(Kein) Sex mit dem Ex?

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Jianne steckt in Schwierigkeiten - nur einer kann sie daraus befreien: ihr sexy Ex Jake Bennett, von dem sie sich vor zwölf Jahren getrennt hat. Als Jianne ihn um Hilfe bittet, kommt es zu einem spannungsgeladenen Wiedersehen vor der schillernd exotischen Kulisse Singapurs …


  • Erscheinungstag 09.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756338
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Es ging darum, das Gesicht zu wahren. Deshalb trug er einen maßgeschneiderten Abendanzug mit makellosem weißem Hemd und antiken goldenen Manschettenknöpfen. Zudem gab er sich betont gleichgültig. Jake Bennett war ausschließlich daran interessiert, die Verlobungsparty seines Bruders ohne Zwischenfall und mit intakter Würde hinter sich zu bringen.

„Wo ist deine Krawatte?“, murmelte seine zukünftige Schwägerin, als sie kurz bei ihm stehen blieb. Aufmerksam blickte sie ihn an, auch wenn sie dabei lächelte. „Die, die ich dir zu Beginn des Abends gegeben habe. Die du jetzt aber nicht trägst.“

„Sie ist in meiner Tasche.“ Und da würde sie auch bleiben.

Allerdings war es nicht das, was Madeline Mercy Delacourte hören wollte. „Stimmt etwas nicht mit ihr?“, fragte sie zuckersüß.

„Maddy, das Ding ist lila.“ Er mochte Madeline. Wirklich. Aber in letzter Zeit war sie ein wenig verrückt geworden.

„Jacob, sie ist aus einem ganz bestimmten Grund lila. Ganz im Ernst, wenn du heute Abend noch ein wenig furchteinflößender dreinschauen würdest, hätte ich keine Gäste mehr.“

„Nun, ich werde mir große Mühe geben“, versetzte er. „Und hör auf, meinen Lehrling korrumpieren zu wollen.“

„Lee?“ Sofort machte Maddy ein besorgtes Gesicht. „Was hat er getan?“

„Willst du wissen, was ich heute Nachmittag in den Duschen der Karateschule gefunden habe?“

„Xena, die Kriegerprinzessin?“

„Seife.“

„Oh, mein Gott, das ist ja wirklich schrecklich.“

Lavendelseife. Kleine viereckige Stücke, auf die dicke, nackte Engel gedruckt waren. Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, welche Botschaft diese Seife einem Kurs voller schwarzer Gürtel vermittelt?“ Madeline kicherte. Laut und deutlich. Offensichtlich musste Jake an seiner furchteinflößenden Wirkung doch noch arbeiten. „Lee behauptete, er hätte die Seife von dir bekommen.“

Diesmal lachte sie hell und perlend auf. „Tut mir leid“, entschuldigte sich Madeline, als sie sich so weit wieder gefasst hatte. „Und hast du Lee darüber aufgeklärt, wie unpassend die Seife in dieser letzten Bastion echter Männlichkeit ist?“

„Ich finde, du solltest ihn mal beiseite nehmen und mit ihm reden.“

„Was? Und dich um die Gelegenheit bringen, es selbst zu tun? Was für eine zukünftige Schwägerin wäre ich, wenn ich das täte?“

„Eine hilfsbereite?“

„O ja, das trifft auf mich zu“, entgegnete sie. „Ich bin immer hilfsbereit. Ich sag dir was. Du versuchst, in den nächsten zwanzig Minuten ein Lächeln aufzusetzen, und ich schnappe mir Lee und spreche mit ihm über Seife. Einverstanden?“

„Einverstanden“, erwiderte er und lächelte.

„Mist“, murmelte Maddy, worauf Jakes Lächeln noch breiter wurde.

Sie warf ihm einen betont aufreizenden Blick zu, ehe sie verschwand, um sich unter die elegante Gästeschar zu mischen, die sich in der stilvollen Cocktailbar des Hotels versammelt hatte.

Dass Madelines und Lukes Verlobung in so aufwendigem Rahmen gefeiert werden musste, lag zum einen an Madelines unglaublichem Reichtum und zum anderen an der Tatsache, dass die feine Gesellschaft es als ihr gutes Recht ansah, dem Verlobten angemessen vorgestellt zu werden. Heute Abend ging es nicht nur darum, die Familie zu präsentieren. Nein, bei dieser Party wurden Geschäfte gemacht und profitable Verbindungen geknüpft. Das verlangte die Stadt nun mal von ihren Einwohnern, und die waren angesichts der Chance, reich zu werden, mehr als bereit, einige Opfer zu bringen.

