Baccara Extra Band 28

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NACHHILFE IN LEIDENSCHAFT von JANICE MAYNARD
Job verloren, verlassen worden – wie soll es weitergehen? Schweren Herzens kehrt Mia nach Silver Glen zurück – und trifft Dylan Kavanagh. Aus dem jungen Rebellen, dem sie Nachhilfe gegeben hat, ist ein erfolgreicher Traummann geworden. Und plötzlich ist er es, der ihr Nachhilfe gibt: in Liebe …

SEX, LÜGEN UND EIN TRAUMMANN von BARBARA DUNLOP
Darci schleicht sich auf den Jahresempfang von Colborn Aerospace, um nach Beweisen zu suchen, dass ihr Vater betrogen wurde! Doch ausgerechnet Shane Colborn fängt dort an, heiß mit ihr zu flirten. Sie könnte sich glatt in ihn verlieben - wäre er nicht der Kopf des verhassten Unternehmens …

HAST DU HEUTE NACHT WAS VOR? von KATHIE DENOSKY
Summer will ein Baby, aber bestimmt nicht heiraten! Weshalb sie ihren allerbesten Freund Ryder McClain um einen klitzekleinen Gefallen bittet. Könnte er nicht der Vater werden? Doch von einer rein medizinischen Lösung will Ryder nichts wissen. Er besteht auf eine echte Liebesnacht …

DIESES BRENNENDE VERLANGEN von CHARLENE SANDS
Zehn Jahre ist es her, dass Susanna in Caseys Armen schwach wurde. Und schon am nächsten Tag ließ er sie sitzen! Warum muss ausgerechnet dieser Mann jetzt im Nachbarhaus einziehen? Wieder spürt Susanna dieses erotische Prickeln, das ihr schon einmal zum Verhängnis wurde …


  • Erscheinungstag 14.06.2022
  • Bandnummer 28
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510370
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Janice Maynard, Barbara Dunlop, Kathie DeNosky, Charlene Sands

BACCARA EXTRA BAND 28

1. KAPITEL

Samstagabends war im Silver Dollar Saloon stets der Teufel los. Aufmerksam ließ Dylan Kavanagh den Blick über die Gäste schweifen. Dort an Tisch sechs saß ein frisch verheiratetes Paar. Da hinten ein Gewohnheitstrinker, der sicher schon bald an die Luft befördert werden musste. Und dort vorne ein Jugendlicher, der so nervös wirkte, als hätte er beim Alter geschummelt, um sich Zutritt zum Saloon zu verschaffen.

Mit anderen Worten – die üblichen Verdächtigen, die in Dylans nostalgischer Westernbar Drinks bestellten und Erdnüsse knabberten.

Die unberührte Natur des westlichen North Carolina zog Menschen aus aller Welt an. Neben Erholungssuchenden schätzten übrigens auch namhafte Regisseure die beeindruckende Naturkulisse als Drehorte für ihre Filme.

Allerdings war Dylan ziemlich gleichgültig, ob sich Hollywoodstars in seiner kleinen Heimatstadt tummelten. Dafür waren seine Erfahrungen mit der Welt des Glamours viel zu schmerzvoll.

Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit von einer Dame mit einem pinkfarbenen Top angezogen, die ziemlich hastig einen Drink nach dem anderen hinunterkippte. Überrascht fragte er sich, warum sein Barkeeper noch nicht eingegriffen hatte.

Stirnrunzelnd bahnte er sich einen Weg durch das Gedränge und tippte Rick an die Schulter. „Keine Drinks mehr für die Lady in Pink“, ermahnte er ihn. „Die hat schon mehr als genug.“ Die Frau wirkte irgendwie verzweifelt, und aus Erfahrung wusste Dylan, dass sich so etwas selten gut mit Alkohol vertrug.

Beruhigend lächelte Rick seinem Chef zu, während er nebenbei weiter unablässig Cocktails mixte. „Keine Sorge, Boss. Sie hatte nur alkoholfreie Erdbeercocktails.“

„Ach so.“ Draußen war es ziemlich heiß und windstill, ein Abend also, an dem sich jeder gerne etwas Eisgekühltes gönnte.

„Gehen Sie doch nach Hause, Boss. Wir bekommen das schon hin“, sagte sein Barkeeper. Der große Mann mit Cowboyakzent war einfach die perfekte Besetzung für den Job hinter dem Tresen – und außerdem wie alle im Team ein echter Profi. Dylan wusste, dass er seinen Leuten voll und ganz vertrauen konnte.

Doch um die Wahrheit zu sagen – Dylan liebte das Silver Dollar. Als Zwanzigjähriger hatte er das historische Gebäude gekauft, es von Grund auf restauriert und einen der erfolgreichsten Läden in Silver Glen daraus gemacht.

Als er die Bar erworben hatte, war er bereits wohlhabend gewesen – und selbst wenn das Geschäft nicht mehr laufen sollte, würde er immer noch reich sein. Als Angehöriger der Familie Kavanagh, die Silver Glen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zu neuem Glanz verholfen hatte, hätte Dylan sich auch ganz bequem ein luxuriöses Leben leisten können, ohne auch nur einen Handschlag dafür zu tun. Doch seine Mutter Maeve hatte ihre sieben Jungs von Kindesbeinen an dazu angehalten, sich nie vor ehrlicher Arbeit zu drücken.

Allerdings hielt Dylan sich nicht aus diesem Grund an einem Samstagabend im Silver Dollar auf. Schließlich hatte er in dieser Woche bereits mehr als genügend Stunden in seiner Bar zugebracht. Der Grund für seine Anwesenheit war wesentlich komplizierter. Das Geschäft war sein einziger Beweis dafür, nicht auf ganzer Linie ein Versager zu sein. Trotz diverser Ausrutscher während seiner Jugend hatte er es schließlich doch noch zu etwas gebracht.

Er dachte nicht gern an diese Zeit zurück, die teilweise ein echter Albtraum gewesen war. Als ihm klar geworden war, dass er niemals auch nur annähernd solche intellektuellen Leistungen bringen würde wie sein älterer Bruder, hatte er schließlich das College geschmissen.

Ehrlich gesagt: Nirgendwo fühlte er sich heimischer als in seinem Saloon. Im Silver Dollar ging es manchmal entspannt, andere Male wieder turbulent zu – aber es war immer interessant. Niemand hier ahnte auch nur, was für ein Versager Dylan gewesen war.

Schon in der Schule war ihm das Lernen schwergefallen, aber er hatte es verstanden, seine Unsicherheit durch Unverschämtheit, verantwortungsloses Benehmen und wilde Partys zu überspielen.

Erst nachdem er dieses alte, reparaturbedürftige Gebäude entdeckt hatte, war es ihm gelungen, zur Ruhe zu kommen, und er hatte dieses Projekt mit großer Leidenschaft in Angriff genommen. Dieses Haus und Dylan ähnelten einander sehr – in beiden steckte mehr, als man auf den ersten Blick vermutete. Das Silver Dollar war schon bald mehr als nur eine Geschäftsidee für ihn gewesen, sondern vielmehr eine Art persönliche Unabhängigkeitserklärung.

Außerdem war er zurzeit ohne feste Freundin – ein weiterer Grund dafür, lieber im Saloon abzuhängen, als zu Hause langweilige Wiederholungen im Fernsehen anzuschauen. Er war ein geselliger Mensch, immer schlicht und geradeheraus – was ihn wiederum zum rätselhaften Verhalten der Frau in Pink zurückkommen ließ.

Vergiss sie, ermahnte er sich. Rick hatte recht. Er sollte besser nach Hause fahren. Trotzdem wollte er, bevor er den Saloon verließ, noch einen Blick auf diesen ungewöhnlichen und faszinierenden Gast werfen. Als der Stuhl neben der Frau mit den Erdbeercocktails frei wurde, deutete Dylan das als einen Wink des Schicksals.

Wortlos setzte er sich neben die traurig dreinblickende Frau und entdeckte erst jetzt den Säugling in ihren Armen – vermutlich ein Mädchen, wenn die rosafarbene Schleife in ihrem Haar ein sicherer Hinweis war. Das Kind schlief tief und fest.

Dylans erster Impuls bestand darin, die Flucht zu ergreifen. Hier war definitiv mehr als ein Drink nötig, um zu helfen.

Die Frau schien ihn nicht einmal wahrzunehmen, obwohl sie so dicht nebeneinandersaßen, dass sie sich berührten.

Geh schon, ermahnte Dylan sich im Stillen, doch dann stellte die schlanke Frau das Glas auf den Tresen und seufzte herzerweichend. Bestimmt wird sie gleich zu weinen beginnen, dachte Dylan entsetzt.

Nichts auf der Welt jagte ihm einen größeren Schrecken ein als die Tränen einer Frau – in dieser Hinsicht war er ein ganz normaler Vertreter seines Geschlechts. Er war ohne Schwestern aufgewachsen, und seine Mutter hatte er das letzte Mal bei der Beerdigung seines Dads weinen sehen. Das war schon viele Jahre her.

Doch irgendetwas hielt ihn davon ab, einfach aufzustehen und zu gehen – vermutlich irgend so ein lästiger ritterlicher Ehrenkodex. Oder vielleicht auch der verführerische zarte Duft nach wilden Rosen, der die Fremde einhüllte.

Verlegen sah er unauffällig zu ihr hinüber. Die Fremde war etwa mittelgroß, trug eine kakifarbene Hose, ein pinkfarbenes Top und darüber eine zartrosa Hemdbluse. Das dunkelbraune Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgesteckt, was ihr hübsches Gesicht mit dem eigensinnig wirkenden Kinn reizend betonte.

Irgendwie kam sie ihm bekannt vor – sie sah ein wenig aus wie die Schauspielerin Zooey Deschanel. Allerdings wirkte sie völlig erschöpft und hatte die linke Hand auf dem Tresen zur Faust geballt. Kein Ehering. Das konnte allerdings alles Mögliche bedeuten.

Steh auf und geh.

Sein Unterbewusstsein versuchte wirklich, ihm zu helfen, keine Frage. Doch manchmal musste ein Mann eben tun, was ein Mann tun musste. Also beugte er sich ein Stück zu der Fremden hinüber und versuchte, die laute Musik und das Stimmengewirr zu übertönen. „Entschuldigen Sie, Ma’am. Ich bin Dylan Kavanagh, der Besitzer dieser Bar. Geht es Ihnen gut? Oder kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Beinahe hätte Mia die schlafende Cora fallen lassen, als sie nach all der Zeit so unvermittelt Dylans Stimme wiederhörte. Sie war in das Silver Dollar gegangen, weil sie wissen wollte, wie es Dylan in all den Jahren ergangen war, hatte aber keinesfalls damit gerechnet, ihn hier auch anzutreffen.

Verlegen sah sie ihn an. „Hi, Dylan. Ich bin’s. Mia. Mia Larin.“

Ihre Worte schienen ihn völlig aus der Bahn zu werfen, und selbst eine Blinde hätte bemerkt, wie wenig er sich über dieses Wiedersehen freute. „Liebe Güte, Mia Larin. Was hat dich denn nach Silver Glen verschlagen?“

Eine vernünftige Frage, denn als sie und Dylan die Highschool verlassen hatten, war sie aus Silver Glen fortgezogen. Dylan war achtzehn und voller Wut gewesen – sie sechzehn und voller Furcht, was das Leben für sie bereithalten mochte. Damals hatte sie als Außenseiterin gegolten, die allein durch ihren außergewöhnlich hohen Intelligenzquotienten von einhundertsiebzig aufgefallen war. Nach ihrem Schulabschluss hatte ihre Familie das Haus in Silver Glen verkauft und war an die Golfküste gezogen, weswegen Mia keinerlei Verbindung mehr zu ihrem ehemaligen Heimatstädtchen gehabt hatte.

„Ich weiß auch nicht“, erwiderte sie schulterzuckend. „Wahrscheinlich Sentimentalität. Wie geht es dir?“

Was für eine dumme Frage, denn sie sah ja, wie es ihm ging. Der ehemals hagere Junge war zu einem großen, dunkelhaarigen und umwerfend gut aussehenden Mann herangewachsen. Als sie in seine warm schimmernden braunen Augen sah, hatte sie auf einmal das Gefühl, dass Schmetterlinge in ihrem Bauch ihr Unwesen trieben.

Dylan hatte breite Schultern, kräftiges, volles Haar und einen muskulösen Körper, der vor Männlichkeit nur so zu strotzen schien. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er immer noch der Bad Boy von damals war, dessen einziger Lebenssinn darin zu bestehen schien, Ärger anzuziehen.

Er war ihr erster und einziger Freund gewesen, der einzige Junge, den sie bis zu ihrem Universitätsabschluss geküsst hatte. Und jetzt saß er neben ihr und sah viel besser aus, als gut für ihn war.

Sein Lächeln wirkte wie ein Dolchstoß auf ihr bereits arg mitgenommenes Herz. Augenblicklich fühlte sie sich in die Schulzeit zurückversetzt. Damals war sie völlig hin und weg gewesen von Dylan Kavanagh und hatte gewusst, dass die Chancen, seine Freundin zu werden, vermutlich genauso günstig standen wie die, eine Misswahl zu gewinnen.

Auf ein Handzeichen hin brachte ein Kellner ihm ein Glas Mineralwasser. Grinsend schnippte Dylan mit einem Finger gegen ihren Pferdeschwanz. „Du bist ja erwachsen geworden“, sagte er und klang überrascht. Ihr entging nicht, dass ihm zu gefallen schien, was er sah.

Dummerweise begann ihr törichtes Herz, schneller zu schlagen. Offenbar scherte es sich nicht darum, dass sie über dreißig, im Besitz zweier Doktortitel und darüber hinaus seit zwölf Wochen Mutter war.

„Du aber auch“, erwiderte sie und versuchte erfolglos, seinem Blick standzuhalten. Zwar war sie schon längst nicht mehr das schüchterne Mädchen von einst, aber Dylan Kavanagh war nun einmal ein Mann mit überwältigender Ausstrahlung.

Nachdenklich spielte er mit dem Strohhalm in seinem Glas und betrachtete unverhohlen neugierig Cora, die glücklicherweise immer noch schlief.

„Du hast ein Kind“, stellte er fest.

„Wie bist du denn darauf gekommen, du Schlauberger?“, fragte sie, und er zuckte zusammen.

Augenblicklich wurde ihr bewusst, dass er ihre Bemerkung wahrscheinlich auf seine Vergangenheit bezogen hatte. Sie hatte ihm damals beim Lernen wegen seiner Rechtschreibschwäche geholfen. Als Zwölftklässler war es Dylan zutiefst zuwider gewesen, Hilfe von einer Klassenkameradin annehmen zu müssen – die darüber hinaus erst fünfzehn war und zwei Klassen übersprungen hatte.

