Baccara Extra Band 26

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DIAMANT DER LEIDENSCHAFT von DAY LECLAIRE
Gabe Moretti empfindet ungekannte Begierde, als Kat sein Büro betritt. Dabei müsste er voller Verachtung für die Femme fatale sein. Denn sie hat das Collier seiner Mutter in ihren Besitz gebracht. Und Kat gibt es nur zurück, wenn er ihren Verlobten mimt. Ein gefährlich heißes Spiel beginnt …

BERÜHR MICH, UND ICH BIN VERLOREN von JANICE MAYNARD
Ein Blick aus Gils stahlblauen Augen genügt, um Bailey vor Lust erschauern zu lassen. Aber sie muss dem sexy Millionär widerstehen! Sie ist doch als Ermittlerin in einem Entführungsfall auf der Ranch. Da wäre es höchst unprofessionell, sich auf eine Affäre mit dem Verdächtigen einzulassen!

MEIN UNWIDERSTEHLICHER VERFÜHRER von PAULA ROE
Marco Corelli ist einfach unwiderstehlich. Nur Katerina bleibt bei ihrem Nein. Nicht etwa, weil sie immun gegen seinen Charme ist, sondern weil sie seit dem College beste Freunde sind. Und das will sie nie durch eine Affäre gefährden! Doch dann kommt die eine heiße Nacht, in der Katerina schwach wird …

ZURÜCK IN DEN ARMEN DES GRIECHISCHEN MILLIARDÄRS von OLIVIA GATES
Niemand weckt so widersprüchliche Gefühle in Naomi wie der griechische Milliardär Andreas Sarantos, ihr Ex-Mann. Als er plötzlich das Sorgerecht über Naomis verwaiste Nichte Dora verlangt, bleibt Naomi nur eins, um sie nicht zu verlieren: Sie muss Andreas ein zweites Mal heiraten!


  • Erscheinungstag 05.10.2021
  • Bandnummer 26
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501880
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Day Leclaire, Janice Maynard, Paula Roe, Olivia Gates

BACCARA EXTRA BAND 26

1. KAPITEL

Die Tür zu Gabe Morettis Büro wurde aufgerissen, und herein rauschte eine der schönsten Frauen, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Als er sie sah, überlief ihn ein merkwürdiges Kribbeln, ein Gefühl, wie er es noch nie erlebt hatte. Es störte ihn auf aus seiner Ruhe und versetzte all seine Sinne in Alarmbereitschaft.

Sie gehört dir, vernahm er eine heimtückische Stimme. Nimm sie dir!

Gabe schob den aberwitzigen Gedanken beiseite und konzentrierte sich stirnrunzelnd auf die Frau. Sie war groß, beziehungsweise sie wirkte groß durch ihre acht Zentimeter hohen Absätze, sie war zart, beinahe zerbrechlich. Unter einem offenen schwarzen Wollmantel trug sie ein grauweißes Dior-Kostüm, das ihre weiblichen Rundungen betonte. Das rote Haar hatte sie im Nacken zu einem schweren Knoten zusammengefasst.

Doch sie war mehr als eine reine Schönheit. In ihrer Erscheinung spiegelten sich Charakter und Willensstärke, Intelligenz leuchtete in ihrem Blick, ihre Augen, so unglaublich hellgrün, ließen einen nicht mehr los … und wirkten doch selbst gefangen. Sie verliehen ihr eine beinahe schmerzliche Verletzlichkeit, auf die Gabe mit erschreckender Heftigkeit reagierte.

Nimm dir diese Frau!

Diese Sehnsucht überstieg jede Vernunft. Die Zeit kam zum Stillstand, er verlor beinahe seine eiserne Selbstbeherrschung, alles, was ihn antrieb und zu dem Mann machte, der er war. Sein Begehren spitzte sich zu einem Befehl zu … diese Frau, jetzt, in diesem Augenblick. Unerträgliche Hitze erfasste ihn, pulsierte mit jedem Herzschlag durch seine Adern. Und dann löste sich die Zeit aus ihrer Erstarrung, und er wurde ins Hier und Jetzt zurückgestoßen.

Die Frau hielt in ihrer Bewegung inne, als hätte sie seine innere Unruhe verspürt. Sie zögerte, sah ihm in die Augen. Offenbar war er nicht das, was sie erwartet hatte, was ihn nur noch neugieriger machte. Wen oder was hatte sie wohl erwartet? Oder reagierte sie einfach nur auf ihn, genau wie er auf sie reagierte?

„Gabe Moretti?“, fragte sie mit tiefer, heiserer Stimme, die ihn nur noch mehr um den Verstand brachte.

Sie ist die Frau für mich!

„Entschuldigen Sie, Mr. Moretti.“ Seine Assistentin kam ins Büro geeilt. „Sie hat darauf bestanden, Sie sofort zu sprechen.“

Gabe schloss die Akte, die er durchgesehen hatte, und stand auf. Er fixierte die geheimnisvolle Frau mit jenem stählernen Blick, der ihm unter Konkurrenten und Gegnern den Spitznamen „Iceman“ eingetragen hatte. Vielleicht reagierte er so heftig, weil ihm die innere Stimme keine Ruhe ließ – er hatte sie noch nie zuvor gehört und hoffte, sie auch nie wieder hören zu müssen. Vielleicht wollte er auch den Instinkt in Schach halten, der ihm entgegen jeden zivilisierten Benehmens zuraunte, sich zu nehmen, was er wollte, ohne an die Konsequenzen zu denken. Doch sie schaute ihn einfach nur an, und ihr Blick war ebenso brillant und leidenschaftlich wie Dantes Feuerdiamanten.

Feuer und Eis, eine faszinierende Kombination.

„Warum fangen wir nicht am Anfang an?“, schlug er vor. Er war höchst beeindruckt, dass er so ruhig sprechen konnte, während in ihm die Leidenschaft brodelte. „Zum Beispiel, wer sind Sie?“

„Erkennen Sie mich denn nicht? Das sollten Sie eigentlich.“ Ihre Stimme klang amüsiert. „Ich bin Kat Malloy.“

Diese Aussage traf ihn wie ein Schlag. So viel also zu dieser albernen inneren Stimme. Diese Frau war nicht nur nicht die Frau für ihn, sie konnte sie auch niemals sein. So sehr er sie auch körperlich begehren mochte, sie wäre die letzte Frau auf Erden, mit der er ins Bett gehen würde. Er hatte sie erst ein einziges Mal zuvor gesehen. Damals hatte er ähnlich auf sie reagiert, wenn auch nicht so heftig. Vielleicht hatte seine frühere Reaktion damit zu tun, dass sie im Bett eines anderen gelegen hatte – und dieses Bett hatte dem Verlobten ihrer Cousine gehört.

Gabe sah zu seiner Assistentin und schickte sie mit einem leichten Nicken wieder hinaus.

Sobald sie allein waren, trat er näher und feuerte die erste Salve ab. „Vielleicht hätte ich dich leichter erkannt, wenn du keine Kleider getragen hättest.“

In ihrem Blick flackerte Zorn auf. „Wie reizend von dir, das anzusprechen. Wie immer, ganz der Gentleman.“

„In diese Richtung solltest du besser nicht weiterargumentieren“, sagte er sehr sanft. „Sonst sähe ich mich gezwungen, darüber zu diskutieren, in welchem Maße du der Definition einer Lady entsprichst.“

Sie tat diese Warnung mit einem lässigen Schulterzucken ab, obwohl die leise Röte auf ihren Wangen verriet, dass seine Bemerkung gesessen hatte. Gut. Diese Feindseligkeit verhinderte andere Gefühle – zum Beispiel Lust. Oder Leidenschaft. Oder das Bedürfnis, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie zu verführen.

„Du könntest mir wenigstens die Höflichkeit erweisen, dir meinen Vorschlag anzuhören, bevor du mich rauswirfst.“

Er starrte sie nur an. Und die ganze Zeit redete diese furchtbare innere Stimme auf ihn ein, verlangte Dinge, die er sich nicht einmal anhören, geschweige denn erfüllen wollte.

„Ich bin dir nichts schuldig. Vielleicht meine verstorbene Frau. Schließlich warst du Jessas Cousine“, sagte er schließlich. Er hielt kurz inne, ehe er im Plauderton fortfuhr: „Wusstest du eigentlich, dass sie dich wie eine Schwester geliebt hat? Auch nach allem, was du getan hast, auch nach deiner kleinen Affäre mit Benson Winters, hat sie die letzten beiden Jahre ihres Lebens um den Verlust eurer Freundschaft getrauert.“

„Tatsächlich?“ Kat hob eine schmale Augenbraue. „Dann hatte sie aber eine höchst merkwürdige Art, das zu zeigen, denn sie hat unsere Großmutter gegen mich aufgehetzt und mich in der Presse verunglimpft. Irgendwie kann ich das nicht sehr schwesterlich finden.“

Er sah rot. „Vielleicht liegt das daran, dass du mit ihrem Verlobten geschlafen hast. Und obwohl ich letztendlich davon profitiert habe, war das von dir absolut widerwärtig.“

Kat Malloy hatte sich bewundernswert rasch wieder gefangen. „Das bekomme ich andauernd zu hören. Aus irgendeinem seltsamen Grund sehe ich die Geschehnisse in jener Nacht ein wenig anders.“

Sie schaute sich in seinem Büro um, betrachtete die großzügige Sitzecke, wo er seine Gäste empfing, und nahm auf dem Sofa Platz. Dann schlüpfte sie aus dem Mantel und machte es sich bequem, indem sie die Beine übereinanderschlug – herrliche, wohlgeformte Beine, wie er nicht umhin konnte zu bemerken. Beine, die er nur zu gern um sich geschlungen sähe.

Andererseits – auch eine Giftschlange hatte einen geschmeidigen Körper. Was nicht hieß, dass er einer zu nahe kommen würde. Nicht dass seine innere Stimme nun Ruhe gegeben hätte. Anscheinend interessierte sie sich nicht für Schlangen, nur für diese Beine und wie eng sie ihn umschlingen konnten.

Mit bemerkenswerter Selbstbeherrschung sagte Kat: „Bevor du mich rausschmeißt, solltest du dir über ein wichtiges Detail im Klaren sein.“ Sie lächelte ihr Sirenenlächeln. „Ich habe etwas, was du willst.“

Er winkte ab. „Kann ich mir nicht vorstellen.“

Sie faltete die Hände im Schoß. So züchtig. So schicklich. So verdammt stilvoll. Und alles reine Lüge. „Das Detail, das ich meine, heißt Heart’s Desire.“

Er erstarrte. Verdammt! Jahrelang hatte er ohne Erfolg versucht, Matilda Chatsworth das Diamanthalsband seiner Mutter abzukaufen. Kats Großmutter wusste sehr wohl, wie viel ihm daran gelegen war, dass er buchstäblich alles getan hätte, um es zurückzubekommen. Zugegeben, das war nicht die beste Verhandlungsbasis für jemanden mit seiner Erfahrung. Aber damals war er sehr viel jünger gewesen und noch nicht so geübt darin, ein Pokerface zu wahren, vor allem wenn es um etwas ging, was mit so viel emotionalem Gepäck verbunden war.

Seine Mutter Cara hatte das Halsband kreiert, damals, als sie als Schmuckdesignerin bei den Dantes angefangen hatte. Während dieser frühen, aufregenden Tage hatte sie sich in Dominic Dante verliebt, den Sohn des Eigentümers. Ihre Affäre war leidenschaftlich und erfüllend gewesen, beinahe hätten sie geheiratet, aber dann hatte er doch nicht seine Mutter gewählt, sondern eine Frau mit genug Geld auf dem Konto, zweifellos auf Drängen seiner Eltern.

Nach diesem Verrat hatte seine Mutter eine Stellung bei Dante in New York akzeptiert und mit ihrem Leben weitergemacht – bis Dominic Jahre später wieder bei ihr aufgetaucht war. Sie hatte ihm nicht widerstehen können, und das Ergebnis dieses One-Night-Stands waren Dante und seine Zwillingsschwester Lucia. Daraufhin hatte Cara den Dantes endgültig den Rücken gekehrt.

Laut Dominic hatte er Cara nie vergessen können. Jahrelang hatte er verzweifelt nach ihr gesucht. Fünfzehn Jahre später hatte er sie schließlich gefunden und erfahren, dass sie Zwillinge geboren hatte. Diesmal machte er ihr einen Heiratsantrag, obwohl er immer noch mit seiner ersten Frau verheiratet war.

Er gab Cara ein Halsband, das sie für das Unternehmen entworfen hatte und das er ihr zu Ehren „Heart’s Desire“ getauft hatte, dazu einen Ring und das Versprechen, sie nach seiner Scheidung zu heiraten und seinen unehelichen Kindern seinen Namen zu geben. Natürlich war es nie dazu gekommen, alles, was Cara Moretti blieb, waren leere Versprechungen und das erlöschende Feuer der Diamanten, die Dominic ihr geschenkt hatte.

Gabe war zwanzig gewesen, als seine Mutter krank wurde. Da er unbedingt Geld brauchte für die medizinische Versorgung, hatte er das Diamanthalsband an Matilda Chatsworth verkauft. Das Geld hatte ihm außerdem einen Start im Leben ermöglicht. Obwohl er immer gewusst hatte, dass ihm gar nichts anderes übrig geblieben war, als das Halsband zu verkaufen, hatte er immer gehofft, es eines Tages zurückkaufen zu können. Er hatte lange gebraucht, um zu erkennen, warum das für ihn einen so hohen Stellenwert hatte.

Schließlich hatte er sich eingestehen können, welche symbolische Bedeutung das Halsband für ihn hatte. Es stand für den Mann, der ihn gezeugt hatte. Die Familie, die ihn zurückgewiesen hatte. Und die Mutter und Schwester, die immer für ihn und füreinander da gewesen waren, in guten, schlechten und unglaublich schrecklichen Zeiten.

Bis er schließlich so weit war und über die finanziellen Mittel verfügte, das Halsband zurückzukaufen, hatte Matilda nicht mehr verkaufen wollen. Selbst als er ihre Enkelin Jessa geheiratet hatte, war das Halsband außer Reichweite geblieben. Ihm war es ein Rätsel, warum Matilda jetzt nach all den Jahren beschlossen hatte, das Halsband ihrer missratenen Enkelin zu übergeben, statt es an ihn zu veräußern. Warum hatte sie sich so gegen ihn gewandt, vor allem, nachdem sie Kat für ihren Verrat an Jessa von Herzen verachtete?

Gabe konzentrierte sich wieder auf Kat und sagte mühsam beherrscht: „Du hast es?“ Nur diese drei Worte, doch darin lagen Gefühle, die seine ganze Lebensgeschichte einschlossen. Die den Kern seines Wesens und seiner Persönlichkeit berührten.