Was aber nun die Präsentation der Familie anbelangte, so waren die Bennett-Geschwister samt ihrer Partner in Massen vertreten. Tristan und Erin waren aus Sydney eingeflogen. Hallie, Nick und ihre vier Wochen alte Tochter waren am Morgen aus London eingetroffen und Serena und Pete am Nachmittag aus Griechenland. Im Moment befand sich Serena irgendwo in der Menge, doch Pete hatte sich lautlos an Jakes Seite gestellt.

Glaubten sie wirklich, er würde nicht bemerken, wie sie ihn abschirmten? Wie sie sich den ganzen Abend abwechselten, um ihm Gesellschaft zu leisten? So als wäre er nicht in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern?

Dieses ganze Tamtam reichte aus, um ihm stechende Kopfschmerzen zu verursachen.

„Pass auf“, sagte Jake in diesem Moment zu Pete, als eine weitere Gästewelle anrollte und ihre Garderobe ablegte. „Mir geht es gut. Alles ist unter Kontrolle. Sie ist ja nicht mal hier.“

„Es wäre schön, wenn du recht hättest“, versetzte Pete mit einem schweren Seufzer. „Hast du aber nicht. Jianne ist gerade angekommen, zusammen mit ihrem Onkel und ihrer Tante, wenn Lukes Beschreibung zutreffend ist.“

Jiannes Tante war mit Madelines mächtigstem Geschäftspartner verheiratet.

Jianne selbst war erst vor Kurzem nach Singapur gezogen. Hier hatte sie Madeline kennengelernt und auf Anhieb sympathisch gefunden.

Jianne Xang-Bennett.

Jakes entfremdete Ehefrau.

„Willst du ein Bier?“, fragte Pete.

„Nein.“

„Etwas Stärkeres?“

„Später.“ Dieses kribbelnde Gefühl im Nacken bewog Jake beinahe dazu, sich umzudrehen und sich persönlich davon zu überzeugen, was die zwölf Jahre der Trennung von seiner Ehefrau mit ihr angestellt hatten, doch er widerstand der Versuchung.

Pete nickte grimmig. Der Blick aus seinen stahlblauen Augen war über Jakes Schulter gerichtet. „Sie hat uns gesehen.“

Das war keine Neuigkeit.

„Madeline scheucht sie Richtung Hallie und ihr Baby“, fuhr Pete fort, während das unangenehme Gefühl in Jakes Nacken nachließ und plötzlich silberhelles Lachen zu hören war. „Was ist das nur mit Frauen und Babys?“, fügte Pete gedankenverloren hinzu.

„Das sagt ausgerechnet der Mann, dessen Nichte ihm förmlich aus den Armen gerissen werden musste, nachdem sie mindestens schon eine Stunde lang schlief.“

„Hey, du bist nur neidisch, weil sie in meinen Armen eingeschlafen ist und nicht in deinen“, konterte Pete. „Gib schon zu, dir fehlt der richtige Touch. Außerdem war ich an der Reihe.“ Im Hintergrund erklang noch mehr weibliches Lachen. „Jianne lernt gerade unsere Nichte besser kennen. Auch ihre Nichte, wenn ich es recht überdenke. Du solltest es dir wahrscheinlich besser nicht anschauen.“

„Du hast vermutlich recht.“ Trotzdem drehte Jake sich um. Sofort verfluchte er sich für seine Schwäche, denn das Bild einer älteren, aber atemberaubenden Jianne traf ihn mitten ins Herz.

Sie war immer noch die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Makellose Haut und eine Mähne aus glänzendem schwarzem Haar, die sie zu einer eleganten Hochsteckfrisur aufgetürmt hatte. Jianne war zierlich gebaut und von einer süßen Unschuld umgeben, die Jake verzweifelt zu vergessen versucht hatte. So viel zu ihrer äußeren Schönheit. Davon abgesehen war Jianne Xang in eine Familie hineingeboren worden, deren persönlicher Reichtum den kleinerer Staaten übertraf. Ein unbedeutendes Detail, das sie vergessen hatte zu erwähnen und erst nach ihrer Hochzeit enthüllte.