„Das habe ich so nicht gemeint“, sagte sie rasch. „Es tut mir leid. Ist mir immer noch ziemlich unangenehm, ein Kind zu haben und nicht verheiratet zu sein. Meine Eltern haben sich zwar mittlerweile an die Vorstellung gewöhnt, aber es gefällt ihnen nicht besonders.“

„Und wer ist der Vater?“ Offenbar hatte Dylan ihr den unbedachten Kommentar verziehen.

„Darüber kann ich noch nicht sprechen.“

Der Mann neben ihr lachte laut und stieß dabei heftig gegen ihre Schulter. Vorsorglich schloss sie die Arme fester um ihre kleine Tochter und erkannte, dass eine Bar vermutlich nicht der beste Ort für ein kleines Kind war.

Dylan musste wohl zum selben Schluss gekommen sein, denn er umfasste ihren Arm und lächelte einladend. „Hier können wir nicht richtig reden. Lass uns doch nach oben gehen und es uns gemütlich machen. Das Apartment hat meiner Buchhalterin gehört, aber sie ist letzten Dienstag ausgezogen.“

Bereitwillig ließ Mia sich von ihm helfen und griff nach der Wickeltasche, die sie unter die Theke geschoben hatte. „Das wäre schön.“ Wahrscheinlich hätte ihr mit ihrem sagenhaften IQ eine geistreichere Bemerkung einfallen sollen, aber diese Begegnung kam ihr immer noch völlig unwirklich vor. Außerdem war sie im Umgang mit Menschen zurzeit etwas ungeübt, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Allerdings hatte sie seit Coras Geburt keine Nacht richtig durchgeschlafen, weswegen sie nicht so streng mit sich selbst sein durfte.

„Komm mit.“ Dylan führte sie durch den Saloon durch einen Flur in den hinteren Teil des Gebäudes zu einem steilen, schwach beleuchteten Treppenaufgang. Er nahm ihr die Wickeltasche ab und bot an, auch Cora zu tragen, doch Mia widersprach.

„Das kann ich schon“, erklärte sie und versuchte kurz darauf, nicht unentwegt auf Dylans knackigen Po in der engen Jeans zu starren, als er vor ihr die Treppe hinaufging.

Sie wusste, dass der Mann vor ihr mehrfacher Millionär war. Trotzdem brachte er es fertig, wie ein ganz normaler Typ zu wirken – ein Talent, um das sie ihn auf der Highschool brennend beneidet hatte. Mia hatte nie zu einer Clique gehört. Ihre Klassenkameraden hatten das ernste und schüchterne Mädchen, das immer zwei Jahre weiter zu sein schien, nie in ihren Freundeskreis aufgenommen.

„Auf der linken Seite ist das Lager“, erklärte Dylan, nachdem sie oben angekommen waren. „Das Apartment hat, wie ich schon sagte, meiner Buchhalterin gehört. Aber sie hat sich verlobt und ist ans andere Ende des Landes gezogen. Du kannst dir bestimmt vorstellen, was für ein Chaos jetzt bei mir herrscht. Ich muss dringend jemand Neuen einstellen, oder ich habe das Finanzamt im Nacken, weil ich meine Umsatzsteuer nicht rechtzeitig bezahle.“

Er öffnete eine Tür, und nachdem Mia eingetreten war, sah sie sich neugierig in dem großzügig eingerichteten Wohnzimmer um. Helle Flecken an der Wand verrieten ihr, wo bis vor Kurzem noch Bilder gehangen hatten. „Wie lange hat sie für dich gearbeitet?“

Dylan stellte die Wickeltasche auf einem Polsterstuhl ab. „Beinahe von Anfang an. Ihr erster Mann starb und hatte sie völlig mittellos zurückgelassen. Für mich zu arbeiten war also für uns beide eine Win-win-Situation. Aber vor ein paar Monaten ist sie unten im Lokal einem Trucker begegnet, und der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.“

Erleichtert setzte Mia sich auf das Sofa und legte Cora neben sich. Das Baby rührte sich nicht. „Tja, das Leben steckt voller Überraschungen.“

„Das kann man wohl sagen“, erwiderte er und setzte sich auf einen Stuhl neben sie. „Erinnerst du dich noch an meinen Bruder Liam?“

„Natürlich. Ich hatte sogar ein bisschen Angst vor ihm. Er war immer so ernst.“

„Seitdem er Zoe kennt, ist er viel lockerer geworden. Die beiden haben gerade erst geheiratet. Wahrscheinlich würdest du dich gut mit ihr verstehen.“

„Wirklich? Wieso denn?“

Offenbar war seine Bemerkung nur so dahingesagt gewesen, denn er schien nicht richtig zu wissen, was er auf ihre Frage antworten sollte. „Also, weißt du, ihr seid doch beide Frauen und so …“

Mia spürte, wie sie errötete. Das war schon immer ihr Problem gewesen – sie wusste einfach nicht, wie man ein belangloses Gespräch führte, ohne jemanden in Verlegenheit zu bringen. Hastig richtete sie Coras Decke und nutzte die Gelegenheit, Dylan dabei nicht ansehen zu müssen. Wahrscheinlich war es das Beste, wenn sie einfach ging. Doch ihr Leben war gerade so ein schreckliches Durcheinander, dass sie sich furchtbar gern einen Moment lang von dem Chaos ablenken ließ. Also sammelte sie sich, lehnte sich schließlich zurück und lächelte Dylan an. „Also, jetzt schieß mal los! Was ist in der Zwischenzeit noch so alles in Silver Glen passiert?“

Dylan verschränkte die Arme vor der Brust. „Hast du eigentlich schon was gegessen?“ Das war zwar keine Antwort auf Mias Frage, aber er hatte das Gefühl, jeden Moment verhungern zu müssen.

„Nein, noch nicht. Aber du musst dich nicht um mich kümmern.“

„Das geht aufs Haus – um der alten Zeiten willen.“ Er zog sein Handy hervor und schickte der Küche eine SMS. „Sie lassen so schnell wie möglich was raufbringen.“

„Klingt prima“, erwiderte Mia lächelnd.

Plötzlich fiel ihm wieder ein, wie sie immer leicht den Kopf gesenkt und bezaubernd gelächelt hatte, wenn ihr etwas gefallen hatte. Allerdings war es nicht unbedingt Dylans Stärke gewesen, dieses Gefühl in ihr wachzurufen. Damals hatte er die Vorstellung schrecklich gefunden, von einer Fünfzehnjährigen Hilfe annehmen zu müssen. Vermutlich hatte er Mia mehr als einmal das Leben schwer gemacht.

„Warum hast du es gemacht?“, fragte er, bevor er darüber nachdenken konnte.

Überrascht sah sie ihn an. „Was denn?“

„Mir damals Nachhilfeunterricht gegeben“, erklärte er ernst.

„Wow, Dylan, fragst du dich das jetzt wirklich zum ersten Mal?“

„Ich hatte eben eine Menge um die Ohren“, erwiderte er schulterzuckend.

„Ja, das kann man wohl sagen“, entgegnete sie. „Football, Basketball, Dates mit heißen Mädchen.“

„Das hast du mitbekommen?“

„Ich habe alles mitbekommen“, gestand sie. „Ich war damals ziemlich übel in dich verknallt.“

Bestürzt dachte er an all die kleinen Gemeinheiten, die er ihr damals angetan hatte. Obwohl er ihr insgeheim für ihre Hilfe dankbar gewesen war, hatte er sich nicht davor gescheut, Mia in aller Öffentlichkeit lächerlich zu machen. Selbst als unreifer Jugendlicher hatte er gewusst, wie sehr er ihr wehgetan hatte.

Doch er hatte ja unbedingt den Bad Boy spielen müssen.

„Ich schulde dir bestimmt eine Million Entschuldigungen“, sagte er schließlich. „Du hast wirklich alles getan, um mir zu helfen.“

„Immerhin hast du ja auch den Oberstufenkurs in englischer Literatur geschafft.“

„Ja – und das sogar, ohne zu schummeln.“

„Du hast ein Essay darüber geschrieben, weshalb du die Geschichte von Romeo und Julia so unglaubwürdig findest.“

„Na, ist sie doch auch, oder?“, verteidigte er sich. „Welcher Typ schluckt schon freiwillig Gift, wenn er einfach mit seinem Mädchen nach Vegas durchbrennen kann?“

Mia lachte und wirkte mit einem Mal wieder so jung wie das Mädchen, das Dylan von der Highschool kannte. „Es war nicht deine Schuld, dass du solche Probleme mit der Sprache hattest, Dylan. Wenn man das schon in der Grundschule erkannt hätte, dann hättest du frühzeitig die entsprechende Förderung bekommen – und bestimmt eine erstklassige Schullaufbahn hingelegt.“

„Wahrscheinlich bin ich auch selbst ein bisschen schuld daran. Ich habe schließlich immer so getan, als würde Schule mich kein Stück interessieren.“

„Damit hast du vielleicht die anderen getäuscht – mich nicht.“

2. KAPITEL

Es tat Mia weh zu sehen, wie Dylan traurig lächelte. Legasthenie stellte schon längst kein unüberwindbares Problem mehr dar, wenn man frühzeitig mit der Förderung begann. Mia wusste, dass Dylan bei allen Intelligenztests überdurchschnittlich gut abgeschnitten hatte – und wesentlich kreativer und einfühlsamer im Umgang mit anderen Menschen war als sie selbst. Er war intelligent und talentiert, doch unglücklicherweise war dies im traditionellen Schulsystem niemals erkannt worden.

„Du willst also wissen, warum ich dir geholfen habe?“, fragte sie schließlich.

„Ja.“

„Ich schätze, dafür hat es eine Menge Gründe gegeben. Zum einen haben die Lehrer mich darum gebeten. Und zum anderen habe ich mich nicht so sehr von den anderen Mädchen der Silver Glen High unterschieden. Ich wollte Zeit mit dir verbringen.“

Nachdenklich strich er sich über das Kinn. „Und das ist alles?“

„Nein.“ Es war Zeit, endlich mit der Wahrheit herauszurücken. „Ich wollte, dass du Erfolg hast. Denn ich habe die ganze Zeit über gewusst, wie sehr du es gehasst hast, dich so …“

„… dumm zu fühlen?“, schlug er verärgert vor.

Überrascht darüber, dass er anscheinend immer noch an seiner Intelligenz zweifelte, sah sie ihn an. „Liebe Güte, Dylan. Du bist ein erfolgreicher und respektierter Geschäftsmann. Du arbeitest, obwohl du es eigentlich gar nicht nötig hättest. Du hast aus dem Silver Dollar etwas ganz Besonderes gemacht. Wen kümmert es schon, dass du in der Schule Probleme gehabt hast? Wir sind doch keine Kinder mehr. Du hast mehr als genug bewiesen, was du alles kannst.“

Aufgewühlt sah er sie an. „Und was ist mit dir, Mia?“

„Ich arbeite in der medizinischen Forschung, in der Nähe von Raleigh und Durham. Mein Team und ich haben Impfstoffe für Kinder verbessert.“

„Siehst du. Und ich verkaufe Bier.“

„Jetzt sei bitte nicht albern“, erwiderte sie verärgert. „Das ist doch kein Wettbewerb.“

„Natürlich nicht. Für dich bin ich ganz bestimmt nie eine Herausforderung gewesen. Wie viele Sprachen sprichst du eigentlich?“

Sein Sarkasmus tat weh. Schließlich hatte sie nicht darum gebeten, intelligent zu sein. Um ehrlich zu sein, hatte sie sich mehr als einmal gewünscht, nicht mehr als die sprichwörtliche hübsche, etwas beschränkte Blondine sein zu dürfen. Sie sah zu der friedlich schlafenden Cora hinüber.

„Ich gehe jetzt besser“, sagte sie leise. „Glaub mir, ich hatte nicht vor, in der Vergangenheit rumzuwühlen. Es war schön, dich wiederzusehen.“

Dylan stand im selben Moment auf wie sie. „Bitte geh nicht“, sagte er beschämt. „Ich bin ein Mistkerl. Es ist ja nicht deine Schuld, dass du so ein Genie bist.“

„Ich bin eine Frau“, erklärte sie. „Und vielleicht geht es dir ja besser, wenn du erfährst, dass mein Leben ein totales Chaos ist.“ Ihre Stimme versagte, und unfreiwillig musste sie schluchzen. Jetzt konnte sie nicht mehr zurückhalten, was sich seit so vielen Stunden in ihr angestaut hatte.

Sie fühlte sich so allein und verunsichert, dass ihr kaum Luft zum Atmen blieb – und sie kam sich kein Stück intelligent vor. Im Grunde empfand sie nichts außer Panik und Verzweiflung. Beschämt schlug sie die Hände vor das Gesicht. Von allen Menschen auf der Welt musste ausgerechnet Dylan Zeuge ihres unvermeidlichen Zusammenbruchs werden!

Plötzlich spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter. „Setz dich, Mia. Alles wird wieder gut.“

„Das kannst du doch gar nicht wissen“, widersprach sie schluchzend.

„Hier, nimm das.“ Er zog ein weißes Baumwolltaschentuch aus der Jeans hervor, das eine tröstliche Wärme verströmte, als Mia sich die Tränen damit trocknete. Immer noch fühlte sie sich ganz leer und schwach.

Behutsam zog Dylan sie aufs Sofa, und zeitgleich sahen sie zu Cora hinüber, um sich zu vergewissern, dass das Mädchen noch schlief.

„Keine Sorge“, sagte Mia und versuchte zu lachen. „Ich bekomme schon keinen Nervenzusammenbruch.“

Als er lächelte, bemerkte sie ein sexy Grübchen auf seiner Wange. „Warum erzählst du nicht einfach, was los ist?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Ich habe die ganze Nacht Zeit“, entgegnete er ernst.

Er schien tatsächlich besorgt um sie zu sein, was Mia schließlich nachgeben ließ. Es konnte ja nicht schaden, die Meinung eines Unbeteiligten zu hören. Sie stand vor einer entscheidenden Weggabelung ihres Lebens und sah möglicherweise den Wald vor lauter Bäumen nicht, weil sie viel zu tief in der Sache drinsteckte.

„Okay“, sagte sie. „Du hast es ja nicht anders gewollt.“

„Fang ganz von vorne an“, schlug er vor und streckte einen seiner muskulösen Arme über die Sofalehne, sodass Mia sich seiner Nähe und seines erregenden Duftes deutlich bewusst wurde. Die Khakihose und das dunkelblaue Poloshirt, auf das der Name der Bar gestickt war, unterstrichen Dylans männliche Ausstrahlung.