Kat zögerte und antwortete dann indirekt. „Meine Großmutter hat vor Kurzem Kontakt zu mir aufgenommen und mich gebeten, nach Hause zu kommen. Ihr geht es nicht gut. Sie hat versprochen, mir das Halsband zu geben, wenn sie …“ Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht. „Danach.“

„Dann komm zu mir, wenn du es wirklich hast. Und jetzt, wenn es dir nichts ausmacht …“ Er deutete mit dem Kopf zur Tür. „Ich habe zu tun.“

„Leider geht es um etwas mehr.“ Sie blickte sich um, sah die Hausbar und fragte etwas heiser: „Könnte ich wohl ein Glas Wasser haben? Ich komme um vor Durst.“

„Bereitest du dich darauf vor, die Rolle der trauernden Enkelin zu spielen, die sich über den Tod ihrer Großmutter grämt, Kat? Samt Krokodilstränen, möchte ich wetten. Tut mir leid, meine Süße, ich falle nicht drauf rein.“

Er sah Schmerz in ihrem Blick, doch im nächsten Augenblick war ihre Miene wieder verschlossen. „Jede Träne, die ich wegen meiner Großmutter vergieße, wird echt sein. Meine Eltern sind gestorben, als ich fünf war, und Gam hat mich großgezogen. Ich schulde ihr mehr, als ich sagen kann. Aber mach dir keine Sorgen, dass ich vor dir zusammenbrechen könnte. Ich weine nie.“

Gabe machte sich nicht die Mühe, um den heißen Brei herumzureden. „Wie viel? Wie viel für Heart’s Desire?“

Sie verzog keine Meine. „Es ist nicht zu verkaufen.“

Fluchend sprang er auf. „Weißt du, du bist wirklich das Letzte! Erst schläfst du mit Benson Winters, Jessas Verlobtem. Und jetzt hast du eine Methode gefunden, dich bei Matilda lieb Kind zu machen und das Halsband in die Hände zu bekommen. Warum? Was spielst du für ein Spiel?“

Ihre Antwort kam ebenso prompt. „Das ist kein Spiel. War es nie.“

Er kam sofort auf das Wesentliche zu sprechen – oder das, was er dafür hielt. „Ich gebe dir den vollen Wert. Mehr als den. Geld spielt keine Rolle.“ Wie immer, wenn es um das verdammte Halsband ging, verließen ihn all die Geschäftstaktiken und Verhandlungsstrategien, die er sich in den letzten zehn Jahren angeeignet hatte.

„Mir geht es nicht um Geld.“ Sie winkte ab und lächelte kühl. „Ich dachte, du wolltest mir etwas zu trinken geben?“

Verdammt, verdammt, verdammt! Da hatte er keine fünf Minuten mit dieser Frau verbracht, und schon hatte sie seine jahrelangen Bemühungen um Selbstbeherrschung untergraben. Es musste daran liegen, dass er sie begehrte. Weil sie zu ihm gehörte. Er erstarrte, fassungslos. Du lieber Himmel, was zum Teufel war nur mit ihm los?

Wortlos ging er zur Hausbar. „Mit oder ohne Kohlensäure?“

„Ohne.“

„Eis?“

„Danke. Das wäre eine nette Abwechslung.“

„Allerdings.“ Das Eis klirrte im Glas. „Du hast dich die letzten fünf Jahre in Europa versteckt.“

„Ich habe mich nicht versteckt“, protestierte sie.

Interessant. Offenbar hatte er schon wieder einen wunden Punkt getroffen. Erstaunlich, dass eine Frau wie Kat ihre Verletzlichkeiten nicht besser schützte. „Unsinn. Du hast das Land doch fluchtartig verlassen, nachdem rauskam, dass du etwas mit dem Senatskandidaten Benson Winters hattest, dem Verlobten deiner Cousine! Und seither bist du nicht mehr hier gewesen, nicht mal zu Jessas und meiner Hochzeit, geschweige zu ihrer Beerdigung.“

Er reichte ihr das Glas und bemerkte befriedigt, dass es in ihrer Hand ganz leicht zitterte. „Aber sobald dir klar wird, wie du Heart’s Desire in die Hände kriegst, kommst du nach Seattle zurück.“

Sie nahm rasch einen Schluck Wasser, zweifellos, um ein paar kostbare Sekunden zu gewinnen und sich zu fassen. „Hast du dich deswegen immer geweigert, mich zu sehen? Weil ich nicht zu Jessas Beerdigung gekommen bin?“

„Das passt als Grund genauso gut wie jeder andere, findest du nicht?“

„Wenn es stimmen würde.“ Sie trank etwas von ihrem Wasser. „Tut es aber nicht.“

Wenn er sich auf seinen Zorn konzentrierte, würde das Begehren vielleicht verschwinden. Oder zumindest nachlassen. Das war alles, was er brauchte, ein paar Augenblicke Pause von den Wellen heftigen Verlangens, die in seinem Innersten anbrandeten und jede Selbstbeherrschung zu unterhöhlen drohten. Er verstand es nicht. Für diese Frau hätte er nichts anderes empfinden dürfen als tiefe Verachtung. Und doch … Er fühlte etwas ganz anderes. Warum?

„Was stimmt nicht?“, stieß er hervor. „Dass du dir nicht die Mühe gemacht hast, zu Jessas Beerdigung zu erscheinen? Oder dass du nur zurückgekehrt bist, um Heart’s Desire in die Hände zu bekommen?“

Lässig zuckte sie mit den Schultern. „Jessa hätte nicht gewollt, dass ich komme.“

„Keine Frage. Und trotzdem kehrst du zurück wie ein Aasgeier, sobald du erfährst, dass Matilda krank ist. Oder täusche ich mich da ebenfalls?“

Sie fuhr kaum merklich zusammen, und in ihren brillanten, gequälten Augen zeigte sich eine Spur Verletzlichkeit. Andererseits – nach allem, was er von ihr wusste, hatte sie sich diesen Blick vielleicht patentieren lassen und wandte ihn nun bei ihrer momentanen Trickserei an. Das schien ihm jedenfalls plausibler als die Alternative – dass sie auch nur eine Spur echter Verletzlichkeit besitzen sollte. Bei dieser Frau konnte er seinen Instinkten nicht trauen, nicht, solange sie ihn drängten, sie zu verführen.

Ein Sonnenstrahl fiel in den Raum, ließ ihr Haar rot aufleuchten. „Du täuschst dich nicht. Ich bin hier, weil meine Großmutter krank ist.“

„Deswegen sitzt du aber doch nicht in meinem Büro, oder?“ Seine Stimme klang zynisch. „Ich glaube, du sitzt hier, weil du weißt, wie sehr ich Heart’s Desire haben will.“

Sie reckte das Kinn. „Das stimmt. Ich setze darauf, dass du alles tun würdest, um das Halsband zu kriegen.“

„Dann sag schon, was du dafür willst.“

„Ich will kein Geld. Was ich für das Halsband will, ist etwas ganz Einfaches, das sehr wohl in deiner Macht liegt.“ Als er schwieg, fuhr sie fort: „Ich habe gehört, dass du einer der besten Verhandlungsführer von Seattle bist.“ Sie stellte ihr Glas ab und verschränkte die Hände; die weiß hervortretenden Fingerknöchel verrieten, wie nervös sie war. „Willst du es unter Beweis stellen?“

„Lass hören.“

„Meine Großmutter ist eine sehr konservative Frau. Natürlich macht sie sich Sorgen wegen mir und meiner …“, sie zögerte und fügte dann vorsichtig hinzu: „… und meiner, sagen wir, bis jetzt eher unglücklichen Entscheidungen. Momentan ist sie noch nicht bereit, sich mit mir zu versöhnen. Sie hat mich nur in Kenntnis gesetzt, dass sie ihr Versprechen halten und mir das Halsband über kurz oder lang geben will.“

„Und dir reicht das nicht?“

Kat schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will mehr. Viel mehr.“

„Deine Großmutter ist reich. Lass mich raten. Du findest, du hättest Anspruch auf einen großzügig bemessenen Anteil dieses Reichtums.“

Lässig hob sie eine Schulter. „Ich will eine Versöhnung. Die Gründe sind meine Sache.“

„Und wo komme ich ins Spiel?“

„Gam hat mir zu verstehen gegeben, dass sie einen Beweis für meine Anständigkeit braucht. Sie will sehen, dass ich mich mit einem ehrbaren Mann häuslich niedergelassen habe, der meine Flausen nicht dulden wird, so hat sie es formuliert.“

„Du lieber Himmel“, sagte er schwach.

„Ja, das war auch meine erste Reaktion. Aber wenn ich tue, was sie verlangt, wird Gam mich wohl zu Hause willkommen heißen. Und das bringt mich nun auf den ehrbaren Mann.“ Sie fixierte ihn mit ihren hellgrünen Augen. „Hallo, ehrbarer Mann.“

Entsetzt starrte er sie an. „Du trägst mir die Ehe an? Nein. Unmöglich. Du bist ja verrückt, wenn du glaubst, ich würde jemals einwilligen.“

Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr ihn dieser empörende Vorschlag abstieß. Oder auch sein heftiges Begehren. Ehe. Das Ehebett. Die Hochzeitsnacht. Er dachte daran, wie er Kat zum ersten Mal gesehen hatte, und ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte nackt auf den Satinlaken gelegen, immer noch die schlafende Unschuld, obwohl sie längst durch einen Kuss erweckt worden war.

Selbst damals hatte sie ihm den Atem geraubt, er hatte die verwirrenden ersten Regungen verspürt, die sich diesmal zu weitaus mehr ausgewachsen hatten. Damals hatte er einfach angenommen, es sei die normale männliche Reaktion auf den Anblick einer schönen nackten Frau. Allerdings hatte er sich nie recht erklären können, warum ihm dieses fünf Jahre alte Bild noch lebhaft vor Augen stand, während die Erinnerungen an seine Frau, die vor zwei Jahren gestorben war, bereits angefangen hatten zu verblassen.

Sie lachte. „Entspann dich, Gabe. Ich habe es nicht auf die Ehe abgesehen, nur auf eine Verlobung. Zugegeben, eine etwas längere Verlobung, die Gam beweist, dass ich zur Ruhe gekommen bin. Damit sorgst du auch dafür, dass sie die letzten Monate glücklich ist.“

„Als würdest du darauf auch nur einen Deut geben.“

„Doch, das tue ich. Sie ist meine Großmutter.“ Sie hielt kurz inne. „Außerdem, wer könnte perfekter sein? Du warst Jessas Ehemann, unsere Verlobung würde aus mir anrüchigem Weib im Handumdrehen eine ehrbare Frau machen. Du bist für deine Integrität und Ehre bekannt. Du bist mächtig und gleichzeitig fair, und du lässt dir nicht auf der Nase herumtanzen. Du bist genau die Sorte Mann, die Gam sich vorstellt, um …“, ihre Belustigung wuchs, sie lud ihn ein, an dem Witz teilzuhaben, „… um mich auf Linie zu halten.“

„Nein.“

„Denk drüber nach, Gabe.“ Ihre Sirenenstimme und das sinnliche Lächeln waren auf Verführung aus. „Ich wäre dir ausgeliefert. Müsste tun, was du sagst. Und du würdest dafür Heart’s Desire bekommen. Wir würden beide gewinnen.“

Er zögerte einen langen Augenblick, überlegte, wie er mit diesem Vorschlag umgehen wollte, den er doch eigentlich rundheraus hätte ablehnen sollen, aber verlockender fand, als er für möglich gehalten hätte. Wie hieß es in der Fernsehserie, die er als Kind immer gesehen hatte? Widerstand ist zwecklos. Er ging zu seinem Schreibtisch und drückte eine Taste seines Telefons. „Sarah?“

„Ja, Mr. Moretti?“, erwiderte seine Assistentin sofort.

„Sagen Sie all meine Termine für heute ab. Ich verlasse das Büro und komme erst am Montag wieder. Verlegen Sie meine Termine auf nächste Woche.“

Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, drehte sich zu Kat um und deutete auf die Tür. „Wollen wir?“

„Wollen wir … was?“

Ihre Belustigung schwand. Stattdessen zeigte sich Misstrauen in ihrer Miene, was Gabe ein Lächeln entlockte. „Schauen, ob wir unser Geschäftsabkommen vollziehen können, natürlich. Vorausgesetzt, wir können uns einigen.“

„Vollziehen“, wiederholte sie. Ihr ausdrucksvolles Gesicht verriet Nervosität. Und etwas anderes, was er nicht recht deuten konnte. Furcht?

Er konnte sich nicht erklären, warum er sie derart provozieren musste. Vielleicht lag es an der verdammten Verletzlichkeit, die er an ihr entdeckt hatte. Vielleicht spürte er auch eine Schwäche, etwas, was er ausnutzen konnte, um die Oberhand zu gewinnen. Höchstwahrscheinlich war es einfach die Lust, die ihn verfolgte, seit sie das Büro betreten hatte.

Er hob eine Braue. „Ist das nicht das Endergebnis, wenn ein Vorschlag angenommen wird? Die beteiligten Seiten melden Vollzug. Wollen wir irgendwo hingehen, wo wir unter uns sind? Schließlich hast du eben gesagt, Teil der Vereinbarung ist, dass du mir ausgeliefert bist und tun musst, was ich sage. Nun, meine Süße, ich verlange, dass wir uns an den Vollzug unseres Vertrages machen. Du kannst schon mal anfangen, mich um Gnade anzuflehen.“

„Du machst wohl Witze!“ Empört sprang sie auf. Nicht gerade schmeichelhaft – die meisten Frauen brannten nur darauf … Dinge mit ihm zu vollziehen.

„Nein, ich mache keine Witze. Ich bin jedoch offen für ein Gespräch davor. Danach …“ Er trat auf sie zu, blieb kurz vor ihr stehen, bis die Spannung zwischen ihnen unerträgliche Ausmaße annahm. „Nun, sagen wir einfach, du hattest recht. Ich tue alles, um an das Halsband zu kommen.“

„Sogar mit mir ins Bett gehen?“ Die Frage klang beinahe bitter, was seine Neugier weckte.

„Wenn du darauf bestehst.“

„Ich bestehe nicht darauf. Im Gegenteil, ich will weder mit dir noch mit sonst irgendeinem Mann schlafen.“ Ihre sorgfältig zurechtgemachte Fassade bröckelte, ihre Worte zeigten eine leidenschaftliche Heftigkeit, die ihn nur noch neugieriger werden ließ. „Alles, was ich will, ist, die Forderung meiner Großmutter zu erfüllen.“

„Und alles, was ich will, ist Heart’s Desire. Die Verlobung hast du vorgeschlagen.“

„Das heißt aber nicht, dass wir …“ Sie unterbrach sich, ihre langen Wimpern senkten sich, um den Ausdruck in ihren Augen zu verbergen.

„Ich glaube, darüber müssen wir noch verhandeln. Und wie du schon gesagt hast, bin ich darin sehr erfahren.“ Er beugte sich vor, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Du hast dich mir in den Weg gestellt. Und du hast etwas, was ich will. Warum bist du jetzt überrascht, wenn ich mir nehme, womit du mir so unklug vor der Nase herumwedelst?“

„Das hat nicht in meiner Absicht gelegen“, protestierte sie. In ihrer Stimme schwang eine Spur Panik mit. „Das weißt du.“

„Aber es läuft trotzdem darauf hinaus. Jetzt gehen wir irgendwohin, wo wir ungestört sind, und dort überlegen wir genau, womit wir diesen Teufelspakt besiegeln. Denn nichts – weder unsere Verlobung noch der Vollzug der Verlobung und ganz bestimmt nicht die anrüchige Cousine meiner verstorbenen Frau – wird mich daran hindern, das Halsband zu bekommen. Verstehen wir uns?“

Die plötzliche Stille darauf wurde nur von Kats ungleichmäßigem Atem unterbrochen, und dann wurde sie blass. Er rechnete schon damit, dass sie umkippte, doch sie fand irgendwo die Kraft, sich wieder zu sammeln und ihn mit trotzigem Blick anzusehen. „Ich lasse mir von keinem Mann vorschreiben, was ich zu tun habe. Nicht mal von meinem zukünftigen Verlobten.“

In diesem Augenblick wurde Gabe klar, dass er alles tun würde, um diese Frau zu bekommen, gleichgültig, was er von ihr wusste. Wie war das möglich? Seine verstorbene Frau hatte sich en detail über ihre lasterhafte Cousine geäußert. Normalerweise machte er um Frauen wie Kat einen großen Bogen.

