Begehrt von einem Scheich - Liebesromane aus 1001 Nacht

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SINNLICHE NÄCHTE IM WÜSTENPALAST

Ein kostbares Collier besiegelt den Vertrag: Sechs Monate soll Ruby die Frau von Scheich Ibrahim spielen. Damit er nicht die von seinem Vater arrangierte Ehe mit einer Anderen eingehen muss! "Kein Sex, keine Küsse", verspricht er. Eine Vereinbarung, die Rubys Sehnsucht enttäuscht …

DER FEURIGE KUSS DES SCHEICHS

Prinzessin Ghizlan sollte Scheich Huseyn von ganzem Herzen hassen! Schließlich zwingt er sie, ihn zu heiraten! Doch als er sie spontan in seine Arme zieht und mit einem feurigen Kuss überrascht, wird sie gegen ihren Willen von nie gekannter Leidenschaft überwältigt …

LEIDENSCHAFT UNTER DEM WÜSTENMOND

Wie nur soll Darcy ihm klarmachen, dass alles nur ein großes Missverständnis ist? Sie hat Scheich Zafir nie mit seinem Bruder betrogen! Außerdem muss ihr Ex-Freund eines unbedingt erfahren: Es gibt etwas, das sie und den feurigen Wüstensohn für immer aneinander bindet …

DIE GEKAUFTE BRAUT DES WÜSTENPRINZEN

Scheich Zayed braucht eine Braut, um sein Erbe anzutreten, Jane muss dringend die Schulden ihrer Familie zahlen. Eine Pflichtehe auf Zeit scheint da der perfekte Deal für den freiheitsliebenden Playboy. Dumm nur, dass sein Begehren für Jane bald heißer brennt als die Wüstensonne …

DER SCHEICH UND DAS PARTYGIRL

Saskia ist empört! Schlimm genug, dass Scheich Idris Delacour sie einst im Stich ließ! Aber sie nach dem Tod des Königs, dessen Kind sie austrägt, zu erpressen, stellt alles in den Schatten! Warum soll sie ihm helfen, sein Wüstenreich zu retten, wenn Idris sie für ein Partygirl hält?


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746926
  • Seitenanzahl 720
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Liz Fielding, Annie West, Maggie Cox, Sharon Kendrick, Jessica Gilmore

Begehrt von einem Scheich - Liebesromane aus 1001 Nacht

IMPRESSUM

Sinnliche Nächte im Wüstenpalast erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Liz Fielding
Originaltitel: „The Sheikh’s Convenient Princess“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 444 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Eva Ritter

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747008

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Ibrahim al-Ansaris Smartphone summte, und er nahm das Gespräch an.

Es war sein Bruder. „Hallo Bram …“

Während er den Brief überflog, der soeben per Kurier zugestellt worden war, sagte Ibrahim: „Hamad … Ich wollte dich gerade anrufen.“

„Dann hast du die offizielle Einladung zu Vaters Geburtstagsempfang also schon erhalten.“

„Vor zehn Minuten. Ich nehme an, du hast dafür gesorgt, dass ich eingeladen wurde.“

„Nein, es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass du dabei bist. Bram, er ist krank. Du musst nach Hause kommen.“

Wollte Hamad das auch? Irgendwie klang er nicht wirklich begeistert. Oder bildete er sich das nur ein?

„Ich bezweifle, dass alle so denken.“

„Es ist okay. Der alte Herr hat einen Deal mit dem Khadri-Clan geschlossen.“

„Was für einen Deal?“, fragte Bram stirnrunzelnd. Bei seiner letzten Begegnung mit Ahmed Khadri hatte der Mann ihm gedroht, ihm die Kehle durchzuschneiden, falls er es wagen sollte, je nach Umm al Basr zurückzukehren.

Während sein Bruder ihm lang und breit erklärte, worum es sich bei dem Deal handelte, beobachtete Bram, wie draußen langsam die Sonne im Meer versank. „Das ist nicht dein Ernst!“

„Tut mir leid, Bram, aber wenigstens bist du gewarnt.“

„Glaubst du wirklich, ich kann das durchziehen?“

„Das ist nun mal der Preis.“

„Aber ich bin es, der ihn zahlen muss!“ Er atmete tief durch, um sich zu sammeln. „Wie geht es deiner Familie? Dem neuen Baby?“, wechselte er das Thema.

„Alle meine Mädchen sind wohlauf. Safia lässt dich herzlich grüßen und bedankt sich für das Geschenk zur Geburt unserer jüngsten Tochter.“

Nachdem Bram das Gespräch beendet hatte, fegte er ungehalten das Einladungsschreiben vom Schreibtisch. Endlich war sie da, die lang ersehnte Chance, seinen Vater um Verzeihung zu bitten – doch zu welchen Bedingungen! Es brauchte mehr als ein Wunder, um aus der Nummer wieder rauszukommen.

Qa’lat al Mina’a, hoch oben auf einem Felssporn thronend, schimmerte wie eine Fata Morgana im rosigen Schein der untergehenden Sonne.

Weit unten, jenseits des Strands mit dem weiß schimmernden Sand, schipperte eine Dau mit geblähten Segeln die Küste entlang. Bei dem Anblick fühlte Ruby sich in die Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht versetzt. Sie stellte sich vor, sie säße auf einem fliegenden Teppich und nicht in einem ultramodernen schwarzen Helikopter.

Die Illusion wurde jäh zerstört, als sie zur Landung ansetzten.

Auf den ersten Blick wirkte die Zitadelle wie eine malerische Ruine, ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Doch hinter den mit Bougainvilleen überwucherten Mauern kamen die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts zum Vorschein, unter anderem eine Satellitenschüssel und ein Mobilfunkmast. Die nötige Energie lieferten beeindruckende Sonnenkollektoren am Fuß des Berges, der in die Wüste auslief.

Unterhalb des Burgturms konnte Ruby jetzt geflieste Höfe, Bogengänge und einen üppigen Garten erkennen. Der riesige Komplex erstreckte sich bis zur Küste. In einem kleinen Hafen lag eine moderne Barkasse in Militärgrau vor Anker. Dies war kein romantischer, verträumter Rückzugsort, sondern das Hauptquartier eines weltweit agierenden Unternehmers.

Nachdem sie gelandet waren, kam ein älterer Mann in einem langen grauen Gewand und mit einem grauen Käppchen auf dem Kopf in geduckter Haltung zum Helikopter gelaufen. Er sah sie überrascht an, nachdem er die Tür geöffnet hatte, und wechselte dann einen ratlosen Blick mit dem Piloten.

Anscheinend gab es ein Problem, das angepackt werden wollte. Ruby löste ihren Sicherheitsgurt und sprang aus dem Helikopter. „As-salamu alaikum, ich heiße Ruby Dance“, stellte sie sich auf Arabisch vor, wobei sie laut brüllte, um den knatternden Rotorenlärm zu übertönen. „Scheich Ibrahim erwartet mich.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, schulterte sie ihren schicken Arbeitsrucksack und machte sich über den Landeplatz auf den Weg zu der Treppe, die zu dem Hof eine Etage tiefer führte – dicht gefolgt von dem älteren Herrn, der ihren Koffer transportierte.

Ruby atmete tief durch und genoss die weiche, leicht salzige Meeresluft nach langen Stunden im Flugzeug. Zu ihren Füßen erstreckten sich terrassenförmig angelegte Gärten. Mit wildem Wein bewachsene antike Mauern spendeten Schatten, und in den Ritzen zwischen den Treppenstufen wuchsen duftender Thymian und Steinnelken.

Wunderschön, exotisch und völlig unerwartet.

Hinter ihr erhob sich der Helikopter bereits wieder mit lautem Getöse in die Luft. Jetzt saß sie hier fest.

Trotz ihrer selbstbewussten Behauptung, dass sie erwartet wurde, war klar, dass ihr Erscheinen irgendwelche Irritationen auslöste, die es aufzuklären galt.

„Madaam …“

Ein Mann erschien am Fuß der Treppe und blickte zu ihr hoch. Ruby stockte der Atem.

Scheich Ibrahim al-Ansari war nicht länger der goldene Prinz, Erbe des Throns von Umm al Basr und Society-Liebling – ein sorgloser junger Mann, der nichts weiter im Sinn hatte, als seine sportlichen Triumphe in irgendwelchen angesagten Nachtklubs zu feiern.

Nach einem öffentlichen Eklat in London, der weltweit durch die Presse ging, war er von seinem Vater enterbt worden und lebte seit fünf Jahren hier im Exil. Die letzten Jahre hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Harte Linien um den Mund und eine ernste Miene ließen ihn grimmig und unnahbar erscheinen. Und dann war da noch diese Narbe … eine dünne, lange Linie wie von einem rasiermesserscharfen Schnitt zog sich von seiner linken Augenbraue quer über die Wange und verschwand in seinem sauber gestutzten dunklen Bart. Der Effekt dieser Narbe war brutal, aufregend und faszinierend.

Doch trotz der Narbe wirkte er nicht entstellt, dazu war er einfach ein zu gut aussehender Mann mit ebenmäßigen Zügen und einer klaren goldbraunen Haut und dunklen Augen voll hypnotischer Kraft, deren Blick sie sich kaum entziehen konnte.

Seine dunklen, dichten Locken schimmerten feucht.

„Was zum Teufel …?“

Sie stand mit dem Rücken zur untergehenden Sonne, und er musste seine Augen mit der Hand beschirmen, um sie anzusehen. Geblendet von seiner umwerfenden Erscheinung, konnte sie einen Moment nicht klar denken, und ihr Mund wurde ganz trocken. Wie hypnotisiert beobachtete sie, wie ein Wassertropfen aus seinem Haar über seine breiten Schultern und seine Brust rann. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn sie den Wassertropfen mit der Hand auffing.

Diese Vorstellung war so intensiv, dass sie glaubte, das Kitzeln seiner Brusthaare auf ihrer Haut zu spüren. Instinktiv schloss sie die Hand zur Faust.

Er trug nur ein schmales Handtuch um die Hüften – ein seltsamer Aufzug für einen Scheich.

„Wer sind Sie?“, verlangte er zu wissen.

„Zumindest nicht der Teufel, Scheich“, erwiderte sie schlagfertig. Sie öffnete die Faust und streckte ihm zur Begrüßung die Hand hin. „Ruby Dance. Die Garland Agentur hat mich als Ersatz für Peter Hammond geschickt, der sich von seinem Unfall erholen muss.“

Scheich Ibrahim starrte düster auf ihre Hand – und ignorierte sie. Irritiert zog er die dunklen Brauen zusammen. „Was für ein Unfall?“

Ruby ließ die Hand sinken. Deshalb die allgemeine Verwirrung bei ihrer Ankunft. Anscheinend hatte sich die Nachricht von Peters Unfall noch nicht herumgesprochen.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Mr. Hammond heute Morgen von seinem Snowboard gestürzt. Man sagte mir, er hätte bereits mit Ihnen gesprochen.“

„Dann hat man Sie falsch informiert. Wie schlimm ist es?“

„Ich weiß nur, dass man ihn per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht hat. Warten Sie bitte, ich schaue mal, ob es schon was Neues gibt.“ Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche. „Habe ich hier Empfang?“

Scheich Ibrahim antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Das Display zeigte fünf Balken an. Die Antennen auf dem Hof waren also nicht nur reine Show. Rasch drückte sie die erste Nummer auf ihrer Kontaktliste und wartete, während sie seinen eindringlichen Blick auf sich gerichtet spürte. Er sah sie an, als überlegte er, wo er sie schon mal gesehen haben könnte.

„Ruby? Alles okay?“, meldete sich ihre Chefin Amanda Garland besorgt.

„Aber ja“, schwindelte Ruby.

Doch Amanda ließ sich nicht täuschen. „Spuck’s schon aus, was ist los?“

Ruby schluckte. „Wirklich, es ist alles in Ordnung. Nur … meine Ankunft hier sorgt für Verwirrung. Man hatte Scheich Ibrahim noch nicht über Peters Unfall informiert.“

„Was?“ Amanda klang schockiert. „Tut mir leid, Ruby. Kann ich helfen? Soll ich mit dem Scheich reden?“

„Nein, nein, das ist nicht nötig. Ich wollte mich nur nach Peters Gesundheitszustand erkundigen.“ Nachdem sie eine Weile Amandas Redefluss gelauscht hatte, fügte sie hinzu: „Und welches Krankenhaus? Danke, perfekt. Ich melde mich später wieder.“ Damit unterbrach sie die Verbindung.

„Also?“ Scheich Ibrahim funkelte sie ungeduldig an.

„Peter hat einen komplizierten Beinbruch, einen Sehnenriss am Handgelenk und ein paar gebrochene Rippen. Sie haben ihn wieder so weit zusammengeflickt, dass man ihn in ein oder zwei Tagen nach Hause ausfliegen lassen kann. Amanda hält mich auf dem Laufenden.“

„Wer ist Amanda?“

Mit Höflichkeitsfloskeln hielt er sich offensichtlich nicht auf. Kein Dankeschön dafür, dass sie sich erkundigt hatte. Aber das sollte ihr egal sein. Ruby hatte sich schon vor langer Zeit ein dickes Fell zugelegt und ließ sich ihre Gedanken und Gefühle nicht anmerken.

„Amanda Garland. Besitzerin der Garland Agentur. Peter hat sie beauftragt. Die Garland Agentur vermittelt Zeitpersonal, Nannys und Hausangestellte an eine gehobene internationale Klientel. Ach, Amanda ist außerdem Peters Patentante.“ Sie stopfte das Handy wieder in ihre Tasche und zog stattdessen einen dicken weißen Umschlag heraus. „Hier ist mein Empfehlungsschreiben.“

„Ein Empfehlungsschreiben von jemandem, den ich nicht kenne?“

„Nun, vermutlich geht Peter davon aus, dass Sie seinem Urteil vertrauen.“

„Wie ist es um die Urteilskraft von jemandem bestellt, der mit einem gebrochenen Bein im Schnee liegt?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Ruby ehrlich. Plötzlich überkam sie das übermächtige Bedürfnis, laut loszuschreien. Sie war seit Stunden unterwegs und könnte jetzt zumindest einen Hauch der sprichwörtlichen orientalischen Gastfreundschaft gebrauchen. Und ein paar Minuten für sich allein, um sich zu sammeln. „Ich weiß nur, dass sein erster Gedanke Ihnen galt, damit Sie nicht ohne Assistenten dastehen.“

Statt einer Antwort stieß er nur ein abfälliges Schnauben aus.

Okay, genug …

„Ihr Cousin, der Emir von Ras al Kawi, wird ganz sicher für Amanda bürgen“, informierte Ruby ihn leicht schnippisch. „Prinzessin Violet hat erst jüngst die Agentur beauftragt, eine Nanny für sie zu finden.“

„Ich brauche keine Nanny.“

„Das trifft sich gut, denn ich habe noch nie in meinem Leben eine Windel gewechselt.“ Für diese Bemerkung erntete sie einen spöttischen Blick unter hochgezogenen Brauen. „Dieser Umschlag enthält Referenzen von einigen meiner früheren Arbeitgeber.“

„Noch mehr Leute, die ich nicht kenne?“

Woher sollte sie wissen, ob er die Leute kannte oder nicht? Außerdem war es ihr egal. Der feine Herr Scheich fing an, ihr gehörig auf die Nerven zu gehen. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, sich nicht von ihm provozieren zu lassen.

Jetzt streckte er die Hand aus, um den Umschlag entgegenzunehmen. Energisch riss er die Lasche auf.

