Neun Monate und eine Nacht

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Ungläubig erkennt July, wer sie bei der Geburt unterstützt: Dr. David Wahl - der Mann, mit dem sie vor genau neun Monaten eine einzige Liebesnacht verbracht hat. Niemals darf er erfahren, dass er der Vater des kleinen Jungen ist, den er ihr gerade zärtlich in die Arme legt!


  • Erscheinungstag 15.02.2021
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505536
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Eine Entbindung in der Notaufnahme hatte July Greer gewiss nicht geplant –, ebenso wenig, dem diensthabenden Arzt zu begegnen, der gerade zur Tür hereinkam und zufälligerweise ihr einziger One-Night-Stand überhaupt gewesen war. Trotz der Maske, die seinen Mund und seine Nase bedeckte, hätte sie diese stahlblauen Augen überall erkannt. Einen Moment lang überwog der Schock die Schmerzen der Wehen, von denen ihr Körper gequält wurde.

Ich sollte eben nicht in Wyoming sein. Sie sprach die Worte nicht laut aus, stattdessen schrie sie auf, als sich ein weiterer stechender Schmerz durch ihren Unterleib bohrte. „Ich bin Dr. Wahl.“ Ohne seine Patientin genauer anzuschauen, ging er an ihr vorbei und setzte sich auf einen Stuhl am anderen Ende der Untersuchungsliege. Für einen Moment verschwand er aus ihrer Sicht, bis er das sterile Tuch zurückschob.

„Die Schwester hat recht. Wir haben keine Zeit mehr, Sie in den Kreißsaal zu bringen.“ Sein besorgter Blick konnte ihre Ängste nicht gerade beschwichtigen. Falls er sie erkannt haben sollte, ließ er es sich glücklicherweise nicht anmerken. „In welchem Monat sind Sie?“

Normalerweise war July stolz auf ihre Selbstbeherrschung, aber in diesem Moment hatte der Schmerz wieder die Oberhand über ihren Körper gewonnen, und sie verlor die Geduld. Sie hatte es bereits bei der Anmeldung und mindestens zwei Krankenschwestern aus der Notaufnahme gesagt. Hätte das nicht irgendjemand irgendwo notieren können?

„Sechsunddreißigste Woche.“ Ihr gereizter Ton mündete in ein verzweifeltes Keuchen, als sie versuchte, sich nicht von einer neuen Wehe überwältigen zu lassen, was ihr nicht gerade leichtfiel, zumal die Schwester neben ihr geradezu wie ein Mantra erneut wiederholte: Nicht pressen.

July nahm sich vor, stark zu bleiben und so lange wie ein Hund zu keuchen, wie es gut für ihr Baby war. Wenn es bloß eine Garantie gäbe, dass ihre Anstrengungen ausreichten. Ihr Geburtstermin war erst in einem Monat. Laut den Lehrbüchern machte ein Baby in diesen letzten Wochen einen enormen Wachstumsschub.

„Es ist doch nicht gefährlich für ihn, oder?“, fragte July, als sie wieder normal atmen konnte.

David, ähm, Dr. Wahl musste die Angst in ihrer Stimme gehört haben, denn er hob den Kopf. „Wenn die Daten stimmen, dürfte es keine Probleme mit der Lungenreife geben.“

„Heißt das Nein?!“, stieß July hervor, als eine weitere scharf schmerzende Wehe sie überfiel.

„Ich kann den Kopf des Babys sehen. Atmen Sie ein paar Mal tief durch, dann halten Sie den Atem an und pressen“, wies er sie an.

Obwohl es ihr wie eine Ewigkeit erschien, erblickte ihr Sohn ein paar Minuten später laut schreiend das Licht der Welt.

Das Baby, respektable zweitausenddreihundert Gramm schwer, wurde sorgfältig untersucht, ehe Schwester Rachel Milligan, die ihr beigestanden hatte, es July in den Arm legte. Ein Blick auf die Finger, Zehen und andere Körperteile bestätigten, dass ihr Sohn zwar klein, aber mit allem Notwendigen ausgestattet war.

