Alaska in Love - Familiengeheimnisse, Rivalitäten und leidenschaftliche Liebe (8-teilige Serie)

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Die Steeles und die Mikkelsons sind erbitterte Rivalen im hart umkämpften Öl-Business von Alaska. Familiäre Skandale, dunkle Geheimnisse und heiße Liebschaften sorgen jedoch dafür, dass sich die Mitglieder der zwei verfeindeten Imperien letztlich näherkommen, als sie für möglich gehalten hätten.

HEIMLICHE WÜNSCHE IN EISKALTEN NÄCHTEN

Ihre Familien sind erbitterte Rivalen im hart umkämpften Öl-Business von Alaska, und mit seiner Arroganz bringt Milliardär Broderick Steele die hübsche Glenna regelmäßig zur Weißglut! Nur mit Mühe behält sie in Brodericks Gegenwart die Beherrschung. Doch damit ist endgültig Schluss, als ein süßes kleines Findelbaby sie beide zwingt, Eltern auf Zeit zu werden …

WIE GLUT UNTER DEM SCHNEE

Ein plötzlich aufziehender Schneesturm in der Wildnis zwingt die schöne Naomi, bei Royce Miller Unterschlupf zu suchen. Aber was heißt schon zwingen?! Eigentlich ist sie zu dem brillanten Wissenschaftler gefahren, um alles über sein geheimes Forschungsprojekt herauszufinden. Es könnte ihrer Familie, den mächtigen Steeles, bei der Ölförderung helfen. Doch von ihrem doppelten Spiel darf Royce nichts erfahren ...

VERFÜHRT IN DIESER EINEN NACHT

Berufliches und Privates sollte man trennen - das weiß Ölmilliardär Trystan Mikkelson nur zu gut. Trotzdem kann er der sexy Imageberaterin Isabeau einfach nicht widerstehen. Bei einer Party, die sie gemeinsam besuchen, wird klar: Auch Isabeau fühlt sich zu ihm hingezogen. Sie verbringen eine heiße Nacht voller Leidenschaft, die nicht ohne Folgen bleibt ...

VERBOTENES VERLANGEN ? ODER NOCH VIEL MEHR?

Was soll Naomi nur tun? Zwischen ihr und Royce knistert es genauso heftig wie früher. Damals hat sie mit ihm Schluss gemacht, weil sie sicher war, dass er ohne sie glücklicher wird. Aber nun arbeitet der brillante Wissenschaftler im Ölimperium ihrer Familie. Keine Gelegenheit lässt er aus, mit ihr zu flirten. Er hilft ihr sogar mit ihren kleinen, vaterlosen Zwillingen. Haben sie eine zweite Chance?

KLIRRENDES EIS, BRENNENDE KÜSSE

"Wir sind verheiratet?" Shana kann sich an alles erinnern, nur nicht an ihren sexy Ehemann. Allein das Begehren, das sie in seiner Nähe spürt, kommt ihr vertraut vor. Während draußen klirrende Kälte herrscht, verwöhnt Chuck Mikkelson sie in ihrer traumhaften Villa mit brennenden Küssen. Doch je mehr Shana sich in den Milliardär verliebt, desto stärker wachsen ihre Zweifel. Denn sie fühlt: Ihr Mann verbirgt etwas vor ihr …

HEIßE VERSUCHUNG IN ALASKA

Liebe? Auf keinen Fall. Große Gefühle kommen für den überzeugten Junggesellen Marshall Steele nicht infrage. Doch dann bricht sich der Ölbaron den Arm - ausgerechnet kurz vor einer weihnachtlichen Benefizgala, die auf seinem Anwesen in Alaska stattfinden soll. Seine Familie schickt ihm die schöne Tally Benson als Haushaltshilfe. Sein Verlangen brennt plötzlich lichterloh. Aber Marshall ahnt nichts von dem wahren Grund, warum Tally den Job angenommen hat …

SINNLICHE NÄCHTE IN ALASKA

Gerührt beobachtet die Sozialarbeiterin Felicity, wie Ölbaron Conrad Steele im Kinderkrankenhaus den kleinen Patienten vorliest. Felicity hat den sexy Milliardär abgewiesen, denn er will nur eine Affäre. Sie kann nicht zulassen, dass er ihr das Herz bricht! Aber jetzt soll sie mit ihm eine Benefizveranstaltung vorbereiten - auf seiner Ranch in der winterlichen Wildnis Alaskas. Vor dem lodernden Kaminfeuer steigt ihr Begehren nach ihm ins Unermessliche. Wie lange kann sie Conrad widerstehen?

STÜRMISCHE BEGEGNUNG IN ALASKA

Ein Blick in Ward Benallys eisblaue Augen und Breannas Knie werden weich. Wann immer sie dem neuen CEO der Alaskan Oil Barons begegnet, fühlt sie sich geradezu magisch von ihm angezogen. Dabei will sie eigentlich die Umstände des mysteriösen Flugzeugabsturzes aufklären, bei dem ihre Mutter vor Jahren ums Leben kam. Doch wenn Ward in ihrer Nähe ist, fällt es Brea schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie soll sie seiner sexy Ausstrahlung nur widerstehen?


  • Erscheinungstag 24.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505123
  • Seitenanzahl 1168
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Catherine Mann

Alaska in Love - Familiengeheimnisse, Rivalitäten und leidenschaftliche Liebe (8-teilige Serie)

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2018 by Catherine Mann
Originaltitel: „The Baby Claim“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 2074 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Maike Claußnitzer

Abbildungen: brandon@ballenphotography.com / Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733724856

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

„Ist es eigentlich dein Lebenszweck, mich zur Weißglut zu treiben, oder ist es nur ein netter Zeitvertreib, wenn du gerade nicht mit den weiblichen Singles von Alaska ausgehst?“

Glenna Mikkelson-Powers hielt sich an ihrem Terminkalender fest, um nicht hinter ihrem Mahagonischreibtisch hervorzuschießen und sich Broderick Steele mal so richtig vorzuknöpfen.

In der Nähe dieses Mannes zu sein, machte sie fast wahnsinnig.

Seine sinnliche Anziehungskraft war so stark, dass keine Frau ihm lange widerstehen konnte, ohne den Verstand zu verlieren. Sein langer Wollmantel wirkte edel, aber sein Cowboyhut und seine Lederstiefel waren abgenutzt – dieser Mix machte Broderick nur noch attraktiver. Sein dunkles Haar, das davon zeugte, dass er zu einem Viertel Inuit war, zeigte erste feine graue Strähnen, aber jeder, der Broderick sah, war sofort überzeugt, dass sein Charisma und seine Kraft so unendlich sein mussten wie die Tundra Alaskas, wo er und Glenna zu Hause waren.

In einem so großen Bundesstaat hätte genug Platz für sie beide sein sollen. Theoretisch hätten sie sich nie über den Weg laufen müssen. Aber das ständige Ringen ihrer verfeindeten Familien um die Vorherrschaft in der Ölindustrie garantierte, dass Glenna und Broderick in denselben Kreisen verkehrten.

Sie sahen sich viel zu oft für Glennas Geschmack.

Sie presste die Hände fester auf den Kalender und fixierte Broderick mit ihrem besten eisigen Blick. „Ich habe einen Assistenten. Zeke – der nette Herr, der wie ein Großvater aussieht – kann dich anmelden. Oder du kannst klopfen. Versuch wenigstens, dich hier ansatzweise normal zu verhalten.“

Nicht, dass irgendetwas an Broderick normal gewesen wäre.

„Erstens …“, er warf seinen schneebestäubten Hut auf ihren Schreibtisch, „… ist es nicht mein Lebenszweck, jemanden zur Weißglut zu treiben. Und dein Assistent ist nicht da.“

Glenna warf einen Blick durch die offene Tür und stellte fest, dass er recht hatte. Sie unterdrückte den Drang, trotzdem die Augen zu rollen. Broderick hätte auf Zeke warten können, statt einfach hereinzustürmen.

„Zweitens …“ Er zog die Lederhandschuhe aus und entblößte schwielige Hände.

Broderick war ein körperlich starker Mann, aber auch ein außerordentlich begabter Finanzchef, was dem Unternehmen seiner Familie zugutekam.

„Zweitens bin ich viel zu beschäftigt, um ein so reges Liebesleben zu führen, wie du es mir unterstellst.“

Das verschlug ihr die Sprache und ließ ihren Magen mehr Purzelbäume als nötig schlagen.

„Drittens habe ich keine Ahnung, warum du dich hier aufregst, obwohl ich derjenige bin, der heute eine Hiobsbotschaft verkraften musste.“

Er beugte sich zu ihr. Der Moschusduft seines Eau de Toilette kitzelte ihre Sinne, als würde sie an einem kalten Tag warmen Rauch einatmen.

„Aber sobald wir die Sache geklärt haben, können wir gern auf deine Besessenheit von meinem Liebesleben zurückkommen.“

Seine Augen funkelten. Im hellen Licht kam der Whiskeyfarbton seiner Augen besonders gut zur Geltung. Er verzog die vollen Lippen zu einem überheblichen Lächeln.

„Du verhältst dich äußerst unprofessionell.“ Sie kniff die Augen zusammen und ärgerte sich über ihre Reaktion auf ihn, während sie seine altvertraute Arroganz auf sich wirken ließ.

Sie sahen einander an, und die Luft knisterte. Glenna erinnerte sich nur zu gut an dieses Gefühl. Als Collegestudenten hatten sie eine kurze Romeo-und-Julia-Affäre gehabt.

Von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Und dennoch … Die Erinnerungen waren nie verblasst.

Ein Wochenende vor langer Zeit. Zwei Tage voller Leidenschaft in ihrer Dachwohnung. Feuer im Kamin. Schnee auf dem Oberlicht.

Dampf in der engen Duschkabine, in die sie sich beide hineingezwängt hatten.

Aber diese beiden Tage waren nichts im Vergleich zu der Liebe, die sie während ihrer sechsjährigen Ehe zu ihrem verstorbenen Mann empfunden hatte. Gemeinsam hatten sie viel Arbeit in die Überwindung von Schwierigkeiten gesteckt – und über ihre Unfähigkeit getrauert, ein Kind zu bekommen.

Heute bedeutete der Beruf ihr alles. Glenna war nicht bereit, das zu riskieren, vor allem nicht für Broderick.

Er war ihr Rivale. Er wollte, dass die Firma seiner Familie die Ölindustrie dominierte, und das durfte sie nicht zulassen. Sie war die Finanzchefin von Mikkelson Oil, und sie würde dafür sorgen, dass das Unternehmen ihrer Familie die Oberhand gewann.

Sein intensiver Blick und sein grüblerischer Charme würden sie nicht davon ablenken.

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Ich frage dich ein letztes Mal: Was machst du in meinem Büro?“

„Als wüsstest du das nicht.“ Er ließ einen großen Briefumschlag auf ihren Kalender fallen. „Wie nennst du das hier?“

„Post“, sagte sie, um Zeit zu gewinnen. Was für ein Spiel spielt er?

Seit ihr Vater vor zwei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war, hatte sich in der Firma viel verändert. So viel Trauer … Erst mein Vater, dann mein Mann.

Es hatte sie völlig aus der Bahn geworfen. Aber wenn sie zuließ, dass die Trauer sie verzehrte, würde Mikkelson Oil gegen Broderick den Kürzeren ziehen.

„Könntest du das bitte näher erläutern?“, fragte sie.

Er zuckte die breiten Schultern. Sein gestärktes weißes Hemd raschelte.

„Es sind Ausdrucke mit einem Bericht über Aktienaufkäufe. Meine Leute haben die Spur bis zurück in euer Büro verfolgt.“

Sie griff in eine Schublade, zog einen Umschlag daraus hervor und legte ihn neben seinen. „Wirklich? Denn ich könnte dich nach ganz ähnlichen Aufkäufen fragen. Nur in die Gegenrichtung.“

Er runzelte die Stirn und ließ sich in einen der beiden ledernen Klubsessel vor ihrem Schreibtisch fallen. „Unsere Firmen tauschen Aktien aus? Das ist doch sinnlos.“

Sie zeigte mit einem perfekt manikürten Finger auf ihn. „Dein Vater hat irgendetwas vor. Es gefällt mir gar nicht, dass er seit dem Tod meines Dads verstärkt Druck ausübt. Es ist sexistisch, zu glauben, dass wir ohne Mann an der Spitze schwächer sind.“

„Ob Sex oder Sexismus, alles Geschlechtliche interessiert dich wirklich sehr, oder?“ Broderick legte den Kopf schief und warf einen verdammt vielsagenden Blick auf das gelbe Sofa hinter ihm.

„Halt den Mund, und hör mir zu.“ Sie war nahe daran, mit dem Fuß aufzustampfen.

„Das tue ich doch. Es macht Spaß, zu beobachten, wie du rote Wangen bekommst.“ Er legte sich die Hand auf die Brust. „Außerdem hat meine Mutter mir beigebracht, dass es sich nicht gehört, anderen zu sagen, dass sie den Mund halten sollen.“ Ein sardonisches Lächeln umspielte seine Lippen.

„Bei einem geschäftlichen Treffen von Sex zu reden, gehört sich auch nicht.“ Sie hob ihren Briefbeschwerer hoch – einen Messingbären, der ihrem Vater gehört hatte. Ihn von einer Hand in die andere zu nehmen, war ein seltsam tröstliches Ritual. Vielleicht war es auch gar nicht so seltsam. Als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihr Vater ihr erzählt, dass diese Statue einem Kraft verlieh. Er hatte seinen Erfolg auf den Bären zurückgeführt.

Nach den Verlusten der letzten zwei Jahre brauchte Glenna jedes bisschen Glück und Kraft, das sie bekommen konnte. „Ich bin ganz bestimmt nicht darauf aus, mich all den liebestollen Frauen Alaskas anzuschließen, die dir zu Füßen liegen.“

„Darum habe ich dich auch nicht gebeten, und du musst mich nicht mit einem schweren Gegenstand bedrohen. Bei mir bist du sicher.“ Der Humor verschwand aus seiner Miene. „Aber da diese Aktienkäufe dich genauso verwirren wie mich, solltest du mitkommen, damit wir zusammen mit deiner Mutter darüber sprechen können.“

„Natürlich. Dann klärt sich alles bestimmt im Handumdrehen.“

Sie wollte, dass Broderick Steele wenigstens aus ihrem Büro verschwand und ihr nicht so beunruhigend nah war, wenn er schon nicht aus ihrem Leben verschwinden konnte.

Broderick spielte ein riskantes Spiel mit Glenna, aber diese Frau berührte ihn auf eine Art wie niemand sonst.

Als sie noch auf dem College gewesen waren, hatte er sich eingeredet, dass nur der Reiz des Verbotenen das Begehren zwischen ihnen ausgelöst hatte. Ihre Familien waren schließlich verfeindet. Allerdings sehnte er sich heute noch nach ihr.

Normalerweise hielt er diese Gefühle in Schach, indem er so viel Abstand wie möglich von der blonden Sexbombe hielt.

Aber heute hatte er diese verstörenden Dokumente über Aktien erhalten, die den Besitzer wechselten.

„Können wir sofort mit deiner Mutter reden? Wir müssen wissen, wer da in eurem oder unserem Aufsichtsrat für Unruhe sorgt.“

Glenna schaute auf. Ihre blauen Augen waren so kristallklar wie der Himmel über Alaska. „Je eher, desto besser. Sie ist heute hier. Ich habe mich vorhin schon mit ihr getroffen.“ Sie stand auf und kam um ihren Schreibtisch herum.

Heiliger Strohsack. Broderick verschluckte sich fast an seiner eigenen Zunge.

Ihr Bleistiftrock lag eng an ihren Kurven an und setzte seine Fantasie in Flammen. Die Kostümjacke war tief ausgeschnitten, und obwohl eine weiße Bluse fast ihr gesamtes Dekolleté verdeckte, war dieser Ausschnitt einfach … Er zwang sich, den Blick abzuwenden.

Aus Respekt, aber auch, um nicht vor Verlangen verrückt zu werden.

„Nach dir“, sagte er.

Er tat sein Bestes, die Beherrschung zu wahren, aber ihre Nähe brachte ihn völlig aus der Fassung. Er folgte ihr am Sitzbereich ihres Büros vorbei: Das gelbe Sofa und zwei Sessel standen vor einem Kamin.

Sie warf einen Blick über die Schulter. Ihr blondes Haar schimmerte wie ein goldener Vorhang. „Mutters Büro liegt zwei Stockwerke über meinem. Wir klären das, keine Sorge.“

Ohne ein weiteres Wort stürmte sie los. Der dicke Teppich dämpfte das Klackern ihrer Stiefelabsätze. Die Glaswand an einer Seite des Korridors bot einen eindrucksvollen Blick auf das Bergpanorama. Überall sonst in Amerika war jetzt Frühling, aber hier in Alaska waren die Gipfel noch schneebedeckt.

Sonnenlicht fiel durch die Fenster und auf Glenna. Um nicht ihre schwingenden Hüften oder ihre eng anliegenden Lederstiefel anzustarren, konzentrierte er sich auf die Gemälde an der Wand. Wieder einmal fiel ihm auf, wie sehr sich der Mikkelson-Firmensitz von den Büros seiner Familie auf der anderen Seite des Geschäftsviertels von Anchorage unterschied. Das Steele-Hauptquartier war moderner gehalten, ein hohes, minimalistisches Gebäude, das für ihn seinen Heimatstaat symbolisierte: eine Eishülle gefüllt mit Kohle, Sand und Gold.

Die Mikkelson-Büros dagegen waren noch ganz im alten Alaska verwurzelt. Die raue Eleganz der Tierfelle und der schweren Holzmöbel machte deutlich, dass in diesem Land nichts Zerbrechliches überdauerte. Um es hier zu schaffen, musste man robust sein.

Der Umschlag knisterte in seiner Hand und erinnerte ihn daran, warum er hier war. Wie viel wusste sein Vater? Broderick hatte ihn heute Morgen nicht erreichen können, obwohl er sich bemüht hatte.

Seit einer Weile war sein Dad oft abgelenkt und nicht ansprechbar. Jetzt war jedoch der ungünstigste Zeitpunkt dafür. Angebote für die große Pipeline aus Alaska nach Dakota wurden gemacht. Dabei ging es nicht nur um Geld, sondern auch darum, das Projekt so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten, um das Land zu schützen, das sie liebten und in dem sie zu Hause waren. Alle Ingenieure und Biologen der Familie rackerten sich ab, um einen ausgewogenen Plan zu präsentieren.

Broderick wusste, dass er in dem Ruf stand, ein eiskalter Bastard zu sein. Aber er fand, dass es keinen Zweck hatte, Emotionen in irgendetwas – oder irgendjemanden – außer der Arbeit zu investieren.

In ihm war etwas zerbrochen, als seine Schwester gestorben war. Hätte er nicht gleichzeitig seine Mutter verloren, hätte sie ihm vielleicht geholfen, einen Weg aus dem Gefühls-Labyrinth zu finden, statt eine Beziehung nach der anderen wieder aufzugeben. Jetzt beschränkte sich sein Liebesleben auf Frauen, die kein Interesse an etwas anderem als einer lockeren Affäre hatten.

Glenna betonte oft, dass sie ganz in ihrem Job aufging. Er hatte Verständnis dafür. Er war auch mit seiner Arbeit verheiratet.

Deshalb musste er dieses lächerliche Gerücht über eine Fusion unterdrücken.

„Du bist ganz anders als die meisten Bürohengste“, sagte sie nun.

Er legte den Kopf schief. „Praktisch veranlagt?“

„Ja, vielleicht. Du bist einfach so … unverschämt. Unlogisch. Unberechenbar.“ Sie beschleunigte ihre Schritte.

„Und du bist eine typische zugeknöpfte Buchhalterin.“ Hitze wallte in ihm auf, als er an eine Zeit dachte, als er sie sehr gründlich aufgeknöpft hatte.

Sie schien seine Gedanken zu lesen. „Immer schön nach vorn gucken, Cowboy.“

„Glaubst du, dass ich eine versteckte Kamera dabei habe, um Formeln aus deinem Büro zu stehlen?“

Er sah ihr unverwandt in die Augen. Diese blauen Tiefen sind einfach zu verführerisch. Irgendetwas an ihnen ließ ihm Worte entschlüpfen, bevor er sie aufhalten konnte: „Ich würde sehr gern deine geheimsten Wünsche kennen.“

Ihre Atemzüge wurden flacher. Sie leckte sich die Lippen. „Mir wäre es lieber, wenn wir uns aufs Geschäft beschränken. Meinst du, dass du meine Wünsche wenigstens die nächste halbe Stunde über respektieren kannst? Wenn nicht, müssen wir alles per Videokonferenz klären.“

Er nickte und wich einen Schritt zurück, weil er wusste, dass er mit dem Feuer spielte. Aber sie hatte recht: Er war unberechenbar. Obwohl alles so kompliziert war, ertappte er sich dabei, darüber nachzudenken, wie er ihr noch mehr Privates entlocken konnte. Natürlich erst später. Timing war alles.

„Selbstverständlich respektiere ich deine Wünsche.“

„Ich wünschte, ich könnte darauf vertrauen“, sagte sie, ging zum Fahrstuhl und betätigte den Knopf.

Ihre Worte trafen ihn. So schlecht denkt sie also von mir? Er stellte sich neben sie vor den Lift und beobachtete sie nachdenklich.

Sie tastete nach einer Haarnadel und schob sie sich so in die Frisur, dass die goldene Fülle ihr über eine Schulter fiel. Ihr hellrosa Nagellack war kaum wahrnehmbar. Edles Understatement. Typisch für sie.

Er räusperte sich. „Und ich mache mir Sorgen, dass du einen Insiderblick auf unser Geschäft und unsere Finanzen bekommen könntest.“

Der Aufzug blieb stehen, die Türen glitten auf, und Glenna stieg ein.

Er trat zu ihr in die runde Kabine, die einen Panoramablick auf den Hafen bot. Ein paar Boote trieben zwischen Eisschollen. „Vielleicht solltest du auch Angst um deine Dateien haben“, fuhr er fort. „Es gibt alle möglichen Kopierprogramme für Computer, und …“

„Ich lasse dich vom Sicherheitsdienst von Kopf bis Fuß durchsuchen, wenn du wieder gehst.“

Gerade, als er zu dem Schluss gekommen war, dass sie sich unabsichtlich so verfänglich ausgedrückt hatte, warf sie ihm einen Blick zu. Ihre blauen Augen funkelten frech.

Hitze breitete sich in ihm aus. Er beugte sich zu ihr. „Überwachst du die Durchsuchung persönlich? Ein Glück, ich habe meine Lieblingsboxershorts an. Die mit den Comicmotiven.“

Sie zog eine blonde Augenbraue hoch. Glenna war schon immer gut darin gewesen, andere ruhig und schnell zurechtzuweisen. „Schmeichel dir nicht.“

„Ich träume nur, Lady, ich träume.“

Sie runzelte die Stirn. „Behandelst du alle Geschäftspartnerinnen so?“

„Nur die, mit denen ich schon eine Affäre hatte. Nein, das stimmt nicht ganz.“ Er hob die Hand. „Nur dich.“

„Eine Fehlentscheidung an einem einzigen Wochenende auf dem College ist noch keine Affäre.“

Ihre in die Hüften gestemmten Hände betonten ihre Kurven in diesem umwerfenden Kostüm. Es juckte ihm in den Fingern, es ihr auszuziehen.

Broderick legte sich die Hand aufs Herz. „Du kränkst mich. Das Wochenende damals ist für mich in Sachen Beziehung das Maß aller Dinge. Keine Frau kann dir das Wasser reichen.“

Habe ich das gerade laut gesagt? Es fühlt sich fast so an, als würde ich es ernst meinen.

Er wurde davor bewahrt, sich näher mit diesem unbehaglichen Gedanken zu befassen, als der Fahrstuhl stoppte. Sie hatten ihr Ziel erreicht.

Glenna überraschte ihn: Sie betätigte den Knopf, um die Tür geschlossen zu halten. „Euer Aufsichtsrat kauft dir deinen Unfug vielleicht ab, aber ich lasse mich nicht ins Bockshorn jagen.“

Sie hatte recht. Was auch immer er hier gerade tat, es hatte nichts mit der Arbeit zu tun.

Aber wir sind im Fahrstuhl. Allein.

Solch eine Gelegenheit konnte er sich nicht entgehen lassen.

Er trat näher an sie heran und sog ihren Duft ein. Mandel … Unerwartet. Sinnlich. „Was, wenn ich es ernst meine?“

„Dann tut es mir sehr leid, dass du so verletzt worden bist.“ Sie schluckte, rümpfte die Nase und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Aber jetzt hör auf, Spielchen mit mir zu spielen. Reden wir lieber mit meiner Mutter.“

Glenna öffnete die Fahrstuhltür und rauschte dann zu einem leeren Empfangstresen. „Ich weiß auch nicht, wo Sage steckt …“

Im selben Augenblick bog Glennas junge Cousine Sage Hammond um die Ecke, strich sich ihr schlichtes Strickkleid glatt und setzte sich an ihren Platz. „Ich habe mich gerade in der Technikabteilung mit deinem Assistenten getroffen, Glenna. Tut mir leid, dass ich hier nicht aufgepasst habe. Deine Mutter hat telefoniert, als ich gegangen bin.“ Sage blickte zur Telefonanlage. Ihre blonden Haare fielen ihr auf die Schultern. „Aber das Licht ist jetzt aus, also muss sie fertig sein.“

Broderick nickte. „Danke, Miss Hammond.“

Glenna murmelte: „Finger weg von meiner Cousine“, während sie nach dem Griff der Bürotür langte.

Eifersüchtig? Interessant. „Ich reiße Schmetterlingen nicht die Flügel aus.“

In Glennas himmelblauen Augen veränderte sich ganz kurz etwas. Er konnte es nicht benennen. Dann wandte sie sich ab und betrat das Büro ihrer Mutter.

Drinnen wartete noch mehr Mikkelson-Charme auf ihn. Antiquitäten und Farbtupfer in Hellgrün brachten Leben in das Eckbüro. Zwei Glaswände und ein Oberlicht ließen den Sonnenschein herein. Draußen wimmelte es auf den Straßen vor Leuten und Autos. Sogar ein Elch auf Abwegen kam in Sicht.

Aber das Büro war leer.

„Mom? Ich bin mit Broderick Steele hier. Es gibt ein Missverständnis, das wir aufklären müssen.“ Glenna sah sich um. „Ich weiß, dass sie hier ist. Alles ist noch da, ihre Aktentasche und ihr Mantel, sogar ihr Kaschmirschal. Sie holt sich bestimmt nur eben Kaffee.“

Oder war sie im Waschraum?

Glennas Blick huschte zu dem privaten Bad.

Von drinnen kamen gedämpfte Geräusche, die nach einer Dusche klangen. Dampf drang unter der Tür hervor, als würde das Wasser schon lange laufen. Ein Stöhnen war zu hören. Genießt sie das Duschen? Oder hat sie Schmerzen? Broderick war sich nicht sicher.

Er ging in den Sitzbereich hinüber. „Sieh nach ihr. Wenn du Hilfe brauchst, sag einfach Bescheid.“

„Danke, das weiß ich zu schätzen. Mom?“ Glennas Stimme hatte einen Unterton von Besorgnis. „Mom, ist alles in Ordnung?“

Keine Antwort.

Glenna sah sich nach ihm um. „Ich will eigentlich nicht einfach ins Bad stürmen, aber wenn es ihr nicht gut geht … Wenn es nun ein Notfall ist …“

„Deine Entscheidung. Soll ich lieber gehen?“ Vielleicht steckten ja gesundheitliche Probleme hinter dem seltsamen Geschäftsgebaren.

„Bleib einfach da hinten, aber in der Nähe, falls ich dich zu Sage schicken muss.“ Glenna klopfte leise an. „Mom? Ich bin es. Geht es dir gut?“

Broderick musterte seine Stiefel und hielt den Blick von der Tür abgewandt.

„Mom, ich mache mir Sorgen. Ich will dich nicht in Verlegenheit bringen, aber ich muss wissen, ob alles in Ordnung ist. Ich komme jetzt rein.“

Als der Türgriff klapperte, schaute Broderick auf und sah Glenna den Kopf schütteln.

„Es ist abgeschlossen.“ Sie klopfte lauter. „Mom, du machst mir Angst. Mach auf. Bitte.“ Sie griff in ihre Tasche. „Ich nehme jetzt den Hauptschlüssel, um die Tür zu öffnen.“ Sie schloss auf – und schrie.

Broderick sprang auf, rannte zu ihr und legte ihr die Hand auf den Rücken, um ihr zu helfen, ganz gleich, welche Krise sich hier gerade abspielte.

Glenna hielt sich am Türrahmen fest. „Mom?“

Broderick stutzte. Blinzelte. Blinzelte noch einmal. Du meine Güte. Er traute seinen Augen nicht.

Glenna war vielleicht überrascht, aber Broderick war völlig sprachlos. Er stolperte einen Schritt zurück, weil die Welt gerade einen Purzelbaum geschlagen hatte.

Jeannie Mikkelson stand in ein Handtuch gehüllt im dampfgeschwängerten Bad, aber sie war nicht allein.

Eine nur allzu vertraute Gestalt schob sich vor sie. Der Mann brachte Jeannie hinter seinem breiten Oberkörper in Sicherheit.

Broderick konnte gar nicht anders, als sich zu vergewissern, dass das Offensichtliche zutraf: „Dad?“

2. KAPITEL

Glenna tigerte im Empfangsbereich zum Büro ihrer Mutter auf und ab und versuchte, sich durch den Nebel ihrer Gefühle zu kämpfen. War es Verwirrung? Schock? Sie konnte einfach nicht fassen, was sie gerade gesehen hatte.

Ihre Mutter hatte eine Affäre mit der Konkurrenz.