Mit undurchdringlicher Miene überflog er die enthaltenen Dokumente. Schließlich wandte er sich an den Mann mit ihrem Koffer und gab einige Anweisungen auf Arabisch, bevor er Ruby ansah und sie im Kommandoton informierte: „Wir treffen uns in fünfzehn Minuten in meinem Büro, Miss Dance.“

Damit drehte er sich um, überquerte mit großen Schritten den Innenhof und verschwand eine Treppe hinab.

Zitternd stieß Ruby die Luft aus.

Wow. Jetzt, wo der Anblick seiner halb nackten, göttergleichen Erscheinung sie nicht mehr betäubte, setzte endlich wieder ihr Verstand ein. Scheich Ibrahim hatte natürlich recht mit seinem Zögern, eine ihm völlig fremde Person mit offenen Armen zu empfangen. Das war keineswegs persönlich gemeint. Bestimmt hatte man in der Vergangenheit schon öfter versucht, in seine Privatsphäre einzudringen, zum Beispiel auf der Jagd nach einer saftigen Skandalgeschichte, die eine Menge Geld einbringen würde. Also war es völlig klar, dass unerwarteten Besuchern hier nicht gerade der rote Teppich ausgelegt wurde. Das konnte sie besser als jeder andere verstehen.

Das sagt sich so leicht, dachte sie, während sie dem Angestellten durch einen antik anmutenden Bogengang und eine Treppenflucht hinunterfolgte. Es fühlte sich dennoch sehr persönlich an.

Am Fuß der Treppe erstreckte sich ein traumhaft schöner Terrassengarten, gegen die glühend heiße Sonne durch eine mit üppig blühendem Wisteria und duftendem Jasmin berankte Pergola geschützt.

Völlig verzaubert blieb Ruby stehen.

„Madaam?“, holte ihr Begleiter sie in die Wirklichkeit zurück.

„Wie heißen Sie?“, erkundigte sie sich auf Arabisch.

Er verbeugte sich lächelnd. „Mein Name ist Khal, Madaam.“

Sie legte die Hand aufs Herz. „Ismi Ruby.“ Lächelnd deutete sie Richtung Garten. „Jamil, wunderschön.“

Na’am, ja. Wunderschön“, bestätigte Khal in stark akzentuiertem Englisch. Er drehte sich um und öffnete die Tür zu einer kühlen Lobby. Bevor er diese betrat, schlüpfte er aus seinen Sandalen. Ruby tat es ihm gleich und folgte ihm. Ihr Blick huschte bewundernd über die orientalisch gemusterten Fliesen an der Wand.

Es ging weiter in ein großes, mit bequem wirkenden Möbeln eingerichtetes Wohnzimmer. Khal zog die Außenjalousien hoch und öffnete die Terrassentüren. Dahinter lag ein kleiner, schattiger Hof mit Blick aufs Meer. Tief sog Ruby die weiche Luft ein, die nach Meer und Jasmin duftete. Trotz des frostigen Empfangs, den Scheich Ibrahim ihr bereitet hatte, fühlte sie sich plötzlich rundum wohl.

Als Amanda ihr erzählt hatte, dass Scheich Ibrahim in einem Fort in Ras al Kawi im Exil lebte, hatte sie sich einen unwirtlichen, düsteren Ort vorgestellt. Äußerlich war es das auch, aber hinter den rauen Mauern verbarg sich das reinste Paradies.

Der Mann mochte ja ein Griesgram sein, aber sein Anwesen war einfach märchenhaft. Schade, dass ihr keine Zeit blieb, die Suite zu erkunden. Sie hatte nur ein paar Minuten, um sich frischzumachen, bevor Scheich Ibrahim sie zum Appell in seinem Büro erwartete.

Schukran, Khal, danke.“ Ruby blickte auf ihre Uhr, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie in Eile war. Mit Händen und Füßen verständigte sie sich mit ihm, um zu erfahren, wo sie das Büro finden konnte. Zum Abschied überschüttete Khal sie noch mit einem Redeschwall auf Arabisch, wovon sie kein einziges Wort verstand.

Bram hatte zwar schon am Strand geduscht, nachdem er im Meer geschwommen war, trotzdem stand er jetzt in seinem Badezimmer unter der eiskalten Dusche. Rubys Anblick – ihre dunkle Silhouette gegen die untergehende Sonne – hatte ihn so sehr aufgewühlt, dass er erst einmal wieder zu sich kommen musste.

Im ersten Moment hatte er sie irrtümlich für Safia gehalten, hatte erwartet, sie sei hier, um ihn über irgendein neues Drama zu unterrichten. Als dann Ruby Dance statt Safia aus dem Schatten getreten war, hatte ihn eine Mischung aus Enttäuschung und Schuldgefühlen wie ein Boxhieb in den Magen getroffen.

Ruby hatte ähnlich dunkles, seidiges Haar wie Safia, allerdings trug sie es kurz und fedrig geschnitten. Ihre Augen waren nicht dunkel, sondern von einem hellen Blaugrau, und sie war etwas größer als Safia. Ihre Stimme klang sanft und melodisch, ihre akzentuierte Sprechweise wies sie als Angehörige der englischen Upperclass aus.

Nur die undurchdringliche Miene, hinter der sie ihre Gefühle verbarg, hatte sie mit Safia gemeinsam.

Zum Gehorsam erzogen, hätte sich Safia klaglos in eine Ehe mit ihm gefügt, um den Frieden zwischen ihren beiden verfeindeten Familien zu wahren. Safia hätte die Rolle der perfekten Ehefrau gespielt, seine Kinder zur Welt gebracht und wäre nie auf den Gedanken gekommen, ihn zu betrügen, obwohl sie einen anderen Mann liebte.

Die Einladung zur Geburtstagsfeier seines Vaters und das Telefonat mit seinem Bruder hatten verdrängte Erinnerungen in Bram geweckt. Diese Erinnerungen waren so lebendig gewesen, dass er sich fünf Jahre zurückversetzt gefühlt hatte. Fast hätte er Rubys Hand genommen und sie an sich gezogen, um die Rolle einzunehmen, die ihm bestimmt gewesen war.

Die Rolle als Ehemann, Vater und Thronerbe.

Er schüttelte den Kopf, um die verstörenden Gedanken loszuwerden, griff nach einem Handtuch und rieb sich energisch das Gesicht trocken.

Was hatte Ruby Dance über Peter gesagt?

Ein komplizierter Beinbruch, eine gerissene Sehne am Handgelenk, gebrochene Rippen – das Timing hätte nicht schlechter sein können. Wichtige Projekte erforderten seine ungeteilte Aufmerksamkeit, und dann die lang ersehnte Einladung seines Vaters nach fünf Jahren im Exil …

Nachdem Bram sich angezogen hatte, ging er in sein Büro und überflog noch einmal Ruby Dances Referenzschreiben, das die Agentur ihr mitgegeben hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich all die Leute kannte, die ihr eine Empfehlung ausgestellt hatten. Das wollte was heißen. Wenn sie auf diesem Level arbeitete, musste sie wirklich gut in ihrem Job sein.

Nachdem Ruby in Windeseile geduscht und sich umgezogen hatte – sie tauschte den dunklen Hosenanzug gegen einen knielangen Rock und ein leichtes Leinentop –, machte sie sich auf den Weg zu Scheich Ibrahims Büro.

Der Abend brach herein. Über der ruhigen Wasseroberfläche tauchte die untergehende Sonne den Himmel in sämtliche Schattierungen zwischen Rosa und Dunkellila. Winzige Solarlampen, die überall auf den Höfen und im Garten verteilt waren, spendeten ein sanftes gelbes Licht.

Am liebsten wäre Ruby hiergeblieben, um die Magie des Gartens zu genießen. Es war so eine friedvolle Atmosphäre, die bewirkte, dass sie innerlich zur Ruhe kam. Nach einem letzten wehmütigen Blick ging sie eine Etage tiefer, wo an einem knorrigen Granatapfelbaum in einer Ecke noch ein paar schrumpelige Früchte hingen.

Halb hinter einem üppig blühenden Bougainvillea-Busch verborgen, entdeckte sie eine weitere Treppe, die sie rasch hinabstieg. Kurz darauf betrat sie einen in gedämpftes Licht getauchten Innenhof, wo Scheich Ibrahim mit ausgestreckten Beinen in einem bequemen Rattansessel saß, sein Smartphone in der Hand. Das feuchte, lockige Haar war straff zurückgekämmt. Zu lässigen Shorts trug er ein weites T-Shirt.

Auf der anderen Seite eines kleinen Tischs stand ein zweiter Rattansessel.

Ruby hatte sich die Adresse des Krankenhauses notiert, in dem Peter lag, und legte das Kärtchen vor den Scheich auf den Tisch. Dann setzte sie sich, wobei sie sorgfältig darauf achtete, ihren Rocksaum über die Knie hinunterzuziehen.

Scheich Ibrahim sah sie aus seinen beunruhigend glutvollen Augen an, eine steile Falte zwischen den dunklen Brauen. Es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit.

Ruby beherrschte die Kunst des Schweigens perfekt, es war ihre Überlebensstrategie. Sie hatte sich antrainiert, nicht zu blinzeln und selbst penetranten Blicken völlig gelassen standzuhalten, was ihr Gegenüber für gewöhnlich völlig aus dem Konzept brachte.

Doch heute, unter Scheich Ibrahims eindringlichem Blick, fiel es ihr zum ersten Mal schwer, die Fassung zu wahren.

Vielleicht war es der Gedanke an den erotisch aufgeladenen Moment, als der Scheich halb nackt und mit in der Sonne glänzender feuchter Haut vor ihr aufgetaucht war.

Unwillkürlich musste sie an das Skandalfoto von ihm denken, das ihn den Thron gekostet hatte: nackt posierend in einem Londoner Brunnen, den Arm um die Schultern einer jungen Frau in durchscheinend nasser Unterwäsche gelegt, wie er den Inhalt einer Flasche Champagner über sie beide leerte.

Endlich brach der Scheich sein Schweigen und sagte: „Jude Radcliffe hat mir erzählt, dass er Ihnen eine feste Stellung in seinem Unternehmen angeboten hat. Warum haben Sie nicht zugegriffen?“

„Sie haben mit Jude gesprochen?“

„Ist das ein Problem?“ Seine Stimme klang sanft, als wollte er ihr Vertrauen gewinnen. Aber Ruby ließ sich davon nicht täuschen. Hinter der samtweichen Fassade verbarg sich ein stahlharter Kern.

„Nein. Ich wundere mich nur, dass er sich an einem Sonntag in seinem Büro aufhält.“

„Tut er nicht. Wir kennen einander recht gut, und ich habe ihn zu Hause angerufen.“

„Hat er Ihnen erzählt, dass seine Frau früher als Aushilfe für Garland tätig war?“, warf Ruby beiläufig ein, um ihm zu zeigen, dass auch sie mit der Familie gut bekannt war. „Auf diese Weise haben sie sich kennengelernt. Als ich für Radcliffe Tower gearbeitet habe, erwartete sie gerade ihr zweites Baby.“ Sie nahm ihr Smartphone aus der Tasche und checkte ihren Kalender. „Der Geburtstermin ist nächsten Monat.“

„Sie führen Buch über die Leute, für die Sie arbeiten?“

Sie blickte auf. „Darüber, wie sie ihren Kaffee gern trinken, welche Airline sie bevorzugen, den Namen ihres Friseurs, Hemdkragengröße, wichtige Geburtstage. All die kleinen Details, die mich ins Spiel bringen, wenn sie eine Aushilfe für ihre Sekretärin brauchen.“

„Sie stellen Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Erstaunlich, dass Sie so kurzfristig frei waren, um bei mir einzuspringen.“

„Ich hatte eine Woche Urlaub, um zu renovieren.“

„Sie renovieren selbst?“

„Das tun die meisten Menschen.“ Abgesehen von superreichen Scheichs natürlich.

„Und wenn die Woche vorbei ist?“

Brauchte er sie etwa länger hier? Diese Vorstellung fand sie gleichzeitig aufregend und beunruhigend.

„Warten wir einfach ab, wie es läuft, einverstanden?“

Seine Augen verengten sich. „Wollen Sie damit andeuten, ich hätte eine Art Probezeit, Ruby Dance?“

Ja … besser gesagt, nein …

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, sogar die Zikaden unterbrachen ihr durchdringendes Konzert.

Natürlich hatte sie das nicht andeuten wollen, oder doch?

Ruhig durchatmen, Ruby.

„Meine Aufgabe ist es, einzuspringen, wenn es irgendwo brennt. Für einen Tag, eine Woche … Ich war davon ausgegangen, dass Sie eine reguläre Vertretung für Peter haben. Obwohl …“

„Obwohl?“

„Na ja, in dem Fall hätte er sicher nicht seine Patentante um Hilfe gebeten.“

Scheich Ibrahim musterte sie nachdenklich. „Haben Sie auch eine Akte über mich angelegt?“

„Tatsächlich, ja. Aber mir fehlen noch einige Details. Zum Beispiel kenne ich Ihre Kragengröße nicht.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an.

Er schüttelte den Kopf. „Sie bluffen, Ruby Dance.“

„Sie mögen Ihren Kaffee schwarz mit einem halben Teelöffel griechischem Honig. Sie besitzen Ihren eigenen Jet und einen Helikopter – das Emblem auf dem Heck ist schwarz mit einem goldfarbenen arabischen A. Da Sie nur ein- oder zweimal im Monat auf Geschäftsreise gehen, stellen Sie die Maschinen Ansari Air zur Verfügung, der Chartergesellschaft, die Sie vor einiger Zeit gegründet haben. Anscheinend boomt das Geschäft, denn Sie haben Ihre Flotte um zwei weitere Jets und einen Helikopter ergänzt. Falls zufällig mal keine Maschine für Sie selbst zur Verfügung steht, greifen Sie auf Ramal Hamrah Airways zurück. Die Airline gehört Scheich Zahir al-Khatib, einem Cousin mütterlicherseits. Sie haben am 3. August Geburtstag, und der Geburtstag Ihres Vaters ist …“

Er hob die Hand, um ihren Redeschwall zu stoppen.

„Übermorgen.“ Zufrieden, dass sie alles losgeworden war, was sie über ihn wusste, lehnte sie sich zurück. Das Kabinenpersonal war mehr als willig gewesen, die Vorlieben ihres Chefs preiszugeben. Und sie hatte alle Informationen aufgesaugt wie ein Schwamm.

„Sehr beeindruckend. Das beantwortet aber nicht meine Frage.“

„Jude hat mir wirklich ein sehr verlockendes Angebot als Assistentin seines Finanzdirektors gemacht“, erklärte Ruby offen. „Ich ziehe allerdings die Abwechslung vor, die die Anstellung bei einer Zeitarbeitsagentur bietet.“

Wieder dieser lange, nachdenkliche Blick, der bis tief in ihr Inneres zu dringen schien. Nun ja, ein Mann wie er, der sich in wenigen Jahren zum Multimillionär hochgearbeitet hatte, musste nicht nur Börsenberichte interpretieren können, sondern auch die Verhaltensweisen seiner Mitmenschen.

Da er offensichtlich nicht bereit war, ihr seine Kragengröße zu verraten, legte sie ihr Handy beiseite und beugte sich aufmerksam vor.

„Radcliffe hat mich gedrängt, vor Ende Mai einen anderen Ersatz für Peter zu finden“, sagte Ibrahim nach kurzem Zögern. „Er erwähnte etwas von einer Hochzeit.“

„Meine nicht.“

„Nein, ich sehe, Sie tragen einen Ehering. Hat Ihr Mann nichts dagegen, dass Sie wegen Ihrer Arbeit ständig von zu Hause fort sind?“

Nervös befingerte sie den schlichten goldenen Reif an ihrer rechten Hand.