Nicht etwa, dass er ihr das nachgetragen hätte oder dergleichen.

Es war nur so: Hätte er vor ihrer Hochzeit ihren familiären Hintergrund gekannt, dann hätte er es sich zweimal überlegt, sie zu bitten, sein Leben zu teilen. Sie war viel zu behütet gewesen für einen Haufen mutterloser, halb wilder Geschwister, die sich in Jakes Obhut befanden. Zu sanft und empfindsam, um mit der Rauheit ihrer und seiner eigenen Emotionen umzugehen. All das hatte sie zerbrochen.

Er hatte sie zerbrochen.

Eigentlich war es ein Wunder, dass sie überhaupt so lange geblieben war.

Es lag nicht an der Neugier, dass Jake sie weiterhin betrachtete. Neugier war ein mildes Gefühl, das sich leicht beherrschen ließ. Nein, er verspürte ein unstillbares Bedürfnis, jedes kleinste Detail an Jiannes Erscheinung in sich aufzusaugen.

Also beobachtete er, wie die kleine Layla in den Armen ihrer Mutter Jianne zwei winzige Fäustchen entgegenstreckte. Er sah, wie sich Jiannes perfekt geschwungener Mund zu einem bezaubernden Lächeln verzog.

Er wollte wegschauen. Er würde wegschauen. Bald.

Und dann drehte Jianne den Kopf und blickte ihn mit den Augen einer Verführerin direkt an. Sie waren so schwarz wie die Nacht und tiefer als der Ozean. Ihre westliche Form verdankte sie dem Erbe einer Urgroßmutter, die äußerlich Halbbritin gewesen war, innerlich jedoch reine Chinesin. Genau wie Jianne.

Jiannes Lächeln verblasste. Jake brachte es nicht mal über sich, auch nur ansatzweise zu lächeln.

Er bemerkte auch kaum, dass der eine Bruder neben ihm leise fluchte und der andere am entgegengesetzten Ende des Raums erstarrte.

Und dann trat Luke vor Jianne und versperrte ihm die Sicht. Hallie reichte er einen Orangensaft und seinem Gast ein Glas Champagner. War er nur aufmerksamer Gastgeber oder die erste Reihe der Verteidigung? Jake kümmerte es nicht. Das Manöver ermöglichte ihm, tief Luft zu holen, sich zu sammeln und Pete einigermaßen gezwungen anzulächeln. Der erwiderte das Lächeln nicht.

Wie lange würde er die Party noch ertragen müssen, jetzt wo Jianne und ihre Familie angekommen waren? Fünfzehn Minuten? Eine halbe Stunde? Denn er gehörte nicht in diese exklusive Welt immensen Reichtums und ach so kultivierter Gesellschaft. Er ertrug sie lediglich, während das wilde Tier in ihm unruhig im Käfig hin- und hertigerte und sich nach Flucht sehnte.

Er blickte auf die riesige Wand aus bodentiefen Fenstern, wünschte sich Flügel und die Erlaubnis, sich seinen Verpflichtungen entziehen zu können. Hastig suchte er nach einer Art Dienstbotentür, irgendeinem Weg nach draußen, auch wenn er ihn nicht nehmen würde.

„Ich habe Madeline und Hallie gesagt, dass das niemals funktionieren würde“, sagte Pete. „Ich habe diesen Einwand wiederholt angebracht, aber haben sie vielleicht auf mich gehört? Nein.“

„Mir geht es gut“, beruhigte ihn Jake und straffte die Schultern, weil er schon wieder dieses prickelnde Gefühl im Nacken hatte. „Es ist alles in Ordnung.“

Pete machte ein finsteres Gesicht und drückte damit seine Skepsis aus. Aber er sagte nichts mehr.

Sie waren alle da – die gesamten Bennett-Geschwister, die Jianne einst hatte aufziehen wollen, als wären sie ihr eigen Fleisch und Blut. Sie hatte gehofft, oder sich vielmehr an die Hoffnung geklammert, dass Zeit und Reife die einschüchternde Wirkung, die sie damals auf sie gehabt hatten, abmildern würden, doch dem war nicht so. Jianne sah ganz deutlich die Blicke, die sie ihr zuwarfen. Sie beobachtete, wie sie sich bewegten, um das zu beschützen, was zu ihnen gehörte.

Jacob, das Zentrum. Das Rückgrat der Familie. Der älteste Sohn.