Na gut – eigentlich hatte Glenna auf dem College dasselbe getan, aber sie und Broderick hatten damals noch keine Positionen im jeweiligen Familienunternehmen bekleidet. Sie waren nicht wie ihre Eltern, die selbst in Gesprächen beim Abendessen die Fehde immer wieder mit Verdächtigungen und Gerüchten geschürt hatten.

Damals auf dem College hatte Glenna ein schlechtes Gewissen gehabt und war sich wie eine Verräterin vorgekommen, weil sie sich zu Broderick hingezogen gefühlt hatte. Genau wie vor einer Viertelstunde in ihrem Büro.

Jetzt warf sie einen Blick in den Sitzbereich zu dem … dem Sohn des Geliebten ihrer Mutter.

Das ist alles so surreal!

Broderick war nach wie vor unglaublich heiß. Er lehnte mit der Hüfte an einem der Ohrensessel und wippte unruhig mit dem Fuß. Ihre Cousine sah zwischen ihnen beiden hin und her. Sage spürte offenbar, dass etwas nicht stimmte, hielt aber den Mund. Sie würde keine Fragen stellen.

Und sie würde nicht tratschen. Höchstwahrscheinlich war diese Eigenschaft Jeannie Mikkelson wichtig gewesen, als sie ihre Assistentin ausgewählt hatte.

Wusste Sage von der Affäre? Und vielleicht auch, was mit den Aktien los war? Wenn irgendein Hinweis auf die Beziehung zwischen den beiden Öl-Magnaten an die Öffentlichkeit gedrungen war, erklärte das möglicherweise die Schwankungen. Manche Investoren waren bestimmt verunsichert und verkauften ihre Anteile, während andere sich mehr sicherten.

So viele Fragen … Vor allem eine: Wie lange dauert es, sich etwas überzuziehen?

Glenna zuckte bei dem Gedanken zusammen.

Endlich schwang die Tür aus heimischer Gelbzeder auf, und ihre Mutter trat heraus. Jack Steele stand hoch aufgerichtet hinter ihr. Seine grünen Augen funkelten. Beschützend. Besitzergreifend. Glenna kannte seinen unnachgiebigen Blick aus geschäftlichem Kontext. Aber das hier war etwas ganz anderes.

Sie sah ihre Mom an.

Das Haar ihrer Mutter war noch feucht, aber abgesehen davon deutete nichts mehr auf das hin, was gerade passiert war. Jeannie Mikkelson wirkte so gelassen und stark wie immer. Sie hatte die Firma jahrelang an der Seite ihres Mannes geführt und dann allein das Ruder in die Hand genommen, nachdem sein erster Herzinfarkt ihn zum Pflegefall gemacht hatte.

Sie hatte dafür gesorgt, dass das Geschäft weiter auf Hochtouren lief und sogar nach dem Tod ihres Mannes Haltung bewahrt. Die ganze Familie war erschüttert gewesen, aber Glenna hatte Jeannie nur ein einziges Mal weinen sehen.

Ihre Mutter war gut darin, ihre Gefühle für sich zu behalten.

Deshalb war es keine Überraschung, dass sie auch jetzt undurchschaubar blieb.

Es ging nicht darum, dass sie eine Beziehung mit einem anderen Mann als Glennas Vater hatte. Das Entscheidende war, dass es ausgerechnet dieser Mann war.

Jack Steele sah wie eine ergraute Version seines ältesten Sohns aus. Er war noch gut in Form, aber das Alter hatte ihn etwas fülliger gemacht. Wie seine drei Söhne war er ein Original: Geschäftsmann und Cowboy. Ein Mann aus Alaska.

Glenna fiel die Überschrift ein, unter der eine Zeitschrift ihn porträtiert hatte: „CEO in Eskimostiefeln“.

Jeannie nickte ihrer Assistentin zu. „Sage, könntest du bitte alle Anrufe entgegennehmen und etwaigen Besuchern absagen? Das hier dauert wahrscheinlich eine Weile.“

„Natürlich, Tante Jeannie.“ Sage hielt schon ihr Tablet in der Hand. „Ich verlege deinen Elf-Uhr-Termin und sage Chuck, dass er mit ihm Mittagessen gehen soll.“

Chuck, alias Charles Mikkelson III, war Jeannies Sohn, Glennas Bruder und der Vizechef des Unternehmens. Er war der Kronprinz, der die Firma übernehmen sollte, wenn Jeannie in den Ruhestand ging.

Wenn sie das denn je tut. Jeannie war noch keine siebzig und so dynamisch und fit wie eh und je.

„Perfekt. Danke, Liebes.“ Jeannie winkte Glenna und Broderick in ihr Büro. Jack zog die Tür hinter ihnen zu und drehte den Schlüssel um, um sicherzugehen, dass niemand sie unterbrechen würde.

Glenna wankte ein wenig, und Broderick hielt sie an der Taille fest. Sie war ihm dankbar, dass er sie stützte, auch wenn es sich anfühlte, als würde seine Hand sie versengen.

Jack zog eine Augenbraue hoch und sagte: „Setzen wir uns doch alle.“

Verlegen rückte Glenna von Broderick ab. Die Stelle, an der er sie berührt hatte, prickelte noch immer.

Der Steele-Patriarch zog einen der grünen Klubsessel näher an einen zweiten und berührte Jeannie leicht am Arm, als sie sich darauf niederließ. Dann sah er Richtung Sofa. Anscheinend sollten Broderick und Glenna sich darauf setzen wie zwei Kinder, denen die Eltern die Leviten lesen wollten.

Broderick sagte immer noch nichts, machte es sich aber neben ihr auf dem apfelgrünen Sofa bequem. Glenna wurde nicht schlau aus ihm, und es brachte sie durcheinander, dass sein Knie ihres streifte.

Was zum Teufel ist bloß mit diesen Steele-Männern los?

Ihre Mutter und Jack hielten jetzt Händchen wie Teenager. Es war irgendwie süß, verstörte Glenna aber trotzdem. „Mom, ich möchte nicht schnüffeln, aber du verstehst sicher, dass ich angesichts unserer Familiengeschichte etwas verwirrt bin.“

„Mir ist klar, dass das hier mehr als nur ein bisschen peinlich ist, Glenna. Wir hatten eigentlich gehofft, bald mit allen sprechen zu können.“

Broderick klopfte mit dem Umschlag auf seinem Oberschenkel herum. „Worüber? Über eure Beziehung oder über etwas anderes? Etwas, das, sagen wir, mit dem Geschäft zu tun hat?“

Jack streichelte Jeannie mit dem Daumen über das Handgelenk. „Es war auch für uns überraschend. Solange wir noch verheiratet waren, ist nie etwas passiert. Wir haben beide glückliche Ehen geführt.“

Jeannie lächelte und drückte ihm die Hand, bevor sie fortfuhr: „Jack und ich haben in den letzten Monaten viel Zeit miteinander verbracht, weil wir verschiedene Fragen bezüglich der Umweltbehörde zu besprechen hatten.“

„Aber unsere Firmen sind doch Konkurrenten?“ Glenna verstand die Situation immer noch nicht.

„Unsere Unternehmen fressen einander bei lebendigem Leib auf. Wir laufen beide Gefahr, von Johnson Oil United übernommen zu werden. Ihr CEO Ward Benally tätigt seit einiger Zeit besorgniserregende Käufe. Aus Liebe zu dem, was wir aufgebaut haben, haben wir uns entschlossen, miteinander zu reden.“

Reden? Glenna konnte gar nicht anders, als zu bemerken: „Beim Reden ist es ja wohl nicht geblieben.“

Ihre Mutter prustete vor Lachen. „Eindeutig. Wir waren so erstaunt darüber wie ihr.“ Sie legte den Kopf schief. „Na ja – vielleicht nicht ganz so erstaunt wie ihr, als ihr die Badezimmertür geöffnet habt.“

Ihre Mundwinkel zuckten; dann lachte sie wieder los. Jack fiel mit ein, und sie tauschten einen unverkennbar intimen Blick.

Aus irgendeinem Grund machte das Glenna noch verlegener als die Entdeckung vorhin. Hier ging es nicht nur um Sex. Was sie sah, war eine echte Beziehung voller Verbundenheit, etwas, das ihr seit dem Tod ihres Mannes fehlte.

Sie war zwar nicht so lange verheiratet gewesen wie ihre Mutter, aber Glenna wusste, wie weh es tat, Witwe zu sein. Sie hatte ja noch nicht einmal ein gemeinsames Kind mit ihrem Mann, das sie lieben konnte.

Sie kniff sich in die Nasenwurzel, als ihr die Tränen kamen. So viel Verlust. So viele Veränderungen. Das ist zu viel für mich.

Broderick beugte sich vor und knallte den Umschlag auf den Sofatisch. „Wenn wir alle mit Lachen fertig sind, können wir wohl Eines festhalten: Ihr plant eine Fusion beider Unternehmen und rechnet damit, dass wir alle mitspielen, ohne dass ihr uns auch nur nach unserer Meinung fragt.“

„Nein“, stellte Jack fest.

„Natürlich nicht“, bekräftigte Jeannie. „Es hat sich zwischen uns nur alles so schnell entwickelt, dass wir noch keine Chance hatten, euch auf den neuesten Stand zu bringen.“

„Aber das tun wir sehr bald“, versprach Jack.

Broderick runzelte die Stirn. „Bitte sag, dass du nicht willst, dass wir uns alle an einen Tisch setzen, Dad.“

„Nicht beim allerersten Gespräch“, antwortete sein Vater. „So schlau sind wir auch.“

Ein Glück. So nahe bei Broderick zu sein, wenn auch nur für kurze Zeit, wirkte sich negativ auf Glennas Konzentrationsfähigkeit aus. Und sie musste einen kühlen Kopf bewahren – mehr, als ihr noch vor einer halben Stunde klar gewesen war. „Mom, was genau habt ihr vor?“

„Wir arrangieren erst einmal getrennte Familientreffen“, erläuterte Jeannie. „Wir müssen allen Zeit geben, zu verdauen, was wir zu sagen haben.“

„Aber dann …“ Jack hob einen Finger, als würde er einen Vortrag halten wollen.

Glenna biss gereizt die Zähne zusammen. Er war nicht ihr Vater. Und auch nicht ihr Boss. Noch nicht.

„Wir erwarten von allen, unsere Entscheidungen voll und ganz zu akzeptieren“, verkündete Jack.

Broderick schnaubte und lehnte sich zurück. „Dad, ich finde, du verlangst eine ganze Menge.“ Er wandte sich an Glenna. „Ich weiß nicht, wie das mit eurer Familie ist, aber meine Brüder und Schwestern werden ausflippen.“

Was das betraf, war Glenna vollkommen einer Meinung mit Broderick. Denn von ihren Geschwistern zu erwarten, eine jahrzehntelange Familienfehde nach einem einzigen Gespräch beizulegen und eine Fusion zu akzeptieren …

Da war „ausflippen“ noch stark untertrieben.

Broderick hatte schon in Spitzenrestaurants auf der ganzen Welt gegessen, aber kein Essen konnte mit der Küche hier in Kit’s Kodiak Café in einem kleinen Städtchen bei Anchorage mithalten. Der rustikale Diner lag am Rande der Bucht. Die großen Fenster boten klare Sicht auf den Hafen und den einen oder anderen Walrücken, der zwischen den Eisschollen auftauchte. Drinnen saßen an langen Holztischen lärmende Gruppen – wie seine Familie.

Er und seine Geschwister waren schon als Kinder immer wieder bei Kit’s gewesen. Ihr Vater war am Samstagmorgen oft mit ihnen hergefahren, damit ihre Mutter ausschlafen konnte. Broderick hatte damals noch nicht geahnt, dass der Milliardär Jack versucht hatte, ihnen bodenständige Werte zu vermitteln, indem er mit ihnen in ein normales Restaurant ging, in dem Countrymusik im Radio lief. Die Luft roch hier immer nach hausgemachtem Essen und Holzrauch. Als Junge hatte Broderick den ausgestopften Bären cool gefunden.

So ging es ihm noch heute.

Früher hatten die Steele-Kinder immer Rentierwürstchen, Eier und Pfannkuchen mit Waldbeersirup bestellt. Heute bevorzugte Broderick die pochierten Eier mit Lachs, aber seine Geschwister und er standen sich noch so nahe wie früher. Das war Segen und Fluch zugleich gewesen, als sie eine Schwester und ihre Mom bei einem Flugzeugabsturz verloren hatten.

Selbst wenn es am Tisch voll war, fühlte es sich an, als wäre ein Stuhl leer: Ihre Schwester Breanna war nicht mehr da. Manchmal baten sie versehentlich noch um einen Platz mehr als nötig.

Heute aber setzte sich Onkel Conrad zu den fünf verbliebenen Steele-Geschwistern. Der Bruder ihres Vaters war fünfzehn Jahre jünger als Jack. Als Ingenieur hatte er die Expansion der Firma nach North Dakota vorangetrieben. Die Steeles hatten in Alaska angefangen und sich Richtung Dakota vorgearbeitet. Die Mikkelsons waren in Gegenrichtung gewachsen.

Conrad griff nach der Kaffeekanne. „Wo ist Jack? Seit diese Gerüchte gestern Morgen die Runde gemacht haben, versteckt er sich. Es ist verdammt unhöflich von ihm, uns so lange warten zu lassen. Marshall, Broderick? Weiß irgendwer mehr?“

„Ich bin gerade erst angekommen. Ich war mit dem Wasserflugzeug draußen“, erwiderte Marshall. Als Rancher der Familie kümmerte er sich um ihr Land und überflog auch oft die Pipelines.

Conrad umfasste seinen Kaffeebecher mit beiden Händen. „Man sollte doch meinen, dass er die Anrufe seines Bruders annimmt.“

Der jüngste Steele-Bruder Aiden griff nach dem Sirup. „Sollte man meinen. Es ist doof, nie ganz ernst genommen zu werden, nur weil man der Jüngste ist.“ Sein Lächeln drang nicht bis in seine Augen vor. „Stimmt’s, Onkel Rad?“

„Nenn mich nicht so, du freches Gör. Du bist genauso schlimm wie dein Bruder.“ Conrad zeigte auf Broderick. „Ihr beide übertreibt es mit dem Sarkasmus. Nun sag schon, Broderick, stimmt es, dass du und Glenna Mikkelson-Powers deinen Dad mit …“

Conrad brach ab, schauderte und trank einen Schluck Kaffee, um sich zu stärken. Dann füllte er seinen Becher auf, hielt die leere Kanne hoch und lächelte die Kellnerin an, die sie ihm auf dem Weg zu einem anderen Gast aus der Hand nahm.

„In Wirklichkeit war es noch viel schlimmer …“ Broderick beugte sich zu seiner jüngsten Schwester.

„Unfassbar“, bemerkte Delaney und löffelte Waldbeeren auf ihren Haferbrei.

Naomi, älter als Delaney und die Mutigste und Direkteste im ganzen Rudel, stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Hat er wirklich mit Jeannie Mikkelson eine heiße Nummer geschoben?“

„Unter der Dusche?“

„In ihrem Büro?“

Die Fragen seiner beiden Brüder kamen wie aus der Pistole geschossen.

Broderick nahm etwas Lachs auf die Gabel. „Anscheinend muss ich euch gar nichts mehr erzählen.“

Naomi strich sich Marmelade auf den Toast. „Welcher Teufel hat Dad nur geritten?“

Conrad hob den Kaffeebecher. „Oh, ich denke, das wissen wir alle.“

Delaney schlug mit ihrer Serviette nach ihm. „Sei nicht so vulgär.“

Eine Touristengruppe kam an ihrem Tisch vorbei. Die Steeles verstummten, bis die Leute wieder fort waren.

Naomi drehte ein Zuckertütchen zwischen den Fingern. „Glaubt ihr, dass es nur der Reiz des Verbotenen ist? Eine Affäre mit einer Mikkelson?“ Sie sah Broderick schief an. „Das hattest du ja auch schon …“

Broderick musterte seine Schwester aus schmalen Augen.

„Okay, okay.“ Sie kippte noch mehr Zucker in ihren Kaffee. „Verdammt, heute sind alle so gereizt.“

„Na ja“, gestand Delaney leise. „Ich habe vorhin mit Dad telefoniert. Er wollte mir zwar keine Details verraten, aber er hat zugegeben, dass sie ineinander verliebt sind.“

Aufkeuchen und entsetztes Stöhnen ertönten über das Klappern des Bestecks hinweg.

„Was meinst du, Broderick?“, fragte Conrad. „Du hast sie ja zusammen gesehen.“

„Ich würde sagen, dass Dad es ernst mit ihr meint“, antwortete er, ohne zu zögern.

„Glaubst du, dass das schon lange läuft?“ Naomi zog die Augenbrauen hoch.

„Und wie ernst ist es? Ernst genug für … eine Ehe? Was soll aus der Firma werden?“ Marshall fuhr sich durch die braunen Locken.

Delaney rührte die Beeren in ihren Haferbrei. „Konntest du sie nach Einzelheiten fragen, was ihre Pläne angeht?“

Broderick schüttelte den Kopf. „So tief sind wir in die Diskussion gar nicht eingestiegen. Dad hat gesagt, dass er mit uns allen sprechen will, während Jeannie Mikkelson mit ihren Kindern redet – aber getrennt.“

Aiden nahm sich noch drei Pfannkuchen von der Servierplatte in der Mitte des Tisches. „Aber unsere Familien hassen sich.“

„Vielleicht nur die Väter?“, fragte Delaney leise.

Broderick schüttelte noch einmal den Kopf. „Jeannie Mikkelson war immer genauso sehr Teil des Unternehmens wie ihr Mann. Sie ist anders als Mom.“

Bei der Erwähnung ihrer Mutter verstummten die Geschwister. Sie hatten sich nie wirklich damit abgefunden, dass sie ihre Mom und Breanna so unerwartet verloren hatten. Ein Flugzeugabsturz an einem Berg … Nach den Flammen war von dem Wrack nicht mehr viel übrig gewesen. Ihr Vater hatte die Leichen gesehen, aber er hatte seine Kinder davon ferngehalten.

Naomi trank einen Schluck Kaffee. „Vielleicht können wir Dad klarmachen, dass das hier fürs Geschäft fatal ist. Der Aufsichtsrat dreht durch, und die Aktionäre reagieren bestimmt heftig auf die Ungewissheit.“

Broderick rieb sich das Kinn. „Willst du ihnen raten, sich aus Profitgründen zu trennen? Das klappt nicht – jedenfalls nicht bei unserem Dad.“

Sein jüngster Bruder riss erschrocken die Augen auf und warnte Broderick damit etwas zu spät, als eine vertraute tiefe Stimme hinter ihm ertönte.

„Was klappt bei mir nicht?“

Jack Steele war da.

3. KAPITEL

Broderick stellte vorsichtig seinen Kaffeebecher ab, während er sich eine Antwort für seinen Vater einfallen ließ, die weder seinen alten Herrn noch den ganzen Tisch voll gereizter Steeles auf die Palme bringen würde.

Seine Familie neigte dazu, ihrem Temperament freien Lauf zu lassen. Besonders, seit die Friedensstifterinnen gestorben waren: seine Mutter und seine Schwester. Heute versuchte Delaney oft, die Familienstreitigkeiten zu schlichten, aber sie war nur eine leise Stimme inmitten einer Flut durchsetzungsstarker Persönlichkeiten.

Als er schon nahe daran war, das Thema zu wechseln, bewahrte Conrad ihn davor, antworten zu müssen, indem er aufstand und noch einen Stuhl heranzog.

„Setz dich, Jack. Du bist der Mann der Stunde. Spann uns nicht länger auf die Folter.“ Er klopfte seinem Bruder auf die Schulter.

„Danke, dass ihr euch so kurzfristig hier mit mir treffen konntet.“ Jack winkte die Kellnerin heran, als er sich setzte. „Für mich bitte das Übliche.“ Wie seit Jahrzehnten bestellte er damit Sauerteigwaffeln. Anders als früher aß er sie jetzt lieber mit Obst als mit Sirup, aber wie immer dominierte er den Tisch sofort, wenn er am Kopfende saß.

Jacks ältester Sohn zu sein, war nicht einfach. Es fiel Broderick nicht leicht, in die großen Fußstapfen seines Vaters zu treten. Aber er würde nicht tatenlos zusehen, wie das Familienunternehmen in Gefahr geriet. Er wusste, dass Glenna dasselbe empfand, was das Erbe der Mikkelsons anging.

Seltsam, dass wir diesmal auf einer Seite stehen.

Broderick musterte seinen Vater prüfend. Er musste auf die richtige Gelegenheit warten und durfte keine Schwäche zeigen. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Conrad setzte sich wieder. „Danke, dass du dir für uns Kleider angezogen hast. Der arme Broderick wirkt immer noch, als ob er einen stärkenden Drink braucht.“

Jack presste die Lippen so fest zusammen, dass sie unter seinem Schnurrbart verschwanden. „Reiß das Maul nicht so weit auf, Bruder.“

Conrad lächelte unverfroren. „Ist ‚Aufreißen‘ wirklich das passende Thema?“

Jack verschränkte die Arme. „Was das betrifft, habe ich keinen Sinn für Humor. Du bist respektlos gegenüber Jeannie, und das lasse ich mir nicht bieten.“

„In Ordnung“, lenkte Conrad ein. „Aber du musst verstehen, dass wir alle mehr als nur ein wenig verblüfft sind.“

Zum Teufel mit der Warterei! Broderick sah die Chance, die Kontrolle über das Gespräch zu übernehmen – nicht nur im Namen seiner Familie, sondern auch für Glenna. „Wir sind in dem Glauben aufgewachsen, dass unsere Familien verfeindet sind. Ich weiß nicht, wie oft ich dich auf beide habe fluchen hören – auf Jeannie und auf Charles Mikkelson.“

„Die Dinge ändern sich“, sagte Jack schlicht. „Ich schulde keinem von euch eine Erklärung, aber Jeannie und ich lieben einander. Sehr sogar. Wir wollen heiraten …“

„Heiraten?“, unterbrach Aiden ihn.

Alle anderen starrten in benommenem Schweigen vor sich hin und sahen dann Broderick an, als hätte er ein Geheimnis vor ihnen gehabt. Er schüttelte den Kopf und presste sich die Finger an die Schläfen, um seine beginnenden Kopfschmerzen unter Kontrolle zu bringen. Er hatte nicht geschlafen, sondern nur gegrübelt, wie ernst das Verhältnis seines Vaters zu Jeannie war. Eine Fülle von Fragen hatte ihn wachgehalten. Ganz zu schweigen davon, dass immer wieder Glenna in ihrem engen Rock vor seinem inneren Auge erschienen war. Das Wiedersehen mit ihr hatte lebhafte Erinnerungen wachgerufen.

„Ja“, bestätigte Jack in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Heiraten. So bald wie möglich, da unser Geheimnis jetzt ans Tageslicht gekommen ist. Jeannie und ich haben gestern Abend ausführlich darüber gesprochen. Deshalb haben wir auch keinen eurer Anrufe entgegengenommen.“

Broderick konzentrierte sich auf das entscheidende Wort in der Antwort seines Vaters. „Bald?“

„Ja. Da ihr ohnehin schon Bescheid wisst, müssen wir ja nicht mehr auf den perfekten Zeitpunkt warten, es euch schonend beizubringen. Die Ereignisse des gestrigen Nachmittags haben uns in Zugzwang gebracht. Jeannie spricht jetzt auch mit ihren Kindern.“ Er sah Broderick an. „Du weißt das sicher schon, da du ja mit Glenna geredet hast.“

Die Erwähnung der Mikkelson-Finanzchefin sorgte hier und da am Tisch für hochgezogene Augenbrauen. Seine Geschwister sahen ihn schief an.

Broderick beugte sich vor und verdrängte den Gedanken an Glenna und ihr blondes Haar. „Bleiben wir beim Thema, Dad. Du bist hier, um uns über deine Verlobungspläne mit einer Frau zu informieren, von der wir dachten, du würdest sie nicht mögen. Habe ich das richtig zusammengefasst?“

„Es geht um mehr als nur Verlobungspläne. Wie gesagt, wir heiraten. Bald.“ Jacks Ton war streng wie ein Winter in Alaska.

„Wie bald?“, fragte Naomi. Sie hing mehr an ihrem Vater, als sie es sich gern anmerken ließ.

Jack wartete, bis die Kellnerin seine Waffeln vor ihm abgestellt hatte und wieder gegangen war. „Jeannie und ich heiraten an meinem Geburtstag. So vergesse ich meinen Hochzeitstag bestimmt nie.“ Er lachte und amüsierte sich offenbar prächtig.

Broderick stellten sich die Nackenhaare auf. „Dein Geburtstag ist …“

„In zwei Wochen.“ Jack nickte knapp.

„Oh Gott“, flüsterte Naomi, und alle Mitglieder des Steele-Clans spürten das Echo ihrer Worte tief in der Magengrube.

Broderick sackte auf seinem Stuhl zusammen. Das hatte er nicht kommen sehen. Zorn brodelte in seinem Bauch. Er hatte sich nach einem der unvergesslichsten Wochenenden seines Lebens aus Familienloyalität von Glenna getrennt. Sogar jetzt konnte er fast noch ihre vollen Lippen schmecken. Und doch hatte er das Begehren verdrängt. Er hatte es dem Wahlspruch der Steeles geopfert: Die Familie steht über allem.

Wo war diese Familienloyalität jetzt?

Vor Wut schwieg er eisern. Er hatte Angst, sonst etwas zu sagen, was er bereuen würde. Seine Geschwister hatten das Problem nicht. Ihre schockierten Äußerungen kamen gleichzeitig, sodass es schwer war, festzustellen, wer eigentlich was sagte.

Broderick zwang sich, nicht länger an Glenna zu denken, sondern an die Zukunft des Öl-Imperiums der Steeles. „Was ist mit den Aktienverkäufen? Weiß irgendjemand von eurer Beziehung? Wenn ihr euch immer im Büro trefft, haben andere vielleicht schon etwas ausgeplaudert. Dad, du musst doch wissen, was das für die finanzielle Situation beider Firmen bedeutet.“

„Ja, was das betrifft …“ Jack säbelte ein Stück von einer seiner Waffeln ab und spießte es auf. „Wir wollen mit euch an einer Präsentation für den Aufsichtsrat arbeiten, um unsere Fusionspläne vorzustellen.“

Normale Firmen konnten fusionieren. Aber das hier war wie eine Kombination aus Zunder und Streichhölzern. Flammen, eine Explosion – und als Endergebnis vielleicht die Zerstörung all dessen, was sie aufgebaut hatten.

Die Bestätigung von Brodericks schlimmsten Befürchtungen fachte seinen Zorn zu lodernder Wut an. Sein Vater setzte alles aufs Spiel, was Broderick sein ganzes Erwachsenenleben über bewahrt und ausgebaut hatte.

„Du kannst nicht von uns – von mir – erwarten, das zu akzeptieren!“

Jack beugte sich vor, bis er Nase an Nase mit seinem ältesten Sohn war – reines Dominanzgebaren. „Genau das erwarte ich von dir. Ich bin immer noch der Mehrheitseigner von Steele Industries, und Jeannie besitzt ebenfalls die Aktienmehrheit an ihrer Firma. Der Aufsichtsrat hat vielleicht Einwände. Aber Jeannie und ich haben alles durchdacht. Es wird Zeit, dass dieser Kleinkrieg zu Ende geht. Wir fusionieren. Du kannst mitziehen, um uns stärker zu machen, oder dir deinen Anteil auszahlen lassen. Ich kaufe ihn dir zu einem fairen Preis ab. Deine Entscheidung.“

„Denk gut nach, was du sagst, Bruder!“ Conrad legte Jack erschrocken die Hand auf den Arm. „Willst du wirklich deine Kinder ausbooten? Dein eigen Fleisch und Blut?“

Broderick fragte sich dasselbe. Wenn sein Vater von ihm erwartete, die Firma kampflos aufzugeben, würde er sich noch wundern.

Jack kaute nachdenklich. „Ich sagte ja nur, dass jeder, der die Firma verlassen möchte, das gern tun kann.“

Marshall meldete sich zu Wort. „Und was ist mit unseren Jobs? Mit dem Landbesitz der Familie, unserem Erbe?“

„Nun mal langsam, bei dem Thema sind wir noch gar nicht“, erklärte Jack. „Die Umstrukturierung schafft auch neue Möglichkeiten.“

Umstrukturierung?

Der Begriff spukte geschlagene fünf Sekunden in Brodericks Kopf herum, bevor er sich zu einem Bild verfestigte, das für die Steeles wie für die Mikkelsons komplettes Chaos bedeuten würde.

„Dad, so etwas sage ich normalerweise zu Angestellten, die ich entlassen muss.“

Sein Vater lächelte. „Dann bist du im Vorteil, wenn es darum geht, wer Finanzchef des ganzen Unternehmens wird.“

Gerade, als Broderick gedacht hatte, dass seine Welt nicht noch mehr aus der Bahn geraten konnte, wurde er eines Besseren belehrt.

Sein Vater hatte sich unmissverständlich ausgedrückt. Nur einer konnte den Posten des Finanzchefs übernehmen, Broderick oder Glenna. Einer von ihnen würde den anderen verdrängen.

„Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich meinen Hund mitgebracht habe.“

Glenna kniete sich hin und schmiegte das Gesicht an den flauschigen Husky-Welpen, der artig vor ihr saß. Das süße Fellknäuel war ihr nach dem Tod ihres Mannes ein Trost.

Sie spürte, dass Brodericks Blick auf ihr ruhte. Als sie aufschaute, sah sie, dass er sie von der anderen Seite seines Büros aus aufmerksam musterte. Elektrizität schien in der Luft zwischen ihnen zu knistern.

„Es stört mich kein bisschen“, antwortete er. „Wie heißt der Kleine?“

„Kota. Wie in Dakota.“ Sie löste die Leine, stand auf und behielt Kota im Auge, während er den Raum erkundete. Der Hund schnüffelte neugierig an Brodericks Lederstiefeln. Neben dem eleganten schwarzen Stuhl blieb er stehen und richtete die gletscherblauen Augen auf Broderick.