Er versuchte, ihre Anziehungskraft auf die Ähnlichkeit der beiden Frauen zurückzuführen – beide waren schlank und dunkelhaarig. Doch Jessas Augen waren schwarz gewesen, und ihr Haar hatte jenes rote Feuer vermissen lassen. Und ihre Züge waren eher frisch und hübsch gewesen als atemberaubend elegant. Und das süße, nachgiebige Wesen seiner Frau hatte sich grundlegend von Kats reizbarer, trotziger Art unterschieden. Nicht dass es die geringste Rolle gespielt hätte, wer oder was diese Frau war. Ihm ging es ja nur um das Halsband.

„Wenn dir an der Versöhnung mit Matilda so viel gelegen ist wie mir am Familienhalsband, wirst du genau das tun, was nötig ist.“ Sie wollte Einwände erheben, doch er unterbrach sie. „Wenn du etwas dazu zu sagen hast, sollte das besser in privaterer Umgebung geschehen.“

„Aber …“

„Nicht hier.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun, zu dir gehe ich jedenfalls nicht. Es sieht also so aus, als müsste es in deinem Büro passieren oder nirgends.“

„Schön. Wenn du es in meinem Büro machen willst, ist es mir recht. Lass mich nur rasch abschließen, dann können wir es hinter uns bringen. Was ist dir lieber, Schreibtisch oder Couch?“

Sie tat einen verräterischen Schritt zurück. „Weder noch.“

„Dann schlage ich vor, dass wir uns zurückziehen, um die Sache zu besprechen. Und zwar zu mir. Das hat außerdem den Vorteil, dass wir damit den Eindruck erwecken, als wäre meine zukünftige Frau gerade aus dem Ausland zurückgekehrt und wir es gar nicht abwarten können, die Verlobung zu … besiegeln.“

„Was nicht in meiner Absicht liegt“, fuhr sie ihn an.

Er deutete auf die Tür. „Wollen wir?“ Sie zögerte, und er sagte ungeduldig: „Wenn wir uns nicht mal darüber einigen können, wo unsere Gespräche stattfinden, können wir die ganze Sache gleich lassen.“

„Schön. Dann gehen wir eben zu dir. Aber etwas anderes als reden tun wir dort nicht.“

„Ein hervorragender Ausgangspunkt.“

Kurz darauf bogen sie in die Auffahrt des weitläufigen Anwesens am Lake Washington, und Kat warf Gabe einen verblüfften Blick zu. „Es ist wunderschön“, murmelte sie.

„Warte ab, bis du die Aussicht auf den See siehst.“

Er geleitete sie zur Eingangstür, gab den Sicherheitscode ein und nahm sie dann ohne Vorwarnung auf die Arme und trug sie über die Schwelle. Sobald er sie abgesetzt hatte, wollte sie sich ihm entziehen, doch er gab sie nicht frei.

„Willkommen in meinem Zuhause.“

Was dann geschah, welcher Wahnsinn ihn erfasste, konnte er später nie erklären. Wieder erklang diese dunkle Stimme in seinem Kopf und bedrängte ihn. Nimm dir die Frau, sie gehört zu dir! Vielleicht gab er der Versuchung nach, weil er sie von dem Augenblick an begehrt hatte, als sie auf ihren sexy Peeptoes in sein Büro gestöckelt war. Vielleicht auch, weil sie ihn so offenkundig nicht wollte. Oder vielleicht wollte er ein für alle Mal festlegen, wer in dieser unheiligen Allianz das Sagen hatte. Warum auch immer, er nahm sie bei der Hand, um sie an sich zu ziehen, und verschloss ihr mit einem fordernden Kuss den Mund.

Sobald sich ihre Hände und Lippen berührten, loderte eine Flamme der Leidenschaft zwischen ihnen auf, vereinte und verband sie auf eine Weise, wie er es noch nie erlebt hatte. Sie zuckte von den Lippen zu den Fingerspitzen, brannte sich dann in seine Handfläche und wurde Teil von ihm. Begehren flackerte in ihm auf, so unerbittlich, dass er all seine eiskalte Disziplin aufbringen musste, um es auch nur halbwegs unter Kontrolle zu halten. Am liebsten hätte er sie hier und jetzt in sein Schlafzimmer getragen und ihren Vorschlag auf jede nur erdenkliche Weise besiegelt.

Im selben Augenblick erkannte Gabe, dass er sich nicht mehr beherrschen konnte. Es auch nicht wollte. Er vertiefte den Kuss und ließ sich von diesem Wahnsinn fortreißen. Mehr als alles wollte er sie überall berühren, sie verführen.

Seine zukünftige Verlobte. Seine Gefährtin.

Meine Frau.

2. KAPITEL

Kat hatte keine Ahnung, was Gabe Moretti mit ihr angestellt hatte.

Ein Kuss. Nur ein Kuss. Mehr hätte es nicht sein sollen.

Doch sobald seine Lippen die ihren berührten, war sie von einer Begierde überwältigt worden, wie sie sie noch nie erfahren hatte. Sie erkannte sich nicht wieder in dieser Person, die vor Leidenschaft glühte. Sich vor Sehnsucht verzehrte.

So hatte sie noch kein Mann berührt. Weder körperlich noch seelisch. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, Schutzwälle zu errichten, damit ihr ja niemand zu nahe kam. Und doch, ein Kuss von diesem Mann – ihrem zukünftigen Verlobten – hatte die Wälle eingerissen, als wären sie aus Pappe. Wie war das nur möglich?

Noch bestürzender war der Kuss selbst gewesen, ein Kuss, der brannte, ein Kuss, dem sie sich geöffnet, sich ohne nachzudenken, ohne zu zögern hingegeben hatte. Hätte er ihr hier in der Eingangshalle die Kleider vom Leib gerissen, dann hätte sie nichts dagegen unternehmen wollen. Wollen? Können. Sie hatte ihre Reaktion auf ihn genauso wenig unter Kontrolle wie die Gezeiten oder den Lauf der Sonne.

Er vertiefte den Kuss, und sie gab ihm nach, ließ sich von diesem Wahnsinn fortreißen. Sie wollte, dass er sie überall berührte, sie verführte.

Ihr zukünftiger Verlobter. Ihr Gefährte.

Ihr Mann.

Sobald ihr dieser Gedanke in den Sinn kam, wehrte sie sich dagegen. Sie befreite sich aus Gabes Armen und stolperte einen Schritt zurück. Und dann noch einen, bis sie die Eingangstür im Rücken spürte.

Nein. Oh nein, nein, nein. Wie sollte sie einen Neuanfang machen, wenn sie sich diesem Mann hingab? Er gehörte zu ihrer ungeliebten Vergangenheit, wie Jessa und der Skandal. Kats Plan hatte vorgesehen, all diese Bindungen zu zertrennen und die losen Enden zu vernähen. Die Verlobung mit Gabe war Teil dieses Plans, allerdings nur vorübergehend und ohne Gefühle. Stattdessen wanden sich die alten Bindungen um sie, wurden enger, drohten sie zu ersticken. Irgendwie hatte sie vergessen, wer sie war und was sie werden wollte, sie hatte sich in Gabes Netz aus dunkler Lust und Sehnsucht verfangen.

„Was hast du eben mit mir gemacht?“, fragte sie leise.

„Ich habe dich geküsst.“

Sie schüttelte den Kopf und spürte, wie sich der Knoten in ihrem Nacken löste und ihr das Haar schwer auf den Rücken fiel. Aus irgendeinem Grund war das für sie der endgültige Verrat, eine ungewollte, aber unvermeidliche Kapitulation. Ein Verlust der schlimmsten Art … ihrer selbst. Ihr Kuss hatte kaum mehr als ein, zwei Momente gedauert und doch eine solche Wirkung auf sie gehabt. Sie war immer so stolz auf ihre kühle Beherrschung gewesen, eine Haltung, bei der andere ihr nichts anhaben konnten, weil sie sie gar nicht nahe genug an sich heranließ. Und Gabe hatte ihr das mit einer einzigen Berührung genommen.

„Das war kein Kuss.“ Sie hob die bebenden Finger an den Mund. Handfläche und Lippen pochten. „Es hat gebrannt. Wie hast du das angestellt?“

Etwas flackerte in seinem Blick, als hätte er eine unerwartete Erleuchtung. „Es ist einfach passiert. Keine Ahnung, wie oder warum.“

„War es …“ Sie befeuchtete sich die Lippen. „War es mit Jessa genauso? Ist das bei den Morettis so?“

Er hob eine Augenbraue. „Bei den Morettis?“, wiederholte er amüsiert und schüttelte den Kopf. „Nein, wenn überhaupt, dann bei den Dantes.“

„Den Dantes?“ Meinte er dieselben Dantes, von denen das Halsband seiner Mutter stammte? Die Dantes, für die sie eines Tages zu arbeiten hoffte? Das ergab keinen Sinn. „Verstehe ich nicht.“

„Ich jetzt auch noch nicht.“ Er tat einen Schritt auf sie zu, und sie verkrampfte sich. Zu ihrer Erleichterung kam er nicht näher. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich brauche einen Drink.“

„Es ist noch nicht mal Mittag“, protestierte sie.

„Ich brauche einen Drink“, wiederholte er. Er wies auf einen Raum, der von der Eingangshalle abging. „Wenn du im Arbeitszimmer auf mich warten würdest, ich kümmere mich um den Lunch.“

„Ich möchte mich gern frisch machen.“ Sie schaute sich um. „Wo …?“

„Vom Arbeitszimmer geht ein Bad ab.“

Zögernd betrat sie das Arbeitszimmer, einen überraschend hübschen Raum. Doch so gern sie das Parkett und die Antiquitäten näher betrachtet hätte, ging sie weiter ins Bad. Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen.

Sie sah nicht nur aus wie eine Frau, die bis zur Besinnungslosigkeit geküsst worden war. Sie sah entblößt aus. Exponiert. Hilflos. Das war ihr erst ein Mal passiert, und sie hatte sich geschworen, dass es nie wieder vorkommen würde. Und doch war es passiert. Irgendwie hatte Gabe Moretti einen Weg gefunden, die Büchse der Pandora zu öffnen, die sie im tiefsten, dunkelsten Winkel ihrer Seele versteckt hatte. Und er hatte es mit einem einzigen Kuss getan. Wie war das möglich?

Und was war das für eine merkwürdige Hitze, die zwischen ihnen aufgeflammt war? Leidenschaft allein war es nicht gewesen. Es war mehr gewesen. Etwas, was sie nicht unter Kontrolle hatte, das im Gegenteil sie kontrollierte, als hätte das Schicksal ihr Leben auf einen völlig neuen Weg gebracht. Und dieser Weg, daran hatte sie keinen Zweifel, würde sie direkt in Gabes Arme führen – den einen Ort, an den sie sich gewiss nicht begeben würde und den sie gleichzeitig so gern erforscht hätte.

Die glückliche, glückliche Jessa.

Kat hob die Hand an die Lippen, erschrocken, wie sehr ihre Finger zitterten. Und ihre Augen … dunkel, voll Schmerz. Dazu das offene Haar … Gott, sah sie mitgenommen aus. Und das nach nur einem Kuss. Was würde wohl geschehen, wenn er über einen bloßen Kuss hinausging?

Sie schob den Gedanken beiseite. So ging das nicht. Sie öffnete ihre Handtasche und baute rasch die Barrieren auf, mit denen sich Frauen zu allen Zeiten schützten. Nachdem ihr Knoten wieder fest im Nacken saß und ihr Make-up makellos aufgetragen war, fühlte sie sich besser. Noch besser würde sie sich fühlen, wenn sie den Ausdruck ihrer Augen irgendwie hätte kaschieren können.

Sie schloss sie und erinnerte sich. An alles, was sie durchgemacht, was sie bisher erreicht hatte. Was sie noch in Zukunft zu erreichen gedachte. Sie erinnerte sich an die Vergangenheit, wie sehr sie ihrer Großmutter verpflichtet war, die sie nach dem Tod ihrer Eltern aufgenommen hatte. An ihre Schwierigkeiten in den letzten fünf Jahren und wie sie gnadenlos jeden Penny ihres Erbes umgedreht hatte. Das Leben war unglaublich hart gewesen, bis ihre Finanzen vor achtzehn Monaten plötzlich einen raschen Aufschwung genommen hatten, genug, um sich ein paar Designerklamotten zu gönnen.

Aber im Vordergrund stand für sie der verzweifelte Wunsch, sich mit der Frau auszusöhnen, die vor fünf Jahren ihre gesamte Welt ausgemacht hatte. Und natürlich ihr eigentliches Ziel … San Francisco und ein Job als Schmuckdesignerin bei den Dantes. Das gab ihr Halt wie sonst nichts.

Als sie wieder in den Spiegel schaute, erblickte sie eine Frau, die selbst Herrin über ihr Schicksal war. Eine Frau, die Gabe Moretti widerstehen konnte. Sie atmete tief durch und betete, dass Gabe sie ebenfalls so sah.

Sie kehrte ins Arbeitszimmer zurück, wo er bereits Drinks eingoss. Er musterte sie, und ein wissendes Funkeln trat in seine goldbraunen Augen. „Geht es dir jetzt besser?“, fragte er.

„Viel besser.“

„Willst du einen Drink?“

Sie zuckte mit den Schultern. Warum nicht? „Danke. Aber bitte pur.“

„Ich habe den Lunch bestellt, dürfte nicht mehr lange dauern. Außerdem habe ich meinen Anwalt Tom Blythe angerufen. Er soll für uns eine Vereinbarung aufsetzen. Er ist diskret, kann ich dir versichern.“ Gabe kam näher und reichte ihr ein Glas. Ihre Fingerspitzen berührten sich dabei, worauf das brennende Kribbeln wieder einsetzte. Aus irgendeinem Grund konzentrierte es sich auf ihre Handfläche und ihre Lippen. Seltsam. Sehr seltsam. Und es lenkte sie ab. „Erklär doch mal, wie du dir das Ganze vorstellst. Dann können wir das Weitere ausdiskutieren.“

Sein geschäftsmäßiges Auftreten gab ihr Halt, wofür sie ihm dankbar war. „Ganz einfach. Wir vereinbaren, wo wir uns zum ersten Mal begegnen, irgendwo in der Öffentlichkeit, damit wir auch gesehen werden. Dann gehen wir ein paar Monate miteinander aus. Geben unsere Verlobung bekannt. Lassen der Verlobung ihren Lauf, bis …“ Sie nahm rasch einen Schluck, das Brennen des Alkohols in der Kehle half ihr, sich zu konzentrieren. Sie wiederholte das Wort, konnte sich aber nicht dazu durchringen, den Satz zu vollenden: Bis Gam gestorben ist.

