Verräterisches Herz

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Mit gebrochenem Herzen flieht Alicia Hals über Kopf aus der Flitterwochen-Suite! So schnell wie möglich muss sie Francesco vergessen! Was auch gelingt - bis ihr der attraktive Adlige unerwartet über den Weg läuft und fordert, dass sie zurück in sein toskanisches Castello kommt. Er will eine zweite Chance für ihre Ehe!


  • Erscheinungstag 09.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709853
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die Atmosphäre in der Stadt wirkte wie elektrisch aufgeladen. Auch Alicia Cross spürte ein Kribbeln in ihren Adern, als sie sich den walisischen Rugbyfans anschloss, die ins Millennium Stadion von Cardiff strömten. Wie immer waren sie zu Tausenden angereist, um ihre Helden lautstark zu unterstützen. Gewann Wales heute gegen Italien, war der Sieg im Six Nations Turnier zum Greifen nah.

Wochen voller Arbeit lagen hinter Alicia. Unermüdlich war sie für die PR-Firma, für die sie arbeitete, unterwegs gewesen und hatte Partys und Pressetermine rund um das Turnier organisiert. Den heutigen Nachmittag hatte sie sich freigenommen, um sich mit ihren Freunden das Spiel anzusehen.

Anstatt also mit einem der Sponsoren in der VIP Lounge zu sitzen, befand sie sich endlich auf dem Weg zu ihrem Platz auf der Tribüne. Sie war reichlich spät dran. In ihrer Hektik wäre sie beinahe mit einem Mann zusammengestoßen, der sich ihr unvermittelt in den Weg stellte. Gerade wollte sie sich entschuldigen, da wich alle Farbe aus ihren Wangen. Hastig wirbelte sie herum, doch der Mann reagierte blitzschnell und griff nach ihrer Hand. Nur weil sie sich der neugierigen Blicke der Umstehenden bewusst war, hielt Alicia still. Ihr Herz pochte wie wild, als sie den Kopf hob und in das atemberaubend attraktive Gesicht des Mannes schaute, der einst ihre romantischen Mädchenträume in dunkle Albträume verwandelt hatte.

„Alicia“, sagte er.

Zu ihrem größten Entsetzen musste sie feststellen, dass der Klang seiner samtigen Stimme ihr immer noch Schauer über den Rücken sandte. Ihre Blicke trafen sich. Einige Sekunden hielt sie seinen von dunklen Lidern überschatteten Augen stand, dann entriss sie ihm ihre Hand.

Aber Francesco da Luca fasste nach ihrem Ellenbogen. „Warte, Alicia. Ich muss mit dir sprechen.“

Schweigend starrte sie ihn mit blitzenden Augen an. Ein paar verspätete Fans eilten pfeifend an ihnen vorbei. Francesco fluchte leise und ließ sie los.

„Glaubst du wirklich, du entkommst mir so leicht, Alicia?“

Die unterschwellige Drohung ließ sie den anderen Fans nachjagen, als sei der Teufel hinter ihr her. Lärm, laute Musik und das fröhliche Geschrei von Menschen umfing sie, als sie die Stufen hinunter in Richtung ihrer Sitzreihe stürmte. Glücklicherweise sprang Gareth Davies rechtzeitig auf, sodass sie in seinen Armen landete.

„Langsam! Du brichst dir noch den Hals!“

„Wo warst du?“, fragte Megan ungehalten, während ihr Bruder Alicia auf den Platz zwischen ihnen bugsierte. „Die Mannschaften laufen gleich auf … Heh, was ist denn los?“

„Lass mich erst mal Luft holen.“ Sie beugte sich vor und begrüßte Megans Ehemann mit einem freundlichen Lächeln. „Hallo, Rhys.“

„Geht es dir gut?“, fragte er.

„Ja, alles in Ordnung.“

„So siehst du aber gar nicht aus“, mischte Gareth sich ein.

Alicias Antwort ging in dem Jubel unter, mit dem die italienischen Fans ihre Mannschaft empfingen. Dann pfiffen und applaudierten auch alle anderen, als der Schafsbock Billy Wales, das berühmte Maskottchen des walisischen Teams, aufs Feld geführt wurde. Ihm folgte der Kapitän, der einen kleinen Jungen in einem roten Trikot an der Hand hielt. Danach schritten auch die anderen Spieler, jeweils begleitet von einem glücklichen Kind, ins Freie und nahmen auf dem Feld Aufstellung.

