To the Stars - Wenn du die Sterne berührst

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Harlow kann nicht glauben, dass der drei Jahre ältere Knox sein Versprechen hält, auf sie zu warten, bis sie endlich zusammen sein können. Schließlich ist sie es, die den Pakt bricht: Als Knox sie an ihrem achtzehnten Geburtstag anruft, hat sie ihr Herz einem anderen geschenkt. Aber sie merkt schnell, dass sie eine katastrophale Wahl getroffen und sich an den Falschen gebunden hat. Wird Knox ihr je verzeihen können - oder ist es bereits zu spät?

"Dieser berührende, fesselnde Roman wird Sie zu Tränen rühren.”

Booklist


  • Erscheinungstag 06.03.2017
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783956499746
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Molly McAdams

To the Stars –
Wenn du die Sterne berührst

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Justine Kapeller

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MIRA® TASCHENBUCH

 

 

 

 

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Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

To the Stars

Copyright © 2015 by Molly Jester

erschienen bei: William Morrow, New York

Published by arrangement with

William Morrow, an imprint of HarperCollins Publishers LLC.

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Umschlagabbildung: Trevillion

Redaktion: Mareike Müller

ISBN eBook 978-3-95649-974-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Prolog

HARLOW

Herbst 2010 – Walla Walla

„Happy Birthday, Low. Ich habe auf dich gewartet.“

Sobald seine Stimme aus dem Hörer drang, erstarrte ich, und mir wurde heiß. Leise schnaufend atmete ich aus und schloss die Augen, während Hunderte von angenehmen Erinnerungen auf mich einströmten.

Ich brauchte nicht auf den Bildschirm zu schauen, um zu wissen, wer anrief. Diese Stimme hätte ich überall erkannt, und ich hätte mit seinem Anruf rechnen müssen. Nicht nur mit seinem Anruf, mit diesem Anruf. Seit zweieinhalb Jahren sprachen wir darüber und bereiteten uns darauf vor.

Meine Lippen und Finger zitterten, und fast ließ ich das Telefon fallen, als ich versuchte, einen Ton herauszubekommen.

„Ich habe auf dich gewartet.“ Wieder und wieder erklang dieser Satz in meinem Kopf, wie eine Schallplatte, die einen Sprung hatte. Eine Schallplatte, die noch immer die schönste Musik wiedergab.

Ich drehte den Kopf so weit herum, dass ich über die Schulter sehen konnte, und betrachtete den Mann, der sich dort gerade sein Hemd anzog. Als ich den Blick wieder nach vorne richtete, tat mir die Brust weh.

Das Zimmer in dem Wohnheim, in dem ich stand, nahm ich nicht länger wahr. Stattdessen ließ ich mich von den Erinnerungen überwältigen, allen guten – und es waren so viele gute – gefolgt von den neuesten schlechten. „Ich …“ Zitternd atmete ich ein, und meine Stimme klang wie ein angestrengtes Flüstern. „Ich habe nicht auf dich gewartet.“

Keine Reaktion. Kein Geräusch, keine Antwort – nur die herzzerreißendste Stille, die ich je ertragen musste.

Und dieses zerrissene Herz würde ich für alle Zeiten in mir tragen.

1. Kapitel

HARLOW

Gegenwart – Richland, Washington

Als der Traum langsam verblasste, öffnete ich die Augen. Für ein paar Sekunden verschwamm mein dunkles Schlafzimmer hinter den Tränen, die mir gleichmäßig über das Gesicht liefen und auf das Kissen tropften. Ich biss die Zähne zusammen, damit mein Kiefer nicht zitterte, und holte ein paarmal tief Luft, um mich zu beruhigen – um nicht dem Schluchzen nachzugeben, das meine Brust zusammenschnürte.

Noch heute spürte ich den Riss im Herzen, der sich während jenes Telefonanrufs über die Stille gelegt hatte – als wäre es gerade erst passiert, und nicht vor viereinhalb Jahren.

In diesen Sekunden hätte mir klar sein müssen, dass ich das Falsche gesagt hatte. Mir hätte klar sein müssen, dass ich mich für den falschen Mann entschieden hatte. Er hätte mir meinen Fehler verziehen. Er hätte weiter auf mich gewartet, wie er es schon zweieinhalb Jahre lang getan hatte.

Mein Knox.

Doch ich hatte die Zeichen ignoriert. Ich war dem gefolgt, was mein damals achtzehnjähriges Herz gebrüllt hatte – und seitdem hatte ich von Knox Alexander nichts mehr gehört.

Noch lange, nachdem die Tränen versiegt und meine Wangen getrocknet waren, lag ich auf der Seite und klammerte mich an Erinnerungen, von denen ich wusste, dass ich sie loslassen sollte, aber nicht konnte. Ich hätte bemerken müssen, wie der Himmel vor dem Fenster heller wurde. Ich hätte auf die Uhr schauen sollen, um aufzustehen, ehe der Wecker klingelte. Doch ich verharrte immer noch tagträumend im Bett, als das schrille Geräusch den Raum erfüllte, und erstarrte am ganzen Körper in Erwartung dessen, was dieser Morgen für mich bereithielt.

Ich klammerte mich an den Rand meines Kissens, denn plötzlich wurde der Wecker ausgeschaltet, und mir wurde übel, als ich hörte, wie er sich hinter mir umdrehte. Fast schon gewaltsam fing mein Kiefer an zu beben, während er langsam den Arm um meine Taille schlang und mich enger an sich heranzog.

Ich schloss die Augen fest zu, sowie mein Mann seine Lippen auf meine Schulter drückte, und ignorierte ihn so lange wie möglich.

„Du bist noch immer im Bett“, bemerkte Collin.

Träge nickte ich.

„Was bedeutet, dass mich noch kein Frühstück erwartet, habe ich recht?“

Ich schluckte schwer und nickte wieder – abwartend, immer abwartend.

Mit den Fingern fuhr er langsam meinen Arm hinauf, der an meiner Seite ruhte, bis er den Punkt direkt über der Innenseite meines Ellbogens erreicht hatte. Mein Körper krümmte sich, als er zwei Finger in dem Druckpunkt dort vergrub.

„Warum zum Teufel bist du dann noch im Bett?“, frage er barsch, den Mund auf Höhe meiner Schulter, ehe er meinen Arm grob wieder freiließ.

Ich stand schnell auf, um ihm nicht die Gelegenheit zu geben, noch etwas anderes zu tun, und atmete erleichtert auf, sobald ich in der Küche war. Sollte das alles gewesen sein, was ich dafür bekam, noch im Bett gewesen zu sein, würde ich das dankbar hinnehmen.

Nachdem ich sein Brot in den Toaster gesteckt hatte, verquirlte ich Eier mit Milch, goss sie in die Pfanne und lief durch die Küche, damit ich die Kaffeemaschine einschalten konnte. Ich hatte gerade alles auf den Tisch gestellt und mit dem Abwasch begonnen, da betrat Collin die Küche und stellte sich dicht hinter mich, statt sich an den Tisch zu setzen.

Er hatte sich nur ein Handtuch um die Hüften gewickelt, und als er den Arm um mich legte, sah ich, dass noch Wassertropfen an seiner Haut hinunterliefen.

Ich umklammerte den Pfannengriff und die Spülbürste, denn mir wurde klar, dass er mich auf die Probe stellte, er schwieg allerdings. Collin kam nie in diesem Aufzug hierher. Entweder aß er, sobald er aufwachte, oder kurz bevor er sich auf den Weg zur Arbeit machte … Wenn er noch sein Handtuch umhatte, hieß das, er suchte nach mehr Gründen, unzufrieden mit mir sein zu können.

„Braves Mädchen“, flüsterte er mir an meinem Nacken zu und hinterließ dort einen zarten Kuss.

Meine Nasenflügel blähten sich mit jedem angestrengten, nervösen Atemzug, während er sich von mir löste. Kurz darauf fing ich zur Beruhigung an, langsam die Pfanne zu schrubben.

„Jetzt fang noch einmal von vorne an, du warst ja zu spät dran.“

Ich sah zu, wie er Essen und Kaffee in die Spüle kippte, bevor er den Teller und den Becher mit einem lauten Knall auf der Anrichte neben mir absetzte. Ich wollte weinen, ich wollte ihn anschreien, weil er so ein Ekel war, doch ich wusste, beides würde nicht gut für mich ausgehen. Also seufzte ich ergeben. Mit einem hohlen Gefühl in der Brust spülte und trocknete ich die Pfanne schnell ab und begann von Neuem, ihm sein Frühstück zuzubereiten.

Das Geschirr war sauber, sein Frühstück und Kaffee standen auf dem Tisch, und ich saß auf einem der Stühle am Küchentisch, als er wieder zurückkehrte – dieses Mal fertig angezogen für die Arbeit.

Während er aß, hielt er die ganze Zeit auf dem Tisch meine Hand, und nachdem er fertig war, stellte er das Geschirr in die Spülmaschine. Dann schritt er wieder zu mir herüber. Er beugte sich herunter, bis er mit mir auf Augenhöhe war, und starrte mich bestimmt eine ganze Minute lang entschuldigend an.

