Ich weiß bloß eins, ich liebe dich

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Wer ist der Fremde, der sein Gedächtnis verloren hat? Sozialarbeiterin Lexi Brennan weiß bloß eins: Sie muss seiner magischen Anziehungskraft widerstehen! Gerade weil John, wie sie ihn nennt, so unglaublich charmant und attraktiv ist, ist er bestimmt längst vergeben!


  • Erscheinungstag 22.02.2021
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505543
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich wette einen Fünfer, dass er ein Prinz ist.“

Amüsiert sah Lexi Brennan dabei zu, wie eine der älteren Krankenschwestern einen zerknitterten Geldschein aus ihrer Kitteltasche kramte und ihn auf den Tresen klatschte.

„Hübsch genug dazu ist er jedenfalls“, meinte eine der jüngeren Kolleginnen. „Doch ich tippe eher darauf, dass er ein reicher Erbe ist.“

„Mich könnt ihr für den Prinzen eintragen“, sagte Rachel Milligan, die Stationsschwester, nachdem alle Umstehenden ihre Wetten abgegeben hatten. „Aber jetzt gehen wir wieder an die Arbeit.“

Das Personal verteilte sich in den Gängen, während Lexi mit Rachel und einer jungen Hilfskrankenschwester zurückblieb. In den fünf Jahren ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiterin in der Klinik von Jackson Hole hatte Lexi bei derartigen Wetten schon eine Menge Geld verloren. Deshalb hatte sie vor einiger Zeit beschlossen, sich nicht mehr daran zu beteiligen. Trotzdem war sie neugierig. „Um wen geht es hier eigentlich?“

Rachel schüttelte nachdenklich den Kopf. „Dieser mysteriöse John Doe, wie wir ihn genannt haben, ist Thema Nummer eins, seit er gestern vom Rettungsdienst eingeliefert worden ist.“

„Er ist so süß“, schwärmte die Hilfskrankenschwester.

„Bei Mr. Landers blinkt es“, sagte Rachel streng, und das junge Mädchen lief schuldbewusst davon.

Rachel reichte Lexi nun die Krankenakte „John Doe“. „Können Sie sich um ihn kümmern?“

Lexi überflog die Seiten. „Allzu viele Infos scheint es ja nicht zu geben.“

Rachel lächelte. „Tja, wenn ein Patient sich an nichts erinnern kann …“

„Warst du dabei, als er eingeliefert worden ist?“

„Ja.“ Rachels Miene wurde sofort ernst. „Er hat großes Glück gehabt. Fünf Minuten länger unter dem Schnee, und er hätte nicht nur sein Gedächtnis, sondern sein Leben verloren.“

„Wie Skifahrer sich überhaupt in eine solche Gefahr begeben können, ist mir wirklich unbegreiflich.“ Lexi fragte sich, wieso die Unbesonnenheit des Mannes sie derart verstörte. Er war schließlich nicht der erste Extremskifahrer, der sich in dieses gefährliche Skigebiet gewagt hatte.

Rachels Blick verlor sich in der Ferne. „Diese jungen Männer halten sich leider für unverwundbar.“

Lexi fragte sich, ob Rachel dabei an ihren Mann dachte, der vor einigen Jahren bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war.

„Von medizinischer Seite aus gibt es keinen Befund“, sagte Rachel. „Sobald du eine Bleibe für ihn gefunden hast, kann er entlassen werden.“

Lexi legte den Zeigefinger ans Kinn. „Ohne Geld wird ihn wohl kein Vermieter akzeptieren.“

„Er hat Geld“, sagte Rachel triumphierend. „Wir haben zweitausend Dollar in seiner Tasche gefunden.“

Zweitausend Dollar? Einfach so in der Tasche? Lexi hatte gerade mal dreißig Dollar in ihrem Portemonnaie, und die mussten für den Rest der Woche reichen. Sie runzelte die Stirn. „Hatte er Drogen bei sich?“

„Nein.“ Rachel lachte. „Sein Bluttest war auch negativ. Nein, ich glaube, er ist einfach ein reicher Typ, der sich mit Extremsportarten die Zeit vertreibt.“

Lexi seufzte. „Dass er Geld hat, macht es zumindest einfacher, eine Unterkunft für ihn zu finden.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Dann werde ich diesem ominösen John Doe mal einen Besuch abstatten.“

„Du wirst geblendet werden.“

„Wie meinst du das?“, fragte Lexi erstaunt.

