Bestsellerautorin: Annie West

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KOMM MIT MIR NACH KRETA

Als Sophie hört, was Costas Paladimis zutiefst bedrückt, gibt es für sie keine Frage: Sie wird mit ihm nach Kreta fliegen! Denn nur sie kann seine kleine Tochter, die an Leukämie erkrankt ist, retten. In seiner weißen Villa findet Sophie in Costas’ Armen das große Glück - und Eleni wird wieder gesund! Schon glaubt sie an die Erfüllung all ihrer Wünsche, aber dann gefährdet Costas grenzenlose Eifersucht ihre junge Liebe ...

TAUSENDUNDEINE NACHT MIT DIR

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  • Erscheinungstag 15.04.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788360
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Annie West

Bestseller Autorin: Annie West

Annie West

Komm mit mir nach Kreta

IMPRESSUM

JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2006 by Annie West
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 1794 (1/1) - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Dr. Susanne Hartmann

Fotos: arhimax / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format im 03/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86349-491-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Costas stellte den Motor ab und betrachtete das Haus. Es war ein moderner Bungalow in einem Vorort von Sydney, ein schlichter massiver Bau, der jedoch allem Anschein nach in letzter Zeit vernachlässigt worden war. Postwurfsendungen quollen aus dem Briefkasten, und der Rasen hätte dringend gemäht werden müssen.

Stirnrunzelnd stieg Costas aus dem Auto. Obgleich der nicht geleerte Briefkasten vom Gegenteil zeugte, war er sicher, dass sie zu Hause war. Wenigstens war sie es gewesen, bevor er vor knapp dreißig Stunden Athen verlassen hatte. Sie nicht anzutreffen wäre eine Katastrophe, und Costas schob jeden Gedanken daran beiseite. Es stand zu viel auf dem Spiel, diese Reise durfte kein Misserfolg werden. Es war seine letzte Chance.

Er streckte sich und versuchte, seine verkrampften Schultermuskeln zu lockern. Wie immer war er erster Klasse geflogen, hatte aber dennoch nicht schlafen können. Die ständige Anspannung, unter der er nun schon so lange litt, war nicht für einen Moment von ihm gewichen. Seit drei Tagen hatte er nicht geschlafen und so gut wie nichts gegessen. Und bevor er von dieser Frau nicht bekam, was er wollte, würde er sich auch keine Ruhe gönnen – weder sich selbst noch ihr.

Es dauerte nur wenige Sekunden, die Straße zu überqueren, das niedrige Gartentor zu öffnen und den Zementweg zum Haus entlangzugehen. Costas klingelte und blickte missfällig über die kleine verkommene Terrasse hin zu den Spinnweben in den Ecken des vorderen Fensters. Offenbar war sie keine gute Hausfrau. Und das überraschte ihn gar nicht.

Gereizt klingelte er noch einmal. Wie konnte sie nur so selbstsüchtig sein? Aber jetzt würde er ihr zeigen, dass sich ein Costas Palamidis nicht abschütteln ließ.

Costas postierte den Finger auf dem Klingelknopf. Das unaufhörliche Läuten hallte durchs Haus. Gut! Diesen Lärm konnte niemand lange aushalten. Das würde sie in Bewegung bringen.

Trotzdem musste sich Costas noch etliche Zeit gedulden, bevor er drinnen eine Tür zuschlagen hörte. Dann fingerte jemand ungeschickt am Türschloss herum. Seine Anspannung stieg. Jetzt konnte sie ihm nicht mehr ausweichen. Und wenn sie sich erst einmal gegenüberstanden, würde ihr gar nichts anderes übrig bleiben als das zu tun, weshalb er gekommen war. Costas dachte daran, wie oft er bei ihr angerufen und dringend um einen Rückruf gebeten hatte. Nicht ein einziges Mal hatte sie sich gemeldet. Er atmete tief durch. Es würde ihm seine ganze Selbstbeherrschung abverlangen, sein Anliegen noch mit Freundlichkeit vorzubringen. In Anbetracht ihrer Missachtung war er allerdings eher in der Stimmung, auf alle Nettigkeiten zu verzichten und ihr stattdessen ummissverständlich zu drohen.

Endlich wurde die Tür geöffnet, und Costas erstarrte. Sein Blick fiel auf eine junge Frau, eindeutig nicht diejenige, die er suchte, aber … du lieber Himmel! Das Herz schlug ihm bis zum Hals, Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er fühlte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Costas glaubte das Gespenst seiner vor wenigen Monaten verstorbenen Frau zu sehen.

Die Frau besaß dieselben klassisch schönen Gesichtszüge, dieselben großen Augen, die schmale Nase, den schlanken Hals … Ein, zwei Sekunden lang erlag er der Sinnestäuschung, dann meldete sich sein gesunder Menschenverstand. Diese Frau war ein Mensch von Fleisch und Blut, kein Gespenst, das ihn aus der Vergangenheit heimsuchte.

