Am anderen Ende der Welt

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Als Aura den arroganten Manager Flint Jansen in Auckland kennen lernt, weiß sie sofort, dass er der Richtige für sie ist. Doch Flint ist der beste Freund von Paul, dem Mann, den Aura eigentlich heiraten wollte. Wird es jemals für sie ein Glück in seinen Armen geben, wenn sie sich von Paul trennt?


  • Erscheinungstag 17.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778507
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Paul sie abholte, klopfte Aura Forsythes Herz unwillkürlich schneller vor Stolz.

Er sah einfach fabelhaft aus in seinem schwarzen Abendanzug und dem makellos weißen Hemd – eine Kombination, die sein goldblondes Haar besonders betonte. Aura hatte sich jedoch nicht wegen seines attraktiven Äußeren in Paul verliebt. Sie wusste nur zu genau, dass ein hübsches Gesicht nichts über den wahren Charakter des Betreffenden verriet.

Als Erstes waren Aura sein Lächeln und sein ausgeprägter Sinn für Humor aufgefallen, aber bald schon stellte sie fest, dass Paul McAlpine auch ein sehr zuverlässiger Mann war. In den vergangenen drei Monaten hatte sie Paul immer mehr schätzen gelernt und würde nun in vierzehn Tagen seine Frau werden. Seine Liebe gab ihr die Geborgenheit, nach der sie sich ein Leben lang gesehnt hatte. Aura war noch nie so glücklich gewesen.

„Wir treffen uns mit Flint im Restaurant“, erklärte Paul, als er ihr die Tür seines eleganten Wagens öffnete. „Er wollte noch duschen und sich umziehen, aber vermutlich wird er noch vor uns bei Quaglino’s sein.“ Flint Jansen sollte bei ihrer Hochzeit Trauzeuge sein.

„Wo wohnt er denn?“, fragte Aura.

„Eigentlich in Remura, aber im Moment ist er bei mir.“

„Warum?“

„Sein Apartment wird gerade renoviert, und bis die Arbeiten abgeschlossen sind, wird es bestimmt noch eine Woche dauern. Deshalb habe ich ihm angeboten, bei mir einzuziehen.“ Zärtlich hob Paul Auras Hand an die Lippen, um ihre Fingerspitzen zu küssen.

Sie lächelte ihn liebevoll an.

„Du siehst zauberhaft aus“, sagte er, als er den Motor startete.

„Danke.“ Obwohl Komplimente ihr immer noch ein leichtes Unbehagen verursachten, hatte Aura damit umzugehen gelernt. Pauls anerkennende Worte hatten noch nie eine Bedrohung für sie dargestellt.

Das Kleid, das sie heute trug, hatte sie schon seit einigen Jahren. Es war aus schwerer grüner Seide und verlieh ihrem rotbraunen Haar den Farbton von altem Burgunder, was ihre Haut wie Elfenbein und die großen grünen Augen noch dunkler wirken ließ.

„Der berühmte Flint Jansen ist also endlich hier“, wechselte Aura das Thema. „Es ist schon sonderbar, dass ich deinen besten Freund noch nie getroffen habe.“

Paul lachte leise. „So etwas Ähnliches hat Flint auch gesagt. Aber ich habe ihm erklärt, dass er selbst schuld ist. Wenn er darauf besteht, monatelang in Indonesien zu bleiben, muss er eben damit rechnen, dass während seiner Abwesenheit gewisse Dinge passieren.“

Unvermittelt wechselte ein Wagen vor ihnen in einem riskanten Manöver die Spur. Obwohl Paul ruhig und besonnen reagierte, wurde Aura trotz ihres Sicherheitsgurtes nach vorn geschleudert.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich besorgt.