„Das ist ein Familienerbstück. Er hat meiner Großmutter gehört und nach ihr meiner Mutter. Falls ich mich entschließe zu heiraten, werde ich ihn an der linken Hand tragen, wie es bei uns üblich ist.“

Er erwiderte nichts darauf. Na klar, ihm war es sicher völlig gleichgültig, ob sie verheiratet war oder nicht. Und genau so wollte sie es auch haben, deshalb arbeitete sie für eine Zeitarbeitsagentur. Heute hier, morgen dort. Da hatte niemand Lust und Zeit, sich mit dem Privatleben der Angestellten zu beschäftigen. „Ich soll Judes persönliche Assistentin vertreten“, erklärte sie. „Sie heiratet Anfang Juni. Hoffen wir, dass Peter bis dahin wieder einsatzbereit ist.“

In diesem Moment erschien Khal mit einem Tablett, das er auf dem Tischchen zwischen ihnen abstellte.

„Tee, Madaam.“ Mit einer einladenden Geste deutete er auf die kunstvoll gravierte Silberkanne.

Schukran, Khal. Danke.“ Sie deutete auf die zweite Kanne daneben. „Und was ist das?“

„Pfefferminztee“, erwiderte Scheich Ibrahim, bevor Khal etwas sagen konnte. „Nun bin ich aber erstaunt. Steht in Ihrer Akte über mich nicht vermerkt, welchen Tee ich bevorzuge?“

„Meine Akten werden ständig aktualisiert, Scheich. Zumindest weiß ich, dass Sie Ihren Tee ohne Zucker trinken. Darf ich Ihnen welchen einschenken?“

„Wir reden uns hier mit dem Vornamen an. Alle nennen mich Bram.“

Für sie war das nichts Besonderes, sie war das von den meisten ihrer Arbeitgeber gewohnt. Allerdings hatte sie keinen von ihnen je halb nackt zu Gesicht gekriegt. Eigentlich sollte das egal sein, aber irgendwie war es das nicht.

Um ihre Verlegenheit zu überspielen, blickte Ruby zum samtschwarzen Nachthimmel auf, an dem die Sterne um die Wette funkelten. Als sie ihre Aufmerksamkeit schließlich wieder auf ihr Gegenüber richtete, fiel ihr auf, dass auch er nervös zu sein schien, trotz seiner vermeintlich entspannten Pose. Scheich Ibrahim war nicht der Einzige, der Körpersprache deuten konnte.

„Möchten Sie eine Tasse Tee, Bram?“, brachte sie so gelassen wie möglich hervor.

Ihre Blicke trafen sich, und einen Moment lang fühlte sie sich ganz schwindlig. Diese Augen … In den dunklen Tiefen schien es förmlich zu lodern. Was natürlich eine Sinnestäuschung war. Wahrscheinlich spiegelte sich das Licht darin, daher der Eindruck. Oder ihre Fantasie spielte ihr einen Streich in dieser schwülheißen Atmosphäre.

2. KAPITEL

Ein leises Pling – Rubys Signalton für eine eingehende Textnachricht – brach die Spannung.

Bram nickte, und Ruby schaffte es tatsächlich, ihm Pfefferminztee einzuschenken, ohne dabei zu kleckern. Mit sicherer Hand stellte sie das hohe Glas in dem silbernen Halter vor ihn hin.

Gedankenverloren griff Bram nach der Karte, auf der sie die Adresse des Krankenhauses notiert hatte, in dem Peter lag. „Er ist in Gstaad. Vor ein paar Jahren wurde ich auch dort behandelt, als ich mir den Knöchel gebrochen hatte.“

„Oh, den Ort werde ich also lieber meiden wie die Pest“, scherzte sie leichthin. „Das scheint ein gefährliches Pflaster zu sein.“

Damit erntete sie nur einen düsteren Blick. Anscheinend fand Bram ihre Bemerkung gar nicht komisch. Na ja, wie auch. Er, der gefeierte Ski-Champion, der es gewohnt war, in engen Lycra-Anzügen halsbrecherische Pisten hinabzubrettern, als handelte es sich um einen Waldspaziergang.

„Ja, kann sein“, kommentierte er abwesend. In Gedanken schien er ganz woanders zu sein. Wahrscheinlich erinnerte er sich gerade voller Wehmut an die Zeit, als er Sportass, Medienliebling und Thronerbe gewesen war.

„Es tut mir leid.“

Er fragte sie nicht, was ihr leid tat, und sie hätte auch nicht wirklich eine Antwort darauf gewusst. Wenn er Ski laufen oder Polo spielen wollte, gab es nichts, was ihn daran hinderte. Außer der Scham, seine Familie bis auf die Knochen blamiert zu haben. Hatte er tatsächlich deswegen sein glamouröses Jetset-Leben aufgegeben und sich hier in dieser Einöde vergraben?

Oder bedeutete der Hunger in seinen Augen, dass er sich mehr als alles andere danach sehnte, wieder in den Schoß seiner Familie aufgenommen zu werden, um das zurückzugewinnen, was er verloren hatte?

Er legte die Karte auf den Tisch. „Rufen Sie im Krankenhaus an und geben Sie vorsorglich sämtliche Details über Peters Krankenversicherung durch. Machen Sie klar, dass alles, was er darüber hinaus benötigt, überhaupt kein Problem darstellt. Für die Kosten komme selbstverständlich ich auf. Und setzen Sie sich mit seiner Mutter in Verbindung“, fuhr er fort, während sie sich eifrig Notizen auf ihrem Tablet machte. „Sobald er transportfähig ist, wird er ja nach England ausgeflogen. Arrangieren Sie dafür einen privaten Ambulanz-Jet, der ihn dorthin bringt, wo er am besten aufgehoben ist.“

„Wollen Sie noch eine private Nachricht an Peter hinzufügen?“

„Was denn, zum Beispiel? Du bist ein ungeschickter Trottel?“, schlug er vor, ohne zu lächeln.

Sie sah auf. „Blumen vielleicht?“

„Was denken Sie?“

Was sie dachte? Nun, sie dachte, dass Peter nicht mit dem Snowboard verunglückt war, um seinen Boss zu ärgern. Obwohl … sie an seiner Stelle hätte sich womöglich lieber das Bein gebrochen als einen Tag länger für diesen ungehobelten Bram Ansari zu arbeiten.

Laut sagte sie: „Gute Besserung wäre die übliche Formulierung, aber unter Männern ist der Ton wohl rauer. Ich bin sicher, er wird die Botschaft verstehen.“

Sie jedenfalls hatte die Botschaft verstanden. Doch trotz des unterkühlten Empfangs empfand sie ein bisschen Mitleid mit dem Scheich. Schlimm genug, wenn die tägliche Routine durch äußere Umstände durcheinandergebracht wurde. Noch ärgerlicher war es, sich mit einer völlig fremden Person abgeben zu müssen, noch dazu in den eigenen vier Wänden.

Er mochte ja ein arroganter Kerl sein, aber ihre Aufgabe war es, Peter so gut wie möglich zu vertreten, um dem Scheich größere Unannehmlichkeiten zu ersparen. Und sie war professionell genug, diese Aufgabe zu erfüllen, mit oder ohne seine Kooperation.

„Zweifellos kann er es genauso wenig abwarten, wieder auf die Beine zu kommen, wie Sie seine Rückkehr nicht abwarten können“, stellte sie klar. „Leider dauert es nun mal seine Zeit, bis ein Knochen wieder zusammenwächst.“

„Das ist mir bewusst. Dummerweise managt Peter den gesamten Betrieb von Qa’lat al Mina’a. Ohne ihn gehen uns die Vorräte aus.“

„Ich nehme an, alles wird aus der Stadt eingeflogen?“ Das konnte sie mit links arrangieren, kein Problem. „Was haben die Menschen hier früher gemacht?“

„Geangelt, Vieh gezüchtet. Und es gab Karawanen, die Reis, Gewürze und alles andere, was sie brauchten, hertransportiert haben.“ Wieder bedachte er sie mit seinem durchbohrenden Blick. „Haben Sie schon mal einem Huhn den Hals umgedreht? Oder eine Gans geschlachtet?“

„Warum?“, fragte sie nüchtern. Sie gönnte ihm nicht die Genugtuung, bei seiner Frage kindisch zu erschauern. „Gehört das zur Jobbeschreibung?“

„Eine eng umrissene Jobbeschreibung existiert nicht. Peter verfügt über uneingeschränkte Befugnisse, er fungiert hier gewissermaßen als Mädchen für alles.“

Das war als Herausforderung an sie gemeint, erkannte Ruby. War sie diesem Job gewachsen?

Mit der unaufgeregten Gewissenhaftigkeit, die ihr normalerweise im Umgang mit schwierigen Kunden half, kam sie bei Bram nicht weiter. Sie saßen hier beide in der Falle, bis einer von ihnen einknickte und den Helikopter anforderte.

„Wie viel Gänse genau hat Peter denn schon eigenhändig geschlachtet?“

Seine dunklen Augen blitzten, und um seine Mundwinkel zuckte es kaum merklich. Kein Lächeln, sondern eher eine Warnung, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab.

„Eine? Zwei?“, bohrte sie nach, weil er nicht antwortete. „Oder mehr?“

„Dieser Kelch ist bis jetzt an ihm vorübergegangen, weil er klug genug war, stets für ein gut gefülltes Kühlhaus zu sorgen.“

„Welch ein Glück für ihn und die armen Gänse“, kommentierte sie spitz. „Wenn Sie mir sein Büro zeigen, werde ich versuchen, seinem Beispiel zu folgen.“

Diese Runde hatte sie gewonnen, denn der Scheich winkte unwirsch in Richtung einer Glastür, die vom Hof abging.

„Und wo ist Ihr Büro?“, fragte sie.

„Immer da, wo ich mich gerade aufhalte.“ Damit lehnte er sich zurück und schloss die Augen.

Ohne dem Frieden so recht zu trauen – schließlich hatte sie gerade lediglich einen Punktsieg errungen –, nahm sie ihren Tee, überquerte die Terrasse und betrat Peters Büro, ohne zu vergessen, vorher die Schuhe auszuziehen. Fast hatte sie erwartet, eine typische Männerhöhle vorzufinden. Stattdessen war der Raum penibel aufgeräumt und wirkte in seiner Schlichtheit schon fast asketisch.

Der einzige Farbfleck war der bunte Orientteppich auf dem hellen Fliesenboden. Die steinernen Wände waren kahl bis auf einige Schwarz-Weiß-Fotografien, allesamt spektakuläre Naturaufnahmen.

Die einzige Möblierung bestand aus einem massiven Holzschreibtisch mit einem ergonomischen Bürosessel dahinter. Die Schreibtischoberfläche war leer, nur ein ultramoderner Laptop stand darauf, der natürlich mit einem bombensicheren Passwort geschützt war.

Mit einer solchen Situation war sie nicht das erste Mal konfrontiert. Jetzt hieß es nachdenken. Die meisten Menschen notierten sich komplizierte Passwörter auf einem Zettel und versteckten diesen an einem vermeintlich sicheren Ort. Den musste sie finden. Wahrscheinlich zählte Scheich Ibrahim schon die Sekunden und wartete schadenfroh auf den Moment, bis sie um Hilfe rief. Was sie unbedingt vermeiden wollte.

In den Schreibtischschubladen fand sie nichts außer Lakritze in allen Sorten, edler Schreiber und geschmackvoll eingebundener Notizbücher. Auch unter dem Auszug direkt unter der Schreibtischplatte war kein Umschlag mit einem Passwort festgeklebt.

Ein begehbarer Schrank im hinteren Teil des Büros enthielt Büromaterial und sorgfältig in Regale einsortierte Aktenordner. Auf einer Kommode befanden sich ein Drucker und ein Scanner.

Ruby griff nach dem Ordner mit der Aufschrift „Krankenversicherung“ und nahm ihn zum Schreibtisch mit. Nachdem sie die Unterlagen gefunden hatte, die sie brauchte, wurde ihr bewusst, dass es kein Telefon gab. Natürlich nicht, in dieser Einöde konnte sie keine Festnetzleitung erwarten. Kein Problem, sie würde ihr Smartphone benutzen. Die Kosten setzte sie dann mit auf die Rechnung.

Erst jetzt entdeckte sie die SMS-Nachricht von Peters Mutter.

Amanda hat mir Ihre Nummer gegeben, Ruby, damit ich Ihnen das Passwort von Peters Laptop schicken kann. Es lautet pOntefr@ct. Übermitteln Sie mir bitte die Details seiner Krankenversicherung, sobald Sie einen Moment Zeit haben? Viel Glück! Elizabeth Hammond.

Ruby schmunzelte. Pontefract. Ein bekannter Lakritz-Hersteller.

Sie tippte das Passwort ein und war drin.

„Danke, Peter!“, sagte sie und rief sofort Elizabeth Hammond an, um die erbetenen Informationen durchzugeben. Elizabeth berichtete, dass es sich um einen glatten Bruch ohne Komplikationen handelte. Trotzdem würde es einige Wochen dauern, ehe Peter wieder einsatzfähig war. Am Schluss wollte sie noch eine Bemerkung über Scheich Ibrahim machen, kam aber nicht weiter als bis zu „Bram Ansari ist …“, als es bei ihr an der Tür klopfte und sie das Gespräch beenden musste.

Es blieb Rubys Fantasie überlassen, den Satz zu ergänzen. Bram Ansari ist ein schwieriger Arbeitgeber? Bram Ansari ist eine richtige Plage? Bram Ansari ist ein echtes Sahneschnittchen? Wobei Letzteres die beiden ersten Aussagen nicht ausschloss. Ruby wusste nur zu gut, dass ein attraktives Äußeres nichts über den wahren Charakter eines Mannes aussagte.

Bram beobachtete unter gesenkten Lidern, wie Ruby ihr Teeglas nahm und in Peters Büro verschwand. Irgendetwas an ihr beunruhigte ihn. Es hatte nichts mit dem Schock zu tun, als er sie im ersten Moment versehentlich für Safia gehalten hatte. Er konnte es nicht näher definieren.

In ihrem Job schien sie ziemlich gut zu sein. Jude Radcliffe, der sich sonst mit Lobeshymnen eher zurückhielt, hatte sich völlig begeistert über sie geäußert. Das wollte was heißen. Offensichtlich hatte Ruby ein Gedächtnis wie ein Elefant, behielt in Krisensituationen einen kühlen Kopf und war verschlossen wie eine Auster. Bram hatte alles versucht, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, einen Blick hinter ihre Maske aus Professionalität zu erhaschen, vergeblich.

Eine derartige Selbstbeherrschung war selten und in der Regel sorgfältig antrainiert. Was bedeutete, dass sie etwas zu verbergen hatte.

Er tippte ihren Namen in das Eingabefenster einer Suchmaschine. Nichts, außer einem Link zu einem Tanzstudio. Auch das war ziemlich ungewöhnlich. Als Nächstes jagte er ihren Namen durch ein spezielles Suchprogramm, das er benutzte, wenn er die Kreditwürdigkeit eines Geschäftspartners überprüfen wollte. Ebenfalls Fehlanzeige.

Kein Hinweis auf die Mitgliedschaft in irgendwelchen sozialen Netzwerken, keine Auskunft über ihre Kreditwürdigkeit. Das hieß, sie besaß vermutlich keine Kreditkarte. Jedenfalls nicht auf ihren Namen. Höchste Zeit, mal nachzusehen, was sie da so lange in Peters Büro treibt, dachte Bram alarmiert.

Er wollte gerade aufstehen, da klingelte sein Handy.

Die Stimme am anderen Ende klang schleppend, ein wenig schläfrig, aber es war unmissverständlich Peter.