„Ich liebe dich, Harlow“, meinte er, als wollte er herausfinden, ob mir das bewusst war oder nicht.

„Ich weiß“, antwortete ich leise. „Ich liebe dich auch.“

Kurz senkte er seine Lippen auf meine, dann richtete er sich wieder auf. Er holte sein Portemonnaie aus der Tasche, nahm eine Kreditkarte heraus und ließ sie auf den Tisch fallen. „Hol deine Schwester ab, lad sie zum Mittagessen ein, und dann lass dir die Nägel machen, oder so etwas. Wenn noch Zeit ist, kauf dir was Schönes.“

„Danke, Collin.“

„Alles für mein Mädchen. Wir sehen uns, wenn ich nach Hause komme.“

Ich nickte nur und schaute ihm nach, wie er die Küche verließ. Erst nachdem die Eingangstür ins Schloss gefallen war und ich hörte, wie er den Motor seines Wagens anließ, erlaubte ich es mir, mich zu entspannen.

Es nützte nichts, ihm zu sagen, dass ich sein Geld nicht wollte. Er wusste, dass er mich verletzt hatte, und mir aufzutragen, mir etwas zu kaufen, war seine Art, sich zu entschuldigen. Geld war seine Art, sich zu entschuldigen, doch kein Geld der Welt hätte mich dazu bringen können, in diesem Haus und mit diesem Mann verheiratet zu bleiben.

Die Drohung, meiner Familie etwas anzutun, hingegen schon.

In besseren Zeiten, wie gerade eben, reichte er mir seine Kreditkarte und wollte, dass ich mir etwas gönnte. So konnte er vor seiner und meiner Familie damit angeben, wie gut er sich um mich kümmerte. Er scherzte dann mit ihnen, dass ich ihn nur seines Geldes wegen liebte, doch er und ich wussten es besser. Und mir war klar, wenn er mir seine Kreditkarte gab, ich am Ende des Tages jedoch nichts vorzuweisen hatte, würde ich auf andere Weise dafür bezahlen.

In schlechten Zeiten sehnte ich mich nach den Scherzen über Kreditkarten und seine Versuche, mich zu bestechen, denn dann bekam ich mein Monster zu spüren. Dann erzählte mein Mann mir bis ins kleinste Detail, wie er meine Familie vor meinen Augen umbringen würde, sollte ich ihn je verlassen oder jemandem erzählen, was bei uns zu Hause vor sich ging. Anfangs hatte ich ihm nicht geglaubt. Ich hatte zwar schreckliche Angst vor ihm gehabt – nein, mehr als das. Angst beschrieb nicht ansatzweise dieses Gefühl, das sich in meinem Körper ausbreitete, als ich meinem Monster zum ersten Mal gegenüberstand. Ich hatte jedoch gedacht, dass er hinter mir her wäre, wenn ich ihn verlassen würde … nicht hinter ihnen.

Zwei Monate lang hatte ich einen Plan ausgearbeitet, wie ich gehen, wie ich alles hinter mir lassen würde. Doch erst, als er eines Abends von der Arbeit nach Hause kam und meine kleine Schwester noch immer hier war – ein Umstand, der, wie ich wusste, nicht erlaubt war –, begriff ich, dass seine Drohungen überaus ernst gemeint waren. Denn er kehrte mit einer Waffe in der Hand ins Wohnzimmer zurück, den teilnahmslosen Blick fest auf sie gerichtet.

Meine Schwester kriegte die Waffe nie zu Gesicht. Ich war geistesgegenwärtig genug, mir etwas einfallen zu lassen, warum sie sofort aufbrechen musste, ehe sie die unterschwellige Panik in meinen Worten oder den abwesenden Blick in Collins Augen bemerken konnte. Doch Collin meinte, ich müsse dennoch bezahlen. Die ganze Nacht über hatte ich im Schlafzimmer auf ihn gewartet, am ganzen Körper zitternd, allerdings hatte er es nicht auf mich abgesehen. Erst am nächsten Morgen erhielt ich meine Strafe. Als ich die Küche betrat, saß er, noch immer in der Kleidung vom Vortag, am Küchentisch, aß sein Frühstück und trank seinen Kaffee wie an jedem beliebigen Morgen … Nur dass unsere Hündin tot vor ihm auf dem Tisch lag.

Er erzählte allen, sie wäre von einem Auto überfahren worden, und ein paar Tage später erlaubte er mir als Entschuldigung, einen neuen Küchentisch zu kaufen. Zum Glück quälte er mich nie damit, auch ein neues Haustier anschaffen zu müssen.

Also wartete ich bis zu jenem Sommer, in dem meine Familie nach Kalifornien verreist war, bevor ich schließlich den Versuch wagte, ihn zu verlassen. Ich dachte, wenn sie außer Landes wären, würde ich gehen und sie rechtzeitig warnen können, zumal ich Collin gegenüber nie erwähnt hatte, wo sie hinfahren oder dass sie überhaupt Urlaub machen wollten. Was ich nicht wusste, war, dass meine Eltern ihm bereits alles erzählt hatten in der Hoffnung, Collin würde sich freinehmen können, damit wir beide zusammen zu ihnen fliegen konnten.

Ich schaffte es kaum bis nach Portland, Oregon, als man mich schon anhielt und wegen vermeintlicher „Trunkenheit am Steuer“ verhaftete. Es spielte keine Rolle, dass es später Vormittag war, dass man mich keinerlei Alkoholtests unterzog oder dass der Polizist sich nicht einmal die Mühe machte, mich in die Zelle zu sperren, nachdem wir auf der Wache eingetroffen waren. Es spielte keine Rolle, dass man mir das Recht verweigerte, das Telefon zu benutzen – nicht, dass ich Collin je angerufen hätte. Dennoch tauchte er weniger als drei Stunden später auf der Wache in Portland auf, um mich abzuholen; alle Anschuldigungen waren wie durch ein Wunder fallen gelassen worden.

An jenem Abend zwang mich Collin, auf der Couch sitzen zu bleiben, mit meinem Handy vor mir auf dem Tisch, und mich nicht zu rühren, bis ich „den Anruf“ erhielt. Ich verstand nicht, von welchem Anruf er sprach, da er selbst den ganzen Abend über von mir aus gesehen am anderen Ende des Raumes saß.

Dann klingelte mein Telefon.

Es war meine jüngere Schwester, die mir unter Tränen erzählte, dass das Strandhaus, in dem sie gewohnt hatten, Feuer gefangen hatte. Sie waren alle rechtzeitig hinausgelangt, doch das halbe Haus war zerstört worden, und später hatte man Brandstiftung als Ursache ausgemacht. Der Täter wurde nie gefasst, doch damit hatte ich auch nicht gerechnet. Collin war es gelungen, einen Polizisten aus Oregon dazu zu bringen, mir Trunkenheit anzuhängen; warum sollte er in Kalifornien jemanden anheuern, der so nachlässig war, sich erwischen zu lassen?

Nie wieder hatte ich versucht, Collin zu verlassen.

Ich erhob mich vom Küchentisch, schritt langsam durch das ganze Haus und stellte sicher, dass alles vom Tag zuvor noch sauber war. Nachdem ich im Schlafzimmer die Kleidung aufgesammelt und das Bett gemacht hatte, schickte ich meiner jüngeren Schwester Hadley eine Nachricht und ging ins Badezimmer, um zu duschen.

Ich hasste unsere Dusche. Sie war groß, viel zu groß. Zehn Leute würden bequem hier drunter passen. Collin hatte eines dieser Regenduschsysteme installieren lassen, sodass die gesamte Fläche erwärmt wurde und genutzt werden konnte. Das Einzige, was ich davon hatte, war, dass es mir noch schwerer fiel, die Erinnerungen an Knox zu vertreiben, besonders, wenn ich von ihm geträumt hatte – was ich fast jede Nacht tat.

Bei unserem ersten Kuss hatte es geregnet. Wir hatten im Regen getanzt. Und es hatte geregnet, als ich zum letzten Mal mit ihm gesprochen hatte. Alles am Regen erinnerte mich an ihn, erinnerte mich an das, was ich verloren hatte.

Sommer 2008 – Seattle

„Aber sehe ich gut genug für das Konzert aus?“, fragte ich meine ältere Schwester Hayley. „Diesen letzten Teil lässt du immer aus!“

Sie verdrehte die Augen, nachdem sie in eine Parklücke gebogen war. „Ich finde, du siehst heiß aus. Nur das sollte zählen.“

„Ich war noch nie auf einem Konzert. Es könnte durchaus wichtig sein!“

„Eigentlich kann man das gar kein richtiges Konzert nennen. Ich meine, es ist eins, aber irgendwie auch nicht. Ständig werden Leute kommen und gehen und einfach da abhängen … ganz locker. Du siehst gut aus, ich schwöre es.“

Ich klappte die Sonnenblende herunter und überprüfte ein letztes Mal im Spiegel mein Make-up, ehe ich mit ihr aus dem Wagen stieg.