Ihre erste Liebe.

Der Mann, dem sie einst ihren Körper und damit ihr Herz und ihre Seele geschenkt hatte.

Jacob, der ihr den Rücken zuwandte.

Immer noch ihr Ehemann, auch wenn sie bereits seit zwölf Jahren getrennt lebten.

Sie ahnten nicht – keiner tat das –, wie hart es war, einen Fuß vor den anderen zu setzen und den Raum äußerlich gefasst zu betreten. Verängstigte Häschen hatten keinen Platz in einem Saal voller wachsamer, lauernder Tiger. Nicht, wenn sie überleben wollten.

Ich bin kein Häschen. Kein Häschen. Jianne schloss die Augen und betete sich mehrfach den Satz vor, fast wie ein Mantra, ehe sie die Augen wieder öffnete und ein Lächeln aufsetzte, weil sich ihre Tante und ihr Onkel zu ihr gesellten und Madeline auf sie zukam, um sie zu begrüßen. Madeline hieß erst Jiannes Tante und Onkel willkommen, womit sie der Hierarchie Respekt zollte. Danach wandte sie sich Jianne zu und zog sie in eine herzliche Umarmung.

„Du siehst fantastisch aus“, sagte Maddy anerkennend.

„Vielen Dank.“ Das schulterfreie bodenlange Abendkleid in Elfenbein und Rot war aus feinster Seide gearbeitet – ein Kleid für eine extrovertierte Frau, kein Mauerblümchen. Die Verkäuferin hatte versichert, dass diese Robe ihr all das Selbstvertrauen verleihen würde, das sie brauchte, egal wie unangenehm der gesellschaftliche Anlass auch sein mochte. Die Verkäuferin hatte sich getäuscht. „Ich hätte nicht kommen sollen“, murmelte Jianne. „Das war keine gute Idee.“

„Bleib“, drängte Madeline sanft. „Ich halte es nämlich für eine sehr gute Idee. Komm, ich stelle dich dem neuesten Bennett-Krieger vor. Die Onkel befinden sich immer noch im Schockzustand.“ Madeline schien in letzter Zeit ständig zum Lächeln aufgelegt, und Jianne bemühte sich, es ihr gleichzutun. „Es ist ein Mädchen.“

Layla war ein kleiner Schatz mit saphirblauen Augen, alabasterfarbener Haut und einem Schopf voll kastanienroter Haare. Es fiel schwer, distanziert zu bleiben, wenn ein Baby sein zahnloses Lächeln zeigte und sich prompt eine kleine Faust in den Mund steckte.

„Layla, das ist deine Tante Jianne“, sagte Hallie mit einer Freundlichkeit, die Jianne nicht erwartet hatte. Und zu Ji gewandt: „Möchtest du sie einmal halten?“

„Ich?“ Jianne blinzelte. „Ja! Ich meine, nein! Ich meine … was, wenn sie weint? Das wäre nicht gut.“ Sie sah bereits vor sich, wie Layla sich die Lunge aus dem Leib schrie und damit all die zornigen Bennett-Onkel auf den Plan rief. Es war ein Szenario, das sie keinesfalls zur Realität werden lassen wollte. „Deine Brüder würden sich auf mich stürzen.“

„Das würden sie nicht wagen“, widersprach Hallie, die zwei von ihnen einen warnenden Blick zuwarf. „Sie haben mir versprochen, sich heute Abend vorbildlich zu benehmen, und es sind genug Ehefrauen da, um das auch zu garantieren.“

Die Vorstellung, dass die wilden Bennett-Jungs sich schlussendlich hatten zähmen lassen, fand Jianne extrem reizvoll, aber als sie von der kleinen Layla aufschaute und den Blick durch den Raum wandern ließ, hielt sie Hallies Bemerkung eher für Optimismus als Realismus.

Tristan beobachtete sie kühl von seiner Position am Fenster aus. Pete stand neben Jacob, sein Gesichtsausdruck war grimmig. Und was Jake anging … Jacob schaute überhaupt nicht in ihre Richtung, und das war auch der Grund, weshalb sie ihren Blick auf ihm verweilen ließ.