Sie nickte ihm beruhigend zu. „Ja, alles bestens. Du hast wirklich gute Reflexe.“

„Aber nicht so gute wie Flint“, entgegnete er schmunzelnd. „Er ist schnell wie ein Blitz. Als wir einmal in Urawera auf Jagd waren, hat er mich davor bewahrt, über eine Klippe zu stürzen.“

„Das klingt ganz nach einem Macho.“

Paul lachte. „So würde ich ihn nicht bezeichnen. Machos sind meist recht unzuverlässig, während Flint absolut ehrlich und ausgesprochen bescheiden ist.“

„Ehrlichkeit“, warf Aura zynisch ein, „ist eine oft überbewertete Tugend.“

Pauls Lächeln war voller Zärtlichkeit. „Du kannst mich nicht schockieren, Liebling, ich kenne deine kleinen Tricks. Flint ist der beste Freund, den ich je hatte. Er ist ungefähr so nachgiebig wie ein Granitblock. Andererseits hat er eine so grenzenlose Geduld und Ausdauer, dass jede Katze, die vor einem Mauseloch lauert, geradezu hektisch wirkt. Aber ich mag ihn und bin überzeugt, dass du ihn auch schätzen wirst. Er wird ganz bestimmt von dir beeindruckt sein, denn er hatte schon immer eine Schwäche für schöne Frauen.“

Darauf könnte ich wetten, dachte Aura bitter. Sie war gar nicht so versessen darauf, Flint Jansen kennen zu lernen. Nach Pauls Schilderungen wusste sie genau, dass sie seinen Freund nicht mögen würde.

„Flint hat in den letzten Tagen nur wenig geschlafen“, fuhr Paul unverdrossen fort. „Er musste für seine Firma in Indonesien einige recht brenzlige Situationen bereinigen. Als er aus dem Flugzeug stieg, sah er so verwegen aus wie einer dieser Piraten im Südchinesischen Meer.“

„Er muss völlig erschöpft sein! Wir hätten die Verabredung absagen sollen. Ich werde ihn ja ohnehin morgen auf deiner Party treffen.“

„Flint ist hart im Nehmen“, versicherte Paul schmunzelnd. „Das ist ihm angeboren. Ich erinnere mich noch, wie er damals auf unsere Schule kam. Die anderen Jungen haben ihm das Leben wirklich schwer gemacht – du weißt, wie gemein Kinder sein können. Seitdem sind wir die besten Freunde.“

„Warum hat er denn solche Schwierigkeiten gehabt?“, fragte Aura verwundert.

Paul zuckte die Schultern. „Ein Familienskandal. Flints Vater hat immense Gelder unterschlagen und mit einer Frau von recht zweifelhaftem Ruf durchgebracht. Die Sache ging damals durch alle Zeitungen und endete schließlich vor Gericht mit ziemlich peinlichen Enthüllungen. Einige der Leute, deren Geld Flints Vater veruntreut hatte, hatten Kinder auf unserer Schule … Wirklich, Flint hat sich nach besten Kräften gewehrt, doch es waren verdammt harte Jahre für ihn.“

„Wie alt war er damals?“

„Acht Jahre. Gerade alt genug, um zu begreifen, was passiert war, aber noch viel zu klein, um sich gegen die Quälgeister zu behaupten. Obwohl er das natürlich versucht hat …“ Er lächelte versonnen. „Flint hat sich wohl mit jedem Jungen an der Schule geprügelt, der ihn auch nur schief angesehen hat. Dabei hat es ihn nicht im Mindesten interessiert, wie groß oder stark der andere war, und etliche Kämpfe hat er sogar gewonnen.“

Aura wusste nur zu genau, wie es war, wenn man sich verzweifelt nach Schutz und Geborgenheit sehnte. Unwillkürlich empfand sie so etwas wie Verbundenheit mit dem jungen Flint. Sie war ebenfalls acht Jahre alt gewesen, als ihr Vater Frau und Tochter verlassen hatte, um in Afrika als Missionsarzt zu arbeiten. Selbst heute, fünfzehn Jahre später, litt sie noch immer darunter.

Seufzend gestand sie sich insgeheim ein, dass Pauls Freund einfach auch gute Seiten haben musste. Zumindest hatten sie und Flint etwas gemeinsam: ihre beiderseitige Zuneigung für Paul, den Mann, den sie heiraten würde.

