Geheimnis einer Valentinsnacht

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Es war am Valentinstag vor vielen Jahren, als Cole ihr einen silbernen Herzanhänger schenkte - und sie ihm ihre Unschuld. Nie hat Margaret vergessen, wie es schmerzte, als er kurz darauf Schluss machte! Doch jetzt müssen sie gemeinsam für einen kleinen verwaisten Jungen sorgen. Cole auszuweichen ist unmöglich. Und die Valentinsnacht rückt immer näher …


  • Erscheinungstag 15.03.2021
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505772
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nervös rutschte Margaret Fisher auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr Herz flatterte wie ein Kolibri. Um sich zu beruhigen, holte sie tief Luft und sah sich im Warteraum des Anwalts um.

Der Boden aus Tropenholz verlieh dem Raum einen exotischen Touch, während die Wände in gedämpften Brauntönen den perfekten Rahmen für Ryan Harcourts Rodeopreise bildeten. In einer Ecke des Raumes stand sogar ein gut geölter Sattel.

Obwohl Ryan an der juristischen Fakultät einer renommierten Ostküsten-Universität seinen Abschluss gemacht hatte, war nirgendwo ein Diplom zu sehen. Vermutlich hängt es in seinem Büro, dachte Margaret. Es überraschte sie nicht weiter, denn in Jackson Hole ließ sich die Mehrzahl seiner Klienten mehr von seinem Rodeohintergrund beeindrucken als von seiner exzellenten Ausbildung.

Margaret kannte den jungen Anwalt und früheren Meister im Bullenreiten gut. Er war ihr Mitschüler an der Jackson Hole Highschool gewesen und zudem ein guter Kumpel von Cole Lassiter, ihrem Freund. Nein, nicht Freund, korrigierte sie sich still. Cole war einfach nur der Idiot, der so getan hatte, als würde er sie lieben, mit ihr geschlafen und sie dann fallen gelassen hatte.

Sie hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Eigentlich dachte sie, dass sie sich auf der Beerdigung begegnen würden. Schließlich waren er und Joy in ihrer Jugend Nachbarn gewesen, und er besuchte sie und ihren Mann Ty immer, wenn er in der Stadt war. Aber Cole war auch nicht zur Beerdigung ihrer Eltern gekommen, darum überraschte es sie nicht, als er nicht auftauchte. Respekt schien für ihn ein Fremdwort zu sein.

„Charlie, möchtest du damit spielen?“ Lexi Delacourt, die Sozialarbeiterin, die rechts neben Margaret saß, öffnete eine große, bunte Tasche und ließ das Kind, das sie begleitete, hineinschauen.

Margaret lächelte, als der Junge mit glänzenden Augen hineinsah, und schob die alten Erinnerungen beiseite. Cole war Vergangenheit, heute ging es um ihre Zukunft. Genau wie damals, als sie an ihrem 17. Geburtstag in einem Anwaltsbüro gesessen hatte. Ihre sieben Geschwister waren bei ihr gewesen, und sie alle hatten Angst gehabt, was nach dem Tod ihrer Eltern mit ihnen passieren würde. Ob sich Charlie genauso unwohl fühlte wie sie damals?

Sie beobachtete den kleinen Jungen, der gerade Plastikdinosaurier auf dem niedrigen Holztisch aufstellte. Der Sechsjährige war der Sohn von Margarets Jugendfreundin Joy und deren Ehemann Ty.

Jetzt waren beide nicht mehr da. Ein Unfall nur wenige Wochen vor Weihnachten hatte sie aus dem Leben gerissen – und das ausgerechnet auf dem gleichen Fahrbahnabschnitt, auf dem schon ihre eigenen Eltern umgekommen waren.

Es ist nicht fair.

Tränen brannten in Margarets Augen. Obwohl sie ihre Freundin nicht so oft gesehen hatte, wie es ihr lieb gewesen wäre, seit sie Wyoming vor 15 Jahren verlassen hatte, waren sie dank Internet und Handy in engem Kontakt geblieben.

Ohne Vorwarnung sprang Charlie von der braun-weiß gemusterten Couch auf. Als Lexi ihn fragend ansah, verkündete er: „Ich gucke mir die Fische an.“

Er sah bezaubernd aus, wie er in seinem blauen Jeanshemd, Jeans und kleinen Cowboystiefeln durch den Raum lief.