Da ihre Hände zitterten, verschränkte Mia sie auf dem Schoß. „Als ich neunundzwanzig geworden bin, wurde mir klar, dass ich ein Baby will. Ich weiß, das ist voll klischeehaft, aber ich habe meine biologische Uhr wirklich ticken gehört.“

„Hat der Mann in deinem Leben genauso gedacht?“

„Zu der Zeit gab es keinen Mann in meinem Leben.“

„Und wer sollte dann der Vater werden?“

„Niemand“, erwiderte sie schlicht. „Ich hatte einen guten Job und konnte für mich selbst sorgen. Daher habe ich beschlossen, dass ich ein Kind auch allein erziehen kann.“ Sie konnte ihm keinen Vorwurf machen, als er sie daraufhin skeptisch ansah. Im Nachhinein betrachtet hatte sie sich damals selbst überschätzt.

„Aber man braucht doch trotzdem auch einen Mann für die Zeugung?“

Unwillkürlich errötete sie verlegen. „Nach den nötigen Untersuchungen in einer Kinderwunschklinik wusste ich, dass ich völlig gesund bin – und dann habe ich mich für Erbgut aus der Samenbank entschieden.“

„Ich vermute, du hast dir einen Doktoranden ausgesucht, der auch so schlau ist wie du.“

Weiter hätte er nicht danebenliegen können. „Nein“, erwiderte sie und schüttelte heftig den Kopf. „Das hätte ich meinem Kind niemals angetan. Ich wollte, dass es ein normales Leben führen kann.“

„Himmel, Mia, willst du mir etwa erzählen, dass du ein dummes Baby haben wolltest?“, fragte er völlig entgeistert.

„So kann man das nicht sagen“, verteidigte sie sich. „Aber ich habe mich für einen Handwerker mit durchschnittlicher Intelligenz entschieden.“

„Warum denn das?“

„Weil mein Kind glücklich werden soll.“

Dylan wusste wirklich nicht, was er sagen sollte. Gerade hatte sie ihm mehr von sich offenbart, als er je für möglich gehalten hatte. Erst jetzt begann er zu verstehen, wie schmerzhaft ihre Kindheit und Jugend als Hochbegabte gewesen sein mussten – völlig anders als seine Schulkarriere, aber nicht weniger schwierig.

Glücklicherweise klopfte es in diesem Moment an der Tür, sodass er nichts auf ihre Bemerkung erwidern musste. Kurz darauf saßen sie bei Hamburgern und Cola einträchtig zusammen.

Mia aß mit gesundem Appetit. „Das ist wirklich total lecker“, sagte sie nach einer Weile. „Vielen Dank. Seit Tagen habe ich kaum was anderes als Tiefkühlpizza gegessen. Meine Mom hat mir zwar in der ersten Woche geholfen, aber das Baby war schließlich doch zu viel für sie. Da habe ich sie überredet, wieder nach Hause zu fahren.“

Fragend sah er sie an, während er sich eine weitere Portion French Fries nahm. „Ich weiß immer noch nicht, wie deine Geschichte weitergeht.“

„Ich hatte gehofft, dass du sie vielleicht gar nicht mehr hören willst. Die ganze Angelegenheit lässt mich nicht gerade in einem guten Licht dastehen“, erwiderte sie und wischte sich etwas Ketchup von den Lippen.

Zu seinem großen Erstaunen bemerkte Dylan, wie ihn mit einem Mal heftige Erregung erfasste. Die Mia, die ihm gegenübersaß, war schlank und bewegte sich anmutig. Obwohl sie weder Make-up noch Schmuck trug, umgab sie eine Aura verführerischer Weiblichkeit. Ganz anders als in der Highschool.

Da hatte er sie zwar einmal geküsst, aber mehr aus Neugierde denn aus Zuneigung. Damals hatte ihn die Hitze völlig überrascht, die ihn daraufhin durchströmt hatte. Er brauchte ihre Hilfe in der Schule und konnte sich nicht leisten, sie zu verlieren, nur weil seine Libido mit ihm durchging. Außerdem war sie damals ganz und gar nicht sein Typ gewesen – ein Mädchen mit einem Körper ohne weibliche Rundungen. Sie war schüchtern und ruhig gewesen und hatte sich trotzdem mehr als einmal gegen ihn durchgesetzt, wenn Dylan mal wieder keine Lust zum Lernen gehabt hatte.

Rasch versuchte er, wieder an etwas anderes zu denken, und lehnte sich zurück. „Ich bin ganz Ohr.“

Mia beendete ihre Mahlzeit und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. „Weißt du“, sagte sie stirnrunzelnd. „Künstliche Befruchtung ist eine ziemlich teure Angelegenheit. Ich war jung und gesund und hatte geglaubt, dass ich gleich beim ersten Mal schwanger werden würde.“

„Aber das bist du nicht?“

„Nein. Und jedes Mal, wenn ich wieder meine Tage bekam, habe ich vor Enttäuschung geweint.“

„Warum ist es dir so wichtig gewesen?“

Geschockt sah sie ihn an, so als ob ihr noch nie jemand diese Frage gestellt hätte. „Ich wollte auch mal jemanden haben, den ich lieben kann. Vielleicht weißt du es ja nicht mehr, aber meine Eltern sind schon älter gewesen. Meine Mom war dreiundvierzig, als ich auf die Welt gekommen bin. Ich liebe sie wirklich sehr, und ich kann verstehen, dass sie ihren Ruhestand lieber im Süden verbringen wollten. Wir sehen uns nicht besonders oft.“

„Warum denn nicht?“

Sie seufzte. „Ich habe zufällig in einem Tagebuch meiner Mutter gelesen, dass sie eigentlich gar nicht mit mir gerechnet hatten – meine Eltern hatten im Grunde nie Kinder gewollt. Ich bin sozusagen ein Unfall gewesen. Klar, sie sind stolz auf mich gewesen, aber sie haben nie so richtig gewusst, was sie mit mir anfangen sollen. Aber sie haben ihr Bestes gegeben, und dafür bin ich ihnen dankbar.“

Unwillkürlich musste Dylan an seine große, liebevolle, wenn auch manchmal etwas chaotische Familie denken – und daran, wie seine Mutter ihre Söhne auch heute als erwachsene Männer immer noch in den Arm nahm und küsste. „Das tut mir leid“, sagte er leise. „Das ist bestimmt nicht leicht gewesen.“

„Jetzt weißt du also, warum ich ein Baby wollte“, entgegnete Mia achselzuckend. „Ich habe es acht Mal versucht, bis der Arzt mir erklärt hat, dass ich schwanger bin. Das war der glücklichste Tag meines Lebens.“

Es überraschte Dylan ein wenig, dass sie gerade eben noch geweint hatte. „Ist es denn eine schwierige Schwangerschaft gewesen?“

„Oh, nein. Überhaupt nicht.“

„Was ist dann schiefgegangen? Warum bist du nach Silver Glen zurückgekehrt? Und weshalb bist du in meine Bar gekommen?“

Erschöpft lehnte sie sich zurück. „Tja, wegen einer Verkettung ungünstiger Zufälle“, sagte sie. „Ich hatte einen gut bezahlten Job und etwas Geld gespart, das ich dann allerdings für die Kinderwunschbehandlungen aufgebraucht habe. Doch deswegen habe ich mir keine Sorgen gemacht, denn ich hätte einfach den Gürtel etwas enger geschnallt und wieder etwas angespart. Doch als ich aus dem Mutterschutz kam, hatte sich auf der Arbeit alles verändert.“

„Wie meinst du das?“

„Während meiner Abwesenheit ist der Forschungsfond aus Kostengründen für meine Abteilung gestrichen worden – und unser Team wurde aufgelöst. Ich hatte also ein neugeborenes Kind – und keinen Job. Und zur Krönung hat meine Mitbewohnerin, mit der ich mir ein Apartment geteilt habe, beschlossen, mit ihrem Freund zusammenzuziehen.“

Er beugte sich zu ihr hinüber. „Das ist echt mieses Karma“, meinte er mitleidig.

Traurig lachte sie leise. „Ich wäre wahrscheinlich nicht so ein Nervenbündel, wenn die Kleine nachts schlafen würde. Aber gleichgültig, was für Bücher ich gelesen und welche Theorien ich überprüft habe – nichts funktioniert. Cora ist nicht davon abzubringen, tagsüber zu schlummern und nachts hellwach zu sein.“

„Das geht mir allerdings auch manchmal so.“

Unwillkürlich musste sie lächeln, obwohl ihr gar nicht danach zumute war. Das war typisch Dylan. So war er schon immer gewesen, wie ihr jetzt wieder einfiel. Seine gute Laune war einfach ansteckend, und er war niemals schlecht drauf. Dylan hatte sich nie etwas auf sein gutes Aussehen und seinen Reichtum eingebildet. All die Jahre auf der Highschool hatte er alles darangesetzt, einer von den anderen zu sein – und niemand Besonderes.

Sicher hält er mich für völlig durchgeknallt, dachte Mia verlegen. Höchste Zeit zu gehen. Doch gerade als sie aufstehen wollte, begann Cora sich zu regen und leise zu schreien.

Gerührt betrachtete Dylan die kleinen Hände über der weichen Babydecke. „Da bekommt jemand aber mächtig schlechte Laune.“

„Ich muss ihr was zu trinken geben.“

„Hast du Babynahrung dabei? Ich könnte jemand von meinen Leuten losschicken, um etwas zu besorgen.“

„Ähm, vielen Dank. Nicht nötig. Ich wollte eigentlich sagen, ich muss sie jetzt stillen.“

Augenblicklich wurde er rot, und sie hätte schwören können, dass er flüchtig auf ihre Brüste sah, bevor er verlegen die Wand anstarrte. „Natürlich. Kein Problem. Im Schlafzimmer ist ein gemütlicher Sessel. Meinst du, das geht?“

„Das wäre super.“ Rasch nahm sie eine Windel und Feuchttücher aus der Wickeltasche und bemerkte, wie Dylan jede ihrer Bewegungen beobachtete. „Ich brauche auch nicht lange. Fühl dich bloß nicht verpflichtet, mir Gesellschaft zu leisten. Es hat mich echt gefreut, dich wiederzusehen. Ich gehe dann nachher einfach, wenn ich hier fertig bin.“ Vorsichtig stand sie auf und wiegte Cora sanft in den Armen, um sie zu beruhigen.

„Quatsch“, sagte Dylan. „Ich will gar nicht, dass du gehst. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob ich Cora ein bisschen halten darf, wenn du sie gefüttert hast? Würde dir das was ausmachen?“

Überrascht sah sie ihn an. Der große, muskulöse Dylan Kavanagh wollte ein Baby in den Armen halten? Allein bei der Vorstellung wurde sie von einem angenehm warmen Kribbeln durchflutet. Woran lag es bloß, dass Frauen förmlich wie Eis in der Sonne dahinschmolzen, sobald sie einen Mann mit Baby sahen?

„Natürlich habe ich nichts dagegen. Aber hast du nicht noch was anderes vor?“

Er steckte die Hände in die hinteren Hosentaschen und lächelte. „Machst du Scherze? Nach all der Zeit ist Mia Larin wieder zurück. Das ist die spannendste Begegnung, die ich seit Monaten hatte. Jetzt gib der Kleinen erst mal was zu trinken. Ich warte so lange hier.“

3. KAPITEL

Dylan beobachtete Mia dabei, wie sie ins Nebenzimmer ging und die Tür hinter sich zuzog. Er fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er sich nicht vorhin in der Bar neben sie gesetzt hätte. Ob sie dann wohl einfach wieder mit dem Baby ins Auto gestiegen und fortgefahren wäre?

Die Vorstellung gefiel ihm ganz und gar nicht. Hatte sie ihn absichtlich aufgesucht, oder war ihre Begegnung wirklich Zufall gewesen?

Unruhig wanderte er im Zimmer auf und ab und rätselte, wie lange es wohl dauern mochte, ein Baby zu stillen. Allerdings war es nicht sehr clever, sich Mia mit nackten Brüsten vorzustellen, denn mit einem Mal verspürte er den unerklärlichen Drang, ihr dabei zuzusehen.

Da Dylans Mutter als Witwe ihre sieben Söhne großgezogen hatte, hatte er eine Ahnung, wie schwer es alleinerziehende Eltern hatten, und auf Frauen traf das ganz besonders zu. Es wurde immer so leichthin gesagt, dass Mütter heutzutage Familie und Beruf problemlos miteinander vereinen konnten – Dylans Erfahrung nach jedoch nur, wenn sie sich hundertprozentig auf ihren Partner verlassen konnten.

Mia jedoch hatte niemanden.

Plötzlich erinnerte sich Dylan an unzählige Details aus seiner Schulzeit. Daran, dass Mia damals an ihrem Radiergummi geknabbert hatte. An das leise Seufzen, das sie ausgestoßen hatte, wann immer sie glaubte, Dylan strengte sich nicht genügend an. Die kleine Stirnfalte, die immer dann zu sehen war, wenn sie sich auf etwas konzentrierte.

Seltsamerweise hatte er die Sache mit dem Radiergummi schon damals niedlich gefunden, denn so hatte Mia ein bisschen menschlicher gewirkt – und nicht nur wie eine hochbegabte Überfliegerin. Die meiste Zeit hatte er sich in ihrer Gegenwart geschämt und war wütend darüber gewesen, dass sie Dinge spielend leicht begriff, die ihm so unendlich schwergefallen waren.

Ohne zu wissen, was er tat, ging er zur Tür hinüber, die ein Stückchen offen stand, weil Mia sie nicht ins Schloss gezogen hatte. Der Spalt war gerade breit genug, dass er einen Blick auf Mias Gesicht werfen konnte. Der friedliche Ausdruck in ihrem Blick rührte ihn zutiefst. Wie gebannt starrte er auf ihre nackte Brust und stützte sich Halt suchend am Türrahmen ab.

Natürlich wusste er, dass sein Verhalten unverzeihlich war, doch er konnte einfach nicht den Blick abwenden und musste die Harmonie zwischen Mutter und Tochter genießen. Die ganze Welt schien nur für solche Momente gemacht worden zu sein.

Nachdem Dylan die vergangenen Monate beobachtet hatte, wie sehr Liam sich unter Zoes Einfluss verändert hatte, fühlte er sich unerklärlicherweise verletzlicher als je zuvor. Unwillkürlich begann er sich zu fragen, ob er sich auch so ein Band der Liebe zu einer Frau wünschte.

Als Mia begann, ihre Bluse zuzuknöpfen, zog er sich hastig zurück. Kurz darauf betrat sie das Wohnzimmer, und er blätterte scheinbar interessiert in einem Magazin. Unschuldig lächelnd sah er zu ihr auf. „Und? Ist sie schon satt?“

„Das kann man wohl sagen. Im Augenblick ist sie zufrieden – ein guter Zeitpunkt, falls du sie wirklich mal halten willst.“

„Natürlich möchte ich das.“ Als er Mia das Baby abnehmen wollte, streifte er versehentlich ihre Brust. Liebe Güte, er war ein erwachsener Mann, und eigentlich hätte ihn das nicht in Verlegenheit bringen dürfen. Doch mit einem Mal konnte er nur noch daran denken, wie verführerisch sich Mias Brust angefühlt hatte. Rasch drehte er sich um, damit Mia nicht bemerkte, wie er errötete. „Sie ist einfach wunderschön.“

„Das finde ich auch, aber ich glaube, ich bin nicht ganz unparteiisch.“

Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Mia sich auf das Sofa setzte und ihn dabei beobachtete, wie er mit dem Kind auf dem Arm langsam hin und her ging und dabei die alten Lieder summte, die er noch von früher kannte. Mit großen dunklen Augen, die denen ihrer Mutter so ähnlich sahen, blickte Cora ihn unverwandt an.