Sein Anzug schmiegte sich perfekt um seine breiten Schultern, die muskulösen Beine und den schlanken, eleganten Oberkörper – Ergebnis eines Lebens, das ganz den asiatischen Kampfkünsten gewidmet war. Sein Haar war noch immer voll und schwarz und kürzer denn je geschnitten. Die Kanten seines Profils traten deutlicher hervor, doch es war immer noch ein Gesicht, das jeden Engel neidisch machte.

Sie schaute für einen Moment zur Seite, um sich zu fassen, und als sie dann zurückschaute, kollidierte ihr Blick mit dem von Jacob. Seine stahlblauen Augen wirkten kühl. Sein Gesichtsausdruck streng. Jianne erstarrte – ein Häschen, das in die Falle gegangen war. Sie war hier nicht erwünscht. Sie gehörte nicht hierher. Es war ein Fehler, hergekommen zu sein.

„Bleib.“ Ein breitschultriger Mann schob sich vor sie und blockte den Blickkontakt zu Jacob ab. Luke Bennett, Madelines Zukünftiger, dessen goldene Augen sehr warm wirkten. Er reichte ihr ein Glas Champagner. „Bitte.“

„Bitte“, stimmte auch Hallie ein. „Jake muss dich wiedersehen. Wirklich. Er … weiß es nur noch nicht.“

„Vielleicht könntest du mich anrufen, wenn er es tut“, erwiderte Jianne mit angespanntem Lächeln. „Ich verstehe wirklich nicht, was ein erzwungenes Treffen bewirken soll. Sicherlich keine Harmonie.“

„Harmonie wird überschätzt“, befand Luke. „Manchmal ist es besser, die Explosion zuzulassen.“

„Luke ist beim Sprengmittelräumdienst“, erklärte Hallie. „Er entschärft Bomben. Oder auch nicht.“

„Ich bin sicher, dass du weißt, was du tust“, entgegnete Jianne höflich. „Genauso wie du sicherlich auch weißt, was mit denen passiert, die sich im Zentrum der Explosion befinden.“

„Wir können dich beschützen“, beteuerte Luke.

„Das bezweifle ich nicht. Aber ihr werdet es nicht tun.“ Sie würden instinktiv den beschützen, den sie liebten. Sie würden Jacob abschirmen. Und Jianne würde bluten.

„Vertrau uns“, sagte Luke.

Doch Jianne war nicht länger die naive junge Braut, die geglaubt hatte, sie könnte eine wilde und gebrochene Familie mit Liebe überschütten und dafür ihrerseits Liebe ernten. „Vertrauen muss verdient werden“, entgegnete sie ruhig.

„Also gut, dann vertrau uns nicht.“ Grimmige Entschlossenheit ersetzte Lukes vorige Ermutigung. „Aber bleib, und wir werden alles dafür tun, dass du dich an diesem Abend willkommen fühlst.“

Jianne blieb tatsächlich, und es verging keine halbe Stunde, da hatte Tristan sie begrüßt und seine Frau vorgestellt. Pete tat dasselbe, und dann tauchte der kleine chinesische Junge in dem westlichen Anzug auf, der von Bennett zu Bennett gereicht zu werden schien.

„Hallo“, grüßte sie vorsichtig.

Nachdem er sie sorgfältig gemustert hatte, entschied sich der Junge zu sprechen. „Ich bin Lee. Der Lehrling des Meisters“, erklärte er in fehlerlosem Kantonesisch. Als sie darauf nichts sagte, wiederholte er seine Vorstellung in Mandarin.

„Und welcher Meister wäre das?“ Jianne wählte Englisch und wurde von dem Jungen nicht enttäuscht.

„Meister Jake.“ Als sie wieder nicht sofort reagierte, fügte er hinzu: „Bennett.“

„Und bringt dir der Meister Jake Bennett auch Englisch bei?“

„Das kann ich bereits“, versetzte Lee. „Und Tamilisch. Und ein bisschen Malaiisch.“

„Ich bin beeindruckt. Wie kommt es, dass du so viele Sprachen beherrschst?“

Genauso wie sie aufgetaucht war, verschwand die Offenheit des Jungen auch wieder. „Ich kann es einfach.“

„Nun denn.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Hallo, Lee. Ich bin Jianne.“

„Hallo.“ Unergründliche schwarze Augen betrachteten sie aufmerksam. „Sie sind hübscher als auf dem Foto.“

„Vielen Dank“, erwiderte sie automatisch, ehe sie fragte: „Welches Foto?“

Das Licht einer nahen Lampe wurde gedämpft, als jemand sich neben sie stellte. Jianne wusste schon, bevor sie aufschaute, dass Jacob sich zu ihnen gesellt hatte.

