Zweite Chance für die Liebe

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Ist es Rache, die in Vito Barbieris Augen brennt – oder glühendes Verlangen? Vor drei Jahren hat Ava ihrem Traummann durch einen Unfall den Bruder geraubt, nun steht sie ihm wieder gegenüber: Als seine Angestellte! Noch immer sehnt sie sich nach dem Tycoon. Wird er ihr je verzeihen?


  • Erscheinungstag 26.11.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520867
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Schon wieder Weihnachten. Unwillig verzog Vito Barbieri das markante Gesicht. Jedes Jahr das gleiche Spiel: Es wurde zu viel gefeiert, zu viel getrunken, die Konzentration litt, ganz zu schweigen von der Produktivität seiner vielen Tausend Angestellten. An den daraus resultierenden Gewinneinbruch im Januar mochte er gar nicht denken.

Am liebsten hätte er das Weihnachtsfest aber auch aus einem anderen, sehr tragischen Grund vergessen. Vor drei Jahren hatte er seinen geliebten kleinen Bruder Olly durch einen Autounfall verloren. Ausgerechnet nach Vitos eigener Weihnachtsparty hatte sich jemand betrunken ans Steuer gesetzt und den Wagen, in dem Olly gesessen hatte, gegen einen Baum gefahren. Kurz vor dem Unfall hatten Olly und Vito sich noch gestritten.

Er hatte ihn so sehr geliebt. Aber leider hatte Vito schon früh lernen müssen, dass Liebe schmerzt. Als er noch ein Kind war, hatte seine Mutter ihn und seinen Vater wegen eines noch reicheren Mannes verlassen. Er hatte sie nie wieder gesehen. Sein Vater hatte sich danach kaum noch um ihn gekümmert, weil er sich von einer Affäre in die nächste gestürzt hatte. Olly war aus einer dieser Affären hervorgegangen. Er war gerade neun Jahre alt gewesen, als seine Mutter, eine Engländerin, starb. Vito hatte den Kleinen bei sich aufgenommen. Olly mit seinem sonnigen Gemüt hatte sein Leben bereichert, das sonst nur aus Arbeit bestand.

Nur Olly zuliebe hatte er Bolderwood Castle erworben, dieses gotisch angehauchte Monstrum mit den vielen Türmchen. Ohne Olly fühlte er sich dort nicht mehr zu Hause. Natürlich könnte er heiraten, doch er misstraute Frauen. Zu oft hatte er im Freundeskreis mit ansehen müssen, wie geldgierige, ehrgeizige Frauen seine Freunde bei der unvermeidlichen Scheidung um die Hälfte ihres Vermögens erleichtert und die gemeinsamen Kinder mitgenommen hatten.

Wenn jemand so reich war wie Vito, warfen sich die Frauen ihm buchstäblich vor die Füße. Er war aber nur an Sex interessiert, ganz sicher nicht an einer festen Bindung. Und selbst der Sex verlor langsam an Attraktivität.

Mit seinen inzwischen einunddreißig Jahren hatten sich Vitos Ansprüche gewandelt. Dummchen irritierten ihn, denn er wurde schnell ungeduldig. Intellektuelle Snobs, Partygirls und Emporkömmlinge langweilten ihn. Kichernde, flirtende Mädchen erinnerten ihn zu sehr an seine vergeudete Jugend, und taffe Karrierefrauen hatten meistens keine Ahnung, wie man sich nach einem harten Arbeitstag entspannte. Oder sie wollten von vornherein die Eckpunkte einer möglichen Beziehung festklopfen und bombardierten ihn mit Fragen wie: Wünschst du dir Kinder? Bist du zeugungsfähig? Willst du mal heiraten? Nein, das wollte er ganz bestimmt nicht. Die unweigerlich auf eine Heirat folgende Enttäuschung wollte er sich ersparen. Insbesondere da er seit Ollys Tod nur zu gut wusste, wie schnell das Leben zu Ende sein konnte. Da nahm Vito lieber das Risiko in Kauf, als mürrischer alter Kauz zu sterben.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine trüben Gedanken. Eine Frau betrat das Büro. Karen Harper, seine Büromanagerin, wie er sich dunkel erinnerte. AeroCarlton, ein Hersteller von Flugzeugteilen, war ein Neuzugang in seinem Konzern. Vito konnte noch gar nicht alle Mitarbeiter kennen.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung, Mr Barbieri. Ich wollte nur kurz fragen, ob Sie als neuer Eigentümer auch bereit sind, an dem Projekt zur Wiedereingliederung Straffälliger teilzunehmen? Unsere Firma hat sich im vergangenen Jahr diesem Projekt angeschlossen. Es ist vorgesehen, dass morgen eine Praktikantin im Büro anfängt. Sie heißt …“