„Ich glaube, es geht noch um mehr“, warnte Gabe.

Sie hob eine Braue. „Zum Beispiel?“

„Unseren Treffpunkt. Wie lange wir ausgehen sollten. Wie und wann wir die Verlobung bekanntgeben. Wie wir am besten mit Matilda umgehen. Wann die Eigentumsübertragung stattfindet.“ Er senkte die Stimme, und sein Blick wurde dunkel. „Ganz zu schweigen vom … Vollzug unserer Übereinkunft.“

Diesmal brauchte er sie nicht einmal zu berühren, dass sie die Fassung verlor. Sie nahm noch rasch einen Schluck. Warum er? Warum ausgerechnet Jessas Mann? Sie hoffte, dass ihre Stimme nichts von ihrem inneren Aufruhr verriet, und sagte: „Für die ersten Verabredungen sollten wir die schicksten Örtlichkeiten aussuchen. Ich bin da nicht mehr auf dem Laufenden, du weißt sicher besser, was da infrage kommt.“

„Einverstanden.“

„Was die Bekanntgabe der Verlobung angeht, so würde ich sagen, dass wir damit drei bis sechs Monate warten.“

„Einen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das kauft uns doch keiner ab.“

„Ich glaube schon.“ Er lächelte auf eine Weise, dass ihr ein Prickeln über den Rücken lief. „Vor allem wenn sie sehen, dass ich die Hände nicht von dir lassen kann.“

„Drei“, bat sie verzweifelt. „Drei Monate.“

„Einen.“

Sie kniff die Lippen zusammen. „Die Leute werden es nicht glauben. Und sie müssen es doch glauben.“

„Die Leute werden mich einfach für liebestoll halten“, erklärte er nüchtern. „Leider eilt dir dein Ruf voraus, daher werden sie bei deiner Beurteilung wohl nicht so großzügig sein. Und sobald ich unsere Verlobung gelöst und jeden Kontakt mit dir abgebrochen habe, ist es aus mit deinem Flirt mit der Ehrbarkeit.“

Nun verstand Kat es. Sie wurde kreidebleich. „Du hoffst, dass du das Urteil der Allgemeinheit bestätigst, indem du die Verlobung löst.“ Und heiser fragte sie nach: „Warum? Warum solltest du?“

Seine Augen funkelten. „Nennen wir es ein Verlobungsgeschenk von Jessa. Du kannst natürlich ablehnen, moralische Überlegenheit beweisen und unserem Geschäft den Rücken zukehren. Aber etwas sagt mir, dass du das nicht tun wirst, selbst wenn es bedeutet, dass du in einen weiteren Skandal verwickelt wirst und dein Ruf völlig ruiniert ist.“

„Wenn du meinen Ruf ruinierst, wie soll ich dann meine Großmutter davon überzeugen, dass ich mich geändert habe?“

„Ich habe nicht vor, deinen Ruf zu zerstören, solange Matilda noch am Leben ist. Und sie wird glauben, was immer ich ihr erzähle, hauptsächlich, weil sie es glauben will. Aber wir wissen es besser, Kat, nicht wahr? Und irgendwann wird auch der Rest von Seattle Bescheid wissen.“

Schmerz durchzuckte sie. Geh fort, riet ihr eine innere Stimme. Jetzt gleich. Nichts ist das wert. Vielleicht hätte sie es getan, wäre da nicht ein unglückseliges Detail gewesen. Etwas war geschehen, als er sie geküsst hatte. Etwas, was alles veränderte. Sie konnte es nicht erklären. Sie wusste nur, dass es so war.

Irgendwie hatte er eine Verbindung zwischen ihnen hergestellt, von der sie sich nicht mehr lösen konnte. Es auch nicht wollte. Oh, sie wusste, dass es nicht von Dauer wäre. Natürlich nicht. Doch es zwang sie dazu zu bleiben, bis die Verbindung zerbrach, so schmerzlich das auch sein mochte.

Sie war mit nur einem Ziel nach Seattle gekommen – sich mit Gam zu versöhnen. Daneben spielte nichts eine Rolle. Zumindest hatte Kat das gedacht, ehe sie in Gabes Büro getreten und von einem so heftigen Verlangen überwältigt worden war, dass alles andere unwichtig schien. Sie schloss die Augen. Na schön. Eben hatte sie sich bewiesen, dass sie wie jede andere Frau auf dieser Welt gewisse Bedürfnisse hatte. Das änderte aber nichts an ihren Zielen.

Sobald sie ihre Großmutter an ihren letzten Tagen so glücklich wie möglich gemacht hatte, wäre sie frei und könnte neu anfangen. Der Gedanke schwebte vor ihr wie ein goldener Traum, ein Traum, von dem sie die letzten fünf Jahre geglaubt hatte, er könnte unmöglich in die Realität umgesetzt werden.

„Nun? Bist du einverstanden?“

Nur mit Mühe konnte sie verbergen, wie sie das leise Knurren in seiner Stimme aus der Fassung brachte. „Sagen wir, ich bin offen für weitere Verhandlungen.“

Wenn er irgendein Triumphgefühl verspürte, ließ er es sich nicht anmerken. Im Gegenteil, er schien nur noch angespannter. „Ich bestehe auf einer schriftlichen Erklärung, dass du mir Heart’s Desire überlässt.“

„Und ich will es schriftlich haben“, versetzte sie scharf, „dass du mit mir verlobt bleibst und mich angemessen behandelst, solange meine Großmutter am Leben ist. Und verlass dich darauf, ich werde genau festlegen, was ‚angemessen‘ bedeutet.“

„Okay.“

„Dann sind wir uns also einig?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich erwarte, dass wir unsere Vereinbarung besiegeln.“

Hitze stieg ihr in die Wangen. Wenn doch in ihrem Leben einmal etwas glattliefe! Selbst ihre Kindheit war von Turbulenzen gekennzeichnet; ihre Großmutter war der einzige Ruhepol in ihrem Leben gewesen. Seit ihrem fünften Lebensjahr – ihre Eltern waren bei einer humanitären Mission an einer Virusinfektion gestorben – war ihre Großmutter ihr Fixpunkt gewesen, ihr Fels in der Brandung.

Bis Jessa das alles geändert hatte.

Sie wandte sich zu Gabe. „Mit ‚besiegeln‘ willst du mir vermutlich auf nicht sehr subtile Art sagen, dass ich mit dir schlafen soll.“

„Keineswegs.“

Verwirrt sah sie ihn an. „Oh. Und was meinst du dann?“

Schweigend kam er näher. „Schlaf kommt bei unserem Vollzug nicht ins Spiel. Sex schon.“

Sie wagte nicht, sich einverstanden zu erklären. Es drohten zu viele Fallstricke. Vermutlich wollte er das Halsband ebenso dringend wie sie die Versöhnung mit ihrer Großmutter, aber darauf allein wollte sie sich nicht verlassen. Sie zwang sich, ihm einen amüsierten Blick zuzuwerfen. „Sorry, aber das wird nicht passieren.“

„Meinst du?“

„Sagen wir einfach, ich will bis zur Hochzeitsnacht warten“, antwortete sie völlig ernst.

Er lachte. „Mir gefällt dein Humor.“

Sie bemühte sich, den Schutzwall aufrechtzuhalten, die Empfindungen zu ignorieren, die in immer größeren Wellen anbrandeten. „Ich wüsste nicht, dass ich etwas Witziges gesagt hätte.“

Sein Blick wurde dunkel, hielt sie fest, wärmte und warnte sie, verhieß Dinge, die sie mit Sehnsucht und Furcht erfüllten. „Na schön“, sagte er schließlich. „Wenn du darauf bestehst, bis zur Hochzeitsnacht zu warten, dann akzeptiere ich das.“

Doch sie wusste, dass er es nicht so meinte, dass er glaubte, sie würde ihren Gelüsten nachgeben. Leider war das auch äußerst wahrscheinlich. „Dann ist es also abgemacht?“

„Ja.“ Er stieß mit ihr an, ein leises, reines Klingen der Gläser, das in merkwürdigem Gegensatz zu ihrem Geschäft stand.

Er wartete, bis sie beide einen Schluck genommen hatten, und stellte danach die beiden Gläser beiseite. Dann nahm er sie in die Arme. Alarmiert fragte sie: „Was machst du denn da?“

„Ich besiegele unsere Vereinbarung.“

Vergeblich bemühte sie sich, sich zu befreien. „Gesagt hast du aber etwas anderes.“

„Ich habe zugestimmt zu warten, wenn du darauf bestehst. Ich habe nicht versprochen, dich nicht in Versuchung zu führen.“ Sein Mund war nun direkt über ihrem Ohr. „Bist du in Versuchung, Kat?“

Er hatte erwartet, dass dieser Kuss anders wäre.

Doch er war es nicht.

Im Gegenteil, die Verbindung, die beim ersten Mal zwischen ihnen entstanden war, wurde nur noch intensiver. Hitze flammte auf, loderte durch seine Adern, heizte seine Begierde in schier unerträglichem Maß an. Mit leisem Stöhnen öffnete sie die Lippen, ließ ihn in ihren Mund und die süße Wärme kosten. Etwas so Köstliches hatte er noch nie geschmeckt, es fühlte sich an, als wäre es extra für ihn geschaffen worden, um ihn zu erregen, zu verführen und zu befriedigen. Er konnte gar nicht genug davon bekommen. Er brauchte mehr.

Fiebrig knöpfte er ihr die Jacke auf und entdeckte einen Streifen schwarze Spitze, der beinahe so viel offenbarte, wie er verbarg. Ihre Haut hob sich weiß und weich von dem dunklen BH ab. Ihre Brüste wölbten sich über die weichen Körbchen. Und als sie seinen Blick auf sich spürte, begann sie heftiger zu atmen. Sanft, vorsichtig umfasste er ihre Brüste mit den Händen, dachte daran, wie sie in Winters Bett ausgesehen hatten.

Umwerfend. Absolut umwerfend.

Ihre Brustwarzen wurden hart, drängten gegen die zarte Spitze, verrieten ihre Erregung. Auch er war erregt, erfüllt von einer nie zuvor empfundenen Begierde, diese Frau zur seinen zu machen. Er führte sie rückwärts zum Sofa, sie stieß dagegen und fiel mit einem leisen Schrei nach hinten. Dann lag sie mit offener Jacke auf den grünen Polstern, das Haar hatte sich erneut aus dem Knoten gelöst und fiel ihr über die Schultern. Sie blickte zu ihm auf.

Er hätte den wissenden Blick einer Frau erwartet, die sich schon oft in dieser Lage befunden hatte. Stattdessen entdeckte er eine Spur Wehrlosigkeit, eine Verwirrung, die er nicht ganz akzeptieren konnte. Diese Frau spielte mit den Leuten, die Lüge lag ihr näher als die Wahrheit. Vermutlich hatte sie die Kunst der Täuschung und der Manipulation schon von klein auf gelernt.

Und trotzdem begehrte er sie.

Er legte sich auf sie, stützte die Arme zu beiden Seiten ihres Kopfes auf, fuhr ihr mit den Händen ins Haar.

„Warum steckst du es zu einem Knoten auf?“, fragte er.

„Um es zu bändigen.“

Er lächelte verstehend. „Du hast gern die Kontrolle.“ Das war keine Frage.

„Über mich“, gab sie zu. Sie lächelte ironisch. „Nicht dass ich im Moment welche besäße. Zumindest nicht, wenn du in der Nähe bist.“

„Dann sitzen wir wohl im selben Boot.“ So viel hatte er nicht preisgeben wollen. Doch die Frau raubte ihm jede Beherrschung. Und die Fähigkeit, logisch zu denken. Seine Reaktion auf sie war ebenso sinnlich wie überwältigend. „Aber dafür gibt es eine einfache Lösung.“

„Wenn du meinst, miteinander ins Bett gehen, dann betrachte ich das nicht als einfache Lösung.“

„Warum nicht?“ Er hauchte ihr einen Kuss auf das Kinn. Sie erschauerte, und er lächelte. „Wenn man sich all unsere Probleme anschaut, dann ist das doch die einfachste Lösung.“

Sie versteifte sich. „Das würde die ganze Sache nur noch komplizierter machen.“

Seine Lippen strichen über ihren Hals, er spürte ihren Puls. „Köstlich kompliziert.“ Keuchend stieß sie den Atem aus, was seine Lust nur noch mehr anfachte. Wenn er sie nicht bald bekam, würde er wahnsinnig werden. „Und notwendig.“ Sehr notwendig.

„Warum das denn?“, fragte sie.

Machte sie Witze? Er bedeckte ihren Nacken mit Küssen. „Wir müssen den Eindruck vermitteln, als wären wir völlig verrückt nacheinander. Als könnten wir die Finger nicht voneinander lassen. Dass wir es gar nicht erwarten können, bis wir nackt beieinanderliegen.“

Sie schloss die Augen. „Das heißt doch nicht, dass wir es tatsächlich tun müssen.“

Er streifte ihr die Jacke von den Schultern. „Ich will nicht, dass irgendwelche Zweifel an unserer Liebe aufkommen. Anders könnte man die schnelle Verlobung nicht erklären. Frauen haben ein Gespür für so etwas, sie würden es merken, wenn wir nur so tun als ob.“

„Die Anziehungskraft spielen wir ja nicht vor. Vielleicht reicht das ja.“

Er richtete sich auf. „Du warst mit einem Mann intim. Und du weißt genau, dass das die Dinge ändert.“

Sie riss die Augen auf und warf ihm einen merkwürdig trotzigen Blick zu. „Weiß ich das?“

„Also bitte, spiel jetzt nicht die Unschuldige.“

„Das hätte wohl wenig Sinn, oder?“

„In Anbetracht der Tatsache, dass ich derjenige war, der dich mit Winters ertappt hat? Ja.“ Er wollte nicht darüber sprechen, wollte nicht, dass sich der Schatten eines anderen Mannes zwischen sie schob. Nicht jetzt. Nicht nachdem er sie endlich dort hatte, wo er sie haben wollte. „Sei vernünftig, Kat. Du hattest Liebhaber. Denk daran, wie es mit ihnen war. Wie du mit ihnen gesprochen hast. An die kleinen Zärtlichkeiten und Blicke, wie sie nur Liebende tauschen. Was man alles erfährt, wenn man miteinander geschlafen hat. Das schlägt in allem durch, in den bewussten und den unbewussten Reaktionen.“

„Und wir brauchen ein derartiges Maß an Intimität?“

Wie konnte sie nur daran zweifeln? „Ja. Wenn ich dich berühre, soll jeder spüren, dass ich dich auch im Bett so berührt habe.“

Sie erschauerte noch einmal, und er wusste, seine Worte verwirrten sie beinahe ebenso wie seine Berührung. „Ich will das nicht.“ Aber irgendwie hatte er den Verdacht, dass diese Worte eher ihr selbst galten als ihm.