Als ich vorne um ihren Wagen herum zu ihr lief, schenkte sie mir ein anerkennendes Lächeln. „Bist du so weit?“

„Scheint so“, antwortete ich und streckte die Arme von mir.

„Du bist so eine freche Göre“, meinte sie lachend. „Na komm.“

Sie legte einen Arm um meine Schultern und zog mich quer über den Parkplatz und einen großen Rasen bis zu einem Gebäude, von dem ich hätte schwören können, dass es leerstand, so wie es aussah. Allerdings war es ein beliebter Treffpunkt und der beste Ort für Indie-Konzerte. Mom wollte nie, dass ich mit hierherkam, aber irgendwie war es Hayley doch gelungen, ihr für heute Abend eine Erlaubnis abzuringen. Normalerweise war ich immer irgendwo in Hayleys Nähe zu finden, egal, wo sie sich gerade aufhielt.

Sie war nicht nur meine Schwester, sie war meine beste Freundin. Ihre Freunde waren auch meine Freunde. Wir durften gleich lange ausbleiben, und dies war unser letzter gemeinsamer Sommer, bevor sie am anderen Ende des Landes aufs College gehen würde. Ich hatte keine Ahnung, was ich ohne sie tun sollte. Unsere andere Schwester war zu jung, als dass ich viel mit ihr hätte unternehmen können – und Freunde in meinem Alter hatte ich nie gehabt. Meine Eltern nannten mich immer eine „alte Seele“, was auch immer das zu bedeuten hatte. Ich wusste nur, dass ich nirgends dazugehörte, wenn ich nicht mit Hayley zusammen war, und jetzt ließ sie mich allein.

„Schau mal einer an, wer doch noch auftaucht“, rief Hayleys Freund Neil, nachdem wir das Gebäude erreicht hatten. „Die klitzekleine Low Low.“

„Sehr witzig“, murmelte ich, während er mich fest in seine riesigen Arme schloss.

„Du siehst gar nicht mehr so winzig aus, kleine Low.“

„Und du bist ein Widerling“, erwiderte ich im selben Moment, als Hayley das Gesicht verzog und ihn in den Bauch boxte. „Sei nicht so ein Ekel!“

„Bin ich gar nicht!“ Er streckte die Arme von sich und legte dann einen um Hayley. „Ich meine ja nur, wir sollten sie heute Abend vielleicht lieber an die Leine nehmen oder so. Babe, du weißt genau, dass deine Schwester nicht aussieht wie fünfzehn, und dann lässt du sie so etwas tragen? Niemand hier wird glauben, dass sie noch minderjährig ist. Ich sollte ihr ein Schild umhängen, auf dem ‚Zu jung! Nicht anfassen!‘ steht.“

„Sie kommt schon klar.“ Hayley lächelte und zwinkerte mir zu. „Sie sieht toll aus und ist hier, um Spaß zu haben. Sie wird schon nichts Dummes anstellen.“

Neil stöhnte. „Ich werde Leute vermöbeln müssen, oder?“

„Wahrscheinlich“, antwortete Hayley und lehnte sich an ihn, um ihn zu küssen. Bald hatten die beiden vergessen, dass wir in der Öffentlichkeit waren.

„Sind wir hier, um uns ein Konzert anzuhören, oder damit ihr übereinander herfallt?“

Grinsend drehte sich Hayley zu mir um. „Beides?“ Sie lachte, da ich eine Grimasse schnitt. „Komm, wir gehen rein.“

Ich fand sehr schnell heraus, dass Konzerte nicht mein Ding waren. Wären nicht fast alle unsere Freunde da gewesen, hätte ich die schlechte Musik und den schweren Geruch nach etwas, von dem ich mir nicht sicher war, ob es legal war, unerträglich gefunden.

Ich trommelte mit den Fingern auf den Tisch, atmete tief aus und blickte mich um. „Ich gehe mal an die frische Luft“, sagte ich laut, an niemanden Spezielles gerichtet.

„Auf keinen Fall alleine“, brüllte Hayley über die Musik hinweg.

„Ich komme schon zurecht“, erwiderte ich beim Aufstehen. Während ich schnell von dem niedrigen Hocker zurücktrat, auf dem ich gesessen hatte, hörte ich hinter mir ein unmissverständliches Grunzen.

Ich erstarrte am ganzen Körper und mein Gesicht brannte vor Scham.

Ein vielstimmiges „Hey!“ ertönte von unserem Tisch, und ich wandte mich um, damit ich sehen konnte, welchen unserer Freunde ich angerempelt hatte.

„Es tut mir so l…“ Ich brach ab, als ich zu ihm hochsah.

Kein Freund von mir. Ich hätte mich daran erinnert, mit jemandem wie ihm befreundet zu sein.

„Es tut mir leid“, flüsterte ich, doch meine Worte gingen in der Musik unter.

Seine Lippen bogen sich zu einem schiefen Lächeln, das viel zu perfekt war, um echt zu sein. „Nichts passiert“, sagte er mit einer tiefen Stimme.

Ich bin mir sicher, dass mein Mund offen stand, während ich ihn reglos einfach weiter anstarrte. Sein Blick wanderte rasch über meinen Körper, und aus dem Lächeln wurde ein Grinsen, ehe einer unserer Freunde etwas sagte und er den Kopf hob, um die anderen anzusehen.

Ich blinzelte schnell und wich einen Schritt von ihm zurück. Den Blick starr auf den dunklen Fußboden gerichtet, versuchte ich, mich daran zu erinnern, was ich gewollt hatte, bevor er hinter mich getreten war. Nach draußen. Ich brauchte frische Luft. Ich wollte ihn wieder anschauen. Nein, geh nach draußen, Harlow. Geh nach draußen.

Ich hatte mich gerade zwei Schritte weit entfernt, da hörte ich die Stimme meiner Schwester über die Musik hinweg. „Jemand muss mit Harlow rausgehen.“

Wütend wirbelte ich zu ihr herum. „Ich bin kein Hund.“

Ich verließ die Tische, schob mich durch die Menge, die in der Nähe des Eingangs herumstand, und atmete tief ein, um meine Lungen mit frischer, sauberer Luft zu füllen.

„Sie wollen nur auf dich aufpassen.“

Ich drehte mich um und blickte zu dem Jungen hoch, den ich vorhin angerempelt hatte.

„Ein Mädchen, das so aussieht wie du, sollte nicht allein hier draußen sein.“

„Wegen Jungs wie dir?“, forderte ich ihn heraus und hob eine Augenbraue, doch mein Tonfall war neckend.

Da war wieder dieses schiefe Lächeln, und er lachte leise, während er sich neben mich an die Mauer lehnte, nahe genug, dass unsere Arme sich berührten. „Wenn man bedenkt, dass die anderen mich gebeten haben, hier zu dir rauszukommen, will ich doch hoffen, dass nicht.“

Ich machte ein langes Gesicht. „Ich brauche dich nicht als meinen Aufpasser. Ich will nur ein bisschen frische Luft schnappen.“

Er beugte sich vor, sodass seine dunklen Augen direkt vor meinen waren, und die Intensität des Blicks reichte aus, mich an die Mauer zu drücken. „Und ich habe nie behauptet, dass ich nicht auch derjenige sein wollte, der zu dir rauskommt.“

Mein Puls beschleunigte sich bei diesem Eingeständnis, und die Art, wie er mich anstarrte, jagte mir Hitzeschauer durch den Körper. Ich spürte, wie ich mich ihm langsam näherte, und seine Nähe ließ mich tiefer ein- und ausatmen. Mein Blick wanderte unruhig über sein Gesicht und seinen Körper. Ich nahm ihn genauer unter die Lupe, jetzt, wo wir draußen im Schein der untergehenden Sonne waren. Das enge graue Shirt endete genau dort, wo der Saum seiner niedrig sitzenden Jeans begann, und zeigte, dass er muskulös gebaut und schlank war. Ich schaute über seine makellose braune Haut hinauf bis in seine dunklen Augen, von denen ich irgendwie wusste, sie würden mir alles verraten, ohne dass er auch nur ein Wort sagen musste.

Ich sah hinunter auf seine Lippen und ertappte mich dabei, mich zu fragen, wie sie sich wohl auf meiner Haut anfühlen würden. Lass sie zu dir kommen. Das sagte Hayley immer. Ihre Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. Ich räusperte mich und wendete den Blick ab, bevor ich etwas Dummes tun konnte, zum Beispiel ihn zu fragen, ob ich mal probieren durfte, wie sich seine Lippen auf meinen anfühlen würden.

Ich musste einen Makel an ihm finden, ich musste mich darauf konzentrieren, damit ich nicht anfing zu glauben, die Götter hätten diesen Jungen nur geschaffen, um Mädchen wie mich zum Sabbern zu bringen und uns vergessen zu lassen, wie man normale Gespräche führte. Alberne Hormone: 1, Harlow: 0.

„Also, äh, du bist offensichtlich nicht von hier.“

„Offensichtlich?“, fragte er. In dem einen Wort war die Belustigung deutlich zu hören.