Als sie Flint Jansen schließlich gegenüberstand, erkannte Aura, wie sehr sie sich getäuscht hatte. Mit seinen ein Meter neunzig war er gut einen halben Kopf größer als Paul, und die lange, schmale Narbe, die über seine linke Wange bis hinunter zum Mundwinkel verlief, trug nicht gerade dazu bei, Auras Vertrauen zu wecken.

Die widersprüchlichsten Empfindungen erfassten sie, so dass sie ihn nur wortlos anschauen konnte.

Der schwarze Stoff seines maßgeschneiderten Dinnerjacketts umspannte breite, muskulöse Schultern. Das strahlende Weiß seines Hemds verlieh Flints sonnengebräunter Haut jenen matten Bronzeton, der Aura sofort an antike Skulpturen denken ließ. Trotz seiner langen Beine und der durchtrainierten Figur bewegte er sich mit der geschmeidigen Eleganz eines Panters.

Das kurz geschnittene dunkelbraune Haar schimmerte, je nach Lichteinfall, mal fast schwarz und dann wieder rötlich. Mit den harten, unnahbaren Zügen glich sein Gesicht dem eines gefährlichen Freibeuters, und dennoch stellte Aura verwundert fest, dass die übrigen weiblichen Gäste des Restaurants Flint verstohlen musterten – ihn und nicht den attraktiveren Paul. Flint schien vor Kraft und Stärke förmlich zu vibrieren, und Aura hatte den Eindruck, dass seine ungebändigte Energie sich auf die sonst so ruhige Atmosphäre des eleganten Speisesaals übertrug.

Wie immer er auch als Achtjähriger gewesen sein mag, dachte sie, während Paul sie einander mit stolzgeschwellter Brust vorstellte, Flint Jansen braucht heute bestimmt kein Mitgefühl mehr. Er scheint es mit der ganzen Welt aufnehmen zu können.

Mit einem kühlen Lächeln reichte sie ihm die Hand, die er mit seinen starken, langen Fingern umschloss. Widerstrebend schaute sie ihm in die Augen und begegnete seinem klaren, abschätzenden Blick. Wie eine Raubkatze, die ihre Beute fixiert, fand Aura. Eindringlich musterte er sie, als wollte er herausfinden, was für eine Art Frau sich wohl hinter diesem schönen Gesicht verbarg. Aura fühlte sich zunehmend unbehaglich.

„Aura.“ Flints dunkle Stimme klang ein wenig heiser. „Paul hat mir schon oft erzählt, wie schön Sie sind, aber bis heute habe ich das für die Schwärmerei eines verliebten Mannes gehalten. Dabei hat er noch untertrieben.“

Solche Komplimente war sie gewöhnt, und trotzdem verspürte Aura eine gewisse Enttäuschung. Offenbar lässt sich selbst ein Mr. Flint Jansen von einer hübschen Larve täuschen, dachte sie ironisch, da hilft es ihm auch nicht, wenn er mich noch so intensiv unter die Lupe nimmt. Die makellose Ebenmäßigkeit ihres Gesichts hatte ihn anscheinend davon überzeugt, dass sie nichts weiter war als ein hübsches Dummchen.

Sie lächelte ihn an. „Vielen Dank.“

Sein Händedruck war warm und fest, aber für den Bruchteil einer Sekunde meinte Aura, mehr zu fühlen. Der Griff übermittelte ihr eine Botschaft: Er sollte gewisse Grenzen abstecken und eine Herausforderung darstellen. Es kostete sie viel Selbstbeherrschung, nicht die Finger zurückzuziehen. Doch dann war dieser flüchtige Moment auch schon vorbei.

Flint ließ sie los und wandte sich mit einer amüsanten Bemerkung an Paul, während Aura sich verzweifelt einzureden versuchte, das Frösteln, das sie überlief, rühre von der kühlen Abendluft her.