Der Steele-Finanzchef räusperte sich, ging um seinen Tisch herum zur Minibar und holte eine Flasche Wasser daraus hervor, die an einem nahen Gletscher abgefüllt worden war. Die Kohlesäure sprudelte in den Gläsern, als er einschenkte.

Eine Millisekunde lang fing Glenna seinen Blick auf, und ihr lief ein Kribbeln über den Rücken. Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge, aber sie wusste, dass sie sie unterdrücken musste. Hier ging es ums Geschäft.

„Danke für dein Verständnis. Kota wird im Hundekindergarten zwar immer gut betreut, aber ich möchte, dass er mich besser kennenlernt.“ Sie verwuschelte Kotas schwarz-weißes Fell.

„Er ist ein süßer Welpe und benimmt sich sehr gut. Es macht mir nichts aus“, antwortete Broderick.

Glenna hätte im Traum nicht damit gerechnet, dass Broderick binnen sechsunddreißig Stunden zurück in ihr Leben stürmen und mit ihr zusammenarbeiten würde.

Aber darum hatte ihre Mutter sie nachdrücklich gebeten, nachdem sie die Bombe hatte platzen lassen. Sie wollte einen Bericht von ihnen beiden.

„Wie ist das Treffen mit deinen Geschwistern und deiner Mutter gelaufen?“

Seine Stimme klang warm wie Whiskey, und sofort prickelte es in ihrem Innern, als hätte sie an einem eisigen Schneetag gerade einen heißen Grog getrunken.

Sie konzentrierte sich auf den Welpen, der vertrauensvoll zu ihr aufsah. „Wir mussten das Gespräch per Telefonkonferenz führen. Das Flugzeug meines jüngeren Bruders hatte Probleme, aus North Dakota hierher durchzukommen. Alle in der Leitung sind höflich geblieben.“

„Aber das ist doch gut, oder?“, fragte Broderick.

Sie zuckte die Schultern. „Wer weiß? Das dicke Ende könnte immer noch kommen.“

Und dann würde es ein unbarmherziger Sturm werden, voller Emotionen und Debatten, der alle Hunde und Katzen im Ranchhaus unter Tische und Stühle flüchten lassen würde.

Eis klirrte und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Broderick, der ihre Wassergläser um Limonenscheiben ergänzte. Dann schüttete er die Süßigkeiten aus einer Kristallschale und füllte die leere Schüssel mit dem restlichen Wasser.

Die freundliche Geste ihrem Hund gegenüber ließ ihr Herz schneller dahinschmelzen als die Sonne einen Schneemann. „Mein ältester Bruder Charles hat wahrscheinlich vor allem dank seiner Frau ruhig geklungen. Trystan war mürrisch, aber beherrscht.“

„Und deine Schwester?“ Broderick stellte Gläser und die Schale auf ein Tablett, bevor er an den Tisch in der Ecke zurückkehrte. Es war kein richtiger Konferenztisch, sondern ein behaglicher Sitzbereich, der ihr im Moment nicht annähernd groß genug vorkam.

„Alayna ist harmoniesüchtig. Wenn ich ihr nicht in die Augen sehe, bin ich mir bei ihr nie sicher.“ Sie griff nach ihrem Glas. Ihre Hand streifte seine und setzte ihre Sinne in Flammen. Sie trank rasch einen Schluck, um ihre Aufregung zu kaschieren. „Danke dafür.“

„Ich habe uns etwas zu essen bestellt, aber wenn du jetzt schon verhungerst, liegen in der Minibar ein paar Müsliriegel.“

„Nein danke, ich warte lieber.“

„Ich habe reichlich bestellt. Vor uns liegt eine lange Nacht.“

Sie sah ihm in die Augen und suchte nach einer Zweideutigkeit, aber heute Abend war sein Blick ernst. Nichts erinnerte mehr an die Neckereien neulich in ihrem Büro.

Die drei Tage seitdem waren ernüchternd gewesen. „Ich bin mir nicht sicher, wie wir das schaffen sollen.“ Sie schob sich einen Bleistift in den lockeren Haarknoten. „Wie arbeiten wir zusammen und wahren dabei dennoch die Interessen der beiden Unternehmen?“

„Des einen Unternehmens, wenn wir das, was unsere Eltern sagen, für bare Münze nehmen.“ Er stellte Kota die Wasserschale hin.

„Ich verstehe einfach nicht, wie sie von ihren Angestellten erwarten können, jahrzehntelanges Misstrauen und alle Verschwiegenheitserklärungen zu vergessen. Ich weiß ja noch nicht einmal, wie wir das bewältigen sollen.“

„Wir haben keine Wahl.“

Nur der eisige Regen, der gegen die Fenster prasselte, durchbrach die Stille.

Glenna trommelte mit den Fingern auf dem Rand ihres Laptops herum. Sie war sich immer noch nicht sicher, wie viel sie offenlegen sollte. Aber Jeannie und Jack wollten ein Info-Paket für den Aufsichtsrat, um die Investoren zu beruhigen, und das erforderte, dass sie und Broderick zusammenarbeiteten. „Wie war denn das Treffen mit deinem Vater und dem Rest deiner Familie?“

„Wir stehen noch immer unter Schock.“

„Kaum eine Stunde nach der Telefonkonferenz haben meine Schwägerin und meine kleine Schwester Nachrichten in die Runde geschickt, dass wir eine Art Junggesellinnenabschied für meine Mutter mit den Frauen beider Familien organisieren sollten. Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht gleich gratuliert und alles Gute gewünscht habe.“

„Du darfst nicht vergessen, dass die anderen auch nicht mit ansehen mussten, wie …“

„Erinnere mich nicht daran! Meine Reaktion tut mir leid. Meine Mutter ist erwachsen. Sie hat Anspruch auf ihr eigenes Leben. Es fällt mir nur schwer, diese Beziehung in positivem Licht zu sehen, nachdem unsere Eltern unser Leben lang über das Geschäftsgebaren der anderen Seite hergezogen haben.“

Broderick ließ einen Bleistift so zwischen den Fingern kreisen, dass er immer wieder rhythmisch auf die Tischplatte traf. Sie beobachtete die kontrollierte Bewegung gebannt. Erst sein herausfordernder Ton riss sie aus ihrer Trance.

„Was genau stört euch denn an der Art, wie wir unser Unternehmen führen?“

„Ich bin nicht auf einen Streit aus.“ Sie wurde unwillkürlich laut, und ihr Welpe setzte sich auf und winselte. „Wir müssen das irgendwie ausdiskutieren.“

„Nein. Wir müssen nur einen stimmigen Finanzplan erstellen, den wir dem Aufsichtsrat präsentieren können. Einen Weg, die Vermögenswerte zu kombinieren und dabei möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten.“

Sie schnippte mit den Fingern, um Kota zu sich zu rufen. „Und um im Rennen um die Pipeline zu bleiben.“

Er ging sofort auf ihren Gedanken ein. „Um sie schneller und sicherer zu bauen, damit wir mehr Öl transportieren können und konkurrenzfähig bleiben. Das ist eine Frage der Selbsterhaltung.“

„Stimmt.“ Sie streichelte ihrem Husky den Rücken. Die flauschige Struktur seines Fells war tröstlich.

Und sie konnte allen Trost gebrauchen, den sie bekommen konnte, solange sie mit Broderick in diesem Zimmer festsaß. Der frische Zedernduft seines Aftershaves überwältigte ihre Sinne und verlockte sie bei jedem Atemzug. Mein Körper will ihn … Aber ihr Verstand rebellierte.

Sie trauerte immer noch um ihren verstorbenen Mann. Sie hatte ihn während ihrer Ehe geliebt, trotz aller Konflikte und obwohl sie so verdammt hart an ihrer Beziehung hatten arbeiten müssen. Doch ihr Körper sehnte sich nach einem Mann. Nach Broderick.

Sie holte Luft und erschauerte beim köstlichen Kitzeln seines Dufts. „Willst du noch mehr als … das hier? Den Job, das Büro?“

„Nein“, antwortete er ohne Zögern. „Heißt das, dass du mehr willst? Was denn?“

Ist es nur Einbildung, oder hat er tatsächlich bei der Frage die Stimme gesenkt?

Er sah ihr so feurig in die Augen, dass seine Hitze sie innerlich versengte.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, während sie um Fassung rang. Um professionelle Distanz.

„Oh, so leicht wirst du mich nicht los. Mein Job steht nicht zur Verfügung.“ Sie zog sich den Stift aus den Haaren und zeigte auf ihn. „Und ich auch nicht.“

Das musste sie sich selbst genauso ins Gedächtnis rufen wie ihm.

Finger weg von Broderick Steele.

„Warum nicht?“ Er musterte sie fragend, als ob er die Idee wirklich in Erwägung zog und nicht nur flirtete.

Etwas an seinem Ton machte sie misstrauisch. Und ließ ihr sehr, sehr heiß werden.

Sie holte tief Luft und war sich der Reaktion ihres Körpers auf diesen Mann nur zu gut bewusst.

„Seit du vor drei Tagen in mein Büro gekommen bist, hat alles, was du sagst, einen anzüglichen Unterton.“ Sie musste das Gespräch in eine andere Richtung lenken, bevor sie sich fragen konnte, ob ihr das nicht gerade gefiel. „Sex würde zwischen uns alles nur noch komplizierter machen.“

„Warum denn?“ Sein Grinsen ließ Grübchen in seinen Wangen erscheinen.

„Du bist so klug, das selbst zu wissen.“ Sie sah nach unten und schüttelte den Kopf, während sie so tat, als würde sie seine Stiefel mustern. „Wir müssen diese angespannte Situation nicht unbedingt noch mehr aufheizen. Wir sind keine Studenten mehr, die auf einer Party zu viel getrunken haben.“

„Du hast recht. Wir sind keine rebellischen Jugendlichen mehr. Wir sind erwachsen und wissen genau, was los ist. Unsere Eltern heiraten. Wahrscheinlich müssen wir von nun an jedes Jahr zu Weihnachten gemeinsam am Esstisch sitzen.“ Er beugte sich zu ihr. Sie nahm seinen Moschusduft wahr, das spielerische Grollen in seiner Stimme. „Aber zum Glück gibt es ja Mistelzweige.“

Die Szenerie, die er heraufbeschwor, ließ das Feuer in ihrem Bauch abkühlen. Das Bild, das er zeichnete, war ihr zu … familiär. „Das ist nicht witzig. Du bist höllisch sexy, und ich fühle mich ganz offensichtlich zu dir hingezogen. Aber ich habe schon genug verloren. Ich will nicht auch noch meinen Job und meine Familie riskieren.“

„Das Begehren ist also gegenseitig? Das höre ich gern.“ Er fasste nach ihrer Hand.

„Wie gesagt: Du bist ein kluger Mann. Das wusstest du doch schon.“ Sie streichelte für einen Augenblick seine Finger, bevor sie ihm ihre Hand entzog.

„Nein, nicht sicher. Vor all den Jahren bist du abgehauen – nach einem Wochenende, das ich ganz unglaublich fand.“

„Es war … unvergesslich“, räumte sie ein und setzte dann hastig hinzu: „Aber heute wissen wir doch beide, wie schwierig alles geworden wäre. Denk nur daran, wie unmöglich es uns erscheint, dass dein Dad meine Mom heiratet. Wie hätten wir uns nach einem einzigen impulsiven Wochenende unserer Familienfehde entgegenstemmen können?“

„Und später hast du geheiratet.“ Sein Tonfall war ausdruckslos.

„Ja.“ Sie hob trotzig das Kinn. „Und du musst zugeben, dass dein Ruf als Frauenheld wohlverdient ist. Die Artikel in der Regenbogenpresse geben sicher nicht alle nur Gerüchte wieder.“

„Die Klatschtanten sind jetzt mit meinem Vater und deiner Mutter beschäftigt. Ich glaube nicht, dass sie Zeit für uns haben.“ Er fuhr ihr mit den Fingerknöcheln über die Wange und weckte blitzartig ein heißes Sehnen in ihr, bevor er an seinen Computer zurückkehrte. „Denk darüber nach.“

Die Einladung in seinem Blick war nicht zu übersehen. Und so einsam, wie sie seit einer Weile war, sehnte ihr Körper sich einfach nach der Berührung eines Mannes. Dieses Mannes.

Nein.

Mit Broderick würde es nicht bei einer Berührung bleiben.

Und einfach würde es auch nicht werden.

4. KAPITEL

Jack Steele hatte von Anfang an gewusst, dass es schwer werden würde, seine und Jeannies Kinder von der Fusion zu überzeugen, aber mit derart sturer Ablehnung hatte er nicht gerechnet.

Sein großes Blockhaus lag weit hinter ihm. Er ließ sich tiefer in den Sattel sinken und hoffte, dass der rhythmische Schritt des Quarterhorses seinen Frust etwas lindern würde. Nach dem Tod seiner Frau war das Reiten seine Rettung gewesen. An der frischen Luft fühlte er sich geborgen, ob bei Tag oder bei Nacht.

Im Moment glitzerte die Sonne auf den schneebedeckten Bäumen und Bergen – und auf Jeannies Haar. Sie ritt neben ihm. Er hatte davon geträumt, mit ihr auszureiten, sobald sie sich öffentlich miteinander zeigen konnten. Ein Grund mehr, mich zu freuen, aber die Welt steht Kopf.

Jack hielt die Zügel locker. Er hatte die gescheckte Stute Willow für Jeannie gesattelt. Die Frau war ein Naturtalent. Das hatte er gleich geahnt. Ihr helles Haar quoll offen unter der Kapuze ihres Parkas hervor. Sie saß selbstsicher im Sattel. Die sanften Kurven ihres schlanken Körpers zogen ihn magisch an. Die langen Beine, die ihn daran denken ließen, wie gern er ihr Stiefel, Jeans und seidene Leggings ausziehen würde …

Er würde nie den Augenblick vor sechs Monaten vergessen, als sie auf einer Industriekonferenz in Juneau plötzlich allein gewesen waren. Er hatte sie angesehen. Sie hatte ihn angesehen.

Und die Welt hatte sich verändert.

Er hatte sie gebeten, etwas mit ihm trinken zu gehen. Sie hatte Ja gesagt … Und jetzt waren sie hier. Zusammen. Fest verbunden.

Er räusperte sich in der eisigen Luft und kehrte in die Gegenwart zurück. Zu seinem ersten Ausritt mit Jeannie. Er konnte sich viele weitere Ausflüge dieser Art vorstellen.

Sobald sie die Meinungsverschiedenheiten mit ihren Kindern beigelegt hatten.

Verdammt. Jeannie und ich sind doch erwachsen! Ihre jeweiligen Ehepartner waren vor Jahren gestorben. Und er war nicht bereit, für immer ein einsames Leben als Witwer zu führen.

Wenn ich eine andere gefunden hätte, die nicht ausgerechnet Mikkelson heißt … Aber das Leben hatte ihm schon immer Knüppel zwischen die Beine geworfen. Er wusste, wie kostbar das Glück war, und war deshalb umso entschlossener, es zu genießen.

Er warf einen Blick auf Jeannie, die neben ihm so königlich und schön dahin ritt. Sie raubte ihm einfach den Atem. „Danke, dass du heute mit mir hergekommen bist.“ Er konnte immer noch nicht fassen, dass sie sich bereit erklärt hatte, bald zu ihm zu ziehen.

Sie ließ den Blick von seinem riesigen Haus zu dem Wasserflugzeug schweifen, das auf dem See schaukelte. „Hier ist es wunderschön. Ich verspreche dir auch, dass ich es langsam damit angehen lasse, allem meinen eigenen Stempel aufzudrücken. Ich will bei den Steeles nicht alles über den Haufen werfen.“

„Es ist auch dein Zuhause“, sagte er mit Nachdruck. „Deine Entscheidungen sind meine.“

Ihr Atem bildete ein weißes Wölkchen in der Nachmittagsluft. „Wenn es doch nur so einfach wäre!“

„Nichts im Leben war für mich oder meine Familie je einfach. Meine Kinder sind hart im Nehmen. Wenn sie die erste Überraschung überwunden haben …“

„Den Schock“, verbesserte Jeannie.

„So kann man es auch ausdrücken.“ Er musste lachen, als er an Brodericks und Glennas Gesichter beim Öffnen der Badezimmertür dachte. „Sie haben es jedenfalls nicht ganz allmählich erfahren, wie wir es eigentlich geplant hatten.“

Jeannie lachte mit ihm. Der Klang ihrer Stimmen vereinte sich im Wind.

Verdammt, ich werde auf meine alten Tage noch ganz poetisch.

Das macht die Liebe eben mit einem Mann.

Er griff nach den Zügeln von Jeannies Pferd und parierte beide Tiere durch, sodass sie dicht nebeneinander zum Stehen kamen. Dann strich er Jeannie die Haare zurück und schob sie unter ihre Kapuze. „Was wir zusammen gefunden haben, ist ein Geschenk.“

Ihre blauen Augen glänzten vor Tränen. Sie berührte sein Handgelenk. „Eines, mit dem ich nie gerechnet hätte.“

„Und eines, das ich nicht wieder hergebe“, sagte er, ohne zu zögern.

„Selbst, wenn es deine Firma bedroht?“

„Selbst, wenn es deine bedroht?“

„Unsere“, antwortete sie lächelnd.

„Genau.“ Er ließ die Hand nach unten gleiten, um ihre Taille zu umfassen und sie aus dem Sattel auf seinen Schoß zu ziehen.

„Wir sind jetzt ein Team.“ Sie schlang ihm die Arme um den Hals und lehnte sich an ihn. „Das hier ist echt.“

„Ja, mein Schatz, sehr echt.“ So echt wie sein wachsendes Bedürfnis, sie auf der Stelle zu nehmen. Aber es war mehr als eine Affäre. Er liebte sie. „Unsere Familien müssen uns endlich unterstützen. Keine getrennten Treffen mehr. Sie müssen lernen, zusammenzuarbeiten, wenn die Fusion funktionieren soll.“

„Du hast recht.“ Sie küsste ihn erst einmal, dann noch einmal höllisch verführerisch. „Und je eher, desto besser. Für sie und für uns, denn ich liebe dich, Jack Steele.“

„Ich weiß. Ich liebe dich auch, Lady.“ Er drückte sie enger an sich und umfasste beide Zügel mit der Faust. „Und weißt du was?“

„Na?“

„Ich will dich. Sofort.“

Zu ihrem Glück war der Flugzeughangar ganz in der Nähe.

Glenna umklammerte den Rand ihres Stuhls. Sie saß im Wintergarten der Steele-Familienlodge. Es war ihr erstes großes Doppelfamilientreffen und absolut surreal.

Nicht, dass beide Clans sich schon komplett vermischt hätten. Die Frauen saßen je nach Familienzugehörigkeit auf unterschiedlichen Seiten des Raums. Glenna und ihre Schwester Alayna blieben dicht bei ihrer Schwägerin Shana sowie bei ihrer Mutter und Sage. Dagegen saßen die beiden Steele-Gastgeberinnen an der Bar. Sie sahen einander sehr ähnlich, obwohl sie vom Temperament her völlig unterschiedlich waren. Naomi war ein wildes Partygirl, Delaney eine ernste Umweltschützerin.

Die Männer unternahmen an dem sonnigen Tag, der die Schneeschmelze zu einem glitzernden Schauspiel machte, einen Ausritt. Das hier hätte auch ein Familientreffen in Glennas Elternhaus sein können, nur, dass doppelt so viele Leute wie sonst anwesend waren.

Durchs Fenster sah sie ihre beiden Brüder neben den fünf Steeles herreiten. Aber vor allem Broderick zog sie in seinen Bann. Sein Stetson überragte die der anderen, weil er so groß war. Er hielt die Zügel locker und selbstbewusst.

Sein Pferd Abacus verdiente fast so viel Aufmerksamkeit wie sein Reiter. Sie waren ein schönes Paar: dunkel, muskulös, eindrucksvoll. Sogar die Art, wie Abacus die Mähne schüttelte, verriet etwas über seine wilde, wenn auch gebändigte Natur. Die beiden bewegten sich im Gleichtakt, als wäre Brodericks Seele mit der des Pferdes verschmolzen.

Gibt es irgendetwas, das dieser Mann nicht im Griff hat?

Glenna streichelte Kota. Sein Fell zu berühren, beruhigte ihre Nerven.

Sie hatte die ganze Nacht über Brodericks Vorschlag nachgedacht. Aber sie waren keine Fremden, die sich zum ersten Mal begegneten. Er musste verstehen, dass sie nicht einfach dort weitermachen konnten, wo sie vor langer Zeit aufgehört hatten.

Aber was, wenn wir uns wirklich zum ersten Mal begegnet wären?

Ihr Blick wanderte zurück zu ihm. Er saß hochgewachsen und stark im Sattel. Sie verkrampfte sich vor Nervosität.

Auch wenn ich ihn heute zum ersten Mal gesehen hätte, müsste ich davonlaufen.

Denn dieses Begehren war mehr, als sie riskieren durfte. Ihre Gefühle mussten tabu bleiben. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den rustikalen Luxus im Wintergarten, der das genaue Gegenteil der minimalistischen Steele-Büros darstellte. Dicke Ledersessel und Sofas standen in dem lichtdurchfluteten Raum. Hohe Deckenbalken trugen Oberlichter und Laternen für die langen Winterabende. An der Steinwand gab es einen Kamin, in dem das Feuer prasselte. Ein Elchgeweih hing über dem Kaminsims. Die Bar quoll vor Snacks und Drinks über.

Und das Zimmer war voll misstrauischer Frauen, die sich auf Jeannies und Jacks Geheiß versammelt hatten.

Glennas Schwägerin Shana sprang plötzlich auf. „Wir spielen jetzt ein Partyspiel. Naomi und ich haben uns etwas einfallen lassen, um das Eis zu brechen.“

Aus ihrem Schaukelstuhl winkte Jeannie ab. „Bitte nicht eines dieser Spielchen, bei dem wir am Ende alle mit albernen Hüten dasitzen.“

Naomi stand auf. Sie trug Lederleggings zu einer dicken Fellweste. „Wir spielen das Datingspiel.“

Alayna runzelte die Stirn und sah eine Frau nach der anderen an. „Aber du bist doch verlobt, und du bist verheiratet, und …“

„Nein“, unterbrach Naomi. „Eine andere Art Datingspiel. Ich habe hier ein paar Textproben von einer Firma, die Leuten hilft, ihr Profil für Onlinedating-Seiten zu schreiben …“

Ihre Schwester lachte. „Was?“

„Du hast mich richtig verstanden, Delaney. Gerade Männern fällt es oft schwer, sich selbst zu beschreiben. Wir raten jetzt, wer echt und wer nur ein Poser ist.“

Shana warf ihre karamellfarbene Mähne zurück. „Also etwa ein Mann, der in einer Bar herumhängt und behauptet, Astronaut zu sein.“

„Sehr gutes Beispiel.“ Naomi ging zu einem Ecktisch. Dort war ein Laptop an drei Flachbildfernseher angeschlossen. „Die Namen sind geändert, um die Männer zu schützen. Na, wollen wir loslegen?“

„Ja, lasst uns anfangen“, sagte Glenna. Dann haben wir es schneller hinter uns, und ich kann nach Hause und muss nicht länger dieses peinliche Treffen ertragen – oder Brodericks verlockenden Anblick, wenn sein Pferd vor dem Fenster entlanggaloppiert …

Shana klatschte in die Hände. „Gut. Die Spielregeln lauten wie folgt: Wer eine Lüge erkennt, darf sich eine Belohnung aussuchen – einen Champagnercocktail oder einen Schokotrüffel.“

Delaneys Miene verriet, dass sie noch nicht überzeugt war. Das war Glenna auch nicht. Ihr Blick kehrte immer wieder zum Fenster zurück, zu der wilden Landschaft und zu der Präzision, mit der Broderick sein Pferd lenkte. Aber sie zwang sich, mitzuspielen. „Wo sind denn die Trüffel und der Alkohol?“

Naomi und Shana hoben beide jeweils eine Silberhaube von einer Servierplatte, während auf jedem Bildschirm mehrere Profile erschienen.

„Oh!“ Glennas Cousine Sage reckte die Hand in die Luft. „Das ist ganz einfach. Ich sehe schon fünf gruselige Typen, die gleich ihre Penislänge erwähnen.“

„Igitt.“ Alayna schüttelte den Kopf. „Und zwei haben auch noch ‚hart‘ im Nutzernamen.“ Sie und Sage liefen zur Bar und schoben sich eine Auswahl von Süßigkeiten in den Mund, um sie mit geschlossenen Augen zu genießen.

Glenna verschränkte die Arme. „Glauben Männer wirklich, dass wir auf so etwas stehen?“ Sie zeigte auf einen anderen Bildschirm. „Die Einträge da links scheinen echt zu sein.“

Ich kann ja kurz mitspielen und etwas Champagner trinken, bevor ich gehe.

Ihr Blick wanderte wieder zu Broderick. Sie konnte nicht hier bleiben, wenn er und die Männer nachher zurückkehrten. Sie hatte diese Woche schon so viel Zeit mit ihm verbracht, dass sie es nicht ertragen könnte, umgeben von der Familie im selben Haus mit ihm zu sein. Das kam dem behaglichen Mistelzweig-Bild zu nahe, das er in seinem Büro mit Worten für sie gemalt hatte.

Naomi nickte. „Gut gemacht, Stiefschwester. Nimm dir etwas Leckeres.“

Stiefschwester? Glenna marschierte geradewegs auf die Champagner-Shots zu. Ein Grund mehr, weshalb alles mit Broderick endlos kompliziert sein würde. Der süße Cocktail prickelte in ihrem Mund. Ja. Genau das, was ich brauche.

Vor allem, wenn sie einen Abend mit Broderick überstehen wollte, ohne den Verstand zu verlieren.

„Es gibt sicher auch gute Männer da draußen. Ehrliche.“ Glenna zog in Erwägung, sich einen zweiten Drink zu genehmigen. „Wir könnten eine Statistik aufstellen, wie viele es jeweils sind, aber man muss wachsam sein, Mädels.“

Naomi prustete los. „Oder Single bleiben.“

Shana lachte. „Wie zynisch.“

„Nur realistisch.“ Naomi wies auf die Bar. „Bitte bedient euch beim Essen, bevor die Männer zurückkommen.“

„Was?“ Alayna schwankte ein bisschen, als sie aufstand. Sie vertrug nicht viel Alkohol. „Das war alles?“

„Wäre dir ein Stripper lieber gewesen?“ Naomis Lachen klang aufrichtig. Ihre Ehrlichkeit gefiel Glenna. „Ich war ja durchaus dafür, aber jemand hat sein Veto eingelegt.“

Shana zuckte die Schultern. „Ich war mir nicht sicher, ob das Jeannie gefallen würde. Lasst uns jetzt lieber das tolle Essen genießen. Die Steeles haben wirklich einen außergewöhnlichen Koch. Möchtest du auch einen Drink, Jeannie?“

Jeannie schüttelte den Kopf.

Alayna stolperte zu ihrer Mutter und witzelte: „Schwanger bist du aber nicht, oder, Mom? Müssen wir vor der Hochzeit noch ein Aufklärungsgespräch mit dir führen?“

Glenna dachte an den Abend vor ihrer eigenen Hochzeit zurück. Ihre Mom und ihre Schwester hatten mit ihr Eis gegessen und Mädelsfilme geschaut. Ein Gefühlsmix aus Nostalgie und Kummer brach über sie herein.

Jeannie tätschelte Alayna amüsiert die Hand. „Ich glaube, ich weiß schon, was ich tue.“

„Eindeutig.“ Vor Glennas innerem Auge erschienen wieder die Bilder der schicksalhaften Begegnung im Bad, bevor ihre Gedanken zu einem ähnlichen Moment unter der Dusche zurückkehrten: mit Broderick auf dem College. „Vielleicht könntest du uns ja deinerseits ein paar Tipps geben …“

Die aufkeimende Geselligkeit nahm ein jähes Ende, als draußen laute Stimmen ertönten. Glenna sprang auf und spähte aus dem Fenster. Die Männer stiegen neben einem Range Rover von den Pferden. Eine junge Frau stand neben dem Auto. Sie hielt ein Baby im Arm, das in einen pinkfarbenen Parka eingemummelt war.

Neugierig starrte Glenna das niedliche kleine Bündel an. Das Getuschel der anderen hörte sie nur halb. Bevor sie sich fragen konnte, ob es eine gute Idee war, griff sie schon nach ihrem weißen Wollmantel und ihrem Kaschmirschal.

Zwei Sicherheitsleute kamen vom Zaun her zu den Männern gerannt.

Drinnen griffen auch die anderen Frauen nach ihren Mänteln, aber Glenna führte das Rudel an, weil sie zuerst am Ausgang war. Sie zog sich den Mantel über und öffnete die Tür. Kalte Luft schlug ihr entgegen.

„Ma’am.“ Conrad hielt beide Hände in die Luft. „Ich habe Sie nicht einmal berührt.“

Was zum Teufel … Glennas Blick kehrte zu dem Kind zurück. Wie immer zerriss es ihr das Herz, ein Baby zu sehen. Sie hatte mehrere Fehlgeburten hinter sich und war nie über den dritten Monat hinausgekommen.

Die Fremde ließ das Baby auf ihrer Hüfte wippen und zog einen Umschlag aus der Jackentasche. „Ich bin nicht die Mutter der kleinen Fleur. Ich arbeite in den Stallungen. Irgendjemand hat das Baby dort zurückgelassen. Ich habe es gefunden, als ich die Futter- und Wassertröge auffüllen wollte. Der Sicherheitsdienst versucht, herauszufinden, wie die Kleine hergebracht worden ist. Aber es lag ein Brief bei ihr …“

Jack nahm ihr den Umschlag aus der Hand und warf einen Blick darauf. Er blinzelte und sah erst Broderick, dann Glenna an, bevor er verkündete: „Er ist an Broderick adressiert … Und an Glenna.“

5. KAPITEL

Glennas Magen verkrampfte sich, als Jack vorlas, was auf dem Umschlag stand.