Na ja, du bist unfassbar heiß, und ich habe dich noch nie gesehen. Also ja, offensichtlich. Ich unterdrückte ein Augenrollen und stöhnte innerlich darüber, wie sehr ich die Sache schon vermasselt hatte. „Ähm, ich meinte nur, dass ich dich noch nie gesehen habe. Andererseits scheinen dich alle anderen zu kennen, also irre ich mich vielleicht.“

„Knox Alexander“, stellte er sich vor und streckte mir die Hand entgegen. „Und du hast dich nicht geirrt. Ich komme eigentlich aus Thatch, ein paar Stunden von hier.“

„Und du bist irgendwie schon mit allen befreundet, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt haben.“

Er deutete mit dem Kopf in Richtung Gebäude. „Sara ist meine Schwester. Seit ungefähr einem Jahr ist sie jetzt hier in Seattle und kennt ein paar von denen aus der Schule. Ich habe mit allen schon ein paarmal diesen Sommer abgehangen. Und jetzt erzähl mir, warum ich dir vor heute Abend noch nicht begegnet bin … und warum ich deinen Namen noch immer nicht weiß.“

Ich unterdrückte ein Lächeln. „Ich heiße Harlow. Ich bin Hayleys Schwester.“

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Zwillinge?“, fragte er, und ich lachte über seine ernst gemeinte Frage. Die bekamen wir oft zu hören.

„Äh, nein. Nicht annähernd, ich fasse das mal als Kompliment auf. Jedenfalls hatte ich Hausarrest, seit vor einem Monat die Sommerferien angefangen haben, doch der ist endlich vorbei.“

Knox entglitten die Gesichtszüge, und ich konnte erkennen, dass er meine Worte im Kopf wiederholte. „Warte mal, wie alt bist du?“

„Fünfzehn.“

Er starrte mich nur an und sagte nichts. An seiner Miene konnte ich jedoch erkennen, wie sehr er mit sich kämpfte.

„Warum?“, fragte ich und zog das Wort in die Länge. „Was dachtest du denn, wie alt ich bin?“

Er wartete lange, bevor er murmelte: „Nicht fünfzehn.“

„Wie alt bist du?“

„In etwas mehr als einer Woche werde ich achtzehn.“

Ich verstand das Problem nicht. Jeder, mit dem ich etwas unternahm, war mindestens achtzehn. Aber Knox’ Miene nach zu urteilen, war es auf jeden Fall ein Problem. „Und?“

Er rang sich ein Lächeln ab und räusperte sich. „Nichts und. Ich schätze, das hatte ich einfach nicht erwartet.“

Mir entging nicht, dass er mir danach nicht mehr in die Augen schaute, oder wie er sich von mir abwendete.

Moment mal, was ist gerade passiert? Warum hat er nach diesem intensiven Blickkontakt einfach dichtgemacht, und warum breitet sich auf einmal diese Kälte zwischen uns aus? Das habe ich davon, wenn ich auf Hayley höre!

Niedergeschlagen ließ ich meine Schultern sinken. Ich stieß mich von der Wand ab und schritt auf eine niedrigere Mauer zu, die am Rasen entlangführte.

„Gehst du nicht wieder rein?“, fragte Knox, der mir gefolgt war.

„Nein, aber du kannst gerne. Ich rufe meine Mom an, damit sie mich abholt.“

„Warum willst du weg?“, fragte er und griff sanft nach meinem Unterarm, damit ich stehen blieb.

Ich blickte auf die Stelle, an der er seine langen Finger um meinen Arm gelegt hatte, und die Hitze unter seiner Hand war nicht nur seiner Körpertemperatur zuzuschreiben, da war so viel mehr. Mein Atem wurde hörbar, sowie ich über die Schulter schaute und entdeckte, dass er auf unsere Arme hinuntersah.

Als sich unsere Blicke trafen, war die Intensität zurück. „Warum gehst du?“, fragte er wieder; die Heiserkeit in seiner Stimme ließ mich auf ihn zuwanken – doch er ließ mich nicht zu nahe an sich herankommen.

„Äh, Konzerte sind wohl nicht so mein Ding“, murmelte ich und löste meinen Arm aus seinem Griff. „Ich bin vorher noch nie auf einem gewesen, und jetzt merke ich, dass ich nichts verpasst habe.“

„Dann bleibe ich hier draußen bei dir.“

„Ich habe doch gesagt, ich brauche keinen Aufpasser“, stieß ich hervor.

„Glaub mir, Harlow, das ist das Letzte, was ich sein will.“

Meine Augen weiteten sich bei diesem vielsagenden Tonfall, und ich überlegte fieberhaft, was ich darauf antworten konnte, damit er mir gegenüber nicht wieder dichtmachte. Mir fiel nichts ein. „Wirklich, du musst nicht meinetwegen hier draußen bleiben. Ich rufe jemanden an.“

„Ich bin nicht wegen der Shows hergekommen. Ich bin nur hier, um Sara nachher wieder nach Hause zu fahren.“ In seinem Blick blitzte derselbe Konflikt auf wie vorhin, als er mich lange angestarrt hatte. „Außerdem, wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich da drinnen sein wollte oder hier draußen bei dir, würde ich mich für dich entscheiden.“

„Weil ich einen Beschützer brauche.“ Das war keine Frage gewesen. Ich war enttäuscht, dass er das Gefühl zu haben schien, mich wie ein kleines Kind behandeln zu müssen.

Er schüttelte kaum merklich den Kopf, wendete den Blick ab und sprach noch leiser. „Ich wünschte, das wäre mein Grund.“

Gegenwart – Richland

Ich behielt ein Lächeln im Gesicht und stocherte in meinem Salat herum, während ich Hadley dabei zuhörte, wie sie sich über diesen Mann ausließ, mit dem sie eine On-off-Beziehung führte. Nachdem wir ein paar Stunden shoppen gewesen waren und uns die Nägel hatten machen lassen, waren wir zu einem unserer Lieblingsrestaurants in Richland gefahren, um uns noch ein wenig zu unterhalten, bevor ich nach Hause zurückkehren und das Abendessen vorbereiten musste.

Hadley besuchte die Washington State University Tri-Cities, um in meiner Nähe zu sein. Ich liebte es, Zeit mit ihr zu verbringen; danach sehnte ich mich an jenen Tagen, an denen ich das Gefühl hatte unterzugehen. Gleichzeitig strengte es mich auch an. Unsere Schwester Hayley hatte bei unseren wenigen Treffen, seit Collin und ich verheiratet waren, zu viel mit ihren kleinen Kindern zu tun gehabt – was ein Segen für mich war, denn sie war immer die Scharfsinnige gewesen. Doch sie lebte jetzt in Connecticut, und wir sahen uns nur noch ein Mal im Jahr; zwei Mal, wenn wir Glück hatten.

Hadley war anders. Hadley bemerkte nichts außer der perfekten Welt um sie herum. Sie betrachtete das Leben durch eine rosarote Brille, das hatte sie schon immer getan. Also brauchte ich nur zu lächeln, wenn ich in ihrer Nähe war, und sie würde nie bemerken, dass etwas nicht stimmte. Das Lächeln fiel mir nicht schwer. Ich war gut darin, zum Wohl meiner Familie Glück vorzutäuschen. Das Problem war nur, dass ich nie etwas aus meinem Leben erzählen konnte, und sobald ich es doch tat, waren es Lügen. Das war ermüdend. Mein Körper war immerzu angespannt, wenn wir Zeit miteinander verbrachten; ich hatte Angst, sie könnte doch irgendwie mitkriegen, dass etwas nicht in Ordnung war – ihr könnte etwas auffallen, das sie nicht sehen sollte.

„Willst du gar nichts essen?“, fragte sie plötzlich.

So in etwa.

„Ich esse doch“, erwiderte ich, lachte leise, und um meine Aussage zu unterstreichen, steckte ich mir eine volle Gabel in den Mund.

Sie stibitzte sich einen Happen von meinem Salat und gestikulierte beim Kauen mit der Gabel. „Also, jedenfalls weiß ich einfach nicht, was ich mit ihm machen soll.“

„Na ja, es ist Sommer. Es ist der perfekte Zeitpunkt für euch beide, eine Pause einzulegen, zumal er für ein paar Monate nach Hause fährt. Vielleicht triffst du dich mal mit anderen Leuten. Du bist erst neunzehn, Hadley. Konzentriere dich nicht nur auf den einen Mann. Du bist noch drei Jahre auf dem College. Genieße sie, und genieße die vielen verschiedenen Männer.“

Skeptisch blickte sie mich an. „Du hast mit neunzehn geheiratet.“

„Einen Monat später bin ich zwanzig geworden.“

„Als würde das einen Unterschied machen.“ Sie lächelte, denn sie wusste, dass sie recht hatte. „Du kannst mir nicht davon abraten, in jungen Jahren sesshaft zu werden, wenn du es selbst so gemacht hast.“ Sie seufzte und schürzte die Lippen. „Ich will auch einen Collin finden.“

Mein Körper verkrampfte sich, und mir gefror das Lächeln im Gesicht.