Joy war ganz in ihrer Mutterrolle aufgegangen, und Ty war vollkommen vernarrt gewesen in seinen Sohn. Beide hatten sich weitere Kinder gewünscht, aber aus irgendeinem Grund war Joy nicht noch einmal schwanger geworden. Seit Charlies zweitem Geburtstag hatten sie es vergeblich versucht und im letzten Jahr mit teuren Behandlungen begonnen, die ihre Fruchtbarkeit steigern sollten.

Margaret konnte verstehen, warum ihre Freunde mehr Kinder wollten. Als sie letztes Weihnachten zur Taufe der Zwillinge ihres Bruders nach Jackson Hole zurückgekommen war, war sie ebenfalls Charlies Zauber verfallen. Sie hatte sich für Travis gefreut, ihn aber gleichzeitig darum beneidet, wie glücklich sein Leben verlief. Während ihres Besuchs hatte sie auch Zeit mit Joy und ihrer Familie verbracht.

Als sie wieder fahren musste, hatte Charlie sie umarmt und ihr einen Kuss gegeben. Da hatte Margaret ihre Freundin geneckt, sie würde ihn mitnehmen. Aber wie immer hatte sie Wyoming allein verlassen.

„Sie sind riesig.“ Charlie wirbelte herum und sah sie mit großen Augen an.

„Wirklich groß“, stimmte Margaret ihm zu und seufzte, als er sich wieder dem Aquarium zuwandte. Sie hatte immer gehofft, einen liebevollen Ehemann zu haben und ein Kind wie Charlie, das sie verwöhnen konnte. Aber sie war bereits Anfang dreißig, und mit jedem Jahr, das verging, rückte ihr Traum in weitere Ferne.

Als Physiotherapeutin, die hauptsächlich mit Schlaganfallpatienten arbeitete, lernte sie bei der Arbeit kaum passende Männer kennen, außerdem ging sie selten aus. Wäre sie bereit gewesen, einen Mann zu heiraten, den sie mochte und respektierte, aber in den sie nicht verliebt war, wäre sie jetzt verheiratet.

Aber nach reiflicher Überlegung hatte Margaret letztes Jahr die Beziehung zu ihrem Verlobten gelöst und die Entscheidung nicht bereut. Na gut, vielleicht ein paar Mal in dunklen, einsamen Nächten, wenn sie sich an ihre schöne gemeinsame Zeit erinnerte und befürchtete, dass sie einfach zu viel erwartete. Schließlich hatten sie sich gut verstanden und Spaß miteinander gehabt. Muss man wirklich verliebt sein? fragte sie sich.

Vor ein paar Wochen war sie ihm und seiner neuen Freundin begegnet. Die Art, wie die beiden sich angesehen hatten, sagte ihr, dass es richtig gewesen war, die Hochzeit abzusagen. Nicht nur ihretwegen, sondern auch um seinetwillen. Jeder verdiente es, so leidenschaftlich geliebt zu werden.

„Dad und ich sind immer angeln gegangen“, erzählte Charlie, während er das Aquarium musterte. „Manchmal ist Mommy auch mitgekommen, aber dann musste Daddy für sie den Wurm an den Haken machen.“

„Das war aber nett von ihm“, sagte Lexi.

Dass Lexi Charlies Fall betreute, gab Margaret ein beinahe vertrautes Gefühl. Als sich die attraktive Sozialarbeiterin vorgestellt hatte, erwähnte sie, dass sie mit Margarets älterem Bruder Travis, dem örtlichen Frauenarzt und Geburtshelfer, befreundet sei.

„Kennst du das Testament?“, fragte Lexi leise.

Margaret schüttelte den Kopf. „Aber ich kann mir denken, was drinsteht.“

Als Ryan sie auf der Beerdigung gebeten hatte, zur Testamentseröffnung in sein Büro zu kommen, war sie nicht überrascht gewesen. Als im vergangenen Jahr einer ihrer ehemaligen Klassenkameraden an Krebs gestorben war, hatte Joy mit ihr darüber gesprochen, dass Margaret Charlie aufziehen sollte, falls ihr und Ty etwas zustieß. Sie war geschmeichelt gewesen, wunderte sich aber, warum ihre Freundin nicht in ihren Familien fragte.