„Er hat nicht nur Geld, er sieht auch noch umwerfend aus.“

Beides eigentlich gute Voraussetzungen, um eine Unterkunft für ihn zu finden. Trotzdem würde es nicht leicht werden. Die Anzahl der Hotels und Ferienwohnungen in der Umgebung war äußerst begrenzt und daher meist schon lange im Voraus ausgebucht. Sie würde viel herumtelefonieren müssen.

Er hatte gerade seine Skihose angezogen und hielt ein T-Shirt in der Hand, als es an der Tür seines Krankenzimmers klopfte. „Herein“, rief er, ohne zur Tür zu sehen. Es war sowieso wieder nur eine der Schwestern, die ihm den Puls messen und die Größe seiner Pupillen prüfen wollten.

Doch das Klicken von Absätzen auf dem Fliesenboden passte nicht dazu. Er drehte sich deshalb doch um.

Die Frau, die ins Zimmer kam, trug keine Schwesternuniform oder einen Arztkittel, sondern ein modisches grün-braun gemustertes Kleid und ein grünes Strickjäckchen. Ihr dunkles Haar war zu einem glatten Bob frisiert. Sie hielt den Blick auf die Akte in ihrer Hand gerichtet, und als sie hochsah, weiteten sich ihre hellbraunen Augen. „Tut mir leid“, stammelte sie und ging zur Tür zurück. „Sie sind noch beim Anziehen. Ich komme später wieder.“

Er betrachtete seine nackte Brust. Eine Krankenschwester hätte bei seinem Anblick keine Miene verzogen. Nein, das war definitiv keine Krankenschwester.

„Bleiben Sie ruhig hier.“ Rasch schlüpfte er in sein T-Shirt, wobei ihm ein heftiger Schmerz in die Schulter fuhr. Damit würde er wohl noch eine Weile leben müssen, hatte der Arzt gemeint. „So, fertig und bereit für Besucher.“

Die Frau drehte sich lächelnd wieder um und zeigte dabei ihre perfekten weißen Zähne. „Ich bin Lexi Brennan, die Sozialarbeiterin der Klinik.“ Sie ging auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen.

Ihr zarter Duft umwehte ihn, als er ihre Hand nahm. Unwillkürlich blickte er dabei auf ihren Ringfinger, was er sonst eigentlich nie tat. Kein Ehering.

„Mr. … Doe, man hat mich beauftragt, eine vorübergehende Unterkunft für Sie zu finden, bis Sie Ihr Gedächtnis wiedererlangt haben.“ Sie wirkte plötzlich ganz sachlich, und er überlegte, womit er ihr wieder ein Lächeln entlocken könnte.

Dumm nur, dass ihm eigentlich gar nicht nach Scherzen zumute war. In seinem Kopf herrschte tiefe Dunkelheit, und das machte ihm zu schaffen. Die Leute vom Rettungsdienst hatten ihm erzählt, er hätte bereits Scherze gemacht, nachdem sie ihn aus den Schneemassen befreit hatten. Dass er sich an absolut nichts erinnern konnte, war ihm erst später aufgefallen. Er wusste nicht einmal, ob jemand ihn beim Skifahren begleitet hatte, der womöglich ebenfalls verschüttet war. Es hatte ihn beruhigt, dass das Suchgerät nur ihn aufgespürt hatte.