„Ich will jemanden, der sich so um mich kümmert, wie er sich um dich kümmert. Gib’s zu, Schwesterherz, dein Leben ist ziemlich perfekt. Du musst nicht arbeiten gehen, dein Mann bezahlt dafür, dass wir Tage wie diesen zusammen verbringen. Er ist heiß, er ist reich … Er ist heiß.“

Er ist ein Monster.

„Weißt du, was ich mir für dich wünsche?“, fragte ich schnell und beugte mich vor, sodass meine Frage ein bisschen zu dringlich wirkte. „Dass du jemanden findest, der dich immer liebt. Nach Jahren noch. Aus der Ferne. Wenn ihr getrennt seid. Einfach immer. Das wünsche ich mir für dich.“

Sie lächelte und verdrehte die Augen. „Okay, Mom.“

Ich räusperte mich und versuchte zu lächeln, dankbar, dass ihr mein Tonfall nicht aufgefallen war. „Apropos Mom … Fährst du diesen Sommer nach Hause?“

Ich lehnte mich zurück und stocherte weiter in meinem Salat herum, während sie ausgiebig ihre Pläne für den Sommer vor mir ausbreitete. Eine Stunde später setzte ich sie bei der Wohnung ab, die sie zusammen mit ein paar Freunden angemietet hatte, und weinte vor Erleichterung, als die Anspannung aus meinen Muskeln wich.

Zu Hause beeilte ich mich, das Abendessen herzurichten, und lief dann noch einmal durch das ganze Haus, um zu überprüfen, ob ich nichts vergessen hatte. Ich hatte das Badezimmer geputzt. Der Rest des Hauses sah noch immer makellos aus. Die neue Handtasche und die Schuhe, die ich am Nachmittag gekauft hatte, standen auf dem Tisch im Eingangsbereich, damit Collin sie sofort bemerkte, sobald er nach Hause kam. Ich hatte gerade das letzte Geschirr weggeräumt, bevor ich meinen Rundgang begonnen hatte. Meine Hände zitterten, als ich die Teller auf dem Tisch anstarrte. Irgendetwas fehlte. Und mir fiel nicht ein, was es war.

Hähnchen, Kartoffeln, grüne Bohnen. Gabeln, Messer, Löffel, Servietten. Salz. Pfeffer. Ich sah auf die Uhr und schluckte schwer. Oh Gott, oh Gott! Was zum Teufel fehlt hier?

Mir blieben noch zwei Minuten, bis Collin die Auffahrt hinaufkommen würde; er verspätete sich nie auch nur um eine Minute. Ich war mir nicht sicher, aber ich hatte den Verdacht, dass er weiter unten an der Straße parkte und jeden Tag eine bestimmte Uhrzeit abwartete, nur damit er diese Angst vor seiner Ankunft in mir hervorrufen konnte.

Getränke!

Ich eilte durch die Küche und holte vier Gläser aus dem Schrank. Nachdem ich zwei mit Eiswasser und die anderen beiden mit Wein gefüllt hatte, stellte ich sie alle auf den Tisch, nur Sekunden, bevor ich den Schlüssel im Schloss hörte und mein Zittern noch stärker wurde.

Die Haustür öffnete und schloss sich, und kurz darauf hallten Collins Schritte auf dem Parkett, als er durch den Flur in die Küche kam und mich anschaute. Er hielt einen wunderschönen Strauß aus rosafarbenen Rosen in der Hand – genau wie jeden Abend, an dem er meinte, sich entschuldigen zu müssen – und ich versuchte, mir bei ihrem Anblick nichts anmerken zu lassen. Rosen hatte ich schon immer gehasst, und Collin wusste das.

„Riecht fantastisch.“ Er lächelte schnell, warf die Rosen lieblos auf den Küchentisch und machte dann kehrt, um das Haus zu begehen. Er inspizierte alles auf der Suche nach etwas, das nicht an seinem richtigen Ort war. Irgendwas. Zwei Minuten später tauchte er aufrichtig lächelnd wieder in der Küche auf. Er näherte sich der Anrichte, wo ich stand, die Rosen beschnitt und sie in die Vase stellte, und schlang die Arme um mich. „Gefallen dir deine Geschenke?“

„Das tun sie, danke.“

„Und war es schön, deine Schwester zu sehen?“, fragte er, während er mich zu sich umdrehte. Er gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen und löste sich dann ein wenig von mir, um zu fragen: „Hattet ihr zwei eine schöne Zeit?“

„Ja“, flüsterte ich, bevor er mich erneut küsste.

Mit einem Arm wanderte er langsam meinen Rücken hinauf, während er den Kuss vertiefte, und ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mir bei seinen Berührungen schlecht wurde.

Ich schrie auf, da sich ein Schmerz auf meiner Kopfhaut ausbreitete, bis hinunter zu meinem Nacken. Er hatte seine Hand in meinen langen Haaren vergraben und sie grob zur Seite gerissen. Mit einem weiteren festen Ruck positionierte er sich so, dass ich gegen die Anrichte prallte und die Vase auf den Boden stieß, wo sie zerbrach. Dann ging er mit großen Schritten in den Flur, mich im Schlepptau, tief vornübergebeugt. Vor dem Tisch, auf dem die Dinge ausgebreitet waren, die ich zuvor gekauft hatte, zog er mich hoch, nur um mein Gesicht gleich darauf so schnell auf den Tisch zu drücken, dass mir ein Schrei entfuhr. Er hielt inne, als meine Nase knapp über der Tischplatte war. Mein Kiefer zitterte, und Tränen tropften auf das dunkel gebeizte Holz.

„Willst du jemanden umbringen?“, brüllte er mich an.

„N-n-n-n“, stammelte ich, brach dann aber schluchzend ab.

„Was fehlt hier, Harlow? Sag es mir!“ Er drückte meinen Kopf noch ein Stück weiter hinunter in Richtung Tisch.

Bebend starrte ich auf den Tisch und wusste nicht, wovon er sprach.

„Wen möchtest du loswerden, hm?“, fragte er dicht an mein Ohr gepresst. Dieses Mal war seine Stimme leise und dunkel. „Deine Schwester? Du willst, dass sie verschwindet, nicht wahr?“

„Nein!“, stieß ich hervor.

„Wo ist sie dann?“, brüllte er neben mir.

Die Karte! Die Kreditkarte! „Gel-Geldbörse! Es tut mir ll-leid!“

Er hielt meine Haare in seiner Faust, warf mich zu Boden und trat über mich hinweg, um meine Handtasche zu suchen. Augenblicklich legte ich die Hände an den Kopf, um die empfindlichen Stellen zu schützen, während ich hörte, wie seine Schritte sich entfernten.

„Lass dir den Schmerz nicht anmerken.“ Die Worte blieben hinter ihm in der Luft hängen. Noch eine Erinnerung. Noch eine Warnung.

Mit zitternden Armen und Beinen drehte ich mich auf die Knie und erhob mich langsam. Nachdem ich mich aufgerichtet hatte, kam er schon wieder auf mich zu, mit meiner Tasche in der Hand. Er zog die Schlüssel aus seiner Hosentasche, lief durch die Vordertür hinaus, nur um eine Minute später wieder hereinzukommen.

„In zwei Tagen gebe ich dir alles zurück“, sagte er summend und küsste mich mit täuschend echter Zärtlichkeit auf die Wange. „Komm, lass uns essen. Das Abendessen sieht fantastisch aus.“

Er legte mir die Hand ins Kreuz und führte mich in die Küche. Dort rückte er mir den Stuhl zurecht und hielt meine Hand auf der Tischplatte, während wir aßen. Er aß – ich saß da, starrte auf die Glasscherben und die vergessenen Rosen auf den Fliesen und fragte mich wie so oft, wie der Junge, in den ich mich verliebt hatte, zu meinem Monster geworden war.

2. Kapitel

HARLOW

Sommer 2008 – Seattle

Ich war kurz davor, Knox nach unserem Kennenlernen vor eineinhalb Wochen zum ersten Mal wiederzusehen, und ich konnte kaum still sitzen, so aufgeregt war ich. Wir waren den Rest des Konzerts über draußen geblieben, hatten auf der Mauer gesessen und uns über alles Mögliche unterhalten: Thatch, seinen Umzug nach Seattle und seinen Plan, hier im Herbst auf die University of Washington zu gehen. Ich hatte ihm von meiner Familie erzählt und von meinem Leben als Highschool-Schülerin, die sich nirgends zugehörig fühlte – was wohl auf die meisten Schüler zutraf.

Je weiter die Nacht des Konzerts voranschritt, desto mehr spürte ich, wie ich in einen Gemütszustand abglitt, in dem außer Knox nichts mehr eine Rolle spielte, und ich wollte, dass es ihm mit mir genauso erging. Als alle Shows beendet waren, hätte ich schwören können, dass er mir einen Gutenachtkuss geben würde.

Doch es gab keinen Kuss, nicht einmal Worte. Sein Körper war eng an meinen geschmiegt, und er legte mir eine seiner großen Hände an die Wange. Minutenlang standen wir so da, in denen ich ihn innerlich anflehte, mich zu küssen. Als hätte man einen Schalter umgelegt, war der anfängliche Konflikt wieder in seinen Augen zu erkennen, und er wich einen Schritt von mir zurück.