Mit der Fingerspitze fuhr er den Rand ihres BHs nach, worauf ihr Dekolleté rosig anlief und ihr Atem ein wenig schneller ging. Er beugte sich über ihre harte Brustwarze und nahm sie durch die schwarze Spitze zwischen die Zähne. Sie stieß die Luft mit einem leisen Schrei aus, worauf er sich versteifte. Er hatte noch nie ein so brennendes Bedürfnis verspürt, eine Frau zu verführen. Er hakte die Finger in den BH und zog ihn nach unten, entblößte sie.

Sie war genauso attraktiv wie in seiner Erinnerung, vielleicht noch attraktiver. Ihre Brüste waren voll und rund, die Warzen von einem zarten Pfirsichton. Er hätte gern davon gekostet. Doch bevor er den Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, wurde energisch an die Tür geklopft.

„Mr. Moretti? Der Lunch ist serviert.“

Kat erstarrte, ihre Leidenschaft wich tiefem Entsetzen. Ungläubig schaute sie ihn an. „Was machen wir da?“

„Ich glaube, man nennt es Vorspiel“, erklärte er hilfreich und blickte auf ihre Brüste. „Möglicherweise die Vorspeise.“

„Auf keinen Fall.“ Sie zog ihren BH zurecht und drückte gegen seine Schultern. „Bitte geh von mir herunter.“

„Keine Vorspeise?“ Sie blickte ihn einfach nur an, und er seufzte. „Dann kommt ein Dessert auch nicht infrage?“

„Ich esse kein Dessert.“

Er grinste. „Du kannst mir deins gerne geben.“

„Wir reden nicht über Essen, oder?“

Gabe warf einen letzten Blick auf ihre Brüste. „Kommt wohl auf den Blickwinkel an.“ Er stand auf und streckte ihr die Hand entgegen. Zu seiner Überraschung nahm sie die Hilfe an. „Vermutlich möchtest du dich gerne frisch machen.“

Sie seufzte. „Als hätte das einen Sinn.“

„Stimmt auch wieder.“ Er fuhr ihr mit den Fingern durch die Haare, entwirrte sie, während sie sich ihren Jackenknöpfen widmete. „Außerdem gefällt mir dein Haar, wenn du es offen trägst. Du wirkst damit viel menschlicher.“

Ein Lächeln huschte ihr über die Lippen. „Menschlicher? Menschlicher als was?“

„Als etwas Unwirkliches. Abgehobenes. Unberührbares und Unberührtes.“ Er zog an ihrer Kostümjacke und stellte amüsiert fest, dass sie nicht korrekt geknöpft war. Er sollte etwas sagen. Wirklich. Oder vielleicht auch nicht, da es sie noch menschlicher wirken ließ. „Und wir wissen beide, dass das nicht deinem wahren Selbst entspricht.“

Ihre Miene wurde verschlossen. „Seit wann weißt du so viel über mich?“

„Ich weiß genug.“ Er wies auf die Tür. „Wollen wir?“

„Eigentlich würde ich jetzt gerne in mein Hotel zurückgehen. Ich leide immer noch ziemlich unter Jetlag.“

Er legte ihr den Arm um die Taille. „Da hilft etwas zu essen. Dennis ist ein hervorragender Koch. Bestimmt tut dir die Mahlzeit gut, ehe ich dich in dein Hotel bringe.“

Sie erhob keine Einwände mehr und folgte ihm in das Speisezimmer, einen kleinen, intimen Raum, der auf den Garten und den See hinausging. Sie blieb am Fenster stehen und schien sich zu entspannen.

„Gefällt es dir?“

„Wem würde so etwas nicht gefallen?“

Jessa, hätte er beinahe gesagt, konnte es sich aber im letzten Moment noch verkneifen. „Manche wohnen lieber in der Stadt.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Hat auch seine Vorteile. Ich persönlich bekomme schnell genug von dem Lärm und den vielen Leuten.“

„Deswegen habe ich das Haus letztes Jahr gekauft. Und wegen des Blicks.“

Sie sah ihn an. „Du hast es erst seit einem Jahr?“

„Wir hatten eine Wohnung in der Nähe meines Büros.“ Er deutete auf den Tisch. „Wollen wir?“

Wortlos nahm sie Platz, wich seinem Blick aus. Vielleicht lag es daran, dass er Jessa erwähnt hatte. Er hätte Kat verachten müssen für das, was sie ihrer Cousine angetan hatte und weil sie offenbar keinerlei Sinn für Gut oder Böse besaß. Weil sie sich nahm, was sie wollte, ohne sich darum zu kümmern, wen sie dabei verletzte.

Das änderte dennoch nichts an der Tatsache, dass er Kat verführen wollte, sobald er sie in den Armen hielt. Dieses Bedürfnis – weitaus größer als bei Jessa – überstieg jeden anderen Impuls. Dafür musste es eine Erklärung geben. Es musste einen Grund geben, warum er dieser Frau gestattete, Grenzen zu überschreiten, die eigentlich unangetastet bleiben sollten.

Er hatte keinerlei Zweifel, wo die Schuld zu suchen war. Sein Vater war ein Dante gewesen. Unmoralisch. Ein Betrüger. Ein Lügner. Gabe hatte von Anfang an gegen die Dante-Gene angekämpft und würde bis zum letzten Atemzug dagegen kämpfen. Sobald er erkannte, welches Unheil sein Vater im Leben seiner Mutter angerichtet hatte, war er zu dem Entschluss gekommen, niemals so zu werden wie sein Vater. Niemals würde er seiner Familie so viel Kummer bereiten.

Und doch … Irgendwie waren diese Gene verantwortlich für das, was geschehen war, als er Kat zum ersten Mal berührt hatte. Eine andere Erklärung gab es nicht. Oh, er hatte die lächerlichen Geschichten von seiner Mutter gehört, sie aber nie geglaubt. Aber nun fragte er sich, ob nicht doch ein Körnchen Wahrheit darin steckte. Denn offenbar hatte ihn das berüchtigte Inferno der Dantes erwischt. Seine Mutter hatte es beschrieben als eine Art brennendes Verlangen, das einen überkam, wenn sich zukünftige Geliebte zum ersten Mal berührten. Gabe hielt das allerdings lediglich für ein Märchen, das sein Vater erzählt hatte, um seine Mutter ins Bett zu bekommen.

Frustriert stieß er den Atem aus. Eigentlich hatte er sich mit der Familie seines Vaters nie mehr abgeben wollen, hatte sie verachtet für ihren Anteil am Kummer seiner Mutter. Doch diese Inferno-Sache war so bizarr, dass er sie einfach verfolgen musste. Morgen würde er sich die Details besorgen und sich dann wieder von den Dantes abwenden. Und danach würde er herausfinden, wie er diesem Inferno-Unsinn beikommen könnte.

Dennis servierte den Salat und zog sich zurück. Kat stocherte in ihrem Essen herum und legte dann die Gabel hin. „Das ist doch lächerlich“, erklärte sie. „Warum bin ich überhaupt hier? Ich meine, was gibt es denn noch zu besprechen? Du hast mir doch alle Zugeständnisse abgerungen. Kannst du es nicht dabei belassen?“

Er nahm einen Schluck Chablis. „Wenn wir miteinander nicht mal eine Mahlzeit einnehmen können, ist das ein schlechtes Zeichen für unsere Verlobung.“

Ihre Mundwinkel hoben sich, und sein Blick konzentrierte sich darauf, während ihm diese verflixte innere Stimme drängte, diese üppigen Lippen in einem endlosen Kuss zu erobern und zum Teufel mit dem Rest. „Ein schlechtes Zeichen für unsere Verlobung ist eher, dass du mich verachtest.“

Er zwang sich, die Aufmerksamkeit von Kats Lippen auf seinen Salat zu richten. „Damit wirst du dich leider abfinden müssen.“

„Du könntest auch ein bisschen nachsichtiger sein.“

Das entlockte ihm ein Lachen. Sie wollte tatsächlich jetzt schon vom Haken? „Vergiss es, meine Süße.“

Sie betrachtete ihn schweigend. „Noch sind wir nicht verlobt, mir stehen also noch mehrere Möglichkeiten offen – auch, es ganz zu lassen.“

Unbeeindruckt von dieser Drohung, zuckte er mit den Schultern. „Schon möglich, aber wir wissen doch beide, dass du dazu viel zu erpicht bist auf das Erbe deiner Großmutter.“

„Mir ist an einer Versöhnung gelegen, nicht dem Erbe“, korrigierte sie ihn. „Sehr sogar. Aber nicht so sehr, dass ich endlose Monate mit jemandem verbringen möchte, der jedes Treffen zu einer einzigen Qual werden lässt. Das ist es nicht wert.“

Gabe hob die Augenbrauen. „Demnach sind wir wieder in die Verhandlungen eingetreten?“

„Ja.“

Interessant. „Was hast du denn zu bieten?“

„Ich möchte noch einmal von vorn anfangen. Reinen Tisch machen.“

Er schüttelte den Kopf. „Das ist nicht möglich. Du kannst das, was du getan hast, nicht ändern.“

Sie zögerte. „Aber wir können beschließen, es abzuhaken und nach vorn zu schauen. Ich habe nicht vor, endlose Monate in deiner Gesellschaft zu verbringen, die Verlobung zu ertragen und der Öffentlichkeit etwas vorzuspielen, während du mich andauernd wegen der Vergangenheit bestrafst. Damit komme ich nicht klar.“

„Und wenn ich nicht zustimme?“

Sie warf ihre Serviette auf den Tisch. „Dann wirst du dir überlegen müssen, wie viel dir das Halsband deiner Mutter wert ist.“ Sie stand auf. „Entschuldige mich bitte bei Dennis. Er hat bestimmt Verständnis dafür, dass mich der Jetlag eingeholt hat.“

„Ich fahre dich nach Seattle zurück.“ Er sah, dass sie schon ablehnen wollte, und unterbrach sie. „Ich fahre dich.“

Sie nickte, vermutlich mehr aus Erschöpfung als aus Vernunft. „Ich bin morgen den ganzen Tag im Hotel zu erreichen. Du kannst jederzeit vorbeikommen und mir deine Entscheidung mitteilen.“

„Reiner Tisch und eine artige Verlobung?“

„Sonst kehre ich nach Europa zurück, und dann bekommt keiner, was er will.“

„Wir brauchen nicht bis morgen zu warten. Ich akzeptiere.“

Sie zeigte keinerlei Erleichterung, sondern nickte bloß und ging weiter Richtung Tür. Dort hielt er sie auf. Ohne zu wissen, warum, knöpfte er ihr die Jacke richtig zu und küsste sie sanft auf die Stirn. Gott, als Nächstes würde er sie noch zu Bett bringen und fürsorglich die Decke feststecken. Er presste die Lippen aufeinander. Noch hatte er keine Ahnung, was los war, aber er würde es gleich am nächsten Tag herausfinden.

Und dann würde er es in Ordnung bringen, damit sein Leben wieder in normalen Bahnen verlief.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen hinterließ Gabe für Kat eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, dass er den ganzen Tag unterwegs sei. Er flog in seinem Privatjet nach San Francisco und ließ sich im Wagen in die Stadt fahren. Unterwegs ertappte er sich mehrmals dabei, wie er sich die Handfläche rieb, wo er, seit er Kat zum ersten Mal berührt hatte, ein juckendes Brennen verspürte. Es war absolut bizarr.

Da Samstag war, war nicht viel Verkehr, und so trafen sie bald bei Dantes ein, dem Firmensitz des auf Feuerdiamanten spezialisierten Schmuckimperiums. Wie erwartet, war das Gelände völlig verwaist, weit und breit kein Dante zu sehen. Es war schlimm genug, mit dem Patriarchen – seinem Großvater Primo – reden zu müssen, auch ohne irgendwelchen legitimen Mitgliedern der Familie zu begegnen. Die meisten wussten noch nicht einmal, dass es ihn gab, was Gabe auch sehr recht war. Er meldete sich am Empfang, nahm den Besucherausweis entgegen und fuhr mit dem Aufzug in die Führungsetage des Wolkenkratzers hinauf. Oben betrat er dann ein Foyer, wo selbst in der Luft Luxus und Pracht lagen.

Aus einem langen dunklen Korridor kam eine Frau, die ihn zweifellos in das Büro bringen sollte, in dem Primo laut Gabes Recherchen immer noch residierte, obwohl Sev, der älteste Sohn von Gabes Vater, die Firma übernommen hatte. Der Patriarch und Gründer des Familienunternehmens hatte sich zurückgezogen, nachdem Gabes Vater Dominic mit seiner Frau Laura bei einem Segelunfall ums Leben gekommen und Sev und seine drei Brüder als Waisen zurückgeblieben waren.

Der Tod seines Ältesten hatte Primo einen schweren Schlag versetzt, und so hatte er Sev die Leitung übergeben müssen. Natürlich taten die Dantes so, als wüssten sie nichts von Gabes Mutter und den Zwillingen und dass Dominic vorgehabt hatte, sie nach seiner Scheidung zu heiraten. Nicht dass Gabe wirklich daran geglaubt hätte. Wie alle Dantes hatte auch sein Vater alles auf einmal haben wollen. Warum hätte er sonst einen Segelausflug mit seiner Frau machen sollen?

Er wandte sich der Frau zu und erstarrte. „Was zum Teufel machst du denn hier?“

Die Frau schaute sich nervös um. „Pscht, ich will nicht, dass dich jemand hört.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet, Lucia.“ Bei ihm meldeten sich sämtliche Beschützerinstinkte. Er umarmte sie, und sie erwiderte die Umarmung genauso stürmisch. „Was machst du hier?“, wiederholte er.

Sie löste sich aus seinen Armen und warf ihm ein koboldhaftes Grinsen zu. „Ich arbeite für Primo.“

„Verdammt!“ Gabe fuhr sich durch die Haare. „Weiß er, wer du bist?“

In ihren Augen sah er ein vertrautes Funkeln. „Natürlich nicht. Dann hätte ich dich vorgewarnt.“

„Warum?“, fragte er. „Warum um alles in der Welt willst du etwas mit den Dantes zu schaffen haben, nach allem, was er Mom angetan hat?“

Er. Du meinst Dad.“ So viel Kummer lag in dem Wort, dass es Gabe bis ins Mark traf. Lucia hatte am längsten an das Märchen geglaubt, war sich sicher gewesen, dass Dominic Dante eines Tages auf seinem weißen Pferd daherkommen und sie alle mit auf sein Schloss nehmen würde. Selbst nach seinem Tod hatte sie gedacht, die Dantes würden sie bei sich aufnehmen. Aber das war natürlich nie geschehen.

„Sprich es ruhig aus, Gabriel. Dad. Es wird dir schon nicht die Zunge versengen.“

„Sei dir da mal nicht so sicher“, gab er zurück. „Und er war nicht unser Vater. Er war ihr Vater.“

Ein allzu vertrauter Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus, einer, auf den der störrischste Maulesel hätte stolz sein können. „Auch unser. Nur weil du von unserer Familie nichts wissen willst, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch nicht will.“

Er wich zurück, als hätte sie ihn geschlagen. „Sie sind nicht unsere Familie.“

„Auch wenn du sie nicht haben willst, so ändert das nichts an der Tatsache …“

Lucia brach ab, und ihre blaugrünen Augen füllten sich mit Tränen. Die Augen ihrer Mutter. Das hätte Gabe beinahe auf die Knie gezwungen. Seine Schwester, seine starke, unverwüstliche Zwillingsschwester, die Frau, die allen Widrigkeiten mit tapferem Lächeln begegnete, war den Tränen nah. Wortlos nahm er sie in die Arme.