„Keine Details, bitte. Ich habe keine Einwände gegen die weitere Teilnahme an dem Projekt, erwarte aber, dass Sie die Praktikantin im Auge behalten.“

„Selbstverständlich.“ Die attraktive Brünette lächelte verbindlich. „Besonders in der Weihnachtszeit fühlt es sich gut an, Menschen eine zweite Chance zu geben. Und es ist ja auch nur für drei Monate.“

Noch so ein Gutmensch, dachte Vito frustriert. Vermutlich hatte die zukünftige Praktikantin ihre Strafe abgesessen. Trotzdem: Die Aussicht, eine Vorbestrafte unter den Mitarbeitern zu wissen, behagte ihm ganz und gar nicht. „Hatte das Verbrechen, das die Praktikantin begangen hat, etwas mit Unehrlichkeit oder Diebstahl zu tun?“, fragte Vito plötzlich.

„Nein, dann wäre sie für uns inakzeptabel, das haben wir der Vermittlungsagentur unmissverständlich klargemacht. Wahrscheinlich werden Sie der Praktikantin nicht einmal begegnen, Mr Barbieri. Wir setzen sie als Laufmädchen ein. Sie wird Botengänge erledigen und auch mal am Empfang sitzen. In der Weihnachtszeit wird es genug für sie zu tun geben.“

Plötzlich bekam Vito Mitleid mit der Praktikantin. Obwohl er das Unternehmen gerade erst kennenlernte, war ihm schon aufgefallen, dass die Büromanagerin nicht gerade zimperlich mit ihren Untergebenen umsprang. Erst gestern hatte sie den Hausmeister wegen einer Lappalie heruntergeputzt. Karen spielte ihre Machtposition nur zu gern aus. Aber als frisch entlassene Strafgefangene würde die neue Praktikantin wohl damit umzugehen wissen.

Ava hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mindestens zweimal täglich in den Briefkasten zu sehen. Wieder nichts. Langsam musste sie wohl die Hoffnung begraben, dass ihre Familie je auf die Briefe reagieren würde, die Ava geschrieben hatte. Tränen der Enttäuschung schimmerten in ihren strahlend blauen Augen. Entschlossen blinzelte Ava sie fort und hob trotzig den Kopf. Die kupferroten Locken schwangen um das ausdrucksvolle Gesicht. Sie hatte gelernt, im Gefängnis allein zurechtzukommen, da würde sie es in der Freiheit wohl auch schaffen – auch wenn es am Anfang schwierig war, sich in dem Wirrwarr aus Angeboten, Enttäuschungen und Möglichkeiten zurechtzufinden.

„Lass es langsam angehen“, sagte ihre Bewährungshelferin Sally immer.

Harvey, der Schäferhund-Pudel-Mischling, wedelte aufmunternd mit dem Schwanz. Ava beugte sich vor, um ihm den schwarzen Lockenkopf zu kraulen.