Erleichtert atmete July tief aus. Die Opfer, die sie in den vergangenen acht Monaten erbracht hatte, waren die Mühen wert gewesen. Mit einem Blick in die Augen des Babys schwor sie sich, dass sie immer für ihn da sein würde, egal, wie schwer das Leben auch werden mochte.

Sie begann gerade, sich mit ihrem Sohn vertraut zu machen, als eine Krankenschwester, die sie zuvor noch nicht gesehen hatte, den Raum betrat. Mit geübtem Griff nahm sie ihr das Baby aus den Armen und legte es in einen Inkubator. Julys Herz verkrampfte sich, als es aus ihrem Blick verschwand.

„Das haben Sie ganz toll gemacht.“ Rachel tätschelte ihre Schulter. „Machen Sie sich keine Sorgen um Ihren kleinen Jungen. Bei uns ist er in besten Händen.“

Mein kleiner Sohn. Plötzlich wurde die Rührung übermächtig. „Ich nenne ihn Adam.“

Was Namen anging, war July ziemlich sentimental. Sie selbst hieß nur so, weil sie im Juli geboren worden war, aber der Name ihres Sohnes sollte mehr bedeuten.

„Adam gefällt mir.“ Rachel ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. „Heißt jemand in der Familie so?“

July nickte. Adam „A. J.“ Soto war wie ein Bruder für sie, seitdem sie gemeinsam von Kinderheim zu Kinderheim gereicht worden waren. Solange sie denken konnte, war A. J. ihr Vertrauter, ihr Gesprächspartner und vor allem ein sehr guter Freund.

„Er sieht wirklich sehr hübsch aus mit den dunklen Haaren“, bestätigte Rachel.

Die schwarzen Haare waren July auch als Erstes an ihrem Baby aufgefallen. Sie mochte zwar ihr rötlichbraunes Haar, war aber froh, dass Adam die Farbe von seinem Vater geerbt zu haben schien.

„Sieht er seinem Dad ähnlich?“

„Das tut er“, antwortete July spontan. Sie wusste nicht, was David da unten hinter dem sterilen Tuch noch tat, aber sie spürte, dass er innehielt. Obwohl sie seine Haare unter der blauen Kappe nicht sehen konnte, erinnerte sie sich noch gut daran, wie sie mit den Fingern durch die langen dunklen Strähnen gefahren war.

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als er die Maske herunterzog und July betrachtete. Zum ersten Mal, seit er das Zimmer betreten hatte, sah er sie wirklich an. Obwohl es noch nicht einmal Mittag war, wirkte er schon sehr erschöpft, aber in seinen Augen glomm auch ein Funke Neugier.

Unvermittelt bekam July es mit der Angst zu tun. Wenn David herausfand, dass Adam sein Sohn war …

Einen Moment lang begann sich das Zimmer um sie zu drehen, aber July weigerte sich, dem Angstgefühl nachzugeben.

Ich habe das Schlimmste hinter mir – und habe es ganz allein geschafft.

Das Wissen darum gab ihr Zuversicht. Sie holte tief Luft und verjagte das Gefühl der Furcht. Eins nach dem anderen. So war sie bisher gut durchs Leben gekommen – und hatte auch diese Katastrophe bewältigt. Das Wichtigste war, ruhig zu bleiben und sich nicht verrückt machen zu lassen. David hatte keinen Grund zur Annahme, dass ihre einzige gemeinsame Nacht zu einer Schwangerschaft geführt hatte. Und sie hatte vor, diese Tatsache für sich zu behalten.