„Bedeutet dir das denn wirklich so viel?“, murmelte er.

„Ja.“ Ihre Stimme klang fest, wenn auch gedämpft. „Das ist die einzige Familie, die wir noch haben.“

Er zuckte zusammen. „Wir haben doch uns.“

„Natürlich.“ Sie rückte ein Stückchen von ihm ab, umfasste sein Gesicht und sah ihn anbetend an. „Du bist mein großer Bruder, auch wenn du nur vier Minuten älter bist.“

„Fünf.“

Sie musste lachen. „Also gut, fünf. Du warst immer für mich da. Wenn du mir damals nicht zu Hilfe geeilt wärst …“

„Nicht.“ Es war eine schlimme Zeit gewesen, schlimmer noch, als sie vom Tod ihres Vaters erfahren hatten. Er strich ihr das Haar aus der Stirn, das so anders als seins war, herrliche Brauntöne. Äußerlich waren sie völlig verschieden, doch im Herzen … „Das bringt doch nichts, das aufzuwärmen.“

Sie nickte. „Du hast recht.“ Zu seiner Erleichterung hatte sie die Tränen überwunden und wirkte nun wieder beinahe normal. Beinahe. „Was machst du denn hier? Nachdem Primo für dich ja nicht zur Familie gehört.“

Gabe schaute sich rasch auf dem verlassenen Korridor um. „Ich habe eine Frage, die nur er mir beantworten kann.“

Sie sah ihn neugierig an. „Was für eine Frage?“

„Eine, die dich nichts angeht.“

Sie machte einen Schritt auf ihn zu und ergriff seine Hand. So war es bei ihnen schon immer gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie Zwillinge oder ohne Vater aufgewachsen waren. Jedenfalls hatte zwischen ihnen schon immer eine tiefe emotionale Bindung bestanden. „Es ist etwas passiert. Was ist es denn?“

„Nichts, worüber du dir den Kopf zerbrechen müsstest, du Göre.“ Er deutete in die Richtung, aus der sie gekommen war. „Ich würde es gerne hinter mich bringen, wenn es dir recht ist.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Von mir aus. Sei düster und geheimnisvoll. Irgendwann erzählst du es mir sowieso.“ Sie warf ihm ein neckendes Lächeln zu. „Gib es zu. Du konntest mir noch nie widerstehen.“

Er umarmte sie noch einmal rasch und drückte ihr liebevoll einen Kuss auf die Stirn. „Stimmt.“ Er warf noch einen Blick in Richtung Primos Büro. „Bevor ich zu ihm gehe, sag mir, was mich erwartet. Wie ist er so?“

Sie wollte schon antworten, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, ich sage lieber nichts. Du solltest dir selbst ein Bild machen.“

Ach, zum Teufel! Das sah ihr so gar nicht ähnlich. Sie war immer die offenste von ihnen gewesen, hatte das Herz immer auf der Zunge getragen – was dazu führte, dass sie sich in einen Mistkerl verliebte, der sie kreuzunglücklich machte. Danach war sie vorsichtiger geworden, aber normalerweise nicht Gabe gegenüber.

„Was ist denn los, Lucia? Was verheimlichst du?“

Besorgt sah er, wie ihre Miene bekümmert wurde. Offenbar hatte sie ihr Gleichgewicht noch nicht wiedergefunden. „Gar nichts, bis auf meine Identität. Ich wollte meinen Großvater kennenlernen, ohne dass er weiß, wer ich bin. Daher verwende ich meinen Ehenamen.“

„Soweit ich weiß, wissen sie nur von mir. Von einer Zwillingsschwester haben sie wohl noch nichts gehört.“

„Stimmt“, bestätigte sie.

„Er hat dir irgendwie wehgetan.“ Er unterbrach sie, ehe sie etwas erwidern konnte. „Streite es nicht ab. Ich kriege doch mit, wenn du verletzt bist.“

Lucia wollte schon Einwände erheben, erkannte dann wohl aber, dass es müßig war. Er kannte sie einfach zu gut. „Also gut. Aber nur damit du es weißt, Primo hat nichts getan.“

„Was ist es dann?“

Sie drehte sich um und ging den Korridor zurück. Vor Primos Büro blieb sie stehen. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, hielt sich ganz gerade. „Ich bin seine Angestellte“, sage sie schließlich leise. „Und er ist sehr freundlich zu seinen Angestellten.“

„Aber?“

Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. Diesmal hielt sie die Tränen zurück, ihre Miene war ruhig und freundlich, was alles nur noch tragischer wirken ließ. „Ich bin aber nicht seine Angestellte.“ Und fügte dann hinzu: „Oh, Gabe, ich will nicht für ihn arbeiten. Ich will seine Enkelin sein. Ich will eine Familie.“ Bevor er noch Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern, hatte sie die Tür geöffnet und war eingetreten. Sie ging durchs Vorzimmer, klopfte an eine Tür und drückte sie auf. „Mr. Moretti ist hier.“

„Schicken Sie ihn herein.“

Die Stimme war tief und voll, ließ die toskanische Herkunft noch heraushören. Sie klang unwiderstehlich poetisch, eine Melodie lag darin, die in Gabe eine Saite zum Klingen brachte. Er zögerte, hin- und hergerissen zwischen seiner Schwester und seinem Großvater.

Lucia nahm ihm die Entscheidung ab. Sie trat zurück und schüttelte den Kopf. „Alles in Ordnung mit mir.“ Dann streckte sie ihm die Faust entgegen, aus der der gekrümmte Zeigefinger herausschaute. Er tat dasselbe, sie hakten ihre Finger ineinander, wie es ihnen ihre Mutter gezeigt hatte, als sie klein waren. Es war ein Spiel, das ihre Einigkeit bewies. Ihre Liebe füreinander. Ein wortloses Zeichen ihrer Unterstützung. „Geh jetzt“, sagte sie leise und gab ihn frei.

Wenn er weiter verharrte, würde er sie verraten, das wollte er ihr nicht antun. „Wir sind noch nicht fertig miteinander“, warnte er sie leise. Dann betrat er den Raum und stand einem Mann gegenüber, der aussah, wie er selbst wohl in fünfzig Jahren aussehen würde.

Primo erhob sich langsam und musterte ihn ausgiebig. „Du siehst deinem Bruder Severo so ähnlich, dass du sein Zwillingsbruder sein könntest“, staunte er.

Gabe bemühte sich, nicht zusammenzuzucken. „Ich betrachte ihn nicht als Bruder.“

„Das überrascht mich nicht. Verständlich, dass du uns gegenüber so empfindest. Was dein Vater gemacht hat, war falsch.“

Das überraschte ihn dann doch. „Finde ich auch.“

Sein Großvater stieß ein heiseres Lachen aus. „Das hast du nicht erwartet, dass ich so etwas über meinen eigenen Sohn sagen würde, wie?“ Er öffnete einen geschnitzten Humidor auf seinem Schreibtisch und wählte eine Zigarre. Er wies auf das Schränkchen. „Willst du auch eine?“

„Ich glaube, es ist verboten, die in einem Büro zu rauchen.“

Primo schnaubte. „Was? Willst du mir die Zigarrenpolizei auf den Hals hetzen?“

„Das hängt davon ab, wie sich unser Gespräch entwickelt.“

Die beiden Männer starrten sich an. Dann brach Primo die Stille mit einem lauten Lachen. Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor, ging auf seinen Enkelsohn zu und schloss ihn in eine lange, feste Umarmung. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch mal erleben dürfte, Gabriel.“

Gabe war völlig überrumpelt von der Umarmung. Schließlich klopfte er dem alten Mann auf den Rücken. Primos tiefem Seufzen nach zu urteilen, schien es ihn zufriedenzustellen. Er löste sich von Gabe und trat zurück.

„Dir ist wohl nicht klar, warum ich hier bin“, begann Gabe.

Golden schimmernde Augen, den seinen so ähnlich, blickten ihn an. Es waren weise, alte Augen, voll Verständnis und Traurigkeit, voll Freude und Resignation. „Ich danke dir, dass du dich an mich gewandt hast, selbst wenn es nicht deswegen war, um deinen Großvater kennenzulernen.“

Gabe senkte den Kopf. „Ach, zum Teufel!“ Die Sache entwickelte sich ganz anders als geplant.

„Das entwickelt sich nicht so, wie du es geplant hattest, wie?“

Mist! Jetzt konnte der alte Herr auch noch Gedanken lesen. Gabe sah auf und entschied sich, offen zu sein. Das war schließlich seine Art. „Nein.“

„Du dachtest … ich gehe hin, zwinge mich, höflich zu dem alten Mann zu sein. Stelle ihm meine Frage. Und dann verschwinde ich, ehe er mein Herz berühren oder meinen Verstand infizieren kann.“ Primo deutete erst auf Gabes Brust, dann auf seine Schläfe. „Aber es ist zu spät. Hier bin ich, wie ein … ein …“ Stirnrunzelnd unterbrach er sich. „Welches Tier gräbt sich ein, wo es nicht hingehört?“

„Du anscheinend.“

Primo lachte erneut und zündete sich seine Zigarre an. „Das mit der Zigarre ist unser Geheimnis, ja? Nonna würde mich furchtbar anmeckern, wenn sie es herausfände. Und mich dann bei meinem dottore verpetzen.“

Wie war das passiert? Wie hatte es dieser pfiffige alte Mann geschafft, ihm nahezukommen? Denn er hatte recht. Gabe hatte vorgehabt, dort aufzutauchen, vorsichtig Distanz zu wahren, seine Frage zu stellen und sofort wieder zu verschwinden. Stattdessen stand er wie gebannt da. War es seiner Mutter ähnlich ergangen? War Dominic ebenso charmant gewesen, hatte er die Schutzwälle seiner Mutter untergraben, bis sie dem Mann ihr Herz und ihre Seele geschenkt hatte, der ihre zwei Kinder gezeugt hatte?

„Ich bin nicht wie er.“ Er hatte keine Ahnung, woher diese Worte gekommen waren, hatte nicht einmal bemerkt, dass er sie laut ausgesprochen hatte.

Über Primos ausdrucksvolles Gesicht huschte ein Ausdruck tiefer Traurigkeit. „Nein“, stimmte er leise zu. „Severo, Marco, Lazzaro und Nicoló auch nicht. Ihr alle besitzt eine moralische Richtschnur, er nicht. Ich bedaure, was er dir angetan hat. Und es tut mir leid, dass ich dich nicht früher gefunden habe.“

Früher gefunden? War es möglich, dass die übrigen Dantes von ihm und Lucia gar nicht wussten? Nein, unmöglich. Nicht dass er Primo darauf ansprechen würde. Das brachte nichts. „Es spielt keine Rolle. Ich hatte kein Interesse daran, irgendwen von euch kennenzulernen.“

Primo wischte den Kommentar beiseite, wollte ihn nicht akzeptieren. „Jetzt bist du da, oder nicht?“

Gabe ertappte sich dabei, wie er sich die kribbelnde Hand rieb, eine Geste, welche die Aufmerksamkeit seines Großvaters auf sich zog und ihm ein merkwürdiges Lächeln entlockte. „Ich bin nur hier, weil ich eine Frage habe.“

Primo setzte sich auf den Schreibtisch, blies den Rauch aus und betrachtete seinen Enkel durch den blauen Dunst. „Viele Fragen, würde ich meinen.“

„Nur die eine.“

„Schön.“ Primo fuhr mit der Zigarre durch die Luft. „Stell deine Frage. Ich beantworte sie dir, wenn ich kann.“

„Vor Kurzem ist etwas geschehen.“ Jetzt, wo es so weit war, wusste er nicht recht, wie er es formulieren sollte, ohne verrückt zu klingen. „Etwas … Merkwürdiges.“

Die Lachfalten im Gesicht des alten Herrn vertieften sich. „Ach ja? Interessant.“ Er betrachtete die glühende Zigarrenspitze. „Diese merkwürdige Sache, die vor Kurzem geschehen ist, hat die zufällig mit einer Frau zu tun?“

Gabe erstarrte. „Verdammt“, flüsterte er. „Du weißt es?“

„Was weiß ich?“

Gabe fuhr herum. Wie war das möglich? Jahrelang hatte er sich in jeder Situation im Griff gehabt – bis Kat in sein Büro gekommen war. Und nun noch sein Großvater … Er konnte von Glück reden, wenn er überhaupt noch irgendetwas unter Kontrolle behielt.

Er wandte sich Primo zu. „Okay, was zum Teufel war das? Ich habe sie doch nur berührt, und …“

„Und hast dich nach ihr verzehrt.“ Primo deutete mit der Zigarre auf die Hand seines Enkels. „Deine Handfläche. Sie kribbelt, und das Kribbeln hört einfach nicht auf.“

„Ja! Ja, verdammt.“ Er riss an seiner Krawatte herum. „Genau das ist passiert. Was war das?“

„Das Inferno natürlich. Hat Dominic deiner Mutter denn nie davon erzählt?“

Gabe zögerte. „Er hat ihr irgendein Märchen erzählt, die Dantes könnten ihre Seelengefährten nach einer Berührung erkennen.“

„Na bitte, da hast du es doch. Deine Frage ist beantwortet.“ Primo hob eine weiße Augenbraue. „Sonst noch was?“

„Was soll das heißen, sonst noch was?“ Das Temperament ging mit ihm durch. „Das Inferno? Ist das dein Ernst? Das ist doch nichts als ein Märchen, das unserer Mutter weisgemacht wurde und nach Marcos Medienauftritt dann in den Skandalblättern aufgebauscht wurde. Aber in echt gibt es das nicht.“

„Ich versichere dir, nipote, es ist echt. Das Inferno ist kein Märchen. Wenn du es ignorierst – dein Risiko.“

Gabe kniff die Augen zusammen. „Erklär mir das. Was für ein Risiko?“

„Du hast eine Frau berührt.“ Primos Stimme wurde weicher, noch poetischer, wob ein Netz aus Worten und umfing ihn mit der Musik seiner toskanischen Herkunft, drang in die tiefsten Winkel seiner Seele. „Du hast das Feuer des Infernos gespürt. Das brennende Kribbeln wird nicht aufhören, denn diese Frau ist deine Seelengefährtin. Du musst sie nun heiraten oder die Konsequenzen tragen – wie dein Vater, als er sich weigerte, seine Inferno-Gefährtin zu heiraten.“

„Welche Konsequenzen?“

Primo fasste seine Zigarre fester. „Ich habe meinem Dominic gesagt, er soll deine Mutter heiraten.“ Sein Akzent wurde schwerer. „Ich habe ihn gewarnt, wende dich nicht von dieser Frau ab. Aber er dachte, er könnte alles haben, deine Mutter, seine Seelengefährtin, und den Reichtum, den Laura in die Ehe mitbringen würde.“

Primo hatte seine Eltern ermutigt zu heiraten? Nein. Nein, sein Vater hatte doch immer gesagt, dass Primo die Heirat verhindert hätte. „Ich glaube dir nicht.“