Die Band stimmte die italienische Nationalhymne an, die von den angereisten Fans begeistert mitgesungen wurde. Dann jedoch senkte sich einen Moment absolute Stille über das Stadion. Die ersten Takte der walisischen Hymne erklangen. Und jeder walisische Mann, jede Frau, jedes Kind, sang stolz und ergriffen die alten Worte.

Die Musiker verließen das Feld, der Schiedsrichter pfiff das Spiel an, und ab diesem Moment tobten die Zuschauer. Alicia klatschte und schrie mit den anderen. Ein wahres Crescendo brach los, als es dem walisischen Stürmer gelang, den Angriffen der italienischen Verteidiger auszuweichen und den Ball mit einem Hechtsprung hinter der gegnerischen Linie abzulegen.

Doch während des gesamten Spiels, auch wenn sie und Megan einander vor Begeisterung über einen besonders guten Treffer in die Arme fielen, empfand sie eine gewisse Betäubung.

Endlich ertönte der Abpfiff. Wales hatte das Spiel gegen die Italiener haushoch gewonnen. Das Publikum war außer sich. Niemand verließ das Stadion. Fast ekstatisch verabschiedete die Menge die Spieler mit frenetischem Applaus.

„Großartig“, sagte Alicia schließlich. „Leider ruft schon wieder die Pflicht. Ich muss los.“ Sie stand auf. „Ihr bleibt und genießt die Party.“

„Bist du dir sicher?“, fragte Gareth.

„Klar. Wir sehen uns morgen zum Lunch.“ Alicia beugte sich vor und küsste Megan auf die Wange.

„Geh nicht zu spät ins Bett, Lally. Du siehst müde aus.“

„Mir geht es gut, du Glucke. Bis morgen, Jungs.“

Lächelnd machte sie sich auf den Weg durch die jubelnden Fans. Erst als sie den in einen eleganten Regenmantel gekleideten Mann am Fuß der Treppe entdeckte, verschwand ihr Lächeln abrupt. Einen Moment dachte sie darüber nach, zu den anderen zurückzulaufen. Dann straffte sie die Schultern und ging mit hoch erhobenem Kopf die letzten Stufen hinunter. Sie ignorierte Francescos hilfreich ausgestreckte Hand und begleitete ihn wortlos zum Ausgang des Stadions. Schweigend entfaltete er einen schwarzen Regenschirm und zog Alicia unter den schützenden Stoff.

„Ich muss mit dir sprechen“, meinte er.

„Nein“, entgegnete sie kühl.

„Ich verstehe deine Feindseligkeit …“

„Was du nicht sagst!“

Seine Augen blitzten auf. „Du weißt ganz genau, wie oft ich versucht habe, dich zu erreichen, Alicia! Aber du hast meine Anrufe nicht erwidert, meine Briefe sind ungeöffnet zurückgekommen. Auch deine Mutter wollte mir nicht helfen.“

„Natürlich nicht. Ich habe sie gebeten, es nicht zu tun.“ Trotzig hob sie das Kinn noch einen Zentimeter. „Und in letzter Zeit kannst du es auch nicht mehr versucht haben. Sie wohnt nicht mehr in der Blake Street.“

Francesco zog sie zur Seite, als ein weiterer Trupp Fans an ihnen vorbeistürmte. „Dio, so geht das nicht. Komm mit mir in mein Hotel.“

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Nach allem, was das letzte Mal passiert ist, als wir zusammen in einem Hotelzimmer waren? Träum weiter, Francesco!“ Sie wollte sich ihm entziehen, doch er hielt sie fest.

„Mehr als Träume sind mir von dir ja nicht geblieben.“ Er schaute ihr tief in die Augen. „Und dann habe ich zu hoffen gewagt, als dein Brief kam. Aber es war nur eine Kondolenzkarte zum Tod meiner Mutter.“