Die Verbindung zwischen uns war unterbrochen, und ich war mir sicher, ich würde nie wieder etwas von ihm hören, obwohl ich ihm meine Nummer gegeben hatte. Doch am nächsten Tag rief er an, und auch an dem darauffolgenden, und es war jedes Mal wieder so wie auf der Mauer. Selbst durch das Telefon spürte ich, wie sehr ich mich zu ihm hingezogen fühlte, und ich wollte seinem heiseren Tonfall ewig lauschen.

Gestern hatte Knox Geburtstag gehabt, und heute wollten wir uns alle bei Neil zu Hause treffen, um ihn zu feiern. Hayleys Auto fuhr einfach nicht schnell genug! Zu Fuß wäre ich schneller gewesen. Gut, das war gelogen, aber konnte sie nicht ein bisschen schneller fahren?

Fast seufzte ich vor Erleichterung, sowie wir endlich bei Neils Haus vorfuhren. Ohne auf Hayley zu warten, stieß ich die Tür auf und rannte auf den Jungen zu, der mit ein paar anderen, die ich noch nie gesehen hatte, am anderen Ende der Wiese stand.

Sobald Knox mich auf sich zulaufen sah, lächelte er übers ganze Gesicht. Er löste sich rechtzeitig von den anderen und breitete die Arme aus, als ich mich auf ihn stürzte. Ich hatte vorgehabt, einen auf cool zu machen, während ich auf ihn zuging – doch sobald ich ihn gesehen hatte, war dafür keine Zeit mehr gewesen.

Er gab ein leises Schnauben von sich, lachte schließlich und schlang die Arme fester um mich. „Hey, Low.“

Ich konnte die Jungen reden hören, mit denen Knox zusammengestanden hatte. Sie versuchten herauszufinden, ob ich „das Mädchen“ war, und irgendetwas daran brachte mich dazu, noch breiter zu lächeln.

„Herzlichen Glückwunsch“, murmelte ich an Knox’ Brust.

Er legte zwei Finger unter mein Kinn und neigte meinen Kopf nach hinten, damit er mir in die Augen schauen konnte. „Danke.“ Einen Moment lang betrachtete er mein Gesicht, dann fragte er: „Ist es komisch, dass ich dich vermisst habe?“

Ich errötete. „Du hast mich vermisst?“

Er sah mich an, als hätte ich es wissen müssen. „Klar, Low.“

„Gut“, neckte ich ihn.

Leise lachte Knox. Als ich gegen die Tropfen anblinzelte, die vom Himmel herabfielen, schlang er schnell seinen Arm um mich und führte mich ins Haus, ohne seine Freunde weiter zu beachten. Und wie jeden Tag am Telefon nahmen wir unser Gespräch vom Vortag wieder auf. Nur dass er jetzt wieder direkt vor mir stand. Dieses Mal ruhte meine Hand in seiner, und ab und zu berührte er einfach meine Wange und blickte mich an – als stünden in meinen Augen alle Antworten, die er suchte.

„Wir haben eine Minderjährige im Haus!“, sagte jemand fast eine Stunde später laut.

Ich hätte das nicht weiter beachtet. Doch Knox’ Miene hatte sich auf einmal verhärtet, während er zu den Jungs herübersah, mit denen er am Anfang des Abends zusammengehockt hatte, und dann zu dem, der gebrüllt hatte.

„Hoffentlich steht dir Orange, Knox!“

Dieses Mal wirbelte ich mit dem Kopf herum. Wovon redeten die?

Von den zwei Dutzend Leuten, die im Keller von Neils Haus dicht aneinandergedrängt herumstanden, fingen fast alle an zu lachen, als das Wort „Minderjährige“ durch den Raum flog, als wäre es ein Buhruf, oder so etwas.

Knox schloss seine Hand fester um meine, und ich sah, dass er blass geworden war.

„Wovon sprechen die?“, fragte ich so leise, dass nur er mich hören konnte. Als er nicht antwortete, schaute ich mich nach Hayley und Neil um – zwei der wenigen Leute außer uns, die nicht lachten. Sie sah traurig aus, er furchtbar wütend. Ich war mir nur nicht sicher, gegen wen seine Wut gerichtet war.

„Keine Pussy ist es wert, für sie ins Gefängnis zu gehen, Bro. Tu das nicht!“

Daraufhin fingen alle so laut an zu lachen, dass ich bei dem Lärm zusammenzuckte, und Knox schnaubte. Seine Freunde von draußen flüsterten eindringlich auf ihn ein, aber Knox schien ihnen nicht zuzuhören.

„Der Junge geht bald aufs College, Harlow! Willst du ihn wirklich ins Gefängnis bringen, bevor er überhaupt dazu kommt?“

Ich atmete schnell – zu schnell. Scham durchflutete mich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was eigentlich los war. Ich sah in Knox’ leeres Gesicht und flehte ihn an, mir zu helfen, das zu verstehen. „Wovon reden die?“

Er drehte langsam den Kopf zu mir und lächelte mich schwach an. „Ist doch egal. Ignorier sie einfach.“

Plötzlich war Hayley hinter uns auf der Couch, und ihre Lippen waren an meinem Ohr. „Lass uns abhauen.“

„Ich verstehe das ni…“

„Knox ist achtzehn“, unterbrach sie mich.

„Und?“

„Du bist jetzt eine Minderjährige für ihn. Jede Art von sexueller Beziehung ist für euch tabu, das ist illegal.“

„Haben wir doch gar nicht!“, zischte ich.

„Ich würde nie …“, fing Knox an und schob seine Freunde zur Seite, als sie ihn drängten zu verschwinden, doch Hayleys nächste Worte waren alles, was ich hörte.

Ich weiß, dass du jetzt noch nichts mit ihm anfangen würdest, Harlow. Da er sich jedoch nicht einmal die Mühe macht zu verbergen, dass er dich mag, könnte er schon ins Gefängnis kommen, wenn jemand behaupten würde, ihr hättet etwas miteinander. Selbst wenn ihr zwei nur so wie jetzt zusammen seid, geht er ein Risiko ein.“

Mir wich alles Blut aus dem Gesicht, und ich konnte das Lachen und die Witze nicht länger hören, auch Hayley nicht, obwohl ich wusste, dass sie immer noch mit mir redete. Erneut wandte ich mich zu Knox um; die Enttäuschung und die Niederlage waren ihm deutlich anzusehen.

Ich versuchte, ihm meine Hand zu entziehen, doch er hielt sie umso fester. „Harlow, mir ist das egal.“

„Mir aber nicht! Ich kann dir das nicht antun.“

Als ich meine Hand wieder zurückzog, hielt er mich nicht davon ab. Ich hatte mich von der Couch erhoben, drängte mich nun an jedem vorbei in Richtung Treppe – und ignorierte ihren Spott und meine Tränen, die mir über die Wangen liefen. Ich hörte Hayley und Neil hinter mir herkommen, als ich hinaufging, doch kurz darauf folgte mir nur eine Person. Ich hatte den Rasen schon halb überquert und blinzelte heftig gegen den strömenden Regen an, als mich jemand umdrehte.

Ich zuckte vor Knox zurück. „Nicht!“, fuhr ich ihn an. „Warum hast du mir das nicht erzählt?“

„Weil ich beschlossen habe, dass es egal ist.“

„Wie könnte das egal sein?“

„Weil ich weiß, dass ich nichts Illegales mit dir anstellen würde.“

Ich gestikulierte wild in Richtung des Hauses und entdeckte dabei die zwei Freunde von Knox, die mit verschränkten Armen neben der Tür standen und uns beobachteten. Ich drehte mich wieder zu Knox und zischte: „Hayley hat gesagt, es kommt nicht darauf an, ob wir tatsächlich etwas Illegales tun oder nicht. Wenn jemand so etwas sagen würde – mein Gott! Das kann ich dir nicht antun, Knox.“ Er schlang die Arme um mich und hielt mich auch dann noch fest, als ich versuchte, mich von ihm zu befreien. „Lass das, wir dürfen nichts riskieren.“

„Dann warte ich auf dich, Harlow“, versprach er mir, und die Ehrlichkeit in seinen Worten machte mich einen Moment lang fassungslos. „Ich warte, bis du achtzehn bist.“

Ich stieß ihn gegen die Brust und schüttelte den Kopf. „Zweieinhalb Jahre lang, Knox? Auf ein Mädchen, das du kaum kennst? Wer kann so etwas nach nur eineinhalb Wochen versprechen?“

„Ich …“

„Nein, das kann ich weder dir noch mir antun. Jetzt verstehe ich es – was neulich Nacht bei dem Konzert nicht gestimmt hat, als du herausgefunden hast, wie alt ich bin. Ich verstehe es. Du hättest mir sagen sollen, dass es das war, was dir Sorgen bereitete.“