Und jetzt nahm er auch die feinen Unterschiede wahr: Fotini hatte dunkle Augen gehabt, diese hier schimmerten goldbraun. Costas sah den volleren Mund, dessen Lippen einen perfekt geschwungenen Bogen bildeten. Sein Blick fiel auf ihr zerzaustes schwarzes Haar mit dem kastanienbraunen Schimmer, die zerknitterte Bluse und den verrutschten schwarzen Rock. Zweifellos hatte die Frau gestern Abend ausschweifend das Ende der Woche gefeiert und war wohl noch in ihrer Berufsbekleidung zusammengebrochen. Er registrierte abschätzig ihr blasses Gesicht, die dunklen Schatten unter den Augen, die ihn ausdruckslos anstarrten und fragte sich, ob bei ihren Exzessen nur Alkohol floss oder auch andere Drogen eine Rolle spielten.

Doch was kümmerte ihn das? Ihr Anblick irritierte ihn, weil er zu viele Erinnerungen wachrief, aber Costas hatte keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Ihn interessierte nur die Frau, derentwegen er um die halbe Welt gereist war.

„Ich suche Christina Liakos“, sagte er.

Sie sah ihn benommen an.

War sie nüchtern genug, um ihn zu verstehen? „Ich suche Christina Liakos“, wiederholte er auf Griechisch und bemerkte, wie die junge Frau sich Halt suchend an den Türrahmen klammerte, sodass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Ich bin gekommen, um mit Christina Liakos zu sprechen“, versuchte er es noch einmal auf Englisch. „Bitte sagen Sie ihr, dass sie Besuch hat.“

Anscheinend wollte sie etwas erwidern, doch die junge Frau brachte kein Wort heraus. Sie schluckte krampfhaft. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß. „Oh nein!“, flüsterte sie schließlich. Und im nächsten Moment wandte sie sich um und verschwand im Haus.

Ohne zu zögern ging Costas hinein und schloss die Tür hinter sich. Die Hand vor den Mund gepresst, taumelte die junge Frau in ein Zimmer am Ende des Flurs. Offensichtlich hatte sie es am vergangenen Abend stark übertrieben und litt nun unter den Folgen.

Erneut hatte Costas ein entsetzliches Déjà-vu, ausgelöst durch die erschreckende Ähnlichkeit mit Fotini. Aber mit einem oberflächlichen Partygirl, das sich Exzessen hingab und seinen Körper zugrunde richtete, konnte er kein Mitleid empfinden.

Costas sah sich suchend um. Aber er spürte, dass außer ihm und der jungen Frau niemand hier war. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er das Haus abgesucht hatte. Es war sauber und gemütlich eingerichtet. In Wohnzimmer und Küche allerdings sah es wie auf einem Schlachtfeld aus. Überall standen Flaschen, Gläser und Teller mit Essensresten. Auf der Arbeitsfläche warteten Stapel schmutziger Teller auf den Abwasch. In der Spüle standen dicht gedrängt Gläser. Kanapees und Salate waren nicht weggeräumt worden und verdarben in der Hitze.

Das muss ja eine tolle Party gewesen sein, dachte Costas gereizt. Aber wo war Christina Liakos? Er musste sie unbedingt finden, in ihrer Hand lag seine Zukunft.

Costas fand die junge Frau im Badezimmer, wo sie noch immer mit den Folgen ihrer Übelkeit kämpfte. Bei ihrem Anblick blieb er wie angewurzelt stehen. Nicht etwa aus Taktgefühl, weil er sie in einer Situation beobachtete, in der sie vielleicht lieber allein wäre. Nein, es war der Anblick ihres Pos und ihrer langen wohlgeformten Beine, der ihn erstarren ließ. In dem engen schwarzen Rock und der hauchdünnen schwarzen Strumpfhose sah beides unwiderstehlich aus.

Lächerlich!, sagte sich Costas. Niemand konnte sexy sein, während er sich übergab. Nicht einmal eine so schöne Frau wie diese.

Die Übelkeit ließ nach, doch Sophie zitterte so heftig, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte jemand einen eisernen Ring um ihn gespannt.

„Hier.“

Sie öffnete mühsam die Augen und nahm undeutlich den nassen Waschlappen wahr, den der Fremde ihr entgegenhielt. Dann sah sie seine Hand. Eine große, kräftige, tief gebräunte Hand und erkannte gleichzeitig den Ärmel eines teuren Anzugs, unter dem eine schneeweiße Manschette mit eleganten goldenen Manschettenknöpfen leuchtete. „Ich … kann nicht“, flüsterte Sophie. Sie hatte nicht die Kraft, nach dem Waschlappen zu greifen.