Joy hatte ihr erzählt, dass sie bereits mit ihren Eltern darüber gesprochen hätte. Anscheinend hatten sie herumgestottert und Ausflüchte gesucht. Bei Ty sah es auch nicht besser aus. Seine Familie hatte für den Gedenkgottesdienst nur einen kleinen Kranz geschickt.

„Charlie, drück nicht so fest gegen das Glas“, ermahnte Lexi den Jungen.

Lächelnd stand Margaret auf und ging durch den Raum zu Charlie. Ihre Absätze klackten laut auf dem Hartholzboden. Normalerweise bevorzugte sie bequemere Kleidung als das silberblaue Kostüm und vernünftigere Schuhe als High Heels. Zu dieser Gelegenheit jedoch war ihr elegant und geschäftsmäßig angemessener erschienen als ein gemütliches Outfit.

Sie ging neben dem Jungen in die Hocke, der seine Nase am Aquarium platt drückte. „Welcher gefällt dir am besten?“

„Der Gelbe.“ Charlie zeigte auf einen großen Skalar mit goldenen Schuppen am Kopf und auf dem Rücken.

„Er ist sehr schön.“ Margaret widerstand der Versuchung, ihm seine schokoladenbraunen Haare aus dem Gesicht zu streichen. „Erinnerst du dich an mich, Charlie? Ich bin Margaret, ich war mit deiner Mom befreundet.“

Der Junge drehte sich zu ihr um und sah sie mit seinen dunkelblauen Augen an. „Der Pfarrer hat gesagt, meine Mommy und mein Daddy sind jetzt bei Gott im Himmel.“

Margaret holte tief Luft und blinzelte ihre Tränen weg. Die Worte auf der Beerdigung waren tröstend gewesen, aber es fiel ihr noch immer schwer zu akzeptieren, dass ihre beste Freundin nicht mehr da war. Es brach ihr das Herz, wenn sie daran dachte, dass sie und Joy nie wieder am Telefon miteinander lachen oder sich witzige Zeilen twittern würden.

Trotzdem glaubte sie dem Pfarrer, dass Joy und Ty an einem besseren Ort waren. Ihre Freundin hatte so einen skurrilen Sinn für Humor, dass sie jetzt bestimmt den Himmel aufmischte, während Ty sie anfeuerte.

„Meinst du, sie kommen für mich zurück?“, fragte er leise.

„Leider nein“, antwortete Margaret sanft. Sie verfluchte ihre Ehrlichkeit, als ihm Tränen in die Augen stiegen und seine Unterlippe zu zittern begann. „Aber ich weiß, dass sie trotzdem auf dich aufpassen und dich sehr, sehr lieb haben.“

„Ich will meine Mommy.“ Der kleine Junge ballte seine Hände zu Fäusten. „Bring sie her!“

Es schnürte ihr den Hals zu. Wenn ich sie und Ty doch nur zurückholen könnte.

So schnell wie er gekommen war, verschwand Charlies Zorn, und der Junge begann zu weinen.

Fest nahm ihn Margaret in den Arm und murmelte ihm beruhigende Worte zu. Nach einer Weile entspannte er sich in ihren Armen.

Aus eigener Erfahrung wusste sie, was er in den nächsten Wochen und Monaten durchmachen würde, und schwor sich, es ihm so einfach wie möglich zu machen.

Sie hörte, wie sich die Tür zum Büro des Anwalts öffnete, rührte sich aber nicht, denn das Kind hatte seine Arme um sie geschlungen und klammerte sich an ihr fest.

„Margaret.“ Ryan kam zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Lexi wird sich gut um ihn kümmern, während wir uns unterhalten.“

„Komm, Charlie, ich möchte dir etwas ganz Tolles zeigen.“ Die Sozialarbeiterin löste den Jungen aus Margarets Armen. „In dem Büro dort hinten gibt es ganz große Fische.“

„Größer als die hier?“, fragte Charlie. Wie kleine Kristalle hingen Tränen an seinen langen Wimpern.

„Sehr viel größer.“ Lexi reichte ihm die Hand. „Komm mit, dann schauen wir sie uns an.“

Der kleine Junge zögerte, sah zurück zu Margaret.