„Alles sieht gut aus.“ Er ließ sie nicht aus den Augen. „Das Baby ist so klein, dass Sie trotz der Sturzgeburt keinen Dammriss hatten.“

Vielleicht sollte ihr diese Bemerkung peinlich sein, aber David war Arzt. Und es gab nichts, was er nicht von ihr bereits gesehen oder berührt hatte. „Vielen Dank für alles.“

Wieder schaute er sie durchdringend an, ehe er kurz nickte. „Sie werden gleich auf Ihr Zimmer gebracht.“

Sein sachlicher Tonfall beruhigte sie. Doch dann wurde sein Blick weich, und July wusste, dass sie in Schwierigkeiten steckte. „Wenn meine Schicht zu Ende ist, schaue ich noch einmal nach Ihnen.“

July spürte einen Kloß im Magen. David erinnerte sich an sie. Und seinem Blick nach zu urteilen, hatte er soeben seine Rechenaufgabe gelöst.

Sie fröstelte. A. J. warf ihr andauernd vor, sie sei zu zynisch – ein Mensch, für den das Glas immer halb leer sei. July hielt sich einfach nur für eine Realistin. Das Leben hatte sie viel gelehrt – unter anderem, dass sie Männern nicht trauen konnte. Und ihre Bekanntschaft mit dem wortgewandten, verheirateten Arzt hatte sie nur darin bestätigt. Deshalb würde David nie erfahren, dass dies sein Kind war.

Ein Baby hatte sie nicht geplant. Bisher hatte sie auch noch keinen Gedanken an eine mögliche Mutterschaft verschwendet. Doch nun, da ihr Sohn auf der Welt war, liebte sie ihn von ganzem Herzen. Ihn mit einem gewissenlosen Mann zu teilen, kam allerdings nicht infrage.

David lehnte sich an den grauen Metallspind im Aufenthaltsraum des Jackson Hole Memorial Hospitals. Den ganzen Nachmittag hatte er operiert und sich permanent eingeredet, dass der Junge, den er vormittags um elf Uhr achtundzwanzig entbunden hatte, nicht sein Sohn sein konnte. Hatten sie nicht in jener Nacht in dem Chicagoer Hotel Kondome benutzt?

Als Arzt wusste er natürlich, dass sie kein hundertprozentiger Schutz waren. Missgeschicke passierten immer wieder, doch sofort verjagte er den Gedanken. Der kleine Junge war ein Wunder, kein Missgeschick. Und wenn es sein Baby war, würde er die Verantwortung dafür übernehmen.

„Warum wirkst du so ernst? Hattest du einen schlechten Tag?“

„Überhaupt nicht.“ David grinste seinen Kollegen und Freund Dr. Travis Fisher an. Travis war Davids Trauzeuge gewesen – und einer der Sargträger, als Davids Frau vor zwei Jahren gestorben war. „Ich habe nur gerade daran gedacht, dass Mary Karen mir die Hölle heißmachen wird, wenn ich zu spät zu Logans Geburtstagsparty komme.“

Davids Schwester hatte drei Söhne, die sie permanent auf Trab hielten und die dringend ein männliches Vorbild brauchten. Dummerweise hatte Mary Karens Mann sie vor einem Jahr sitzen lassen und führte in Boston das Junggesellenleben, das er so sehr vermisst hatte. David versuchte zwar, so viel Zeit wie möglich mit seinen Neffen zu verbringen, aber was die drei Kleinen wirklich brauchten, war seiner Meinung nach ein richtiger Dad.

Leider sah es damit nicht gut aus. Wenn Mary Karen nicht für die Kinder sorgte oder als Aushilfskraft im Krankenhaus arbeitete, musste sie sich ums Essen und den Haushalt kümmern – weder das eine noch das andere lag ihr besonders.

„Was gibt’s denn zu essen?“, wollte Travis wissen. „Etwa Tofu?“

David lachte. Travis spielte auf ein Essen an, das Mary Karen für sie gekocht hatte, als sie noch auf der Highschool gewesen waren. „Glücklicherweise nein. Logan steht im Moment auf Spaghetti.“

„Da kann man ja eigentlich nichts falsch machen. Na ja, deine Schwester vielleicht schon“, fügte Travis schmunzelnd hinzu.