„Peter …“ Überflüssig, sich zu erkundigen, wie es ihm ging. „Ich vermute, du hast versucht, einer langbeinigen Schweizerin zu imponieren?“

„Ertappt. Nächstes Mal bleib ich lieber im Bett und überlasse es ihr, mir zu imponieren.“

„Guter Plan. Wie lautet die Prognose?“

„Langeweile, Physio, Langeweile, Physio – und das über Wochen. Wie macht sich Ruby? Ist sie überhaupt schon bei dir aufgeschlagen?“

„Mach dir keine Sorgen, alles okay. Im Moment hockt sie im Büro über deinem Laptop und versucht verzweifelt, dein Passwort zu knacken. Ich wollte sie gerade retten gehen, als du angerufen hast.“

„Sie braucht keinen Retter, glaub mir. Garland beschäftigt nur die Crème de la Crème der Business-Welt. Ihr Job ist es, dich zu retten. Die Garland-Girls werden für ihre Professionalität geschätzt.“ Nach einem kurzen Hustenanfall fügte er hinzu: „Und sonst? Alles klar?“

„Alles klar, natürlich.“

Doch Peter ließ sich nicht täuschen. „Ich höre doch an deiner Stimme, dass etwas nicht stimmt. Raus mit der Sprache, was ist los?“

Bram seufzte. „Na ja, die gute Nachricht ist, dass ich zum Geburtstagsempfang meines Vaters eingeladen bin.“

„Und die schlechte, dass Ahmed Khadri dir auf der Stelle den Hals umdreht, sobald du ihm unter die Augen kommst.“

„Vielleicht doch nicht. Hamad hat angerufen, um mich vorzuwarnen, dass mein Vater einen Deal mit Khadri gemacht hat. Safia hat meinem Bruder bis jetzt keinen Sohn geboren, und Khadri will unbedingt einen männlichen Erben. Der Preis für meine Rückkehr ist, dass ich Safias kleine Schwester Bibi Khadri heiraten soll.“

„Ups, es gibt viele Wege, einem Mann den Garaus zu machen …“

„Wie ich es auch drehe und wende, ich habe so oder so verloren. Wenn ich gehe, wächst damit Khadris Einfluss am Hof – ganz abgesehen von dem saftigen Brautpreis, den er zweifellos von mir verlangen wird. Wenn ich wegbleibe, wird mein Vater das als persönliche Beleidigung auffassen, und jede Chance auf Versöhnung ist dahin. Ich wette, Khadri kann sich gar nicht entscheiden, welche Variante ihm besser gefällt.“

„Wer weiß davon?“

„Niemand. Hamad hat nur Wind davon gekriegt, weil Bibi ihrer Schwester eine Nachricht zugeschmuggelt hat.“

Er war offensichtlich nicht der Einzige, den es vor dieser Verbindung graute.

„Okay, lass mich überlegen. Falls du nun mit einer Ehefrau im Schlepptau auftauchst …“

„Du fantasierst, Peter. Schlaf deinen Medikamentenrausch aus.“

„Keine richtige Ehefrau, nur ein Fake, eine Ehefrau auf Zeit. Wie der Zufall es will, steht dir eine zur Verfügung.“

„Ach? Und wer soll das sein?“

„Ruby.“

Ruby hatte gerade Peters sämtliche Termine der kommenden Wochen ausgedruckt und säuberlich abgeheftet, als Bram Ansari auftauchte.

„Wie ich sehe, haben Sie Peters Passwort gefunden. Alle Achtung“, bemerkte er anerkennend. „Hatte er es sich irgendwo notiert?“

Sie zählte stumm bis drei, bevor sie aufblickte. Bram lehnte lässig im Türrahmen, die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Sein wachsamer Blick jedoch strafte die lässige Pose Lügen.

„Nein.“

„Und trotzdem sind Sie reingekommen. Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“

Es juckte Ruby in den Fingern, ihn in dem Glauben zu lassen, dass sie das Passwort geknackt hatte. Aber solche Spielchen trugen nicht zu einer harmonischen Zusammenarbeit bei. Und darauf legte sie großen Wert.

„Ich bin gut, Bram, aber so gut nun auch wieder nicht. Peter hat seine Mutter beauftragt, mir sein Passwort zu senden.“

„Das hat er gar nicht erwähnt. Ich habe nämlich gerade mit ihm telefoniert.“

„Vielleicht hat er es vergessen. Oder er wollte mir Gelegenheit geben, mit meiner Genialität zu glänzen. Wie geht es ihm?“

„Er ist noch ziemlich zugedröhnt von all den Schmerzmitteln. Und er redet zu viel für jemanden, der sich ausruhen sollte.“

„Haben Sie sich denn ausgeruht, als Sie sich Ihren Knöchel gebrochen haben?“

Ein angedeutetes Schulterzucken. „Langeweile macht erfinderisch.“

Jetzt schmunzelte er. Es war fast, als hätte er einen privaten Scherz mit ihr geteilt, und sie musste ebenfalls lächeln. Das war nicht die einzige Reaktion ihres Körpers. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch, und ihr Herz hüpfte aufgeregt.

„Er hat angerufen, um sich zu erkundigen, ob Sie gut angekommen sind – und um Sie in den höchsten Tönen zu loben.“

„Wie nett von ihm. Zum Dank werde ich ihm ein ganzes Paket mit seiner Lieblingslakritze schicken.“

„Ah, Sie haben nicht lange gebraucht, um seine Schwäche zu entdecken.“

„Eine Schwäche, die ich mit ihm teile, wie ich gestehen muss.“ Sofort kam sie sich albern vor, weil er nichts darauf erwiderte. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, redete sie rasch weiter. „Ich habe mit seiner Mutter telefoniert und ihr die Angaben über seine Krankenversicherung durchgegeben. Es wird wohl Wochen dauern, bis er wieder die vielen Treppen hier schafft.“

„Er kommt nicht zurück.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Sein Vater war früher mal Botschafter in Umm al Basr, da war Peter noch ein Kind. Peter liebt die Wüste. Nach Abschluss seines Studiums wusste er nicht, was er anfangen soll, also habe ich ihm angeboten, herzukommen, als mein Assistent. Na ja, weil ihm zu der Zeit nichts Besseres einfiel, hat er mein Angebot angenommen, und eine Zeitlang hat ihm der Job wohl auch Spaß gemacht.“ Er deutete auf die Fotografien an der Wand. „Inzwischen verbringt er allerdings mehr Zeit mit seiner Kamera in der Wüste als am Schreibtisch.“

„Die Aufnahmen stammen von Peter? Er scheint sehr talentiert zu sein.“

„Ja. Höchste Zeit für ihn, das ernsthaft zu verfolgen. Wäre ich nicht so beschäftigt gewesen, hätte ich ihn schon letztes Jahr rausgeschmissen.“ Er blickte auf die Mappe in ihrer Hand. „Was ist das?“

„Ein detaillierter Terminplan für morgen und eine Zusammenfassung der Termine der kommenden Woche. Keine Ahnung, wie Peter das gehandelt hat, ich drucke die Übersicht immer aus.“

„Erzählen Sie, was liegt an?“ Er löste sich vom Türrahmen und kam herein.

Rasch ratterte sie die Termine herunter, die sie sich notiert hatte. „Ganz wichtig ist das Charity Dinner morgen Abend hier in Ras al Kawi. Gastgeber sind Scheich Fayad und Prinzessin Violet.“

„Das darf ich auf keinen Fall verpassen.“ Er nahm ihr die Mappe aus der Hand und überflog die Liste. „Haben Sie etwas Passendes anzuziehen für ein offizielles Dinner?“

Fast hätte sie überrascht nach Luft geschnappt. „Sie wollen, dass ich Sie begleite?“ Normalerweise gehörte das nicht zu ihren Aufgaben. Und normalerweise hatten die Männer, für die sie arbeitete, dafür spezielle Begleiterinnen, wenn sie nicht gerade verheiratet waren. Begleiterinnen mit Designerklamotten und teurem Schmuck.

Er sah sie scharf an. „Hm, ich dachte, die Garland Girls erledigen jede Aufgabe mit höchster Professionalität. Muss ich jetzt enttäuscht sein, Ruby?“ Sein intensiver Blick ließ sie erschauern.

„Jede Aufgabe, die legal, ehrenhaft und schicklich ist“, bemerkte sie mit einem gezwungenen Lächeln.

Bram gab ihr die Mappe zurück. „Rufen Sie in Prinzessin Violets Büro an und bitten Sie darum, dass man Ihnen ein paar Modelle ihrer letzten Kollektion schickt.“

„Ich habe ein Kleid“, versicherte sie rasch. Selbst das simpelste von Prinzessin Violets Designerkleidern kostete vermutlich mehr, als sie im Monat verdiente.

„Lassen Sie mich raten. Es ist schwarz.“

Schwarz war praktisch und passte zu vielen Gelegenheiten. „Mit einem schwarzen Kleid ist eine Frau immer gut angezogen. Es ist das Äquivalent zum Dinnerjacket.“

„Also ein langweiliges schwarzes Kleid.“

„Ich bin hier, um zu arbeiten, und nicht, um zu flirten.“

„Fein, das kommt mir sehr entgegen.“ Er hielt ihren Blick für einen Moment fest, bevor er sagte: „Es gibt da eine Entwicklung, die es nötig macht, den Terminplan zu ändern. Aber erst sollten wir essen.“

Nein, nein, nein …

Kein lockerer Austausch am Arbeitsplatz. Bloß keinem die Gelegenheit dazu geben, sie zu fragen, woher sie kam und wo ihre Familie lebte. Der ganze Smalltalk, der dazu diente, abzuchecken, ob man gesellschaftlich zusammenpasste.

„Kommen Sie.“ Bram streckte ihr die Hand hin. Plötzlich klang er wie ein waschechter Prinz, befehlsgewohnt und autoritär. „Nehmen Sie Ihren Kalender mit.“

Der Kalender. Natürlich. Es handelte sich ja um ein Arbeitsessen. Bram wollte sie nur an seiner Seite haben, damit sie ihn über seine Kontakte auf dem Laufenden hielt. Eine ihrer leichtesten Übungen. Ruby holte einmal tief Luft, sammelte ihre Sachen zusammen und folgte ihm.

Fest davon überzeugt, dass er ihr galant die Hand auf den Rücken legen würde, bereitete sie sich innerlich darauf vor, um im entscheidenden Moment nicht wie elektrisiert zusammenzuzucken.

Doch er tat es nicht.

Wieso war sie jetzt bloß so enttäuscht?

Er ging dicht neben ihr, so dicht, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Alle ihre Antennen waren auf ihn ausgerichtet. Seinen aufregenden Duft, eine faszinierende Mischung aus Mann und frischer Meeresbrise. Die winzigen Jasminblüten, die ihm auf die Schultern gerieselt waren, als er im Vorbeigehen einen üppig blühenden Busch gestreift hatte.

Nein …

Das Wort hallte so laut in ihrem Innern nach, dass sie sich fragte, ob sie es womöglich laut ausgesprochen hatte. Bram sah sie auf einmal auch so seltsam an.

Was war denn nur los mit ihr? Sie konnte den Mann doch gar nicht ausstehen. Trotzdem war sie nicht imstande, sich seiner magnetischen Ausstrahlung zu entziehen.

Du bist hier, um zu arbeiten, rief Ruby sich streng in Erinnerung.

Konzentrier dich auf deinen Job.

„Wie gestalten Sie für gewöhnlich Ihren Tag?“, erkundigte sie sich in verbindlich geschäftsmäßigem Ton.

„Hm … Peter steht meistens sehr früh auf und geht als Erstes ein paar Runden schwimmen. Und falls er danach nicht den Sonnenaufgang in der Wüste fotografiert, checkt er die E-Mails, die über Nacht eingegangen sind.“ Er sah sie an. „Laufen Sie, Ruby?“

„Nur, um einen Bus zu erwischen“, gab sie lachend zurück, konnte Bram mit ihrer scherzhaft gemeinten Bemerkung jedoch nicht mal ein Lächeln entlocken.

„Schwimmen?“

„Nicht im Meer.“

„Es gibt einen Pool.“ Falls er ihr Erschauern bemerkte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. „Außerdem steht Ihnen ein komplett ausgestatteter Fitnessraum zur Verfügung, falls Sie das vorziehen.“

„Nein danke. Ich halte mich in Form, indem ich zu Fuß zur Arbeit gehe, falls es sich ergibt, und die Treppen statt des Lifts benutze. Außerdem besuche ich einmal die Woche einen Stepptanz-Kurs, wenn ich zu Hause bin.“ Wieder bedachte er sie mit einem dieser Blicke, die sie ganz kribbelig machten. „Das ist billiger als eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, und die Schuhe sind hübscher.“

„Hier gibt es mehr als genug Treppen.“ Jetzt lächelte er doch tatsächlich!

Ruby hatte sich schon gefragt, ob er überhaupt wusste, wie das ging. Sie war so überrascht und gleichzeitig fasziniert, dass sie eine Stufe verpasste und ins Straucheln geriet. In Panik suchte sie nach Halt … und fand sich im nächsten Moment an Brams starker Schulter wieder, das Gesicht in den weichen Stoff seines T-Shirts gepresst. Die Mischung aus sonnengetrockneter Wäsche und warmer Haut machte sie ganz schwindlig.

„Entschuldigung.“ Ihre Wangen brannten vor Verlegenheit, und sie fuhr zurück. „Anscheinend kann ich nicht gleichzeitig laufen und sprechen.“

„Die Treppe ist alt, und die Stufen sind uneben.“ Die Intimität ihrer Berührung schien ihn überhaupt nicht aus dem Konzept zu bringen.

Rubys Herz pochte wild, während sie sich seiner harten Schenkel und seines Waschbrettbauchs nur zu deutlich bewusst war.

„Vielleicht wäre es das Beste, Sie halten sich mit Schwimmen fit, solange Sie hier sind.“ Er legte ihr die Hände um die Schultern, um sie zu stützen, und trat einen Schritt zurück. „Falls Sie keinen Badeanzug mitgebracht haben, lassen Sie sich einen schicken. Sie werden über eine kleine Abkühlung im Meer froh sein, wenn das Wetter heißer wird.“

Ruby fürchtete sich nicht vor heißem Wetter, damit wurde sie fertig. Was sie über ihren mehr als heißen neuen Boss nicht behaupten konnte.

Sie winkte ab. „Für eine Woche lohnt sich das nicht.“

Die Treppe war jetzt so eng, dass sie nicht mehr nebeneinander gehen konnten, also lief Bram vor. Als er sich jetzt umdrehte, um ihr zu antworten, sah er Ruby direkt in die Augen. „Und wenn ich länger als eine Woche brauche?“

Tapfer ignorierte sie den Aufruhr der Schmetterlinge in ihrem Bauch und erwiderte ohne mit der Wimper zu zucken seinen Blick. „Wenn das so weitergeht, bezweifle ich, dass ich länger als vierundzwanzig Stunden hierbleibe.“

Keiner von beiden brach den Blickkontakt. Es waren die längsten zehn Sekunden ihres Lebens.

Schließlich fragte Bram: „Ist das so, oder sind Ihnen nur die schlauen Antworten ausgegangen?“

„An Ihrer Stelle würde ich nicht drauf wetten.“

Dieses Mal huschte nur die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht, das seine Züge plötzlich erstaunlich weich wirken ließ. Denselben Effekt hatte es übrigens auf ihre Knie …

„Nein …“ Einen Moment wirkte er um Worte verlegen. „Sollen wir jetzt essen?“

„Gute Idee.“

Noch ein paar Schritte, dann hatten sie endlich die Enge der Treppenflucht hinter sich und betraten eine große Terrasse, von wo aus ein paar Stufen direkt zum Strand führten.