„Wird Zeit, dich nach Hause zu bringen, alter Junge“, sagte Ava leise. In der Tierpension konnte Harvey allerdings nicht mehr lange bleiben. Während der letzten Monate ihrer Gefängnisstrafe hatte sie als Freigängerin in der Tierpension gearbeitet und hatte sich mit Harvey angefreundet. Sie liebte die treue Seele von ganzem Herzen. Wenn sie Harvey sah, ging es ihr sofort besser. Er war das einzige Wesen, das sie noch zu lieben wagte. Leider hatte Marge, die nette Leiterin der Tierpension, die sich auch herrenloser Tiere annahm, wenig Platz, und Harvey hatte schon mehrere Monate dort verbracht. Jedes Mal, wenn sich jemand für ihn interessierte, machte er den Leuten Angst mit seinem Gebell. So konnte es mit einem neuen Zuhause natürlich nichts werden. Harvey gab niemandem eine Chance herauszufinden, wie sanftmütig, treu und sauber er in Wirklichkeit war.

Ava wusste, wie sehr das Erscheinungsbild täuschen konnte. Sie selbst hatte sich jahrelang kühl, arrogant und abweisend gegeben, damit niemand auf die Idee kam, sie würde darunter leiden, immer die Außenseiterin zu sein. Zu Hause, in der Schule, eigentlich überall war Ava einsam und allein gewesen.

Nur Olly hatte zu ihr gehalten. Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Oliver Barbieri war ihr bester Freund gewesen. Nun musste sie mit dem Wissen leben, dass sie seinen Tod verschuldet hatte. Das Gericht hatte sie wegen fahrlässiger Tötung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. An das Verfahren hatte sie nur eine vage Erinnerung, denn schon vor der Gerichtsverhandlung hatte sie sich in einem seelischen Ausnahmezustand befunden. Sie hatte ihren besten Freund verloren. Das war sowieso die Höchststrafe. Da spielte es kaum noch eine Rolle, dass ihr Vater sie aus dem Haus geworfen und man ihr die Teilnahme an Ollys Trauerfeier verweigert hatte. Ava wusste, dass sie kein Mitleid, keine Vergebung verdient hatte. Obwohl sie keine Erinnerung an den Autounfall besaß. Infolge einer Kopfverletzung hatte sie eine Amnesie erlitten. Weder erinnerte sie sich daran, sich alkoholisiert ans Steuer gesetzt zu haben, noch wusste sie, wie es zu dem Unfall gekommen war.

Olly und sie hatten sich in einem Eliteinternat kennengelernt. Ihrem Vater war kein Preis zu hoch gewesen, das ungeliebte Kind abzuschieben. Schon immer hatte Ava sich wie ein Kuckuckskind gefühlt. Ihre beiden älteren Schwestern Gina und Bella durften zu Hause wohnen und eine nahegelegene Schule besuchen. Natürlich hatte die räumliche Trennung auch dazu beigetragen, einen Keil zwischen Ava und die beiden anderen Mädchen zu treiben. Inzwischen sah sie sich tatsächlich in der Rolle der verlorenen Tochter, die man ganz sicher nicht einladen würde, in den Schoß der Familie zurückzukehren. Zumal ihre Mutter inzwischen gestorben war. Sie wäre wohl die Einzige gewesen, die zwischen Ava und dem Rest der Familie hätte vermitteln können. Gina und Bella hatten ihre eigenen Familien und machten Karriere. Eine vorbestrafte Schwester beschmutzte nur den guten Namen der Familie Fitzgerald.

Ava ärgerte sich über die negativen Gedanken und versuchte energisch, ihrem Leben etwas Positives abzugewinnen. Immerhin war sie wieder in Freiheit, und sie hatte sogar einen Job. Einen richtigen Job! Noch immer konnte sie es kaum glauben. Als man sie für das Projekt zur Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft vorgeschlagen hatte, war sie zunächst skeptisch gewesen. Okay, sie hatte zwar einen ausgezeichneten Schulabschluss, aber keinerlei Erfahrung mit Büroarbeiten. Trotzdem gab man ihr bei AeroCarlton eine Chance, im Berufsleben Fuß zu fassen. Mit diesem renommierten Arbeitgeber in ihrem Lebenslauf dürfte es wesentlich aussichtsreicher sein, eine Festanstellung zu ergattern.