Als sie zu ihrem Tisch gingen, spürte sie Flints prüfenden Blick auf sich ruhen. Nachdenklich betrachtete sie ihren attraktiven, zuverlässigen Verlobten. Es war ihr einfach unbegreiflich, was Paul mit diesem arroganten, engstirnigen Mann verband. Es musste sich wohl um eine jener geheimnisvollen Männerfreundschaften handeln, die Frauen ein ewiges Rätsel blieben. Abgesehen von der Schulzeit schienen sie außer Intelligenz und Ehrgeiz nichts gemeinsam zu haben. Vielleicht reichte das beiden ja aus.

Paul hatte nach Beendigung seines Jurastudiums sehr schnell Karriere gemacht, und Flint Jansen galt in Fachkreisen als künftiges Vorstandsmitglied von Robertson’s, dem weltweiten Konzern, für den er arbeitete. Als Teilhaber einer renommierten Anwaltskanzlei besaß Paul selbstverständlich die besten Kontakte und hatte Aura erzählt, dass der Vorstandsvorsitzende von Robertson’s Flint blind vertraute.

Daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel, denn schon nach dem ersten Blick auf Flint war ihr klar gewesen, dass er die nötige Kompetenz und Härte besaß, um jedes auch noch so große Unternehmen mit dem erforderlichen Durchsetzungsvermögen zu leiten.

Mittlerweile hatten sie ihren Tisch erreicht, doch die unterschwellige Anspannung, die Aura erfasst hatte, wollte nicht schwinden. Trotz ihrer wachsenden Verwirrung gelang es ihr, einigen Bekannten grüßend zuzunicken, während ihre Gedanken um den Mann kreisten, der hinter ihr ging. Höflich lächelnd ließ sie sich von einem Kellner den Stuhl zurechtrücken, während die beiden Freunde ebenfalls Platz nahmen.

Aura atmete tief durch, um ihren rasenden Puls zu beruhigen. Viel Zeit blieb ihr leider nicht, um ihre Gelassenheit wieder zu finden.

Kaum hatten sie ihr Menü zusammengestellt, da fragte Flint auch schon: „Was tun Sie eigentlich, Aura? Um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen, meine ich.“ Obwohl er lächelte, blieb sein Blick kalt.

Flint hatte ihr also den Fehdehandschuh zugeworfen! Wie die meisten von Pauls Freunden – und übrigens auch seine Mutter – glaubte Flint offenbar, dass sie ihn mehr aus Habsucht als aus Liebe heiraten wollte. Sekundenlang wünschte sie sich sehnlichst, einen wichtigen und verantwortungsvollen Beruf vorweisen zu können. Aber genau das konnte sie nicht, und es wäre zwecklos gewesen, an Flints Mitgefühl zu appellieren. Ein so rücksichtsloser, zielstrebiger Mann wie er würde ihre Situation einfach nicht begreifen.

Es war nicht Auras Schuld, dass sie keinen Job hatte. Trotz aller Widerstände und Probleme hatte sie hart für ihr Diplom gearbeitet, und unter anderen Umständen hätte sie bestimmt schon die ersten Stufen auf der Erfolgsleiter erklommen. Egal, Flints erbarmungsloser Blick verriet ihr, dass sie bei ihm nicht auf Verständnis hoffen durfte.

Betont unschuldig sah sie ihm direkt in die Augen. „Ich mache gar nichts.“

Selbstgefällig zog er die Brauen hoch. „Demnach sind Sie nicht gerade eine Karrierefrau.“

Obwohl seine Worte nicht im Geringsten ironisch klangen, stellten sich unwillkürlich die feinen Härchen auf Auras Haut auf.

Paul eilte ihr sofort zu Hilfe. „Ich weiß, dass dir unabhängige, berufstätige Frauen mehr liegen, Flint, aber Aura wurde noch sehr konservativ erzogen. Du brauchst dich also nicht über sie lustig zu machen. Bis Ende letzten Jahres hat sie noch die Universität besucht, doch dann musste sie anderen Verpflichtungen nachkommen“, erklärte er mit einem warnenden Unterton.