Ein Tisch war mit einer weißen Leinendecke, einem Blumenarrangement und Kerzen in geschliffenen Glaswindlichtern festlich gedeckt. Das schlichte, moderne Silberbesteck funkelte im Schein der Kerzen. Das Plätschern der Wellen, die ans Ufer rollten, wirkte beruhigend und einlullend.

Die Szenerie war märchenhaft exotisch … und so ganz anders als das, was Ruby normalerweise am Ende eines Arbeitstags erwartete. Ein breites Lächeln um die Lippen, rückte Khal ihr einen Stuhl zurecht. Nachdem sie sich gesetzt hatte, wandte er sich an Bram.

Nachdem die beiden Männer eine Weile auf Arabisch hin und her diskutiert hatten, sagte Bram: „Antares.“

„Ruby?“ Khal sah sie fragend an. Anscheinend ging er davon aus, dass sie seinen Wortwechsel mit dem Scheich verstanden hatte, was nicht der Fall war.

„Ähm … was?“

„Khal fragt, ob Sie morgen früh ausreiten möchten.“

„Ausreiten?“ Sofort fühlte sie sich in sorglose Kindertage zurückversetzt. Mit einem Anflug von Wehmut dachte sie an das knuddelige kleine Shetland-Pony, das sie zu ihrem vierten Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

„Können Sie reiten?“, hakte Bram nach, weil sie nicht antwortete.

„Ich habe seit Jahren nicht mehr auf einem Pferderücken gesessen. Und in Anbetracht von Peters Unfall musste ich Amanda versprechen, mich von sämtlichen gefährlichen sportlichen Aktivitäten fernzuhalten, solange ich hier bin.“

„Das Leben selbst ist lebensgefährlich, Ruby.“ Er hielt ihren Blick einen Moment fest, aber weil sie nichts erwiderte, wandte er sich wieder an Khal und sagte etwas auf Arabisch.

Der Mann verbeugte sich, wünschte ihnen eine gute Nacht und überließ sie ihrem Abendessen.

„Antares?“ Ruby breitete die gestärkte Stoffserviette über ihren Schoß. „Sie nennen Ihre Pferde nach den Sternen?“

„Nur die am hellsten strahlen. Antares, Rigel, Vega, Hadar, Altair, Adhara. Das waren meine Polo-Pferde.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte sie verkaufen sollen, als ich England verlassen habe. Inzwischen sind sie fett und faul geworden.“

„Nicht so einfach, oder? Irgendwann werden Tiere zu richtigen Familienmitgliedern.“

In diesem Moment erschien eine Frau mit einem Tablett.

„Ruby, das ist Mina“, stellte Bram die Frau vor. „Sie ist eine exzellente Köchin, spricht aber nur wenige Worte Englisch. Ihr Mann, ihr Sohn und ihre Schwiegertochter sind ebenfalls hier im Fort beschäftigt.“

As-salamu-alaikum, Mina.“

Mina antwortete mit einem Wortschwall auf Arabisch und einem strahlenden Lächeln.

„Sie freut sich, Sie kennenzulernen“, übersetzte Bram, während er ihnen aus einem Krug Fruchtsaft einschenkte. „Sie sprechen Arabisch?“

„Ein bisschen. Während meiner Einsätze in Dubai und Bahrain habe ich ein paar Brocken aufgeschnappt. Unterwegs hierher habe ich noch einen Online-Kurs gemacht. Es ist ein langer Flug.“

„Dann stimmt das Gerücht also.“

„Welches Gerücht?“

„Peter meinte, dass es als eine Art Statussymbol zu betrachten ist, ein Garland Girl zu beschäftigen.“

Sie verdrehte die Augen. „Irgendeine Zeitung hat diesen grässlichen Ausdruck aufgebracht. Erinnert mich sehr an Playboy Bunny.“

Ruby sah ihm an, dass er ein Grinsen unterdrücken musste. „Lachen Sie ruhig, das ist okay. Ich bin siebenundzwanzig, also kaum mehr ein Mädchen. Oder ein Bunny.“

„Hm, darauf muss ich Ihnen leider die Antwort schuldig bleiben.“ Er hielt ihr eine Platte hin. „Kosten Sie mal davon.“

Sie nahm eine der heißen, knusprigen Pasteten und biss hinein. Fast hätte sie vor Vergnügen gestöhnt, so gut schmeckte ihr das salzige Gebäck. Vermutlich hatte jede einzelne Pastete vier Millionen Kalorien, aber die würde sie bei dem ständigen Treppenlaufen hier schnell wieder loswerden.

„Und? Schmeckt’s?“

„Einfach fabelhaft.“

„Den Ausdruck habe ich schon lange nicht mehr gehört. Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie eine dieser exklusiven Boarding Schools besucht, wo die britische Upperclass ihre Sprösslinge parkt.“

„Was soll das werden?“, erwiderte sie mit einem Lächeln, das die Tatsache überspielen sollte, dass sie seine Frage nicht beantwortete. „Wie du mir, so ich dir? Ich weiß, wie Sie Ihren Kaffee mögen, also haben Sie mich im Gegenzug gegoogelt?“

„Und wenn, Ruby Dance“, konterte er mit gefährlich sanfter Stimme, „was hätte ich dann wohl gefunden?“

Ihre Haut prickelte, und der Mund wurde ihr trocken.

Er hatte ihren Namen gegoogelt … All ihre guten Referenzen hatten nicht verhindern können, dass er auf eigene Faust recherchierte.

„Nicht besonders viel“, erwiderte sie tonlos.

„Das impliziert, dass es irgendetwas zu finden gibt.“ Er lehnte sich zurück. „Nun, bisher habe ich nichts gefunden. Wenn ich aber noch etwas tiefer grabe, wird sich das schon ändern. Warum ersparen Sie mir nicht ganz einfach die Mühe und erzählen mir, wer Sie wirklich sind?“

Das war das erste Mal, seit sie bei Garland arbeitete, dass jemand ernsthaft ihre Vertrauenswürdigkeit infrage stellte. Plötzlich war die Atmosphäre zwischen ihnen zum Zerreißen gespannt.

Mühsam löste sie ihre Zunge vom Gaumen und sagte: „Ich habe meinen Namen aus familiären Gründen geändert.“

„Eine Klausel in einem Testament? Oder hat Ihre Mutter wieder geheiratet?“

Sie schüttelte den Kopf. Verführerisch, auf eine dieser einfachen Antworten anzubeißen. Doch das würde Ruby nicht tun. Denn sie wusste, das war ein Test. Sie musste bei der Wahrheit bleiben. „Es gab da einen Skandal, in den mein Vater verwickelt war. Reißerische Schlagzeilen. Neugierige Reporter, die nicht mal davor zurückschreckten, die Mülltonnen zu durchwühlen, und die Nachbarn dafür bezahlten, aus dem Nähkästchen zu plaudern.“

Mit hochgezogenen Brauen sah er sie an, eine stumme Aufforderung, weiterzusprechen.

„Amanda Garland kennt meine Geschichte. Ihr guter Ruf beruht auf Vertrauen.“

„Soll heißen: Ihr zu vertrauen, heißt, Ihnen vertrauen?“

Ihre Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an. Der Saft schimmerte verlockend im Kerzenschein, aber Ruby wiederstand der Versuchung, danach zu greifen. Stattdessen schluckte sie trocken. „Ja, genau.“

„Aus diesem Grund ziehen Sie also eine Anstellung bei einer Zeitarbeitsagentur vor? Wegen der Anonymität?“

„Ja.“

„Was ist mit Ihrem Vater?“

„Er ist tot. Er und meine Mutter starben, als ich siebzehn war.“

„Haben Sie sonst noch Familie?“

„Nein. Ich war ein Einzelkind.“ Soweit sie wusste, jedenfalls. Womöglich hatte ihr Vater ein ganzes Dutzend Kinder …

„Darf ich fragen, ob Sie eine Beziehung mit jemandem haben?“, bohrte Bram unnachgiebig weiter.

„Wie bitte?“

„Sie sind also völlig ungebunden?“

Allmählich wurden ihr seine Fragen suspekt. Das musste er wohl gemerkt haben, denn er sagte:

„In dem Fall hätte ich nämlich ein Angebot für Sie.“ Im nächsten Moment schüttelte er den Kopf, als hätte er es sich schon wieder anders überlegt.

„Falls Sie mir eine Festanstellung mit einem verlockenden Bonuspaket anbieten wollen, und das bereits nach wenigen Stunden, muss ich Sie warnen. Das hat Jude Radcliffe nicht mal nach einem Jahr geschafft.“

„So viel Zeit bleibt mir nicht. Und die Position, die ich Ihnen anbieten möchte, ist definitiv befristet.“

„Ich höre.“

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, also wissen Sie auch, dass mein Vater mich vor fünf Jahren verbannt hat.“

Sie nickte. Die Medien hatten sich wie die Geier auf den Skandal gestürzt und jedes noch so kleine Detail an die Öffentlichkeit gezerrt.

„Heute Morgen erhielt ich eine Einladung meines Vaters zu seinem Geburtstagsempfang.“

„Sie können wieder zurück nach Hause?“

„Wenn es nur so einfach wäre. Die Situation ist leider sehr viel komplizierter. Ich kann nur in Begleitung einer Ehefrau zurück.“

Ihr Herz sank. Für einen göttergleichen Multimillionär wie ihn dürfte es kein Problem sein, die passende Kandidatin aufzutreiben. „Hm, das ist jetzt zwar ein bisschen kurzfristig, und ich bin auch nicht mit den Gesetzen dieses Landes vertraut, aber ich werde mein Bestes tun, um eine geeignete …“

„Die habe ich bereits gefunden“, unterbrach er sie. „Die Hochzeit könnte bereits morgen stattfinden. Meine Frage lautet also: Wie weit geht Ihre Einsatzbereitschaft als Garland Girl? Sind Sie bereit, mein Angebot anzunehmen und mich zu heiraten?“

3. KAPITEL

„Ich?“

Ruby griff mit deutlich zitternder Hand nach ihrem Saftglas. Doch anstatt es ihm an den Kopf zu werfen, führte sie es sich an die Lippen. Anscheinend brauchte sie einen Moment, um sich zu sammeln, und Bram ließ ihr diese Zeit.

„Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen, dass ich Ihre Frau spiele?“

„Nein, es geht noch ein bisschen weiter.“ So, wie er Ruby einschätzte, redete er am besten Klartext. „Ich schlage Ihnen eine Vernunftehe auf Zeit vor, Scheidung mit inbegriffen, wobei der passende Zeitpunkt noch abzuwarten bleibt. Die Scheidung wird natürlich genau wie die Eheschließung eine reine Formalität sein.“

Ihre dunklen Brauen schossen in die Höhe. „Aber Sie kennen mich doch gar nicht …“

„Das ist auch nicht nötig. So ist das mit Zeitarbeit. Und Sie sind eine Zeitarbeitnehmerin mit besten Referenzen.“

„Ja, als Assistentin!“

„Die brauche ich auch noch.“

„Habe ich das richtig verstanden – wir heiraten wirklich?“

„Es wird einen Ehevertrag geben, der vor Zeugen abgeschlossen wird, denen mein Vater vertraut. Nichts weiter als ein geschäftliches Abkommen, inklusive Beförderung zur Prinzessin – auf Zeit, versteht sich. Natürlich wird das Honorar der neuen Position angemessen sein, ohne weitere Verpflichtungen allerdings.“

„Mit weitere Verpflichtungen meinen Sie wohl … Sex? Ich möchte das gern absolut klarstellen.“

Sie nahm wirklich kein Blatt vor den Mund, das musste man ihr lassen. „Kein Sex“, bestätigte er. Wenn das hier funktionieren sollte, mussten alle Details wie bei einem geschäftlichen Vertrag offen auf dem Tisch liegen. Keine Komplikationen.

„Sie wollen Ihren Vater also einfach nur davon überzeugen, dass Sie verheiratet sind.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Sind Sie schwul, Bram?“

Na, das war wirklich direkt …

„In einigen Kulturen ist das immer noch ein Tabu, das weiß ich, und …“

Bram konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Wahrscheinlich überlegte sie gerade, in welcher Beziehung Peter und er wirklich zueinander standen …

„Nein!“, rief er aus. In diesem Moment erschien Mina, um den Tisch abzuräumen, und er dämpfte seine Stimme. „Nein, Ruby, ich bin nicht schwul, aber wenn ich es wäre, würde ich mich nicht hinter einer Fake-Ehe verstecken.“

„Was ist es also, das Sie verstecken?“

„Gewichtige Gründe, Ruby.“

„Zweifellos.“ Den Blick aus ihren graublauen Augen fest auf ihn gerichtet, erwiderte sie kühl: „Es tut mir leid, Scheich, aber bei so einem Betrug kann ich nicht mitmachen.“

Er hatte schon erwartet, dass sie ablehnen würde. Das sprach für ihre Reputation.

„Mein Vater hatte letztes Jahr eine schwere Bypass-Operation“, sagte er.

Ihr Blick wurde weicher. „Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid, ich …“

„Er weigert sich partout, kürzerzutreten, einen Gang zurückzuschalten. Ich muss zu ihm und ihn um Verzeihung bitten.“

„Und er wird wollen, dass Sie kommen.“ Sie hielt inne, als Mina weitere delikate Speisen vor sie hinstellte. „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt“, fuhr Ruby fort, während sie Hühnchen und gewürzten Reis auf ihre Teller häufte. „Er ist der Emir. Sein Wort ist Gesetz.“

„Einen guten Herrscher zeichnet die Fähigkeit aus, eigene Befindlichkeiten zurückzustellen, wenn es um das Wohl des Volkes geht. Früher tobten in Umm al Basr heftige Stammesfehden, das hat nie jemanden interessiert – bis Öl gefunden wurde. Die Aussicht auf Reichtum einte die Stämme, und man wählte den Ansari-Clan als Anführer. Der Khadri-Clan wurde mit der Aussicht auf eine vorteilhafte Ehe beschwichtigt: eine Verbindung zwischen der ältesten Tochter der Khadris und dem zukünftigen Emir von Umm al Basr.“

„Wie es früher überall üblich war. Opfere eine Tochter, um ein Friedensabkommen zu besiegeln.“

„Als der Vertrag unterzeichnet wurde, war ich zehn, Safia Khadri vier. Nach meiner Eskapade im Brunnen, mit der ich Safia entehrte, drohte Ahmed Khadri, mich umzubringen, wenn ich das Land je wieder betrete.“

„Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Mir kommt es so vor, als hätte der gute Herr nur die Gelegenheit ergriffen, Unfrieden zu stiften.“

„Schlau beobachtet“, meinte Bram anerkennend. „Die Khadris haben sich nie damit abgefunden, nur die zweite Geige zu spielen.“

„Um des lieben Friedens willen hat Ihr Vater Sie also verstoßen.“ Ruby beugte sich vor und stützte das Kinn in die Hände.

Das Eis zwischen ihnen war geschmolzen. Trotzdem galt ihr Mitgefühl nicht unbedingt ihm, sondern seinem Vater und Safia. Bram hatte ja genau gewusst, welche Folgen seine Eskapade nach sich ziehen würde.

„Worum geht es denn nun bei dem Handel, den Sie erwähnten?“

„Der Preis für meine Rückkehr nach Hause ist, dass ich Bibi heirate.“

„Bibi?“

„Khadris jüngste Tochter.“

Ruby schwieg einen Moment, dann sagte sie ruhig: „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.“

„Sie reagieren bemerkenswert cool. Von Ihnen als Westeuropäerin hätte ich mehr Empörung erwartet.“

„Wegen einer arrangierten Ehe? Das ist in diesen Breitengraden doch ganz normal – und war bei uns vor nicht allzu langer Zeit durchaus auch noch üblich. Mit diesem Angebot kriegen Sie immerhin eine zweite Chance.“ Sie zögerte. „Was ist eigentlich mit Safia?“

„Sie hat den neuen Thronerben geheiratet, wie vertraglich festgelegt. Nachdem ich enterbt war, ist mein jüngerer Bruder aufgerückt“, erklärte er genauso beiläufig, wie sie ihm erzählt hatte, dass sie ihren Namen geändert hatte. Als sei es keine große Sache.