„Und die habe ich nur geschrieben, weil meine Mutter darauf bestanden hat.“

Seine Miene verdüsterte sich. „Hasst du mich so sehr, Alicia?“

Sie schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln. „Du meine Güte, nein. Ich empfinde überhaupt nichts mehr für dich, Francesco. Dieses dringende Gespräch, das du unbedingt führen willst“, fügte sie kühl hinzu, „ich nehme an, es handelt sich um unsere Scheidung? Nach so langer Zeit ist meine Zustimmung gar nicht mehr nötig, oder lauten die Gesetze in deinem Land anders? Zu deiner Beruhigung kann ich dir versichern, dass ich keinerlei Ansprüche stelle. Ich will rein gar nichts von dir. Ich unterschreibe jedes Dokument. Aus meiner Sicht bist du ein freier Mann.“

Langsam schüttelte er den Kopf. In seinen Augen lag ein Ausdruck, der ihr nicht behagte. „Du und ich wurden von einem Priester vor Gott vermählt, Alicia. Du bist noch immer meine Ehefrau. Und ich“, fügte er in einem Tonfall hinzu, der ihr noch viel weniger behagte, „bin noch immer dein Ehemann.“

„Dein Problem, Francesco, nicht meines“, entgegnete sie abweisend und schaute betont gelangweilt auf ihre Armbanduhr. „So faszinierend ich dieses Gespräch auch finde, ich muss jetzt gehen.“

Francesco ließ sie so unvermittelt los, dass sie beinahe gestolpert wäre. „Va bene. Tu, was du am besten kannst … weglaufen.“

Für eine Sekunde dachte sie über eine bissige Antwort nach, doch dann wirbelte sie einfach nur herum und marschierte los – langsam, obwohl sie viel lieber gerannt wäre. Im Schutz der Menschenmenge sah sie sich um, aber die Gestalt in dem Regenmantel war verschwunden.

Am Abend, als sie sich für die Party umzog, versuchte sie, das unerwartete Wiedersehen mit Francesco zu vergessen. Routiniert bändigte sie die rebellischen Locken und zwang sie in einen eleganten Knoten am Hinterkopf. Dann widmete sie sich dem Make-up. Ihre Bewegungen waren mechanisch, denn ihre ungehorsamen Gedanken beförderten immer neue Erinnerungen in ihr Bewusstsein.

Es war ihr achtzehnter Geburtstag und ihr erster Urlaubstag. Allein und ganz auf sich gestellt machte Alicia sich auf, Florenz zu erkunden. Mit einem Stadtplan in der Hand durchstreifte sie die alten Straßen und erreichte schließlich die Piazza della Signoria. Aufgeregt schlenderte sie zwischen den anderen Touristen umher und bewunderte die vielen Kunstwerke, die sie bislang nur vom Fernsehen und aus Büchern kannte – vor allem aus ihrem Lieblingsroman: Zimmer mit Aussicht.

Endlich betrat sie die letzte Station ihrer Tour, das bekannte Caffe Rivoire. Gleich hinter der Tür musste sie einem sich leidenschaftlich küssenden Paar ausweichen, wobei sie dummerweise ihre Tasche fallen ließ. Panisch hechtete sie dem guten Stück nach. Nur die fantastischen Reflexe des Mannes, mit dem sie dabei zusammenstieß, verhinderten, dass auch sie zu Boden ging.

„Mi dispiace!“, sagte er und hielt sie mit starken Händen fest.

Vor Verlegenheit wurde sie rot bis in die Haarspitzen. Sie hob den Kopf und schaute in ein freundliches Gesicht mit honigfarbener Haut und schwarzen Locken, das ihr so vertraut vorkam, dass sie jede italienische Redewendung, die sie extra für den Urlaub gelernt hatte, auf der Stelle vergaß.

„Es tut mir leid, es war mein Fehler“, brachte sie schließlich hervor.

Ihr Retter lächelte. „Ah! Sie sind Engländerin. Und Sie zittern ja. Haben Sie sich verletzt?“

„Nein.“ Nur völlig aus dem Konzept gebracht, weil sie dem Mann begegnet war, dessen Poster die Wand in ihrem Schlafzimmer zierte.

„Aber Sie haben einen kleinen Schock erlitten. Kommen Sie, Sie brauchen einen Drink“, meinte er mit fester Stimme. „Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Francesco da Luca.“

Passierte das wirklich? Sie atmete tief ein. „Und ich heiße Alicia Cross.“

Er führte sie nach draußen, zu einem der im Schatten der Markise stehenden Tische. Dort nahm sie ihre Sonnenbrille und den neuen weißen Strohhut ab und bat mit einem schüchternen Lächeln um eine Tasse heißer Schokolade anstelle des kalten Drinks. „Ich habe gehört, das ist die Spezialität des Caffe Rivoire.“ Sie hielt inne, als sie bemerkte, wie aufmerksam Francesco da Luca sie musterte.