Primo zuckte mit den Schultern. „Glaub, was du willst, nipote. Es ändert nichts am Geschehenen. Du hast doch gesehen, wie schlecht diese Ehe für Dominic gelaufen ist. So war das immer mit dem Inferno.“ Er hatte den Blick unverwandt auf Gabe gerichtet, und seine Ernsthaftigkeit gab seiner Aussage Gewicht. „Wir sind anders, Gabriel. Wir Dantes lieben im Leben nur eine einzige Frau. Wir müssen die Frau nehmen, die für uns bestimmt ist, oder mit den Konsequenzen leben. Und es gibt immer Konsequenzen, wenn man dem Inferno trotzt. Dein Vater musste das erfahren.“

Gabe erstarrte. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Kat Malloy. Wenn Primo recht hatte, war sie seine Inferno-Gefährtin. Nein. Teufel noch mal, nein. „Ich bin kein Dante“, erklärte er. Oder – verdammt – flehte er eher? „Das hat mit mir nichts zu tun. Unmöglich. Ich lasse es einfach nicht zu.“

Kummer verdunkelte Primos Augen. „Du warst immer ein Dante und wirst immer einer sein.“

„Du täuschst dich. Ich bin ganz anders als Dominic. Ich weigere mich, wie er zu sein. Wie irgendeiner von euch. Ich bin ein Moretti.“

„Würde das stimmen, dann hättest du das Inferno nicht zu spüren bekommen. Hast du aber.“ Primo streifte die Asche seiner Zigarre ab, kam auf Gabe zu und drückte ihm die Schulter. „Ich verstehe deinen Zorn auf uns, deine Verachtung. Aber glaub bitte nicht, dass Dominic für alle Dantes steht. Er ist ein Dante, aber trotz der Dinge, die er Cara und Laura und all seinen Kindern angetan hat. So haben wir ihn nicht erzogen. Er hat seine eigenen Entscheidungen getroffen, genau wie du deine eigenen triffst. Du kannst auf mich hören, du kannst auch dem bedauerlichen Beispiel deines Vaters folgen und mich ignorieren. Das Inferno wird sich durchsetzen, egal wie du dich entscheidest.“

Schon gut, schon gut, er kam damit zurecht. Natürlich kam er damit zurecht. Schließlich wollten er und Kat sich verloben. Damit erfüllten sie die Bedingung ja irgendwie, oder? Vielleicht reichte das schon? „Ich will mich mit ihr verloben. Damit ist das Inferno-Problem doch gelöst, oder?“

Primo neigte den Kopf. „Wenn du sie dann auch heiratest, ja.“

„Und wenn nicht?“

Sein Großvater zuckte nur schweigend mit den Schultern.

„Was spielt es denn für eine Rolle, ob wir heiraten? Ob verlobt oder verheiratet, ich habe vor, die Beziehung zu beenden, sobald das Inferno seinen Lauf genommen hat.“

„Hervorragend.“

Gabe hob die Augenbrauen. „Wirklich? Das überrascht mich jetzt.“

„Wenn du warten willst, bis sich das Inferno gelegt hat, musst du viel Geduld aufbringen. Nonna und ich sind jetzt seit sechzig Jahren verheiratet, und ich warte immer noch darauf, dass es sich legt. Lange kann es wohl nicht mehr dauern. Vielleicht hört meine Handfläche nächstes Jahr auf zu kribbeln.“ Er warf Gabe ein verschmitztes Grinsen zu. „Oder auch nicht.“

Kat waren die öffentlichen Verabredungen mit Gabe zuwider, doch sie gab sich große Mühe, das hinter einer ruhigen Miene zu verbergen. In zwei Wochen war Weihnachten. Überall duftete es nach Zeder und Zimt, auf den Einkaufstüten drängten sich Weihnachtsmann und Rentiere, Christbäume und hübsche Winterlandschaften. Dennoch hatte sich bei ihr noch keine Weihnachtsstimmung eingestellt. Vielleicht hatte es damit zu tun, wie schmerzlich die Verabredungen mit Gabe für sie geworden waren.

Selbst nach drei Wochen und etwa einem Dutzend Verabredungen reckten die Leute immer noch die Hälse, wenn sie beide irgendwo auftauchten. Kat hoffte, dass das ihrer Großmutter irgendeine Reaktion entlocken würde. Billigung. Missbilligung. Irgendetwas. Doch bisher hatte sie zu allem geschwiegen, hatte ihre Anrufe weder entgegengenommen noch erwidert. Zumindest hatte Kat herausgefunden, dass Matildas Schweigen nichts mit ihrer Krankheit zu tun hatte.

Das faszinierte Getuschel verfolgte sie bis an ihren Tisch mitten im Raum. Exponierter hätten sie auch im Rampenlicht nicht sitzen können. Genau das hatte sie beim Skandal mit Benson Winters erlebt. Die gierige Aufmerksamkeit. Die boshaften Kommentare, gerade laut genug, dass sie sie hören konnte. Die Pressemeute. Die Scham, die Verlegenheit. Es hatte sie gezeichnet und schmerzhafte Narben hinterlassen, die sie selbst jetzt noch spürte, nach fünf Jahren.

„Wenn du nicht aufhörst, mich anzusehen wie eine Mahlzeit, von der du es inzwischen bereust, dass du sie bestellt hast, werden die Leute nie glauben, dass wir uns ineinander verlieben.“ Gabe schaute sie eindringlich an.

„Wir verlieben uns nicht ineinander.“

„Nein“, stimmte er zu. Aus irgendeinem Grund verletzte sie diese prompte Antwort. „Aber wir wollen andere davon überzeugen, dass wir uns leidenschaftlich ineinander verliebt haben. Da wäre ein Lächeln kein schlechter Anfang.“

„Schön.“ Sie versuchte sich zu entspannen und rang sich ein Lächeln ab. „Es wäre vielleicht hilfreich, wenn wir dabei ein ganz normales, beiläufiges Gespräch führen würden.“

„Auch das wäre einen Versuch wert, Hauptsache, du siehst mich nicht mehr an, als wolltest du jeden Augenblick Reißaus nehmen.“ Er legte den Kopf schief. „Wie wäre es damit … Erzähl mir von Europa. Wo hast du gelebt? Was hast du gemacht?“

Okay, hier bewegten sie sich auf angenehmerem Terrain. „Ich habe in Italien gelebt, in Florenz. Dort habe ich unter anderem als Barista gearbeitet und studiert.“

„Was hast du denn studiert?“

„Schmuckdesign.“

Aus irgendeinem Grund verschloss sich Gabes Miene. Typisch. Anscheinend konnten sie nicht mal die oberflächlichsten Gespräche führen.

„Schmuckdesign“, wiederholte er.

„Zwei Jahre lang.“ Seine Reaktion veranlasste sie zur Vorsicht. „Die nächsten drei Jahre bin ich in die Lehre gegangen. Ich wollte so viel wie möglich lernen, um eines Tages für die Besten der Besten zu arbeiten.“

„Und wer käme da für dich infrage?“

Aus irgendeinem Grund versetzte sie das in höchste Alarmbereitschaft. Sie konnte es nicht erklären, ihre Reaktion war instinktiv. Eben noch hatte sie sich einem normalen, rationalen Mann gegenübergesehen, und plötzlich saß dort ein wilder Räuber, bereit, sie beim ersten falschen Wort in Stücke zu reißen. „Dantes.“ Und da war es. Das falsche Wort. Hastig begann sie zu reden. „Ich habe mich vor Jahren in Heart’s Desire verliebt, habe Gam immer gebeten, mir das Halsband zu zeigen. Solche Schmuckstücke zu entwerfen, das wollte ich auch einmal lernen. Von … von den Besten.“ Sie verstummte. „Was ist los, Gabe?“ Denn irgendetwas stimmte nicht. Stimmte ganz und gar nicht.

Er starrte sie aus schmalen Augen an. „Ein interessanter Zufall, oder?“

„Was denn?“ Sie zögerte, fragte dann: „Hat es irgendwas mit deinem Halsband zu tun?“

Statt die Frage zu beantworten, wechselte er das Thema. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt gingen, uns ein Bett suchten und uns nackt ausziehen? Vielleicht könnten wir dann eine praktikable Verbindung aufbauen.“

Dieser Gedankensprung brachte sie völlig aus der Fassung, sie brauchte einen Augenblick, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Hitze durchströmt sie und nackte Begierde. „Ich habe nicht die geringste Absicht, das Restaurant zu verlassen, geschweige denn, ein Bett zu suchen und mich nackt auszuziehen“, erklärte sie ihm, äußerst erfreut über ihren energischen Ton.

Gut, bei den letzten Worten schwankte ihre Stimme ein wenig. Rasch griff sie nach der Kaffeetasse, überlegte es sich aber anders, als sie bemerkte, wie ihre Finger zitterten. Stattdessen verschränkte sie die Hände im Schoß und rieb sich eine brennende, kribbelnde Stelle in der Handfläche. Aus irgendeinem Grund trieb sie das schon die ganzen letzten Wochen in den Wahnsinn.

„Schön. Falls du es dir anders überlegst, können wir ja immer noch gehen und unser Abkommen besiegeln.“

Natürlich wollte sie genau das tun, mit jeder Faser ihres Körpers. Bei der Vorstellung wurde ihr noch heißer. Aber sie hatte nicht die Absicht, ihren niederen Bedürfnissen zu folgen. Dennoch … Wenn er nur nicht dieses spezielle Wort verwendet hätte. Nackt.

Dieses Wort löste erstaunliche Vorstellungen in ihr aus. Schockierende Vorstellungen. Bilder, die sie sich eigentlich nicht hätte ausmalen dürfen, vor allem nicht in so glühenden Farben. Es war falsch, einfach falsch. Nicht dass das auch nur das Geringste geändert hätte. Sie wünschte sich mehr als alles auf der Welt, Gabe Moretti nackt zu sehen. Rasch nahm sie die Tasse – zum Kuckuck mit den zitternden Fingern – und steckte die Nase in den heißen Dampf in der Hoffnung, er könnte als Erklärung für die verräterische Röte herhalten, die ihr ins Gesicht schoss. Doch da hatte sie kein Glück.

Er lachte. „Was geht dir nur durch den Kopf? Was es auch ist, du bist davon ganz rot geworden.“

Angestrengt konzentrierte sie sich auf den Kaffee. „Ärger. Mich ärgert es, dass ich so tun muss, als würde ich dich begehren.“

„Lügnerin. Du kannst mir ja nicht mal in die Augen sehen. Ich frage mich, warum wohl. Könnte es sein, dass du gar nicht so tust, sondern mich wirklich begehrst?“ Er beugte sich vor und nahm ihr die Tasse ab. Dann verschränkte er seine Finger mit den ihren, bis sich ihre Handflächen berührten. Irgendwie intensivierte sich die Hitze. „Ich habe nichts dagegen, das Vorspiel zu überspringen und gleich zur Hauptsache zu kommen, wenn du möchtest.“

4. KAPITEL

Kats Blick wanderte zu Gabe. Großer Fehler. Riesenfehler. Begierde durchflutete sie, pulsierte mit schmerzhafter Intensität durch sie, sodass es ihr sogar schwerfiel, sich ein Lachen abzuringen. „Das Restaurant zu verlassen, ein Bett zu suchen und dich nackt auszuziehen ist deine Vorstellung von Vorspiel?“

Bei seinem trägen Lächeln verwandelte sich ihr Innerstes in glühende Lava. Wo war ihre kühle Gelassenheit geblieben? In der Hitze verdampft, vermutlich. In diesem Augenblick kam der Kellner und brachte ihnen das Essen. Zu ihrer Enttäuschung gab Gabe ihre Hand frei. Wie war es möglich, dass etwas so Simples wie das Loslassen einer Hand in ihr solche Verlustgefühle auslöste? Sie war wirklich dabei überzuschnappen.

Er wartete, bis sie allein waren, und erwiderte: „Ja, hier verschwinden, dich in das Apartment über meinem Büro bringen und dir dieses elegante Kleid ausziehen ist meine Vorstellung von Vorspiel. Ich will es dir erklären.“

Kat atmete tief durch. Konzentrier dich, Mädchen! Und zwar nicht auf Sex! „Das will ich hören.“

Er beugte sich vor und senkte die Stimme. „Sobald wir mit dem Essen fertig sind, warten wir auf die Rechnung. Jeder, der zu uns rübersieht, merkt, dass wir es gar nicht erwarten können zu gehen. Wir können nicht die Finger voneinander lassen. Natürlich auf ganz dezente Weise. Kleine Zärtlichkeiten.“

Kat stellte ihre Kaffeetasse ab und faltete die Hände im Schoß. „Komisch. Meine Hände sagen, sie wären da, wo sie sind, völlig zufrieden.“

„Sie lügen.“ Er hob eine Braue. „Ich kann es auch beweisen, wenn du willst.“

„Du kannst es versuchen. Tu dein Schlimmstes.“

Wieder lächelte er, langsam und verführerisch. Oje! Vielleicht hätte sie das nicht sagen sollen. Er griff nach ihrer Gabel, löste eine Muschel aus der Schale und bot sie ihr dar. Sie hätte sich gern geweigert, wollte es aber nicht vor einem Saal voller Gäste tun. Fest entschlossen, sich nicht verführen zu lassen, nahm sie den Bissen entgegen. Der Geschmack explodierte auf ihrer Zunge, während sein Blick unverwandt auf ihren Lippen ruhte, fast wie ein Kuss.

„Das ist nicht fair“, klagte sie.

„Na, Appetit bekommen, meine Süße?“

Hätte sie zu Schmollmündchen geneigt, dann hätte sie jetzt einen gezogen. „Nur auf mehr Muscheln.“

„Was für eine schlechte Lügnerin du doch bist. Du willst einfach nicht zugeben, dass ich dich in einem Restaurant verführe. Dass jeder, der zusieht, genau weiß, was du tun möchtest. Was du hoffst, dass ich mit dir mache.“

Sie senkte die Lider. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

Er machte sich nicht die Mühe zu widersprechen, bewies es nur, indem er noch einmal ihre Hand ergriff und ihr mit dem Zeigefinger über die Handfläche strich. Die Handfläche kribbelte und juckte, schon seit seiner allerersten Berührung. Woher wusste er das? Bisher waren ihre Hände nie sonderlich empfindsam gewesen. Doch seit ihrer ersten Begegnung … Wenn er nicht aufhörte, würde sie mit ihm noch unter dem Tisch landen und ihn die Verlobung besiegeln lassen.

Kat erschauerte, war sich dabei bewusst, dass sich jeder unmoralische Gedanke in ihren Zügen spiegelte. „Ich fasse es nicht. Warum du? Warum jetzt? Das ist doch verrückt.“

„Stimmt. Nicht dass das irgendetwas ändern würde.“ Er legte den Kopf schief. „Gibst du jetzt zu, dass ich die erste Runde gewonnen habe?“

„Nur wenn du zustimmst, dass es hier an diesem Punkt aufhört.“

Das hörte er offenbar nicht gern. „Das musst du mir erklären.“

Sie begehrte ihn mehr als jeden anderen Mann zuvor. Aber für sie gab es Grenzen, die sie nicht überschreiten wollte, Grenzen, die sie davor schützen sollten, etwas ähnlich Schmerzliches wie vor fünf Jahren zu erleben.