„Mich hätte interessiert, wie sie die Sache empfunden hat. Aber vermutlich blieb ihr sowieso keine andere Wahl.“

„Gefühle spielen dabei keine Rolle. Die beiden haben ihre Pflicht erfüllt.“

„Okay …“ Ruby nestelte am Träger ihres Tops, ein deutliches Indiz, dass sie nicht so cool war, wie sie ihn glauben machen wollte. Gut, das kam ihm sehr entgegen. „Also, was hat sich geändert? Wieso ist Ahmed Khadri, der Mann, der Ihnen am liebsten den Hals umdrehen möchte, plötzlich bereit, Ihnen seine jüngste Tochter zu geben?“

„Safia hat meinem Bruder drei Töchter in fünf Jahren geboren. Bei der letzten Schwangerschaft gab es Komplikationen. Die beiden müssen mindestens zwei Jahre warten, bis sie noch einmal versuchen können, einen Sohn zu zeugen.“

„Ah, deshalb ist ihr Vater plötzlich bereit, Ihnen zu vergeben und eine zweite Tochter zur Gebärmaschine zu machen?“ Jetzt konnte Ruby ihre Empörung kaum noch verbergen.

„Das hat nichts mit Vergebung zu tun, es geht einzig und allein um Politik.“

„Hat Bibi die Chance, Nein zu sagen?“

„Theoretisch schon, doch sie wird sich ihrem Vater nie widersetzen.“

Ungläubig schüttelte Ruby den Kopf. „Kennen Sie sie?“

„Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie zwölf, hochintelligent und fest entschlossen, Medizin zu studieren. Soweit ich weiß, hat sie ein Jahr früher Abitur gemacht und könnte im September ihr Studium aufnehmen. Sie wird völlig fertig sein, ihren Herzenswunsch aufgeben zu müssen, um einen alten Mann wie mich zu heiraten. Und auch ich bin alles andere als begeistert, mit einer siebzehn Jahre alten Jungfrau beglückt zu werden.“

„Siebzehn? Sie ist ja noch ein halbes Kind“, bemerkte Ruby entsetzt. „Aber ein alter Mann sind Sie ja nun noch nicht“, beeilte sie sich hinzuzufügen.

„Nein, aber immerhin doppelt so alt wie sie.“ Es amüsierte ihn, wie Ruby gleichzeitig versuchte, seine Gefühle zu schonen und ihr Entsetzen auszudrücken.

„Hm, wussten Sie, dass es der Mann ist, der das Geschlecht des Kindes bestimmt? Wenn Mädchen in Ihrer Familie überwiegen, ist ihr Opfer womöglich ganz umsonst.“

„Bingo. Ich habe vier ältere Schwestern.“

„Vier? Na, dann muss Ahmed Khadri sich auf eine lange Wartezeit einstellen.“

„Da kann er warten, bis er schwarz wird, das wird nicht passieren“, sagte Bram mit Nachdruck. „Bibi wird Teil des modernen Umm al Basr sein, wo Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer.“

„Sie tun das alles für sie?“

„Nein, Ruby, ich tue es für mich. Haben Sie eine Vorstellung, was für ein Horror das Zusammenleben mit einer unwilligen Teenager-Braut sein wird?“

Ruby lehnte sich zurück. Er konnte förmlich sehen, wie es in ihr arbeitete.

„Sind Sie sicher, dass sie nicht möchte? Woher wollen Sie wissen, ob sie es plötzlich nicht vielleicht ganz verlockend findet, die Frau eines zukünftigen Emirs zu werden?“

„Sie hat ihrer Schwester einen Brief zugeschmuggelt, einen unmissverständlichen Hilferuf.“

„Aber wenn Sie jetzt mit einer Ehefrau an Ihrer Seite zu Hause auftauchen, geht dann das ganze Theater nicht wieder von vorn los?“

„Nicht unbedingt. Würde ich solo zurückkehren und Bibis Hand ausschlagen, wäre das eine Katastrophe. So aber reise ich völlig ahnungslos an, um meiner Familie meine frisch angetraute Ehefrau vorzustellen. Was gibt’s dagegen einzuwenden?“

„Vermutlich eine ganze Menge.“

„Gut möglich, aber keiner wird seine Einwände laut aussprechen. Mein Vater ist durch und durch Politiker. Auf keinen Fall wird er sich anmerken lassen, wie sehr es ihn freut, seinem alten Widersacher eine Niederlage zugefügt zu haben. Und Ahmed Khan hat nichts zu gewinnen, wenn er einen Skandal provoziert. Zweifellos hat er bereits eine saftige Brautgabe von meinem Vater für seine jüngste Tochter erpresst. Mehr als genug, um Bibi ein komfortables Leben und ein Medizinstudium in England zu ermöglichen.“

„Also wird jeder zufrieden sein.“

„Sie klingen nicht wirklich überzeugt.“

„Ich überlege gerade, was wohl passiert, wenn Sie in ein paar Wochen die Ehe für beendet erklären.“

„Wahrscheinlich werden alle denken, ich bin ein kompletter Dummkopf“, meinte er achselzuckend. „Das ist ja nichts Neues.“

„Alle werden denken, dass ich äußerst zweckdienlich war.“

„Da könnten Sie recht haben.“ So weit hatte er noch gar nicht gedacht. „Wie lange hat Ihr längster Einsatz bei einem Kunden gedauert?“

„Sechs Monate Mutterschaftsvertretung. Es war mein erster Job. Ein Einmannbetrieb.“

Sechs Monate … Wie es wohl wäre, Ruby Dance ganze sechs Monate um sich zu haben? Blitzgescheit, schlagfertig. Und dann diese faszinierenden graublauen Augen … „Hat es Ihnen gefallen?“

„Er war geduldig und sehr nett zu mir, und zwar zu einer Zeit, wo es mir nicht so gut ging. Ab und zu arbeite ich noch für ihn, wenn er eine Vertretung braucht.“

„Ich bin weder geduldig noch nett. Trotzdem werden Sie es nicht bereuen, wenn Sie mir sechs Monate Ihrer Zeit widmen.“

„Gibt es denn niemanden sonst, den Sie fragen könnten? Eine Freundin?“

„Die Zeit ist knapp, Sie stehen zur Verfügung, und mir ist ein unkompliziertes Geschäftsabkommen am liebsten.“ Er sah ihr fest in die Augen. „Wie viel sind sechs Monate Ihres Lebens wert, Ruby? Nennen Sie mir Ihren Preis.“

Ruby erstarrte. Bis zu diesem Moment war ihr sein Anliegen völlig rhetorisch vorgekommen. Plötzlich wurde es real, und ihr erster spontaner Gedanke war: Nie und nimmer! Betrug war ihr zuwider. Andererseits würden sie niemandem schaden, im Gegenteil. Bram könnte sich endlich mit seinem Vater aussöhnen, und eine junge Frau wurde vor einer Zwangsheirat bewahrt. Damit wären zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Er hatte sie nach ihrem Preis gefragt. Die Zahl, die ihr vorschwebte, würde er, der Milliardär, wahrscheinlich mit einem Achselzucken abtun. Für sie bedeutete es, ein neues Leben anfangen zu können. Sie könnte die letzten Schulden ihres Vaters begleichen, reinen Tisch machen … und wäre endlich frei.

„Ich muss darüber nachdenken“, sagte sie. „Das kann ich am besten bei einem Spaziergang. Ist es am Strand sicher?“ Ruby stand auf.

„Nachts allein spazieren zu gehen, ist hier nicht ratsam.“ Er stand ebenfalls auf. „Wenn ich eine schwierige Entscheidung treffen muss, ziehe ich mich immer in den Pferdestall zurück. Pferde sind großartige Zuhörer.“

Sie schluckte den plötzlichen Kloß im Hals hinunter. Erinnerte sich voller Wehmut an die Stunden, die sie damit verbracht hatte, mit ihren Pferden zu sprechen und sie zu striegeln. Die Geheimnisse, die sie mit ihnen geteilt hatte. Ihre Pläne, ihre erste Verliebtheit, ihr erster Kuss …

„Möchten Sie sie gern kennenlernen?“, fragte Bram.

Nein … Ja … „Ja, gern.“

Bram ging voraus, führte sie eine weitere Treppe hinunter zu einem geschützten Hof im hinteren Teil des Forts. Bewegungsmelder sprangen an, tauchten alles in ein gedämpftes Licht.

Ruby blieb stehen und atmete genüsslich den vertrauten Geruch von Heu und Pferden ein. Bram verschwand in der Sattelkammer und kam mit einem Bund Möhren heraus. Aus der ersten Pferdebox drang leises Schnauben, dann erschien ein grauer Pferdekopf über der halbhohen Tür.

Bram murmelte ein paar besänftigte Worte auf Arabisch und streichelte dem Tier über die samtweichen Nüstern. „Das ist Vega. Mein allerhellster Stern“, sagte er zu Ruby.

Salam, Vega.“ Vorsichtig näherte sich Ruby dem stolzen Tier und streckte ihm eine Möhre hin, rieb dann sanft über die Nüstern, wie Bram es getan hatte.

So ging es weiter. Bram führte sie von Box zu Box, stellte ihr jedes einzelne Tier vor.

„Sie sind wirklich prachtvoll“, schwärmte Ruby seufzend, nachdem sie ihre Runde beendet hatten.

„Was meinen Sie, wer gibt den besten Zuhörer ab?“

„Rigel“, erwiderte sie, ohne zu zögern.

Wortlos verschwand Bram erneut in der Sattelkammer und holte eine Striegelbürste, die er Ruby in die Hand drückte. Dann öffnete er die Tür zu Rigels Box. „Schütten Sie ihm ruhig Ihr Herz aus. Nehmen Sie sich die Zeit, die sie brauchen. Ich bin inzwischen bei meinen Falken.“

Ruby brauchte gar nicht länger nachzudenken, ihr Entschluss stand fest. Sie hatte Bram mit seinen Tieren erlebt, hatte gesehen, wie zutraulich sie in seiner Gegenwart wurden. Trotzdem gönnte sie sich diese kleine Auszeit mit Rigel, genoss die tröstliche Wärme des Pferdekörpers, legte dem Tier die Hand in den Nacken und schmiegte die Wange an sein seidiges Fell.

Eine halbe Stunde später gesellte sie sich zu Bram in die Falknerei.

Behutsam setzte er einen der prachtvollen Vögel in seinen Käfig zurück und zog den dicken Lederhandschuh aus. „Und? Alles erledigt?“

„Ich habe eine Frage.“

„Nur eine?“

„Nur eine.“

„Schießen Sie los.“

„Falls ich Nein sage, was werden Sie dann tun?“

Der Mond war aufgegangen, ergoss sein silbriges Licht über ihr Haar … Bram konnte sie nur schweigend ansehen.

„Bram?“

Er schüttelte den albernen Anflug von Romantik ab. Das hier zwischen Ruby und ihm war eine reine Geschäftsangelegenheit, und so musste es auch bleiben.

„Ich sehne mich sehr nach meinem Vater, möchte mich gern mit ihm versöhnen, aber nicht um jeden Preis, Ruby. Wenn Sie Nein sagen, werde ich ihm schriftlich meine besten Wünsche zum Geburtstag übermitteln, wie ich es jedes Jahr tue. Und mein Bedauern darüber ausdrücken, dass ich nicht kommen kann, um mit ihm zu feiern.“

Er registrierte, wie sie schluckte.

„Sechs Monate?“

„Keine Kleinigkeit, ich weiß.“

„Es ist nur ein Job“, erinnerte sie ihn.

„Ja.“ Warum fiel ihm gerade jetzt auf, wie wunderschön sie war? Wahrscheinlich lag es am Mondschein, der seine Magie wirken ließ.

„Na gut. Sie sagten ja, die Hochzeitszeremonie sei in diesem Fall nur eine Formalität und schnell erledigt. Also, das sind meine Bedingungen: Sie bezahlen Amanda wie gehabt für meine Arbeit, solange ich hier bin. Ich brauche etwas zu tun, und Sie brauchen eine Vertretung für Peter. Wir müssen ihr so schnell wie möglich Bescheid geben, damit sie mich für die nächsten sechs Monate freistellt.“

„Klingt vernünftig.“

„Dann zahlen Sie als Bonus einen einmaligen Betrag auf das Konto meines Anwalts, sobald der Deal abgeschlossen ist.“ Sie holte tief Luft und nannte ihren Preis – keine runde Summe, exakt die Höhe ihrer Schulden.

Bram wäre bereit gewesen, ihr das Vierfache zu zahlen. Doch sicher gab es einen Grund für diese krumme Summe, und jetzt war nicht der richtige Moment, um zu diskutieren.

Er nickte. „Abgemacht. Und weiter?“

„Nichts weiter“, erwiderte sie mit einem Lächeln, das nur oberflächlich strahlend wirkte. Darunter verbargen sich Tränen, das erkannte er sofort.

„Keine weiteren Bedingungen?“, vergewisserte er sich.

„Nein, keine. Also“, fuhr sie fort, als sie zur Terrasse und dem gedeckten Tisch zurückkehrten. „Der Brautpreis ist erledigt. Was kommt als Nächstes?“

„Ich rufe meinen Cousin an, den Emir von Ras al Kawi, damit er einen Ehevertrag aufsetzt.“ Bram schenkte ihnen beiden Tee ein, den Mina inzwischen serviert hatte. „Morgen vor dem Charity Dinner erledigen wir die Hochzeitsformalitäten.“

„Hm, ich will Ihren Plan ja nicht madig machen, aber ich fürchte, es braucht etwas mehr als einen Vertrag, um Ihre Familie davon zu überzeugen, dass es sich um eine echte Ehe handelt.“

„Ein Ehevertrag lässt sich schwerlich ignorieren“, wandte er ein.

„Das stimmt wohl, aber hier handelt es sich nicht um eine arrangierte Ehe, wo jedes noch so kleine Detail vertraglich geregelt ist. Zumindest Ihre weiblichen Verwandten werden all die romantischen kleinen Details wissen wollen. Wie wir uns kennengelernt haben, wann und unter welchen Umständen … Wir brauchen eine Liebesgeschichte.“

„Oh.“ Bram rieb sich über das Gesicht. „Ich hatte es mir einfacher vorgestellt.“

„Keine Sorge, das wird es auch. Trotzdem will die Angelegenheit gut vorbereitet sein, wir brauchen eine Basis, auf der wir aufbauen können.“ Sie nahm sich eine Dattel aus der silbernen Schale auf dem Tisch. „Fangen wir damit an, wie wir uns kennengelernt haben. Ich denke, in London, das ist am wahrscheinlichsten.“

„Ich war dort letztes Jahr im Dezember für eine Woche“, bemerkte er achselzuckend.

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist zu frisch. Wie oft sind Sie in London?“

„Kommt drauf an. Einmal im Monat ungefähr. Etwas häufiger, wenn gerade ein neues Projekt anläuft.“

„Nehmen Sie Peter jedes Mal mit?“

„Normalerweise nutzt er meine Abwesenheit, um mit seiner Kamera in der Wüste auf Motivjagd zu gehen.“ Bram begriff. „Hm, er könnte sich hilfesuchend an seine Patentante gewandt haben, damit sie mir in London eine Assistentin stellt.“

„Das klingt plausibel. Und natürlich würde sie ihr bestes Pferd im Stall schicken.“

„Natürlich.“

„Und Sie waren dermaßen beeindruckt …“

„… dass ich jedes Mal, wenn ich mich in London aufhielt, speziell nach Ihnen verlangte.“

„Ganz genau. Da ist es nur logisch, dass sie mich gebeten hat, alles stehen und liegen zu lassen, um nach Peters Unfall als Vertretung für ihn einzuspringen.“

„Und dann, im ersten Moment, als ich Sie sah …“ Sein Grinsen verschwand.