Blinzelnd murmelte er eine Entschuldigung und teilte dem Kellner ihre Bestellungen mit. Dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück. „Also, verbringen Sie in Florenz Ihre Ferien, Miss Alicia Cross?“

„Ja.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „So jung so allein?“

„Nein.“ Für wie jung hielt er sie? „Ich bin mit meiner besten Freundin hier. Leider hat Megan den Flug nicht gut verkraftet und liegt mit leichten Kopfschmerzen im Hotel. Aber sie hat darauf bestanden, dass ich bereits heute auf Entdeckungstour gehe.“ Alicia lächelte. „Und eine lange Liste mit Instruktionen hat sie mir auch mitgegeben.“

„Eine davon kann ich bestimmt erraten.“ Sein Lächeln beschleunigte ihren Puls. „Sie sollen nicht mit Fremden sprechen.“

Zwei kleine Grübchen erschienen auf ihren Wangen. „Steht ganz oben.“ Ihr Lächeln verblasste, als in seinen Augen wieder jener merkwürdige Ausdruck erschien. „Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen.“

„Das haben Sie nicht. Ich bin nur ganz hingerissen von den fossetti“, erwiderte er sanft.

Das Wort hatte nicht in ihrem Lehrbuch gestanden. Doch Alicia war sich sicher, er meinte ihre Sommersprossen. „Ich hasse sie“, erklärte sie inbrünstig. Der Kellner servierte die heiße Schokolade, und sie bedanke sich mit einem der wenigen italienischen Sätze, an die sie sich erinnern konnte.

Francesco beugte sich ein bisschen näher zu ihr. „Sie sollten sie nicht hassen. Ich finde sie bezaubernd.“

Alicia nippte an ihrer Schokolade. „Ich nicht“, sagte sie resigniert. „Ich habe alles Mögliche versucht, um sie loszuwerden, aber nichts hat funktioniert.“

„Ich glaube, wir haben ein kleines Sprachproblem“, entgegnete er stirnrunzelnd. „Würden Sie bitte noch einmal für mich lächeln?“

Alicia gehorchte. Und musste dann wirklich lachen, als ihr klar wurde, dass er von ihren Grübchen gesprochen hatte. Nicht, dass sie die sonderlich schön fand. Sie fuhr sich mit einem Finger über die Wange. „Ich dachte, Sie meinen die Sommersprossen.“

„Die sind ebenfalls bezaubernd“, sagte er ernst.

Nicht sicher, wie sie darauf antworten sollte, nahm Alicia Zuflucht zu ihrer Schokolade, die einfach himmlisch schmeckte. Womit, fragte sie sich, habe ich nur so viel Glück verdient? Endlich befand sie sich in Florenz, mitten auf der Piazza della Signorina mit all den wundervollen Statuen und prächtigen Gebäuden. Und dann war sie auch noch Francesco da Luca begegnet und saß plaudernd mit ihm in einem der berühmtesten Cafés der Stadt.

„Woran denken sie?“, erkundigte er sich.

„Dass Sie sehr gut Englisch sprechen, Signor da Luca.“ Mit einem unglaublichen Akzent, der wohlige Schauer über ihren Rücken sandte.

Grazie. Aber, bitte, nennen Sie mich Francesco. Und ich spreche Englisch, weil das in meinem Beruf von Vorteil ist.“

Seine Karriere als Rugbyspieler war so kurz gewesen, dass Alicia nie etwas über sein Privatleben zu Ohren gekommen war. „Was arbeiten Sie denn?“ Sie wurde rot. „Entschuldigung. Das müssen Sie nicht beantworten.“

Amüsiert schüttelte Francesco den Kopf. „Welcher Mann mag es nicht, über sich zu sprechen?“

Alicias Miene hellte sich auf. Wenn es nach ihr ging, konnte Francesco so lange und so viel er wollte über sich erzählen.