„Hallo, Jacob“, grüßte sie, und falls ihre Stimme zitterte und ihr Innerstes sich verkrampfte, so war das nur zu erwarten gewesen. Er hatte schon immer die Fähigkeit besessen, sie zu verunsichern. „Ich habe gerade die Bekanntschaft deines Lehrlings gemacht.“

„Das sehe ich.“ Jacob richtete seinen Blick auf den Jungen. „Welches Foto?“, wiederholte er grimmig.

Lee zögerte. Er sah aus, als wäre er zwischen Teufel und Dämon geraten. Jakes Blick verhärtete sich. „Lee?“

„Das in deiner Brieftasche.“

„Du warst an meiner Brieftasche?“

„Ich habe nichts gestohlen“, beteuerte er hastig. „Es ist Ewigkeiten her. Der Tag, als ich in die Karateschule kam. Ich …“ Der Junge verstummte unter dem eisigen Blick seines Meisters. „Ich wollte mehr wissen. Über dich. Dafür sind Brieftaschen sehr gut.“

Junge und Mann starrten sich schweigend an.

„Du hast mich entehrt“, sagte Jacob schließlich in ruhigem, gemessenem Ton.

Lees entsetzter Blick streifte kurz Jianne, dann war der Junge auch schon in der Menge verschwunden. Jianne starrte ihm hinterher und wünschte, sie könnte dasselbe tun.

„Er gehört zu dir?“, fragte sie vorsichtig.

„In gewisser Weise.“

Er konnte nicht Jacobs leiblicher Sohn sein, denn der Junge war zu hundert Prozent Chinese, aber es gab zahlreiche andere Arten, wie ein Mann zu einem Kind kommen konnte. Vielleicht war Lees Mutter tot. Jacob könnte eine Beziehung mit ihr gehabt haben, und dann, als sie starb … und in Abwesenheit anderer Verwandter … könnte die Verantwortung für Lee ihm zugefallen sein. „Inwiefern?“

„Frag Madeline.“

Das war keine besonders erhellende Antwort. „Wirst du ihn bestrafen?“

Jacob presste die Lippen zusammen. „Er hat meine Brieftasche genommen und sie durchsucht. Er hat ganz bewusst meine Privatsphäre verletzt. Du findest also nicht, dass er dafür bestraft werden sollte?“

„Doch, aber … Jacob, er ist nur ein Kind.“

„Was? Ich darf ihn also nicht schlagen?“ Der eisige Klang seiner Stimme ließ sie erschauern. Sie bekam keinen Ton heraus. Konnte nicht atmen. Jianne senkte den Kopf und starrte blicklos auf ihr Champagnerglas.

„Um Himmels willen, Jianne, ich habe niemals die Hand gegen ein Kind oder gegen dich erhoben, und ich hege ganz sicher nicht die Absicht, jetzt damit anzufangen. Also, warum trinkst du nicht einfach deinen Champagner und hörst auf, so zu tun, als würde ich dich gleich kreuzigen? Das werde ich nämlich nicht tun. Je eher du und jeder, der uns beobachtet, das realisiert, desto besser.“

Jianne hob ihr Glas an die Lippen und nippte. Sein Vorschlag klang vernünftig. Noch ein Schluck und die Hälfte des Champagners war verschwunden, während sie krampfhaft überlegte, wie sie das Gespräch retten konnte.

„Du siehst gut aus“, sagte sie. Es entsprach der reinen Wahrheit. „Noch respekteinflößender als früher.“

„War das ein Kompliment?“

„Ich habe es auf jeden Fall so gemeint.“

„Ich glaube nicht, dass es ein Kompliment war.“

Noch mehr Champagner schien eine gute Antwort zu sein. „Herzlichen Glückwunsch zu deinen Erfolgen“, sagte sie als Nächstes. „Die Weltmeistertitel. Die Meisterklassen. Madeline erzählte mir, dass Schüler aus der ganzen Welt kommen, um bei dir zu lernen.“

„Du hasst Karate.“

Nein, sie hatte die Zeit gehasst, die er dem Kampfsport gewidmet hatte. Damals war ihr nicht klar gewesen, dass Karate für manch einen eine Art Religion war oder dass es im Fall von Jake keine andere Möglichkeit gab, das Feuer zu kontrollieren, das in ihm brannte. „Ich hasse es nicht. Ich habe es nur nie wirklich verstanden. Das ist ein Unterschied.“