Harvey ließ den Schwanz hängen, als es durch die Tür zurück in die Tierpension ging. Marge stellte Teewasser auf und scheuchte ihn hinaus in den Garten, weil in der kleinen Küche zu wenig Platz für einen so großen Hund war. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Schnauze an die Terrassentür zu drücken und Ava keine Sekunde lang aus den Augen zu lassen.

Marge drückte Ava einen Katalog in die Hand. „Leg den bitte gleich morgen in der Firma aus. Je mehr Bestellungen eingehen, desto besser. Ich muss wirklich sagen: Die Frauen haben sich mal wieder selbst übertroffen!“

Interessiert blätterte Ava in dem Handarbeitskatalog. Strick- und Stickkissen, Lesezeichen, Mützen und Schals, Brillenetuis, Spielzeug, sogar Lavendelduftsäckchen mit Darstellungen von Katzen- und Hunderassen fanden sich darin. Der Erlös ging an die Tierpension, um die herrenlosen Tiere, die Marge aufgenommen hatte, zu versorgen. Offenbar beteiligte sich die gesamte Nachbarschaft an dieser Initiative. Gerade zu Weihnachten müssten die Handarbeiten sich eigentlich gut verkaufen, dachte Ava.

„Hast du auch etwas Vernünftiges anzuziehen für morgen?“, erkundigte Marge sich fürsorglich. Sie wusste, dass Ava – wie sie selbst – kaum Geld besaß. „In einer so großen Firma musst du auf dein Äußeres achten.“

„Ich habe in der Kleiderkammer einen Hosenanzug gefunden.“ Nicht im Traum dachte Ava daran, Marge zu verraten, dass die Hose etwas zu eng war und das Jackett über ihrem üppigen Busen nicht zuging. Doch wenn sie darunter eine blaue Bluse trug, würde es schon annehmbar aussehen. Die flachen schwarzen Schuhe, die sie dazu tragen wollte, waren ihr mindestens eine Nummer zu groß, doch das würde schon niemand bemerken. Hochhackige Pumps wären ihr lieber gewesen, aber wenn man kein Geld hatte, durfte man nicht wählerisch sein. Mit etwas Glück fand sie bald eine Festanstellung, und dann konnte sie sich nach und nach eine vernünftige Garderobe fürs Büro zulegen. Früher hatte sie sich sehr für Mode interessiert, doch die Zeiten waren vorbei. Nun musste sie sich aufs Überleben konzentrieren. Dazu gehörte ein bezahlbares Dach über dem Kopf, etwas zu essen und ein paar saubere Kleider.

Das abenteuerlustige, trotzige Mädchen im Gothic Look und mit schwarz gefärbtem Kurzhaarschnitt war gemeinsam mit Olly bei dem Autounfall gestorben. Mit der misstrauischen, vernünftigen jungen Frau, zu der sie sich entwickelt hatte, war sie noch nicht ganz eins. Die Zeit im Gefängnis hatte sie gelehrt, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Es war ihr äußerst unangenehm, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden zu sein. Da Ava aus gutem Hause kam und eine Eliteschule besucht hatte, hatten sich die Medien natürlich auf den Fall gestürzt. Im Gefängnis war sie mit Frauen zusammen gewesen, die praktisch Analphabeten waren. Sie waren straffällig geworden, weil sie überleben wollten und sich nicht anders zu helfen gewusst hatten. Diese Entschuldigung konnte Ava nicht anführen.