Aura warf ihrem Verlobten einen dankbaren Blick zu. Paul verstand die Probleme, die sie mit ihrer Mutter hatte, und billigte ihre Entscheidung in jeder Hinsicht.

„Verpflichtungen?“, fragte Flint lächelnd.

„Meine Mutter“, erwiderte sie leichthin. „Und wenn Sie glauben, ich sei altmodisch erzogen worden, sollten Sie unbedingt Natalie kennen lernen.“ Aura verzog die Lippen. „Sie ist sehr behütet aufgewachsen. Mein Großvater war der festen Überzeugung, dass Frauen auf Grund ihrer Veranlagung unfähig seien, kompliziertere Dinge als Stickmuster zu begreifen, also lernte sie so weibliche Tugenden wie Klavierspielen und das Ausrichten von exklusiven Dinnerpartys. Infolgedessen steht sie heute auf ganz bezaubernde Weise den Problemen des täglichen Lebens genauso hilflos gegenüber wie ein Baby.“

„Das klingt, als würden Sie eine gewaltige Verantwortung tragen“, pflichtete Flint ihr bei. „Wird sie nach der Hochzeit bei Ihnen wohnen?“

Das blanke Entsetzen auf Pauls Gesicht war so deutlich, dass Aura laut lachte. „Nein“, versicherte sie schnell.

In seiner gewohnt ruhigen Art fügte Paul hinzu: „Sie wird ganz in unserer Nähe leben, so dass wir immer ein Auge auf sie haben können.“

„Ach so.“ Flint schien sich tödlich zu langweilen.

„Was haben Sie eigentlich in Indonesien gemacht, Mr. Jansen?“, wechselte Aura höflich das Thema.

„Nennen Sie mich Flint“, bat er mit einem so charmanten Lächeln, dass plötzlich jeder andere Mann in dem eleganten Restaurant wie ein Bauerntölpel wirkte. „Ich habe dort ein bisschen aufgeräumt“, erklärte er dann.

„Wie bitte?“

„Frag ihn nicht, Liebes.“ Paul warf seinem Freund einen geradezu ehrfürchtigen Blick zu. „Er wird es dir sowieso nicht verraten. Flints Aufgaben sind höchst vertraulich.“

Diese so typisch männliche Überheblichkeit weckte Auras Widerspruchsgeist. Scheinbar beeindruckt beugte sie sich leicht vor und flötete: „Wie faszinierend, Flint. Ist es gefährlich?“

„Manchmal“, entgegnete er rau. „Reizt Sie denn die Gefahr, Aura?“

Unbehaglich schüttelte sie den Kopf und versuchte, das sonderbare Gefühl in ihrer Magengegend zu ignorieren. „Nein, ganz gewiss nicht“, antwortete sie leichthin. „Ich bin ein schrecklicher Feigling.“

Paul tätschelte liebevoll ihre Hand. „Aura scheut das Risiko.“

Als sie sich zu ihrem Verlobten umwandte, um ihm ein strahlendes Lächeln zu schenken, bemerkte sie aus den Augenwinkeln heraus, wie sich Flints Lippen ironisch verzogen.

„Und trotzdem wollen Sie heiraten“, meinte er viel sagend. „Und ich habe immer geglaubt, dieser Schritt wäre das größte Risiko schlechthin. Immerhin begibt man sich ganz in die Hand eines anderen Menschen – es sei denn natürlich, der Partner ist so vernarrt, dass er keine Gefahr darstellt.“

„Du hast mein Geheimnis erraten.“ Pauls Blick ruhte voller Zärtlichkeit auf Auras Gesicht.

Sie wurde von einer unerklärlichen Unruhe erfasst. Als der Weinkellner erschien, wandte sie sich erleichtert von Pauls blauen Augen ab.

Nachdem schließlich eingeschenkt war, begann Paul über den jüngsten politischen Skandal zu sprechen, der vor einigen Wochen aufgedeckt worden war. Aufatmend lehnte Aura sich zurück und lauschte den beiden Männern, während sie ihren Wein trank. Heute leerte sie ihr Glas schneller als sonst, denn irgendetwas machte sie nervös.