„Wurde Ihnen bewusst, dass Sie ohne mich nicht leben können.“

Plötzlich schien die Zeit stehenzubleiben, und sie sahen einander stumm an, während eine leichte Brise die Kerzenflammen tanzen ließ.

„Tja, das ist schon mal ein guter Anfang, aber ich fürchte, wir brauchen mehr als das“, brach Ruby schließlich das Schweigen.

„Tun wir das?“

Sie fröstelte. Allmählich wurde es kühl draußen. „Ich. Ich brauche mehr. Ihnen wird man wahrscheinlich nur augenzwinkernd auf die Schulter klopfen, aber mich werden die Frauen der Familie einem wahren Kreuzverhör unterziehen. Sie werden wissen wollen, wer ich eigentlich bin und weshalb ich mir einbilde, gut genug für Sie zu sein.“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie ihnen schon mal begegnet sind“, erwiderte er schmunzelnd.

„Was das betrifft, sind Mütter und Schwestern überall auf der Welt gleich.“

„Na gut, das macht die Sache allerdings komplizierter, als ich mir vorgestellt hatte. Kriegen Sie das hin?“

„Ja. Dazu brauchen wir aber eine wasserdichte Story, und es ist superwichtig, dass wir beide dasselbe erzählen.“

Wieder schwiegen sie, bevor Bram sagte: „Okay, lassen Sie uns mal weiterfantasieren. Ich könnte Ihre Dienste einmal bis spät am Abend in Anspruch genommen und dann darauf bestanden haben, Sie zum Dinner auszuführen.“

„Um mich für die harte Arbeit zu belohnen?“

„Vielleicht war ich auch ein kleines bisschen egoistisch.“ Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „Ich hatte keine Lust, allein zu essen, und Sie sind eine intelligente und attraktive Frau.“

Ruby spürte, wie sie rot wurde. Wie peinlich war das denn! Er meinte sein Kompliment doch nicht ernst, sie dachten sich nur eine Geschichte aus. Eine Lügengeschichte.

„Sie essen allein?“, fragte sie, während sie versuchte, die Kälte, die in ihr hochzukriechen begann, zu ignorieren. Es machte ihr zu schaffen, dass ausgerechnet sie drauf und dran war, eine Lebenslüge zu erfinden – genauso, wie ihr Vater es so oft getan hatte. Und was das Schlimmste war, es ging so leicht …

Für einen guten Zweck, beruhigte sie sich. Ausschließlich für einen guten Zweck.

„Mein Leben hat sich in den letzten Jahren ziemlich verändert“, erwiderte Bram. „Ich bewege mich nicht mehr in denselben Kreisen wie damals, als ich noch in Europa lebte.“

Fühlte er sich einsam?

Lass dich nicht ablenken, konzentrier dich auf die Fakten!

„Okay, Sie hatten also Lust auf Gesellschaft zum Essen, das klingt plausibel. Wohin haben Sie mich ausgeführt?“

Er überlegte einen Moment, bevor er die Namen der exklusivsten Restaurants der Stadt herunterratterte.

Ruby schüttelte den Kopf. „Sehr nett und großzügig von Ihnen, aber völlig unmöglich. Nicht vergessen, es ist schon spät, und ich habe einen langen Arbeitstag hinter mir. Das heißt, ich müsste noch duschen und mich umziehen, um mich in solchen Nobelschuppen blicken zu lassen.“

Er räusperte sich. „Stimmt, und so spät kriegt man da auch keinen Tisch mehr, ohne vorher zu reservieren. Das heißt, ich müsste bis zum nächsten Tag warten, um mich erkenntlich zu zeigen.“

„Am nächsten Tag müssen Sie abreisen“, erinnerte sie ihn.

„Ach ja?“

„Ihre Maschine steht schon am London City Airport bereit. Keiner von uns beiden hat etwas gegessen, seit ich mein Sandwich zum Lunch mit ihnen geteilt habe.“

Er sah sie einen Moment verblüfft an, um im nächsten laut loszulachen. „Hey, Sie gehen ja richtig in der Story auf!“

Aber natürlich tat sie das. Schließlich war sie die Tochter eines Hochstaplers, und der Apfel fiel nicht weit vom Stamm.

„Okay. Es ist also spät, und wir sterben vor Hunger. Was schlagen Sie vor?“

„Einen raschen Abstecher ins nächstgelegene Fastfood-Restaurant? Oder wir bestellen uns etwas beim Chinesen. Wo würden wir uns denn aufhalten? Sie haben kein Büro in London.“

„Ich habe eine Dienstwohnung im Savoy. Dort arbeite ich auch. Und ein Haus habe ich ebenfalls, aber das ist ständig von meiner Mutter und meinen Schwestern besetzt.“

Okay … „Oh, dann ist es ganz einfach. Sie hätten natürlich den Zimmerservice des Savoy gerufen. Ich wäre schon mit ein paar Rühreiern und einer Kanne Tee zufrieden gewesen, aber Sie haben ein opulentes Dinner und eine Flasche Champagner bestellt, um einen erfolgreichen Geschäftsabschluss zu feiern.“ Sie hielt kurz inne. „Trinken Sie überhaupt Champagner?“

„Die Frage erübrigt sich wohl“, erwiderte er spöttisch.

„Ach ja, natürlich …“ Sofort hatte sie die Skandalfotos vor Augen: Bram, völlig nackt, einen Arm um eine junge Frau in durchnässten Dessous gelegt, wie er eine Flasche Champagner über sie beide ausleerte. Ruby räusperte sich. „Sagen wir also, das passierte vor etwa achtzehn Monaten. Ungefähr zum Börsenstart von Maxim Sport.“

„Woher wissen Sie das denn?“ Ihm fiel das Lächeln aus dem Gesicht.

„Das ist kein Geheimnis.“

„Nein, ist es nicht, trotzdem. Das kam jetzt wie aus der Pistole geschossen. Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten im Flugzeug zufällig darüber gelesen.“

Hätte sie doch bloß den Mund gehalten. Jetzt war es zu spät. „Ich weiß es, weil ich einen Großteil meines sauer verdienten Gelds in ein Aktienpaket investiert habe.“

„Sie spekulieren an der Börse?“, fragte er scharf.

„Normalerweise nicht.“ Sie hatte nichts Falsches getan, brauchte sich nicht zu rechtfertigen. Aber Bram war plötzlich misstrauisch geworden, sein Lächeln war verschwunden, ebenso sein warmherziger Ton. „Die sechsmonatige Mutterschutzvertretung, die ich erwähnte, war für einen Börsenmakler. Von ihm habe ich einiges gelernt, unter anderem, einen smarten Risikokapitalgeber namens Bram Ansari im Auge zu behalten.“

„Ah, ich verstehe. Vermutlich versorgen sie ihn seitdem mit wertvollen Insiderinformationen Ihrer jeweiligen Auftraggeber.“

Mist. Sie hatte es geschafft, mit einer achtlosen Bemerkung Brams mühsam gewonnenes Vertrauen in sie zu zerstören. Mit bebenden Fingern zog sie ihr Tablet aus der Tasche und öffnete eine Datei.

„Das ist mein Portfolio. Wenn Sie es mit meinem Lebenslauf vergleichen, werden Sie feststellen, dass ich niemals in ein Unternehmen investiert habe, für das ich gearbeitet habe.“ Sie stand auf und legte das Tablet vor ihn auf den Tisch. Als sie sich zum Gehen wandte, nahm er ihre Hand.

„Ruby …“

„Da können Sie alles schwarz auf weiß nachlesen. Daten, Summen, Gewinne …“

„Würden Sie sich bitte wieder hinsetzen, Ruby?“

Sie gehorchte, setzte sich steif auf die Kante ihres Stuhls. Bram hielt immer noch ihre Hand fest, ganz leicht, während er ihr Portfolio studierte. Sie könnte sich leicht aus seinem Griff befreien, hätte es unbedingt tun müssen …

Schließlich blickte Bram auf und gab ihr das Tablet zurück. „Ein interessantes Portfolio. Allerdings verkaufen Sie zu schnell.“

„Ich habe Ausgaben.“

Er nickte, ohne weiter nachzuhaken. „Wenn Sie mögen, werfen Sie doch mal einen Blick auf mein Portfolio. Würde mich interessieren, ob Ihnen irgendwas ins Auge sticht.“

Puh, das war noch mal gutgegangen. Sie hatte sein Vertrauen zurückgewonnen.

„Also, Ruby, was haben wir nun an jenem ersten Abend, dem Beginn einer großen Liebe, gegessen?“

Der abrupte Themenwechsel brachte sie einen Moment aus dem Konzept. „Keine Ahnung. Ich muss mal die Online-Speisekarte des Savoy studieren.“

„Es gibt dort exzellenten Fisch. Mögen Sie Meeresfrüchte?“

„Ja, die liebe ich.“

„Okay, wir haben eine Platte Meeresfrüchte bestellt. Austern, Hummerschwänze, Shrimps.“

Da saßen sie hier draußen in dieser zauberhaften Nacht bei Kerzenschein, nur er und sie, und spannen an ihrer Geschichte. Plötzlich kam ihr die Lovestory beinahe realistisch vor, und sie sah richtig vor sich, wie sie sich die Meeresfrüchte schmecken ließen, sich dabei angeregt unterhielten – ähnlich wie heute Abend.

„Köstlich“, brachte sie mit belegter Stimme hervor.

„Und dann?“

„Dann haben wir geredet. Und wir hatten ein himmlisches Dessert … irgendwas aus Schokolade, ich erinnere mich nicht genau.“

„Oh?“ Er stützte das Kinn in die Hand, ein herausforderndes Lächeln um die Lippen. „Worüber haben wir denn geredet, dass Sie alles andere um sich herum vergessen haben?“

„Über die Firma, in die Sie zu investieren beabsichtigten.“ Ihre Wangen röteten sich, während sie sprach. „Ein Newcomer in der Ökoindustrie.“

Und schon vertieften sie sich in eine lebhafte Diskussion über die Firma und den Idealismus der Leute, die dort arbeiteten. Ganz nebenbei machten sie der Platte mit Obst und Gebäck, die Mina ihnen hingestellt hatte, den Garaus.

Plötzlich schwiegen beide, und Bram sah sie aus blitzenden Augen an. „Und dann, Ruby? Nachdem wir aufgehört haben zu reden, was haben wir dann getan?“

„Ich …“ Sie stockte, noch ganz aufgewühlt von dem intensiven Gespräch. Außerdem fühlte sich alles so aufregend realistisch an … „Es wurde ziemlich spät. Sie haben Ihren Wagen gerufen, und ich bin brav nach Hause gefahren.“

„Und ich habe sofort meinen Flug nach New York gecancelt, damit ich Sie am nächsten Tag wiedersehen kann.“

„Nein.“

„Nein?“

„Ich wäre nicht frei gewesen. Sie hatten Glück, mich für den einen Tag buchen zu können.“

„Ruby, Ruby.“ Er lachte sanft. „Okay, ich musste am nächsten Tag also weg, aber zum Glück hatte mein Fahrer Ihre Adresse.“ Seine Stimme war samtweich, und Ruby erschauerte. „Ich tauchte ziemlich früh morgens auf Ihrer Türschwelle auf mit Kaffee und warmen Schokobrötchen, um mit Ihnen zu frühstücken.“

„Ja …“, hauchte sie atemlos, während ihr Kopfkino auf Hochtouren arbeitete: Ein unerwartetes Klingeln an der Tür. Rasch in den seidenen Morgenmantel schlüpfen, während sie lief, um zu öffnen. Das freudige Hüpfen ihres Herzens, als sie Bram vor der Tür stehen sah, eine Bäckertüte in der Hand, seine braunen Augen dunkel vor Hunger … und zwar nicht nur auf Frühstück.

Einen Moment rührte sich keiner von ihnen.

„Es war ein langer Tag für Sie.“ Bram schob abrupt seinen Stuhl zurück und stand auf. „Wir reden morgen weiter.“

Ruby schluckte. „Lang und außergewöhnlich.“ Was für eine Entwicklung … Hatte sie anfangs noch damit gerechnet, dass Bram Ansari sie jeden Moment wieder zurückschicken würde, übernahm sie keine sechs Stunden nach ihrer Ankunft plötzlich die Rolle als seine Ehefrau.

Bram zog galant ihren Stuhl zurück, und sie stand ebenfalls auf. Als sie sich umdrehte, fiel ihr die dünne Narbe unter seinem linken Auge auf. Ganz automatisch hob sie die Hand, kurz davor, ihn zu berühren.

„Ich habe Safia Khadri entehrt. Jemand, der sie liebt, war der Meinung, ich sollte mich immer daran erinnern.“

Er nahm ihre Hand und begleitete Ruby zu ihrer Suite – ganz so, als seien sie in Wirklichkeit ein Paar.

Sanft, aber mit Nachdruck entzog Ruby ihm ihre Hand. „Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, was Sie Ihrem Vater schenken wollen?“, fragte sie, fest entschlossen, sich auf ihren Job zu konzentrieren.

„Ich habe einen jungen Falken für ihn abgerichtet.“

„Oh, ein sehr persönliches Geschenk. Ich bin sicher, er weiß das zu schätzen.“

„Hoffen wir’s.“

„Er hat den Deal mit seinem alten Feind ausgehandelt, damit er Sie wieder in seiner Nähe hat“, sagte sie leise. „Er wird Sie nicht noch einmal wegschicken.“

Bram sah sie an. Einen Moment wirkte er so verletzlich, dass sie kurz davor war, ihn tröstend in die Arme zu nehmen. Sie konnte sich gerade noch beherrschen.

Dann war der Moment vorbei, und Bram sagte: „Ich brauche Ihre Handynummer. Und die Ihres Anwalts.“

„Jetzt?“

„Ja. Bitte.“

„Ich schicke Ihnen die Nummern per SMS.“

„Okay, das wäre also geklärt.“ Er sah sie ernst an. „Ich danke meinem Schicksal, dass es Sie ausgerechnet jetzt hierhergeführt hat. Sie sind perfekt für diese Rolle, davon bin ich überzeugt. Meine Schwestern werden Sie lieben.“

„Oh, danke für die Blumen, doch für Sie ist es besser, wenn sie mich nicht allzu sehr ins Herz schließen. Wenn die Sache vorbei ist, brauchen Sie ihr Mitgefühl und ihre Solidarität und keine Schuldzuweisungen. Mal schauen, vielleicht lege ich mir ein paar Prinzessinnen-Allüren zu, lasse die verwöhnte Diva raushängen.“

„Peter hat recht. Sie sind wirklich verdammt gut“, erwiderte Bram kopfschüttelnd.

4. KAPITEL

Ruby schloss die Tür und lehnte sich schweratmend dagegen. Ihr Herz pochte zum Zerspringen.

Himmel, worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Die letzten zehn Jahre hatte sie unter dem Radar gelebt, sich buchstäblich unsichtbar gemacht. Wie sollte sie jetzt plötzlich das totale Kontrastprogramm durchziehen?

Als Bram ihr das Angebot machte, wirkte auf den ersten Blick alles so einfach. Eine zugegeben etwas ungewöhnliche, aber nicht weiter schwierige Ausweitung ihrer normalen Dienstleistung. Doch so einfach war das nicht. Seine Familie würde misstrauisch sein, und es gab mindestens ein Dutzend Fragen, die sie nicht gestellt hatte.