„Komm doch mit!“, forderte David ihn auf. „Sie würde sich bestimmt freuen, dich zu sehen.“ Immerhin waren Travis und Mary Karen während der Schulzeit mal ein Paar gewesen.

„Würde ich gerne tun, aber ich habe Dienst.“ Travis zeigte in Richtung Entbindungsstation. „Sie bereiten gerade einen Kaiserschnitt vor.“

„Sieht so aus, als wäre heute ein hektischer Tag im Kreißsaal.“

„Du hattest ja heute Morgen auch einen Notfall, habe ich gehört.“

„Ja, stimmt, der Kleine konnte nicht bis zu deinem Dienstbeginn warten“, antwortete David leichthin.

„Die Mutter ist ja recht hübsch“, meinte Travis, „und dem Aufnahmeformular zufolge ist sie Single.“

„Ich hatte keine Zeit, sie länger anzusehen“, entgegnete David. „Ich musste schließlich deine Arbeit erledigen.“

Travis ließ nicht locker. „Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass du kein Auge riskiert hast. Sie arbeitet übrigens freiberuflich, als Fotografin.“

David ließ sich nichts anmerken. „Aha“, sagte er nur. Er griff nach seiner Jacke. „Ich muss los. Ich schau noch mal nach ihr und dem Baby, bevor ich zu Mary Karen gehe.“

„Nicht nötig“, erwiderte Travis. „Das habe ich bereits getan.“

„Mir macht es aber nichts aus“, sagte David so gleichmütig wie möglich. „Ich führe schließlich nicht so viele Entbindungen durch. Ich will sichergehen, dass alles in Ordnung ist.“

Travis hob eine Augenbraue. „Bist du sicher, dass du es nur deswegen machst?“

David seufzte. Manchmal war sein Kollege wie ein Bluthund, der eine Spur meilenweit witterte. Vielleicht sollte er ihm die ganze Geschichte erzählen? Doch ehe er damit beginnen konnte, meldete sich sein Pieper – keine Zeit für Geständnisse. Mit Schwung schloss er seinen Spind und ging zur Tür. „Ich muss wirklich los.“

„Was soll ich den Schwestern sagen?“ Travis folgte ihm. „Das ist dir doch nicht egal, oder?“

„Was meinst du damit?“, fragte David, ohne stehenzubleiben.

„Ich nenne keine Namen, aber die Tagschicht hat mir erzählt, dass du die neue Mutter unentwegt angestarrt hast. Es kam ihnen vor, als würdest du sie kennen, und sie haben mich mit Fragen nur so gelöchert.“

Abrupt blieb David stehen. Er hasste diesen Krankenhausklatsch, aber er wusste schon seit Langem, wie er am besten damit umgehen konnte. „Erzähl ihnen einfach, dass die frischgebackene Mutter und ich eine heiße Affäre hatten und ich sie wahnsinnig liebe. Ach ja, und du kannst ihnen auch gleich sagen, dass das Kind von mir ist.“

Wie er erwartet hatte, gluckste Travis vor Lachen. „Okay, ich sag den anderen, dass es falscher Alarm ist.“ Er schlug David auf den Rücken. „Viel Spaß auf der Party, und gib deiner hübschen Schwester einen Kuss von mir.“

„Oh, oh, den musst du ihr schon persönlich geben!“, konterte David.

Im Hinausgehen dachte David jedoch weder an seine Schwester noch an die Geburtstagsfeier seines Neffen, sondern an die Frau in Zimmer 202. Und an das Baby auf der Säuglingsstation. Der Junge mit den langen dunklen Haaren. Genau wie seine eigenen …

Auf der Station wechselte David ein paar Worte mit den Schwestern, während er Julys übersichtliche Krankenakte überflog. Viel stand nicht darin. Beim Beziehungsstatus hatte sie ledig angekreuzt, als Beruf freiberufliche Fotografin eingetragen und als Wohnort Chicago in Illinois angegeben. Sie hatte auch keine Angehörigen genannt. Sollte sie tatsächlich mit jemandem zusammen sein, konnte ihr die Beziehung vermutlich nicht so wichtig sein.