Nein, nicht irgendetwas, sondern irgendjemand. Und dieser Jemand saß ihr direkt gegenüber. Verstohlen musterte sie Flints lange, kräftige Finger, deren Sonnenbräune sich von dem makellos weißen, gestärkten Tischtuch abhob. Er hatte schöne Hände: männlich und stark, aber trotzdem schmal. Er muss viel Zeit im Freien verbringen, überlegte sie. Sonst wäre er nicht so braun. Er war zwar gerade aus den Tropen zurückgekehrt, aber dennoch war sein Teint von Natur aus eine Nuance dunkler als Pauls. Vermutlich wirkten deshalb seine goldbraunen Augen so auffallend, die von dichten dunklen Wimpern eingerahmt wurden.

Ihr Herz klopfte so heftig, dass Aura vom Gespräch der beiden Männer kaum noch etwas wahrnahm. Unauffällig beobachtete sie, wie sich seine Finger um den Stiel des Weinglases schlossen, das er nun an die Lippen hob. Sie verspürte ein sonderbares Prickeln, ohne dass sie es sich erklären konnte. Sie wusste nur, dass ihr von diesem Mann Gefahr drohte …

Energisch verdrängte sie diesen absurden Gedanken und beteiligte sich wieder am Gespräch. Es war nichts Neues für sie, mit jemandem am Tisch zu sitzen, der sie so offenkundig missbilligte. Sie hatte gelernt, damit umzugehen.

Es bestand für Aura nicht der leiseste Zweifel daran, dass Flint Jansen sie verachtete. Als sie einander vorgestellt wurden, hatte sie das kalte Funkeln in seinen Augen gesehen, das ihr seinen Abscheu verriet. Ihr Instinkt sagte ihr, dass er niemals ihr Freund sein und sie sogar erbittert bekämpfen würde.

Paul hatte nichts davon bemerkt. Für einen flüchtigen Moment trafen sich Auras und Flints Blicke. Er verzog den Mund zu einem abfälligen Lächeln. Unwillkürlich erinnerte er sie an eine Raubkatze, die noch überlegt, ob das magere Beutetier die Jagd überhaupt lohnt.

Sonderbarerweise übte diese Erkenntnis einen gewissen Reiz auf Aura aus. Herausfordernd sah sie ihn an. Angesichts seiner harten, von der Narbe gezeichneten Züge, rann ihr ein Schauer über den Rücken. Verwirrt über die zwiespältigen Empfindungen, die sein nur mühsam verhohlener Zorn in ihr auslöste, wandte sie sich wieder der Unterhaltung zu. Sie lachte und plauderte geistreich, während Paul sie voller Stolz beobachtete.

Sie nahm ihm sein Verhalten nicht übel. Schließlich prahlten Männer seit jeher vor ihren Freunden mit ihren Eroberungen. In diesem Punkt unterschieden sie sich nicht von kleinen Jungen.

„Paul hat mir erzählt, dass morgen eine große Gesellschaft stattfindet“, meinte Flint kühl.

Als Mutter der Braut hatte Natalie energisch erklärt, dass sie ihren Freunden und Verwandten eine Party schuldig seien. In aller Heimlichkeit hatte sie Auras Cousin Alick Forsythe dazu überredet, für die Kosten aufzukommen. Da sie all die vielen Gäste unmöglich in ihrer kleinen Wohnung bewirten konnten, hatte Paul sein geräumiges Apartment für diesen Zweck zur Verfügung gestellt.

„Ja.“ Sie nickte unbehaglich. Flint schien sie mit seinen Blicken förmlich auszuziehen. „Sie werden bei dieser Gelegenheit meine Mutter und die Brautjungfern kennen lernen. Außerdem kommen noch eine Menge anderer Leute. Es wird bestimmt sehr nett.“

„Davon bin ich überzeugt.“

Sein überheblicher Tonfall ärgerte sie maßlos. Obwohl sie sich vehement gegen die Pläne ihrer Mutter gewehrt hatte, wollte sie nun, da es sich nicht mehr ändern ließ, alles tun, damit die Party ein Erfolg wurde.