„Und verstehst du es heute?“

„Ein bisschen.“ Was auch immer das wert war. Allerdings würde ihr Gespräch nur noch mehr den Bach runter gehen, wenn sie das Thema weiterverfolgten, deshalb versuchte sie es anders. „Madeline und Luke scheinen gut zusammenzupassen.“

„Ja, das tun sie.“

„Und deine anderen Brüder … und Hallie … Sie wirken heute alle so zivilisiert. Du hast gute Arbeit geleistet.“

„Das war nicht mein Verdienst.“

Nun, es war sicherlich noch viel weniger der ihre. Hastig riss sie ihren Blick von Jake los und ließ ihn durch den Raum gleiten. So viele Augen waren auf sie gerichtet. Nicht eine einzige Person schien sich zu ihnen gesellen zu wollen.

„Entschuldige mich bitte“, sagte sie nach einer Ewigkeit des Schweigens und wandte sich zum Gehen. „Ich glaube, meine Tante sucht schon nach mir.“

„Warte“, stieß er barsch hervor.

Ein Wort, dem nichts folgte, dennoch blieb sie stehen und wartete. War es Gehorsam oder Neugier? Mut oder Selbstzerstörung? Sie wusste es nicht.

„Wie gefällt dir Singapur? Lebst du dich gut ein?“

Das war seine Frage? Dafür hatte er sie aufgehalten? „Singapur ist wunderschön“, erklärte sie misstrauisch. „Und ich lebe mich sehr gut ein.“

„Deine Tante hat Luke erzählt, dass du einen unerwünschten Verehrer hast.“

Ihre Tante redete zu viel.

„Sie deutete an, dass er Druck auf dich ausübt, du solltest ihn heiraten.“

„Jacob, ich denke wirklich nicht, dass dich das etwas angeht.“

„Ach, nein?“ Seine Stimme war sanft und gemessen, doch sie ließ sich davon nicht täuschen. Unter der ruhigen Oberfläche brodelte es in Jacob Bennett.

„Die Sache ist die: Ich habe bislang nur von anderen gehört, dass du diesen Mann nicht heiraten willst. Aber vielleicht stimmt das ja gar nicht. Vielleicht stehe ich dir im Weg.“ Jacob schaute sie mit diesen arktisch blauen Augen an. „Willst du eine Scheidung?“

„Nein!“ Ihre Antwort kam zu schnell, und sie klang viel zu verängstigt. „Ich meine … Willst du es? Lees Mutter …“

„Ist eine Frau, der ich nie begegnet bin und die Lee niemals erwähnt“, erwiderte Jake. „Der Junge ist ein Taschendieb, einer von Madelines Streunern. Sie hat ihn in die Karateschule gebracht, damit er wenigstens ein Dach über dem Kopf hat und eine Fertigkeit erlernen kann.“

„Oh.“ Das Rätsel um Lee war gelöst, doch Jianne war immer noch nicht schlauer, was Jacobs aktuellen Beziehungsstatus anbelangte.

„Deine Tante scheint zu denken, dass dieser Mann dir gefährlich werden könnte, wenn er nicht das bekommt, was er will“, fuhr Jake fort. „Madeline teilt diese Ansicht. Sie sorgen sich um deine Sicherheit.“

„Sie sollten sich wirklich nicht so viele Gedanken machen.“ Sie selbst hatte das in den vergangenen Monaten bereits zur Genüge getan.

„Ist er dir nach Singapur gefolgt?“

„Ich habe ihn hier nicht gesehen.“ Noch nicht. Es bestand kein Grund, den Mann, der nur noch dem Namen nach ihr Ehemann war, mit dem Wissen zu belasten, dass Zhi Fu sie aufgespürt hatte. Dass die unerwünschten Geschenke erneut eintrafen.

„Jianne, ist dieser Mann eine Gefahr für dich?“

„Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Er tut nie etwas offensichtlich Ungesetzliches.“ Frustration hatte sich in ihre Stimme geschlichen, das wusste sie, weshalb sie rasch versuchte, wieder ihre Balance zu finden. „Er spielt Spielchen, das ist alles.“

Autor

Kelly Hunter

Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...

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