„Hat sich schon jemand nach mir erkundigt?“, fragte er.

„Erkundigt?“, fragte die hübsche Sozialarbeiterin.

„Na ja, Familie, Freunde …“

Lexi sah die Enttäuschung in seinem Gesicht und lächelte ihn mitfühlend an. „Sicher haben Ihre Angehörigen sofort eine Vermisstenmeldung aufgegeben, als der Bericht im Fernsehen kam. Aber wer weiß, wo und unter welchem Namen? Möglicherweise dauert es eine Weile.“

John Doe trat ans Fenster und blickte auf das Rotwildgehege hinter der Klinik. „Was soll ich denn inzwischen machen?“

Darauf hatte Lexi leider auch keine Antwort. Sie legte ihre Aktentasche auf den Tisch und trat neben ihn. Der Himmel war wolkenverhangen, passend zu der Stimmung im Krankenzimmer.

„Der Wetterdienst hat für heute einen Blizzard vorhergesagt.“ Das Wetter bot doch immer noch willkommenen Gesprächsstoff. „Das ist ungewöhnlich für Anfang April.“

Sie spürte, dass er sie von der Seite ansah, und unwillkürlich durchlief sie ein Kribbeln. Er duftete angenehm nach Seife und einem herben Aftershave. Sie betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Rachel hatte recht. Er war ausgesprochen attraktiv. Mit seinen 1,90 m, seiner sportlichen Figur und dem leicht gewellten braunen Haar war er genau ihr Typ. Ganz abgesehen von seinem Gesicht, das jedes Frauenherz zum Schmelzen bringen konnte.

„Wann soll es denn losgehen?“, fragte er.

Lexi sah ihn an. „Irgendwann am Nachmittag.“

„Angeblich bin ich gesund und kann entlassen werden.“

Seine Stimme klang neutral, doch Lexi bemerkte einen Anflug von Unsicherheit in seinen braunen Augen.

Sie lächelte ihm aufmunternd zu. „Das ist der erste Schritt zurück ins Leben.“ Es musste beängstigend sein, ohne Erinnerung durch die Welt gehen zu müssen. „Ich besorge Ihnen erst einmal eine Unterkunft, indem ich die Hotels und Makler in der Gegend anrufe.“

„Ich kann mithelfen, schließlich habe ich ja nichts anderes zu tun.“ Er deutete ein Lächeln an. „Außerdem ist das mein Problem und nicht Ihres.“

Lexi versuchte, sich gegen den Blick aus seinen warmen braunen Augen zu wappnen. „Das ist nett von Ihnen, aber es ist mein Job, Sie zu unterstützen. Wir bekommen auch immer einen Krankenhausrabatt.“

„Der Arzt meinte, ich hätte zweitausend Dollar bei mir gehabt. Geld spielt also vorerst wohl keine Rolle.“

„Trotzdem sollten Sie sparsam damit umgehen.“ Lexi wählte ihre Worte mit Bedacht, um ihn nicht zu verunsichern. „Vielleicht dauert es eine Weile, bis Ihre Familie sich meldet oder bis Sie Ihr Gedächtnis wiedererlangen.“

„Sie meinen, ich könnte irgendwann auf der Straße landen?“ Er lächelte belustigt. „Das wäre mir aber sehr unangenehm bei der Kälte.“

Lexi erwiderte sein Lächeln. Sie bewunderte die Gelassenheit, mit der er seine schwierige Situation zu bewältigen versuchte. Der physischen Anziehungskraft eines Mannes konnte sie normalerweise problemlos widerstehen, bei menschlichen Eigenschaften wie Humor, Mut und Herzenswärme fiel es ihr schon deutlich schwerer.

Aber sie würde widerstehen, denn für einen Mann war momentan kein Platz in ihrem Leben, selbst wenn er so charmant und attraktiv war wie John Doe.