Als der Abend sich dem Ende zuneigte, war Aura völlig erschöpft, und sie sehnte sich danach, endlich in ihr Bett zu kommen.

Entgegen Pauls Behauptung würde sie Flint niemals mögen und konnte in ihrem eigenen Interesse nur hoffen, dass sein Beruf ihn möglichst lange im Ausland festhielt. Je weniger sie von diesem widerwärtigen Mann sah, desto besser. Glücklicherweise beruhte die Abneigung auf Gegenseitigkeit, so dass er sie bestimmt nicht allzu häufig besuchen würde, wenn Paul und sie erst einmal verheiratet waren.

Eigentlich hatte Aura damit gerechnet, dass Paul sie auf direktem Weg nach Hause fahren würde. Doch als Flint ihr mit einem betont höflichen Lächeln die Wagentür aufhielt, sagte ihr Verlobter plötzlich: „Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, Liebling, wenn wir zuerst in meine Wohnung fahren, oder? Ich erwarte einen dringenden Anruf aus London, den ich nicht verpassen möchte.“

„Natürlich nicht, Paul.“

Unterwegs konnte sie mehrmals ein Gähnen nicht unterdrücken. Paul hatte dies bemerkt und meinte sofort: „Mein armer Schatz, du bist ja völlig übermüdet. Was hältst du davon, wenn ich bei meinem Apartment aussteige und Flint dich nach Hause bringt? So kommst du so schnell wie möglich in dein Bett.“

„Nein, nein. Das ist nicht …“

Auras erschrockener Protest wurde von Flint, der auf dem Rücksitz Platz genommen hatte, unterbrochen. „Das klingt ganz vernünftig“, meinte er lässig. „Wo wohnt Aura?“

Wohl wissend, dass weiterer Widerspruch zwecklos war und nur auffallen würde, nannte sie ihm ihre Adresse.

„Im Ernst?“

Der anzügliche Unterton machte sie wütend. „Ja“, erklärte sie steif. Sie hätte alles darum gegeben, nicht die nächsten zwanzig Minuten mit diesem unverschämten Kerl verbringen zu müssen. So lange würde es dauern, bis sie zu Hause ankamen. Da sie aber keine andere Möglichkeit hatte, musste sie das Beste aus der Situation machen.

„Ich kenne den Weg.“

„Gute Nacht, Liebes, und überanstrenge dich morgen nicht“, verabschiedete sich Paul, nachdem er ausgestiegen war und Flint auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte. Er beugte sich vor und küsste Aura zärtlich. „Ich sehe dich dann morgen Abend.“

Sie beobachtete ihn, während er den Bürgersteig überquerte und zum Portal des eleganten Apartmenthauses ging, in dem sie beide leben würden, bis Kinder kamen. Unwillkürlich biss sie sich auf die Unterlippe.

Als Flint den Motor startete, wurde Aura aus ihren Grübeleien gerissen. Den Blick starr auf die Straße gerichtet, zerbrach sie sich den Kopf nach irgendeiner unverfänglichen Bemerkung, um das eisige Schweigen zwischen ihnen zu durchbrechen. Vergeblich. Sie war wie gelähmt. Verstohlen musterte sie den Mann neben sich. Dabei vermied sie es absichtlich, auf seine Hände zu blicken, die auf dem Lenkrad ruhten. Trotzdem tauchte vor ihrem geistigen Auge ein verwirrendes Bild auf: Flints sonnengebräunte Finger, die ihre, Auras, makellos helle Haut streichelten …

Betroffen wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Gegend zu, durch die sie fuhren. Die Straßenlaternen und Hausbeleuchtungen warfen ihr Licht auf gepflegte Rasenflächen und sorgsam angelegte Rabatten. Obwohl es Winter war, reckten die ersten Narzissen und schlanke Aronstäbe ihre zarten Blütenkelche der blassen Scheibe des Mondes entgegen. Vor ihnen zeichnete sich die Silhouette eines Hügels ab.