„Ja, hätte ich tun sollen. Ich hätte auch nicht bei dir draußen bleiben oder dich anrufen sollen, aber ich konnte nun einmal nicht anders. Ich habe doch gesagt, es ist mir egal. Glaubst du, ich spreche normalerweise Mädels in deinem Alter an?“ Prüfend sah er mich mit seinen dunklen Augen an und redete weiter, ohne mir Zeit zu geben, darauf zu antworten. „Nein, das tue ich nicht, aber etwas an dir spricht mich einfach an. Ich wusste, dass es gefährlich war, mich auch nur weiter mit dir zu unterhalten, weil ich mich dann nur noch schneller in dich verknallen würde. Ich habe es trotzdem getan, obwohl ich wusste, dass ich bald achtzehn werde, und obwohl ich wusste, dass so etwas wie jetzt passieren könnte.“

„Ich wusste es aber nicht!“, sagte ich zu laut, die Hand fest auf meine Brust gepresst. „Ich kann nicht zulassen, dass du dich auf etwas einlässt, was dich irgendwie in Schwierigkeiten bringen kann. Oder das so unangenehm werden könnte wie das eben.“ Ich zeigte auf das Haus. „Das werde ich dir nicht antun.“ Er fing an zu reden, doch ich unterbrach ihn. „Und ich kann mir nichts von dir versprechen lassen, was ich dir nicht einmal selbst versprechen kann. Zweieinhalb Jahre? Du bist achtzehn und gehst bald aufs College. Du solltest mir überhaupt nichts versprechen müssen. Ich weiß, dass ich mich nicht immer altersgemäß verhalte, aber ich bin immer noch erst fünfzehn. Und so blöd es auch klingen mag, bei Jungs denke ich nicht an gemeinsame Jahre und an eine gemeinsame Zukunft. Ich sehe sie im Jetzt, und was sie in dieser Sekunde in mir auslösen. Ich kann dir nicht einmal den Sommer versprechen – und schon gar nicht zweieinhalb Jahre.“

„Und trotzdem weinst du“, sagte er sanft.

„Weil du in diesem Augenblick der bist, den ich will und nicht haben kann!“

Er legte mir eine Hand um die Taille; die andere vergrub er in meinen langen, feuchten Haaren. Ehe ich darüber nachdenken konnte, was gerade passierte, waren seine Lippen auf meinen. Ich klammerte mich an seine Arme, als unsere Lippen sich einige kurze, herrliche Sekunden lang synchron bewegten. Dann löste er sich von mir und ich presste meine Stirn an seine Brust, damit ich ihm nicht in die dunklen Augen sehen musste. Ich hätte alles zurückgenommen, was ich gerade gesagt hatte, wenn ich ihn in diesem Moment angesehen hätte.

„Eines Tages, Harlow Evans, wirst du mir gehören. Ich werde auf dich warten.“

„Du verschwendest deine Zeit“, stieß ich hervor. Ich klammerte mich noch fester an seine Arme und versuchte, weitere Tränen zu unterdrücken.

Ein leises, amüsiertes Lachen erklang dicht an meinem Ohr. „Niemals.“

Gegenwart – Richland

Zwei Tage später bekam ich wie versprochen meine Handtasche und meine Schlüssel zurück und dazu eine von Collins Kreditkarten. Dieses Mal wollte er, dass ich mir neue Ohrringe kaufte, weil ich in den letzten paar Tagen keine Fehler gemacht hatte.

Ich wollte die Karte in der Mitte durchschneiden.

Doch das hatte ich nicht getan. Ich war zu einem Juwelier in der Innenstadt gefahren und hatte mir ein Paar Diamant-Stecker ausgesucht. Der Verkäufer war, glaube ich, ziemlich verwirrt, weil ich mich so wenig für dieses Geschenk an mich selbst begeistern konnte. Es war jedoch nicht seine Aufgabe zu wissen, warum ich sie kaufte – er wurde nur dafür bezahlt, mir zu helfen.

Am Abend trug ich meine Ohrringe, hatte Collins Kreditkarte in der Hand und das Abendessen auf dem Tisch, als er nach Hause kam. Nachdem er das Haus inspiziert hatte, wie er es jeden Abend tat, kam er lächelnd auf mich zu und presste seine Lippen auf meine. Er nahm mir die Karte aus den Fingern, sah sich meine Ohren kaum eine Sekunde lang an und drehte sich zum Tisch, auf den er einen weiteren Strauß Rosen warf. Kein einziges Mal hatte er mir die mitgebrachten Blumen überreicht, sondern sie immer nur irgendwo hingeworfen, wo ich sie später aufsammeln konnte.

„Gefallen sie dir?“

„Ja, sehr“, antwortete ich automatisch. „Danke, Collin.“

„Für mein Mädchen tue ich doch alles.“

Wir aßen zu Abend, und er sprach von der Arbeit. Ein paar Minuten verbrachte er damit, sich darüber zu ärgern, dass Alfred McKenzie – der Leiter der Finanzbehörde von Benton County und der Mann, dessen Posten Collin übernehmen wollte – immer noch nicht vorhatte, sich zur Ruhe zu setzen. Dann erzählte er mir den jüngsten Regierungstratsch. Während er immer weiter redete, schweiften meine Gedanken ab; es war das gleiche Gespräch wie immer. Alles kam vor, von den Affären einiger Männer, über Fälle, mit denen sein Vater zu tun hatte, bis zum neuen Polizeipräsidenten, über den sich alle aufregten. Collins Vater, Flynn Doherty, war der Staatsanwalt unseres Bezirks und ein großartiger Mann.

Leider liebte er seinen Sohn und war blind für alles Schlechte, das von ihm ausgehen könnte, und er hatte seine Beziehungen spielen lassen, um Collin direkt nach seinem College-Abschluss zu einer Stelle in der Finanzbehörde zu verhelfen. Alfred war wegen seines hohen Alters nicht mehr oft vor Ort, sodass Collin die meisten seiner Pflichten übernommen hatte. Ich machte mir Sorgen darüber, wie viel schlimmer es noch werden mochte, wenn Collin tatsächlich selbst Leiter der Finanzabteilung wurde – denn es war allgemein bekannt, dass Collin, wenn er sich zur Wahl aufstellen ließe, keine Konkurrenz zu erwarten hätte. Auch wenn Collin mit einem Treuhandfonds aufgewachsen war und mehr Geld zur Verfügung hatte, als er je würde ausgeben können, wusste ich doch, dass er schon jetzt Geld aus der Staatskasse dafür nutzte, Polizisten zum Schweigen zu bringen. Ich bezweifelte auch nicht, dass es bei der Brandstiftung in Kalifornien eingesetzt worden war.

„Hast du mir zugehört?“, fragte er plötzlich, und ich sah zu ihm hoch.

Meine Gabel hing in der Luft, und ich fragte mich, wie lange ich sie schon so in der Hand gehalten hatte. Ich schüttelte kurz den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen, und räusperte mich. „Ähm, der neue Polizeipräsident“, murmelte ich und verstummte, als Collin die Augenbrauen eng zusammenzog. Ich war nur erleichtert darüber, dass seine blauen Augen noch immer seine waren – nicht leblos, nicht die meines Monsters.

Collin ballte die freie Hand Mal um Mal zur Faust, während er mich ansah, und fing nach einer Weile wieder an zu essen. „Wie ich gerade sagte, wir haben in zwei Wochen eine Benefizveranstaltung, bei der wir erwartet werden.“

Ich schluckte schwer, als er das erwähnte. Den Rest des Abendessens über konnte ich nur noch auf meinem Teller herumstochern, während ich krampfhaft versuchte, das, was ich bereits verzehrt hatte, bei mir zu behalten.

Benefizveranstaltungen und Dinnerpartys bedeuteten, dass wir Leute beeindrucken mussten, mit denen Collin oder sein Dad zusammenarbeiteten. Sie bedeuteten, dass Collin von mir Perfektion erwartete, auch wenn er kein Problem damit hatte, mir zu zeigen, wie unperfekt ich war, während wir dort waren, und dann noch einmal, wenn wir wieder zu Hause waren.

Wir waren bei einer Dinnerparty gewesen, als ich das erste Mal einen Blick auf mein Monster erhascht hatte – und es hätte auch der letzte Abend sein sollen, an dem ich Collin sehen würde. Doch ich war verliebt gewesen, wir hatten uns gerade verlobt, und in Gedanken hatte ich sein Verhalten wieder und wieder entschuldigt.

Frühling 2012 – Richland

„Ich weiß nicht, ob ich heute Abend meinen Ring tragen soll“, sagte ich und biss mir auf die Unterlippe, während ich überlegte, was ich tun sollte. Ich streckte meine linke Hand nach vorne aus, mein Herz fing an zu rasen, und ein strahlendes Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit.

So ist es richtig. Das ist es, was ich will, dachte ich, und zwang mich dazu, weiter zu lächeln, auch noch, als ich mich fragte, warum ich mir Knox Alexander vorgestellt hatte, als ich vor drei Stunden Collins Antrag angenommen hatte.

Collin, der seine Krawatte vor dem Spiegel zurechtgezogen hatte, drehte sich zu mir um und hob eine aschblonde Augenbraue. „Du willst deinen Ring nicht tragen?“, fragte er leise, ruhig.