Der Mann hinter ihr sagte etwas auf Griechisch, was Sophie nicht verstand, aber es klang wie ein Fluchen. Dann legte er ihr den Arm um die Taille, zog sie an sich und wischte ihr mit dem nassen Waschlappen über Stirn, Wangen und Mund.

Sie erinnerte sich, wie sie die Tür aufgemacht und in ein grimmiges Gesicht gesehen hatte, in Augen, die ihr dunkler als die schwärzeste Nacht vorkamen. Und die eine Mischung aus mühsamer Höflichkeit und kaum zu beherrschender Wut und Feindseligkeit ausstrahlten. Aber am meisten hatte sie seine überwältigende Männlichkeit beeindruckt.

Keine Frau würde einen Mann wie ihn vergessen – ein arroganter Macho, aber dabei sündhaft sexy.

Von Müdigkeit überwältigt, ließ Sophie den Kopf an seine Brust sinken. Sobald er weg ist, gehe ich zurück ins Bett, dachte sie matt.

„Ich habe gefragt, was Sie genommen haben! Sagen Sie es mir!“

Langsam wurde ihr bewusst, dass er mit ihr sprach. „Was sagen?“ Allmählich wurde die Übelkeit besser, und Sophie begann, sich fast wieder wie ein Mensch zu fühlen, nur war alles so verschwommen.

„Haben Sie Drogen genommen? Oder Tabletten?“

Tabletten. Ja, sie hatte zwei Tabletten genommen. Oder waren es drei gewesen? Sophie nickte. „Schlaftabletten.“

Erneut hörte Sophie, wie der Fremde seinem Ärger auf Griechisch Luft machte. Dieser Mann hatte wirklich ein aufbrausendes Wesen.

„Können Sie allein stehen?“

„Natürlich.“ Aber als er sie losließ, musste sie sich am Waschbecken festhalten, um nicht hinzufallen. Erleichtert spürte sie, dass er ein paar Schritte von ihr wegging. In ein paar Minuten würde sie wieder zu Kräften gekommen sein, und dann würde sie ihn bitten zu gehen. Sie war dankbar für seine Hilfe, aber sie wollte, dass der Fremde endlich das Haus verließ.

Wieso war die Dusche an? Sophie drehte sich um und bereute es sofort. Ihr wurde so schwindlig, dass sie Mühe hatte, aufrecht stehen zu bleiben, obwohl sie sich gegen das Waschbecken lehnte.

Dann spürte sie seine Hände an ihrem Körper. Aus ihrer Benommenheit gerissen, schlug sie nach ihm, aber er war zu schnell. Schon hatte er ihr die Bluse aufgeknöpft und war dabei, den Reißverschluss an ihrem Rock zu öffnen. Mit einer verzweifelten Kraftanstrengung stemmte sich Sophie gegen ihn und merkte verwundert, dass sie nicht den feinen Stoff seiner Kleidung fühlte, sondern nackte Haut, die nackte Haut einer muskulösen starken Brust. Was sollte das? Noch einmal versuchte sie, ihn von sich wegzustoßen, doch gegen seine enorme Kraft hatte sie keine Chance.

Im Moment war Sophie allerdings nicht nach Bewunderung. „Lassen Sie mich in Ruhe!“, verlangte sie mit zitternder Stimme. „Raus hier, oder ich rufe die Polizei!“

Der Fremde ignorierte ihre Worte. Stattdessen fing er an, ihr die Kleidung vom Körper zu ziehen. Unter normalen Umständen hätte Sophie sich vielleicht besser wehren können. Aber es fiel ihr schon schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, ihre Bewegungen zu koordinieren. Unbeholfen schlug sie mit der Faust nach ihm.

„Ich will Ihnen nichts tun!“, fuhr er Sophie an.

Sein Blick glitt mit solchem Abscheu über sie, dass sie es fast glaubte. Als er sie hochhob, fing der Raum um sie herum an, sich zu drehen. Sie nahm den Duft seiner nackten Haut wahr, und ihr wurde noch schwindliger. Dann ließ er sie herunter – direkt unter den harten Strahl der Dusche. Das Wasser traf ihren Kopf und ergoss sich über ihren Körper. Nur die Hände des Fremden hielten Sophie aufrecht. Er stand eine Armeslänge vor ihr entfernt, mit unbeweglichem Gesicht, lediglich ein Funkeln in den dunklen Augen, das sie nicht deuten konnte.

Allmählich wurden ihre Gedanken wieder klarer, und sie begriff, dass der Mann glaubte, sie müsse nüchtern werden. Wahrscheinlich dachte er sogar, sie habe eine Überdosis genommen. Warum sonst sollten sie beide nur mit Unterwäsche bekleidet in der Duschkabine stehen? Zu einem anderen Zeitpunkt, in einem anderen Leben hätte Sophie dieser Szene vielleicht etwas abgewinnen können: sie in BH und Slip aus weißer Spitze zusammen in der Dusche mit einem griechischen Gott in schwarzen Boxershorts.