An Broderick und an mich?

Sie sah Broderick an, aber er wirkte so verwirrt, wie sie sich fühlte.

Glenna riss den Blick von seinem markanten, mit Bartstoppeln übersäten Kinn los. Was hat dieses Kind mit mir zu tun? Mit uns beiden? Noch während sie es dachte, konnte sie gar nicht anders, als nach dem kleinen Bündel zu greifen. Das strampelnde Gewicht senkte sich in ihre Arme. Ihr wurde warm ums Herz. Mit dem Fingerknöchel strich sie dem Engelchen über die Wange. Große blaue Augen blinzelten zu ihr hoch. Der winzige Mund nuckelte an einem Schnuller.

Sie spürte, wie Broderick sich hinter sie stellte. Seine Stiefel knirschten im Schnee. Sie erkannte, dass er über ihre Schulter das Baby anschaute, um sich dann wieder Jack zuzuwenden, der immer noch den Brief anstarrte.

Glenna drückte das Kind enger an sich. „Was steht in dem Brief?“

Das Papier knisterte, als Jack es seiner Angestellten zurückreichte, die so vorsichtig damit umging, als müsste sie Beweismittel sichern. Sie zog ein Blatt mit verschnörkelter Schrift aus dem Umschlag und hielt es Jack hin. „Sie möchten ihn bestimmt selbst lesen, Sir. Es ist mir etwas peinlich, äh, nun ja …“

Leichter Schneefall setzte ein, als Jack das Papier nahm und dann ein zweites getipptes Dokument aus dem Umschlag zog. Er überflog beide Zettel und hielt sie so, dass Jeannie mitlesen konnte.

„In dem Brief steht, dass die Mutter sich nicht sicher ist, wer der Vater des Babys ist. Sie hat eine Geburtsurkunde für ein drei Monate altes Baby namens Fleur Wilson beigelegt. Als Mutter ist Deborah Wilson angegeben …“

Jack sah über seine Brille hinweg seinen ältesten Sohn an. Brodericks Augenbrauen schossen hoch. Sehr verräterisch. Glenna schluckte. Der Name sagte ihr allerdings nichts.

Jack wischte sich Schneeflocken von der Brille, bevor er fortfuhr: „Sie schreibt, dass es keinen Sinn hat, nach ihr zu suchen. Sie ist schon in Kanada und kontaktiert uns, sobald sie dazu bereit ist. Aber für den Augenblick will sie, dass ihr Kind bei seiner Familie ist.“ Er räusperte sich. „Sie ist nicht sicher, ob Broderick der Vater ist oder …“

Jeannie nahm ihm die Papiere ab und kam zu ihr. „Glenna, in dem Brief steht, dass der Vater auch Gage sein könnte. Es tut mir leid, dass ich das laut aussprechen muss.“

Glenna spürte jede einzelne Silbe wie einen Schlag in die Magengrube. Sie unterdrückte ein Aufkeuchen. Ihr toter Mann war vielleicht der Vater dieses Babys?

Ringsum herrschte Schweigen, als würden alle kollektiv den Atem anhalten. Hinter sich hörte sie eines der Pferde schnauben und stampfen.

In einem entfernten Teil ihres Bewusstseins erkannte sie, dass Broderick ihr stützend die Hand um die Taille gelegt hatte. Bestimmt warf diese Enthüllung auch ihn um. Sie sah dem Baby ins Gesicht und suchte nach einem Hinweis auf die Vaterschaft. Vorsichtig schob sie die Kapuze und die Strickmütze zurück. Die hellbraunen Haare verrieten nichts. Sie beschirmte das winzige Gesicht mit der Hand, damit keine Schneeflocken darauf fielen. Je länger sie das Baby anstarrte, desto mehr wurde es zu einer ganz eigenen Persönlichkeit ohne jede Ähnlichkeit mit Broderick oder Gage.

Glenna schüttelte den Kopf und wiegte Fleur. Die fließende Bewegung beruhigte sie selbst genauso wie das Baby. Sie atmete langsam aus und sagte: „Schon gut. Das Wichtigste ist, dass wir uns vergewissern, dass dieses Baby gesund und außer Gefahr ist.“

Broderick nickte. „Wir sollten die Polizei anrufen. Die Kleine könnte ein entführtes Kind sein.“

„Oh Gott“, keuchte Glenna und musterte das Gesicht des Babys noch einmal. Was für eine Unschuld – sie weiß noch nichts vom Chaos in ihrer Welt. Gott sei Dank! „Daran habe ich gar nicht gedacht. Wir sollten wirklich bei den Behörden nachfragen.“

Der mittlere Steele-Sohn Marshall nahm Jeannie die Papiere ab. „Ich treffe mich gleich mit unserem Sicherheitsteam. Wir kontaktieren die Polizei und lassen sie wissen, dass das Baby hier ist.“

Glenna bekam allmählich einen klareren Kopf. „Wir sollten nach drinnen gehen, wo es warm und trocken ist. Wir müssen auch Babynahrung besorgen. Sie könnte jeden Moment Hunger bekommen, und sie hat schon genug durchgemacht. Sie soll sich keinen Augenblick unwohl fühlen müssen.“

Broderick hob eine rosa karierte Windeltasche auf und öffnete den Reißverschluss. „Offenbar sind ein paar von ihren Sachen hier drin.“

Was er jetzt wohl denkt? Es könnte sein Kind sein. Ist ihm das klar? Glenna konnte ihn sich nicht als alleinerziehenden Vater vorstellen.

Aber eigentlich konnte sie sich im Moment gar nichts vorstellen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf irgendetwas vertraue, dass jemand da gelassen hat, der sein Baby einfach bei fremden Leuten ablädt. Aber wenigstens können wir nachsehen, welche Marke es ist, und neue Babynahrung kaufen.“ Sie stieg die hölzernen Stufen zur Terrasse hinauf und spürte Brodericks stützende Hand in ihrem Rücken. Tröstlich und verstörend zugleich. Ihr kam der Gedanke, dass sie sich dieses Baby mit Broderick teilen würde, wenn auch nur für kurze Zeit. Sie spürte die Kraft seiner Berührung. Jeder einzelne seiner Finger brachte ihren Rücken zum Kribbeln. Er wäre für jede Frau ein starker Partner.

Und sie konnte nicht leugnen, dass es ihre Welt auf den Kopf stellte, ihn in diesem neuen Licht zu sehen.

Broderick lief im Wohnzimmer der Lodge auf und ab.

Sogar in diesem weitläufigen Raum fühlte er sich eingesperrt. Er wartete darauf, dass Glenna mit dem Baby zu ihm kam.

Das Baby.

Womöglich mein Baby.

Fleur.

Er wusste nicht, was er davon halten sollte, dass er vielleicht Vater war. Oder was das für sein Verlangen nach Glenna hieß. Er musste an den Besitzanspruch denken, der ihn durchzuckt hatte, als er vorhin den Arm um Glenna gelegt hatte. Zu sehen, wie sie das Kind – vielleicht sein Kind – gewiegt hatte, war ihm so heftig unter die Haut gegangen, dass es ihn jetzt noch erschütterte.

Er ging zum Kamin hinüber. Flammen tanzten an den Holzscheiten entlang und erhellten den Raum, in dem sonst nur eine kleine Tischlampe brannte.

Ein Fremder hätte das Zimmer wohl als behaglich und luxuriös empfunden, aber im Augenblick war Broderick so nervös, dass er fand, dass die Anspannung ringsum mit Händen zu greifen war.

Und er war sich nicht sicher, wie er die Welt wieder in Ordnung bringen konnte.

Er blieb vor dem Kamin stehen und kniete sich hin, um die Flammen mit dem Schürhaken zu einem lodernden Feuer anzufachen. Eines der Holzscheite sackte in einem Funkenregen in sich zusammen.

Er brauchte ein wenig Normalität. Suchend ließ er den Blick durch den Raum schweifen. Die Kaminwand wurde von dem gewaltigen Elchgeweih dominiert – ein Erbstück von seinem Urgroßvater. Damals war Alaska noch eine Wildnis gewesen, die erobert werden musste.

Rastlos marschierte Broderick zur anderen Seite des Zimmers. Dort hing ein Gemälde, das einen Wald in Alaska zeigte. Broderick war kein Kunstexperte, aber er mochte die leuchtenden Farben und die kräftigen Pinselstriche, die perfekt den Lichteinfall im Frühling einfingen.

Ein Teil der Familie war mit Glennas Schwägerin Shana einkaufen gefahren, um Sachen für das Baby zu besorgen. Die anderen waren in der Küche, um Essen für die Erwachsenen zuzubereiten, da das Treffen sich länger hinzog als geplant. Sein Vater und dessen Verlobte – Broderick musste sich erst noch daran gewöhnen, das Wort mit Jeannie in Verbindung zu bringen – gaben Glenna und ihm so Gelegenheit, unter vier Augen zu reden. Hier, in diesem Zimmer, in dem er wartete und immer noch auf und ab ging.

Er fuhr sich durchs Haar und seufzte. Im selben Moment hörte er, wie die Tür aufschwang.

Er wirbelte herum und sah Glenna und das Baby.

Verdammt.

Glenna war immer atemberaubend. Schon solange er sie kannte, zogen ihn ihre schlanke Figur und ihre leuchtenden Augen an. Genauso ihre Intelligenz und ihre Großzügigkeit. Alles, was Glenna ausmachte, war unbestreitbar attraktiv. Aber sie mit dem Baby zu sehen, bescherte ihm Herzklopfen. Diese weiche Seite von Glenna hatte er bisher nie kennengelernt. Sie wirkt so zärtlich und fürsorglich …

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Fleur ist jetzt ruhiger. Ich glaube, sobald sie satt ist, schläft sie ein.“

Sie ließ sich auf einem gepolsterten Schaukelstuhl nieder und machte es sich mit dem Baby bequem. Erschöpft, aber hoffnungsvoll lächelte sie ihn an.

Er steuerte auf das Sofa neben dem Schaukelstuhl zu. Dabei streifte sein Bein ihres. Obwohl seine Jeans und ihre Hose dazwischen waren, erinnerte er sich daran, wie ihre Haut sich anfühlte. Ein Hauch von Mandelduft kitzelte seine Sinne und drohte, ihn abzulenken. Er wollte sich zu ihr beugen und tief einatmen.

Und das wäre eine höllische Ablenkung.

Er ordnete seine Gedanken und setzte sich. „Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir reden müssen.“ Er sah seine Stiefel an. Das Leder war von dem Ritt vorhin noch feucht. Die Welt war schneller verrückt geworden, als Wasser verdunstete. „So peinlich es auch ist, wir müssen wissen, woran wir sind – je nachdem, wessen Kind es ist.“

Erst jetzt wurde ihm klar, wie schrecklich alles für Glenna sein musste. Er war bisher so auf seinen eigenen Schock konzentriert gewesen, dass er gar nicht daran gedacht hatte, wie verletzt sie sein musste. „Mein Gott, Glenna, es tut mir leid. Das alles muss so schmerzlich für dich sein. Ich nehme an, da du die Vaterschaftsfrage nicht gleich kategorisch abgelehnt hast, besteht die Möglichkeit, dass es Gages Baby ist?“

Sie schüttelte den Kopf. Eine zarte Haarsträhne löste sich aus ihrem lockeren Knoten und streifte ihre Wange. „Ich weiß es nicht. Wir hatten … eine Ehekrise. Es ist nicht undenkbar. Aber ich wusste nichts von der Kleinen, und er hat nie etwas von einer Schwangerschaft erwähnt.“

Sie sah an ihm vorbei. Ihr Blick blieb an dem Gemälde hängen. Kurz trat ein erschöpfter Ausdruck auf ihr Gesicht, aber er sah, wie schnell sie die Fassung zurückgewann – eine Fähigkeit, die sie im Konferenzraum erworben haben musste. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Baby. Lächelnd wiegte sie das kleine Mädchen.

„Es tut mir leid, dass du und dein Mann Probleme hattet.“

Es tut mir wirklich leid. Wenn das tatsächlich Gages Kind ist …

„Mir auch. Aber du kannst dir dein Mitleid mit mir sparen. Schenk es lieber Fleur.“ Glenna schaute auf. „Und du? Jedenfalls hast du auch nicht ‚Nein, zum Teufel, das ist nicht mein Kind‘ gerufen.“

„Es ist möglich“, musste er eingestehen. „Ich bin Deborah Wilson begegnet, als sie hergekommen ist, um eine Artikelserie über die geplante Pipeline zu schreiben. Wir sind miteinander ausgegangen. Es war nichts Ernstes. Aber die Möglichkeit besteht. Wahrscheinlich ist es nicht, weil ich nur ein einziges Mal mit ihr zusammen war und wir … äh … verhütet haben. Aber bis auf Abstinenz ist nichts hundertprozentig sicher.“

„Dann könnte sie dein Kind sein.“ Glenna nickte. Ihre Haare schimmerten im warmen Licht.

Er sah sie von der Seite an und wägte seine Worte sorgfältig ab, aber er wusste, dass er ihr anvertrauen musste, was ihm durch den Kopf ging. „Ich habe damals mit Deborah Schluss gemacht, weil sie mir gestanden hat, dass sie etwas mit einem verheirateten Mann hatte.“

Es gab ein paar Grenzen, die er nie überschritt. Er wollte zwar nicht heiraten, aber er hielt die Ehe trotzdem für etwas Heiliges. Wenn er mit einer Frau ausging, blieb er für die Dauer der Beziehung monogam.

Glenna schnappte nach Luft. „Du glaubst, dass es Gage war.“

„Das habe ich nicht gesagt.“ Er streckte die Hand aus, um sie tröstend am Ellbogen zu berühren. „Ich sage nur, dass die Chance besteht, dass dieses Baby zur Familie gehört.“

Zu einer unserer Familien. Aber das war genug.

Er ließ die Hand auf ihrem Arm ruhen und stellte fest, dass er unfähig war, die Berührung abzubrechen.

„Und wir müssen auf sie aufpassen, bis wir es wissen.“ Glenna schaukelte das Kind sanft. „Wenn Fleur das Kind meines Mannes ist und Deborah Wilson auf das Sorgerecht verzichtet, könnte ich doch ein möglicher Vormund sein, oder? Denn wenn Gage noch am Leben wäre, dann wäre das hier mein Stiefkind.“

Es war eine Aussage voller Logik und Großzügigkeit. All das, was sie so verdammt attraktiv macht … „Das ist ein kompliziertes Thema, Glenna.“

„Aber es ist möglich.“ Ihr Einwurf verriet, wie entschlossen sie war. Sie sah das Baby an und beugte sich vor, um es auf die Stirn zu küssen.

Die zärtliche Geste weckte in Broderick das Gefühl, sie in einem privaten Moment überrascht zu haben. Als würde er eine Seite von Glenna sehen, die keiner sonst kannte – eine Seite, von der sie vielleicht nicht wollte, dass er sie sah.

Er räusperte sich. „Das ist das Wort des Abends: möglich. Sie könnte mein Kind sein, und ich will nicht, dass sie je denkt, dass ich mich nicht für sie eingesetzt habe.“

Wenn Fleur sein Kind war, würde er für seine Tochter da sein.

„Ich weiß nicht, ob ich dir zutraue, Babymilch anzurühren“, meinte Glenna.

Er musste lächeln. „Das kriege ich schon hin.“

„Kannst du sie auch ein Bäuerchen machen lassen und ihr die Windeln wechseln?“

Er zuckte die Schultern. „Ich kann einen Babysitter finden.“

„Oder wir arbeiten zusammen.“ Ihr Blick wirkte in dem gedämpften Licht entschlossen. Die ungeklärte Vaterschaftsfrage bedeutete, dass keiner von ihnen freiwillig auf das Kind verzichten würde.

Er begann, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass das genau die richtige Lösung war. Wenn er sich mit Glenna zusammen um Fleur kümmerte, konnte er sich weiter an sie heranmachen. Das war ein Vorteil, aber er zwang sich, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.

„Machst du mir ein unmoralisches Angebot?“, zog er sie auf.

Glenna prustete vor Lachen, veränderte ihre Sitzhaltung und tätschelte sanft den Po des Babys. „Mit Babyspucke auf der Schulter?“ Sie zwinkerte ihm zu und lächelte, aber in ihren Augen stand immer noch ein Anflug von Kummer. „Na klar.“

„Verdammt, du erinnerst mich daran, warum ich dich damals so mochte.“

„Ich kann es dich sicher genauso schnell wieder vergessen lassen.“

Ohne darauf einzugehen, kniete er sich neben sie und betrachtete das Baby zum ersten Mal genauer. Wie kommt es, dass ich nicht weiß, ob sie mein Kind ist?

Auf alle Fälle weckte das unschuldige kleine Wesen seinen Beschützerinstinkt. „Sie kann sich voll und ganz darauf verlassen, dass ich auf sie aufpasse.“

Glenna verzog überrascht das Gesicht. Aber sobald sie sich in die Augen sahen, entstand eine Verbindung zwischen ihnen. Er spürte im Bauch, dass er sie haben musste. Trotz aller Komplikationen …

Zwischen uns gibt es etwas Greifbares.

Sein Handy klingelte. Bei dem lauten Ton zuckte er zusammen und zog das Telefon aus der Tasche. „Das ist mein Dad. Sie haben Babynahrung, eine Krankenschwester … und eine Anwältin, meine Schwester Naomi. Sie spricht mit der Polizei.“

Als die Dunkelheit früh hereinbrach, die typisch für Alaska war, wurde Glenna klar, dass sie und Broderick unerwartet zu Verbündeten geworden waren.

Sie hatten beide Stühle neben dem neuen tragbaren Kinderbettchen aufgestellt. Fleur schlief tief und fest, ohne etwas von den gewaltigen Veränderungen zu ahnen, die sich für sie anbahnten.

Das Haus war mit Babysachen und Essen ausgerüstet. Die Krankenschwester hatte das Kind untersucht, und es wirkte gesund. Die Polizei hatte festgestellt, dass es keine Vermisstenanzeigen gab, die auf Fleur passten. Die Geburtsurkunde war registriert, und ein Fahndungsaufruf nach Deborah Wilsons Auto hatte ergeben, dass sie tatsächlich über die Grenze nach Kanada gefahren war. Danach war sie verschwunden.

Glenna und Broderick waren jetzt die einzig mögliche Familie dieses Babys.

Brodericks Schwester Naomi war eine kämpferische Anwältin. Sie war nicht nur eine brillante Rechtsexpertin, sondern auch ein bisschen skrupellos, und sie beschönigte nie etwas.

Sie zog die Augenbrauen zusammen, als sie mit ihnen redete. „Ich spreche mit einer Freundin von mir beim Jugendamt. Da du bereit bist, eine mögliche Vaterschaft einzuräumen, Broderick, versuchen wir, eine zeitbefristete Vormundschaft zu erwirken, bis die Sache mithilfe eines DNA-Tests geklärt wird. Wenn es dir recht ist, Glenna, kann das Labor etwas von deinem Mann untersuchen, etwa eine alte Haarbürste. Vielleicht hat seine Mutter ja auch seine Milchzähne aufbewahrt …“

Glennas ohnehin schon überlasteter Verstand sperrte sich dagegen, dass Naomi gleich alles in die Hand nahm. Ihre Mom vertraute den Steeles ja vielleicht, aber das hieß noch lange nicht, dass es Glenna gefiel, wenn eine ehemalige Konkurrentin wichtige Lebensentscheidungen für sie traf. Naomis Loyalität galt sicher ihrer eigenen Familie. „Eine Vormundschaft?“

„Während Broderick und du miteinander gesprochen habt, habe ich mich mit Dad und Jeannie unterhalten. Da wir uns alle nicht vorstellen können, dass einer von euch freiwillig verzichtet, dachten wir, es wäre das Beste, wenn ihr euch gemeinsam um das Baby kümmert, bis die Rechtslage geklärt ist.“

Broderick reagierte gereizt. „Das gibt nur noch mehr Klatsch und Tratsch! Und je weniger über unsere Familien geredet wird, desto besser für Fleur, wenn irgendwann ein Sorgerechtsstreit daraus wird.“

In Glennas Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Sie wusste, dass man sich mit den Steeles besser nicht anlegte. Aber sie konnten sich ihre Selbstherrlichkeit sonst wohin stecken. Dieses Baby war vielleicht ihr einziges Bindeglied zu ihrem verstorbenen Mann und die Antwort auf ihre Gebete um ein Kind, das sie als ihr eigenes lieben konnte. Sie würde nicht einmal auf ein paar Tage mit diesem Baby verzichten. „Ich lasse mich nicht aus Fleurs Leben verdrängen …“

Broderick berührte sie wieder am Ellbogen – auf diese tröstliche und zugleich sinnliche Art, die Schmetterlinge in ihrem Bauch auffliegen ließ. „Was, wenn wir uns irgendwo gemeinsam um sie kümmern, nicht direkt bei den Steeles oder Mikkelsons, sodass das Baby nicht von der Fusion ablenkt?“

Naomi nickte knapp. „Da muss ich meinem Bruder zur Abwechslung einmal recht geben. Ich glaube, es ist das Beste für euch, wenn ihr eine Weile Abstand von allem gewinnt. Dann könnt ihr in Ruhe die finanzielle Seite der Fusion durchrechnen und entscheiden, wie ihr sie dem Aufsichtsrat präsentiert. Und es nützt uns allen, wenn ihr beiden auch den privaten Scherbenhaufen kittet.“

Glenna zog die Augenbrauen hoch. „Den privaten Scherbenhaufen? Du kannst doch nicht von uns erwarten, im Alleingang die Familienfehde beizulegen.“

„Nun tut nicht so. Ich rede nicht von dem Krieg zwischen den Steeles und den Mikkelsons. Ihr könnt mir nichts vormachen.“ Das musste das berühmte Gerichtssaal-Gesicht sein, das Naomi aufsetzte, um ihre schwierigsten Fälle zu gewinnen. „Ich war auf demselben College wie ihr und nur ein paar Jahre unter euch. Ich weiß Bescheid.“

Broderick straffte sich. „Hör schon auf, Naomi. Das geht dich nichts an.“

Naomi warf sich die langen braunen Haare über die Schulter. Sie wirkte nicht im Mindesten eingeschüchtert. „Macht das Beste aus dem Zeitfenster, das ich euch erkaufen kann, während der DNA-Test und die Suche nach der Mutter des Kindes laufen. Lernt, miteinander auszukommen, und klärt die geschäftlichen Dinge. Nimm deinen eigenen guten Rat an, Broderick, und tauch unter.“

Glenna konnte nicht leugnen, dass Naomis Plan klug war.

Das hieß, dass sie gezwungen sein würde, Vater-Mutter-Kind zu spielen. Mit diesem Baby, das sie jetzt schon liebte … und mit Broderick.

6. KAPITEL

Kaltes Licht wurde vom unberührten Schnee am Rande des Steele-Anwesens unweit von Anchorage reflektiert. Broderick zog seine Sonnenbrille aus der Tasche. Er atmete die frische Luft ein und genoss es, die Kälte in den Lungen zu spüren.

Sein Leben lang hatte man ihm eingebläut, wie wichtig die Familie war. Während er den Blick über die schneebedeckten Berggipfel schweifen ließ, wurde sein Wunsch übermächtig, diesen Ort und das kleine Mädchen, das vielleicht seine Tochter war, zu beschützen.

Eine Tasche auf dem Rücken ging er auf das Wasserflugzeug zu, das neben dem Anleger schaukelte. Letztes Jahr hatten sie in dieses Amphibienflugzeug investiert, das sowohl auf dem Wasser als auch auf einem Flugplatz starten und landen konnte. So war man flexibel, und das wäre von Vorteil, falls es mit Glenna und dem Baby einen Notfall gab.

Das Blau des Meeres wirkte neben dem strahlenden Weiß des Flugzeugs noch intensiver, fast wie auf einem Gemälde. Kurz sah er zu dem kleineren hellgelben Flugzeug hin, das aus dem Hangar lugte. Er mochte die zweimotorige Maschine eigentlich lieber, aber das Wasserflugzeug war dort praktischer, wohin Glenna und er wollten.

Zusammen. Mit einem Baby.

Sie würden in der Familienhütte der Steeles an einer abgelegenen Bucht des Prince William Sound im Golf von Alaska wohnen. Das Nurdachhaus hatte zwei Schlafzimmer und diente immer dann als willkommener Rückzugsort, wenn ein Familienmitglied auftanken musste.

Er schlug den Mantelkragen hoch. Der Wind wehte heute so heftig, dass er lieber eine Mütze als seinen Stetson aufgesetzt hatte.

Glenna und er würden allein sein, die finanzielle Zukunft der fusionierten Familienunternehmen austüfteln und sich um ein Baby kümmern. Und, ja – der Gedanke, für das Kind da zu sein, machte ihn nervös. Er hatte nicht die geringste Ahnung von Babys. Aber er wusste, dass er dazulernen musste, wenn Fleur sich als seine Tochter erwies.

Die Möglichkeit verschlug ihm immer noch den Atem.

Er stemmte einen übergroßen Koffer in das Wasserflugzeug und spürte, wie seine Muskeln sich unter der Last anspannten. Sie hatten jede Menge Babynahrung und sonstige Vorräte eingepackt. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Vater Glenna ins Flugzeug half und ihr dann die Babytrage reichte.

Eine Windböe fegte über den Anleger und zerrte an der hellrosa Decke, in die das Baby gewickelt war. Als Nächstes hob Jack Kotas Transportbox ins Flugzeug. Brodericks Bruder Marshall überprüfte die Instrumente, um sich zu vergewissern, dass das Flugzeug die Hütte sicher erreichen würde.

Als Marshall wieder ausstieg, schlug Broderick seinem Vater auf die Schulter. „Danke für eure Hilfe. Richtet den anderen bitte aus, dass ich mich für die Einkäufe und das Packen bedanke.“

Marshall reichte ihm einen Thermobecher mit Kaffee. „Gern geschehen. Das Flugzeug ist aufgetankt, und alles funktioniert.“

Jack straffte sich in seiner dicken Steppjacke. „Ich habe den Service angerufen. Die Hütte ist gelüftet und mit Lebensmitteln ausgestattet. Die Heizung läuft.“

„Danke, Dad.“

Sein Vater lächelte. „Wenn ihr drei sonst noch etwas braucht, lasst es mich einfach wissen. Wir schicken es euch.“

„Ihr müsst nur Bescheid sagen, wenn du und Jeannie es euch anders überlegt. Seid ihr euch hundertprozentig sicher?“

„Sohn, wir müssen zusammenhalten, sonst gewinnen unsere Mitbewerber während dieser Übergangszeit einen Vorsprung. Wir sind jetzt eine Familie.“ Jack umarmte Broderick und klopfte ihm auf den Rücken. „Und jetzt geh an die Arbeit.“

„Zu Befehl.“ Er hatte klare Anweisungen erhalten. Und ehrlich gesagt freue ich mich auf die Zeit mit Glenna … Vielleicht konnte er ja herausfinden, was es mit diesem hartnäckigen Begehren zwischen ihnen auf sich hatte, wenn sie ihre Gefühle offen besprachen. Durch das Baby stand jetzt noch mehr auf dem Spiel. Sie mussten nicht nur als Unternehmen Steele and Mikkelson in die Zukunft gehen, sondern auch als Familie.

Broderick stieg ins Flugzeug. Sein Blick fand Glenna sofort. Sie beugte sich über Fleur und redete ihr tröstend zu. Ein Windstoß trug den Duft nach Nadelbäumen und Salz in die Kabine. Das wird ein turbulenter Flug.

Kota winselte leise in seiner Box und wedelte in der Hoffnung auf Aufmerksamkeit mit dem Schwanz.

Glenna wirkte wie geschaffen dafür, zwischen einem Baby und einem Welpen zu sitzen. Sie hatte sich die Haare zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengebunden. Offenbar bemerkte sie seinen Blick, denn sie sah ihn an. Er nickte ihr lächelnd zu. Dann überprüfte er vorn im Flugzeug die Instrumente selbst noch einmal. Sicherheit war das Allerwichtigste.

Als er sich auf dem Pilotensitz anschnallte, schaute er im Spiegel zu Glenna und Fleur hin. Aber er musste sich konzentrieren. Er setzte sein Headset auf und spürte die Aufregung vor dem Flug deutlich im Bauch, bis er die Maschine beschleunigte.

Während das Flugzeug in die Luft aufstieg, beobachtete er, wie sich das atemberaubende Panorama unter ihm entfaltete. Ungezähmte Wildnis erstreckte sich, so weit das Auge reichte. Broderick fühlte sich mit der Natur seiner Heimat verbunden, die den Menschen Durchhaltevermögen und Widerstandskraft abverlangte. Links sah er eine Herde Karibus durch den Frühlingssonnenschein galoppieren.

Er rief über die Schulter: „Wir haben jetzt unsere Flughöhe erreicht. Wenn du magst, kannst du nach vorn kommen, dann können wir uns unterhalten.“ Er sah in den Rückspiegel. „Die Kleine schläft. Du kannst sie von hier aus im Spiegel sehen.“

Glenna biss sich auf die Unterlippe, griff dann aber nach ihrem Sicherheitsgurt. „Klar, wir können schon einmal mit der Arbeit anfangen.“

Oder einfach nur reden.

Sie waren wegen Fleur und ihrer Familien hier, aber er musste jeden Moment dieser gemeinsamen Zeit nutzen, um herauszufinden, warum Glenna ihn magisch anzog. Wenn sich die Gelegenheit ergab, wollte er sie wieder in seinem Bett haben. Sein Verlangen nach ihr brachte ihn völlig durcheinander – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem er einen wachen Verstand brauchte.

Das Flugzeug schwankte kurz und kam dann wieder zur Ruhe. Er entschied sich für Fleur als Gesprächsthema. „Sie ist wirklich ein süßes kleines Ding.“

Glenna antwortete nicht sofort. Als sie es tat, trafen ihre Worte ihn wie ein Schlag in die Magengrube.