Er fragte sich, was aus ihrer Stelle bei der Sun Times geworden war und was sie nach Jackson Hole verschlagen hatte. Nun, er würde es bald herausfinden. Mit dem Klemmbrett in der Hand schritt er zielstrebig über den Korridor. Erst vor ihrer Tür zögerte er. Travis kümmerte sich jetzt um sie. Es gab also wirklich keinen Grund für ihn, hier zu sein, abgesehen von der Tatsache, dass er sie entbunden hatte und dass sie alte Freunde waren … gewissermaßen.

Schüchtern wie ein Fünfzehnjähriger klopfte David an die nur angelehnte Tür und stieß sie auf.

July saß im Bett und trug ein schlichtes Krankenhausnachthemd. Vor ihr stand ein Essenstablett. Im Gegensatz zu Celeste war sie nicht atemberaubend schön, aber sie hatte etwas Verlockendes. Obwohl kaum größer als ein Meter sechzig, würde sie mit ihren grünen Augen, dem schulterlangen kastanienbraunen Haar und der hellen Hautfarbe in jeder Menschenmenge auffallen.

Falls sie überrascht war, ihn zu sehen, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie stellte die Orangencreme auf das Tablett und betrachtete den roten Namenszug auf seinem Kittel. „Ich dachte, dein Name würde W-A-L-L geschrieben.“

Erleichtert stellte er fest, dass sie sich an seinen Namen erinnerte – wenn auch nicht in der korrekten Schreibweise. Während der Geburt war er sich nicht sicher gewesen, ob sie ihn erkannt hatte. Er hätte auch nicht gewusst, wie er sie danach hätte fragen können.

„Viele Leute schreiben ihn falsch.“ Er trat näher an ihr Bett und hoffte, dass sie seine Nervosität nicht spürte. „Was habe ich gehört? Du bist noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden hier und hast die Schwestern schon gefragt, wann du entlassen wirst?“

„Ich habe eine Krankenversicherung mit enorm hoher Selbstbeteiligung.“ Sie hob das Kinn. „Ich bin eben eine kostenbewusste Patientin.“

Im Stillen verfluchte David sich. Seine Frage hätte das Eis brechen sollen, anstatt ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. „Wenn du finanzielle Unterstützung brauchst – es gibt da gewisse Beihilfen. Ich könnte jemanden vorbeischicken …“

„Du verstehst mich nicht“, unterbrach sie ihn. „Ich habe durchaus Ersparnisse. Ich möchte nur so viel wie möglich davon behalten.“

„Natürlich, ausgezeichnet. Sag mir einfach Bescheid, wenn du deine Meinung änderst.“ Das Reden fiel ihm schwer. Normalerweise konnte er sich mit allen über alles Mögliche unterhalten, aber in diesem Moment fühlte er sich äußerst unbehaglich. Das war eigentlich gar nicht nötig, ebenso wenig ihre Reserviertheit. Immerhin hatten sie sich in aller Freundschaft getrennt.

„Falls nichts Unerwartetes eintrifft, kannst du morgen wahrscheinlich nach Hause gehen“, sagte er schließlich, als das Schweigen unerträglich wurde. „Eine unserer Schwestern wird vierundzwanzig Stunden lang bei dir bleiben. Das gehört zu unserem Spezialservice.“

Julys grüne Augen blickten ins Leere. „Ich muss eine Babyschale kaufen, bevor ich Adam abholen kann …“

„Das Baby muss noch eine Weile hierbleiben“, entgegnete er mit fester Stimme. „Du kannst dir also mit der Babyschale Zeit lassen.“

„Die Schwestern haben mir gesagt, es ginge ihm gut.“ Ihre Stimme zitterte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ist irgendetwas passiert?!“

„Seine Haut ist ein bisschen gelb. Das ist nicht ungewöhnlich bei einer Frühgeburt.“ David hoffte, dass er zuversichtlich klang. Obwohl er kein Spezialist für Geburten war, kannte er sich mit solchen allgemeinen Dingen aus. Er hätte sich bloß diplomatischer ausdrücken sollen.