„Ich gehe nicht weg“, beruhigte sie ihn. „Ich bin hier, wenn du wiederkommst.“

Da nahm er die Hand der Sozialarbeiterin. „Ich möchte die Fische sehen.“

Lexi lächelte Margaret an und zwinkerte dem Anwalt zu. „Wir sind nicht lange weg.“

Margaret sah ihnen nach. Ihr wurde warm ums Herz, als Charlie ihr zuwinkte.

„Schön, dass du gekommen bist.“ Ryan deutete auf sein Büro und ließ sie eintreten. „Es fehlt noch jemand, aber wir können schon mal mit dem allgemeinen Kram anfangen.“

Margaret lächelte. Es war seltsam erfrischend, dass ein Anwalt das Wort Kram benutzte. Sie nahm auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz. Insgeheim fragte sie sich, wen Ryan noch erwartete. Es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, dass noch jemand zur Testamentseröffnung kommen würde. „Haben Joys Eltern ihre Meinung geändert und bleiben noch eine Weile länger in der Stadt?“

„Nein.“ Der Anwalt setzte sich ebenfalls und lächelte sie freundlich an.

Obwohl ihn Bullen, die fast 1.000 Kilo wogen, abgeworfen und auf ihm herumgetrampelt hatten, sah Ryan nicht schlecht aus. Er hatte keine Narben im Gesicht, und sein Haar war noch genauso voll und dunkel wie zu Schulzeiten. Er war ein gut aussehender Junge gewesen, hatte aber nie ihr Herz zum Rasen gebracht.

Damals wurde er ständig mit Cole verwechselt, aber meist von Leuten, die ihn nicht gut kannten. Beide hatten dunkles Haar und waren athletisch gebaut. Aber während Ryans Augen silbergrau waren, waren Coles blau wie das Meer.

Ryan rutschte auf seinem Stuhl hin und her und sah stirnrunzelnd auf seine Uhr.

Wenn Margaret es nicht besser wüsste, würde sie sagen, er war beunruhigt. Aber das ergab keinen Sinn. Worüber sollte er sich Sorgen machen? Es sei denn, er dachte, dass sie ihre Meinung ändern und Charlie im Stich lassen würde.

Sie beugte sich vor und stützte ihre Hände an der Tischkante ab. „Joy hat letztes Jahr mit mir über ihre und Tys Wünsche gesprochen, für den Fall, dass ihnen etwas passieren sollte. Ich bin mir bewusst, dass sie wollte, dass ich …“

Die Glocke über der Eingangstür der Kanzlei läutete.

Abrupt drehte sich Ryan um.

Margaret stockte und lehnte sich zurück. Bevor sie noch etwas sagen konnte, sprang der Anwalt auf und ging um den Tisch herum. „Einen Moment bitte.“

Aber die Tür wurde aufgestoßen, bevor er sie erreichte. Sich umzudrehen, um den Neuankömmling anzustarren, erschien ihr unpassend, darum wartete Margaret, bis der Besucher in ihr Blickfeld trat.

„Schön, dich zu sehen“, sagte Ryan.

„Ich hoffe, ich habe dich nicht zu lange warten lassen.“

Margaret erstarrte. Die Stimme des Mannes klang nur zu vertraut. Sie erschauerte, als die sexy Stimme weitersprach: „Der Flughafen war eingeschneit und die Flüge haben sich gestaut.“

Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wen Ryan so herzlich begrüßte. Sogar nach all der Zeit erkannte sie seine Stimme. Es war noch dieselbe tiefe Stimme, die ihr mit 16 Jahren süße Worte ins Ohr geflüstert hatte. Dieselbe heisere Stimme, die vor Gefühlen gezittert hatte, als er ihr am Valentinstag ein silbernes, herzförmiges Medaillon schenkte. Die Stimme, die sie nie wieder gehört hatte, nachdem sie auf dem Rücksitz seines alten Chevy miteinander geschlafen hatten.

Sie grub die Fingernägel in ihre Handfläche.

„Du hast Glück, dass du nicht gestern Morgen geflogen bist. Da ist ein Jet über die Rollbahn gerast“, erzählte Ryan. „Typisches Novemberwetter.“

„Jeder, der hier aufgewachsen ist, sollte es besser wissen, als am Tag vor irgendeinem Ereignis zu fliegen, besonders zu dieser Jahreszeit.“ Margaret drehte sich auf ihrem Stuhl um. Sie konnte einfach nicht länger still sitzen. „Es sei denn, du wolltest die Beerdigung verpassen.“

Sie hatte nur einen Augenblick, um erstaunt zu sein, ihn an Krücken zu sehen, bevor Cole sie mit seinen strahlend blauen Augen ansah.