„Ich glaube, sie flirtet mit mir“, sagte er leise, doch Mia antwortete nicht. Er drehte sich um und bemerkte, dass sie sich auf das Sofa gekuschelt hatte und offensichtlich eingeschlafen war.

Kopfschüttelnd sah er wieder zu Cora. „Wir müssen Mommy eine kleine Auszeit gönnen. Sie ist völlig erledigt.“

Nachdem er eine Weile überlegt hatte, beschloss er, leise nach unten zu gehen, damit Mia eine Weile ungestört schlafen konnte. Immerhin hatte Mia ihr Baby mit in seine Bar gebracht, also hätte sie bestimmt nichts dagegen.

Als Mia aufwachte, wusste sie einen Moment überhaupt nicht, wo sie sich befand. Hatte Cora eben geschrien? Einen Moment lauschte sie angestrengt, bis ihr wieder einfiel, wo sie war. Sie setzte sich auf, doch von Dylan und Cora war keine Spur zu sehen.

Nur keine Panik! ermahnte sie sich und rieb sich müde über das Gesicht. Das kleine Nickerchen hatte zwar ein wenig geholfen, war aber nichts im Vergleich zu einer richtig durchgeschlafenen Nacht.

Nachdem sie ihre Sachen zusammengepackt hatte, strich sie sich die Bluse glatt und ging nach unten. Immer noch herrschte reger Betrieb in der Bar, und als sie auf die Uhr sah, stöhnte sie leise auf. Es war bereits nach Mitternacht. Endlich entdeckte sie in einer Sitzecke Dylan, der „Backe, backe Kuchen“ mit ihrer Tochter spielte und von einer Schar entzückter Frauen umringt war. Ja, das war der Dylan, den sie von damals kannte. Trotzdem war sie nicht sicher, ob sie es gut fand, dass er ausgerechnet ihr Baby dazu benutzte, um bei seinen weiblichen Fans zu punkten.

Da es ihr immer noch nicht leichtfiel, vor Fremden zu sprechen, sammelte sie zunächst all ihren Mut, bevor sie zu Dylan hinüberging und sich räusperte, damit er auf sie aufmerksam wurde. „Ich muss jetzt los“, sagte sie.

Zumindest besaß Dylan den Anstand, verlegen zu wirken. „Tut mir leid. Ich habe dich gar nicht gesehen. Hast du gut geschlafen?“

Mit einem Mal schienen seine Bewunderinnen Mia mit gemischten Gefühlen zu beäugen: geschockt, verächtlich, abschätzend.

Am liebsten hätte Mia ihnen gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, aber dafür schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein. Stattdessen streckte sie die Arme nach Cora aus. „Ich nehme sie wieder. Vielen Dank für das Essen.“

Dylan stand auf und kam aus der Sitzecke heraus, wobei sein Gefolge sich allmählich zerstreute. Rasch ging er zu Mia hinüber. „Jetzt hab es doch nicht so verdammt eilig.“

„Woher kommt’s, dass du so gut mit Babys umgehen kannst? Oder hast du das nur gemacht, um deine Groupies zu beeindrucken?“

Stirnrunzelnd sah er sie an, machte jedoch keine Anstalten, ihr Cora zu reichen. „Die kleine Mia, die ich von früher kenne, ist nie sarkastisch gewesen.“

„Die kleine Mia von früher hat sich ja auch nie getraut, mal den Mund aufzumachen. Ich bin kein Kind mehr.“

Er sah sie an, so wie ein Mann eine Frau ansieht. „Nein, das bist du definitiv nicht.“

Der hat ja wirklich Nerven, dachte sie verärgert. Flirtete wahllos mit jeder herum, sogar mit ihr, obwohl er nachweislich überhaupt kein Interesse an ihr hatte. „Gib mir das Kind!“

Doch er drückte Cora etwas fester an seine Brust und wies mit dem Kopf nach hinten. „Komm mit in mein Büro. Gib mir fünfzehn Minuten Zeit. Wenn du danach immer noch gehen willst, werde ich dich nicht daran hindern.“

Da sie verwirrt, müde und ziemlich deprimiert war, brachte sie einfach nicht die Kraft für Widerworte auf. „Okay. Fünfzehn Minuten.“

In Dylans Büro herrschte das Chaos. Auf dem antiken Eichentisch, der Dylan wohl als Schreibtisch diente, stapelten sich ungeordnete Rechnungen und Quittungen. Dylan bedeutete Mia, auf einem der zwei Stühle Platz zu nehmen. „Ich möchte dir ein Angebot machen.“

„Dann musst du es ja ziemlich nötig haben, wenn du etwas von einer stillenden Mutter mit schlechtem Haarschnitt und unrasierten Beinen willst.“

Er zuckte zusammen. „Du bist früher wirklich netter gewesen, Mia Larin.“

„Ich bin jetzt eine Mom und kann es mir nicht mehr leisten, zu allem Ja zu sagen. Würdest du jetzt bitte die Güte besitzen, mir meine Tochter wiederzugeben?“

„Du vergisst, dass ich fünf jüngere Brüder habe“, sagte er und küsste Coras Stirn. „Ich habe über die Jahre also schon eine Menge Windeln gewechselt.“

„Aber nicht in der letzten Zeit.“

„Nein, das stimmt.“

„Was willst du eigentlich von mir, Dylan?“, fragte sie ungeduldig.

Sein charmantes Lächeln hätte selbst einen Gletscher zum Schmelzen gebracht. „Ich will dir einen Job anbieten.“

„Und was soll ich tun?“

Vage deutete er auf das Chaos auf dem Tisch vor ihnen. „Werde meine neue Buchhalterin.“

„Das ist lächerlich. Darin hab ich überhaupt keine Erfahrung.“

„Du bist ein Genie“, erwiderte er und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Schreibtisch, sodass Mia einen genauen Blick auf seine sexy Jeans werfen konnte. „Die Buchhaltung für den Silver Dollar Saloon ist ja nicht gerade so anspruchsvoll wie Weltraumforschung oder so was.“

„Ich brauche deine Hilfe nicht, Dylan. Aber vielen Dank für dein Angebot.“ Als sie beobachtete, wie er geistesabwesend den Kopf ihrer Tochter streichelte, wusste sie, dass sie möglichst rasch die Flucht ergreifen sollte. Dylan war durch und durch ein echter, starker Mann, aber seine Berührungen schienen unglaublich zärtlich zu sein. Mia schluckte hart.

„Wir würden uns gegenseitig helfen“, widersprach er. „Ich biete dir außer dem Job Kost und Logis – so lange, bis du das Essen aus der Küche nicht mehr sehen kannst. Ich wohne fünf Meilen von hier, also brauchst du nicht zu befürchten, dass ich dir im Weg herumstehe. Wir haben eine Alarmanlage – du wärst also völlig sicher hier, nachdem der Saloon geschlossen hat. Die Schalldämmung ist ziemlich gut, also würdest du oben auch nichts von der Bar hören.“

„Warum tust du das?“

„Weil du Zeit brauchst, um dein Leben wieder in den Griff zu bekommen – und ich brauche eine neue Buchhalterin. Einen Krippenplatz würdest du auch nicht benötigen – Cora ist jederzeit hier willkommen. Das Gehalt ist vielleicht nicht so hoch wie in deinem Forschungslabor, aber gut genug, um dein Auskommen zu haben, bis du dir einen neuen Job gesucht hast.“

Sie dachte tatsächlich über seinen Vorschlag nach – was wieder einmal mehr zeigte, wie verzweifelt sie wirklich war. Bevor sie sich auf eine neue Stelle bewerben konnte, würde sie erst einmal ihren Lebenslauf gründlich aktualisieren müssen. Und die Vorstellung, noch mehr Zeit mit Cora verbringen zu können, war einfach verführerisch. Die Buchhaltung konnte sie gut erledigen, wenn ihre Tochter schlief. Trotzdem war sie noch nicht ganz überzeugt.

„Warum bietest du gerade mir diese Chance?“, fragte sie.

„Du weißt genau, warum“, entgegnete er ruhig und sah ihr in die Augen. „Ich schulde dir mehr, als ich je wiedergutmachen kann. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir das damals nie gezeigt habe. Danke, Mia – für alles. Bitte lass mich das hier für dich tun. Es würde mir wirklich viel bedeuten.“

„Ist das dein Ernst? Das ist doch alles ziemlich lange her, Dylan. Und es hat mir wirklich Spaß gemacht, dir zu helfen. Du schuldest mir gar nichts.“

„Dann tu es doch Cora zuliebe. Jetzt hast du die Chance, noch ein paar Wochen mehr mit ihr zu verbringen. Ist das nicht Grund genug für dich, Ja zu sagen?“

Fünfundvierzig Minuten später checkte Mia in einem überhitzten Motelzimmer an der Interstate ein, obwohl Dylan alles versucht hatte, sie davon zu überzeugen, die Nacht im Apartment über der Bar zu verbringen. Doch sie benötigte jetzt einfach ein bisschen Abstand, um über sein unerwartetes Angebot nachzudenken. Schließlich verfügte er über die beinahe unheimliche Fähigkeit, die Menschen von seiner Meinung zu überzeugen – und sie wollte ihre Entscheidung erst nach sorgfältigem Abwägen der verschiedenen Aspekte fällen.

Die Vorteile dieses Arrangements lagen auf der Hand. Zeit mit ihrer Tochter. Ein regelmäßiger Gehaltsscheck. Keine hektische Wohnungssuche, wenn sie in einer Woche aus ihrem Apartment ziehen musste. Außerdem war es ja nicht so, als ob ihr viele Alternativen blieben. Natürlich würde sie früher oder später wieder eine Anstellung in einer Forschungsinstitution bekommen – möglicherweise sogar mit einer firmeninternen Kinderbetreuung. Doch es würde einige Zeit in Anspruch nehmen, einen solchen Arbeitgeber zu finden.

Ging sie auf Dylans Vorschlag ein, hätte sie erst einmal ein Dach über dem Kopf, müsste sich keine Sorgen über ihren Lebensunterhalt machen und könnte noch etwas Zeit mit Cora verbringen. Dazu musste man doch einfach Ja sagen – oder nicht?

Warum also zögerte sie?

Es lag einzig und allein an Dylan. Als junges Mädchen hatte sie für ihn geschwärmt – heute, als erwachsene Frau, waren die Reaktionen ihres Körpers auf seine Gegenwart jedoch beängstigend intensiv.

Ihre bisherigen Dates hatten sich bisher entweder als katastrophal oder enttäuschend herausgestellt. Bis zu ihrem Besuch im Silver Dollar Saloon hatte sie nicht geglaubt, sich überhaupt noch für Sex oder Männer zu interessieren. Doch seitdem sie Dylan wiederbegegnet war, musste sie der Wahrheit ins Gesicht sehen.

In seiner Gegenwart fühlte sie sich plötzlich nicht mehr auf ihre akademischen Leistungen reduziert, sondern vielmehr wie eine Frau aus Fleisch und Blut mit sinnlichen Sehnsüchten. Zum ersten Mal wirkte die Gegenwart eines Mannes sexuell stimulierend auf sie. Allerdings bezweifelte sie, dass es Dylan mit ihr genauso erging.

Natürlich war ihr die Arbeit wichtig und erfüllte sie. Sie liebte die geistige Herausforderung. Doch gelegentlich kam sie sich wie ein Roboter vor. Niemand schien sich für ihre Gefühle, geschweige denn für ihre Bedürfnisse zu interessieren.

Bei Dylan hingegen war das völlig anders. Seine Gegenwart wirkte belebend und elektrisierend auf Mia – und er war der erste Mann, mit dem es ihr so erging, obwohl das Gefühl mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.

Erleichtert bemerkte sie, dass Cora in ihrem Reisebettchen endlich wieder eingeschlafen war. Vielleicht hatte Dylan ihre Tochter mit seinen Spielchen so erschöpft, dass sie ausnahmsweise mal nachts schlief.

Nachdem sie leise geduscht hatte, legte Mia sich erschöpft ins Bett. Sie hatte Dylan versprochen, sich am nächsten Tag bei ihm zu melden, und von ihm die Nummer der Bar sowie seine private Mobiltelefonnummer erhalten.

Angestrengt dachte sie nach. Vielleicht könnte sie sechs oder acht Wochen in Silver Glen bleiben, um eine neue Arbeit zu bekommen und möglicherweise mit Dylan ins Bett zu gehen. Vielleicht gelang es ihr dann, ihn sich ein für alle Mal aus dem Kopf zu schlagen.

Bei dem Gedanken stockte ihr der Atem, und Verlangen begann zwischen ihren Schenkeln zu pulsieren. Vielleicht brachte sie ja tatsächlich den Mut auf, ihm zu zeigen, was sie von ihm wollte. Nach einer kurzen, sexuell erfüllenden Affäre würde sie wieder nach Raleigh ziehen, sobald sie eine neue Stelle gefunden hatte.

Bei der Vorstellung beschleunigte sich ihr Herzschlag. Wie, um alles auf der Welt, kam sie bloß auf den Gedanken, einen so attraktiven Mann wie Dylan Kavanagh verführen zu können?

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, griff sie nach ihrem Handy und schrieb eine Textnachricht.

Ich mache es – aber nur, bis ich wieder eine neue Anstellung in meinem Bereich gefunden habe. Also nur bis auf Weiteres – wirklich.

Nachdem sie die SMS gesendet hatte, überlegte sie, wen sie eigentlich überzeugen wollte.

Es vergingen kaum anderthalb Minuten, bevor Dylans Antwort sie erreichte. Ob sie ihn wohl beim Schlafen gestört hatte? Unwillkürlich erschauerte sie bei der Vorstellung, wie er sich verführerisch männlich zwischen den Laken rekelte.

Gut. Brauchst du Hilfe beim Umzug?

Nein, Freunde helfen mir beim Packen und Babysitten. Wann soll ich anfangen?

In einer Woche? Zehn Tagen? Je eher, desto besser. Ich ersticke im Schriftkram.

Falls du zwischenzeitlich jemand anders finden solltest, gib mir bitte Bescheid.

Ich will niemand anderen. Ich will dich.

4. KAPITEL

Nachdem Dylan die Nachricht losgeschickt hatte, stöhnte er auf. Die letzte SMS klang ein wenig zweideutig. Aber er war ziemlich sicher, dass die anständige Mia nicht auf derartige Gedanken kommen würde. Denn er wollte wirklich nur wiedergutmachen, was sie vor so vielen Jahren für ihn getan hatte. Jeder ehrenwerte Mann wusste, dass man seine Schulden beglich.