„Als meine Fruchtblase platzte, war mir klar, dass es zu früh war.“ Die Stimme versagte ihr, und sie sank zurück aufs Kissen. Sie sah viel jünger aus als sechsundzwanzig. „Ich konnte nichts machen. Alles ging so schnell …“

„Du hast alles richtig gemacht.“ Er widerstand dem Drang, ihr auf die Schulter zu klopfen. „Dein Körper war bereit für die Geburt, als du hier zur Tür hereingekommen bist.“

„Ich weiß nicht, wie das passieren konnte.“ July sprach mehr zu sich selbst. „Der Arzt hat mir versichert, dass der Termin eingehalten werden könnte.“

„Wann war der denn?“, fragte David so beiläufig wie möglich.

„Fünfzehnter April.“

Davids Herz wurde zu einem Stein in seiner Brust. Kaum hatte er ihren Namen auf dem Patientenblatt gelesen, hatte er auch schon im Stillen nachzurechnen begonnen. Wenn der Geburtstermin Mitte April gewesen sein sollte, musste sie zu der Zeit schwanger geworden sein, als sie zusammen in Chicago gewesen waren. Vergeblich versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. Sie kniff die Augen zusammen.

„Mach dir keine Sorgen. Es ist nicht dein Baby.“

„Wie kannst du dir da so sicher sein? Der Zeitpunkt stimmt.“

„Wir haben Kondome benutzt“, erinnerte sie ihn. „Jedes Mal.“

„Willst du mir damit sagen, du hattest zur gleichen Zeit mit einem anderen Mann ungeschützten Sex?“

„Hör mal!“ Sie schob das Tablett beiseite. „Du brauchst jetzt hier nicht den anständigen Ritter zu spielen. Adam ist nicht dein Sohn.“

Sie klang aufrichtig, und ihre Argumente waren vernünftig. Dennoch erinnerte er sich an diese Nacht, als wäre sie gerade erst gewesen. Ihre Antwort hatte nichts Einstudiertes, woraus er schloss, dass sie schon länger nicht mit einem Mann zusammen gewesen war. Und jetzt erwartete sie, dass er glaubte, sie habe mit ihm geschlafen und kurz danach mit einem anderen Mann Sex gehabt? Möglich wäre es schon, aber irgendetwas sagte ihm, dass sie ihn anlog.

Ein halbes Dutzend Fragen gingen David durch den Kopf, aber er stellte keine einzige davon. Ihre Miene verriet ihm, dass er nicht mehr von ihr erfahren würde.

Er wippte auf den Fersen. „Willst du ihn wirklich Adam nennen?“

„Warum nicht?“

David verbiss sich ein Grinsen, als er ihren aggressiven Ton hörte. „Als ich noch klein war, hatten unsere Nachbarn zwei Bulldoggen. Sie hießen Adam und Eva.“

„Nun, ich habe einen guten Freund namens Adam, und er ist ganz gewiss kein Hund.“

Ein guter Freund? War er vielleicht mehr als das? Um ein Haar hätte David Eifersucht in sich aufkeimen lassen, doch dann fiel ihm ein, dass sie nicht einmal den Namen des Mannes angegeben hatte, damit dieser im Notfall hätte verständigt werden können. „Ein Nachbar?“

„Ich kenne ihn aus dem Kinderheim.“

David setzte sich auf ihre Bettkante. „Davon hast du mir nie erzählt.“

„In deinem Hotelzimmer haben wir auch nicht viel geredet, wie du dich vielleicht erinnerst.“

Sie hatte recht. Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, hatten sie schon im Bett gelegen und mehr gestöhnt als geredet. Offenbar hatte sie ihre stundenlangen Unterhaltungen zuvor in der Hotelbar jedoch völlig vergessen.