Eine halbe Stunde später ließ Lexi sich frustriert in ihren Drehstuhl zurückfallen. „Wie kann es sein, dass sämtliche Hotels und Ferienwohnungen komplett ausgebucht sind?“ Sie sah John hilflos an.

Rachel platzte herein und ließ den Blick zwischen Lexi und John hin und her wandern. „Na, wie sieht’s aus? Wo werden Sie denn wohnen?“

„Nirgendwo, wie es scheint.“ John schenkte der hübschen Stationsschwester ein betörendes Lächeln.

Rachel sah sie erstaunt an. „Ist wirklich nichts frei?“

„Es liegt wohl an dem Blizzard.“ Lexi fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Die Urlauber haben alle verlängert, weil sie Angst haben, auf dem Nachhauseweg im Schnee stecken zu bleiben. Auch mit dem Flugzeug kommt keiner mehr hier weg, weil sämtliche Flüge gestrichen wurden.“

Rachel schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. „Trotzdem wird sich ja wohl ein Plätzchen für ihn finden.“

John sah Rachel treuherzig an. „Für einen armen Obdachlosen wie mich …“

Als Rachel kokett lachte, spürte Lexi einen eifersüchtigen Stich. Aber das war doch nicht möglich! Was war denn bloß mit ihr los? Sie wusste doch absolut nichts über diesen John Doe. Womöglich war er verheiratet und hatte ein paar Kinder.

„Ich habe eine Idee.“ Rachel sah Lexi an. „Was ist denn mit dem Wildwoods?“

Lexi schüttelte den Kopf. „Als ich heute Morgen losgefahren bin, war schon alles belegt.“

„Mrs. Landers Zimmer müsste doch frei geworden sein. Ihr Mann wurde heute Morgen entlassen, und sie wollten gleich nach Hause fahren. Sie haben es ja nicht weit und haben gehofft, es noch vor dem Sturm zu schaffen.“

„Wildwoods?“ John sah Rachel fragend an.

„Ein Bed and Breakfast, ungefähr zehn Meilen von hier. Lexi wohnt dort auch.“

„Sie wohnen in einem Bed and Breakfast?“, fragte John erstaunt.

„Ja“, erwiderte Lexi fröhlich. „Am Wochenende koche ich dort sogar für alle.“

Als kleines Mädchen hatte sie oft auf einem Schemel neben ihrer Mutter am Herd gestanden und in den Töpfen gerührt. Damals hatte sie sich noch nicht vorstellen können, wie nützlich ihr diese Erfahrung einmal sein würde. Um weniger Miete zahlen zu müssen, kochte sie an den Wochenenden und Feiertagen immer Menüs für die Gäste. Es machte ihr großen Spaß, und auf diese Weise kam sie mit ihrem nicht sehr üppigen Sozialarbeitergehalt gut über die Runden.

„Sie scheinen ja eine viel beschäftigte Frau zu sein.“ John musterte sie aufmerksam. Sein Blick hatte nichts von Mitleid oder Herablassung, sondern war eher bewundernd … und Lexi sah noch etwas anderes, ein gewisses Funkeln, wie sie es manchmal auch bei anderen Männern bemerkt hatte. Allerdings achtete sie kaum noch darauf.

„Ruf doch Coraline mal an“, schlug Rachel vor.

„Ja, das mache ich.“

Während Lexi die Nummer von Coraline Coufal, der Besitzerin des Wildwoods, wählte, hielt sie den Atem an.

Tatsächlich hatte Coraline in ihrer Pension noch ein Zimmer frei. Lexi atmete erleichtert auf, doch gleichzeitig kamen ihr Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee war, John Doe in ihrer Nähe unterzubringen.

„Wir nehmen das Zimmer“, sagte sie zu Coraline, dann wandte sie sich lächelnd an John. „Glückwunsch, Sie brauchen wohl doch nicht auf der Straße zu übernachten.“

2. KAPITEL

Gegen Mittag fiel der Schnee bereits in dichten Flocken. John stand mit Rachel unter der Überdachung des Krankenhauseingangs und wartete darauf, dass Lexi ihren Wagen holte.

Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen. Irgendwie fühlte er sich nutzlos. Garantiert war er vor seinem Unfall ein viel beschäftigter Mann gewesen, sonst würde ihm das Nichtstun jetzt weniger ausmachen. „Ich hätte doch mit ihr zusammen zum Auto gehen können“, sagte er zu Rachel.

„Dann hätte ich aber Schwierigkeiten bekommen. Die Klinikregel besagt, dass Patienten am Eingang abgeholt werden müssen.“ Ein scharfer Nordwind blies ihnen ins Gesicht, und Rachel zog fröstelnd ihren Mantelkragen höher. „Ah, da kommt Lexi ja schon“, sagte sie erleichtert.

Ein älterer Kombi fuhr vor, und Rachel ging hin, um ihm die Beifahrertür zu öffnen, doch John kam ihr zuvor. „Ich mach das schon.“ Er klappte den Kofferraum auf und warf seine Reisetasche hinein, dann reichte er Rachel die Hand. „Danke für alles.“

Die Stationsschwester hielt seine Hand einen Moment lang fest. „Darf ich Ihnen einen Rat mit auf den Weg geben, John? Keine gefährlichen Abfahrten mehr.“

„Keine Sorge.“ John lachte. „Der Unfall war mir eine Lehre.“

Er öffnete die Beifahrertür und stieg ein.

Lexi warf ihm einen neugierigen Blick zu. „Was hat Rachel denn Lustiges gesagt?“

„Dass ich nicht mehr abseits der Skipisten fahren soll. Das wird mir garantiert nicht mehr passieren.“

Lexi startete den Motor und verließ das Klinikgelände. „Erinnern Sie sich denn noch an irgendetwas in dem Skigebiet?“

Überrascht fasste er sich an die Stirn. „Ja, ich habe ein Warnschild gelesen.“

„Waren Sie allein?“

„Das weiß ich nicht.“ Er lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne und schloss die Augen.

Da waren zwar Bilder in seinem Kopf, aber vollkommen ohne Zusammenhang. Sie schwirrten einfach wild hin und her und schienen ihn zu necken.

„Immerhin können Sie sich bereits an eine Kleinigkeit erinnern“, sagte Lexi. „Das ist doch schon mal ein Anfang. Mein Vater hat immer gesagt, dass man oft ganz kleine Schritte machen muss, um ein Ziel zu erreichen.“

„Ihr Vater scheint ein kluger Mann zu sein.“

„Ja, ein ganz wunderbarer Mann.“ Lexi lächelte liebevoll.

„Erzählen Sie mehr von ihm.“

„Wieso?“

John sah aus dem Fenster. Die Gehwege waren bereits schneebedeckt. „Vielleicht kommen mir dann ja Erinnerungen an meine eigene Familie.“

„Meine Mutter starb an Krebs, als ich zwölf war.“ Lexi schaute konzentriert auf die schneeverwehte Straße. „Ich war das einzige Kind und habe sehr an ihr gehangen. Ich wusste damals nicht, wie ich ohne sie weiterleben sollte.“

Er spürte ihren Schmerz geradezu. Hatte er vielleicht auch einen solchen Verlust erlitten?

„Nach der Beerdigung habe ich mich ins Bett gelegt und wollte nicht mehr aufstehen. Aber mein Vater hat zu mir gesagt, dass wir das Ganze gemeinsam durchstehen würden. Wir müssten einfach einen Tag nach dem anderen versuchen, ohne sie klarzukommen. Er hat mich jeden Morgen in die Schule geschickt und ist selbst zur Arbeit gegangen, und irgendwie haben wir diese schlimme Zeit tatsächlich überstanden und irgendwann wieder angefangen zu leben.“