In den vergangenen Jahren hatte er öfter an Mia gedacht – hauptsächlich weil ihn sein schlechtes Gewissen geplagt hatte. Jetzt bot sich ihm endlich die Gelegenheit, etwas von seinem rüpelhaften Verhalten auf der Highschool wettzumachen.

Er drehte sich in seinem Bett herum, bis er auf dem Bauch lag und spürte, wie ihn allmählich die Müdigkeit übermannte. Bei solchen Gelegenheiten beneidete er seinen Bruder Liam. Wie es wohl sein mochte, jeden Abend mit der Liebe seines Lebens einzuschlafen?

Zoes unbeschwertes Verhalten war Balsam für Liams ernste Seele gewesen. Seit dem Verschwinden ihres Vaters hatte er als ältester Sohn die Verantwortung übernommen und ihrer Mutter im Silver Beeches Lodge, dem luxuriösen Resort oberhalb von Silver Glen, geholfen. In den vergangenen Monaten hatte Liam jedoch mehr gelacht als während seiner gesamten Kindheit.

Seufzend überlegte Dylan, dass er vor Mias Ankunft das Apartment neu streichen lassen und die Möbel verrücken müsste, um Platz für Coras Bettchen zu schaffen … und vielleicht sogar … Über diese Gedanken schlief er schließlich ein.

Glücklicherweise zählte Mia nicht zu den Menschen, die viel davon hielten, Besitztümer anzuhäufen. Ihr Gepäck bestand größtenteils aus Büchern, Regalen, Küchenzubehör und Kleidung. Mit der Hilfe ihrer Freundin Janette packte sie alles am Wochenende ein und lagerte es für drei Monate ein.

Noch immer hatte sie den Verdacht, dass Dylan den Arbeitsplatz nur für sie geschaffen hatte, weil er ihr auf diese Weise für ihre Bemühungen von damals danken wollte. Doch auf keinen Fall würde sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, acht oder zwölf Wochen mehr Zeit mit ihrer Tochter verbringen zu können und vielleicht sogar eine prickelnde Affäre mit Dylan zu haben – sozusagen als kleine Zugabe. Schließlich war er ein Mann und sie eine Frau. Sie musste sich nur darauf konzentrieren, dass er sich weniger für ihren IQ und mehr für ihre Kurven zu interessieren begann.

Als sie schließlich von ihrem alten Apartment fortfuhr und Janette zum Abschied im Rückspiegel winken sah, war Mia erschöpft, fühlte sich aber zum ersten Mal seit Wochen wieder voller Hoffnung. Sie freute sich wirklich darauf, nach Silver Glen zurückzukehren.

Fünf Stunden später bog sie in die Straße ein, in der sich das Silver Dollar befand, und musste heftig bremsen, um nicht mit einem Feuerwehrwagen zu kollidieren, der vor einer Absperrung stand.

Sie ließ das Wagenfenster herunter und wandte sich an einen der uniformierten Polizisten. „Was ist denn los?“

Der Cop zuckte mit den Achseln. „Feuer im Silver Dollar, aber mittlerweile ist wieder alles unter Kontrolle.“

„Ist was mit Dylan?“, fragte sie entsetzt.

„Niemand wurde verletzt, Ma’am“, erwiderte der Mann. „Es ist heute Morgen ausgebrochen, als sich niemand im Gebäude befunden hat.“ Misstrauisch sah er zu Cora, die im Kindersitz saß und begeistert an ihrem Schnuller saugte. „Wollen Sie etwa in die Bar?“

„Ich bin Mr. Kavanaghs neue Buchhalterin und soll in das Apartment über der Bar ziehen“, erklärte Mia hastig.

Mitleidig schüttelte der Beamte den Kopf. „Heute ganz bestimmt nicht. Ich hoffe, Sie haben einen Plan B. Die erste Etage ist völlig ausgebrannt.“

Missmutig lehnte Dylan an einem Laternenpfahl, während er abzuschätzen versuchte, was von seinem Saloon noch übrig war. Glücklicherweise war das Erdgeschoss – von den Schäden durch das Löschwasser einmal abgesehen – relativ unbeschädigt geblieben. Trotzdem würde es eine Weile dauern, bevor das Silver Dollar wieder seine Pforten öffnen konnte. Selbstverständlich würde er in der Zwischenzeit seine Angestellten weiterhin voll entlohnen. Blieb jedoch trotzdem noch das Problem mit seiner neuesten Mitarbeiterin – und ihrem Kind.

Als er überlegte, was er als Nächstes tun sollte, berührte ihn jemand sacht an der Schulter. Er drehte sich um und entdeckte Mia mit Cora auf dem Arm.

„Was ist passiert, Dylan?“, fragte sie besorgt.

„Wahrscheinlich meine eigene Schuld. Weil es letzte Woche so furchtbar heiß gewesen war, habe ich die Klimaanlage im Apartment heute Nacht auf voller Leistung durchlaufen lassen. Ich wollte nicht, dass dir oder dem Baby zu heiß wird, wenn ihr einzieht. Es hat wohl einen Kurzschluss gegeben, der das Feuer verursacht hat.“

Ausdruckslos sah Mia zum Gebäude hinüber, vor dem sich immer noch Feuerwehrleute und Brandermittler tummelten. Keiner wollte auch nur das geringste Risiko eingehen, dass eines der Nachbargebäude Feuer fing.

„Tja, das war’s dann wohl“, sagte sie schließlich.

„Was meinst du damit?“

„Das bedeutet, dass Cora und ich nach Raleigh zurückfahren werden“, erklärte sie resigniert.

„Mach dich nicht lächerlich“, erwiderte er. „An unserer Abmachung hat sich nichts geändert – außer dem Ort, an dem ihr beide schlafen werdet. Mein Haus ist groß genug für Gäste.“

„Ich bin kein Fall für die Wohlfahrt“, erklärte sie trotzig. „Das kommt überhaupt nicht infrage.“

Überrascht erkannte er, dass sie doch nicht so sanftmütig zu sein schien, wie er immer geglaubt hatte. „Ich habe dich eingestellt“, widersprach er. „Und ich werde dich auf Vertragsbruch verklagen, falls du jetzt fährst.“

„Quatsch!“ Zornig funkelte sie ihn an.

„Das Gebäude ist zwar im Moment im Eimer, aber ich habe immer noch den ganzen Papierkram zu erledigen.“

„Dann werde ich mich irgendwo einmieten, bis die Reparaturen abgeschlossen sind.“

„Mietwohnungen sind in Silver Glen nicht gerade zahlreich – und selbst wenn du was findest, musst du bestimmt für zwölf Monate unterschreiben. Mein Haus ist wirklich groß, und es würde mir überhaupt nichts ausmachen, wenn ihr bei mir wohnt.“

„Und falls Cora dich doch stört? Wenn sie zum Beispiel mitten in der Nacht weint?“

Lächelnd sah er sie an und spürte, wie seine Laune wieder stieg. „Damit komme ich schon klar. Komm schon, Mia. Spring über deinen Schatten. Wir sind doch alte Freunde.“

„Ich habe mich aber verändert und lasse mich nicht mehr herumstoßen.“

„Soweit ich mich erinnern kann, habe ich das auch nie mit dir getan. Ganz im Gegenteil – du hast mir immer gesagt, was ich tun sollte.“

„Das hätte ich nicht tun müssen, wenn du nicht so verdammt starrsinnig gewesen wärst.“

„Ich habe mich geändert“, erwiderte er und lächelte sie betont unschuldig an.

„Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.“

„Dann ist es also beschlossene Sache. Ich hole nur schnell mein Auto, und du fährst mir nach.“

„Noch habe ich nicht zugestimmt.“

„Aber du weißt ganz genau, dass du es tun wirst. Sieht ganz danach aus, als müsstest du die nächsten Wochen in meiner Gesellschaft verbringen. Kopf hoch, Mia, es wird schon nicht so schlimm werden.“

Mia hatte gewusst, dass Dylan Kavanagh reich war – das wusste schließlich jeder. Doch wenn man Zeit mit ihm verbrachte, dachte man irgendwann nicht mehr daran, denn er setzte alles daran, sich ganz normal zu geben. Keine Rolex, keine Silberlöffel.

Nachdenklich folgte sie Dylans großem schwarzen Pick-up aus der Stadt hinaus und unter einem grünen Blätterdach eine kurvige Landstraße entlang.

Obwohl bald Coras nächste Mahlzeit anstand, schlief das kleine Mädchen tief und fest. Schon bald bogen sie um eine letzte Kurve und hatten Dylans beeindruckendes Anwesen erreicht.

Das Gebäude wirkte wie ein anheimelnder, wahr gewordener Traum aus Stein und dunklem Holz und war umgeben von riesigen Laubbäumen.

So weit das Auge reichte, schienen farbenprächtige Wildblumen das Grundstück für sich erobert zu haben. Mia hielt hinter Dylan an und stieg aus ihrem Auto. Am liebsten hätte sie noch länger den herrlichen Anblick genossen, doch Cora machte, sobald der Motor ausgeschaltet war, die Augen auf.

Dylan kam zu ihr herüber, um ihr die Wickeltasche und den kleinen Koffer abzunehmen. „Du kannst dir ein Zimmer aussuchen“, erklärte er. „Im ersten Stock befinden sich vier Schlafzimmer, aber ich schätze mal, du willst Cora nicht immer die Treppe hoch- und runtertragen. Vielleicht gefällt dir ja das Gästezimmer im Erdgeschoss. Es hat sogar ein kleines Wohnzimmer, da kannst du das Babybett reinstellen, dann müsst ihr nicht im selben Raum schlafen.“

Kurz darauf betraten sie das Gebäude durch den Haupteingang, und Mia holte überrascht Luft. Das Innere des Hauses hätte auch gut und gern für ein exklusives Einrichtungsmagazin fotografiert werden können. Über dem Wohnbereich wölbte sich eine hohe Decke. Über drei Seiten verlief eine Galerie mit kunstvoll geschnitztem Geländer. Links neben dem Wohnbereich befand sich die Küche, auf der anderen Seite waren zwei große Suiten, wie Dylan erklärte.

Mia errötete bei der Vorstellung, dass sie im selben Flügel schlafen würde wie Dylan. Natürlich hätte sie sich auch einen der Räume im ersten Stock aussuchen können, aber Dylan hatte recht: Wer wollte schon ständig ein Baby hin und her tragen, wenn es sein Mittagsschläfchen halten oder eine frische Windel bekommen sollte?

In diesem Moment begann Cora leise zu wimmern und machte ihre Mutter unmissverständlich darauf aufmerksam, dass es höchste Zeit für ihre Mahlzeit wurde. Dylan deutete auf die rechte Haushälfte. „Wenn du durch die Küche gehst, kommst du zu einer Glasveranda. Da stehen auch ein paar bequeme Sessel. Es scheint, als hätte die Kleine langsam Hunger.“ Behutsam streichelte er den Kopf des Mädchens. „Sie ist wirklich ein kleiner Engel, oder?“

Mia nickte und hatte das Gefühl, ihre Knie müssten jeden Moment nachgeben, weil Dylan ihr so nahe war. „Wahrscheinlich ist es jetzt noch viel einfacher, mit ihr zu verreisen, weil sie sich eh noch nicht viel bewegen kann. Das ändert sich bestimmt in ein paar Monaten.“

Lächelnd deutete Dylan auf die andere Haushälfte. Unwillkürlich atmete Mia seinen verführerischen, männlichen Duft ein.

„Wenn du mir das zutraust, lade ich das Gepäck aus und baue das Bettchen auf, während du dich um die Kleine kümmerst.“

„Ich kann dich doch nicht die ganze Arbeit allein machen lassen“, protestierte sie schwach.

„Aber du kannst ja schlecht einen Säugling stillen und gleichzeitig auspacken, oder?“ Dylan legte einen Arm um ihre Schulter und führte sie in die Küche. „Man braucht ziemlich viel Personal, um ein Kind großzuziehen“, erklärte er lachend. „Wie wäre es mit einem einfachen ‚Danke, Dylan‘?“

„Danke, Dylan“, entgegnete sie seufzend, da ihr im Augenblick keine andere Wahl blieb.

„Schon viel besser. Und jetzt gib der Ärmsten mal was zu trinken, bevor sie noch röter im Gesicht wird. Ich kümmere mich um den Rest.“

In die Glasveranda, die ganz und gar anders eingerichtet war als das, was sie bisher vom Haus gesehen hatte, verliebte Mia sich sofort. Gemütliche Polstermöbel luden dazu ein, sich auf ihnen niederzulassen, um die nächsten Stunden dort zu verbringen. Eine Wand war vom Boden bis zur Decke mit Bücherregalen versehen, was Mia ein wenig überraschte, da sie wusste, wie sehr Dylan mit dem geschriebenen Wort auf Kriegsfuß stand.

Dieser Raum war ein wahr gewordener Traum, und Mia konnte sich im Geiste schon hier sitzen und mit Cora spielen sehen … Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da merkte sie, in welcher Gefahr sie bereits schwebte.

Hätte sie im Saloon gewohnt, wäre sie Dylan nur während der Öffnungszeiten der Bar begegnet – doch jetzt wohnte sie mit ihm in seinem abgelegenen Haus. Obwohl sie darüber nachgedacht hatte, ihn zu verführen, ahnte sie, dass es besser für sie war, wenn sie sich während ihres Aufenthalts in Silver Glen von ihm fernhielt.

Für ein flüchtiges Sexabenteuer war sie ohnehin nicht die Richtige. Sie würde sich niemals dazu überwinden können, körperliche Liebe lediglich als Spiel zu betrachten.

Sie setzte sich und legte die Beine auf eine Ottomane, bevor sie Cora an ihre Brust kuschelte und den Garten Eden betrachtete, der sich draußen vor der Veranda erstreckte. Zahlreiche Bäume, die perfekt zum Klettern geeignet schienen, wuchsen dort. Weshalb hatte Dylan so ein Haus für sich gebaut? Plante er etwa, eines Tages zu heiraten? Oder hatte seine geplatzte Verlobung ihm ein für alle Mal die Lust auf eine dauerhafte Beziehung geraubt?

Doch eigentlich spielte das keine Rolle. Es genügte Mia zu wissen, dass sie bei Dylan wohnen konnten, bis das Silver Dollar wieder instand gesetzt worden war. Dabei war es nicht unwahrscheinlich, dass sie dann Silver Glen längst schon wieder verlassen hatte.

Eifrig begann Cora zu trinken, und die leisen schmatzenden Geräusche, die sie dabei von sich gab, brachten Mia zum Lächeln. Seit der Geburt ihrer Tochter hatte sie nicht eine Sekunde lang bereut, Mutter geworden zu sein. Sicher, es war nicht leicht, alleinerziehende Mom zu sein, aber Mia hatte in ihrem Leben schon allerhand Schwierigkeiten gemeistert. Einschulung mit vier, zwei Klassen übersprungen, College mit sechzehn und Tutorin eines launischen Teenagers, der ihr das Leben auch nicht unbedingt leicht gemacht hatte.