„Vorher haben wir aber über alles Mögliche gesprochen!“, wandte David ein. „Lieblingssportarten, Lieblingsessen, Lieblingsfilme.“

„Aber kaum etwas Privates.“

Stimmt. Sie hatte ihm nichts über ihre Kindheit erzählt. Und er hatte ihr verschwiegen, dass seine Frau zwei Jahre zuvor gestorben war. „Das Leben im Kinderheim war bestimmt nicht schön.“

Ihr Blick war unergründlich. „Was uns nicht umbringt, das macht uns nur stärker.“

Unvermittelt musste sich David an die entsetzlichen Tage nach dem Autounfall erinnern. Obwohl er sich nicht stärker fühlte, dachte er zumindest nicht unentwegt an etwas, das nicht mehr geändert werden konnte.

„Wie bist du denn hier gelandet? Als wir uns kennenlernten, hast du doch angeblich in Minneapolis gewohnt und wolltest nach Chicago ziehen?“

David schaute aus dem Fenster. Nach Celestes Tod hatte er sich so einsam gefühlt und gehofft, den Verlust in Chicago leichter verarbeiten zu können. Celeste war auf einer Dienstfahrt von einem betrunkenen Autofahrer gerammt worden und auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Gary, ihr Chef, hatte sie um diese Fahrt gebeten, weil ein Kollege erkrankt gewesen war. Wie oft hatte sich David hinterher mit dem Gedanken gequält: Wenn der Kollege nicht krank geworden wäre und Gary sie nicht gebeten hätte, für ihn einzuspringen. Wenn …

„Einen Tag nachdem wir … zusammen waren, habe ich einen alten Freund getroffen. Er wusste von meiner … Situation. Nachdem ich mich länger mit ihm unterhalten hatte, war mir klar geworden, dass ich nach Jackson Hole gehöre – zu meiner Familie.“

„Ich will dich nicht von deiner Familie fernhalten.“ Ihr Tonfall war so kühl wie ihre grünen Augen.

„Ich habe noch ein bisschen Zeit.“ Er wollte noch ein wenig länger in ihrer Gesellschaft sein. „Was hat denn dein Freund Adam gesagt, als er die gute Nachricht erfuhr?“

„Ich habe ihn noch gar nicht erreichen können“, antwortete sie ganz sachlich.

Durch den Lautsprecher wurde das Ende der Besuchszeit verkündet. David schaute auf die Uhr an der Wand. Zehn Minuten brauchte er bis zum Haus seiner Schwester. Er erhob sich. „Ich gehe dann mal.“

July lächelte nur höflich, sagte aber nichts. Sie behandelte ihn wie einen flüchtigen Bekannten, von dem sie nicht glaubte, ihn wiederzusehen.

„Morgen schau ich noch mal nach dir“, versprach er auf dem Weg zur Tür.

„Das ist nicht nötig …“

Es klopfte, und eine Schwester betrat das Zimmer. Im Arm trug sie ein blaues Bündel. „Mrs. Greer, Sie bekommen Besuch.“ Die Schwester blieb stehen, als sie David sah. „Dr. Wahl?! Ich wollte nicht stören. Ich wusste nicht, dass Sie noch hier sind.“

„Kein Problem. Ich bin so gut wie weg.“ David wusste, dass seine Schwester und die restliche Familie auf ihn warteten und dass seine Neffen die Geburtstagsparty nicht ohne ihn beginnen würden. Trotzdem nahm er sich noch ein paar Sekunden Zeit, um das Baby zu bewundern, das durchaus sein eigenes sein konnte.

Autor

Cindy Kirk
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