirn, als er auf das Display sah und drückte den Anruf weg. Danach konzentrierte er sich wieder voll und ganz auf Violet.

„Und? Wie läuft’s bei der Arbeit?“

Ihr Blick fiel auf die Einladung, die zwischen den Buchseiten herauslugte. Bildete sie es sich nur ein, oder blinkte die Karte gerade wie ein Leuchtfeuer? Verstohlen schob Violet sie außer Sichtweite. „Prima, ich …“

Cam folgte ihrem Blick. „Was ist das?“

„Nichts … nur eine Einladung.“

„Wofür?“

Violets Wangen waren jetzt tiefrot. „Zu der Weihnachtsfeier meiner Firma.“

„Und? Gehst du hin?“

Sie wich seinem Blick aus und starrte auf die Zuckerdose. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Na ja, ich muss wohl … Das wird von uns erwartet, weißt du.“

„Du klingst nicht gerade begeistert.“

„Du weißt doch, ich stehe nicht auf Partys. Nicht mehr.“

„Es ist eine ganz schön große Sache, oder?“, sagte Cam. „Es werden weder Kosten noch Mühe gespart, wenn ich richtig verstehe.“

„Ja, und das, obwohl es sich bei uns um ein Steuerbüro handelt“, erwiderte sie. „Ganz schön ironisch, findest du nicht?“

„Ihr seid eben eine sehr erfolgreiche Firma. Super, dass du dir dort einen Job geangelt hast.“

Violet wagte nicht, ihm einzugestehen, wie weit entfernt das von ihrem Traumjob war. Nachdem sie ihren Abschluss an der Universität gemacht hatte, schien ihr eine Anstellung bei einem großen Wirtschaftsunternehmen geradezu ideal zu sein, um die Position einzunehmen, die ihr am liebsten war, nämlich schön im Hintergrund. Aber was mit neunzehn gut zu ihr gepasst hatte, erwies sich nun mit fast dreißig mehr und mehr als eine Sackgasse. Sie konnte das nagende Gefühl nicht abschütteln, dass sie mehr aus ihrem Leben machen sollte. Doch seit dieser Party … Es kam ihr so vor, als hätte danach jemand die Bremse angezogen, und sie kam nicht mehr voran.

Cams Handy, das er in die Brusttasche seines Jacketts gesteckt hatte, vibrierte erneut. Violet betrachtete ihn und gestand sich ein, dass er wie ein Ausdauerathlet aussah. Er hatte Muskeln genau an den richtigen Stellen. Seine Haut war gebräunt, und sein dunkles Haar glänzte im Sonnenlicht. Zwar hatte er sich rasiert, aber trotzdem bedeckte ein leichter Bartschatten seine Wangen, was ihn ausgesprochen männlich erscheinen ließ.

„Willst du nicht rangehen?“

„Nein, das eilt nicht.“

„Arbeit oder Familie?“

„Weder noch.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Eine Frau?“

Er nickte. „Ja. Eine, die ein Nein nicht akzeptieren kann.“

„Seit wann triffst du dich denn mit ihr?“

„Ich treffe mich nicht mit ihr.“ Er sah grimmig aus. „Sie ist die Frau eines Kunden. Eines sehr wichtigen Kunden.“

„Oh … das ist kompliziert.“

„Ja, sehr. In der Höhe von vierzig Millionen Pfund kompliziert, um genau zu sein.“

Vierzig Millionen? Violet kam zwar aus einer vermögenden Familie, doch das war auch für sie eine Menge Geld. Aber Cam entwarf Jachten für die Superreichen dieser Welt. Er hatte für seine Entwürfe schon viele Preise gewonnen und war daher an Aufträge in dieser Größenordnung gewöhnt. Trotzdem konnte sie kaum fassen, wie man so viel Geld für ein Boot ausgeben konnte, mit dem man nur hin und wieder in See stach.

„Ist das wirklich wahr? Du kriegst vierzig Millionen Pfund, um eine Jacht zu entwerfen?“

„Nein, natürlich nicht. Das wird sie kosten, wenn sie fertig ist“, erwiderte er. „Aber mein Honorar kann sich auch sehen lassen.“

„Und? Was wirst du jetzt tun?“, fragte sie gespannt. „Wirst du ihre Anrufe weiter ignorieren?“

Er stieß einen kurzen Seufzer aus. „Ich muss ihr die Botschaft irgendwie rüberbringen. Ich gehöre nicht zu den Männern, die sich mit verheirateten Frauen einlassen.“ Seine Mundwinkel zuckten erneut. „So wie mein Vater.“

„Vielleicht kapiert sie es ja, wenn sie sieht, dass du mit jemand anderem zusammen bist.“ Violet griff nach ihrem fast leeren Latteglas und sah ihn über den Rand hin an. „Gibt es denn jemanden?“ Ahhhh, warum hast du das nur gefragt?