„Was macht Ihr Vater denn heute?“

Sie seufzte. „Er ist vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“ Er sah sie von der Seite an. Ihre Miene zeigte keine Regung, doch ihre Hände umklammerten das Lenkrad fester. „Eine vereiste Straße.“

„Ist es hier in der Gegend passiert?“

„Nein, in Ohio. Von dort komme ich.“

„Jackson Hole ist aber weit weg von Ohio. Was hat Sie denn hierher verschlagen?“

„Ich habe hier eine Stelle gefunden. Vorher bin ich noch nie in Wyoming gewesen, aber als mein Dad tot war, hat mich nichts mehr in Ohio gehalten.“ Lexi wandte ihm kurz den Kopf zu und lächelte. „Aber jetzt genug von mir. Vielleicht fällt Ihnen ja etwas über Ihre Familie ein.“

„Leider nicht das Geringste.“ Er rieb sich die Schläfen.

„Haben Sie Kopfweh?“

Er zuckte mit den Achseln. „Manchmal sticht es.“

„Jedenfalls sehen Sie fantastisch aus. Niemand käme auf die Idee, dass Sie gerade knapp mit dem Leben davongekommen sind.“

Sie findet, ich sehe fantastisch aus. Sofort fühlte er sich besser.

„So, da sind wir.“ Lexi bog in einen Kiesweg ein, und Johns Blick wurde von einem imposanten Blockhaus angezogen. Es lag von Bäumen umgeben am Fuß eines Hügels.

„Ist das das Wildwoods?“

Lexi lächelte. „Ja, mein Schloss.“

„Es ist ja riesig.“

„Ja, ziemlich.“ Sie lächelte. „Letzten Sommer haben wir damit angefangen, hier Hochzeiten auszurichten.“

„Hochzeiten?“ Unvermittelt sah er sich im Smoking vor einem blumengeschmückten Altar stehen, aber das Bild verschwand so plötzlich, wie es gekommen war.

„Ja, Hochzeiten an Urlaubsorten sind voll im Trend. Sie glauben gar nicht, wie schön es bei uns im Sommer ist. Unser Garten steht dann in voller Blüte, und die Trauung kann im Freien stattfinden. Viele wollen die Zeremonie aber auch im Foyer abhalten, vor dem großen ummauerten Kamin, das ist auch sehr romantisch.“

Sie bekam daraufhin einen ganz verträumten Blick, und er fand sie immer bezaubernder. Eine Frau wie sie war doch sicher längst vergeben und er möglicherweise auch.

Was sie anbelangte, so war das jedenfalls leicht herauszufinden. „Arbeitet Ihr Mann auch in der Pension mit?“, fragte er so beiläufig wie möglich.

„Ich bin nicht verheiratet.“

„Geschieden?“

„Nie verheiratet gewesen.“

„Das überrascht mich aber.“ Dass er auch erleichtert war, verriet er ihr jedoch nicht. „Eine so hübsche Frau wie Sie hat doch sicher viele Verehrer.“

„Ich habe keine Zeit auszugehen.“ Lexi parkte das Auto neben dem Blockhaus.

Es schneite jetzt so heftig, dass man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. „Wir haben es offenbar gerade noch geschafft“, sagte John.

„Ja, gut, dass ich heute so früh weggekommen bin.“

Sie stiegen aus, und John holte seine Tasche aus dem Kofferraum. Die Tasche war mit dem Nötigsten für die nächsten Tage gefüllt, Unterwäsche, Jeans, T-Shirts, Pullover und Toilettenartikel. Die freundliche ältere Frau, die sie ihm heute Morgen gebracht hatte, hatte kein Geld dafür annehmen wollen. Bei Gelegenheit würde er dem Krankenhaus aber auf jeden Fall eine Spende zukommen lassen.

So schnell es in dem Schneetreiben möglich war, liefen sie ins Haus. Der Wind blies jetzt so heftig von der Seite, dass sie kaum vorwärtskamen. Einmal rutschte Lexi aus, und er hielt sie rasch am Arm fest. Ihre Pumps waren nicht gerade für diese Witterung geeignet.