Auch wenn sie einen Vater hatte, der sie nicht leiden konnte und immer ihre älteren Schwestern vorzog, auch wenn ihre Mutter Alkoholikerin war und nie für sie Partei ergriff oder sie mal in den Arm nahm – nichts davon rechtfertigte, was sie Olly angetan hatte. Olly, den sie wie einen Bruder geliebt hatte. Bedrückt senkte Ava auf dem Rückweg zu ihrer Einzimmerwohnung den Kopf. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um die Ereignisse dieses tragischen Abends. Irgendwann musste sie doch mal einen Schlussstrich ziehen können, oder? Das Leben ging weiter. Natürlich würde sie ihren besten Freund niemals vergessen. Olly wäre aber der Erste gewesen, der ihr geraten hätte, nach vorn zu schauen. Er war immer so wunderbar pragmatisch gewesen, hatte schnell den Kern eines Problems erfasst. Er wäre ein hervorragender Arzt geworden.

„Du kannst nichts dafür, dass deine Mutter trinkt und die Ehe deiner Eltern zerbricht oder dass deine Schwestern verzogene, hochnäsige Ungeheuer sind. Warum gibst du dir die Schuld an allen Problemen, die in deiner Familie auftauchen?“ Manchmal hatte Olly fast die Geduld mit ihr verloren.

Zuhause legte Ava die Sachen bereit, die sie an ihrem ersten Arbeitstag tragen wollte. Die Agentur hatte ihr versichert, dass man ihren Gefängnisaufenthalt in der Firma vertraulich behandeln würde. Ava konnte also darauf bauen, wie eine ganz normale Praktikantin behandelt zu werden. Sie freute sich, endlich mal wieder etwas zu leisten, statt ständig von Schuldgefühlen übermannt zu werden.

„Sie können den Kaffee für das Meeting machen. Es werden zwanzig Teilnehmer erwartet.“ Karen Harper lächelte eisig. „Sie wissen doch, wie man Kaffee macht?“

Ava nickte eifrig. Sie wollte einen guten Job machen, aber schon jetzt hatte sie den Eindruck, es Miss Harper niemals recht machen zu können.

In der kleinen Teeküche fand sie alles, was sie brauchte, und machte sich an die Arbeit.

Um Viertel vor elf schob Ava den Teewagen in den Konferenzraum. Dort hielt ein großer, überwältigend gut aussehender Mann gerade eine Ansprache an die Mitarbeiter, die um den langen Konferenztisch herum Platz genommen hatten. Die Spannung im Raum war deutlich spürbar. Es herrschte gebannte Stille. Der Mann sprach über unausweichliche Veränderungen, die jedoch nicht übers Knie gebrochen werden sollten. Entlassungen waren vorerst nicht vorgesehen. Erleichtertes Aufatmen ging durch den Raum, aber Avas Hände bebten, als sie den Kaffee für den Chef eingoss. Der leichte Akzent seiner wohlklingenden Stimme war Ava vertraut: italienisch. Das kann doch nicht Vito sein, dachte Ava benommen. So grausam konnte das Schicksal nicht sein, dass sie ausgerechnet bei der Firma einen Job bekam, deren Inhaber sie zutiefst verletzt hatte! Aber sie wusste es bereits. Sie hatte Vitos tiefe Stimme gleich wiedererkannt und hatte das Gefühl, ihr Magen flatterte, als säße sie in der Achterbahn.

Ava wagte nicht aufzublicken, als sie zum Kopfende des Tisches ging, um dem Boss seinen Kaffee zu servieren. Unterwegs passierte es: Nacheinander rutschten ihr die zu großen Schuhe von den Füßen, und als sie schließlich vor ihm stand, war sie barfuß.