Cams Blick begegnete ihrem, und ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. Um seine blauen Augen waren die dichtesten Wimpern, die sie je bei einem Mann gesehen hatte. Wenn er sie anschaute, hatte sie immer das Gefühl, als könnte er auf den Grund ihrer Seele schauen. „Nein“, sagte er. „Und bei dir?“

Sie hustete verlegen. „Bitte fang du jetzt nicht auch noch damit an. Meine Familie traktiert mich schon genug mit dieser Frage, abgesehen von meinen Freunden und meiner Mitbewohnerin.“

Cam schenkte ihr ein trockenes Lächeln. „Ich weiß wirklich nicht, was mit den jungen Männern in London los ist. Einer von ihnen hätte dich doch schon vor Jahren schnappen müssen.“

Es herrschte verlegenes Schweigen.

Violet sah ihr Glas an, als wäre es das Faszinierendste, was ihr je untergekommen wäre. Wie, zum Teufel, war sie nur in diese Situation geraten? Und was sollte sie jetzt tun? Sollte sie etwas sagen?

Aber was?

So sehr sie sich auch das Hirn zermarterte, es fiel ihr nichts ein.

Sie war einfach ein hoffnungsloser Fall, was Small Talk betraf. Auch deshalb hasste sie Partys so sehr. Ihre Geschwister waren das genaue Gegenteil, sie konnten sich aus jeder Lage ohne Mühe herausreden. Aber Violet war das Mauerblümchen der Familie. Sie war es gewohnt, im Hintergrund zu bleiben und den anderen das Reden zu überlassen.

„Wann ist denn diese Weihnachtsfeier von deiner Firma?“

Sie blinzelte und sah ihn erneut an. „Äh … morgen.“

„Möchtest du, dass ich mitkomme?“

Sie riss erstaunt die Augen auf. „Aber, warum würdest du das tun?“

Cam zuckte mit den Achseln. „Ich habe morgen Abend noch nichts vor. Vielleicht würde es dir ja helfen, wenn du einen Begleiter hättest.“

Sie sah ihn misstrauisch an. „Ist das ein Date aus Mitleid?“

„Nein, es ist überhaupt kein Date“, sagte er mit fester Stimme. „Nur ein Freund, der einer Freundin aushilft.“

Aber Violet hatte genug Freunde. Was sie wollte, war ein Date. Ein richtiges Date aus romantischen Gründen. Was glaubte er denn von ihr? Hielt er sie für vollkommen nutzlos? Ein Mädchen, das keinen Prinzen findet, der sie auf den Ball begleitet? „Danke, das ist wirklich sehr nett von dir, aber nicht nötig.“

Sie erhob sich und griff nach ihrem Buch. Doch bevor sie gehen konnte, packte Cam ihr Handgelenk.

„Bitte entschuldige. Ich wollte dich nicht verletzen.“

„Du hast mich nicht verletzt.“ Doch ihre Stimme verriet sie. Natürlich war sie gekränkt, wie auch nicht? Er wollte sie retten, und das war wirklich verletzend. Hatte Fraser vielleicht etwas zu ihm gesagt? Oder ihre Eltern? Ach, warum konnte sich ihre Familie nicht um ihren eigenen Kram kümmern? In Violets Ohren hallten ihre zahllosen Fragen wider. Warum triffst du dich nicht endlich mit jemandem? Warum stellst du so hohe Ansprüche? Ist dir klar, dass du bald dreißig wirst? Es hörte nie auf.

Die Wärme, die von Cams Hand ausging, strömte durch ihre Winterkleidung hindurch und ließ ihre Haut zum Leben erwachen.

„Hey“, sagte er mit sanfter Stimme.

Aber sie ließ sich nicht so schnell besänftigen. Natürlich könnte sie ein Date finden. Wozu gab es schließlich all diese Dating-Apps? Wenn sie es darauf anlegen würde, könnte sie noch vor Weihnachten verlobt sein. Nun, das war vielleicht doch ein bisschen schnell, wenn sie darüber nachdachte. „Ich bin durchaus in der Lage, jemanden zu finden, der mich begleitet, okay?“

Cam drückte kurz ihren Arm, bevor er ihn wieder losließ. „Ja, natürlich.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und runzelte die Stirn. „Entschuldige. Das war eine blöde Idee von mir. Richtig blöd.“