Er lehnte sich zurück. „Ich habe Jura studiert. Doch so nützlich das Wissen in Rechtsfragen manchmal ist, bin ich nicht in dieser Branche tätig.“ Er zuckte die breiten Schultern. „Für mich bedeutet Leben Wein, Oliven und Marmor. Und Verantwortung zu tragen.“ Er bedachte sie mit einem forschenden Blick. „Und was ist mit Ihnen, Miss Alicia? Sie besuchen noch die Schule?“

„Nein. Seit vergangener Woche nicht mehr“, fügte sie hinzu. „Ich habe gerade die letzten Klausuren geschrieben. Wenn meine Noten gut genug sind, gehe ich im Oktober auf die Universität.“

„Dann sind Sie nicht mehr so jung, wie ich dachte“, erwiderte er überrascht. „Wie alt sind Sie, Alicia?“

„Achtzehn.“ Sie zögerte einen Moment, dann lächelte sie strahlend und ließ ihre Grübchen aufblitzen. „Heute geworden.“

Seine Augen weiteten sich. Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen, als sie endlich die Farbe richtig erkannte. Eine seltene Nuance zwischen Grau und Blau – ungewöhnlich für ein so markant männliches Gesicht.

„Sie haben heute Geburtstag!“, rief er aus. „Buon compleanno!“

„Danke.“

„Anstelle der Schokolade sollten wir mit Champagner anstoßen. Immerhin sind Sie nun alt genug, um Alkohol trinken zu dürfen, oder?“

„Werden Sie mich auslachen, wenn ich Ihnen sage, dass ich Champagner nicht sonderlich mag?“

„Nein“, entgegnete er sanft. „Ich werde nicht lachen.“

Schweigen senkte sich über sie. Sein Blick hielt den ihren gefangen. Schließlich gab Alicia sich einen Ruck. „Ich muss Ihnen ein Geständnis machen. Ich weiß, wer Sie sind.“

Er nickte. „Weil ich Ihnen meinen Namen genannt habe.“

„Nein. Ich meine, ich weiß, dass sie mal Rugby gespielt haben.“

„Davvero?“, fragte er verwundert.

Sie nannte ihm den Namen des Turniers, bei dem sie ihn auf dem Feld gesehen hatte.

„Nur wenige Menschen erinnern sich daran. Kurz danach habe ich mich verletzt und nie wieder gespielt.“ Francesco schüttelte den Kopf. „Damals waren Sie ein junges Mädchen. Ich bin wirklich überrascht.“

„Dass ich mich an Sie erinnere, oder dass ein Mädchen sich für Rugby interessiert?“

„Beides. Hat Ihr Vater auch gespielt?“

„Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nie kennengelernt“, sagte sie und wünschte gleich darauf, sich auf die Zunge gebissen zu haben.

Francesco zuckte zusammen. „Mi dispiace!“

Sie versuchte sich an einem möglichst nonchalanten Schulterzucken. „Der Vater meiner besten Freundin spielt aktiv, ebenso wie ihr Bruder. Zusammen mit Meg bin ich immer zu Gareths Spielen gegangen. Vermissen Sie es zu spielen?“

„Ja, aber mittlerweile bleibt mir keine Zeit mehr für Sport. Hin und wieder schaue ich mir eine Begegnung im Fernsehen an. Wird so ein enthusiastischer Rugbyfan wie Sie mich mit Verachtung strafen, wenn ich außerdem gestehe, dass ich Fußball mag?“

Lächelnd schüttelte Alicia den Kopf. Dann fiel ihr Blick auf ihre Armbanduhr. Sie saßen bereits wesentlich länger hier, als sie für möglich gehalten hatte. Mit einem lauten Seufzen setzte sie die Sonnenbrille wieder auf. „Ich muss zurück zu meiner Freundin. Vielen Dank für die heiße Schokolade.“

Rasch erhob auch Francesco sich. „In welchem Hotel wohnen Sie?“

Sie nannte ihm den Namen des kleinen Hotels im Stadtzentrum.

Bene. Ich begleite Sie. Ich muss doch sichergehen, dass Sie an diesem besonderen Tag wohlbehalten zu Ihrer Freundin zurückkehren, Miss Alicia Cross.“

Vorhin, als sie die Piazza della Signorina mit dem Stadtplan gesucht hatte, war ihr der Weg recht lang vorgekommen. Doch an Francescos Seite verging die Zeit wie im Fluge. Sie erzählte ihm von ihren Ferienplänen, als würde sie ihn schon ewig kennen – was auf gewisse Weise ja auch der Fall war. Vor dem Hotel angekommen, streckte sie die Hand aus.