Kat seufzte. „Ich will nicht mit dir ins Bett gehen. Ich will mit niemandem schlafen, mit dem ich nicht verheiratet bin.“

„So wichtig ist dir das?“

„Ja.“

„Warum?“, fragte er frustriert.

Kat zögerte einen Moment. „Ich will nicht mit dir schlafen, weil – ob du es mir nun glaubst oder nicht – ich eben so bin.“

„Und du glaubst, wir können das hier ignorieren …?“

Gabe nahm ihre Hand zum dritten Mal, verschränkte seine Finger mit ihren, bis die Handflächen aufeinandertrafen. Hitze zuckte von seiner Hand in ihre, sie konnte den Schauder kaum unterdrücken, der sie durchfuhr. Was zum Teufel war das? Warum passierte das? Warum ausgerechnet mit Gabe Moretti, der doch der letzte Mann auf Erden war, mit dem sie schlafen sollte?

Sie versuchte ihm die Hand zu entziehen, um loszukommen von dem, was immer sie aneinanderband. Aber er ließ nicht los. Sie schloss die Augen. „Was ist das?“, stieß sie hervor.

„Das Inferno, hat man mir gesagt.“

„Verstehe ich nicht. Was ist das Inferno?“

„Begierde. Lust. Begehren.“

Sie sah ihn. „Bitte“, flüsterte sie. „Lass mich los.“ Zu ihrer großen Erleichterung gab er sie frei. Sie holte tief Luft und lehnte sich steif zurück. Wenigstens konnte sie jetzt wieder vernünftig denken. Ein bisschen. „Ich verstehe das immer noch nicht.“

„Ein Restaurant ist nicht der beste Ort für dieses Gespräch.“ Er warf ein paar Geldscheine auf den Tisch. „Gehen wir.“

„Wohin denn?“ Dabei wusste sie es doch. Sie wusste, was er wollte und wohin er sie bringen wollte.

„Irgendwohin, wo es ein Bett gibt“, gab er zurück.

Oh Gott! Wenn er versuchte, sie ins Bett zu zerren, würde sie nachgeben … und er wusste es auch. Trotz aller Abmachungen und unüberwindbaren Grenzen. Er brauchte sie ja nur zu berühren, damit sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

„Gabe, du hast es versprochen.“

„Nein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein solches Versprechen überhaupt machen könnte. Früher habe ich immer gedacht, ich hätte Derartiges unter Kontrolle. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Aber ich verspreche, es zu versuchen.“

Er streckte ihr die Hand hin. Sie nahm sie, war sich dabei der Blicke ringsum bewusst, und ließ sich von ihm vom Tisch wegziehen. Amüsiertes Geflüster folgte ihnen nach draußen. Sie hatten die Tür fast erreicht, als die Katastrophe geschah. Zwei Männer und zwei Frauen kamen herein. Einer der Männer blieb stehen, ergriff ihre Hand und drehte sie zu sich herum.

„Kat? Kat Malloy? Bist du es wirklich?“

Erschrocken blieb sie stehen. „Benson?“ Oh nein! Ausgerechnet ihm musste sie begegnen, ausgerechnet heute. Und vor so vielen Leuten, die alle begierig herüberschauten. Sie sah ihn misstrauisch an, wusste nicht recht, was sie erwarten sollte. Als der Skandal über ihnen hereingebrochen war, hatte er lautstark beteuert, er sei unschuldig, sie hätte ihm eine Falle gestellt, er habe Jessa in der Suite erwartet, nicht Kat. Sie hätte ihn dazu bewegen wollen, die Cousine seiner Verlobten zu verführen. Nicht dass ihm irgendwer geglaubt hätte, genauso wenig wie ihr. „Wie geht’s?“, schien die sicherste Bemerkung.

Ihm schien nichts Ungewöhnliches aufzufallen. Er war ein großer, attraktiver Mann um die vierzig. Das blonde Haar und die leuchtend blauen Augen verrieten seine norwegische Herkunft. Sein Lächeln verströmte sowohl Charme als auch Aufrichtigkeit. „Ich hatte keine Ahnung, dass du zurück bist. Sonst hätte ich mich bei dir gemeldet.“ Er drückte ihr die Hand. „Ich muss mit dir reden, wenn du Zeit hast. Ich möchte dir etwas sagen. Rufst du in meinem Büro an, damit wir einen Termin ausmachen können?“

Gabe stellte sich direkt hinter Kat auf und legte ihr besitzergreifend die Hand auf die Schulter. „Winters“, sagte er kalt.

Benson sah ihn an, leichte Verwirrung im Blick, ehe er ihn erkannte. Sein Lächeln erlosch. „Moretti, nicht wahr?“

„Ja.“ Er fixierte Kats Hand, die noch immer in der von Winters lag. „Ich empfehle Ihnen, meine Verlobte loszulassen.“ Im Restaurant breitete sich Schweigen aus.

Benson gab Kat sofort frei. „Tut mir leid, mir war nicht klar …“ Er runzelte die Stirn. „Sagten Sie Verlobte?“

Kat entzog sich Gabes Griff und drehte sich zu ihm um. „Was redest du denn da?“

„Ich rede von unserer Verlobung.“

„Wir sind nicht verlobt.“

„Noch nicht“, korrigierte er. „Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit.“ Er sprach mit ihr, doch sein Blick war immer noch auf Winters gerichtet. „Wir wollten unsere Verlobung besprechen, und danach wollte ich mit ihr ins Bett.“

Seine Bemerkung schien im Raum widerzuhallen. Kat schloss die Augen und betete darum, dass sich der Boden zu ihren Füßen auftun würde, damit sie darin versinken konnte. Aber da hatte sie kein Glück. Das Schweigen zog sich in die Länge. Benson durchbrach es schließlich mit einem kurzen Lachen. „Na, dann herzlichen Glückwunsch, Moretti. Diesmal haben Sie wohl wirklich das große Los gezogen.“

Kat schnappte bestürzt nach Luft. Sie mussten raus hier, auf der Stelle, bevor Gabe sich über die giftige Bemerkung klar wurde. Sie lächelte Benson strahlend an, hakte sich bei Gabe unter und setzte sich Richtung Ausgang in Bewegung. Sie waren gerade durch die Tür, als die Bemerkung bei ihm ankam.

„Diesmal?“ Er wollte kehrtmachen. Kat klammerte sich an ihn und zerrte ihn vom Restaurant weg. „Was zum Teufel meint der Typ mit diesmal?“

Verdammt, verdammt, verdammt! „Nichts. Er hat sich bestimmt nichts weiter dabei gedacht.“

„Na klar hat er das.“

„Bestimmt war das nur eine Redewendung.“

„Es war doch nicht Jessas Schuld, dass ihre Verlobung gescheitert ist.“

Nein. Dafür waren Kat und Benson verantwortlich, zumindest war das Gabes Meinung, vor allem, nachdem er die herzliche Begegnung der „Schuldigen“ beobachtet hatte. Seine geliebte Jessa war das unschuldige Opfer, deren Ruf er schützen wollte, koste es, was es wolle. Diese Schlacht konnte Kat nicht gewinnen. Und so zog sie Gabe den Gehsteig entlang, vorbei an den weihnachtlich geschmückten Geschäften. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht umkehrte und Benson zu einer Erklärung zwang. Aus einem Kaufhaus wehten die Klänge von „Jingle Bells“ herüber. Vielleicht würde das Gabes Unterbewusstsein besänftigen.

„Mistkerl!“, brummte er. So viel zur Besänftigung.

„Lass doch.“ Kat bemühte sich, das Thema zu wechseln. „Wir wollten doch irgendwo hingehen, wo du mir ungestört das mit dem Inferno erklären kannst.“

Zu ihrer Erleichterung konnte sie ihn tatsächlich ablenken. „Nein, wir wollten irgendwo hingehen, wo ich dich ungestört verführen kann. Oder es versuchen.“

„Nein, danke“, sagte sie höflich.

Er warf ihr ein grimmiges Lächeln zu. „Du kannst versuchen, Nein zu sagen, aber ich glaube nicht, dass wir beide damit viel Glück haben.“

„Es wird nicht verführt.“ Bitte, bitte verführe mich. Nein! Nein, das hatte sie nicht denken wollen. „Vielleicht sollten wir über die Verlobung reden, die du eben bekanntgegeben hast.“

„Darüber reden wir dann hinterher.“

„Hinterher?“ Ein lebensgroßes Bild erschien vor ihrem inneren Auge, von ihnen beiden, wie sie eng umschlungen, keuchend zum Höhepunkt kamen. Hastig ließ sie seine Hand los. „Ein Hinterher wird es nicht geben, weil es kein Vorher gibt. Wir reden, das ist alles, und zwar mit Sicherheitsabstand.“

„Wir können es versuchen.“ Er rieb sich die rechte Handfläche, als juckte es ihn dort. „Ich bin mir nicht sicher, ob es uns gelingt.“

Die Art, wie er sich die Hand kratzte, kam ihr bekannt vor. Sie tat dasselbe, und zwar, seit er zum ersten Mal ihre Hand ergriffen hatte und sie dieses bizarre Brennen durchzuckt hatte, von der Handfläche bis ins Innerste. Was zum Teufel war da los? Irgendwie hatte er sie angesteckt. Ihr angehängt, woran auch er litt. Sie musste sich beherrschen, um sich nicht auch die Handfläche zu kratzen. Jedenfalls wollte sie Antworten, wenn auch vielleicht nicht inmitten des Weihnachtsgetümmels auf dem Gehsteig.

„Dir ist doch sicher klar, dass du vor einem wichtigen Teil der Einwohner von Seattle verkündet hast, dass wir uns nach nur drei Wochen verlobt haben“, erwähnte sie dann doch.

Gabe blieb abrupt stehen und rieb sich das Gesicht. „Das habe ich wohl, was? Was habe ich mir nur dabei gedacht?“

„Keine Ahnung.“ Sie wollte sich schon bei ihm einhaken, verkniff es sich dann aber. Besser, sie berührte diesen attraktiven, sexy Mann nicht mehr. Beim letzten Mal hatte sie kurz danach flach auf dem Rücken gelegen, angerichtet wie ein Appetithäppchen. „Gabe, niemand wird uns abkaufen, dass wir nach so kurzer Zeit schon heiraten wollen.“

Er setzte sich wieder in Bewegung, sodass sie gezwungen war mitzuhalten, wenn sie nicht allein zurückbleiben wollte. „Wir wollen doch, dass die Leute tratschen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Dafür ist jetzt gesorgt.“

„Das schon, aber ich befürchte, dass uns die Art Gerede eher schaden als nützen wird.“

Er öffnete die Tür zu seinem Bürogebäude und bat sie herein. Mit einem Nicken in Richtung Empfangsdame wandte er sich zu den Aufzügen. „Fahren wir rauf und überlegen uns einen Schlachtplan.“

Der Aufzugtüren glitten auf, und sie stiegen ein. „Da hätte ich schon eine Idee … Wie wäre es, wenn du aufhörtest, den Leuten zu erzählen, wir wären verlobt, ehe wir es überhaupt sind?“

Gabe drückte den Knopf für sein Stockwerk. „Und wie wäre es, wenn du dich von Benson Winters fernhieltest?“

Dieser Themenwechsel brachte sie aus der Fassung. „Wirklich? Also, wirklich?“ Na, tolle Antwort, Kat.

„In Anbetracht der Tatsache, dass der Mann dich überall als die Alleinschuldige an der Affäre hingestellt hat – den Medien erzählt hat, dass du ihn durch einen Trick in das Hotelzimmer gelockt hast –, schien er heute verdammt freundlich. Warum, frage ich mich. Nicht dass man dazu viel Fantasie bräuchte. Der hat sich als Unschuldslamm präsentiert und dich den Medien zum Fraß vorgeworfen, um seine Kandidatur für den Senat nicht zu gefährden. Niemand ist so freundlich zu einer Frau, die einem angeblich das Leben ruiniert hat. Seine Exfrau begrüßt er bestimmt nicht so freundlich.“

„Das könnte daran liegen, dass sie dieses Enthüllungsbuch geschrieben hat“, schoss Kat zurück. „Das hätte gereicht, um ihm die Wahl zu vermasseln, da hätte man die Sache mit der Affäre gar nicht mehr gebraucht.“

Er drehte sich zu ihr um. In der kleinen Kabine wirkte er plötzlich viel zu groß. „Ich sag es dir noch einmal: Halt dich von diesem Mann fern! Ich will nicht, dass deine Exliebhaber unsere Verlobung platzen lassen, bevor sie überhaupt angefangen hat.“

Wut stieg in ihr auf. „Was kann ich dafür, dass er uns über den Weg läuft? Das war reiner Zufall! Und zum Mitschreiben: Er ist nicht mein Exliebhaber!“

„Blödsinn, ich kenne doch die Wahrheit, Kat. Ich war mit Jessa verheiratet, schon vergessen? Sie hat mir alles über dich und Winters erzählt. Ganz zu schweigen von dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe.“ Er strahlte eine solche Hitze aus, dass die Temperatur in der engen Kabine anstieg. „Und außerdem, was euch angeht, glaube ich nicht an Zufälle.“

„Na, dann fang mal damit an. Denn etwas anderes war es nicht.“ Die Bemerkung über Jessa ließ sie unkommentiert. Was hatte es schon für einen Sinn? Er würde ihr ohnehin nicht glauben. Stattdessen stemmte sie die Hände in die Hüften und bemühte sich, kühl und ruhig zu bleiben, allerdings mit mäßigem Erfolg. „Und zu deiner Information: Er wird uns wieder über den Weg laufen. Er ist zwar kein Senator geworden, aber er ist ein angesehener Geschäftsmann und erhält zweifellos Einladungen zu den Veranstaltungen, die du mit mir besuchen möchtest.“

Er tat einen Schritt auf sie zu, beugte sich über sie. Alles an ihm verströmte schiere maskuline Kraft, die all ihre Verteidigungskräfte zu durchdringen vermochte. Neben seinem Zorn spürte sie eine Welle der Begierde, die ihr eigenes Verlangen anstachelte.

„Ich will nicht, dass du mit ihm redest“, beharrte Gabe. „Das hintertreibt den ganzen Zweck unserer Verlobung.“

„Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich bin doch nicht dumm“, entgegnete sie. „Mir ist völlig klar, was für eine Bedrohung Benson darstellt. Genau wie ich dein Bedürfnis sehe, dein Territorium abzustecken. Nun, da hab ich eine Neuigkeit für dich: Ich bin nicht dein Eigentum.“

„Noch nicht“, konterte er. „Du bist noch nicht mein Eigentum. Bestimmt verstehst du, wie wichtig es ist, dieses kleine Detail zu ändern. Deswegen muss ich jetzt das tun …“

Autor

Day Leclaire
Day Leclaire lebt auf der Insel Hatteras Island vor der Küste North Carolinas. Zwar toben alljährlich heftige Stürme über die Insel, sodass für Stunden die Stromzufuhr unterbrochen ist, aber das ansonsten sehr milde Klima, der Fischreichtum und der wundervolle Seeblick entschädigen sie dafür mehr als genug.
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