„Das ist der falsche Weg“, protestierte Aura erschrocken.

„Ich dachte, wir fahren kurz auf den One Tree Hill und betrachten von dort oben die Lichter der Stadt“, entgegnete Flint gelassen.

Aura sah ihn verwundert an. So beiläufig wie möglich sagte sie: „Vielen Dank für den Vorschlag, aber ich möchte lieber nach Hause.“

Er lächelte flüchtig. „Das ist aber sehr schade“, meinte er. „Ich werde Sie auch nicht lange aufhalten.“

Sie hatte seinen berechnenden Unterton bemerkt. „Ich bin wirklich sehr müde“, erklärte sie. „Eine Hochzeit zu organisieren ist anstrengender, als ich dachte.“

Flint verzog zynisch den Mund.

Sei nicht albern, schalt Aura sich im Stillen, deine Fantasie geht mit dir durch. Der Mann ist vielleicht rücksichtslos, aber er wird dir nicht wehtun. Schließlich ist er Pauls bester Freund.

„Das glaube ich gern“, stimmte er ihr endlich zu. „Besonders wenn es so kurzfristig arrangiert werden muss. Aber ein paar Minuten werden Sie schon erübrigen können, um einen Blick auf die Stadt zu werfen. So eine kleine Verschnaufpause kann sehr erholsam sein.“

Seufzend fügte Aura sich in ihr Schicksal. Flint hatte eine Entscheidung getroffen, und nichts auf der Welt würde ihn davon abbringen.

Flint war das genaue Gegenteil von Auras Mutter. Natalie war so sprunghaft wie ein Rehkitz – jederzeit bereit, eine neue Richtung einzuschlagen, wenn es nur ihren eigenen Interessen diente. Auras Begleiter hingegen war wie ein Fels: unverrückbar, dominierend und unbezwingbar – kurz, eine Bedrohung für den Seelenfrieden einer jeden Frau …

Aura blickte hinaus auf die nächtliche Landschaft, die an ihnen vorüberzog. Die Straße wand sich in Serpentinen den erloschenen Vulkan hinauf. Der Parkplatz auf dem Gipfel war leer. Niemand außer ihnen blickte hinab auf den funkelnden Lichterteppich, den die Stadt Auckland unter ihnen ausbreitete.

Flint und Aura waren ganz allein.

Er stellte den Motor ab und wandte sich zu ihr um. Sie merkte, wie sie sich am ganzen Körper verkrampfte. Ihr Atem und ihr Puls beschleunigten sich, so als wollten sie sich gegen eine drohende Gefahr wappnen.

„Ich nehme an, Sie wissen, was Sie tun“, sagte er.

Aura befeuchtete mit der Zungenspitze die trockenen Lippen. „Ich glaube schon. Was meinen Sie denn im Besonderen?“

„Die Hochzeit mit Paul.“

Das war es also! So ruhig wie möglich erwiderte sie: „Oh ja, ich weiß ganz genau, was ich tue.“

„Das hoffe ich, meine Schöne. Um ihrer beider willen. Denn wenn Sie Paul genauso sitzen lassen wie die beiden anderen, bekommen Sie es mit mir zu tun. Er mag vielleicht zu vernarrt sein, um mit Ihnen fertig zu werden, ich aber bin es nicht.“

Aura verschlug es sekundenlang die Sprache. „Offenbar haben Sie meine Vergangenheit durchleuchtet“, brachte sie schließlich mühsam hervor.

Autor

Robyn Donald
<p>Die Neuseeländerin Robyn Donald ist überzeugt, dass Schreiben und Gärtnern viel gemeinsam haben: Beide Tätigkeiten sind mit Fantasie, Gefühlen, Visionen, viel Arbeit und Rückenschmerzen verbunden - und machen, wenn sie erfolgreich abgeschlossen sind, sehr glücklich. Schon als Kind erzählte Robyn ihren vier jüngeren Schwestern und ihrem Bruder sehr gern haarsträubende...
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