„Vielen Dank. Es war ein wunderschöner Zufall, Sie zu treffen.“ Sie lächelte schüchtern. „Und es hat mir viel Spaß gemacht.“

Zu ihrer Freude beugte Francesco sich vor und küsste ihre Hand. „Mir auch, Miss Alicia Cross. Ich hoffe, Ihrer Freundin geht es mittlerweile wieder besser. Arrivederci.“

Noch ganz verzaubert betrat Alicia den Aufzug und starrte ihre Hand an, als habe Francescos Kuss dort ein Zeichen hinterlassen. Erst als die Türen sich öffneten, kam sie wieder zu sich. Hastig stürmte sie zu ihrem Zimmer, klopfte leise an und rief: „Megan, ich bin es.“

Völlig verschlafen öffnete Megan die Tür. „Du bist ja schon zurück. Ich dachte, du wärst viel länger unterwegs.“

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“ Alicia musterte sie eingehend. „Wie fühlst du dich?“

„Immer noch ein bisschen schwach, aber wenigstens muss ich mich nicht mehr übergeben.“ Megan seufzte. „Kein großer Trost. Immerhin ist heute dein Geburtstag.“

„Dann feiern wir eben morgen. Und jetzt leg dich wieder hin. Du siehst ganz blass um die Nase aus.“

„Okay, Lally“, meinte Megan, nachdem sie sich wieder in die Kissen gekuschelt hatte. „Erzähl mir, was du dir angesehen hast.“

„Die Piazza della Signorina war ganz leicht zu finden. Sie ist nicht weit weg von hier. Der ganze Platz gleicht einem Skulpturenpark. Der Palazzo Vecchio ist großartig, allerdings bin ich nicht hineingegangen. Dann bin ich am Neptunbrunnen vorbei zur Kopie von Michaelangelos David geschlendert und weiter zu den Statuen in der Loggia dei Lanzi. Der Raub der Sabinerinnen sieht ziemlich realistisch aus“, führte Alicia begeistert aus. „Aber am besten gefällt mir Perseus mit dem abgeschlagenen Kopf der Medusa in der Hand.“

„Ich kann es gar nicht erwarten, das auch zu sehen! Hast du anschließend eine heiße Schokolade im Rivoire getrunken?“

„Gewissermaßen, ja.“

„Was heißt das denn?“

Alicia atmete tief ein. „Du wirst nie erraten, wen ich getroffen habe.“

Megans Augen weiteten sich. „Kaum dass du eine Minute in Florenz bist? Wen?“

Gestenreich beschrieb Alicia den Unfall mit ihrer Tasche und den Beinahezusammenstoß mit dem Mann, der sie gerettet hatte.

Megan schnaubte. „Nach all meinen Warnungen lässt du dich von einem Fremden antatschen?“

„Ja, du Glucke! Sonst wäre ich auf die Nase gefallen.“

„Dein Retter … war er Italiener?“

„Was denkst du denn? Jemand aus Cardiff?“ Alicia grinste. „Sitzt du bequem? Jetzt kommt der Teil, den du nicht glauben wirst. Es war Francesco da Luca.“

Mit halb geöffneten Mund starrte Megan die Freundin an. „Der italienische Stürmer von deinen Rugbypostern?“

„Genau der.“ Sie legte eine Hand über ihr Herz. „Das Objekt meiner mädchenhafter Schwärmereien.“

„Hast du ihm das gesagt?“

„Natürlich nicht! Aber ich habe erzählt, dass ich Rugbyfan bin.“

„Was ist dann passiert?“

„Er hat darauf bestanden, mich zu einem Drink einzuladen, damit ich meinen Schreck überwinde. Ich habe mich für die heiße Schokolade entschieden. Und dann saßen wir an einem der Tische vor dem Rivoire und haben uns Ewigkeiten unterhalten. Anschließend hat er mich bis zum Hotel begleitet.“ Sie lächelte verträumt. „Bestimmt war es eine glückliche Fügung des Schicksals, dass ich ausgerechnet vor ihm gestolpert bin.“

„Und dieselbe Macht hat mich krank werden lassen, damit du alleine unterwegs sein kannst!“, fügte Megan düster hinzu, nur um gleich darauf zu grinsen. „Ich freue mich so, dass du einen schönen Geburtstag hattest.“