„Du erinnerst dich bestimmt an Margaret Fisher. Sie ist mit uns zur Highschool gegangen“, stellte Ryan sie vor.

Es überraschte Margaret nicht, dass Ryan dachte, er müsse sie vorstellen. Ryan und Cole waren beliebt gewesen, während sie fleißig, schüchtern und leicht zu übersehen gewesen war. Ein Teil von ihr hatte sich immer gefragt, ob er seinen Freunden gegenüber erwähnt hatte, dass sie zusammen gewesen waren. Scheinbar nicht.

Coles Gesichtsausdruck verriet nichts. „Natürlich erinnere ich mich an Meg.“

„Meg?“ Ryan sah ihn erstaunt an. „Ich wusste nicht, dass sie jemand so nennt.“

„Ich meinte Margaret“, korrigierte sich Cole unbeirrt.

Der Anwalt sah ihn neugierig an, und Margaret hatte das Gefühl, er wusste, dass mehr dahinter steckte als ein einfacher Versprecher.

„Du siehst gut aus“, sagte Cole, als die Stille peinlich wurde.

Bis auf die Krücken und die Schiene an seinem rechten Knie konnte sie vermutlich das Gleiche über ihn sagen. Sein Haar war jetzt etwas länger und reichte ihm in einem modischen Schnitt bis auf den Kragen. Der maßgeschneiderte dunkle Anzug betonte seine breiten Schultern und die schmalen Hüften. Überraschenderweise hatte er auf eine Krawatte verzichtet und die obersten Knöpfe seines grauen Hemdes offen gelassen.

Widerwillig musste sie zugeben, dass er … attraktiv aussah. Margaret hob ihr Kinn. „Dein Freund scheint zu sehr Gentleman zu sein, um dir zu sagen, dass das hier ein privates Geschäftstreffen ist.“

Es freute sie, dass ihre Stimme so kühl und gleichgültig klang.

Cole runzelte die Stirn und sah Ryan verwirrt an. „Wolltest du nicht um diese Uhrzeit Tys und Joys Testament durchgehen?“

Margaret sah Cole mit schmalen Augen an. „Dir muss es wirklich schlecht gehen, wenn du den ganzen Weg gekommen bist, um zu sehen, ob sie dir etwas hinterlassen haben.“

Für einen Moment bedauerte sie ihre offenen Worte. Das war sonst gar nicht ihre Art. Aber dann erinnerte sie sich daran, wie er sie behandelt hatte, und entschied, dass sie eher noch zu freundlich gewesen war.

„Mir geht es sehr gut; nicht, dass es dich zu interessieren hat.“ Coles Gesichtsausdruck verdüsterte sich, und er wandte sich an Ryan. „Was zum Teufel macht sie hier?“

Der Anwalt hatte einen schuldbewussten Gesichtsausdruck, als er sie bedauernd ansah.

„Ryan?“, fragte Margaret erstickt. Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer.

„Keiner von euch ist komplett im Bild. Noch nicht zumindest.“ Ryan bedeutete Cole, dass er sich setzen solle, und atmete schwer aus. „So wollten es Ty und Joy.“

Dann war dies kein zufälliges Treffen, sondern etwas, das Margarets älteste und liebste Freundin aus dem Jenseits inszeniert hatte. Oh Joy, was hast du nur getan?

„Ich denke, ich setze mich besser.“ Die Lippen fest zusammengepresst, ging Cole vorsichtig über den glatten Holzfußboden und setzte sich auf den einzigen leeren Stuhl im Raum, direkt neben ihrem.

Obwohl sich ein Großteil ihres Lebens um körperliche Rehabilitation drehte, ignorierte sie seinen unsicheren Gang und fragte auch nicht nach seiner Verletzung. Es interessierte sie einfach nicht. Es durfte sie nicht berühren.

Sie wollte nur wissen, warum er hier war … und wie schnell er wieder verschwinden würde.

2. KAPITEL

„Ihr wundert euch bestimmt, warum ihr beide heute hier seid.“ Ryan stützte sich auf seinem Schreibtisch auf und beugte sich vor, sein Blick wanderte von Cole zu Margaret.