Vito hatte dem Mädchen einen flüchtigen Blick zugeworfen, als es den Teewagen hereingeschoben hatte. Das kupferrote Haar war zu einem Dutt gedreht und festgesteckt. Auch das fein ziselierte Profil war Vito aufgefallen, ebenso die schmalen weißen Hände. Die zu enge Hose spannte über dem runden Po und den langen schlanken Beinen. Seltsam, die Kleine kam ihm irgendwie bekannt vor. Aber woher? Erst als sie aufsah und er in das elfenhafte Gesicht mit den blauen Augen blickte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Vito stockte der Atem. Das konnte doch nicht wahr sein! Als er ihr zuletzt begegnet war, hatte sie streichholzkurzes schwarzes Haar gehabt und war völlig traumatisiert gewesen. Er erstarrte.

Grundgütiger Himmel! dachte Ava. Es war tatsächlich Vito Barbieri. Schockiert sah sie ihn an, die Kaffeetasse in der zitternden Hand.

„Danke.“ Vito hatte sich wieder gefangen und nahm ihr geistesgegenwärtig die volle Tasse ab, während er mit seinen goldbraunen Augen ihr bleiches Gesicht fixierte.

„Das ist Ava Fitzgerald, Mr Barbieri. Unsere neue Praktikantin.“ Beflissen eilte Karen Harper herbei.

„Wir kennen uns bereits“, stieß Vito frostig hervor. „Komm nach der Konferenz zu mir, Ava! Ich möchte dich sprechen.“

Unauffällig schlüpfte sie auf dem Rückweg zum Teewagen in ihre Schuhe. Mit bewundernswerter, eiserner Selbstbeherrschung, die sie sich im Gefängnis antrainiert hatte, servierte sie den restlichen Teilnehmern des Meetings ihren Kaffee, ohne dass etwas schiefging.

Das Schicksal war wirklich grausam. Musste ausgerechnet Vito Barbieri ihr Arbeitgeber sein? Wieso gehörte AeroCarlton denn plötzlich zu seinem Konzern?

Auf der Website der Firma, die sie natürlich durchgelesen hatte, tauchte sein Name jedenfalls nicht auf. Trotzdem musste er der Boss sein. Ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft fing ja gut an! Vito hasste sie und würde sie nachher sofort an die Luft setzen. Davon war Ava überzeugt. Warum sollte er ausgerechnet die Frau beschäftigen, die seinen Bruder auf dem Gewissen hatte? Vito schien genauso schockiert über das unvermutete Wiedersehen gewesen zu sein wie sie selbst.

Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr war Vito ihr Fluch. Unbewusst strich sie sich über das Tattoo auf der linken Hüfte. Plötzlich brannte es wie Feuer, wie ein Brandmal. Aus einer Laune heraus hatte sie es sich als Teenager stechen lassen. Mit den Jungen an ihrer Schule konnte sie damals nichts anfangen. Doch als Olly sie eines Tages übers Wochenende zu sich nach Hause eingeladen hatte, war es passiert. Sie hatte sich Hals über Kopf in Vito verliebt. Er war zehn Jahre älter als sie, erwachsen und ein Geschäftsmann mit Killerinstinkt. Leider nahm ihr Traummann keinerlei Notiz von ihr. Jedenfalls nicht so, wie sie es sich erhoffte. Zweifellos fragte er sich, was sein Bruder an diesem Gothic Girl fand. Cool versuchte sie zu verbergen, dass sie schwer beeindruckt von dem pompösen Schloss war, in das Olly sie eingeladen hatte und das Vito gehörte.

„Ava?“

Erschrocken wirbelte sie herum und begegnete Karen Harpers forschendem Blick. „Sie haben gar nicht erwähnt, dass Sie Mr Barbieri kennen“, sagte die Büromanagerin vorwurfsvoll.

„Mein Vater arbeitet für sein Unternehmen, und wir waren praktisch Nachbarn“, erklärte Ava unsicher.