„Meine Mutter wird mir das nie glauben.“

„Meine auch nicht.“ Megan gähnte laut. „Mir ist noch nicht nach fester Nahrung zumute, aber du musst hungrig sein.“

„Nicht wirklich. Bist du müde? Pass auf, du schläfst noch ein bisschen, ich setze mich auf die Terrasse und lese.“ Alicia wedelte mit ihrem dicken Roman. „Endlich keine Schulbücher mehr! Wir sehen uns später.“ Doch als sie kurz darauf unter dem Sonnenschirm saß, war sie viel zu aufgeregt, um sich auf die Worte zu konzentrieren. Stattdessen lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und ließ die unverhoffte Begegnung mit Francesco noch einmal Revue passieren. Schließlich schlenderte sie wieder ins Zimmer, um nachzusehen, ob Megan etwas brauchte.

„Oh, gut … ich wollte dir schon eine SMS schreiben. Die sind gerade angekommen.“ Megan deutete auf zwei Blumensträuße, die auf dem Tisch standen. „Der Rezeptionist hat sie gebracht. Die Nelken sind für mich, weil auf der Karte Gute Besserung steht. Aber die Rosen sind für Miss Alicia Cross.“

Entzückt betrachtete Alicia die cremefarbenen, halb geöffneten Blüten. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“ stand auf der Karte, darunter die Frage, ob Miss Alicia Cross und ihre Freundin Francesco da Luca die Ehre erweisen würden, mit ihm zu Abend zu speisen. Er würde um acht Uhr ins Hotel kommen, um zu erfahren, ob die Damen einverstanden wären.

„Einverstanden? Das ist ja fantastisch!“ Megans Augen glitzerten vor Begeisterung. „Zieh dein hübschestes Kleid an, Alicia. Das ist deine Nacht!“

„Ganz bestimmt nicht! Ich lasse dich nicht wieder allein, Megan“, erwiderte sie empört. „Wenn Francesco kommt, sage ich ihm, dass du dich noch immer nicht wohlfühlst. Ich werde ihn bitten, uns ein anderes Mal einzuladen.“

„Spinnst du? Ein anderes Mal gibt es nicht.“ Megan zog sie zu sich auf die Bettkante. „Das hier ist eine einmalige Gelegenheit, Lally. Jetzt oder nie. Wenn du Zweifel hast, kannst du ja deine Mutter anrufen.“

„Ich weiß auch so, dass Bron Nein sagen wird.“

„Aber du willst mit Francesco ausgehen, oder?“

„Natürlich. Trotzdem wünschte ich, du könntest mitkommen.“

„Ich auch. Aber schon bei dem Gedanken an Essen wird mir schlecht.“ Sie tätschelte Alicias Hand. „Und jetzt unter die Dusche mit dir. Zeit, dass du in die Gänge kommst!“

Sie stritten noch eine Weile, dann gab Alicia auf und fügte sich bereitwillig Megans Anweisungen.

„Meine Mutter hat darauf bestanden, das Kleid einzupacken, das sie mir zum Geburtstag gekauft hat. Meinst du, ich soll es heute Abend anziehen?“, fragte sie schließlich, als sie frisch geduscht aus dem Bad kam.

„Auf jeden Fall! Dieses Kaffeebraun steht dir. Sehr hübsch.“

„Schwarz und schulterfrei wäre mir lieber gewesen“, seufzte sie. „Aber dagegen hat Bron ihr Veto eingelegt.“

„Zieh die Unterwäsche an, die ich dir rausgelegt habe, dann helfe ich dir mit den Haaren.“

Ihr ganzes Leben lang hatte Alicia Megan um ihre glatten braunen Haare beneidet. Um ihre kupferfarbenen Locken zu bändigen, fasste sie sie normalerweise zu einem dicken Zopf zusammen. Doch weil heute ein ganz besonderer Tag war, bestand Megan darauf, sie über eine Bürste zu weichen Wellen zu fönen.