Der Kommentar musste an Margaret gerichtet sein, denn Cole wusste genau, warum er hier war. Am Labor Day hatten ihm Ty und Joy erzählt, dass sie ihr Testament machen wollten. Als Joy ihm dann ihren Wunsch anvertraute, er möge Charlie aufziehen, falls ihnen beiden etwas zustoßen sollte, hatte etwas in ihrem Blick seine lang gehegten Vermutungen bestätigt.

Natürlich hatte er zugestimmt. Er war schon immer ein Teil von Charlies Leben gewesen. Nur über seine Leiche bekam jemand anderes das Kind.

Er sah zu Margaret. Mit hoch erhobenem Kopf konzentrierte sie sich auf Ryan. Genau wie das Mädchen, an das er sich erinnerte, wirkte sie unglaublich selbstsicher. Sie stellte schon immer hohe Ansprüche an sich … und an andere. Nur hatte er diesen Ansprüchen nicht genügt.

Cole biss die Zähne zusammen. Komisch, dass die Erinnerung im Moment mehr schmerzte als sein Knie.

Der Anwalt legte seine Fingerspitzen aneinander. Falls er die Spannung im Raum spürte, ließ er sich nichts anmerken. „Ich weiß nicht, ob ihr das wisst, aber Joy und Ty kamen letzten Monat zu mir ins Büro und haben ihr Testament in einigen Punkten geändert.“

Das beunruhigte Cole nicht weiter, er war nur froh, dass sie das, was sie mit ihm besprochen hatten, auch umgesetzt hatten. Er wünschte, Ryan würde auf den Punkt kommen, damit er Charlie nehmen und hier verschwinden konnte.

Warum hatte Ryan ihn nicht vorgewarnt? Dann fiel ihm ein, dass der Anwalt nicht wissen konnte, dass es für ihn ein Problem wäre, sie wiederzusehen.

Ihr Anblick verschlug ihm den Atem, sie war noch schöner als zu ihrer Schulzeit. Obwohl er wusste, dass er mit dem Feuer spielte, konnte Cole nicht widerstehen und warf ihr einen verstohlenen Blick zu.

Ihr Aussehen war schon mit 16 vielversprechend gewesen, aber jetzt hatte sie sich zu einer wahren Schönheit entwickelt. Das Rot ihrer Haare war zu einem kräftigen Rotbraun geworden, die lebhafte Farbe ein perfekter Kontrast zu ihrem cremigen Teint. Nach dem, was er sehen konnte, waren ihre Kurven noch da, nur fraulicher. Ihre Beine waren so, wie er sie in Erinnerung hatte: lang, schlank und verdammt sexy.

Ryan räusperte sich, und Cole zuckte zusammen. Er starrte Margaret ja an wie ein liebeskranker Teenager.

„Was h…haben die beiden geändert?“, fragte sie.

Cole hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme. Ty und Joy mussten ihr etwas versprochen haben. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, dass noch viel übrig war, denn die Fruchtbarkeitsbehandlungen hatten all ihre Ersparnisse aufgebraucht.

Er änderte seine Sitzhaltung, um sein Knie zu entlasten. Der Chirurg hatte ihn gewarnt, dass er Probleme herausforderte, wenn er so früh nach der Operation ein Flugzeug bestieg, und Dr. Jones hatte recht gehabt. Selbst die größere Beinfreiheit in der ersten Klasse hatte nicht geholfen.

„Die Veränderung betrifft das Sorgerecht für Charlie.“ Ryan warf ihm einen entschuldigenden Blick zu.

Ihm.

Cole wurde erst heiß, dann kalt. Das hätte Joy ihm nicht angetan! Außerdem hatte Ty davon gesprochen, dass sein Sohn ein männliches Vorbild haben sollte. Er ahnte, dass sein Leben gleich auf den Kopf gestellt werden würde.

„Sie haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht“, erklärte der Anwalt.

„Hör auf, um den heißen Brei herumzureden, Ryan.“ Finster sah Cole seinen Freund an. „Klartext, bitte!“

Margaret sah ihn dankbar an, bevor sie den Blick senkte.

Cole runzelte düster die Stirn. Er wollte ihre Dankbarkeit nicht, gar nichts von ihr, sie sollte nur verschwinden.