Schließlich hatte Cora ihre Mahlzeit beendet und sah sie mit glänzenden Augen an, während Mia das Baby behutsam auf den Knien balancierte, um ihre Bluse zuzuknöpfen. Sie war unschlüssig, ob sie einfach hierbleiben oder ihren Gastgeber suchen sollte. „Wir segeln auf unbekannten Wassern, meine Süße“, sagte sie zu ihrer Tochter, bevor sie das Kind auf ihre Schulter nahm und ihm sacht auf den Rücken klopfte, bis das ersehnte Bäuerchen kam. „Komm, jetzt suchen wir Dylan.“

5. KAPITEL

Prüfend betrachtete Dylan das Bett, das er soeben zusammengebaut hatte. Kein Quietschen, kein Wackeln. Zufrieden mit seiner Arbeit, legte er die Matratze auf den Lattenrost. Wenn es darum ging, Dinge aus Holz zusammenzubauen, war Dylan auch ohne Montageanleitung einfach unschlagbar.

„Wow, das ging aber schnell!“

Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass Mia und Cora ihn mit großen Augen ansahen.

„War gar nicht so schwer“, erwiderte er. „Deine Koffer habe ich ins Zimmer nebenan gestellt. Die Kisten können wahrscheinlich bis morgen warten, oder?“ Er sah auf die Armbanduhr. „Ich bin zwar nur ungern ein schlechter Gastgeber, aber der Brandinspektor hat mich angerufen und gefragt, ob ich in die Stadt kommen kann, um den Schaden zu begutachten. Außerdem habe ich ein paar Freunden eine Runde Poolbillard im Haus eines Kumpels versprochen. Das könnte ich natürlich verschieben …“

„Auf gar keinen Fall“, widersprach Mia. „Wir kommen auch ohne dich zurecht.“

Als er ein paar Minuten darauf fortfuhr, war er seltsamerweise enttäuscht. Natürlich wusste er, dass Mia ihn nicht brauchte. Die ganze Sache hier diente ja auch nur dazu, endlich etwas gegen sein schlechtes Gewissen zu tun, das ihn seit der Highschool ihretwegen geplagt hatte.

Das Ergebnis des Gesprächs mit dem Inspektor war ziemlich unerfreulich. Der Schaden im Saloon schien schlimmer zu sein, als Dylan zunächst angenommen hatte, und es stand in den Sternen, ob er tatsächlich in einem Monat die Pforten für seine Gäste wieder öffnen konnte.

Im Büro war der Brandschaden nicht ganz so verheerend ausgefallen, dennoch war sein Computer ein Opfer des Löschwassers geworden. Hastig packte Dylan die notwendigen Dokumente, die Mia für ihre Arbeit benötigen würde, in eine Kiste, dankbar dafür, dass er eine Sicherungskopie der Dateien auf seinem Rechner gemacht hatte. So hatte er sich sein Wiedersehen mit Mia nun wirklich nicht vorgestellt, denn eigentlich hatte er zeigen wollen, dass er ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden war. Stattdessen war ihm nichts als ein feuchtes, nach Rauch stinkendes Chaos geblieben.

Allerdings hätte es auch schlimmer kommen können, versuchte er sich zu trösten, als er die geretteten Sachen aus dem Büro auf die Ladefläche seines Pick-ups lud.

Anschließend verbrachte er einen entspannten Abend mit seinen Freunden, die ihn bei Bier und Burgern mit Fragen über den Brand löcherten, bevor sie mit der angekündigten Partie Billard begannen.

Als Cora früh am Abend eingeschlafen war, schaltete Mia das Babyfon ein, steckte den Empfänger in die Tasche und machte sich auf, Dylans großartiges Haus zu erkunden. Besonders die Küche erinnerte sie wieder daran, wie hungrig sie war. Dylans Haushälterin hatte dafür gesorgt, dass der Kühlschrank randvoll gefüllt war mit köstlichen Dingen wie Chicken Parmesan, Gemüsesuppe und frischem Vollkornbrot. Mia vermutete, dass die Vorräte genügen würden, um Dylan einen Monat lang zu versorgen. Kurzerhand bereitete sie sich ein leckeres Abendessen zu, indem sie Dylans Einladung folgte, sich einfach wie zu Hause zu fühlen.

Es dämmerte bereits, als sie schließlich Cora badete und anschließend mit ihrer gut gelaunten Tochter eine Stunde lang auf dem großen Doppelbett spielte, in dem sie die kommenden Wochen schlafen würde. Gelegentlich hielt Mia inne, um nach Motorengeräuschen zu lauschen. Ob sie Dylan heute Abend noch wiedersehen würde?

Nachdem sie das kleine Mädchen schließlich schlafen gelegt hatte, schaltete sie das Licht aus und schlich auf Zehenspitzen aus dem Raum. Beinahe wäre ihr Herz stehen geblieben, als sie rückwärts gegen einen großen, warmen Körper stieß. Bevor sie erschreckt aufschreien konnte, legte sich eine Hand über ihren Mund.

„Ganz ruhig, Mia. Ich bin’s nur.“

Sie wand sich so lange hin und her, bis Dylan sie schließlich freigab. „Du hast mich fast zu Tode erschreckt“, stieß sie atemlos hervor.

„Tut mir leid.“ Er klang jedoch nicht sonderlich schuldbewusst. „Ich habe gedacht, dass du mich gehört hast. Aber wahrscheinlich warst du gerade mit dem Baby beschäftigt. Willst du vielleicht auch ein Eis?“

Seine beiläufige Frage stand in einem prickelnden Gegensatz zu dem verlangenden Blick, mit dem er sie musterte. Mia hatte zwischenzeitlich eine dünne Baumwollhose und ein Spaghettitop angezogen – ein Outfit, das ihrer Meinung nach perfekt zu einer schwülen Sommernacht passte. Allerdings zeichneten sich ziemlich deutlich ihre Brustwarzen darunter ab.

„Eis wäre toll“, erwiderte sie und verschränkte hastig die Arme vor der Brust. „Ich zieh mir nur rasch einen Bademantel über.“

„Meinetwegen musst du das nicht“, entgegnete er mit einem sexy Lächeln, das sie wohlig erschauern ließ. „Ich mag dich so, wie du bist. Komm einfach mit.“

Das Haus kam Mia seit Dylans Ankunft mit einem Mal nicht mehr annähernd so groß und bedrohlich vor. Fasziniert beobachtete sie ihren Gastgeber dabei, wie er ihnen riesige Portionen Eiscreme auftat. Angesichts seines schlanken und muskulösen Körpers vermutete sie, dass er viel für seine Fitness tat. Er war definitiv der Typ Mann, den eine Frau sich an ihrer Seite wünschte, wenn sie allein in der Wildnis strandete.

Kurz darauf setzte er sich zu ihr in die Essecke und reichte ihr eine Schale der süßen Versuchung. „Dann lass es dir mal schmecken“, sagte er.

Nachdem sie einige Happen gegessen hatte, ließ sie den Löffel sinken. „Du starrst mich an“, stellte sie fest.

„Tut mir leid.“ Er beugte sich zu ihr herüber und wischte etwas Karamellsoße von ihrem Kinn. „Ich bin immer noch damit beschäftigt, die erwachsene Mia mit der Mia von damals unter einen Hut zu bringen.“

Seine Berührung sorgte dafür, dass ihr Herzschlag sich beschleunigte. „Ich finde schon erstaunlich, dass du dich überhaupt an mich erinnerst. Du warst in der Oberstufe bei allen beliebt. Ich habe ja nicht mal annähernd in derselben Liga gespielt wie du.“

„Du bist auch in der Oberstufe gewesen“, erwiderte er, während er die Rückseite seines Löffels ableckte.

Bisher hatte Mia nichts Besonderes am Verzehr von Eiscreme gefunden, aber so, wie Dylan sie aß, war es umwerfend sexy.

„So richtig habe ich aber nie in die Oberstufe gehört“, erwiderte sie und erinnerte sich an die Sticheleien ihrer Mitschüler, die nur schwer ertragen konnten, dass eine Fünfzehnjährige denselben Abschluss machte wie sie.

„Es ist bestimmt nicht einfach für dich gewesen, was?“, fragte Dylan verständnisvoll. „Es tut mir echt leid, Mia.“

„Ach, ich hatte mich daran gewöhnt“, entgegnete sie achselzuckend. „Es hätte noch schlimmer sein können. Ein paar sind nach Weihnachten sogar fast nett zu mir gewesen. Hattest du etwas damit zu tun?“

„Könnte sein. Auf einem Skiausflug haben ein paar Jungs gewettet, dass sie dich ins Bett bekommen könnten. Ich habe ihnen klargemacht, dass das keine gute Idee wäre. Aber das ist auch schon alles.“

Überrascht hielt sie mitten in der Bewegung inne. „Dylan Kavanagh … du hast tatsächlich auf mich aufgepasst?“ Die Vorstellung ließ sie wohlig erschauern.

„Ach“, meinte er, und sein jugendliches Lächeln ließ ihn mit einem Mal wie einen Teenager wirken. „Das war doch nichts Besonderes. Ich weiß, dass ich dir das Leben sonst ziemlich schwer gemacht habe.“

„Und trotzdem hast du mich einmal geküsst“, platzte es aus ihr heraus, und sofort stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, dass sie wieder einmal einem unverfänglichen Gespräch eine unbeabsichtigte Wendung verliehen hatte.

Dylan war schockiert, dass sie das Thema zur Sprache brachte. Er war sich noch nicht einmal sicher gewesen, ob sie sich überhaupt an jene Frühlingsnacht vor ihrer Abschlussfeier erinnerte.

„Das hätte ich nicht tun dürfen“, gestand er beschämt und aß einen weiteren Löffel Eis, in der Hoffnung, dass Mia nicht bemerkte, wie er errötete. Selbst heute erinnerte er sich noch an den süßen Geschmack ihrer Lippen.

Doch damals war sie erst fünfzehn und er bereits achtzehn gewesen. Seine schüchterne Umarmung und der flüchtige Kuss hatten sich wundervoll, wenn auch verboten angefühlt.

Mia ließ den Löffel sinken und stützte das Kinn in die Hände. „Ich habe mich immer gefragt, warum du mich geküsst hast. Ist es eine Wette gewesen?“

„Nein, zur Hölle!“, rief er empört. Die Vorstellung war beleidigend. „Mir ist einfach danach gewesen – nichts weiter. Wir haben kurz vor unserem Abschluss gestanden, und die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass wir uns hinterher nie wiedersehen würden, weil du an irgend so eine Eliteuni wolltest.“

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass du damals so sentimental gewesen bist. Versuch es mit einer anderen Ausrede. Warum hast du mich in dem Drive-in geküsst?“

„Du hast eben hübsch ausgesehen im Mondschein“, erwiderte er.

„Aber du bist doch mit einer Freundin dort gewesen. Warum also?“

„Verdammt, Mia, ich weiß es nicht.“ Er stand auf und stellte scheppernd die leere Schüssel in die Spüle. „Du hast mich fasziniert. Und mir Angst gemacht.“

Fassungslos sah sie ihn an. „Aber das ist doch absurd. Du konntest mich doch gar nicht ausstehen.“

„Das stimmt nicht.“ Er lehnte sich gegen den Küchentresen. „In Wirklichkeit konnte ich mich selbst nicht ausstehen. Du hast mich bestimmt für einen totalen Mistkerl gehalten, aber in Wahrheit fand ich dich süß und wahnsinnig kompliziert.“

Sie sah ihn an, als sei ihm gerade ein zweiter Kopf gewachsen. „Warum sagst du mir dann nicht, weshalb du mich geküsst hast?“

Frustriert darüber, dass sie so hartnäckig beim Thema blieb, ging er um den Tisch herum, umfasste ihre Handgelenke und zog Mia auf die Füße. „Ich habe dich geküsst, weil ich nachts nur von dir geträumt habe.“ Ohne über die Folgen nachzudenken, senkte er den Kopf, bis seine Lippen beinah Mias berührten. „Du bist wie ein Engel gewesen. Der einzige Mensch, der mich aus dem Schlammassel retten konnte, der mein Leben damals gewesen ist.“

Er war ihren Lippen so nah, dass er sie beinahe schmecken konnte, doch Mia lag stocksteif in seinen Armen. Etwa dreißig Sekunden lang. Dann umarmte sie ihn – unbeholfen und unsicher zwar, doch Dylan hatte das Gefühl, in einem belebenden Sommerregen zu stehen und vor lauter Glück lachen zu müssen.

Ein ungeahntes Gefühl von Zärtlichkeit durchflutete ihn angesichts Mias schüchterner Versuche, ihre Zuneigung zu zeigen. Sie war kein junges Mädchen mehr, sondern eine erwachsene Frau mit einem sinnlichen Körper und sexy Brüsten, die einen Mann um den Verstand bringen konnten.

Noch ein wenig länger, und er würde der Versuchung nachgeben, sie gleich hier im Stehen zu nehmen. Ganz schlechte Idee, Dylan, ermahnte er sich in Gedanken, bevor er einen kleinen Schritt zurücktrat und Mia wieder freigab. Nichtsdestotrotz fühlte er sich immer noch auf magische Weise mit Mia verbunden.

Sie sah ihn an, doch aus ihrem Gesichtsausdruck wurde er einfach nicht schlau. „Du hättest mich eben gerade beinahe geküsst“, stellte sie fest.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe es mir noch mal überlegt. Du glaubst mir zwar nicht wegen der Nacht im Drive-in, aber es stimmt. Ich habe verbotenerweise für dich geschwärmt.“

„Verbotenerweise?“

„Du warst viel zu jung. Ich bin zwar nur ein hormongesteuerter Teenager gewesen, aber das war selbst mir klar.“

„Und soll ich dir jetzt dankbar dafür sein, dass du die Finger von mir gelassen hast?“

Möglicherweise war Dylan ja nicht der cleverste Mann der Welt, aber er erkannte, wenn eine Frau genervt war. „Was willst du eigentlich von mir, Mia?“

Daraufhin schwieg sie so lange, dass er zu schwitzen begann. „Um ehrlich zu sein …“, sagte sie schließlich. „Ich bin nicht zufällig ins Silver Dollar gekommen.“

„Nein?“, fragte er erstaunt.