„Sie könnte dein kleines Ding sein. Hast du darüber nachgedacht, wie es wäre, Vater zu sein? Und bitte mach jetzt keinen Witz. Ich meine die Frage ernst.“

Er grübelte, während das Flugzeug durch die Wolken glitt. Wenn er wollte, dass auch sie aufrichtig war, musste er ehrlich antworten.

„Bekanntermaßen sind feste Beziehungen nichts für mich, also habe ich auch nie damit gerechnet, Vater zu werden.“ Er zuckte die Schultern und warf einen Blick auf die Instrumente. Alles war, wie es sein sollte.

Glenna öffnete den Reißverschluss ihres Parkas. Das Geräusch erinnerte ihn daran, wie gern er sie weiter ausgezogen hätte.

„Magst du Kinder, Broderick?“ Ihre Frage stoppte seine erhitzten Gedanken.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein guter Vater werde, aber, ja, ich mag Kinder. Ich habe immer gehofft, irgendwann Onkel zu werden.“ Doch so wie er konzentrierten seine Geschwister sich auf ihre Karriere und nicht auf die Familienplanung.

„Ich habe mich nur gefragt, weil du es bisher gezielt vermieden hast, Fleur zu halten, obwohl ich schwören könnte, dass du ein Naturtalent bist.“

Er dachte über ihre Beobachtung nach – und darüber, wie sich sein Herz jedes Mal zusammenzog, wenn er das Kind ansah. „Ältester-Bruder-Syndrom, schätze ich. Bei meinen Geschwistern habe ich mitgeholfen, aber sonst habe ich nicht viel Erfahrung mit Babys, abgesehen davon, dass der eine oder andere Angestellte seinen Sohn oder seine Tochter im Büro vorgeführt hat.“

„Steele Oil hat doch einen sehr guten Betriebskindergarten. Ich dachte, du hättest ihn schon besichtigt.“

Er nickte, hielt den Blick aber weiter auf den Horizont gerichtet. „Ich besuche regelmäßig alle Abteilungen der Firma.“

„Dann war das Fotoshooting für diese Zeitschrift, bei dem du im Kindergarten auf dem Boden sitzt und mit den Kleinen spielst, also kein PR-Gag?“

Er hörte ihrer Stimme das Lächeln an.

„Du hast mich in die Falle gelockt.“

„Ja, aber ich bin wirklich neugierig. Wolltest du damit sympathisch auf Frauen wirken?“, fragte sie herausfordernd.

„Ich war da, um das Kind eines Freunds zu besuchen. Aber lass dich ja nicht von den Bildern in die Irre führen. Ich bin kein Experte. Ich hoffe, du kennst dich besser aus.“

Sie waren ohne Vorwarnung mit der Kinderbetreuung konfrontiert worden. Wenn Fleur wirklich seine Tochter war, würde er alle möglichen Bücher darüber lesen und schon noch irgendwie dahinterkommen.

„Ich habe mich schon um die Babys von Freundinnen gekümmert“, sagte Glenna. „Und ich habe die Nummer der Krankenschwester eingespeichert. Wir können auch im Internet nach Tipps suchen. Ich erwarte von dir, dass du hundert Prozent gibst.“

„Ich bin dabei, und ich bin auch bereit, zu lernen, was ich nicht weiß.“ Er war immer willens, schwierige Probleme zu lösen, aber er brauchte Zeit.

„Das bringt mich wieder zu meiner ersten Frage: Was passiert, wenn sie deine Tochter ist?“

„Dann arbeite ich daran, der beste Vater zu werden, der ich sein kann.“

Und damit ist es mir ernst.

Allerdings entging ihm nicht, dass Glenna mit jedem Moment, der verging, mehr an dem Baby hing. Er fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn sich herausstellte, dass sie kein Anrecht auf das Kind hatte.

Seine Hoffnung, dass ein Gespräch alles einfacher machen würde, hatte ihn nur an all die Gründe dafür erinnert, dass das hier mehr als ein Wochenendtrip war, der damit endete, dass sie miteinander im Bett landeten.

Broderick überraschte Glenna immer wieder. Vielleicht sehe ich aber auch nur eine Version von ihm, die ich vergessen hatte.

Seine Bereitschaft, Fleurs Vater zu werden, rief ihr ins Gedächtnis, wie er mit Anfang zwanzig gewesen war. Erinnerungen zogen vor ihrem inneren Auge vorbei, während sie beobachtete, wie er die Instrumente kontrollierte. Er lächelte zufrieden, als er die Werte ablas.

Auf dem College war es Brodericks Selbstbewusstsein gewesen, das sie angezogen hatte. Sie hatten gemeinsam eine Gruppenarbeit erstellen müssen. Normalerweise hasste sie solche Aufgaben, aber er hatte sich genauso in die Präsentation gekniet wie sie. Mehrfach hatten sie die ganze Nacht durchgearbeitet. Sie waren ein hervorragendes Lerntandem gewesen, weil sie einander angespornt hatten, immer besser zu werden.

Sein Blick war schiere Elektrizität gewesen und sein Körper zum Anbeißen.

Das ist er noch immer. Als er den Koffer ins Flugzeug gehoben hatte, war ihr klar geworden, dass seine Muskeln immer noch so straff und verlockend waren wie vor über zehn Jahren. In dem Moment hatte sie Broderick nicht mehr nur als kühlen Geschäftsmann sehen können.

Sie biss sich auf die Unterlippe und erkannte, wie viel mehr er zu bieten hatte. Er war ein Mann. In jedem Sinn des Wortes.

Auf der Suche nach Ablenkung sah sie aus dem Fenster und genoss den Anblick des Frühlings in Alaska. Eine mit Seen übersäte Ebene in Smaragdgrün stand in Kontrast zu den verschneiten Bergen. Als Kind hatte Glenna geglaubt, dass Alaska ein magischer Ort sei. Durch das grüne Flachland und die weißen Berge wirkte es schließlich immer so, als würden zwei Jahreszeiten parallel existieren.

Sie berührte die kühle Glasscheibe. Der Motor grollte, und die Maschine vibrierte leicht. „Es ist lange her, dass ich mit so einem Flugzeug geflogen bin.“

„Vielleicht, weil deine Familie öfter in Dakota aktiv ist. Bestimmt könntest du mir dort genauso großartige Landschaften zeigen.“

„Klar“, sagte sie, fasziniert von der Idee, mit diesem Mann die Gegend zu besuchen, in der sie aufgewachsen war. „Ein Gutes hat die Fusion: Wir können Erfahrungen austauschen.“

„Bestimmt gibt es noch weitere Vorteile.“

Meint er damit etwas Zweideutiges? Sein Gesicht wirkte ehrlich, ruhig und konzentriert. Mein Gott, er sieht so gut aus. Das Sonnenlicht, das durchs Fenster fiel, zeichnete sein markantes Kinn nach, die breiten Schultern im Holzfällerhemd, die Jeans, die ihm wie angegossen passte.

Sie ließ den Blick wieder zu seinem kantigen Gesicht schweifen. Er hatte immer einen leichten Dreitagebart, auch wenn er einen eleganten Anzug trug.

Er quillt über vor Testosteron.

Und mein Körper reagiert darauf.

Sie zupfte die Ärmel ihres schwarzen Kaschmirpullis zurecht und hoffte, dass das kleine Ritual sie beruhigen würde.

Mit ihm zusammen in der Hütte zu wohnen, würde schwierig werden. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt.

Sie zwang sich, an die Arbeit zu denken. Broderick Steele musste für ihre ausschweifende weibliche Fantasie tabu sein. „Es stellt uns vor logistische Schwierigkeiten, beide Belegschaften zu kombinieren“, begann sie. „Nicht alle können ihre jetzigen Jobs behalten, zumindest nicht auf demselben Level. Es kann nicht jede Position von einem Zweierteam ausgefüllt werden. Irgendjemand muss der Boss sein. Geschäftsführer, Finanzchef …“ Sie zählte die Liste an den Fingern ab.

So. Das sollte etwas Abstand zwischen uns bringen.

„Wir lassen uns etwas einfallen“, antwortete er ausweichend, aber seine Hände am Steuer verkrampften sich kurz.

Starke Hände. Sie erinnerte sich, wie sie sich gestern Abend angefühlt hatten, als er sie gestützt hatte. Daran, seine warmen Hände durch den Stoff ihres Shirts hindurch zu spüren.

„Der Frieden zwischen uns kann nicht ewig halten.“ Sie wandte den Blick von ihm ab und trommelte mit den Fingern auf ihrem Oberschenkel herum.

Und, nein, ich denke garantiert nicht daran, wie Broderick meinen Oberschenkel berührt hat. Mir ist nur wegen des Kaschmirpullis warm.

„Warum nicht? Gibt es denn keine andere Position im Unternehmen, an der du Freude hättest?“ Seine Frage war eine willkommene Ablenkung.

Glaubt er wirklich, dass ich meinen Job aufgebe, ohne mit der Wimper zu zucken? „Warum sollte ich mir eine neue Position suchen? Was ist mit dir? Gibt es nichts anderes, woran du Freude hättest?“

„Am Ende haben wir vielleicht beide keine Wahl. Lass uns den Trip nicht noch schwieriger machen, indem wir uns streiten.“

Sie musterte ihn. Keine Frage, heute hat er sein Pokerface aufgesetzt. Sie hatte es oft genug bei geschäftlichen Treffen gesehen – oder im Fernsehen, wenn er im Namen seines Unternehmens eine Erklärung abgab. Er war charmant, aber er ließ sich keine Gefühle anmerken.

Glenna spielte mit dem Reißverschluss des Parkas, der inzwischen auf ihrem Schoß lag. Ihr war in dem engen Flugzeug immer noch zu warm. „Du willst mich also nicht dazu verführen, freiwillig zu verzichten?“

„Glaubst du, dass es mir hier darum geht? Dich zu verführen, um ein Machtspielchen zu gewinnen?“ Sein Tonfall war trocken. Er nahm eine Kurskorrektur vor.

„Etwa nicht?“ So. Nun ist es ausgesprochen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie sich fragte, was er sagen würde.

Und sie fragte sich noch mehr, was sie von ihm hören wollte.

Er zog die Augenbrauen hoch. „In den letzten paar Tagen ist mir klar geworden, dass du direkter bist, als ich es in Erinnerung hatte. Offen gesagt: Ich fühle mich zu dir hingezogen, und das hat nichts mit dem Geschäft zu tun. Ich habe dich immer begehrt. Ist das für dich so schwer zu verstehen? Du bist diejenige, die unsere Beziehung beendet hat. Nicht ich.“

Beziehung. Das Wort traf sie tief. „Es war ein einziges Wochenende.“

Er ließ nicht locker. „Es war eine Freundschaft, die zu dem Wochenende geführt hat.“

„Eine Freundschaft? Bist du dir sicher? Wir kannten einander kaum. Wir dachten, wir wären Romeo und Julia und würden gegen unsere Eltern rebellieren.“

„Du hast mich benutzt, um deinen Eltern eins auszuwischen?“

Sie starrte unverwandt aus dem Fenster, während sie zur Landung unweit der Hütte ansetzten. Dort würden sie zusammen wohnen. Der Flug war zu schnell vorbei.

Kota winselte. Glennas Blick huschte zu Fleur. Sie schlief immer noch.

Brodericks Frage hing weiter in der Luft.

Glenna musterte die Hütte und bemerkte das große umzäunte Grundstück und den nierenförmigen Pool. „Ging es dir nicht darum?“

„Damals nicht, nein.“

Seine Worte verschlugen ihr den Atem. Ihr Magen machte einen Satz, als wäre das Flugzeug gerade tief abgesackt. „Dann tut es mir leid.“

„Aber das zu wissen, hätte dich nicht daran gehindert, mich zu verlassen.“

Hätte es das? Sie war sich nicht sicher. Es war so lange her. In den Jahren danach hatte sie ihren Mann kennengelernt und geliebt. Er hatte sie betrogen und ihr das Herz gebrochen. Sein Tod hatte das gleich noch einmal getan.

Und all die Veränderungen jetzt? Das emotionale Risiko einer neuen Beziehung konnte sie nun wirklich nicht eingehen.

„Unsere Eltern haben ja vielleicht einen Weg gefunden, ein Paar zu werden, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in unserer Familie noch einmal so weit kommt. Das wäre statistisch unwahrscheinlich.“

„Dann stehen wir vor einer Herausforderung. Wir müssen uns um das Baby kümmern, das gern schläft. Mit der Arbeit an den Finanzen können wir erst morgen beginnen, wenn die neue esten Berichte eingehen. Also müssen wir daran arbeiten, wieder Freunde zu werden – denn wir sitzen jetzt miteinander hier fest.“

Nachdem er das Flugzeug gesichert hatte, sah Broderick zur Hütte, in der Glenna und Fleur warteten. Das Nurdachhaus war für ihn mit vielen Urlaubserinnerungen verbunden.

Sein Vater hatte die Hütte schon früh gekauft, als der Arbeitsstress seinen Tribut von der Familie gefordert hatte. Jack Steele hatte immer gesagt, dass die Familie an erster Stelle stehen musste, weil sonst alles andere zusammenbrechen würde. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft gewesen. Das hatte den Tod seiner Mutter und seiner Schwester noch unerträglicher gemacht.

Er zog ein Gepäckstück nach dem anderen aus dem Flugzeug und dachte an all die früheren Aufenthalte hier. Jedes Kind war dafür verantwortlich gewesen, seinen eigenen Seesack zu packen, und wenn man etwas Unverzichtbares vergaß, musste man sich eben einschränken. Sie hatten auch gelernt, zu teilen und zusammenzuarbeiten. Sie waren ein Team gewesen – damals wie später in der Firma.

Brodericks Handy klingelte. Er zog es aus der Jackentasche. Hier oben war der Empfang oft gestört gewesen, bis sein Dad einen Funkturm hatte bauen lassen. Geld hat schon seine Vorteile …

Broderick kannte die Nummer auf dem Display nicht. Angesichts der ungewissen Situation mit Fleur nahm er den Anruf dennoch entgegen.

„Broderick Steele hier. Wer ist da?“ Er hob den großen Sack mit dem tragbaren Babybettchen hoch, klemmte sich das Handy zwischen Kinn und Schulter und schnappte sich noch zwei Koffer. Verdammt, Babys brauchen eine Menge Krempel.

„Trystan Mikkelson“, bellte eine raue Stimme.

Glennas Bruder. Der Leiter der Familienranch. Was will der Kerl von mir? „Gibt es ein Problem?“

„Ich will nur wissen, wie es meiner Schwester geht.“

Okay. Broderick machte sich auf den Weg den Anleger entlang zur Hütte. „Wir sind gerade beim Auspacken und richten alles für das Baby ein. Irgendwelche Neuigkeiten?“

„Nein.“

Er runzelte die Stirn über diesen seltsamen Anruf von einem Mann, den er kaum kannte. „Dann sag doch bitte dem Rest der Familie, dass es uns gut geht. Ich schicke dann und wann eine SMS oder eine Mail über unsere Arbeitsfortschritte.“

So. Mein Vater sollte sich freuen. Ich bin nett zu meinen Feinden … Beziehungsweise zu meinen künftigen Stiefgeschwistern.

„Geht klar“, antwortete Trystan knapp. „Noch eines, Steele.“

Broderick stieg die Stufen hinauf, den Blick auf Glenna gerichtet, die hinter den Fenstern stand, die vom Boden bis zur Decke reichten. „Und was?“

„Wenn du meiner Schwester wehtust, poliere ich dir so die Fresse, dass du erst in Kanada wieder aufwachst.“

Der Anruf endete abrupt.

Broderick ließ einen Koffer fallen und fing das Handy auf, als es unter seinem Kinn abglitt. Er musterte das Display. Ein Verbindungsproblem war es nicht: Trystan hatte einfach aufgelegt.

Die Botschaft war auch so deutlich genug gewesen, und seltsamerweise ertappte Broderick sich dabei, dieses eine Mal Mitgefühl mit einem Mikkelson zu haben. Als Mann. Als Bruder. Denn wenn jemand einer seiner Schwestern wehtat, würde er den Dreckskerl aufspüren und ihn persönlich zusammenschlagen. Sein Blick ging wieder zum Fenster und zu der Frau, die ihn anzog wie keine andere.

Bei allem, was in ihren Familien los war, musste er jetzt ganz, ganz vorsichtig sein.

7. KAPITEL

Glenna musste sich sammeln. Sie setzte sich auf ihr Bett, während Kota es sich geduldig an der Tür bequem machte und den Kopf schief legte.

Ihre Kleidung war ausgepackt und ordentlich in den Einbauschrank oder in Schubladen eingeräumt. Beim Abendessen hatte sie sich die ganze Zeit allein um Fleur gekümmert. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Aber wenn Fleur wirklich Brodericks Kind war, dann war seine Vermeidungsstrategie ein Grund zur Sorge.

Vielleicht brauchte er mehr Zeit. Oder Babypflege war das einzige Gebiet, auf dem es ihm an Mut und Können mangelte.

Sie stand auf und verließ ihr Zimmer, um in den Wohnbereich hinüberzugehen. Der Geruch nach Kiefernmöbeln und mit Zitrusöl gepflegten Holzböden stieg ihr in die Nase. Broderick saß auf dem Sofa und musterte Fleur in ihrer Babywippe. Er wirkte melancholisch. Seine Augen strahlten Wärme aus, aber er machte keine Anstalten, sich dem Kind zu nähern.

Kota lief schwanzwedelnd um das Baby herum. Am Ende rollte er sich auf dem dunkelbraunen Teppich vor dem Kamin zusammen. Alles sah aus wie ein Foto aus einem Werbeprospekt für einen Familienurlaub.

Glenna hob Fleur hoch, um sie ins Schlafzimmer zu tragen. Sie musterte ihr kleines Gesicht und hoffte wieder, dass irgendein Merkmal ihr verraten würde, wer der Vater war.

Stattdessen ertappte sie sich dabei, Fleur in die Augen zu sehen. Sie spürte eine Verbindung zu dem Baby. Nachdem sie Fleur ins Bett gebracht und das Babyfon angestellt hatte, kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, um zum ersten Mal seit dem Essen mit Broderick zu reden.

Er war bequem in eine marineblaue Jogginghose und ein langärmliges graues T-Shirt gekleidet, das seine Muskeln betonte. Sein dunkles Haar war leicht verwuschelt. Er schaute zu ihr hoch.

Das Babyfon summte tröstlich in ihrer Hand.

Er zeigte mit dem Daumen auf die Glastür, die zur Terrasse führte. „Ich gehe in den Whirlpool. Und das ist keine Anmache.“

Whirlpool?

Bei dem Vorschlag durchlief ein Kribbeln ihren Körper. Lässiger, als sie sich fühlte, warf sie sich die Haare über die Schulter. „Freut mich zu hören, denn wenn du keine besseren Sprüche draufhast, brauchst du Hilfe.“

Er lachte kehlig und maskulin. „Die guten Sprüche spare ich mir für später auf.“ Er zwinkerte ihr zu. „Heute Abend brauche ich nach all dem Stress Entspannung. Ich hoffe, die Polarlichter zu sehen. Ich werde es nie müde, sie anzuschauen, und die Saison ist schon fast vorbei. Wenn du mitkommen möchtest … Es liegen immer Badeanzüge in allen Größen in den Umkleideräumen bereit.“

Sie musterte ihn nachdenklich. „Das ist eine Mutprobe, oder? Um zu sehen, wie ich auf deine Nicht-Anmache reagiere.“

„Ich sage doch einfach nur, wohin ich jetzt gehe, und lade dich ein, mitzukommen.“ Er zwinkerte ihr noch einmal zu. „Wenn du dich traust.“

Wie sehr vertraue ich ihm? Und mir selbst?

Aber ihn zu ignorieren, hatte bisher auch nicht funktioniert, denn nachts spielte er in ihren Träumen die Hauptrolle. „In Ordnung. Ich bringe das Babyfon mit und komme zu dir, wenn ich mir den langweiligsten Badeanzug von allen ausgesucht habe.“

„Ich kann es kaum abwarten.“ Sein leises Lachen hing noch in der Luft, als er schon hinausging.

Sobald sie im Umkleideraum war, sah sie die ordentlichen Stapel von Badeanzügen in der Schublade durch, bis … Da. Sie hatte ihn gefunden: einen ungemusterten marineblauen Einteiler. Nichts sagte so sehr: „Finger weg.“ Aber impulsiv griff sie noch einmal in die Schublade und zog einen heißen schwarzen Stringbikini daraus hervor.

Sie legte ihre Kleider ab, schlüpfte in den Bikini und starrte ihr Spiegelbild an. Selbstsicher steckte sie sich noch schnell die Haare hoch. Fertig.

Bevor ihr Mut sie verlassen konnte, streifte sie einen luxuriösen Bademantel über und stieg in Pelzstiefel. So sah sie nicht unbedingt umwerfend aus, aber sie freute sich darauf, Broderick aus der Fassung zu bringen, wenn ihr Bademantel nachher auf der Terrasse landete.

Kota folgte ihr, als sie auf dem Weg nach draußen ein letztes Mal zu Fleur ging, um nach ihr zu sehen. Der Welpe wedelte voller Vorfreude mit dem flauschigen Schwanz.

Er sauste zum Bettchen. Seine eisblauen Augen wirkten neugierig und interessiert. Der Hund meinte es gut, aber er war zu jung, um mit Fleur allein zu bleiben. Glenna konnte sich nur allzu leicht vorstellen, wie Kota ins Bettchen hüpfte, um mit dem Baby zu kuscheln. Das durfte sie nicht riskieren. Sobald sie sich vergewissert hatte, dass Fleur friedlich schlief, überprüfte sie noch einmal das Babyfon und führte Kota dann in die Waschküche.

„Komm, Kleiner. Zu mir“, befahl sie. Vorhin hatte sie seine Transportbox mit seinem Hundebett ausgestattet, damit es dort nach zu Hause roch. Daneben warteten sein Wassernapf und Futter. Sie hatte ihm bereits ein paar Leckerlis hingelegt.

Er spazierte geradewegs in sein Bett, schnaufte schläfrig und rollte sich zusammen.

Sie streichelte das schwarz-weiße Fell an seiner Flanke. „Ich habe dich lieb, Süßer.“ Sie würde in nächster Zeit besonders lange mit ihm spazieren gehen, damit er nicht eifersüchtig wurde, weil sie Fleur so viel Aufmerksamkeit schenkte. „Du bist ein guter Hund. Ich bin bald wieder da.“

Sie richtete sich auf und stellte einen iPod an, den sie im Zimmer bereitgelegt hatte. So konnte sie Kota dieselbe beruhigende Musik wie zu Hause vorspielen. Dann dimmte sie das Licht und sicherte das Gitter vor der Tür.

Sie ging durch die rustikale Hütte. Auf dem Steinboden der Küche waren ihre Schritte in den Fellstiefeln nur gedämpft zu hören. Sie öffnete die Glastür, die auf die Terrasse hinausführte, welche rings um das einsam gelegene Haus verlief.

Die Rot- und Orangetöne des Sonnenuntergangs über einem schneebedeckten Berggipfel flossen wie auf einem Gemälde ineinander, während im Osten die ersten Sterne des Abends am Himmel erschienen. Glenna sah sich um und ließ die stille Ruhe des Meeres auf sich wirken, auf dem das Flugzeug sanft schaukelte. Sie folgte dem Geräusch sprudelnden Wassers an einem Geländer entlang zum Whirlpool, aus dem man freie Sicht auf die Berge hatte. Doch sie sah nur Broderick …

Die kalte Luft und der Blick seiner whiskeyfarbenen Augen brachten sie dazu, sich zu beeilen. Auf den beheizten Stufen schüttelte sie die Stiefel ab und kam zu dem Schluss, dass sie ihm sicher besser widerstehen konnte, wenn sie sich nur schnell ins einladend warme Wasser gleiten ließ.

Allerdings fiel es ihr schwer, sich zu erinnern, warum genau sie ihm eigentlich widerstehen musste.

Sie schluckte, legte den Bademantel ab und hängte ihn übers Geländer. Ihre Brustwarzen zogen sich in der Kälte zusammen.

Vielleicht lag es aber auch am Anblick von Brodericks nackten breiten Schultern und seinen muskulösen Armen, wie er sich auf dem Rand des Whirlpools abstützte. Sein flammender Blick fing ihren auf und wanderte dann wie eine Liebkosung über jeden Zentimeter ihres Körpers.

Er zog eine dunkle Augenbraue hoch. „Wenn das der langweiligste Badeanzug in unserer Sammlung ist, kann ich ja froh sein, dass du dir nicht etwas Spannenderes ausgesucht hast.“

Sie stieg in den Pool und setzte sich in seine Nähe, achtete aber darauf, sich nicht zu nahe heranzuwagen. Noch nicht. Sie vertraute sich selbst nicht. Sie lehnte sich zurück, ließ den Kopf auf der Kante des Pools ruhen und schloss wohlig die Augen, als das Wasser aus den Düsen ihr die verkrampften Muskeln lockerte. „Es gibt ethische Spielregeln für ein geschäftliches Treffen wie dieses.“

„Wer sagt denn, dass es ums Geschäft geht? Wir haben viel durchgerechnet, uns um das Baby gekümmert …“ Seine Stimme klang sanft in der Nachtluft, tröstlich und berauschend zugleich. „Ich finde, wir haben es verdient, uns zu entspannen. Ich hätte ja Wein mitgebracht, aber ich will, dass wir beide die Kontrolle über unsere Sinne behalten.“

Sie öffnete die Augen und ertappte ihn dabei, sie anzustarren. Ein hungriges Lächeln lag auf seinem Gesicht. Ihre Kehle wurde trocken, als sich zur Antwort ihr eigenes Begehren regte.

Sie unterdrückte es und ballte unter Wasser die Fäuste. „Könntest du mir das bitte näher erklären?“

„Ich will wegen des Babys, dass wir nüchtern bleiben, und natürlich auch für den Fall, dass ich das Flugzeug steuern muss. Was dachtest du denn?“, fragte er so übertrieben unschuldig, dass sie ihn nass spritzte.

Er spritzte sofort zurück. Dann ließen sie sich beide tiefer ins wirbelnde Wasser gleiten. Ihre Beine streiften seine.

Emotionale Distanz. Die brauchte sie.

„Glaubst du, dass meine Mutter und dein Vater wirklich heiraten?“

„Was meinst du?“

Sie zuckte die Schultern. „Meine Mutter ist ein paar Mal mit Männern ausgegangen, seit mein Vater gestorben ist, aber es war nie etwas Ernstes. Ich kenne deinen Vater nicht gut, nur von geschäftlichen Treffen und vom Hörensagen.“

„Was hältst du von ihm?“ Der Unterton in Brodericks Stimme klang herausfordernd.

„Bei Verhandlungen hat er vor nichts Angst, und er ist fraglos immer für seine Familie da.“

„Er hat meine Mutter sehr geliebt.“ Broderick zuckte die Achseln. „Ich weiß, dass es Kinder gibt, die ihre Eltern durch die rosarote Brille sehen. Aber er hat heftig getrauert, als wir sie und meine Schwester verloren haben. Ich glaube nicht, dass das Unternehmen überlebt hätte, wenn Onkel Conrad nicht ein Jahr lang eingesprungen wäre.“

„Ich wusste gar nicht, dass dein Onkel das getan hat.“

Broderick verwirbelte das Wasser, und sie spürte einen kleinen Strudel am Bauch.

„Die Familie hat nichts nach außen dringen lassen, um die Stabilität der Aktien nicht zu gefährden. Conrad war ein Meister darin, den Aufsichtsrat zu beruhigen. Er wirkt wie ein Witzbold, aber man darf ihn nicht unterschätzen. Er ist ein kluger Mann, dem es nicht darauf ankommt, im Mittelpunkt zu stehen.“

Sterne funkelten kristallklar am tintenschwarzen Himmel.

„Ein Mann ohne Ego.“ Sie lachte leise. „Das ist ja ganz etwas Neues.“

Broderick bespritzte sie mit Wasser. „Das galt doch wohl nicht mir?“

„Natürlich nicht.“ Sie spürte, wie sehr sie ihn wollte. So wie vor über zehn Jahren. Es fühlte sich natürlich und vertraut an, miteinander zu lachen.

Und sehr verführerisch.

Broderick hob die Hand aus dem Wasser, um sie auf die Polarlichter hinzuweisen. Überirdisch schöne Leuchterscheinungen in Grün und Lila tanzten über den Himmel.

Irgendwie waren sie und Broderick einander näher als noch vor einem Moment. Sie spürte seinen Körper neben ihrem, wach und lebendig.

Ihr Blick fing seinen auf. Ihr Herz klopfte heftig und fühlte sich in ihrer Brust fremd an. Sie war sich nicht sicher, wer sich zuerst bewegte oder ob sie es vielleicht sogar gleichzeitig taten.

Denn jetzt waren sie ohne jede Frage nur noch einen Atemzug von einem Kuss entfernt – einem Kuss voller Leidenschaft, Sehnsucht und Verheißung.

Und ich habe nicht vor, mich zurückzuziehen.

So viel zum Thema gute Vorsätze.

Wenn Glenna ihn so ansah, konnte Broderick nicht auf Distanz bleiben. Als ihre Schulter seine streifte, weckte sie das Verlangen in ihm, das er seit einem Jahrzehnt unterdrückte.

Sie öffnete den Mund ganz leicht. In der kleinen Bewegung lag Vorfreude. Broderick verspürte den Drang, den Arm um sie zu legen und sie rittlings auf seinen Schoß zu ziehen, damit sie ihn in sich aufnahm, wenn er so tief in sie eindrang wie früher. Wie er es wieder tun wollte.

Diese Frau hatte schon immer die Macht gehabt, ihn in die Knie zu zwingen. Allein schon der Gedanke vor ihr zu knien, wenn sie die Beine spreizt und nur darauf wartet, dass ich sie berühre und reize, bis sie …

Er atmete langsam aus und zwang seinen Herzschlag, sich zu beruhigen.