Ryan starrte auf die Unterlagen auf seinem Tisch, bevor er aufsah. „Das wird dir nicht gefallen …“

„Ryan“, knurrte Cole ungeduldig.

„Anstatt einem von euch das alleinige Sorgerecht zu geben …“, sagte der Anwalt schnell, „… haben Joy und Ty entschieden, dass ihr euch das Sorgerecht teilen sollt.“

Margaret keuchte auf.

Cole schwor beinahe, dass er ihr Herz laut klopfen hören konnte. Oder war das seines? Das musste er falsch verstanden haben. Er räusperte sich. „Wer soll sich das Sorgerecht teilen?“

Ryan wich seinem Blick nicht aus. „Du und Margaret.“

„Das ist doch absurd.“ Margarets grüne Augen blitzten.

„Ryan.“ Cole umklammerte die Armlehnen seines Stuhls, bis seine Knöchel weiß hervortraten. „Das geht nicht.“

„Ihr Testament ist in diesem Punkt sehr konkret.“ Lächelnd stand der Anwalt auf. „So, kann ich euch etwas Wasser oder Limonade anbieten, bevor wir uns den Einzelheiten zuwenden?“

Margaret stand kurz davor, hysterisch loszulachen. Ihre gesamte Welt war auf den Kopf gestellt worden, und Ryan bot ihr Wasser an?

„Vergiss das Wasser“, murmelte sie. „Ich brauche einen Scotch.“

Cole massierte mit einer Hand sein Bein. „Für mich einen Doppelten.“

Ryan bekam große Augen, bevor er schmunzelnd in einen kleinen Kühlschrank griff. „Drei Flaschen Wasser kommen sofort.“

Mit Cole das Sorgerecht teilen? Hatte der Anwalt das wirklich gesagt?

Margaret schloss ihre Augen. Ich muss träumen. Das kann nur ein Albtraum sein. Aber als sie ihre Augen wieder öffnete, drückte ihr Ryan eine gekühlte Plastikflasche in die Hand, und Cole Lassiter saß noch immer neben ihr.

„Lies es noch einmal vor, Ry.“ Cole öffnete den Verschluss seiner Flasche. „Ty und Joy haben mich gefragt, ob ich Charlie aufziehe, falls ihnen etwas zustößt. Das war am Labor-Day-Wochenende. Vor nicht einmal drei Monaten. Sie haben nichts davon gesagt, dass ich das Sorgerecht mit ihr teilen soll.“ Er deutete mit dem Daumen in Margarets Richtung.

„Und als sie mich gefragt haben, war nie die Rede davon, dass du da mit drin hängst“, gab Margaret zurück, obwohl ihr Mut sank. Wenn Cole die Wahrheit sagte, war sein Gespräch mit Joy noch nicht so lange her wie ihres.

„Kinder, hört auf. Wir sollten alle einmal tief durchatmen.“ Dem Lächeln nach, das seinen Mund umspielte, amüsierte sich Ryan über ihre Reaktionen. „Bevor jemand zu Charlies Vormund ernannt wird, gibt es noch einige Klauseln und Bedingungen, die ihr sorgfältig überdenken solltet.“

Margaret musste nichts mehr bedenken. Der kleine Junge brauchte sie. Außerdem hatte sie Joy und Ty versprochen, dass sie sich um ihn kümmern würde. Und im Gegensatz zu dem Mann, der neben ihr saß, hielt sie ihre Versprechen.

Ryan trank einen Schluck Wasser und bedeutete ihr, ebenfalls zu trinken.

Obwohl sie nicht unbedingt durstig war, folgte sie seinem Beispiel und merkte, wie sie sich entspannte. Joy war ihre beste Freundin gewesen. Sie hätte Margaret nicht in eine schlechte Lage gebracht.

Nachdrücklich stellte Cole seine Wasserflasche auf den Tisch. „Ich will die Bedingungen hören und dann möchte ich eine Kopie des Testamentes, damit meine Anwälte sich das ansehen können.“

„Oh, meine Anwälte“, sagte Margaret spöttisch. „Falls mich das beeindrucken oder abschrecken sollte, hat es nicht funktioniert.“

Ihre Blicke begegneten sich, und für einen Moment erinnerte sie sich daran, wie es war, in diesen Augen zu versinken.