„Nein. Ich wollte dich wiedersehen.“

„Warum denn das?“

Mia setzte sich, schlug einen Augenblick die Hände vors Gesicht, bevor sie mit einem schwachen Lächeln zu ihm hochsah. „Ich habe alles in den Sand gesetzt – mein ganzes Leben. Ich bin eine obdachlose Mutter ohne nennenswerte finanzielle Mittel. Ich hatte gedacht, ich fühle mich besser, wenn ich sehe, dass es dir gut geht … dass dir meine Hilfe in der Highschool etwas gebracht hat. Deswegen bin ich nach Silver Glen gekommen.“

„Woher wusstest du, dass ich mich neben dich setze und dich anspreche?“

„Das habe ich nicht gewusst – aber es hätte mir auch nichts ausgemacht, dich nicht zu treffen. Ich konnte ja sehen, wie gut der Saloon läuft. Du hast Erfolg, Dylan, und deswegen fühle ich mich besser.“

6. KAPITEL

Beinahe bedauerte Mia, so aufrichtig gewesen zu sein, denn Dylan sah mit einem Mal unangenehm berührt aus. „Das freut mich für dich“, stieß er schließlich hervor.

„Versteh mich nicht falsch“, sagte sie rasch. „Deinen Erfolg hast du nur dir allein zu verdanken. Aber ich wollte das Gefühl haben, wenigstens einmal im Leben etwas richtig gemacht zu haben.“

„Natürlich hast du das.“ Er sah auf die Wanduhr. „Wenn du nichts mehr brauchst, würde ich jetzt ins Bett gehen. Morgen können wir dann beide mal in die Bücher schauen, wenn die Kleine ihr Schläfchen macht. Vielleicht kannst du dann ja schon zeitnah mit der Arbeit beginnen.“

Sein geschäftsmäßiger Ton machte sie stutzig. Hatte sie Dylan eben beleidigt? „Dylan, bitte, ich wollte damit nicht sagen, dass du das nicht auch ohne mich geschafft hättest.“

Er steckte die Hände in die Hosentaschen. „Aber es ist doch die Wahrheit, habe ich recht? Ohne deine Hilfe wäre ich von der Highschool geflogen.“

„Das ist doch Blödsinn. Ich …“

Doch wortlos ging er aus dem Raum, und fassungslos sah Mia ihm hinterher, bis sie ihm kurz entschlossen folgte.

Vor seinem Zimmer holte sie ihn endlich ein und bekam einen seiner Hemdsärmel zu fassen. „Jetzt hör mir mal zu, Dylan. Dein Saloon ist kein Erfolg geworden, weil deine Familie reich ist – sondern deinetwegen. Du ziehst die Menschen an. Alle lieben den Saloon, weil er so ein schöner, fröhlicher Ort ist. Weißt du eigentlich, wie sehr ich mir immer gewünscht habe, so zu sein wie du und die Menschen wirklich zu erreichen?“

Er blieb stehen – wenn wohl auch nur aus dem Grund, weil Mia sich förmlich an seinen Arm klammerte. „Willst du mich denn immer noch vor mir selbst retten, Mia?“, fragte er sanft.

„Du musst nicht gerettet werden“, widersprach sie.

Plötzlich wechselte er das Thema. „Ich treffe mich morgen um zehn Uhr mit dem Versicherungsmakler. Zum Lunch sollte ich wieder da sein. Dann können wir ja an den Büchern arbeiten. Morgen früh kommt meine Haushälterin. Bitte fühle dich ganz wie zu Hause.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, war er in sein Zimmer gegangen und hatte die Tür hinter sich zugezogen.

Beschämt blieb Mia stehen. Warum hatte sie die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen können? Dylan war immer noch sehr empfindlich, was das anging. Wieso begriff er denn nicht, was für ein beliebter und erfolgreicher Mensch er inzwischen geworden war? Er war umgeben von einer liebenden Familie und guten Freunden. Eines Tages würde er sicher eine Frau sehr glücklich machen, indem er mit ihr den Bund der Ehe einging.

Auf Zehenspitzen schlich sie in ihr Zimmer, um Cora nicht zu wecken. Nachdem sie das Licht gelöscht und sich hingelegt hatte, lauschte sie angespannt auf die unbekannten Geräusche in der Dunkelheit. Ein fremdes Haus war ihr in der ersten Nacht immer ein wenig unheimlich. Um sich abzulenken, stellte sie sich vor, was Dylan wohl inzwischen tat. Vielleicht hatte er bereits geduscht und ging gerade nackt in sein Schlafzimmer. Es beruhigte sie ungemein, zu wissen, einen Mann wie ihn in der Nähe zu haben. Allein der Gedanke daran ließ Mia vor Erregung erschauern.

Nach dem Studium hatte sie einmal eine kurze Affäre mit einem Professor gehabt, der leider ganz und gar nicht wie Indiana Jones gewesen war. Alles an seinem Körper war irgendwie weich und schwammig gewesen – was wohl daran liegen mochte, dass seine einzige körperliche Betätigung daran bestand, mit Kreide an die Tafel zu schreiben. Mia glaubte allerdings nicht, dass Dylans männliches Aussehen der Grund für die Anziehungskraft war, die er auf sie ausübte. Ganz sicher war sie nicht so oberflächlich, sich von straffen Bauchmuskeln und einem wohldefinierten Bizeps anturnen zu lassen.

Vielmehr hatte Dylan ihr an der Highschool ein Stück von ihrem Herzen gestohlen und es ihr nie wieder zurückgegeben. Mittlerweile war sie eine erwachsene Frau mit gewissen Bedürfnissen, die darüber hinausgingen, einen gut bezahlten Job und ein Dach über dem Kopf zu finden.

Manchmal lag sie nachts wach und stellte sich vor, wie es wohl sein mochte, mit ihrem Ehemann im Bett zu liegen – einem Mann, der ihr Seelengefährte war und mit dem sie sich die Verantwortung für ihre Tochter teilen konnte. Alleinerziehende Mutter zu sein war gelegentlich ein verdammt einsamer Job.

Gerade als sie sich behaglich in dem luxuriösen Gästebett eingekuschelt hatte und kurz vor dem Einschlafen stand, hörte sie ihre Tochter weinen. Aus Erfahrung wusste sie, dass ihr genau sechzig Sekunden blieben, um das Kind zu beruhigen, bevor die Lautstärke unerträglich wurde. Seufzend stand sie auf und eilte ins Nebenzimmer, wobei sie sich fragte, ob sie jemals wieder eine Nacht würde durchschlafen können.

Als Dylan Cora weinen hörte, wäre er am liebsten zu ihr hinübergegangen, aber er wusste, dass das vermutlich unangemessen war, denn Mia und er waren sich ja gerade erst wiederbegegnet.

Nie hätte er sich träumen lassen, dass sie einmal unter einem Dach mit ihm schlief. Natürlich hätte er ihr ohne Weiteres ein Hotelzimmer besorgen können – schließlich gehörte seiner Familie die luxuriöse Silver Beeches Lodge oben auf dem Berg –, aber er fand, dass ein Hotel nicht der richtige Ort für ein Baby war. Außerdem war es schön, sie beide in der Nähe zu haben.

Unruhig rollte er sich auf den Bauch und legte den Kopf auf einen Arm. Die Klimaanlage lief wie gewohnt, trotzdem kam Dylan die Luft ungewöhnlich warm vor. Es war schon viel zu lange her, dass er mit einer Frau geschlafen hatte. Wenn er sah, wie glücklich sein Bruder war, verspürte er Eifersucht, obwohl er Liam sein Glück selbstverständlich gönnte.

Zwar war er selbst auch schon verlobt gewesen, aber seine Angebetete hatte beschlossen, dass Hollywood ihr mehr zu bieten hatte als Dylan Kavanagh. Das hatte seinem Herzen und seinem Ego einen mächtigen Knacks verpasst. Außerdem hatte er seitdem den Verdacht, dass er sich mit Frauen genauso wenig auskannte wie mit Zahlen und Buchstaben. Und jetzt war zu allem Überfluss auch noch sein schöner Saloon in Flammen aufgegangen.

Allerdings war Selbstmitleid nicht Dylans Art. Gleich morgen früh würde er damit beginnen, sein Leben wieder auf Kurs zu bringen. In der Zwischenzeit schadete er niemandem damit, wenn er sich vorstellte, wie Mia Larin jetzt wohl aussehen mochte … wenn sie nackt war.

Als der Morgen dämmerte, hätte Mia sich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen. Cora hatte bis ein Uhr nachts quietschvergnügt mit ihrer Rassel gespielt, bis sie erschöpft auf Mias Bett eingeschlafen war. Anschließend hatte ihre Mutter sie behutsam in ihre Krippe gelegt und war danach ebenfalls sofort in tiefen Schlaf gesunken. Gegen fünf Uhr hatte Cora wie üblich ihre Morgenmahlzeit eingefordert, war danach glücklicherweise jedoch gleich wieder weggeschlummert.

Mia fühlte sich, als hätte sie einen Riesenkater, was nicht fair war, denn seit ihrem Beschluss, schwanger zu werden, hatte sie insgesamt kaum mehr als ein halbes Glas Wein getrunken.

Sie drehte sich zur Seite, um auf die Uhr zu sehen. Die Versuchung, noch eine weitere Stunde zu schlafen, war beinahe überwältigend. Doch ihr knurrte der Magen, und sie wusste sehr wohl, dass ihr nachher, wenn Cora erst einmal wach war, kaum mehr Zeit blieb als für eine Banane und eine Tasse Kaffee im Stehen.

Daher stand sie auf und zog sich leise eine Jeans und eine gelbe Baumwollbluse über, in der Hoffnung, dass die fröhliche Farbe ihr dabei half, richtig munter zu werden.

Obwohl sie noch nie ein Händchen für aktuelle Modetrends gehabt hatte, bestand ihre Garderobe seit Coras Geburt fast nur noch aus praktischen Sachen. Zwar hätte sie sich für Dylan gern ein wenig vorteilhafter in Szene gesetzt, doch sie wusste, dass Cora sie ohnehin wenigstens einmal pro Tag mit Milch bespucken würde, was den Flirtfaktor nicht unbedingt erhöhte.

Kurz darauf traf sie in der Küche Dylans Haushälterin Gertie an, eine freundliche ältere Dame in den Sechzigern, die Mia mit einem köstlichen Frühstück versorgte. Während sie aß, unterhielten sich die beiden Frauen angeregt.

„Ich freue mich schon sehr darauf, auf Ihr Baby aufpassen zu dürfen, wenn Sie arbeiten“, erklärte Gertie.

„Äh …“, brachte Mia unsicher hervor.

„Sie können mir vertrauen“, sagte die Haushälterin. „Ich habe fünf Kinder und zwölf Enkel. Ich kann gut mit Babys umgehen.“

„Oh“, erwiderte Mia überwältigt. „Ich brauche wohl ein paar Tage, um mich in alles hier richtig einzufinden, aber danach komme ich sehr gerne auf Ihr freundliches Angebot zurück.“

„Für Mr. Dylan würde ich wirklich alles tun.“

„Weil er gut bezahlt?“, erkundigte Mia sich.

„Nein“, entgegnete Gertie. „Das heißt, ja, er zahlt gut, klar. Aber ich meinte eigentlich, ich verdanke Mr. Dylan sehr viel.“ Sie schenkte sich selbst auch eine Tasse Kaffee ein und lehnte sich gegen den Küchentresen. „Vor drei Jahren hat einer meiner Enkel ziemlich großen Ärger bekommen. Seine Eltern hatten ihn über den Sommer zu mir geschickt, weil sie gehofft haben, ein Ortswechsel würde ihm ein bisschen Verstand einbläuen. Doch der dumme Kerl hat Drogen mitgebracht und versucht, sie hier zu verkaufen. Der Sheriff hat ihn daraufhin festgenommen.“

„Und Dylan hat ihn wieder rausgeholt?“, fragte Mia.

„Nein, das konnte ich schon selbst. Aber Mr. Dylan hat ihn sich anschließend zur Brust genommen und ihn vor die Wahl gestellt, entweder zurück ins Gefängnis zu gehen oder den ganzen Sommer für ihn zu arbeiten.“

„Ich nehme an, er hat sich für Letzteres entschieden?“

„Sicher. In nur zehn Wochen hat Mr. Dylan dem Burschen mehr Verstand eingetrichtert als seine Eltern die ganzen Jahre zuvor. Er hat seitdem nie wieder Drogen angefasst und geht jetzt aufs College. Das alles habe ich Mr. Dylan zu verdanken.“

Schweigend beendete Mia ihr Frühstück. Ihre Bewunderung für Dylan wuchs zusehends. Da er früher selbst ein Rebell gewesen war, verstand er, wie die aufsässigen jungen Menschen dachten.

Nachdem sie den Rest eines himmlisch fluffigen Brötchens gegessen hatte, erhob sie sich. „Das war einfach wundervoll, Gertie. Haben Sie vielen, vielen Dank.“

„Es freut mich, dass es Ihnen geschmeckt hat. Mittagessen gibt es um halb eins. Falls Sie Wäsche für sich oder das Baby zu waschen haben, werfen Sie sie einfach auf den Boden im Wäscheraum. Ich kümmere mich darum.“

„Oh, aber ich …“

Doch Gertie hob die Hand. „Das ist mein Job – Ihrer besteht darin, sich um die Bücher und das Baby zu kümmern. Kommen Sie bloß nicht auf den Gedanken, mir helfen zu wollen. Ich sorge gerne dafür, Ihnen das Leben leichter zu machen, denn das ist es, was Mr. Dylan sich wünscht.“

7. KAPITEL

Der Vormittag in der Stadt hielt gute und schlechte Nachrichten für Dylan bereit. Auf der einen Seite war er ziemlich gut versichert, weswegen der finanzielle Verlust nicht so schlimm wie befürchtet ausfiel, auf der anderen konnte der Bauunternehmer, den Dylan mit der Instandsetzung beauftragt hatte, erst in drei Wochen mit den Arbeiten beginnen.

Obwohl es Dylan schwerfiel, versuchte er, seine Ungeduld zu zügeln. Früher oder später würde seine Bar wieder öffnen, und die Stammgäste würden zurückkehren. Die Umsatzeinbußen während der Renovierungsarbeiten waren nicht schön, aber Dylan würde sie problemlos verkraften können.

Nach seinen Gesprächen kehrte er nach Hause zurück und freute sich darauf, Mia und Cora wiederzusehen.

Er fand seine Gäste auf der Glasveranda. Versonnen blieb er in der Tür stehen und betrachtete das Bild, das sich ihm bot. Mia lag ausgestreckt auf der Seite auf dem Teppich. Ihr gelbes Hemd hatte sich ein Stück über ihre Taille geschoben, und da sie nichts darunter trug, sah Dylan ihre verführerisch helle Haut schimmern. Cora rollte sich auf einer pinkfarbenen Decke vergnügt hin und her und strampelte dabei mit den Beinchen. Mia lachte leise. „Nicht mehr lange, meine kleine Erbse.“

„Nicht mehr lange – bis was?“, erkundigte Dylan sich und betrat den Raum, um sich in seinen Lieblingssessel zu setzen, der zufälligerweise gleich neben Mias Ellenbogen stand.