Wo würden sie in Umm al Basr wohnen? Falls sie im Palast untergebracht waren, hatte dann jeder sein eigenes Schlafzimmer?

Außerdem brauchte sie jede Menge neuer Garderobe, um überzeugend zu wirken. Ganz besonders, wenn sie nicht allzu viel Sympathien wecken wollte. Obwohl sie die Vorstellung hasste, dass ihr jemand Kleidung kaufte, würde sie Brams Angebot wohl oder übel annehmen und sich ein paar Designerklamotten aus Prinzessin Violets Kollektion zulegen – je auffälliger, desto besser.

Wenn sie dann voller Selbstbewusstsein und mit einer umwerfenden Garderobe im Palast anrauschte, war ihr die Abneigung seiner Schwestern sicher, davon war sie überzeugt. Unangenehm zwar, aber es diente der Sache.

Da sie nun einmal Ja gesagt hatte, machte sie sich besser gleich an die Arbeit und notierte sich die vielen Fragen, die sie an Bram hatte. Morgen würden sie jede Menge zu tun haben, also war es wohl das Beste, sie schickte ihm die Fragen gleich per SMS, dann hatte er Zeit, darüber nachzudenken und die Antworten zu formulieren.

Als das erledigt war, suchte sie die Sachen raus, in denen sie morgen reisen und die sie zum Dinner im Palast von Ras al Kawi tragen würde. Anschließend ließ sie sich ein Bad ein.

Sie wollte gerade hineinsteigen, als ein leises Ping den Eingang einer SMS signalisierte. Ruby blickte aufs Display und musste lächeln, als sie sah, dass Bram schon geantwortet hatte.

Meine Schwestern heißen Almira, Hasna, Fathia und Nadiya. Morgen früh gebe ich Ihnen noch eine Liste mit den Namen ihrer Kinder und ihrer jeweiligen Aufgaben. Meine Lieblingsmusik? Eine bunte Mischung aus Rock und Klassik. Wo wohnen Sie eigentlich, Ruby? Und Ihr Lieblingssong?

Seufzend tauchte sie in die duftenden Schaumberge ein und schrieb zurück.

Gut mitgedacht. In Camden.

Sie fügte die Adresse hinzu.

Im ersten Stock auf der rechten Seite. Kleine Diele, links das Wohnzimmer, rechts das Schlafzimmer, Bad, Mini-Küche. „Stairway to Heaven“.

Nachdem sie einen Smiley hinzugefügt hatte, drückte sie auf ‚Senden‘. Keine Minute später kam die Antwort.

Was für ein Auto fahren Sie?

In London? Machen Sie Witze? Ich fahre Fahrrad. Was ist Ihr Soulfood?

Soulfood?

Er kannte wohl keinen Zustand, wo man so etwas brauchte …

Na ja, ein Essen, was Sie unbedingt haben wollen, wenn Sie unter Männergrippe leiden oder Ihr Team das Endspiel verloren hat. Tomatensuppe aus der Dose? Ein Sandwich mit Rührei? Einen Cheeseburger?

Ich nehme den Burger.

Mit Pickles?

Mit einer Extraportion Pickles. Was ist Ihre Lieblingsfarbe? Nein, lassen Sie mich raten – ein ganz dunkles Weinrot.

Bevor Sie antworten konnte, klingelte ihr Handy. Es war Bram.

„Puh!“, rief sie aus.

„Habe ich Sie erschreckt?“

„Ich habe fast das Handy ins Wasser fallen lassen.“

„Sorry, aber ich muss Sie doch noch mal fragen. Sind Sie sicher, dass Sie das tun wollen? Das müssen Sie nämlich sein, denn sobald der Vertrag unterschrieben ist, sind Sie Prinzessin von Umm al Basr.“

Sie schluckte. „Schon irgendwie seltsam, das gebe ich zu.“ Nur jetzt keinen Rückzieher machen … Am Ende winkte die Prämie und damit ihre Freiheit. Endlich. Das durfte sie nie vergessen. „Alles klar, ich kriege das hin“, bekräftigte sie.

„Okay, dann ziehen wir die Sache wie geplant durch. Unsere erste Station ist das Charity Dinner von Prinzessin Violet morgen Abend.“

Ruby und Bram wurden vom Hubschrauberplatz mit einer großen schwarzen Limousine abgeholt und auf direktem Weg zum Palast gebracht. Nachdem er Ruby beim Aussteigen behilflich gewesen war, setzte Bram sich wieder in den Fond des Wagens.

„Sie bleiben nicht?“, fragte Ruby mit einem Anflug von Panik.

„Mein Cousin Fayad erwartet mich. Gehen Sie rein und amüsieren Sie sich.“

„Mich amüsieren?“ Na, Bram hatte vielleicht gut reden!

Er lächelte aufmunternd. „Ich komme Sie abholen, sobald alles vorbereitet ist. Ach ja, von nun an müssen wir uns duzen, das müssen wir beide auf dem Plan haben.“ Damit schlug er die Wagentür zu, und die Limousine setzte sich wieder in Bewegung.

„Miss Dance?“, sagte jemand hinter Ruby. Sie fuhr herum und sah eine elegante junge Frau mit ausgestreckter Hand auf sich zukommen. „Willkommen im Palast, Miss Dance. Ich bin Leila Darwish, Prinzessin Violets Assistentin.“

Ruby schüttelte ihr die Hand. „Bitte nennen Sie mich doch Ruby.“

„Wenn Sie mir bitte folgen wollen?“

Leila führte sie über einen schattigen Hof, wo ein künstlicher Bach über ein Bett aus Felsen plätscherte, in einen riesigen Empfangsraum. Dort wurde sie von einer anderen jungen Frau erwartet. Sie war wunderschön, ihr schimmerndes dunkles Haar reichte ihr bis zur Taille. Sie trug ein traditionelles Ensemble aus langer Tunika und weiter Hose aus leichter Seide, in einem Muster aus Dunkellila und einem schillernden Türkisgrün, das zur Farbe ihrer Augen passte.

Ein strahlendes Lächeln um die Lippen, nahm sie Rubys Hände und küsste sie auf beide Wangen. „Willkommen, Ruby. Ich freue mich so sehr, dass Bram endlich eine Frau gefunden hat, mit der er sein Leben teilen möchte. Da unten in seinem Fort am Meer muss er schrecklich einsam gewesen sein.“

„Vielen Dank, Prinzessin.“

„Violet. Wir sind ja jetzt fast Cousinen. Fayad und ich sind glücklich zu hören, dass der Emir Bram endlich nach Hause zurückbeordert hat. Welch eine schöne Überraschung, dass er nicht allein zurückkehrt, sondern in Gesellschaft der Frau, die er liebt.“

„Ich …“ Ruby stockte. Was sollte sie darauf nur sagen? Weil ihr nichts einfiel, entschied sie sich für ein herzliches Dankeschön.

„Lassen Sie uns Ihre Garderobe bei einer guten Tasse Tee besprechen. Bram hat gestern Abend noch mit Fayad telefoniert und darum gebeten, dass ich Ihnen beim Zusammenstellen einer Aussteuer-Garderobe behilflich bin. Seine Mutter und seine Schwestern werden alles sehen wollen, und er möchte, dass sie vor Neid platzen“, meinte Violet augenzwinkernd.

„Oh … Das meinte er also, als er sagte, ich soll mich gut amüsieren“, gab Ruby schlagfertig zurück.

Violet lachte. „Höchstwahrscheinlich. Aber erst einmal müssen wir etwas finden, was Sie zu der Zeremonie tragen können. Ich nehme nicht an, dass Sie ein Hochzeitskleid eingepackt haben, nur für alle Fälle?“

„Hm, nein … bloß meine Sachen für die Arbeit. Ehrlich gesagt bin ich selbst noch ganz geschockt darüber, wie rasend schnell sich die Dinge entwickelt haben.“

„Das Gefühl kenne ich. Fayad hat mich auch total überrumpelt. Hätte ich nicht Leila an meiner Seite gehabt, die mich durch das Minenfeld der Palastetikette geführt hat, wäre ich aufgeschmissen gewesen. Inzwischen sind wir ein Herz und eine Seele.“

Die beiden Frauen wechselten einen Blick so voller Zuneigung, dass Ruby sich plötzlich furchtbar einsam fühlte. Sie hatte keine beste Freundin …

„Ich beneide Sie. Wie sehr habe ich mich immer nach einer Schwester gesehnt.“ Und dann, nachdem ihre Welt zusammengebrochen war, war Ruby erleichtert gewesen, dass es wenigstens nur sie getroffen hatte.

„Bram sagte, Sie haben keine Familie.“

So war es am einfachsten, ihre Geschichte durchzuhalten. Und es stimmte ja auch. „Nein, habe ich nicht.“

Wieder nahm Violet ihre Hand. „Genau wie ich. Fayads Familie hat mich herzlich aufgenommen, und Brams Familie wird das auch tun.“

Ruby war zu befangen, um etwas darauf zu erwidern.

Offensichtlich merkte Violet das, denn sie fuhr rasch fort: „Das Kleid … Uns bleibt nicht viel Zeit. Ich habe ein paar Modelle meiner eigenen Kollektion mitgebracht. Sie können ja mal schauen, ob es Ihr Stil ist und ob die Kleider Ihnen passen. Ansonsten lässt Leila eine Auswahl an Modellen aus den Boutiquen der Mall anliefern.“

Violet führte sie in einen anderen Raum, der mit einladend wirkenden Sofas ausgestattet war. Mit einer Geste lud sie Ruby ein, es sich bequem zu machen. Auf mehreren Kleiderständern hingen exotisch wirkende Kleider in satten Farben. Bevor Ruby einen näheren Blick darauf werfen konnte, fing Leila an, ihre Maße zu nehmen. Anschließend suchten die beiden Frauen die Modelle heraus, die Ruby passen würden, und hängten sie auf einen leeren Kleiderständer.

Wahrscheinlich kostete jedes einzelne Kleid mehr, als sie im Monat verdiente.

„Nein …“

Violet wandte sich zu ihr um. „Zu pompös für Ihren Geschmack?“

„Die Kleider sind hinreißend“, beeilte Ruby sich zu versichern. Hoffentlich hatte sie die Prinzessin nicht gekränkt. „Es ist nur so … Normalerweise trage ich immer Schwarz. Oder grau. Und ich habe ein Kleid für heute Abend. Ein Designerstück“, setzte sie ein wenig lahm hinzu.

„Zeigen Sie es mir.“

„Ups, ich weiß gar nicht, wo meine Tasche geblieben ist.“

„Noor packt für Sie aus.“

Violet führte Ruby durch ein etwas kleineres Wohnzimmer in einen Ankleideraum. Dort war eine junge Frau damit beschäftigt, Rubys Sachen zu bügeln und in einen eingebauten Wandschrank zu hängen.

„Das ist Noor. Sie wird sich um Sie kümmern. Noor spricht ein bisschen Englisch und hat Familie in Umm al Basr.“

„Danke, Noor.“ Ruby versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie überwältigt sie war.

Inzwischen hatte Violet das kleine Schwarze von der Kleiderstange genommen, um es zu inspizieren. „Das ist es?“, fragte sie.

„Ja. Dazu gehört noch ein langärmeliges Bolero-Jäckchen.“ Ruby zeigte der Prinzessin das Jäckchen mit dem kleinen Stehkragen. „Mein Allround-Outfit.“

„Und absolut perfekt“, meinte Violet anerkennend, während sie rasch Rubys übrige Garderobe in Augenschein nahm. „Ihr Stil gefällt mir, er ist ein Hauch Retro.“ Lächelnd fügte sie hinzu: „Sind Sie zufällig ein Fan von Audrey Hepburn?“

„Ertappt. Für mich ist sie die absolute Stil-Ikone.“

Violet drehte sich zu Leila um und hielt ihr das Kleid hin. „Was meinst du?“

„Sehr elegant, und das perfekte Outfit für Brams Assistentin. Scheich Ibrahim allerdings möchte seine Braut bei der Zeremonie bestimmt in einer fürstlichen Robe sehen.“ Sie überlegte einen Moment. „Ich denke da an ein ganz bestimmtes Kleid aus der neuen Kollektion.“

Violet schmunzelte. „Zwei Dumme, ein Gedanke … Kümmerst du dich bitte darum, Leila?“

Leila nickte und ließ sie allein. „Kommen Sie, trinken wir eine Tasse Tee, während wir warten“, forderte die Prinzessin Ruby auf.

„Tut mir leid, Ihnen solche Umstände zu machen.“

„Aber das tun Sie doch gar nicht, im Gegenteil. Ich finde das Ganze schrecklich romantisch. Und ich brenne darauf, alles zu erfahren. Wie lange kennen Sie sich schon? Und wie haben Sie sich kennengelernt …?“

Stunden später stand Ruby vor einem großen Spiegel in einem luxuriösen Schlafzimmer. Sie hatte gebadet, und eine ganze Armee aufgeregt plappernder Dienstmädchen hatte sich um ihre Frisur, ihre Nägel und ihr Make-up gekümmert. Sie trug hauchzarte silbergraue Dessous aus feinster Seide und delikater Spitze, die ein Vermögen gekostet hatten. Dazu High Heels, die ihre Beine noch länger wirken ließen, als sie sowieso schon waren.

„Fertig?“, fragte Violet hinter ihr.

„Fertig.“ Rubys Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Feierlich half Violet ihr in das Kleid, das die Schneiderin auf ihre Maße geändert hatte – ein Traum aus silbergrauem Seidenchiffon. Plisseefalten gaben der Robe eine feminine Struktur, die im stylishen Kontrast zum hauchdünnen Cape-Element stand. Das Bodice war mit unzähligen winzigen Kristallsteinchen bestickt, und die drapierten Ärmel waren durchscheinend.

Ein Kunstwerk in Schnitt und Design.

Eine Sekunde lang fragte Ruby sich, wie es wohl wäre, in Wirklichkeit Brams Prinzessin zu sein und nicht nur auf dem Papier.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Das ist genau der Effekt, den wir beabsichtigt haben.“ Violet küsste sie auf beide Wangen und führte sie durch das angrenzende Wohnzimmer, in dem sich Schuhkartons und Kleiderhüllen stapelten, in den großen Empfangsraum.

In der Mitte des Raums blieben sie stehen. Leila zupfte rasch den Faltenwurf des Rocks zurecht, während Violet die Schleppe drapierte. Dann machte sie ein paar Fotos mit ihrem Smartphone.

„Hinreißend. Absolut hinreißend. Ich wünschte, ich könnte hier sein und Brams Gesicht sehen.“ Noch einmal küsste sie Ruby auf die Wange, dann zogen die beiden jungen Frauen sich zurück. Jetzt war Ruby allein, wartete auf die Ankunft ihres Bräutigams.

Ihr Herz raste zum Zerspringen, und sie schloss die Augen, um sich zu beruhigen. Als sie sie wieder öffnete, stand Bram vor ihr, und ihr Pulsschlag ging durch die Decke.

Bis jetzt hatte sie ihn nur in lässiger Freizeitkleidung zu Gesicht bekommen. Doch nun trug er eine traditionelle Robe: einen schlichten weißen Thawb – ein langärmeliges, knöchellanges Gewand –, darüber ein mantelartiges Übergewand – Bisht – aus feinster Kamelwolle. Seinen Kopf bedeckte eine ebenfalls weiße Kufiya mit einer schwarzen Kordel darum herum. In dem breiten Gürtel um die Taille steckte ein traditioneller Krummdolch aus fein ziseliertem Silber.

Autor

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