Ich riss die Augen auf und stammelte bei dem Versuch, es ihm zu erklären. „Doch, natürlich will ich das! Ich wusste nur nicht, ob ich es sollte, wenn wir bei deinen Eltern zum Essen eingeladen sind. Ich meine, es findet zu Ehren des Gouverneurs statt, und ich wusste nicht, wann und wie du ihnen erzählen willst, dass wir uns verlobt haben. Und jetzt mache ich mir Sorgen, dass wir uns zu sehr in den Mittelpunkt drängen, wenn jemand den Ring sieht, denn er ist wirklich schwer zu übersehen … Deswegen weiß ich nicht, was ich machen soll.“

Collin lächelte und drückte seine Lippen auf meine. „Meine Eltern wissen es schon. Es wird alles gut, versprochen.“

Ich blinzelte ihn überrascht an. „Sie wissen es?“ Nicht, dass ich die gleichen Jubelschreie erwartet hätte, die meine Familie am Telefon von sich gegeben hatte. Allerdings hätte ich schon gedacht, dass die Dohertys irgendetwas sagen würden, als wir vor ein paar Stunden zu ihnen nach Hause gekommen waren, um uns auf die Party vorzubereiten.

„Natürlich wissen sie es. Sie freuen sich.“ Collin studierte mein Gesicht eindringlich, betrachtete dann meine Ohren, meinen Hals und schließlich meine linke Hand. Jeden Teil meines Körpers, an dem ich Schmuck von ihm trug. Sein Blick blieb auf meine Hand gerichtet, als er fragte: „Gefällt er dir?“

„Mein Ring?“, stammelte ich. War das sein Ernst? Ich sah auf den Classic Winston, einen Verlobungsring mit einem 5-Karat-Diamanten im Smaragdschliff, und kicherte. „Collin, ich liebe meinen Ring. Wie immer ist er viel zu viel, aber ich liebe ihn.“

„Mehr muss ich nicht wissen. Und nein, du wirst ihn für die Party nicht abnehmen.“ Nach einem Blick auf sein Telefon sagte er: „Wir müssen jetzt los, sonst fragen meine Eltern sich, warum wir noch nicht unten sind.“

„Okay.“ Ich atmete tief aus und warf noch einen letzten Blick in den Spiegel, dann folgte ich Collin aus seinem Zimmer im Haus seiner Eltern und ging mit ihm die Treppe hinunter.

Dutzende von Paaren wurden mir vorgestellt. An einige von ihnen würde ich mich niemals erinnern, bei anderen musste ich mich zwingen, sie nicht anzugaffen, denn man stellte mir Prominente vor, als würde man ihnen tagtäglich begegnen.

„Weißt du, wer das war?“, zischte ich Collin ins Ohr, als wir uns von einem Schauspieler und seiner Ehefrau, einem Supermodel, abwendeten.

Collin runzelte die Stirn, als verstünde er nicht, wieso ich fast hyperventilierte. „Natürlich? Ah! Da sind meine Eltern.“

Nichts. Keine Reaktion. Das ist sein Leben – jetzt auch mein Leben … Und es ist so was von fantastisch! Wie kann er das nicht fantastisch finden? Das fragte ich mich, verdrängte diese Gedanken jedoch, als ich mich im Haus seiner Eltern umsah. Ich hatte gewusst, dass seine Familie Geld hatte, doch jetzt war offensichtlich, dass ein Teil dieses Geldes schon lange vor dem Job seines Vaters in der Familie gewesen war, denn ein Staatsanwalt könnte sich unmöglich so ein Haus leisten. Genau wie sein Sohn sich die Dinge, die er mir schenkte, normalerweise nicht würde leisten können.

„Collin, Harlow, wie schön, dass ihr gekommen seid“, sagte Mrs. Doherty und küsste mich auf die Wange. „Das hier sind einige Kollegen von Flynn“, flüsterte sie und richtete sich dann lächelnd auf. „Gentlemen, Sie erinnern sich sicher an unseren Sohn. Das ist seine Verlobte, Harlow.“

Ein paarmal wurde uns zugenickt, und das eine oder andere „Freut mich“ erreichte uns. Ansonsten war es, als wären wir nicht gerade erst zu ihrem Gespräch dazugestoßen. Als hätte Mrs. Doherty nicht gerade wie nebenbei erwähnt, dass wir verlobt waren.

Einfach so war ich Teil der Familie geworden. Ich hatte befürchtet, es würde schwerer werden – als würde ich mich beweisen müssen. Stattdessen war es völlig uninteressant – fast enttäuschend. Das Gespräch wurde einfach wieder aufgenommen. Collin legte mir den Arm um die Schultern und stieg direkt mit ein. Ich versuchte, es ihm gleichzutun.

Fünf Minuten später versuchte ich immer noch zu verstehen, was hier geschah – oder geschehen war. Bisher verstand ich nur, dass die Männer sich über einen alten Fall unterhielten.

„Ich fasse es immer noch nicht, dass dieser Bastard mit Totschlag davongekommen ist“, sagte einer der Männer. Alle anderen schüttelten die Köpfe und äußerten ihren Unmut.

„Es hätte Mord sein müssen“, fügte Flynn Doherty hinzu.

„Was ist denn der Unterschied?“, fragte ich leise und bereute es, als einige der Männer lachten und alle Blicke in der kleinen Gruppe sich auf mich richteten.

Collin lachte leise und murmelte: „Entschuldigen Sie uns bitte einen Augenblick. Ich hatte noch keine Gelegenheit, viel Zeit allein mit meiner neuen Verlobten zu verbringen.“ Er griff nach meiner Hand und zerrte mich praktisch quer durch den Raum in eine Ecke, in der wir ungestört waren.

„Ich kann nicht so schnell in diesen …“

Er drehte sich um, sodass sein Gesicht dicht vor meinem war, und auch wenn er seinen Mund zu einem Lächeln hochzog, war es irgendwie anders als sonst. Er war anders als sonst. „Soll das ein verdammter Witz sein, Harlow?“, zischte er.

Ich hob verwirrt die Augenbrauen. „Moment mal, wa…“ Meine Frage wurde unterbrochen, als Collin meine Hand losließ, nur um zwei Finger in einen Punkt über meinem Handgelenk zu vergraben. Der Schmerz kam augenblicklich und überraschend. Wieder öffnete ich den Mund, ob um vor Schmerz zu schreien oder zu fragen, warum er das tat, wusste ich nicht – aber es war auch egal, denn er sprach, noch bevor ich dazu kam.

„Lass dir deinen Schmerz nicht anmerken, Harlow.“

„Was?“, fragte ich außer Atem und sah ihn panisch an. „Co…“

„Lass dir deinen Schmerz nicht anmerken“, wiederholte er. Er sprach leise, und seiner Miene war nichts anzusehen. Wenn ich nicht diejenige gewesen wäre, die den Schmerz ertragen musste, wäre ich mir sicher gewesen, dass wir stattdessen flirteten, so wie er mich ansah. „Du weißt doch, wie dumm du bist, oder nicht?“

Dumm? Ich konnte gar nicht richtig denken. Die Frage hätte mich getroffen, hätte ich nicht versucht, keine Miene zu verziehen, während ich mich gleichzeitig fragte, wie zwei Finger solche Schmerzen verursachen konnten. „Wa…“

„Du wirst mich nie wieder vor irgendjemandem so blamieren, besonders nicht vor meinem Vater und seinen Kollegen. Hast du verstanden?“ Collin beugte sich dicht zu mir vor und strich mit den Lippen über meinen Hals, um zu flüstern: „Sag den Rest des Abends kein Wort mehr.“ Die Worte kamen mit so großer Erleichterung, dass es sich für den Bruchteil einer Sekunde so anfühlte, als wäre der Schmerz noch schlimmer geworden, nachdem er mein Handgelenk losgelassen hatte. Es war klar, dass seine Worte nicht bloß ein Befehl waren – sie waren auch eine Warnung.

Ich hätte mich vorher nie als dumm bezeichnet … Jetzt war ich mir nicht mehr sicher, ob ich es nicht doch war, weil ich den Rest der Nacht seinem Befehl gehorcht hatte.

Ich lächelte freundlich – jedenfalls hoffte ich, dass es freundlich wirkte – und blieb an Collins Seite, während wir von Gruppe zu Gruppe wanderten. Ich ließ ihn nie aus den Augen, während er alle, mit denen er sprach, mit seinem Charme einwickelte.

Ich wollte wissen, was passiert war. Ich wollte wissen, wer dieser Mann war, der mich beleidigt und mir Schmerzen zugefügt hatte, denn es war nicht der Mann, in den ich mich verliebt hatte. Und ich wollte wissen, wie sich jede Berührung und jede Zärtlichkeit im Laufe des Abends so vertraut anfühlen konnte – und gleichzeitig auf einmal so fremd.

„Komm her, Harlow“, murmelte Collin leise, als wir Stunden später endlich zurück in sein Zimmer gehen konnten.

Ich stand ein paar Schritte von ihm entfernt und starrte auf den Boden, während mir Tränen in die Augen stiegen.

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Thatch