Sie bedankte sich mit einem Lächeln bei ihm und ließ zu, dass er ihr die Treppe hochhalf. Kaum waren sie oben, flog auch schon die massive Holztür auf, und eine Frau mit grau meliertem Haar begrüßte Lexi mit besorgtem Blick. „Ich bin ja so froh, dass du da bist. Gerade haben sie in den Nachrichten gesagt, dass sämtliche Straßen gesperrt wurden.“

Während sie weiter mit Lexi über das Wetter redete, nahm die Frau ihnen die Jacken ab und hängte sie an einen kunstvoll geschnitzten Kleiderständer neben der Tür. John blickte sich in dem geräumigen Foyer mit der hohen Decke und den großen Fenstern um.

„Wie geht’s Addie, Coraline?“, fragte Lexi.

„Viel besser“, erwiderte Coraline. „Sie hat kein Fieber mehr.“

John fragte sich, ob Addie auch eine entlassene Krankenhauspatientin war. Aus Lexis erleichterter Miene schloss er aber, dass ihr sehr am Wohlergehen dieser Person gelegen war.

„Ich bin übrigens Coraline Coufal.“ Die ältere Frau streckte John mit warmherzigem Lächeln die Hand hin. „Willkommen im Wildwoods.“

John nahm ihre Hand. „Ich bin Jack. Jack Snow.“

Lexi hob erstaunt die Augenbraue, sagte aber nichts.

„Wir freuen uns, Sie als Gast bei uns zu haben, Mr. Snow.“ Auch Coralines Blick verriet Neugier, doch sie stellte keine Fragen. „Ich hole Ihnen schnell den Schlüssel und dann zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.“

Als sie weg war, murmelte Lexi: „Jack Snow?“

„Das gefällt mir besser als John Doe. Snow passt ja auch zu dem gegenwärtigen Wetter.“

„Nett, Ihre Bekanntschaft zu machen, Jack.“ Lexi gab ihm die Hand.

Coraline kam nun eilig mit dem Schlüssel zurück. „Wir haben so viel zu tun“, schnaufte sie. In diesem Moment hüpfte ein kleines dunkelhaariges Mädchen im Flanellnachthemd die Treppe herunter und lief auf Lexi zu. „Mommy, Mommy.“

Ein Lächeln erhellte Lexis Gesicht. Sie öffnete die Arme und drückte ihre kleine Tochter fest an sich. „Ich bin ja so froh, dass es dir besser geht, mein Schatz.“ Sie drehte Jack den Kopf zu. „Jack, darf ich Ihnen meine Tochter vorstellen? Addison Brennan.“

Lexi war unsicher gewesen, wie John oder Jack darauf reagieren würde, dass sie eine Tochter hatte. Doch er zuckte mit keiner Wimper, sondern streckte dem kleinen Mädchen nur die Hand hin.

„Addison ist aber ein wunderschöner Name …“ Ihre kleine Hand verschwand in seiner. „… für ein wunderhübsches Mädchen.“

Addie kicherte. „Ich werde aber Addie gerufen. Wie heißt du?“

„Jack Snow.“

Wieder kicherte das Kind. „Das ist aber ein komischer Name.“

„Ja, finde ich auch“, erwiderte Jack, bevor Lexi etwas einwenden konnte. „Wie alt bist du denn, Addie?“

Autor

Cindy Kirk
<p>Solange sie denken kann, liebt Cindy Kirk das Lesen. Schon als kleines Mädchen in der ersten Klasse hat sie einen Preis dafür gewonnen, hundert Bücher gelesen zu haben! 1999 war es so weit: Ihr erster eigener Roman erschien bei Harlequin. Seitdem muss die Autorin ihr Lieblingshobby Lesen damit unter einen...
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