Warum eigentlich? Und was meinte er damit genau? Violet drückte das Buch gegen ihre Brust, in der ihr Herz plötzlich schneller schlug. Seine Berührung hatte etwas mit ihr gemacht, das ihr ganz neu war. Hatte er sie überhaupt schon einmal berührt? Angestrengt dachte sie darüber nach. Ja, in der Vergangenheit hatte er sie einmal auf die Wange geküsst, natürlich wie ein Bruder. Aber in letzter Zeit, seit Ostern, um genau zu sein, hatten sie keinerlei körperlichen Kontakt mehr miteinander gehabt. Fast schien es ihr, als würde Cam sich ganz bewusst von ihr entfernt halten. Das letzte Mal, als er in den Ferien in Drummond Brae gewesen war, war er eines Tages in die Bibliothek gekommen, wo Violet mit einem Buch auf dem Sofa gelegen hatte. Doch bei ihrem Anblick hatte er sich auf der Stelle umgedreht, sich entschuldigt und war geflüchtet. Warum eigentlich? Was war nur los mit ihm? Warum hielt er es nicht aus, mit ihr allein zu sein?

Violet griff nach ihrem Schal und schlang ihn sich um den Hals. „Ich muss zurück zur Arbeit. Hoffentlich geht bei der Hochzeit deines Vaters alles gut.“

„Bestimmt, er hat ja schon genug Übung darin“, erwiderte Cam. Er trank seinen Kaffee in einem Zug aus und stand auf. „Ich bringe dich ins Büro, wenn du nichts dagegen hast. Es liegt sowieso auf meinem Weg.“

Sie nickte knapp und widersprach auch nicht, als er darauf bestand, die Rechnung zu begleichen.

„Danke.“

„Kein Problem.“ Er legte ihr die Hand auf den Rücken und geleitete sie aus dem Café, das sich jetzt mehr und mehr füllte. Hitze strömte bei dieser Berührung durch ihren ganzen Körper, und sie war sich plötzlich ihrer Weiblichkeit sehr bewusst.

Jetzt reiß dich zusammen!

Das war das Problem, wenn man verzweifelt und ohne Begleitung war. Die leichteste Berührung einer männlichen Hand machte aus ihr schon eine lüsterne Närrin. Und löste Begierden aus, von deren Existenz sie nicht einmal etwas geahnt hatte.

Andererseits handelte es sich natürlich um keine beliebige männliche Hand.

Es war Cams Hand, und sie gehörte zu einem Körper, der Violet an heißen Sex denken ließ. Nicht, dass sie gewusst hätte, wie heißer Sex sich wirklich anfühlte. In der Pubertät hatte sie damit immer romantische Gefühle verbunden, und außer ihr war es jedem ihrer Geschwister gelungen, ihren Seelenpartner zu finden. Was stimmte nicht mit ihr? Stellte sie wirklich zu hohe Ansprüche? Hatte jene Partynacht ihr Selbstwertgefühl für immer zerstört? Aber warum nur, wenn sie sich kaum an die Details erinnern konnte?

Ihr ganzes Leben lang war Violet von Akzeptanz und Liebe umgeben gewesen. Es gab wirklich keinen Grund, warum sie sich minderwertig fühlen sollte. Aber irgendwie war ihr die Liebe – oder auch nur ein Gefühl der Anziehung für einen Vertreter des anderen Geschlechts – bisher entgangen.

Violet und Cam verließen das Café und traten hinaus auf den Gehweg. Ein eiskalter Regen prasselte auf sie herab, und sie machte schnell ihren Schirm auf. Cam nahm ihr den Griff ab und hielt den Schirm über sie beide. Dabei streifte er kurz ihre Finger, und erneut fuhr ihr ein Schauer durch den Körper.

Jetzt, da sie ihm so nahe war, konnte sie den Duft seines Aftershaves riechen. Die holzigen Noten erinnerten sie an Pinienwälder. Wie sie so nebeneinander die belebte Straße hinuntergingen, hätte man sie leicht für ein verliebtes Paar halten können.

Sie kamen zu einem großen viktorianischen Gebäude, in dem die Firma, für die Violet als Steuergehilfin arbeitete, eine Etage hatte. Aber als sie sich gerade von Cam verabschieden wollte, kam eine ihrer Kolleginnen heraus. Überrascht musterte Lorna Violets Begleiter und sagte dann anzüglich: „Na, das lässt mich ja für dich hoffen, Violet.“

Sie knirschte mit den Zähnen und hätte die andere in diesem Moment ermorden können. Lorna war keine Freundin von ihr, im Gegenteil. Sie liebte es zu klatschen, und wenn sie nicht in ihrem Job so gut gewesen wäre, hätte man sie gewiss schon entlassen.

„Na, gehst du mittagessen?“, fragte sie und vermied es, auf Lornas Ton einzugehen.

Autor

Melanie Milburne

Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der...

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