Als er das letzte Mal dieser Versuchung nachgegeben hatte, war Glenna danach gegangen, hatte einen anderen Mann geheiratet und ihn zehn Jahre lang ignoriert.

Habe ich die Willenskraft aufzuhören, wenn ich sie erst einmal geschmeckt habe?

Er streichelte Glennas Wange und strich ihr eine feuchte Locke aus der Stirn. Bei der Berührung ihrer seidigen Haare durchzuckte ihn Hitze, die nichts mit dem warmen Wasser zu tun hatte. In ihren blauen Augen funkelten das Spiegelbild der Sterne und ein Hauch von Polarlicht.

Er sah ihre zarten Schultern im bewegten Wasser. Die dünnen schwarzen Träger riefen ihm ins Gedächtnis, dass sie immer noch den Bikini trug. Mit einem Griff könnte er ihre schönen Brüste davon befreien. Er erinnerte sich bis in alle Einzelheiten daran, wie sie aussah, wenn sie nichts anhatte.

Aber ihre Kurven waren mittlerweile reifer, und er sehnte sich danach, jeden Zentimeter von ihr mit Mund und Händen zu erkunden. Sie unter den Sternen zu lieben, während die Polarlichter am Himmel flackerten.

Ja, das will ich.

Aber wenn er nicht zugleich zehn Jahre Kummer und Reue wollte, musste er es langsam angehen. Für heute Abend musste er sich darauf beschränken, wieder herauszufinden, wie ihre Lippen sich anfühlten und schmeckten.

Er beugte sich vor und hielt einen Herzschlag lang inne, um ihr die Chance zu geben, zu protestieren. Dabei betete er, dass sie es nicht tun würde.

Dann rückte sie näher an ihn heran. Eine weitere Ermutigung brauchte er nicht. Er fuhr ihr mit dem Mund über die Wange, wo seine Finger sie eben noch gestreichelt hatten. Ihre Haut war glatt und weich. Sie keuchte leise auf und beugte sich zu ihm. Unter Wasser streiften ihre Knie seine.

Sie presste die Brüste gegen seinen Oberkörper. Er konnte es nicht abwarten, ihr den Bikini auszuziehen und in ihr zu versinken. Darauf zu verzichten, tat fast körperlich weh, aber der Wunsch, sie für mehr als einen impulsiven One-Night-Stand zu gewinnen, war stärker.

Er ergriff Besitz von ihrem Mund, und sie legte ihm die Arme um den Hals, um zu bestätigen, dass sie ihn so sehr wollte wie er sie. Hitze, Begierde und Glennas Duft schienen sich in der eisigen Luft zu intensivieren und drohten, ihm den Verstand zu rauben. Die Kontrolle.

In dem Moment wurde ihm klar, wie sehr er sich wirklich danach sehnte, mit ihr zu schlafen. Wieder und wieder.

Wieder war das Wort, auf das es ankam. Wenn er jetzt zu schnell vorpreschte, würde es bei einer einzigen Nacht bleiben. Und eine reichte absolut nicht, das wusste er aus Erfahrung. Die Erinnerung an das eine Wochenende quälte ihn seit zehn Jahren. Diesmal musste er es klüger anstellen.

Nicht ohne Bedauern unterbrach er den Kuss, löste sich von ihr und fuhr ihr mit beiden Händen über die Schultern. „Das ist keine gute Idee, Glenna.“

„Das sagst du.“ Ihr Atem liebkoste sein Gesicht. Ihre Stimme klang heiser, und sie sah ihn von unten her an. „Du weißt, wie sehr ich dich will.“

„Ist das ein unmoralisches Angebot?“ Er starrte ihr tief in die Augen, einen Moment zu lange. Die Zeit reichte aus, ihn spüren zu lassen, dass sich etwas zwischen ihnen entwickelte.

„Das lasse ich dich noch wissen.“ Sie beugte sich so dicht zu ihm, dass ihre Lippen ihn am Ohr kitzelten.

„Glenna, so gern ich auch weitermachen würde, es ist zu früh für uns beide.“ Er streichelte ihr ein letztes Mal die Schultern und küsste sie auf die feuchte Nasenspitze. „Gute Nacht.“

Es fiel ihm alles andere als leicht, von ihr abzurücken, aber er wusste, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war. Noch nicht. Eine Extradosis Bedauern durchzuckte ihn, als er sich aus dem Wasser stemmte.

Zum Teufel, der eiskalte Wind, der über die Bucht peitscht, ist jetzt genau das Richtige!

Jeannie Mikkelson war lange genug Geschäftsfrau und Mutter, um zu wissen, was sie wollte.

Aber die Wucht ihrer Gefühle für Jack Steele warf sie immer noch um. Sie kannte ihn seit Jahrzehnten, aber plötzlich hatte sie sich Hals über Kopf leidenschaftlich in ihn verliebt. Auf der Konferenz hatte sie ihn mit anderen Augen gesehen.

Jetzt lag sie ausgestreckt neben ihm auf dem Ledersofa in seiner Suite. Das Feuer im Kamin prasselte, und sie war ein Teil seines Lebens, wie er ein Teil ihres Lebens war. Es war mehr als Ausgehen oder Sex. Allmählich verschmolz auch ihr Alltag.

Sie sah die Reste des einfachen Abendessens an, das sie sich geteilt hatten. Das Tablett stand noch auf dem Sofatisch. Solche kleinen Freuden durfte man nicht für selbstverständlich halten.

Wenn die anderen das doch nur verstehen könnten! „Wie kommt es nur, dass unsere Kinder so viel gemeinsam haben und doch bereit wären, einander bis aufs Messer zu bekämpfen?“

Sie spürte sein Auflachen. „Das könnte daran liegen, dass wir sie zu Gegnern erzogen haben.“

„Habt du und Mary schlecht über uns geredet?“ Sie zeichnete seinen Schnurrbart mit dem Finger nach. Auf etwas düstere und wettergegerbte Art, die ein Kribbeln in ihrem Bauch weckte, war Jack schön und elegant.

Er knabberte lachend an ihrem Finger. „Mary nicht, aber ich habe mir beim Abendessen mehr als einmal meinen Frust von der Seele geredet.“

„Warum überrascht mich das nicht?“ Sie schmiegte sich an ihn. Er legte die Arme fest um sie. „Wahrscheinlich ernten wir nur, was wir gesät haben.“

„Das stimmt. Aber unsere Kinder sind erwachsen und haben ihr eigenes Leben. Wir sollten also auch unseres führen dürfen.“

Jeannie bewunderte Jack für seine Standhaftigkeit, fragte sich aber, ob sie es zu unversöhnlich angingen. „Wir können doch sicher einen Kompromiss mit ihnen finden.“

„Sie sind keine Babys mehr, die man in Watte packen muss. Und es geht ja auch ums Geschäft. Entweder sie machen mit oder nicht.“

Die stahlharte Entschlossenheit in seiner Stimme war nicht zu überhören. Sein Nachname passte zu ihm.

Sie wandte sich ihm zu und ließ die Hände auf seiner breiten Brust ruhen. „Wir reden von unserer Familie. Die ist viel wichtiger als die Firma.“

„Sobald den Kindern das klar wird, ist alles in Ordnung. Aber bis dahin wird immer jemand das Gefühl haben, von seinen neuen Stiefgeschwistern übervorteilt zu werden. Und das müssen sie allein regeln.“ Er küsste sie auf den Ringfinger. „Aber wir müssen noch einen Verlobungsring kaufen.“

„Ich will nur einen ganz schlichten.“

Der Schnurrbart kitzelte sie, als Jack lächelte. „Ja, aber ich will dir einen richtigen Verlobungsring kaufen.“

Mein Gott, er ist so starrsinnig! „Kannst du das Geld nicht lieber wohltätigen Zwecken spenden?“

„Ich kann beides tun.“

Sie schüttelte den Kopf, entzog ihm ihre Hände und umfasste sein Gesicht. „Du verhandelst hart, Jack Steele.“

„Bei dir muss ich mich anstrengen, und das gefällt mir.“ Er ließ die Stirn an ihrer ruhen und legte dann den Kopf schief, um sie auf die Lippen zu küssen.

Sie öffnete einladend den Mund.

Doch noch während sie sich in dem Moment verlor, überschlugen sich ihre Gedanken. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und würde den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen. Aber sie würden nie gemeinsame Kinder haben. Daran musste sie sich erst gewöhnen. Früher hatte sie damit gerechnet, für immer mit dem Vater ihrer Kinder zusammen zu sein. Sein Tod hatte ihre Welt auf den Kopf gestellt, und an manchen Tagen war sie sicher gewesen, dass ihr Herz endgültig gebrochen war. Aber irgendwie hatte sie sich wieder aufgerappelt.

Für ihre Kinder.

Und jetzt konnte sie nicht leugnen, dass sie es ihnen übel nahm, wie reserviert sie reagierten. Was, wenn es zum Bruch zwischen unseren Kindern und uns kommt? Kann ich damit leben?

Und kann Jack es?

Er hatte wirklich ein Kind verloren, auf die schlimmstmögliche Weise. Dieser Unfrieden musste ihm wehtun. Wenn die Hochzeit sie beide ihre Kinder kostete, konnte sie dann von ihm verlangen, so viel für sie aufzugeben?

8. KAPITEL

Was. Zum. Teufel!

Sogar fünfzehn Minuten, nachdem Broderick gegangen war, fühlte Glenna sich immer noch überwältigt – von seinem umwerfenden Kuss, aber auch von seinem unvermittelten Aufbruch. Sie hielt sich am Rand des Whirlpools fest. Das Wasser blubberte unter ihrem Kinn.

Broderick war einfach gegangen. Nachdem er sie unter die Sterne gelockt hatte. Sie so süß geküsst hatte, als würde er den besten Wein der Welt genießen. Sie berührt hatte, als wäre sie aus zartem Porzellan. Seit er gegangen war, wusste sie kaum noch, wo oben und unten war.

Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte zu den schimmernden Polarlichtern hoch. Das Frühjahr war nicht die beste Zeit, um sie zu beobachten, aber sie waren trotzdem grandios. Romantisch. Sie war sich nicht sicher, was für ein Spiel Broderick spielte, ob es überhaupt ein Spiel war. Er fühlte sich zu ihr hingezogen. Auch für ihn ging es um viel. Ob er wohl genauso verwirrt ist wie ich?

Ihn das zu fragen, kam ihr aber gefährlich vor.

Ein Wimmern riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Körper setzte sich ganz von selbst in Bewegung. Das Weinen der kleinen Fleur weckte ihre mütterlichen Instinkte, und sie bemerkte kaum die eisige Nachtluft auf der nackten Haut, als sie aus dem Whirlpool sprang und nach dem Babyfon griff.

Während sie triefend über die Terrasse lief, streifte sie rasch den Bademantel über. Sie ließ die Stiefel stehen, um sich möglichst schnell um das Baby zu kümmern.

Glenna riss die Tür auf. Als sie die Hütte betrat, hörte sie eine andere Stimme aus dem Zimmer des Babys. Eine Männerstimme.

Broderick.

Auf Zehenspitzen schlich sie sich näher heran, um zu lauschen.

Schweigen.

Fleurs Weinen verstummte.

Glenna nahm sich ein Handtuch von einem der Stühle an dem rustikalen Holztisch. Sie trocknete sich ab und strengte sich an, auf Broderick zu lauschen. Ihr fiel auf, dass die gelben Lampen warme Schatten in der Hütte warfen. Ein heimeliges Licht. Anders konnte man die Atmosphäre nicht beschreiben.

„Pst. Es ist alles in Ordnung, Kleines.“ Seine sonst so raue tiefe Stimme klang sanft.

Glenna ließ ihn sich weiter um das Kind kümmern. Wenn Fleur sein Baby war, dann war dieser Augenblick wichtig für ihre Bindung. Sie wollte sich nicht einmischen.

Stattdessen spazierte sie durch die Hütte und streckte die Hand aus, um das Elchgeweih über dem Kamin zu berühren. Der Raum schien den ganzen Charme des alten Alaska in konzentrierter Form zu enthalten. Glenna berührte den Holzofen. Das Metall war kühl. Kein Feuer. Erfrischend, weil das Begehren in ihrem Innern sich wie ein tosendes Inferno anfühlte.

„So, da wären wir“, unterbrach Brodericks Stimme ihre Grübeleien.

Sie ging weiter durchs Zimmer, über die kühlen Steinfliesen zum warmen Fellvorleger vor dem Sofa.

Sie wagte sich näher an die hölzerne Schiebetür, die sie von ihrem Schlafzimmer trennte. Brodericks weiche Seite gefiel ihr sehr.

Die Hand neben der Tür aufgestützt, lauschte sie seinem einseitigen Gespräch. Anscheinend hatte er das Baby hochgehoben, und sie hörte ihn sagen: „Ja, junge Dame, wir besorgen dir jetzt eine trockene Windel, und dann machen wir einen kleinen Spaziergang, damit du aus dem Fenster schauen kannst …“

Es schnürte ihr die Brust zu, sich vorzustellen, wie er Fleur zum Fenster trug, um auf die Sterne hinauszusehen.

Glenna warf einen Blick über die Schulter und bemerkte ein Familienfoto an der Wand. Der ganze Steele-Clan. Sie musterte das Bild und erkannte, dass Brodericks Familie mittlerweile ganz anders aussah. Wie seltsam muss es für ihn sein, ohne seine Mutter durchs Leben zu gehen. Und ohne seine Schwester …

Fleur gluckste und riss Glenna aus ihren melancholischen Gedanken.

Sie ertappte sich bei einem Lächeln, und ihr Herz schlug ein bisschen zu schnell. Sie spürte, dass sie sich auf dünnes Eis wagte.

Brodericks Umgang mit dem Kind wärmte sie bis ins Innerste.

Das ist wirklich gefährlich.

Ein paar Stunden waren vergangen, seit er Fleur wieder schlafen gelegt hatte. Vielleicht ist sie meine Tochter. Der Gedanke warf Broderick noch immer um.

Er öffnete die Kühlschranktür und hielt nach etwas Leckerem für die geplante Nachtschicht Ausschau. Er hatte bei Glenna Fortschritte gemacht. Er wollte mehr als einen One-Night-Stand, und das verlangte Geduld und Überredung.

Eigentlich ging er immer forsch aufs Ganze, wie damals an dem Wochenende auf dem College. Broderick Steele stellte sich jeder Herausforderung. Und er musste Glenna unbedingt ins Bett bekommen.

Aber diesmal würde er einen kühlen Kopf bewahren und sich Zeit lassen. Er musste Glenna überzeugen, dass es um mehr als Sex ging. Um eine ernsthafte Beziehung.

Das war auch die Lösung, was die Firma und das Baby anging. Sie würden bei allem Hand in Hand arbeiten. Er hatte nicht vor zu heiraten, und sie hatte klargestellt, dass ihr verstorbener Mann ihre große Liebe gewesen war. Die Idee, etwas mit ihr anzufangen, hätte ihn erstaunen sollen, tat es aber nicht. Sie setzte sich einfach in ihm fest wie ein wohldurchdachter Plan für eine gewinnträchtige Fusion.

Er griff in den Edelstahlkühlschrank und holte mehrere Käsesorten daraus hervor: Brie, Feta und Mascarpone. Er ordnete sie auf der Theke an und suchte dann nach Himbeeren, Blaubeeren, Erdbeeren und Räucherlachs.

Über die Schulter warf er einen Blick auf Glenna, die in dem weichen Sessel saß. Der Bildschirm ihres Laptops tauchte ihr Gesicht in blaues Licht. Ihr feuchtes Haar war zu einem lockeren Knoten hochgesteckt. Es juckte ihm in den Fingern, ihn zu lösen.

Nach dem Bad im Whirlpool hatte sie eine seidene grüne Schlafanzughose und ein passendes Top angezogen. So war sie zwar bekleidet, aber das Outfit erinnerte ihn daran, dass sie über Nacht hierblieben. Das Meergrün betonte ihre blauen Augen, wie Wasser, das von einem Sturm aufgewirbelt wurde. Sie im Whirlpool sitzen zu lassen, war ihm verdammt schwergefallen.

Er arrangierte den Snack neben einem in Scheiben geschnittenen Baguette auf einem Holzbrett. Nachdem er die Platte zum Tisch gebracht hatte, holte er zwei Weingläser und eine Flasche gekühlten Prosecco. Er baute alles auf dem rustikalen Esstisch auf, schenkte den Schaumwein ein und ließ ein paar Erdbeeren in die Gläser fallen. Dann öffnete er seinen Laptop und war bereit, an die Arbeit zu gehen.

Glenna warf einen Blick auf das Essen. Im nächsten Moment nahm sie ihren Computer und ihre Aktentasche und wechselte über zu dem Stuhl neben seinem. Der leichte Duft ihres Shampoos stieg ihm in die Nase, als sie sich setzte. Ihr Geruch war so berauschend, dass ihm das Wasser im Munde zusammenlief.

Nachdem sie sich Räucherlachs auf eine Brotscheibe gelegt hatte, musterte sie ihn so intensiv, dass Broderick schon fürchtete, sie könnte seine Gedanken lesen. Kurz herrschte Stille, die nur von dem sanften klassischen Cellostück durchbrochen wurde, das aus dem Babyfon ertönte – Musik für die kleine Fleur.

Kota kam unter dem Tisch hervor, um an Glennas Hand zu schnüffeln. Aus dem Augenwinkel beobachtete Broderick, wie sie dem Welpen die Ohren kraulte. Kota gähnte herzhaft. Seine Zähne blitzten sogar in diesem schwachen Licht hell auf.

Broderick nippte an seinem Wein. „Wir sollten über das reden, was draußen passiert ist.“

Ihre Wangen liefen rot an. „Lieber nicht.“

Er verengte die Augen. Beiläufig strich sie mit einem Finger über den Rand ihres Weinglases und erwiderte seinen Blick unverwandt.

Heiser fuhr er fort: „Ich will, dass das immer wieder passiert, und mehr als das. Deine Reaktion zeigt, dass es nicht nur mir so geht.“

Sie schob sich eine Himbeere in den Mund. Er sah, dass ein kleiner roter Fleck auf ihren vollen Lippen zurückblieb. Er hätte ihn gern geschmeckt. Das erinnerte ihn an den Kuss vorhin – das Gefühl ihrer Lippen an seinen hatte sich förmlich in ihm eingebrannt.

Glenna hob die Schultern. „Das sind nur die Hormone. Und meine Enthaltsamkeit …“ Sie zuckte zusammen. „Nein, das geht dich nichts an. Es ist persönlich. Privat. Sag nichts.“

Das Rot ihrer Wangen vertiefte sich.

Broderick strich Käse auf ein Stück Baguette, lehnte sich zurück und bedachte sie mit seinem verruchtesten Lächeln, nur um sie zu ärgern. Aber die Tatsache, dass sie seit dem Tod ihres Mannes mit niemandem mehr zusammen gewesen war, rief ihm ins Gedächtnis, wie viel Gage ihr bedeutet hatte.

Er bewegte den Kopf hin und her, um eine plötzliche Verspannung in seinem Nacken zu lösen.

Der Gedanke an ihre Ehe erinnerte ihn aber auch daran, dass es der richtige Weg war, etwas Ernsthaftes mit ihr anzubahnen. Sie hatte lieber Sex innerhalb einer Beziehung.

„Wirklich. Sag bitte kein Wort.“ Sie vergrub das Gesicht in den Händen, strich sich dann die Haare zurecht und widmete sich wieder ihrem Glas. Die Art, wie sie den nächsten Schluck trank, wirkte sehr entschlossen.

Er hob stumm die Hände.

Sie warf mit einem Kissen vom Stuhl neben ihr nach ihm. „Du weißt, dass ich mich zu dir hingezogen fühle, aber vorhin hast du im Whirlpool klargestellt, dass nichts daraus wird“, sagte sie direkt. „Egal, worauf du aus bist, ich halte nichts von Spielchen. Du hast mich nur daran erinnert, warum es unklug wäre, diesen Gefühlen nachzugeben. Es ist schon genug los.“ Sie machte eine Geste, die anzudeuten schien, dass sie das allgemeine Chaos in ihrem Leben meinte.

Für ihn war dieses Chaos nicht unüberwindbar. Wenn sie alles ohne Wenn und Aber ausdiskutieren wollte, war er dazu bereit.

„Ich bin vorhin gegangen, weil ich mir nicht sicher war, ob du schon bereit bist. Hatte ich recht?“

Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Vielleicht. Aber das hättest du auch draußen schon sagen können, statt so kühl davonzustolzieren.“

„Ja, aber du führst mich in Versuchung. Selbst dann, wenn ich die besten Absichten habe.“

„Ich schätze, das ist ein Kompliment.“ Sie schluckte. „Im Moment ist alles schwierig und kompliziert, das gebe ich zu. Es wäre besser, wenn du nicht so klug wärst. So charmant. So verdammt heiß.“

So, wie sie die Wörter hervorstieß, klangen sie nicht sehr schmeichelhaft.

Dennoch grinste er und nahm sich noch eine Handvoll Beeren. „Ich bin froh, dass du es so siehst. Das ist doch eigentlich alles toll, denn du bist verdammt sexy. Ich reiße mich nur am Riemen. Du bist es wert, dass ich mich gedulde.“ Er trank seinen Prosecco aus und steckte sich noch eine Beere in den Mund.

Sie schürzte die Lippen. „Das beantwortet aber noch nicht die Frage, wie wir zusammenarbeiten und ein Teil derselben Familie werden sollen.“

Er rückte auf seinem Stuhl näher an sie heran. „Was, wenn wir im Büro zusammenarbeiten und Fleur mitnehmen?“

„Wie meinst du das?“ Sie runzelte die Stirn, trank ihr Glas leer und leckte sich die Lippen.

Sie macht mich verrückt. Es muss einfach funktionieren.

„Du willst nicht wieder heiraten, das hast du selbst gesagt. Ich lebe nur für meinen Job, doch ich will eine feste Beziehung.“

„Aber keine Verpflichtungen?“

Er nickte. „Ich will nicht, dass eine Beziehung scheitert, weil die Frau sich an meinen Überstunden stört. Und ich will ganz bestimmt nicht erleben, was mein Vater durchgemacht hat, als Mom gestorben ist. Also versuchen wir es doch einfach miteinander und warten ab, wo uns das Begehren hinführt.“

Er schob ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und strich ihr mit der anderen Hand sacht übers Knie.

„Meinst du das ernst? Du reißt mich nicht bloß für einen One-Night-Stand auf?“, fragte Glenna leise und beugte sich zu ihm.

„Ich meine es sehr ernst. Betrachte das hier als die wichtigste geschäftliche Entscheidung unseres Lebens. Wir werden zusammen sein. Egal, wer von uns künftig für Fleur zuständig ist, wir können einander helfen.“

Sie musterte ihn forschend. „Du meinst es wirklich ernst.“

„Fällt dir ein guter Grund ein, warum nicht? Lass uns eine Entscheidung fällen.“

„Jetzt sofort? Das geht schnell.“ Sie schüttelte den Kopf, sodass ihr Haarknoten verrutschte und sich aufzulösen drohte. „Das ist doch verrückt.“

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“ Er schob sich eine Beere zwischen die Lippen. „Denk darüber nach.“

Sie schluckte langsam.

Ja. Ich mache wirklich Fortschritte.

Er lehnte sich zurück. „So, dann kommen wir mal wieder zu den letzten Quartalszahlen …“

Kota hatte endlos viel Energie. Zumindest kam es Glenna so vor. Seit einer Stunde warf sie nun schon einen Ball für ihn, und allmählich wurde ihr der Arm müde. Kota stürzte sich wie ein geschmeidiger schwarz-weißer Pfeil in den Schnee und kehrte mit dem Ball im Maul zurück.

Vielleicht versuchte sie aber auch nur, sich auszutoben, um die Nervosität loszuwerden, die Brodericks Vorschlag in ihr ausgelöst hatte. Sie holte weit aus und warf den Tennisball noch einmal.

Die Vormittagssonne hing tief am wolkenlosen Himmel, und die isolierte Lage der Hütte gab ihr Zeit zum Nachdenken. Viel Zeit.

Natürlich fühle ich mich zu ihm hingezogen, aber dieser Vorschlag, eine feste Beziehung einzugehen und Fleur gemeinsam großzuziehen …

Darüber musste sie erst noch nachdenken. Ihre Gefühle überschlugen sich, und beim Frühstück hatte sie Broderick angefahren. Nicht absichtlich, aber sie war gereizt gewesen.

Binnen einer Woche hatte sich viel zu viel verändert. Nichts an ihrem Leben fühlte sich mehr normal an. Die einzigen Dinge, die sich immer deutlicher herauskristallisierten, waren ihre Zuneigung zu Fleur – und ihr Verlangen nach Broderick. Sie musste sein Angebot in Erwägung ziehen.

Sie rief Kota zu sich, und sie kehrten aus dem Garten auf die Terrasse mit dem Whirlpool zurück. Broderick öffnete die Tür.

Er wirkte besorgt, und ihr fiel sofort auf, dass seine Miene noch ein Echo von Kränkung zeigte.

„Es tut mir leid, dass ich vorhin so gereizt war. Waffenstillstand?“

„Unbedingt.“ Ein entspanntes Lächeln trat auf sein sonnengebräuntes Gesicht. Die whiskeyfarbenen Augen wirkten sofort wärmer.

„Möchtest du mitkommen, während ich mit Kota Gassi gehe? Fleur könnte auch etwas Sonnenschein vertragen.“

Sie zeigte auf den kleinen Wanderweg, den sie unmittelbar hinter dem Zaun entdeckt hatte.

Er sah sich um. Hinter ihm saß Fleur in einer Babywippe. „Wird sie bei der Kälte nicht krank?“

„Also wirklich! Wart ihr Steele-Kinder so verweichlicht?“ Glenna lachte.

„Lass das ja nicht meinen Vater hören. Er legte großen Wert darauf, uns abzuhärten, und dass aus uns keine verwöhnten Kinder wurden, denen alles in den Schoß fiel.“ Broderick wich einen Schritt zurück, um sie in die Hütte zu lassen. Ihr Körper streifte seinen. Ein Gefühl wie Elektrizität durchzuckte sie.

Glenna ignorierte das erregende Prickeln und antwortete stattdessen mit einer Anekdote aus ihrem Leben: „Mom und Dad waren auch so. Wir hatten sogar ein Preislimit beim Essengehen. Ich weiß noch, dass jemand in einem Restaurant einmal eine Bemerkung darüber gemacht hat. Mom sagte: ‚Ja, Charles und ich haben ein gut gefülltes Bankkonto. Aber unsere Kinder müssen sich ihren Reichtum erst noch verdienen.‘“ Sie tat ihr Bestes, Jeannies dramatische Gestik nachzuahmen.

Broderick lachte. „Das klingt wie Dad! Wenn wir nicht aufpassen, feuern sie uns und fangen mit neuem Personal noch einmal von vorn an.“

Glenna lachte laut auf. „Okay, dann mach dich mal für den Spaziergang fertig.“

„Wie meinst du das?“ Er zeigte auf seinen Mantel, als bräuchte er nicht mehr für ihren Ausflug.

Sie zog eine Augenbraue hoch und deutete auf das Tragegestell im Wohnzimmer. „Du musst Fleur eng an der Brust tragen, damit sie es warm und geborgen hat.“

„Wie wäre es stattdessen mit einem Babyschlitten?“, fragte er sichtlich nervös.

Glenna erinnerte sich, wie er gestern Abend mit Fleur umgegangen war, als er geglaubt hatte, unbeobachtet zu sein. Ein Naturtalent. Er brauchte nur etwas Ermutigung.

„Es ist eine schwere Zeit für sie. Nach der Trennung von ihrer Mutter braucht sie jetzt so viel Körperkontakt wie möglich.“

„Ich könnte den Hund ausführen.“ Sein Gegenangebot überspielte sein Unbehagen nicht ganz.

„Hast du Angst vor Babys?“

„Nein. Nur vor dem Ding hier.“ Er ging zu der Trage, hob sie auf und untersuchte sie übervorsichtig, als könnte sie plötzlich zum Leben erwachen.

„Sieh es einfach als Rucksack, den du vorn trägst.“

Sie schnallte Fleur in das Gestell vor Brodericks Brust, zeigte ihm, wie es funktionierte, und widerstand nur knapp der Versuchung, sich Zeit zu lassen und ihn länger zu berühren als nötig. Sie drückte ihm leicht den Arm. „Jetzt sind wir bereit.“

Sie ließ ihn vorangehen. Das hier war schließlich das Land der Familie Steele. Er war hier aufgewachsen und kannte die Wege. Kota lief neben ihnen her, und Glenna ließ die unberührte Natur auf sich wirken. Kein anderes Gebäude in Sicht. Perfekt.

Sie wanderten Richtung Berg. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln. Fleur gluckste leise. Je länger sie unterwegs waren, desto ruhiger schien Broderick zu werden.

Hier draußen fühlte Glenna sich stark und mutig. „Glaubst du, unsere Familien hätten sich angefreundet, wenn sie von Anfang an zusammengearbeitet oder im selben Viertel gewohnt hätten?“, fragte sie.

„Hm … interessanter Gedanke. Die Steeles und die Mikkelsons gemeinsam auf dem Nachbarschaftsfest?“

Ihre Lippen fühlten sich im kalten Wind trocken an. „Das war eine dumme Frage.“

„Überhaupt nicht. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns Schneeballschlachten geliefert hätten.“

„Natürlich Jungs gegen Mädchen“, ergänzte sie.

„Ihr Mädels hättet gewonnen, wenn meine Schwester Breanna dabei gewesen wäre.“

„Das ist das erste Mal, dass du sie erwähnst.“ Er musste maßlos unter dem Verlust leiden. Glenna hatte Mitgefühl mit ihm. Sie kannte sich mit Trauer aus.