Hastig setzte sie sich auf und strich sich die Kleidung glatt. „Bis sie sich vollständig herumrollen kann. Der Arzt sagt, dass sie ziemlich weit ist für ihr Alter.“

„Dann wird sie vielleicht Athletin.“

Doch Mia schüttelte den Kopf. „Nicht wenn sie meine Gene geerbt hat. Im Sportunterricht bin ich beinahe selbst über meine eigenen Füße gefallen.“

„Aber nur, weil dein beeindruckendes Gehirn mit wesentlich wichtigeren Dingen beschäftigt war.“

„Machst du dich etwa lustig über mich, Kavanagh?“, fragte sie misstrauisch.

Spielerisch zog er an ihrem Pferdeschwanz. „Vielleicht. Aber was kannst du schon dagegen tun? Ich bin größer und schneller als du.“

Sie zog Cora auf ihren Schoß und kuschelte mit ihr. „Ich mag den erwachsenen Dylan.“

Ihr plötzlicher Themenwechsel verwirrte ihn. „Was soll das denn heißen?“, erkundigte er sich vorsichtig, denn er glaubte nicht, dass die Mia, die er kannte, genügend Selbstvertrauen aufbrachte, um mit einem Mann zu flirten – selbst dann nicht, wenn sie sich wohl in seiner Gegenwart fühlte.

„Das soll bedeuten, dass ich beeindruckt bin, was für ein Mann du geworden bist. Damals warst du immer wütend und ständig darauf aus, dir und der ganzen Welt etwas zu beweisen. Aber jetzt? Die meisten Menschen, die ich kenne, wären bei einem Brand in ihrem Lokal bestimmt völlig aus der Fassung, aber du wirkst ganz ruhig und besonnen.“

Ihr Lob war ihm unangenehm. „Glaub mir, Mia, ich bin wirklich nichts Besonderes. Natürlich kann ich ziemlich ruhig bleiben, ich habe ja schließlich auch den finanziellen Background. Es ist ja nicht so, dass ich mittellos auf der Straße sitzen würde, wenn das Silver Dollar schließen müsste.“

„Glaubst du denn, dass das passiert?“, fragte sie besorgt.

„Ich hoffe nicht. Aber der Typ, der für mich die Reparaturen durchführen soll, kann erst in drei Wochen. Das bedeutet, bis zur Neueröffnung vergeht noch viel Zeit. Aber ich bin ziemlich sicher, dass meine Stammgäste wiederkommen.“

„Ich könnte mir nicht vorstellen, warum sie das nicht tun sollten.“ Flüchtig sah sie auf die Uhr. „Wir sollten jetzt besser in die Küche gehen. Ich möchte mich nicht zum Mittag verspäten. Irgendwie habe ich höllischen Respekt vor Gertie.“

„In Wahrheit ist sie eine Seele von Mensch“, erklärte er und reichte Mia die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. „Vielleicht bin ich ja voreingenommen, aber ich finde die Kleine wirklich süß“, sagte er, als Cora herzhaft gähnte. „Hat sie denn gut geschlafen?“

„Geht so“, erwiderte Mia.

„Darf ich sie tragen?“

Wortlos reichte sie ihm das Kind und ging voraus in die Küche, von der aus verführerische Düfte durch das Haus zogen. Dylan genoss es, das kleine Geschöpf in den Armen zu halten. Der Geruch des Babyshampoos ließ glückliche Erinnerungen an seine eigene Kindheit in ihm wach werden.

Kaum hatten sie sich an den Esstisch gesetzt, da schenkte ihnen Gertie auch schon Eistee ein.

„Selbst gemachter Gemüseeintopf!“, rief Mia begeistert. „Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich in den letzten Wochen Mikrowellenessen zu mir genommen habe.“

Dylan hatte Cora auf seinen Schoß gesetzt, und augenblicklich griff die Kleine nach einer Gabel auf dem Tisch, die er vorsorglich außer Reichweite schob. „In diesem Haus wirst du niemals hungern müssen. Gertie ist eine fantastische Köchin.“

Seine Haushälterin errötete verlegen. „Ach, kommen Sie schon, Dylan. Sie übertreiben maßlos.“

In diesem Moment wurde Mia klar, dass die ältere Frau Dylan wie einen Sohn liebte. Und Dylan behandelte seine Haushälterin so reizend, dass es eine Freude war, ihn dabei zu beobachten. Vermutlich würde er es hassen, sollte er jemals erfahren, dass Mia etwas reizend an ihm fand. Möglicherweise musste er nicht mehr beweisen, dass er ein Bad Boy war, deswegen war er aber längst noch kein Weichei.

Ganz im Gegenteil – alles an ihm schien vor unverfälschter Männlichkeit zu strotzen. Sein selbstbewusster Gang, die breiten Schultern, das tiefe Lachen. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass er in seiner Bar notfalls auch selbst für Ordnung sorgte, falls es sein musste.

„Miss Mia, macht es Ihnen was aus, wenn ich mit der Kleinen ein wenig in den Garten gehe?“, fragte Gertie nach dem Essen. „Ich verspreche auch, mit ihr im Schatten zu bleiben. Ihr zwei habt doch sicher genügend Arbeit.“

Mia nickte. „Klar, wenn Sie das möchten. Und bitte, nennen Sie mich doch einfach Mia.“

Nachdem Dylan seiner Haushälterin das Kind behutsam gereicht hatte und sie die Küche verlassen hatte, lächelte Mia ihrem Gastgeber zu. „Du bist echt ein Naturtalent mit Kindern. Willst du später mal eine große Familie haben? Einen weiteren Zweig der Familie Kavanagh gründen?“

Wortlos stand er auf und drehte ihr den Rücken zu, während er sich eine Tasse Kaffee einschenkte. „Ich möchte keine Kinder haben“, erwiderte er kurz angebunden. Es bestand kein Zweifel daran, dass er nicht weiter über dieses Thema sprechen wollte.

Mia hingegen war so überrascht, dass sie unwillkürlich fragte: „Und warum nicht?“

Wütend sah er sie an. „Weil die Möglichkeit besteht, dass ich ein Kind zeuge, das so wird wie ich. Und das würde ich niemandem wünschen. Kein Kind hat es verdient, sich dumm zu fühlen.“

„Ist deswegen deine Verlobung gescheitert?“, fragte sie mitfühlend. „Weil sie Kinder wollte – und du nicht?“

„Über Kinder haben wir nie gesprochen“, entgegnete er kühl.

„Entschuldige bitte“, sagte sie leise und war sicher, dass er bestimmt einen wundervollen Vater abgegeben hätte, wenn man bedachte, wie fürsorglich er mit Cora umging.

Er zuckte mit den Achseln. „Jeder in der Stadt kann dir wohl alles bis ins kleinste Detail über meine geplatzte Verlobung erzählen.“

„Vergiss es bitte wieder. Ich hätte nicht danach fragen sollen. Warum schauen wir uns jetzt nicht einfach die Bücher an?“

„Nein, offenbar interessiert es dich wirklich. Und ich habe nichts zu verbergen. Ich hatte mich in eine flatterhafte, hübsche Blondine mit ehrgeizigen Karriereplänen verliebt. Habe sie mit Geschenken überhäuft und ihr einen riesigen Verlobungsring gekauft. Vielleicht hat es einfach meinem Ego gutgetan, mit einem berühmten Filmstar zusammen zu sein. Wer weiß das schon?“

„Ich bin sicher, dass da mehr war.“

„Bis heute weiß ich nicht, ob mein Herz oder nur mein Stolz einen Knacks wegbekommen hat. Sie war drei Monate während der Dreharbeiten für einen Kinofilm hier. Anschließend hatte sie sich und die anderen davon überzeugt, dass sie das beschauliche Leben in Silver Glen liebte.“

„Doch das hat nicht gestimmt?“

„Sagen wir es mal so: Als ihr Lieblingsregisseur ihr die Rolle ihres Lebens angeboten hat, hat sie mich Hals über Kopf verlassen.“

„Das tut mir leid, Dylan. War bestimmt eine harte Zeit für dich.“

„In einer Kleinstadt ist es sogar noch schlimmer. Da gibt es keinen Ort, an den man sich mal ungestört zurückziehen kann“, erwiderte er traurig lächelnd.

Beim besten Willen konnte Mia sich nicht vorstellen, wie man einen Mann wie Dylan Kavanagh verlassen konnte. Überrascht stellte sie fest, wie wohl sie sich in seiner Gegenwart fühlte. Beinahe so, als hätte sie nach vielen Jahren ein Mitglied ihrer Familie wiedergetroffen. Allerdings konnte man die Reaktionen ihres Körpers auf Dylan nicht gerade als verwandtschaftlich bezeichnen. „Ich hoffe, ich habe kein Salz in alte Wunden gestreut“, sagte sie.

„Wir lernen alle aus unseren Fehlern – auch nach den ganz großen geht das Leben weiter.“ Er trank einen Schluck Kaffee. „Was ist mit dir? Gibt es in deiner Vergangenheit auch romantische Katastrophen?“

Sie lehnte sich zurück und ließ einen Augenblick Dylans wunderbar männliche Ausstrahlung auf sich wirken.

Die Kavanaghs hatte ihrer Meinung nach immer etwas Märchenhaftes umgeben. Trotz des tragischen Verlustes ihres Familienoberhauptes Reggie vor vielen Jahren waren sie das, was man eine glückliche Familie nennen konnte. Darum hatte Mia sie schon damals beneidet.

„Also, eine Katastrophe würde ich es nicht nennen“, erwiderte sie schließlich. „Ich hatte eine Weile eine Beziehung mit einem Professor. Wir hatten zwar eine Menge gemeinsam, aber zwischen uns hat es irgendwie nicht richtig gefunkt.“

„Hey, Mia“, entgegnete Dylan lächelnd. „Du weißt also tatsächlich, wie es ist, wenn es funkt?“

„Ich bin ja keine Jungfrau mehr oder prüde. Obwohl ich im Vergleich zu dir wahrscheinlich ziemlich unerfahren bin.“

Als Dylan daraufhin anzüglich lächelte und nichts erwiderte, stand sie verlegen auf. „Sollten wir uns jetzt nicht besser mal um die Bücher kümmern?“

Überrascht stellte Dylan fest, dass er in Mias Gegenwart plötzlich nur noch an Sex zu denken schien, und er fragte sich, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, eine Frau in sein Haus einzuladen. Da fiel es nicht gerade leicht, auf Abstand zu bleiben.

„Zum Büro geht es dort lang“, sagte er kurz angebunden. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass sie ihm folgte, ohne etwas zu sagen. Nur selten verbrachte er Zeit in seinem Home-Office. Im Grunde war es nicht mehr als ein Lagerraum für den geschäftlichen Papierkram, für den es im Obergeschoss des Silver Dollar keinen Platz gab. Die Strahlen der Sommersonne fielen durch die großen Fenster herein, und der flauschige Teppich schien einen dazu verführen zu wollen, die Schuhe auszuziehen und barfuß zu laufen.

Gern hätte Dylan jetzt die Rolle des souveränen Chefs gespielt. Doch als er sich im Büro umsah, stellte er beschämt fest, was für ein schreckliches Durcheinander hier herrschte. Das wahre Ausmaß der Unordnung war ihm bisher gar nicht aufgefallen. Rasch schob er einen Stapel Sportzeitschriften beiseite, um einen Arbeitsplatz für Mia zu schaffen.

„Tut mir leid“, sagte er. „Normalerweise betrete nur ich diesen Raum, deswegen ist es nicht besonders ordentlich.“

Neugierig sah Mia sich um. „Mach dir nichts draus. Du hast ja auch immer eine Menge in der Bar zu tun. Aber wenn du mir vertraust, bringe ich ein bisschen System hier rein.“

„Natürlich vertraue ich dir.“ Er griff nach einem flachen Pappkarton und reichte ihn Mia. „Das hier ist für dich.“

Verblüfft starrte Mia auf den Inhalt der Verpackung. „Du hast mir ein Notebook gekauft?“, fragte sie.

„Mit der neuesten Technik. Und der Typ aus dem Computerladen hat alle wichtigen Daten vom Silver Dollar draufgespielt.“

„Hey, so einen wollte ich schon immer mal haben!“ Begeistert klappte Mia ihr neues Spielzeug auf und schien augenblicklich vergessen zu haben, dass Dylan auch noch da war. Nach einer Weile beugte er sich zu ihr hinüber und fragte sich, ob das tatsächlich der Fall war. Schließlich war er mit seinem Gesicht ihrem so nah, dass er sie mühelos hätte küssen können, wenn er sich noch ein Stückchen weiter nach vorne gebeugt hätte. Seit dem gestrigen Abend hatte er im Grunde nicht aufgehört, daran zu denken, sie zu küssen.

Sie duftete verführerisch, und beinahe hätte er der Versuchung nachgegeben. Doch sie war zu Gast in seinem Haus, weswegen es unangemessen gewesen wäre, zärtlich an der zart schimmernden Haut ihres schlanken Halses zu knabbern. Vermutlich hätte sie es in ihrer Begeisterung für den neuen Computer sowieso nicht bemerkt.

Flüchtig sah sie zu ihm auf. „Wo sind die Dateien für die Buchhaltung?“

„Alle hier.“ Er griff um sie herum und deutete auf einen Ordner. Der zarte Duft ihres Parfums war wirklich betörend. Ihr seidiges schokoladenfarbenes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und Dylans Verlangen, ihren zarten Nacken zu küssen, wurde immer drängender.

Als sie plötzlich mitten in der Bewegung erstarrte, wurde ihm klar, dass er gerade im Begriff war, sie zu umarmen.

„Dylan?“, fragte sie und drehte sich zu ihm herum.

Ohne darüber nachzudenken, was er tat, strich er zärtlich mit dem Daumen über ihre Wange. „Was denn?“

„Ich habe mich gefragt, ob wir vielleicht ein Liebespaar werden können, während ich für dich arbeite.“

Hastig sprang er auf. Es war eine Sache, das süße, ernsthafte Mädchen in Versuchung zu führen, das er von der Highschool kannte – doch diese Mia hier war wesentlich kühner. Wie hatte er nur so schnell die Kontrolle über die Situation verlieren können?

„Das ist nicht lustig“, erwiderte er. „Öffne bitte einen der Dateiordner, dann kann ich dir zeigen, wie alles funktioniert.“

Doch sie drehte sich weiter zu ihm herum, bis sie ihm direkt in die Augen sah. „Das würde mir aber gefallen. Sehr sogar.“

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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Charlene Sands

Alles begann damit, dass der Vater von Charlene Sands, ihr als Kind die schönsten, brillantesten und fantastischsten Geschichten erzählte. Er erfand Geschichten von plündernden Piraten, mächtigen Königen und Sagen von Helden und Rittern. In diesen Erzählungen war Charlene immer die Prinzessin, Königin oder Heldin um die gekämpft oder die gerettet...

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