„Toll sieht das aus“, konstatierte sie schließlich. „Jetzt noch die Schuhe, dann bist du fertig.“

Alicia schnitt eine Grimasse, schlüpfte jedoch in die schwarzen Sandaletten mit den hohen Absätzen. „Ich hoffe nur, ich muss nicht weit in denen laufen.“ Sie sortierte einige Kleinigkeiten in das neue Abendhandtäschchen und legte das goldene Armband um, das Megans Eltern ihr geschenkt hatten. „Bist du sicher, dass du zurechtkommst?“

„Klar. Ich werde lesen oder fernsehen.“ Megan lächelte ermutigend. „Raus mit dir! Genieß deinen Geburtstag.“

Im Lift hätte Alicia beinahe kalte Füße bekommen. Francesco bekam vielleicht den falschen Eindruck, weil sie seine Einladung ohne Megan annahm. Sie kannte ihn doch gar nicht. Vielleicht glaubte er, sie mache so etwas andauernd. Dabei waren Megans Bruder Gareth und seine Freunde die einzigen jungen Männer, die sie kannte. Und die sahen in ihr nur den Teenager mit den Sommersprossen.

Als Alicia das Foyer erreichte, tat ihr Herz einen Sprung, weil Francesco in diesem Moment durch die Tür kam. In dem hellen Leinenanzug sah er so elegant und wie einem ihrer Träume entsprungen aus, dass sie sich unauffällig in den Arm kniff – nur um sicherzugehen, dass sie nicht vielleicht doch schlief.

„Buona sera“, sagte er und griff nach ihrer Hand. „Sie sehen bezaubernd aus, Miss Alicia Cross.“

„Danke.“ Sie lächelte schüchtern. „Megan und ich möchten uns für die Blumen bedanken. Ich fürchte nur, es gibt da ein Problem …“

„Sie können nicht mit mir zu Abend essen?“, fragte er rasch, wobei sein Lächeln verschwand.

„Megan fühlt sich nicht wohl genug, um mitzukommen. Ist es in Ordnung, wenn nur ich mit Ihnen esse?“

In Francescos Augen blitzte etwas auf, das ihren Puls beschleunigte. „Perfekt. Ich fühle mich geehrt, Ihren Geburtstag mit Ihnen feiern zu dürfen.“ Er zog ein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Nach einem kurzen Wortwechsel auf Italienisch führte er Alicia aus dem Hotel. „Das Restaurant befindet sich in der Nähe von Santa Croce. Können Sie in Ihren Schuhen so weit laufen?“

Sie nickte. Was machte es schon, wenn sie morgen Blasen hatte?

Alicia genoss die Atmosphäre des abendlichen Florenz. Immer noch waren unzählige Menschen unterwegs, der Lärm der allgegenwärtigen Motorroller erfüllte die Luft. Auf der Piazza delle Signoria standen noch Tische draußen, an denen Einheimische und Touristen saßen und bunte Cocktails tranken. Der Neptunbrunnen wurde von hellen Lichtern angestrahlt, in denen der Gott und die Nymphen fast lebendig wirkten. Doch Alicia hatte nur Augen für die Loggia dei Lanzi, in der Perseus seine schreckliche Trophäe in die Höhe hielt.

„Gefällt Ihnen die Statue?“, fragte Francesco, woraufhin sie begeistert nickte.

„Aber ich mag alles an Florenz. Ich habe mich so lange auf diesen Urlaub gefreut. Kurz vorher hatte ich Angst, dass ich vielleicht enttäuscht sein würde.“ Sie lächelte. „Doch Ihre Stadt ist noch viel schöner, als ich sie mir vorgestellt hatte.“

„Florenz ist wunderschön“, stimmte er zu, während sie die Piazza hinter sich ließen und auf die Kirche Santa Croce zusteuerten. „Allerdings ist es nicht meine Stadt. Ich bin nur für ein paar Tage geschäftlich hier. Ich lebe nicht hier. Mein Zuhause ist Montedaluca.“

Plötzlich fiel Alicia etwas ein. Sie wusste kaum etwas über Francesco. Vielleicht war er mittlerweile verheiratet und hatte Kinder? Danach hätte sie ihn schon längst fragen sollen.

„Etwas bekümmert Sie“, stellte Francesco gleich darauf zu ihrer Überraschung fest. „Was bereitet Ihnen Sorgen, Alicia?“

Autor

Catherine George

Die öffentliche Bibliothek in ihrem Heimatort nahe der walisischen Grenze war der Ort, an dem Catherine George als Kind in ihrer Freizeit meistens zu finden war. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Mutter, die Catherines Lesehunger förderte. Zu einem Teil ist es sicher ihrer Motivation zu verdanken, dass Catherine George...

Mehr erfahren