„Ich leite ein Unternehmen, also habe ich Anwälte.“ Coles Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Vertrau mir, es ist mir völlig egal, ob ich dich beeindrucke oder nicht.“

Ihm vertrauen? Auf keinen Fall. Aber wenn er einen Anwalt hatte, sollte sie sich besser auch einen besorgen. Hatte Lexi nicht gesagt, dass ihr Ehemann Nick Anwalt für Familienrecht war? „Ich hätte auch gern eine Kopie. Für meinen Anwalt.“

Cole presste seine Lippen zusammen und veränderte seine Sitzhaltung.

„Ich mache die Papiere für euch fertig“, sagte Ryan plötzlich ganz geschäftig. „Jetzt zu den Bedingungen …“

Margaret griff in ihre Tasche und holte einen kleinen Notizblock und einen Stift heraus. Während Ryan vorlas, machte sie sich Notizen, und ihr Entsetzen wuchs mit jeder weiteren Klausel.

„Habe ich das richtig verstanden?“ Margaret sprach langsam und deutlich, um ihre Nerven zu beruhigen. „Wir müssen bis zum Ende des Schuljahres in Jackson Hole bleiben?“

Ryan nickte. „Ty und Joy wollten nicht, dass Charlie mehr Veränderungen als nötig durchmachen muss, zumindest nicht gleich.“

„Aber meine Arbeit und meine Wohnung sind in Omaha.“ Auch wenn Margaret gehofft hatte, irgendwann einmal wieder nach Jackson Hole zu ziehen, war die Realität doch ihr Leben in Nebraska. Sie könnte sich eine neue Stelle hier in Jackson Hole suchen, aber ihr Mietvertrag lief noch vier Monate. Auf keinen Fall konnte sie es sich leisten, umzuziehen und doppelt Miete zu zahlen.

„Der Hauptsitz meines Unternehmens ist in Austin, aber ich werde sofort nach Jackson Hole umziehen.“ Obwohl Cole mit Ryan sprach, warf er einen Blick in ihre Richtung. „Kein Problem.“

Margaret hatte den Eindruck, dass ihr Charlie aus den Fingern glitt, und sie fühlte sich schrecklich machtlos. Dann erinnerte sie sich an etwas, das ihr Vater immer gesagt hatte: Ich kann nicht, sagen nur Leute, die nicht bereit sind, etwas zu opfern. Das traf auf sie nicht zu. Sie setzte sich gerade hin. „Das kriege ich schon hin.“

Cole wirkte überrascht. Wahrscheinlich hatte er gedacht, er könne sie einfach beiseite schieben. Aber er würde schnell merken, dass sie nicht mehr die schüchterne 16-Jährige war, der er das Herz gebrochen hatte.

„Und wenn das Schuljahr zu Ende ist?“, fragte Margaret.

„Dann könnt ihr nach Nebraska oder Texas zurückziehen.“ Ryan trank einen Schluck. „Aber ihr teilt euch weiterhin das Sorgerecht, das heißt, ihr müsstet dann Regelungen treffen, die für euch und Charlie funktionieren.“

„Ich verstehe nicht, warum sie das getan haben.“ Cole verzog den Mund. „Sie können doch nicht gewollt haben, dass Charlie in das Tauziehen zwischen uns gerät.“

Margaret war froh, dass er es angesprochen hatte, weil sie den gleichen Gedanken gehabt hatte. Es war, als würden Ty und Joy das Sorgerecht für ihren geliebten Sohn einem geschiedenen Ehepaar übertragen.

„Sie kannten euch beide gut genug, um zu wissen, dass ihr das nicht zulassen werdet“, sagte Ryan plötzlich ernst. „Sie glaubten, dass ihr Charlies Glück und Wohlergehen immer an die erste Stelle stellen werdet.“

Margaret starrte auf ihre Hände und betete, dass sie das Vertrauen ihrer Freunde auch erfüllen konnte.

Autor

Cindy Kirk
<p>Solange sie denken kann, liebt Cindy Kirk das Lesen. Schon als kleines Mädchen in der ersten Klasse hat sie einen Preis dafür gewonnen, hundert Bücher gelesen zu haben! 1999 war es so weit: Ihr erster eigener Roman erschien bei Harlequin. Seitdem muss die Autorin ihr Lieblingshobby Lesen damit unter einen...
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