Die Brünette verzog den Mund. „Versprechen Sie sich davon bloß keine bevorzugte Behandlung! Mr Barbieri erwartet Sie. Und wenn Sie schon mal da sind, können Sie auch gleich die Tassen abräumen.“

„Ja. Ich wusste nicht, dass er hier … arbeitet.“

„Mr Barbieri hat AeroCarlton letzte Woche übernommen. Er ist Ihr Arbeitgeber.“

„Ach so.“ Ava rang sich ein höfliches Lächeln ab (reine Verschwendung an die Frau, die sie ärgerlich anstarrte) und machte sich auf den Weg. Ihr war elend zumute. Ganz offensichtlich wurde sie noch immer vom Pech verfolgt. Wie sonst war es zu erklären, dass ausgerechnet der Mann ihr Boss sein musste, der sie viel lieber bis zum Ende ihrer Tage hinter Gittern gesehen hätte?

Als Ava in die Höhle des Löwen zurückkehrte, lehnte Vito am Tisch, hielt ein Handy ans Ohr und erteilte in schnellem Italienisch Anweisungen.

Sie nutzte die Zeit, um den Teewagen zu beladen, wurde jedoch abgelenkt durch Vitos blendende Erscheinung. Sein maßgeschneiderter Anzug brachte die breiten Schultern und die schmalen Hüften ausgezeichnet zur Geltung. Das blütenweiße Hemd betonte den mediterranen Teint, die goldfarbene Seidenkrawatte nahm die Farbe seiner faszinierenden Augen auf. Vito sah wirklich atemberaubend gut aus mit den hohen Wangenknochen, der prägnanten Nase, den dichten dunklen Brauen und den sinnlichen Lippen. Noch immer trat er sehr selbstbewusst auf und strotzte nur so vor Energie.

Ollys großer Bruder, dachte Ava wehmütig. Hätte sie damals doch nur auf Olly gehört, dann wäre ihr bester Freund vielleicht noch am Leben.

„Hör auf, mit Vito zu flirten und dich ihm an den Hals zu werfen!“ Das waren Ollys warnende Worte an dem schicksalhaften Abend gewesen. „Du bist nicht sein Typ und viel zu jung für ihn. Vito würde dich zum Frühstück verspeisen. Er hat einen ziemlichen Frauenverschleiß.“

Damals stand Vito auf schlanke, elegante, weltgewandte Blondinen. Es hatte sie fast zerrissen, dass sie diesem Typus nicht entsprach und Vito unerreichbar für sie war. Nur als Teenager konnte man derart besessen von seinem Traummann sein wie sie von Vito Barbieri.

Jede Information über ihn hatte sie förmlich aufgesogen. Vito liebte Schokolade und unterstützte medizinische Hilfsprojekte für Kinder in der Dritten Welt. Er hatte eine schwierige Kindheit hinter sich, denn seine Eltern hatten sich getrennt, und danach war sein Vater zum Trinker geworden und hatte sich in eine Affäre nach der anderen gestürzt. Vito liebte und sammelte schnelle Autos. Ach ja, und er hasste es, zum Zahnarzt zu gehen. Dabei hatte er perfekte Zähne.

„Wir unterhalten uns nebenan in meinem Büro“, sagte Vito nun, nachdem er das Telefongespräch beendet hatte, und öffnete die Tür. „Jetzt lass doch den verfluchten Teewagen!“

Ava zuckte zusammen und errötete verlegen, was Vito mit Verwunderung feststellte. Beim Anblick der rosigen Wangen und der vollen, unglaublich einladenden Lippen wurde ihm plötzlich heiß.

Lange verdrängte Erinnerungen tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Ava in einem silbrig schimmernden Minikleid, das ihre endlos langen Beine fantastisch zur Geltung brachte. Vito atmete einige Male tief durch. Der Geschmack von Avas Mund. Ihre Hände auf seinem Oberkörper. Die personifizierte Versuchung. Und strengstens verboten. Aber er hatte sich über das Verbot hinweggesetzt, obwohl er sich sonst immer an die Regeln hielt. Okay, es war nur ein Kuss gewesen, doch der hätte nie geschehen dürfen, denn die dramatischen Folgen hatten Vitos Familie zerstört.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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