„Eigentlich ist es falsch, dass ich nie über sie rede. Sie sollte in Erinnerung bleiben.“

Er klang ehrlich. Sie ahnte, dass es ihm schwerfiel, ihr so viel anzuvertrauen, aber er hatte gesagt, dass er mehr wollte.

Kann ich für ihn da sein?

„Möchtest du mir von ihr erzählen?“

„Sie war temperamentvoll und hatte unglaubliches Führungstalent.“

Glenna schnaubte. „Naomi ist auch temperamentvoll.“

Lachend verdrehte er die Augen. „Naomi ist eine Rebellin. Breanna war zielstrebiger. Für sie musste es immer vorangehen, und ich wollte nicht hinter ihr zurückstehen.“

„Jemanden zu verlieren, den man liebt, ist so schwer – und dann gleich deine Schwester und deine Mutter auf einmal!“ Alle Verluste taten weh: Todesfälle, Scheidungen oder ein Auseinanderleben im Laufe der Zeit.

Das war auch der Grund dafür, dass sie zögerte, sein Angebot anzunehmen. Sie musste ihm klarmachen, dass man sich nicht leichtfertig auf eine Beziehung einlassen durfte – ganz egal, wie praktisch es sein mochte.

„Das hat uns alle verändert.“ Broderick blieb kurz stehen, um sie anzusehen. „Es tut mir so leid, dass dein Mann gestorben ist. Jetzt auf die Ergebnisse des Vaterschaftstests zu warten, muss für dich die Hölle sein.“

Sie schluckte und verdrängte ihre Gefühle. „Für dich ist es doch sicher auch schwer, nicht zu wissen, ob Fleur deine Tochter ist.“

„Für mich ist es anders.“ Er drückte Glenna die Hand.

„Versuchst du, mich zu fragen, ob ich glaube, dass Fleur Gages Tochter ist? Du willst wissen, ob ich meine, dass mein Mann mich betrogen hat.“

„Es steht mir nicht zu, danach zu fragen. Aber es interessiert mich wirklich, ob er dich verletzt oder enttäuscht hat.“ Broderick sah sie an.

Sie holte tief Luft, roch die Nadelbäume. Leise vertraute sie ihm ein Geheimnis an, das nur wenige Menschen kannten: „Er hatte vor drei Jahren eine Affäre. Wir haben das Problem mit einem Ehetherapeuten durchgearbeitet. Es war nicht einfach, aber wir haben unsere Ehe wieder gekittet.“

„Verdammt. Das tut mir so leid.“ Er runzelte die Stirn.

„Gage ist tot“, stieß sie mühsam hervor. „Und vor allem das tut mir leid.“

„Natürlich“, sagte er sanft.

„Ich habe ihm gesagt, wenn er mich noch einmal betrügen würde, wäre es aus. Wenn er wirklich noch einmal fremdgegangen ist, hat er wahrscheinlich nicht riskiert, es mir zu sagen, weil er wusste, dass ich ihn verlassen würde.“

„Und?“ Broderick legte den Kopf schief.

„Reicht das nicht?“

Er starrte sie unverwandt an. „Dein Gesicht verrät, dass da noch mehr ist.“

„Wenn Fleur sein Kind ist, hat er mich noch einmal betrogen. Und doch möchte ich sie nicht missen. Sie ist etwas, das von ihm bleibt. Ich weiß, dass sich das unlogisch anhört – einerseits hätte ich ihn dafür verlassen, dass er mich betrogen hat, aber andererseits hoffe ich so sehr, dass sie sein Kind ist. Wir hatten Schwierigkeiten, eines zu bekommen. Ich habe Endometriose und einen Eileiter durch eine Eileiterschwangerschaft verloren.“ Sie holte tief Luft. Dann noch einmal. Aller Schmerz der letzten Jahre brandete über sie hinweg.

Broderick streckte die Hand aus, um ihr übers Haar zu streichen.

Sie schmiegte sich einen Moment lang in seine Berührung, bevor sie sich von ihm löste. „Ich will kein Mitleid. Nur Antworten.“ Sie räusperte sich. „Was planst du für den Fall, dass du Fleurs leiblicher Vater bist?“

Er sah lächelnd auf das Baby hinab, das tief und fest schlief. „Dann werde ich ihr Vater sein. Sie hat schon genug Zurückweisung von ihrer Mutter erfahren.“

„Auf die eine oder andere Art wird sie mit ihrer neuen Großfamilie zusammenleben.“

„Scheint so. Du kannst gut mit ihr umgehen.“

Glenna lächelte und beugte sich über Fleur, um sie anzusehen. „Ich liebe Kinder. Ich wollte immer Mutter werden.“

„Du kannst auch immer noch Mutter werden, egal, was für ein Ergebnis der DNA-Test zeigt.“

Er machte ihr das Angebot schon wieder. Das, von dem sie immer noch nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. „Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen, aber danke, dass du dir den Kopf für mich zerbrichst.“

Er berührte ihr Gesicht. Diesmal wich sie nicht zurück, sondern erwiderte unverwandt seinen Blick. Dann hob sie den Kopf und schloss die Augen. Ihre Lippen fanden seine …

Sofort war sie gebannt von der Wärme seiner Zunge, die einen wunderbaren Kontrast zur Kälte der Luft bildete. Er zog sie an sich, wurde fordernder …

Die Welt kippte. Wortwörtlich.

Kota sprang sie an und riss Glenna um. Als sie wieder aufstand und sich den Schnee von der Jacke klopfte, kam ihr der Gedanke, dass der Welpe sie vor sich selbst gerettet hatte.

9. KAPITEL

Broderick verlor sich in Erinnerungen an frühere Mahlzeiten in der Hütte, als er den Deckel des Schongarers aufklappte. Er überprüfte, wie weit sein Karibueintopf nach Familienrezept schon war. Thymianduft wallte ihm entgegen. Er atmete den Geruch des herzhaften Gerichts tief ein. Diesen Geschmack gab es nur in Alaska. Richtiges Trostessen.

Es war seine Lieblingsspeise, und er freute sich darauf, sie mit Glenna zu teilen, sobald sie das Baby ins Bett gebracht hatte. Im Moment bekam sie nichts von seiner Nostalgie mit: Sie saß mit Fleur auf einer Steppdecke auf dem Boden im Wohnzimmer.

Seine Eltern hatten immer im großen Schlafzimmer übernachtet. Die Mädchen schliefen im Gästezimmer wie heute Glenna und Fleur, und die Jungen machten sich im Wohnraum breit. Die ganze Familie verbrachte ihre Tage mit Schneemobil-Fahrten, Angeln und Wandern. Wenn sie erschöpft und ausgehungert in die Hütte zurückkehrten, hinterließen sie eine Spur aus durchweichten Schneeanzügen, Mützen, Handschuhen und Stiefeln.

Dieses Rezept stammte von seiner Großmutter. Jedes Mal, wenn er den Eintopf kochte, sah er wieder vor sich, wie seine Grandma und seine Mutter Tomaten und Zwiebeln würfelten. Obwohl die Familie steinreich war und Hausangestellte hatte, war seine Großmutter überzeugt gewesen, dass das Rezept keinem Fremden in die Hände fallen durfte – und dass ohnehin niemand dieses Essen so gut zubereiten konnte wie sie. Broderick stimmte ihr zu.

Der Karibueintopf war Teil ihres Familienerbes.

Er nahm einen Holzlöffel, rührte den dickflüssigen Eintopf um, der schon den ganzen Nachmittag vor sich hinköchelte, und überprüfte die Konsistenz. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass jemand ihn anstarrte. Als er aufschaute, sah er, dass Kota vor ihm saß. Die eisblauen Augen sagten alles: Der Welpe ließ seinen Charme spielen, um einen Leckerbissen zu ergattern.

„Kota, Kumpel, ich bin mir nicht sicher, ob ich dich mit Essensresten füttern darf“, sagte Broderick. „Glenna verpasst mir dann sicher einen Tritt in den Hintern.“

„Ja“, rief sie. „Das mache ich, wenn du meinen Hund verziehst!“

Der Welpe legte den Kopf schief und winselte.

„Schon gut, Kleiner“, fuhr Broderick amüsiert fort. „Weißt du was? Ich habe noch einen Suppenknochen im Kühlschrank, und wenn dein Frauchen sagt, dass es in Ordnung ist, kannst du ihn ganz für dich allein haben. Oder, Glenna?“

„Erst sehe ich nach, ob der Knochen auch nicht splittert“, rief sie zurück und wedelte mit einer Rassel, um Fleur zu verlocken, danach zu greifen.

Broderick kniete sich hin und flüsterte dem Welpen zu: „Unser Geheimnis. Du bekommst etwas, wenn du dafür arbeitest, okay? Dein Frauchen sagt, ein wohlerzogener Hund muss lernen, dass es nichts umsonst gibt. Also machst du jetzt eines deiner Kunststücke, ja? Gib Pfötchen, Kota. Pfötchen!“

Kota hob die Pfote, und Broderick fühlte sich, als hätte er einen millionenschweren Vertrag abgeschlossen. Er schüttelte die Pfote und hielt dem Hund dann auf der flachen Hand ein Fleischstück hin. Kota nahm es sanft und leckte ihm die Finger.

„Guter Junge.“ Broderick kraulte den Husky hinter den Ohren, stand auf, wusch sich die Hände und ging wieder an die Arbeit.

Er probierte den Eintopf, um sicherzugehen, dass der Wildgeschmack die Gewürze nicht übertönte und umgekehrt. Seine Geschmacksknospen stöhnten geradezu vor Genuss. Der Eintopf war fast perfekt. Fast. Er freute sich darauf, ihn heute Abend mit Glenna zu teilen und weiter zu versuchen, sie zu einer Beziehung zu überreden …

Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken.

Er griff nach seinem Telefon, während Kota ins Wohnzimmer trottete und sich vor dem Kamin auf den Boden legte – neben der Babydecke, wie Glenna ihm beigebracht hatte. Sie zog sofort ein Leckerli aus der Tasche, um ihn zu belohnen.

Broderick lachte, war aber zugleich beeindruckt. Er warf einen Blick auf sein Handy. Ein Bild seines Bruders Marshall erschien auf dem Display. Broderick wischte darüber, um abzunehmen, und suchte zugleich im Gewürzregal nach schwarzem Pfeffer.

Er hielt sich das Telefon ans Ohr und stellte es instinktiv leiser. Das war albern, denn Glenna konnte aus ein paar Metern Entfernung natürlich ohnehin nur seine Seite des Gesprächs hören.

Er warf einen raschen Blick in ihre Richtung und betrachtete sie – wie sie da saß in ihrer engen dunklen Jeans und der türkisfarbenen Bluse, die die Schönheit ihrer Kurven betonte. Sie achtete gar nicht auf ihn. Stattdessen hob sie Fleur hoch und wiegte das Baby lächelnd in den Armen.

„Hi, Marshall. Schön, von dir zu hören. Habt ihr Fleurs Mutter aufgespürt?“

„Nein, tut mir leid“, sagte Marshall. Das Wiehern eines Pferdes ertönte durchs Telefon. „Sie ist in Kanada verschwunden und hat sich seitdem nirgends gemeldet.“

Broderick rieb noch etwas schwarzen Pfeffer in das Gericht und rührte um, während er Glenna und Fleur beobachtete. „Verdammt, wer lädt sein Baby einfach ab und erkundigt sich dann nicht einmal mehr nach dem Kind?“

Sein Blick blieb an Fleur hängen. Sie strahlte vor Glück. So lieb und unschuldig. Fleur lächelte zu Glenna hoch, deren Gesicht hinter ihren blonden Haaren verborgen war. Ein Fremder hätte sie bestimmt für Fleurs Mutter gehalten. Ihr Einfühlungsvermögen sprach aus jeder Bewegung.

Verdammt. Diese Frau macht mich fertig.

„Ich habe auch keine Antwort darauf“, sagte Marshall nüchtern wie eh und je.

„Aber wenn Fleur meine Tochter ist, warum hat Deborah sich dann nicht längst bei mir gemeldet?“ Broderick wurde bei dem Gedanken übel, dass sie vielleicht geglaubt hatte, er würde ihr nicht helfen. Ihre Beziehung war zwar gescheitert, aber darunter hätte er sein Kind niemals leiden lassen. Die Familie steht über allem. Und wenn Fleur seine Tochter war, würde er genau das unter Beweis stellen.

„Vielleicht war sie einfach überfordert?“, vermutete Marshall. „Ich weiß es doch auch nicht, Bruder.“

Broderick stellte die Pfeffermühle weg und probierte den Eintopf noch einmal. Hm … Noch nicht ganz. Er fragte sich, ob er nur so aufs Essen fixiert war, weil er seinen brennenden Hunger auf Glenna nicht stillen konnte.

Nur Geduld. Das war der Schlüssel im Kampf mit Glenna und um dieses Rezept zu bewältigen. Er hoffte, dass er es irgendwann so gut beherrschen würde wie seine Mom.

Aber dem Eintopf fehlte noch irgendetwas. Er starrte das Gewürzregal an und erinnerte sich wieder an das Telefon, das er sich ans Ohr drückte. „Wir erfahren es wohl erst, wenn sie es uns erklärt. Hoffentlich bald.“

„Dein Wort in Gottes Ohr. Naomi arbeitet hart daran, alle rechtlichen Aspekte auszuloten, damit wir gut vorbereitet sind.“

„Das freut mich für Fleur. Naomi ist eine Kämpferin.“ Zum Glück. Er hatte das Gefühl, dass sie Naomis Ehrgeiz und ihre Aggressivität noch brauchen würden.

Glenna hatte das Baby auf eine Decke gelegt, die mit blauen und pinken Eisbären bedruckt war. Sie wechselte geduldig Fleurs Windel und machte dabei alberne Geräusche. Sogar aus dieser Entfernung sah er, wie wohl das Baby sich fühlte.

„Ich habe mich schon mehr als einmal gefragt, warum Dad Naomi nicht die Geschäftsführung überträgt“, bemerkte er.

„So weit kommt es noch!“, antwortete Marshall. „Naomi hat Dad gefragt, ob sie einen Ehevertrag für ihn und Jeannie aufsetzen soll.“

„Heiliger Strohsack“, murmelte Broderick. „Ist er explodiert?“

Naomi war nie schüchtern gewesen. Ihr Vater behauptete, dass sie schon streitlustig zur Welt gekommen war. Sie sagte immer ihre Meinung, auch in heiklen Situationen.

„Erstaunlicherweise nicht. Er hat nur gesagt, dass Jeannie und er ihr Testament von einem unabhängigen Anwalt aufsetzen lassen, damit wir nicht in einen Interessenkonflikt geraten.“ Wieder hörte Broderick am anderen Ende der Leitung Pferde wiehern. Vielleicht bereitete Marshall sich gerade auf einen Ausritt vor.

„Okay. Also haben wir keine Ahnung, was kommt?“ Broderick sah wieder Glenna an. Sie hatte dem Baby einen Schlafanzug angezogen. Nun hob sie Fleur hoch, ohne sich bewusst zu sein, dass er sie betrachtete.

Oder dass er sich erinnerte, wie perfekt ihre Kurven in dem Bikini ausgesehen hatten, den sie für ihr Bad im Whirlpool getragen hatte.

„Stimmt. Er sagt, dass es uns nichts angeht.“

Broderick lachte und hatte mehr Respekt denn je vor dem alten Mann, auch wenn es einfacher gewesen wäre, auf dem Laufenden zu sein. „Na gut. Nach den Finanzdaten zu urteilen, die ich bisher gesehen habe, schenken die beiden Unternehmen sich wenig. Wir waren die ganze Zeit so beschäftigt damit, jeweils so zu tun, als wären wir im Vorteil, dass uns gar nicht klar war, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen ist.“

Obwohl er mit seinem Bruder sprach, schweiften Brodericks Gedanken ab. Wie schnell kann ich Glenna wohl wieder in den Whirlpool locken? Oder auf dem Bärenfell da drüben im Feuerschein mit ihr schlafen?

„Wir müssen uns jedenfalls keine Sorgen machen, dass Jeannie und ihre Kinder es auf Dads Geld abgesehen haben.“

„Das ist immerhin etwas.“ Marshall klang gleichgültig, aber Broderick spürte, dass irgendetwas seinen Bruder belastete.

Er lehnte sich an die Küchentheke und sah zu, wie Glenna das Baby wiegte. „Erinnerst du dich an Moms Freundin Christy Shackleton, die Dads Arzt geheiratet hat? Ihre Söhne waren vom ersten Tag an auf das Erbe des alten Mannes aus.“

„Ich weiß“, sagte Marshall. „Sie haben ihrer Mutter ein schlechtes Gewissen gemacht, bis sie ihnen noch zu Lebzeiten ihres Mannes heimlich Geld zugesteckt hat. Als er dann tot war, haben sie sich den Rest unter den Nagel gerissen.“

Broderick wandte sich wieder dem Eintopf zu und probierte ihn noch einmal. So ist es gut! Er schloss den Deckel. „Er hatte ein absolut wasserdichtes Testament hinterlassen, aber die Jungs haben alle möglichen Rechtsmittel aufgefahren. Dagegen vorzugehen, hat das Erbe zusammenschmelzen lassen, und die arme Frau hatte am Ende kaum noch etwas.“

„Wenn zwei Familien so spät im Leben zusammenkommen, ist das eben heikel“, bemerkte Marshall spitz.

Gereizt holte Broderick zwei tiefe Teller aus dem Schrank. „Gier ist eine unersättliche Bestie. Egal wie oft man sie füttert, sie verhungert doch.“

„Willst du damit sagen, dass wir dankbar für das sein sollen, was wir haben?“

„So kann man es zumindest sehen.“ Er legte ein knuspriges Sauerteigbrot bereit. Mit einem Keramikmesser schnitt er dicke Scheiben davon ab. Die perfekte Beilage zum Eintopf.

Marshall schwieg kurz, bevor er fragte: „Was hältst du von Glenna?“

„Sie hat Angst, dass ihr Job gestrichen wird“, sagte er ohne Zögern. Es war die harmloseste Antwort, die ihm einfiel, denn über den Kuss oder seine Hoffnung auf eine Beziehung wollte er nicht reden.

„Die Sorge ist berechtigt.“

Es war noch zu früh, zu diskutieren, wer in Zukunft Finanzchef sein sollte. Er hoffte immer noch, dass Glenna sich für einen anderen Job entscheiden würde. „Sie will, dass ihre Mutter glücklich ist, und sie hängt jetzt schon an dem Kind.“

Wieder trat eine Pause ein, bevor Marshall fragte: „Obwohl es vielleicht das Produkt einer Affäre ihres Mannes ist?“

„Ich glaube ja.“ Was heißt das für mich? Broderick wollte Glenna, aber war er bereit, das Baby zu benutzen, um sie zu bekommen? Er war ein knallharter Geschäftsmann, aber er scheute davor zurück, ein Kind als Druckmittel einzusetzen.

„Wenn sie das Baby jetzt schon liebt, was passiert dann, wenn es doch deines ist?“

Verdammt gute Frage. Er hoffte auf ein Ja zu seinem Vorschlag, sodass sich alles in Wohlgefallen auflösen würde.

Gegen die Theke gelehnt beobachtete er, wie Glenna aufstand. Ihre schlanke Silhouette verschwand, als sie Fleur in ihr Zimmer trug.

Wenn ich wieder mit Glenna ins Bett will, muss ich einen Zahn zulegen.

Jack tauchte mit einem Kopfsprung in das warme Wasser seines Pools ein. Mit Mannschaftssportarten hatte er nie viel anfangen können. Sein Leben war privat wie beruflich schon kompliziert genug. Er mochte Freizeitbeschäftigungen, die ihm Zeit für sich allein ließen. Am liebsten draußen: Angeln, Jagen oder Reiten. Aber er hatte auch drinnen Optionen für sich und seine Kinder parat, wie diese Schwimmhalle und den Fitnessraum.

In entspannten Zügen schwamm er zum anderen Ende des Beckens, wo Jeannie in einem eleganten schwarzen Badeanzug auf den Stufen ruhte. Im Moment verbrachte er viel Zeit mit ihr allein, weil ihre jeweiligen Kinder auf Distanz blieben. Sie meldeten sich nur per Mail, um Jeannie und ihn über Fleur und die Fusion auf dem Laufenden zu halten.

Das Baby war das einzige Thema, bei dem sich alle einig waren.

Seine und Jeannies Bemühungen um das Zusammenwachsen der Familien verliefen nicht wie geplant. Und er sah, dass sie Tag für Tag frustrierter wurde. Wenn sie ihn noch einmal fragte, ob sie die Hochzeit verschieben sollten, würde er in die Luft gehen.

Er stemmte sich aus dem Wasser und setzte sich neben Jeannie auf die Steinstufen. Aus dem Whirlpool ergoss sich ein blubbernder warmer Wasserfall ins große Becken.

Jeannie streckte ihm die Hand entgegen. Ihr Ringfinger war immer noch nackt, aber sie hatten sich schon mit einem Juwelier getroffen, um einen Ring in Auftrag zu geben.

„Vielleicht sollten wir die Hochzeit verschieben.“

Verdammt.

Er wünschte sich, die Schneeflocken, die auf das Glasdach fielen, könnten auf seine erhitzten Gefühle herabregnen. „Jeannie, wenn wir jetzt einen Rückzieher machen, setzen unsere Kinder uns nur immer weiter unter Druck. Wir haben ihnen ihr Verhandlungsgeschick beigebracht. Es sollte uns nicht überraschen, dass sie es nun gegen uns einsetzen.“

„Was, wenn dieses Tauziehen gar kein Spiel ist?“ Sie schob sich eine feuchte Haarsträhne unter das Stirnband, das ihre Locken im Zaum hielt. „Was, wenn sie es ernst meinen? Wenn einige von ihnen sich von der Familie lossagen?“

„Du machst dir Sorgen um ungelegte Eier. Sie sind unser Fleisch und Blut. Sie gehen nirgendwohin.“ Er weigerte sich, etwas anderes zu glauben.

„Bist du sicher?“ Sie runzelte die Stirn und rückte von ihm ab.

„Ja, ich bin mir sicher.“ Er griff nach ihrer Hand, aber nun wich sie seiner Berührung aus. „Allerdings frage ich mich langsam, ob noch mehr dahintersteckt. Willst du die Hochzeit aufschieben, weil du Zweifel hast?“

Sie atmete tief ein und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich mache mir Sorgen um dich. Du hast schon ein Kind verloren. Ich will nicht der Grund dafür sein, dass du noch eines verlierst.“

„Das ist nicht dasselbe, und es ist unfair von dir, das zu sagen.“

Sie reckte trotzig das Kinn. „Du wolltest wissen, was ich denke. Ich weiß nicht, ob ich damit leben kann, daran schuld zu sein, dass du auf irgendeine Art noch ein Kind verlierst.“

„Unsinn.“ Er ließ den Gedanken freien Lauf, die er bisher geleugnet hatte. „Ich glaube, du suchst nur eine Ausrede, weil du befürchtest, deine Kinder zu verlieren. Du scheust vor harten Verhandlungen zurück.“

„Es ist keine Verhandlung, Jack!“ Jeannie sprang auf. Wasser tropfte von ihrem Körper, als sie aus der Schwimmhalle stolzierte. „Es geht um unser Leben. Unsere Kinder. Unsere Herzen.“

Er folgte ihr und nahm ihre Hand. In seinem Bauch machte sich Angst breit. „Du bist mein Herz.“

„So einfach ist das nicht.“ Sie wandte sich ihm zu.

„Für mich schon.“

Sie schüttelte den Kopf. „Du machst dir etwas vor. Das Leben ist nie so einfach, dass nur die Liebe zählt.“

Ihre Worte drangen zu ihm durch, aber vor allem sah er ihr Gesicht. Spürte, wie sie losließ. Seine ganze Welt entglitt ihm. „Du machst Schluss mit mir.“

„Ich … Ich muss nur …“ Sie zog sich ein Handtuch an die Brust und ging rückwärts auf den Umkleideraum zu. „Ich fahre nach Hause, und, nein, ich weiß nicht, wann ich wiederkomme. Bitte respektiere das, Jack. Wir brauchen etwas Abstand.“

Er stand da, während ihm das Wasser aus den Haaren rann und sich eine Pfütze um ihn bildete, und konnte nichts tun, als sie gehen zu lassen. Sein Herz war gebrochen, aber davon würde er sich nicht kleinkriegen lassen. Er weigerte sich zu glauben, dass er nie die Chance haben würde, ihr den Verlobungsring anzustecken.

Was auch immer nötig war, um diese eigensinnige Frau zu überzeugen, dass sie füreinander bestimmt waren – er würde es tun.

Glenna hatte Fleur gerade ins Bett gebracht. Der Tag im Schnee war anstrengend gewesen – und wunderschön.

Leise schob sie die Tür hinter sich zu und kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo …

Sie blinzelte und traute ihren Augen nicht. Ihr Magen schlug Purzelbäume. Ein kleiner Esstisch war vor dem prasselnden Feuer aufgebaut. Eine romantische Geste – schlicht und ehrlich. Dieser Mann konnte es sich leisten, Legionen von Caterern anzuheuern. Einen Scheck auszustellen, fiel jemandem wie ihm nicht schwer. Sie wusste zu schätzen, wie viel Mühe er sich stattdessen für sie gemacht hatte.

Zwei Schalen voll dampfendem Eintopf standen neben einem Teller mit dicken Brotscheiben. Die persönliche Biermarke der Familie Steele glänzte im Feuerschein auf dem Etikett einer großen Flasche. Zwei Bierhumpen waren mit dem schäumenden Getränk gefüllt.

Ein echtes, selbst gekochtes Essen. Es war Ewigkeiten her, dass sie zuletzt etwas gegessen hatte, das nicht von Profis zubereitet worden war. Sogar zu Hause stand sie nicht oft in der Küche. Für sich allein zu kochen, fiel ihr schwer; es erinnerte sie zu sehr an ihren Mann.

Diese Geste berührte ihr Herz in vielerlei Hinsicht. Eine Kerze flackerte auf dem Tisch. Ihr Rauch mischte sich mit dem würzigen Aroma des Karibueintopfs. Sie konnten sich beide kaufen, was sie wollten, darum bedeutete ihr diese persönliche Anstrengung umso mehr.

Broderick legte sich ein Handtuch über den Arm und lächelte. Seine braunen Augen funkelten. „Es ist angerichtet.“

Seine Aufmerksamkeit ruhte ganz auf ihr. Ein berauschendes Gefühl. Sie spürte die Wärme seines Blicks auf der Haut. Er sah so sexy aus, wie er dastand und ihr den Stuhl hervorzog …

„Danke, Broderick. Das ist wirklich sehr aufmerksam von dir.“ Sie nahm ihren Platz ein und genoss es, dass seine Fingerspitzen sie streiften, als er den Stuhl nach vorn schob.

„Mir ist klar, dass du den Löwenanteil der Arbeit mit dem Baby übernommen hast. Es ist nur fair, wenn ich mich einbringe, wo ich kann. Im Kochen bin ich eindeutig besser als im Wickeln“, scherzte er.

Die Schönheit des Feuers war nichts im Vergleich zur magnetischen Anziehungskraft dieses Mannes, als sie sich gegenübersaßen. Um den Bann zu brechen, sah sie aus dem Fenster. Die untergehende Sonne tauchte das kleine Tal in Orange- und Rottöne, als wäre es die Palette eines Malers. Die Landschaft konnte sie nicht ablenken; sie wirkte ja genauso romantisch wie dieses Essen. Da konnte sie sich genauso gut dem Augenblick hingeben.

Sie hob ihren Löffel und probierte den Eintopf. Seligkeit. Vor Entzücken entschlüpfte ihr ein Seufzer. „Du meine Güte, das ist … Mir fehlen die Worte. Was für ein intensiver Geschmack! Ich könnte noch weiter schwärmen, aber ich bin zu hungrig.“

Sie löffelte weiter. Bei seinem dankbaren Lächeln durchlief sie ein Kribbeln. Alles an diesem Moment versetzte ihre Sinne in höchste Alarmbereitschaft, als wäre sie ein Blitzableiter in einem Gewitter.

Im Kamin flackerte das Feuer. Die Flammen hüpften wie Tänzerinnen in einem perfekt choreografierten Ballett. Ein strukturierter, schöner Tanz. Und doch schoss ihr durch den Kopf, dass sie diesen erstaunlich aufmerksamen, aber teuflischen Mann davon abhalten sollte, ihr Leben noch komplizierter zu machen.

Sie aßen schweigend. Das Essen war köstlich, und ihr wurde klar, dass sie wirklich ausgehungert war. Ihr Finger streifte seine, als sie beide nach einem Stück Brot griffen. Glennas Wangen liefen heiß an. Sie hoffte, dass der Feuerschein ihr verräterisches Erröten verbarg.

Dennoch fühlte sie sich seltsam geborgen. Als sie Brodericks Blick auf sich ruhen spürte, schaute sie auf.

Er legte fragend den Kopf schief. „Was ist dir zugestoßen?“

Was für eine bedeutungsschwere Frage.

„Was genau meinst du?“ Sie nippte an ihrem Bier und genoss das Hopfenaroma.

„Früher warst du so … offen.“ Er legte sein Brotstück beiseite und beugte sich vor.

„Du meinst, als ich noch naiv war? Bevor ich einen Mann geheiratet habe, der mich betrogen hat?“

Broderick schüttelte den Kopf und sah ihr in die Augen. „Nein, das meine ich nicht. Auf dem College warst du humorvoll und hast immer gelächelt. Auf eine Art, die mich absolut umgehauen hat.“

„Ich habe meinen Sinn für Humor nicht verloren. Vielleicht bist du derjenige, der sich verändert hat“, gab sie zurück. Und, verdammt, es ist noch kein Jahr her, dass ich meinen Mann verloren habe.

Sie hatte erst kürzlich wieder angefangen, mit Männern auszugehen, und hatte noch mit keinem geschlafen. Allerdings konnte sie nicht leugnen, dass sie sich nach Gesellschaft sehnte. Sie vermisste es, mit einem Mann zu essen und zu reden, sich das tägliche Leben mit ihm zu teilen. Und sie wusste nicht, wie sie das mit ihrer Angst vor einer neuen Beziehung unter einen Hut bringen sollte.

„Oh, ich habe mich fraglos verändert“, räumte er ein. „Aber wir reden über dich. Ich weiß, dass du witzig bist, und ich sehe dein Lächeln, aber es ist düster.“

Sie spielte mit ihrem Löffel, um nicht Brodericks markantes Kinn anzustarren. Aber wenn sie den Blick senkte, sah sie ja doch nur seine starke Hand, die das Bierglas festhielt.

Sie räusperte sich. „Ich habe eben inzwischen mehr von der Welt gesehen.“

„Nicht jeder wird davon so zynisch. Ich weiß, dass du verletzt worden bist, aber …“

„Aber nichts. Ich glaube nicht, dass ausgerechnet du mir gute Ratschläge erteilen kannst, wie man einen Verlust überwindet.“ Sie nickte zum Zimmer des Babys hinüber und stand auf. „Eben habe ich Fleur gehört.“

Zum Glück.

Broderick hatte zuerst gedacht, Glenna hätte gelogen, als sie behauptete, dass das Baby sie brauchte. Aber jetzt waren Fleurs Schreie so durchdringend, dass sogar Kota aufgeregt im Kreis lief.

Sie standen beide in Glennas Zimmer, in dem das tragbare Babybettchen aufgebaut war. Broderick hatte Herzklopfen. In Fleurs Weinen lag absolute Verzweiflung. Er hob sie aus dem Bettchen und drückte sie an sich, aber das Geschrei hörte nicht auf.

Wortlos versuchten Glenna und er es in Teamarbeit mit dem Offensichtlichen. Sie wechselten die Windel. Sie versuchten, Fleur zu füttern, aber sie wies das Fläschchen zurück. Sie ließen sie ein Bäuerchen machen, falls sie Blähungen hatte. Dann maßen sie Fieber. Spielten Musik ab. Waren still. Badeten sie.

Aber nichts funktionierte, außer mit Fleur auf und ab zu gehen.

Er hielt sich das Baby an die Schulter und tätschelte ihm den Rücken, wie er es die Erzieherinnen in der Betriebskinderkrippe hatte tun sehen. Verdammt, es nützt nichts!

„Du machst deine Sache gut.“ Glenna schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

„Vielleicht tätschele ich sie zu fest.“ Was, wenn ich ihr wehtue?

„Eher zu sanft. Sie ist doch kein Schmetterling.“

Fleurs Wimpern fühlten sich an seiner Wange aber wie Schmetterlinge an. Feuchte Schmetterlinge, weil Fleur dicke Tränen übers Gesicht liefen. Mein Gott, sie bricht mir das Herz und treibt mich zugleich in den Wahnsinn.

Glenna verließ das Zimmer und winkte ihm, ihr zu folgen. „Ich bin keine Babyexpertin, aber wir kommen schon noch dahinter. Du hältst sie weiter, und ich suche im Internet. In irgendeinem Forum da draußen gibt es sicher eine Lösung.“ Sie öffnete ihren Laptop und begann zu tippen.

Wie haben meine Eltern das nur überlebt? Vor allem mit so vielen Kindern und noch dazu Zwillingen?

Der Gedanke an Breanna traf ihn mit voller Wucht.

Er schluckte schwer und zwang sich, wieder ans Hier und Jetzt zu denken. An das Baby. Wie konnte er dieses Kind beruhigen und zugleich die Erinnerung daran verwinden, dass er seine kleine Schwester verloren hatte? „Hast du schon etwas entdeckt?“

Glenna überflog eine Website. Ein gequälter Ausdruck stahl sich auf ihr Gesicht. Irgendwie stand ihr diese besorgte Miene. Glennas Aufopferung für Fleur machte sie nur attraktiver. Sie schaute zu ihm hoch. „Ich suche noch.“

„Such weiter. Vielleicht können wir mit ihr einen Spazierflug unternehmen statt einer Autofahrt?“ Er wusste noch, dass seine Eltern Breanna mit ins Auto genommen hatten, damit sie einschlief. Sogar als Säugling hatte sie schon das Bedürfnis gehabt, ständig in Bewegung zu sein. Er verdrängte den schmerzlichen Gedanken und konzentrierte sich auf die Gegenwart. Auf Fleur.

„Ein improvisierter Nachtflug?“, fragte Glenna. „Das ist mir unheimlich.“

Verdammt. Stimmt. Sein Unbehagen wuchs. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, einer Aufgabe nicht gewachsen zu sein. „Na gut. Vielleicht kannst du ja mit ihr weitergehen? Ich habe Freunde, die ich fragen kann.“ Ein paar Leute aus dem Büro erschienen vor seinem inneren Auge. Bestimmt wusste einer von ihnen, was zu tun war.

„Willst du ihnen erzählen, was gerade in deinem Leben los ist? Ich bin mir nicht sicher, ob das klug wäre.“

„Ich bin diskret“, protestierte er. Seine Wangen wurden heiß.

Sie lachte laut auf und entlockte dem Baby einen neuen Schrei.

Broderick zuckte zusammen. Er hatte sich nie zuvor so hilflos gefühlt. „Pst, Fleur. Ich bin hier. Ich würde dir ja etwas vorsingen, aber meine Stimme tut dir sicher in den Ohren weh.“

Glenna lehnte sich zurück. Ihr Blick wurde weicher. „Du machst alles richtig. Wenn du müde wirst, übernehme ich. Wir laufen mit ihr auf und ab, bis sie schläft. Nach allem, was ich gelesen habe, ist das ein bewährtes Mittel.“

„Na gut. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig.“ Er ging hin und her und wiegte Fleur dabei sanft.

„Wenn jemand mir vor einem Jahr erzählt hätte, dass ich mit dir und einem Baby in einer Berghütte sitzen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt.“ Sie verschränkte die Arme, aber ihr Gesichtsausdruck war erstaunlich entspannt.

„Ja, das Szenario ist mir auch nie in den Sinn gekommen.“ Er spazierte zum Fenster, um zum Sternenhimmel aufzublicken.

„Witzig, wie so etwas manchmal läuft.“

Er lachte leise. „Stimmt.“

Einen Moment lang herrschte Stille.

Echte Stille. Das Baby hatte aufgehört zu weinen.

Flüsternd fragte er: „Und nun?“

Sie zeigte auf das Bettchen. „In allen Blogs steht, dass man das Baby hinlegen soll, wenn es eingenickt ist. Lass uns das versuchen. Ich bleibe zur moralischen Unterstützung bei dir.“

Auf Zehenspitzen schlichen sie zum Babybett. Broderick legte Fleur vorsichtig hin.

Die einzigen Geräusche waren die eines friedlich schlummernden Babys. Er sah Glenna in die Augen. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.

Ihm wurde klar, warum er so begeistert von der Idee war, ihre Beziehung wiederaufleben zu lassen.

Es ging ihm längst nicht mehr nur um ein lockeres gemeinsames Wochenende.

10. KAPITEL

Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen, weckten Glenna am nächsten Morgen. Die Tage wurden länger, aber in Alaska wurde es auch im Frühling noch spät hell. Sie streckte sich und wackelte mit den Zehen, um die letzte Schläfrigkeit zu verscheuchen.

Und dann stürzte die Erinnerung an die letzte Nacht wieder auf sie ein.

Wie sie und Broderick beschlossen hatten, bei Fleur zu bleiben. Wie sie eingeschlafen waren, während sie abgewartet hatten, ob es ihr auch wirklich gut ging. Sie hatten den kleinen Sieg genossen, zusammen den richtigen Trick gefunden zu haben. Beim Wort zusammen hielt sie inne, öffnete die Augen und sah …

Das leere Bett. Das Kissen zeigte noch den Abdruck seines Kopfs, und die Laken aus ägyptischer Baumwolle waren zerwühlt. Die dicke Decke hing von seiner Seite des Betts herunter. Sie berührte das Laken und stellte fest, dass der Stoff kühl war. Broderick war schon eine Weile wach.

Ihr Blick huschte zum Babybettchen. Es war leer. Das Mobile mit den kleinen Wal- und Fischfiguren darüber schwang leicht hin und her. Im Haus war es still. Nicht einmal Kota war zu hören.

Neugier und ein Hauch von Panik durchzuckten sie.

Glenna schwang die Beine aus dem Bett und tastete sich auf Zehenspitzen vor, bis sie ihre fleecegefütterten Hausschuhe fand. Sie schlüpfte hinein. Dann fuhr sie sich durchs Haar und tappte zur Schlafzimmertür.

Der Anblick, der sie erwartete, verschlug ihr den Atem.

Broderick stand am hohen Fenster, das aufs Wasser hinausging. Er war barfuß, hielt Fleur im Arm und gab ihr das Fläschchen. Kota döste auf dem Sofa und wirkte nicht, als ob er ein schlechtes Gewissen hätte. Von solch einem Morgen hatte sie immer geträumt, als sie noch mit Gage verheiratet gewesen war.

Allerdings fiel es ihr schwer, sich an das Gesicht ihres Mannes zu erinnern. Sie sah nur Brodericks zärtliche Miene, während er mit dem Baby redete.

„Pst, Kleine. Wir wollen Glenna doch nicht aufwecken. Sie hat sich toll um dich gekümmert. Jetzt braucht sie Ruhe.“ Er stellte das Fläschchen ab und hob das Baby an seine Schulter. Er hatte sich einen Lappen übers Hemd gelegt. Jetzt tätschelte er Fleur unbeholfen den Rücken. Ein winziger Fuß in einem rosa Schühchen rutschte aus der Decke heraus. Broderick deckte das kleine Bein wieder zu.

Sein Bemühen rührte Glenna zutiefst. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen, während Broderick fortfuhr: „Weißt du was? Eines Tages helfe ich dir bei den Hausaufgaben. Ich bringe dir mathematische Gleichungen bei, die deine Mitschüler umhauen werden. Du wirst bestimmt das klügste Kind in der Klasse, wenn nicht gar an der ganzen Schule …“

Dann stutzte er, als würde er ihren Blick spüren. Er drehte sich um und lächelte hilflos. „Sie scheint Mathe zu mögen.“

Glenna lachte leise und ging zu ihm. „So sehr, dass sie dabei einschläft.“

Er sah Fleurs Gesicht an. „Sie ist wirklich eingenickt.“ Er senkte die Stimme. „Unglaublich, wie viel Babys schlafen. Sie ist doch vorhin erst aufgewacht.“

Glenna streckte die Arme aus. Sie konnte es nicht abwarten, zu spüren, wie Fleur sich an sie schmiegte. „Danke, dass du dich um sie gekümmert hast, sodass ich ausschlafen konnte.“

„Wir sind ein Team.“

Broderick legte ihr Fleur in die Arme. Seine Hände streiften dabei ihre. Kleine elektrische Funken schienen in ihrem Bauch zu sprühen.

Sie hob den Blick. Der feurige Ausdruck in seinen Augen beantwortete all ihre Fragen, ob er dasselbe empfand wie sie oder nicht. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Wie lange kann ich noch so tun, als ob dieses Begehren mich kaltlässt?

Sie ging vorsichtig zum Bettchen, legte Fleur hinein und verlor sich in einem Traum, wie ihr Leben vielleicht aussehen würde. Lächelnd küsste sie das Baby auf den Kopf. Kaum dass ihre Lippen Fleurs Haut berührten, wurde ihr klar, dass die Testergebnisse bald eintreffen würden. Die Firmenfusion würde beginnen. Und diese Idylle würde enden.

Bald.

Sie wusste nicht, ob sie Brodericks Angebot annehmen wollte. Aber sie wusste, dass sie ihn wollte. Das war ihre Chance. Sie hatte vor, sie zu ergreifen. Sobald ich mir die Zähne geputzt habe. Ist das nicht albern?

Sie rannte ins Bad, weil sie Angst hatte, dass das Baby aufwachen würde, wenn es zu lange dauerte. Fühlt es sich so an, Mutter zu sein?

Sie verließ das Bad in einem winterlichen Seidenpyjama, sah noch einmal nach Fleur und kehrte dann ins Wohnzimmer zurück. Broderick stand am Fenster. Seine Schultern wirkten breit und stark wie eh und je. Bevor der Mut sie verlassen konnte, ging sie zu ihm und schlang von hinten die Arme um ihn.

Nur einen Moment lang verkrampfte er sich. Dann legte er die Hand auf ihre.

„Glenna, du musst wissen, dass es nicht bei einem Mal bleibt, wenn wir es jetzt tun.“

Sie spürte die Vibration seiner Stimme, weil sie die Wange an seinen Rücken schmiegte. „Verstanden.“

Ich will ihn, und das nicht nur einmal.

Ihr Körper sehnte sich nach einer Vereinigung mit diesem Mann. Er fühlte sich so gut an: sein muskulöser Körper, die schwieligen Finger, die trotzdem so sanft waren …

„Gut. Ich bin froh, dass wir das geklärt haben.“ Er drehte sich zu ihr um und strich ihr mit beiden Händen die Haare zurück, während sie ihm die Arme um den Hals legte.

Sie erschauerte. Ihr ganzer Körper stimmte sich auf ihn ein – auf die Art, wie sie ganz natürlich zusammenzupassen schienen. Ihre Brustwarzen zogen sich unter dem Seidenstoff zusammen. Sie konnte es nicht abwarten, dass er sie in den Mund nahm. Es half nicht, dass er die Finger aufreizend über ihren Hals und ihre halb entblößte Schulter wandern ließ. Ihre Haut prickelte vor Erwartung.

Sie lehnte sich ihm entgegen … und erspähte sein Handy und seinen Laptop auf dem Sofatisch. Sofort fühlte sie sich an die Arbeit erinnert.

Verdammt, daran will ich gar nicht denken!

„Ich frage mich eines, Broderick. Wie sollen wir zusammenarbeiten, wenn wir anfangen, miteinander zu schlafen? Alles ist doch schon kompliziert genug …“

Er legte ihr einen Finger auf den Mund. Seine Stimme war ein sanfter Hauch an ihrem Ohr. „Lass uns hinterher reden. Wir sind uns doch einig, oder?“

Zum Teufel mit dem Computer, mit dem Handy und mit dem Geschäft!

Das hier war ihre gemeinsame Zeit.

Vor Erregung verlor sie fast jede Selbstkontrolle und biss ihn leicht in die Fingerspitze. „Ja.“ Dann presste sie den Mund auf seinen. Mein Gott, er schmeckt vertraut und neu und aufregend – alles auf einmal!

Er umspielte ihre Zunge mit seiner, sodass ihr ganz schwach wurde vor Verlangen. Sie hatte Hunger auf mehr. Sie öffnete sich ihm, schmiegte sich an ihn. Die Vergangenheit verschmolz mit der Gegenwart. Sie hatte sich immer zu ihm hingezogen gefühlt. Irgendwie ahnte sie, dass sich das auch mit der Zeit nicht ändern würde. Sie wusste, dass es nicht dasselbe wie Liebe war, aber das Gefühl war verdammt stark.

Machtvoll.

Ihre Hände entwickelten ein Eigenleben, als sie an seinem T-Shirt zerrte, um es ihm über den Kopf zu ziehen. Als sie Luft an ihrem Bauch spürte, wurde ihr klar, dass er dasselbe mit ihrem Schlafanzugoberteil getan hatte. Sie standen Haut an Haut da, trugen beide nur noch ihre Hosen und sie ihren Sport-BH.

Sie ließ die Hände über seinen Körper wandern, der nur aus Muskeln zu bestehen schien. Diese Kraft! Sie ließ den Anblick seiner breiten Schultern auf sich wirken. Es fühlte sich so gut an, dass sie hätte dahinschmelzen können. Voller Leidenschaft drückte sie ihm Küsse auf die Schulter und auf die Brust.

Dann fuhr sie mit den Fingern über seine warmen Schulterblätter und an seiner Wirbelsäule entlang, während er rückwärts auf den Kamin zuging. Er schüttelte die Schuhe ab. Seine Jeans und ihre Schlafanzughose glitten zu Boden, ohne dass sie ihren Kuss unterbrochen hätten. Als sie leicht stolperte, schlang er die starken Arme um sie. Hob sie hoch. Legte sie auf das Bärenfell. Das Fell kitzelte ihre prickelnde Haut, fast so verlockend wie Brodericks Lippen, als er sich die Innenseite ihres rechten Beins hinaufküsste.

Er richtete sich auf und zupfte mit den Zähnen am Bund ihres Höschens, neckte sie, ohne es ihr schon auszuziehen. Dann küsste er ihren Bauch und streichelte sie, bis es ihr vorkam, als wären seine Hände und sein Mund überall. Als sie schon glaubte, dass das innere Feuer sie gleich verbrennen würde, streckte er sich auf ihr aus und küsste sie auf den Mund.

Oh du meine Güte. Ich habe es so vermisst, geküsst zu werden!

„Mehr, sofort“, flüsterte sie und knabberte an seiner Unterlippe. „Wir können uns beim nächsten Mal Zeit lassen.“

„Beim nächsten Mal?“, grollte er leise. „Das klingt gut.“

Kühle Luft streifte ihre Brüste, als er sich leicht von ihr löste und ihr den BH auszog, doch im nächsten Augenblick schloss er die Lippen um eine harte Brustwarze. Er ließ die Zunge spielen, bis Glenna sich zitternd unter ihm wand. Mit den Fingern reizte er die andere Brustwarze, und sie sehnte sich nur noch danach, ihn zu spüren. Sie ließ die Hand hinabgleiten, um seine harte Erektion zu umfassen und zu streicheln.

Sein aufforderndes Stöhnen fachte ihre Lust weiter an, sodass sie glaubte, die Hitze kaum mehr aushalten zu können.

„Meine Jeans“, flüsterte er mit rauer Stimme. „Gib mir meine Jeans … das Kondom …“

Sie tastete nach seiner Hose. Der Denimstoff war noch warm von seinem Körper. Sie fischte seine Brieftasche daraus hervor und suchte nach dem Kondom. Es waren mehrere da, aber für den Augenblick reichte eines.

Er schüttelte die Boxershorts ab und spielte dann mit dem Bündchen ihres Spitzenhöschens, das sie unter all den anderen Kleiderschichten trug, die sie brauchte, um warm zu bleiben.

Aber sich warm zu halten, war im Moment ihre geringste Sorge. Das Feuer im Kamin prasselte, dieser feurige Mann machte sie unglaublich heiß, und sie fühlte sich, als würde sie langsam in einem Lavasee des Begehrens versinken. Sie riss das Päckchen auf, streifte ihm das Kondom über und hielt ihn fest. Er sah ihr in die Augen, während sie ihn dorthin führte, wo sie ihn spüren wollte …

In mir.

Als sie ihn dann fühlte, bäumte sie sich auf und bog sich ihm entgegen. Sie spürte den süßen Druck, wie er sie ausfüllte, und sein erster tiefer Stoß ließ sie schon fast zum Höhepunkt kommen. Sie hätte es auf die Abstinenz zurückführen können, aber sie wusste es besser. Bei ihrer Verbindung stimmte die Chemie einfach. Das musste man gar nicht näher analysieren. Sie wollte jetzt ohnehin nicht nachdenken, sondern nur jede Empfindung auskosten.

Sie schlang ihm die Beine um die Hüften, küsste ihn auf die Brust, den Hals und schmeckte seinen Schweiß, genoss den Geschmack seiner Haut.

Seine Haut war so erhitzt wie ihre, und seinen Körper an ihrem zu spüren, katapultierte sie in eine Welt der Sinnlichkeit. Bei jedem Aufkeuchen atmete sie seinen Duft ein, vermischt mit dem rauchigen Geruch des Feuers im Kamin.

Seine Bewegungen, das Gefühl seiner Haut unter ihren Fingerspitzen – sie würde sich jedes Detail für immer einprägen, wie sie hier in der Hütte miteinander schliefen, weit weg vom Rest der Welt.

Ein unglaubliches Verlangen baute sich in ihr auf, während sie seinen rasenden Herzschlag spürte. Mehr, sie wollte immer noch mehr … Und dann erreichte sie den Höhepunkt, ließ sich in seinen Armen fallen. Sie stöhnte auf, kostete jede Sekunde aus und zog Broderick näher an sich, genoss die Wellen der Lust, die langsam abebbten. Doch als sie spürte, wie er zum Höhepunkt kam, überrollten sie die Gefühle noch einmal, rissen sie mit und ließen sie keuchend zurück.

So viel. Fast zu viel. Sie fragte sich, wie es ihr gelingen sollte, ihn ein zweites Mal zu verlassen.

Broderick hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass er eines Tages in Sweatshirt und Jogginghose in seiner Ferienhütte sitzen würde, um sich mit Glenna Dateien hin und her zu schicken. Übrigens sah sie in ihrer Schlafanzughose und einem seiner T-Shirts ganz großartig aus.

Sie hatten die letzte Stunde über alles Mögliche durchgerechnet und den Plan vorbereitet, den ihre Eltern dem Aufsichtsrat vorstellen wollten. Glenna saß da und starrte den Bildschirm an. Sie hatte ein Knie an die Brust gezogen.

Wie um alles in der Welt soll ich mich konzentrieren, wenn diese Frau mit im Zimmer ist?

Nach ihrem hektischen ersten Liebesspiel waren sie in sein Bett gewechselt. Dort hatte er jeden Zentimeter ihres Körpers berührt und geschmeckt. Sie hatten zusammen geduscht. In der großen Kabine hatten sich Wasserdampf und Leidenschaft vermischt. Ein kleiner Snack hatte sie gestärkt, obwohl er in der Küche nun immer daran denken würde, wie er sie auf die Theke gehoben hatte …

Am Ende waren sie beide erschöpft auf dem Sofa eingeschlafen und nur lange genug aufgewacht, um das Baby zu füttern, bevor sie wieder eingenickt waren.

Mit ihr zusammen zu sein, erschütterte ihn bis ins Mark. Er musste einen Weg finden, damit zurechtzukommen – und das inmitten des Durcheinanders in ihren Familien.

Er nippte an seinem Kaffee und hoffte, dass das Koffein ihm helfen würde, sich zu konzentrieren und Antworten zu finden. Beim Duft von Haselnusskaffee – Glennas Lieblingssorte – versuchte er, nur auf das leise Summen des Babyfons zu lauschen. Aber es war schwierig, bei der Sache zu bleiben.

Er nahm ein Stück Apfelkuchen vom Teller, biss hinein und kaute nachdenklich.

„Die Finanzen zusammenzubringen, wird eine Heidenarbeit.“

Glennas rauchige Stimme liebkoste ihn förmlich und spornte ihn an, bei dieser Firmenfusion für sie den besten Platz zu finden.

Er musterte die verschiedenen beruflichen Positionen, die auf dem Bildschirm aufgelistet waren. Glenna war organisiert und dynamisch. Vielleicht passt ein PR-Job zu ihr?

„Und was unsere Eltern angeht … Das habe ich immer noch nicht verdaut.“ Glenna rieb sich die Schläfen und griff nach einem Blätterteigteilchen.

„Das habe ich auch nicht kommen sehen“, pflichtete er ihr bei und fragte sich, was noch daraus werden würde, wenn sein Vater und Glennas Mutter erst mit vereinten Kräften die Geschäftswelt aufmischten. „Aber vielleicht ist es ein Zeichen, dass wir mit anderen Augen sehen sollten, was in der Vergangenheit zwischen uns passiert ist.“

„Ich frage mich, wie lange sie schon so empfinden.“ Glenna wirkte, als sei sie in Gedanken meilenweit entfernt, als sie sich von ihm abwandte, um aus dem Fenster zu starren.

„Ist das deine Art, meine Bemerkung zu ignorieren?“

Sie kniff die Augen zusammen, zog sich ein Haargummi vom Handgelenk und raffte ihre zerzausten Locken zusammen. „Es ist meine Art, beim Thema zu bleiben. Was du gesagt hast, können wir später besprechen. Zurück zu unseren Eltern. Was meinst du, wie lange läuft die Sache schon?“

„Glaubst du etwa, dass sie während ihrer Ehen miteinander eine Affäre hatten?“ Broderick musste die Frage einfach stellen.

„Nein, aber ich frage mich, ob sie schon damals etwas füreinander empfunden haben.“

Er ahnte, dass die Vorstellung ihr wegen ihrer eigenen Erfahrungen zu schaffen machte. „Fragst du dich das wegen deines Mannes? Weil du Angst hast, darauf zu vertrauen, dass Menschen einander wirklich lieben und ehrlich zueinander sein können? Ich würde mich ja entschuldigen, dass ich solch eine persönliche Frage stelle, aber unsere Leben sind schon miteinander verflochten und werden es nun für immer bleiben.“ Er musste wissen, was in ihr vorging. Wollte sie verstehen.

„Schon gut. Du sagst ja nichts, was ich mich nicht auch schon gefragt hätte. Das Leben ist einfach so …“ Sie biss sich auf die Lippe und wedelte mit der Hand in der Luft herum.

„Kompliziert“, schlug er vor und drückte ihr die Finger. Er sah, wie sie bei der Berührung die Augen aufriss, darauf ließ er ihre Hand los, lächelte sie aber aufmunternd an.

Sie griff nach ihrem Kaffeebecher. „Absolut. Du meinst also, dass sie sich erst seit Kurzem lieben?“

„Wenn die Gefühle schon älter sind, haben sie ihnen damals keine Taten folgen lassen. Nichts davon ändert etwas daran, wer meine Mutter war oder wie sehr sie ihre Kinder geliebt hat.“ Der Schmerz darüber, seine Mutter und seine Schwester verloren zu haben, war für ihn immer noch mit Händen zu greifen.

„Das ist schön.“

„Der Eintopf gestern war eines ihrer Rezepte.“ Ihm schnürte sich die Kehle zu. Darauf hatte das Gespräch eigentlich nicht hinauslaufen sollen. Er fuhr sich durchs Haar und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen.

Doch auf seine strapazierten Nerven wirkten alle Farben im Zimmer zu grell. Er warf einen Blick auf seinen leeren Becher, stand auf und ging zur Kaffeekanne. Konzentrierte sich ganz auf sein Getränk und das Aroma in der Luft.

Er musste seine Schutzwälle wieder hochziehen, wenn er die verbleibenden Tage mit Glenna überstehen wollte. Zum Teufel mit den nächsten Tagen! Erst einmal muss ich wissen, was ich jetzt sagen soll.

Die Realität machte ihm schwer zu schaffen.

Glenna konnte gar nicht anders, als die Chance zu nutzen, Broderick zu betrachten. Er wandte ihr den Rücken zu und griff nach der Kanne. Unwillkürlich zog er die Schultern hoch und seufzte tief.

In dem Moment wurde ihr klar, dass sie eine persönliche Wunde bei ihm berührt hatte, die nie verheilt war. Erst wollte sie ihn in Ruhe lassen, aber dann fand sie, dass sie mehr wissen musste. Da sein Angebot immer noch stand und das Ergebnis des DNA-Tests bald eintreffen würde, musste sie Entscheidungen fällen.

Obwohl sie zunächst abgelehnt hatte, konnte sie gar nicht anders, als seinen Vorschlag in Erwägung zu ziehen, sich für Fleur und die Firma zusammenzutun – und dem explosiven Begehren zwischen ihnen nachzugeben. Aber sie scheute immer noch davor zurück, sehnte sich nach einem Zeichen, das ihr die Entscheidung erleichtern würde.

Sie wollte ihn besser verstehen.

Glenna schob ihren Laptop beiseite und rückte vom Tisch ab, um zu Broderick zu gehen. Behutsam legte sie ihm die Hand auf den festen Bizeps. „Es tut mir leid, wenn meine Fragen zu aufdringlich waren.“

„Du musst dich nicht entschuldigen. Wir haben heute eine Grenze überschritten, und nun können wir nicht mehr zurück.“

Oh Gott. Sie hatte es gewusst, aber erst jetzt wurde ihr vollends klar, was das bedeutete.

Kota trottete zu ihr. Seine Schnauze berührte ihre Fingerspitzen. Glenna kraulte ihn zwischen den Ohren und wartete ab, was Broderick als Nächstes sagen würde.

Obwohl er gerade ein Stück Apfelkuchen verputzt hatte, zog er den Rest Eintopf aus dem Kühlschrank, ohne sie anzusehen. Er holte sich eine Schale aus dem Schrank und nahm eine Kelle aus der Schublade. Er sah sie an und zeigte auf das Essen. Ein Angebot.

Sie schüttelte den Kopf. Broderick zuckte die Schultern und sagte immer noch nichts, während er Eintopf in die Schüssel füllte und sie in die Mikrowelle stellte.

Vielleicht war es besser, nicht länger abzuwarten, ob er mehr erzählen würde, sondern ihm stattdessen etwas aus ihrer eigenen Vergangenheit anzuvertrauen. Zum ersten Mal wurde ihr klar, wie verschlossen sie selbst war.

Glenna goss sich noch einen Becher Kaffee ein und fügte Süßstoff und Sahne hinzu. Geistesabwesend rührte sie um. „Wir haben einmal eine Seilrutsche über einen zugefrorenen Teich gespannt.“

„Was?“

„Eine Seilrutsche. Wir waren kleine Forscher und haben die Aerodynamik berechnet.“ Sie umfasste den Becher mit beiden Händen und nippte.

Brodericks Miene entspannte sich. „Ich schätze, es war eine ganz schön wilde Fahrt.“

„Mathematisch hatten wir alles richtig gemacht.“ Sie stellte den Becher ab und lachte. „Aber die Schlinge hat nachgegeben.“

„Aua. Knochenbrüche?“, fragte er und zog den Eintopf aus der Mikrowelle.

„Ein Bruch und einmal Einbrechen im Eis.“ Sie schauderte bei der Erinnerung. „Das war fürchterlich.“

Autor

Catherine Mann
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