Aber nicht heute.

Heute ist Samstag, dachte Sophie und bekam plötzlich einen völlig klaren Kopf, da der brennende Schmerz der Erinnerung sie mitten ins Herz traf. Gestern war der schlimmste Tag ihres Lebens gewesen. Kein Wunder, dass sie sich grauenhaft fühlte.

„Mir geht es jetzt wieder gut“, sagte Sophie. „Sie können mich allein lassen.“

„So sehen Sie aber gar nicht aus“, erwiderte der Unbekannte ungerührt. „Sie sehen aus, als bräuchten Sie unbedingt einen Arzt. Ich werde Sie ins Krankenhaus bringen, damit man Ihnen …“

„Was? Den Magen auspumpt? Hören Sie, ich habe ein paar Schlaftabletten genommen und offenbar nicht vertragen. Das ist alles.“

„Wie viele genau?“

„Zwei. Vielleicht auch drei, ich weiß es nicht mehr genau. Auf jeden Fall nicht genug, um an einer Überdosis zu sterben.“

„Und was haben Sie sonst noch genommen?“, fragte er scharf.

„Nichts. Ich nehme keine Drogen. Bitte lassen Sie mich los.“ Zögernd nahm er seine Arme herunter, blieb jedoch vor der Duschkabine stehen. Die Hände auf die Hüften gestützt, stand er da und versperrte ihr den Weg. Sophie konnte nicht anders, als ihn anzusehen. Er sah unverschämt gut aus: groß, sonnengebräunt und durchtrainiert, sein ganzer Körper schien nur aus straffen Muskeln zu bestehen. Aber der harte Gesichtsausdruck ließ Sophie erschauern. Noch immer spürte sie den Druck seiner kräftigen Hände an ihren Oberarmen. Bestimmt würde sie dort später blaue Flecken bekommen.

Ohne seine haltenden Arme fühlte sie sich noch unsicher auf den Beinen. Sie wartete einen Moment, bis sie die Kraft aufbrachte, sich umzudrehen und das Wasser abzustellen. In der plötzlichen Stille hörte sie das Atmen des Mannes. Und den eigenen Puls in ihren Ohren. „Ich habe nichts anderes genommen. Keine Drogen. Kein Alkohol. Dies ist nur eine Reaktion auf die Schlaftabletten.“

Und auf die furchtbaren Ereignisse der vergangenen Wochen.

Langsam wandte sie sich wieder zu ihm um. Sein unfreundlicher Blick, seine abweisende Körperhaltung drückten wenig Verständnis aus.

„Es tut mir leid, dass Sie sich Sorgen gemacht haben.“ Sophie schob sich das feuchte Haar aus dem Gesicht und zwang sich, an ihm vorbeizuschauen. Irgendwohin, um bloß nicht weiter diese unglaublich männliche Brust anzustarren, von der sie nur mit Mühe ihren Blick nehmen konnte. „Ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Hilfe. Aber ich bin jetzt okay.“ Offenbar glaubte der Mann ihr nicht. Prüfend musterte er sie von oben bis unten. Normalerweise wäre sie unter diesem durchdringenden Blick vor Verlegenheit fast umgekommen. Aber im Moment empfand sie so gut wie nichts, abgesehen von der schmerzenden Traurigkeit, die wieder in ihr aufstieg.

Schließlich nickte der Fremde und drehte sich um. Sophie blickte wieder zu ihm, registrierte seine breiten Schultern, den glatten tief gebräunten Rücken, seinen durchtrainierten Po in den nassen Boxershorts, die jetzt wie eine zweite Haut saßen. Kräftige Oberschenkel … Erschauernd holte sie Atem.

„Ich ziehe mich in einem anderen Raum um.“ Seine Stimme war völlig emotionslos. Der Fremde griff nach einem Handtuch und reichte es Sophie, dann hob er seine Sachen hoch und verließ das Badezimmer.

War an diesem Mann überhaupt irgendetwas Sanftes oder Liebevolles? Nein, entschied Sophie. Er war durch und durch stahlhart, von seinem durchtrainierten Körper bis hin zu seinem erstarrten Gesicht mit dem abschätzigen Blick. Sicher, er hatte ihr geholfen und sich um sie bemüht. Aber nicht aus Menschenliebe oder Freundlichkeit. Er hatte es einfach für notwendig gehalten. Was seiner Meinung nach getan werden musste, hatte er getan: dafür sorgen, dass sie bei Bewusstsein blieb, bis sie ärztliche Hilfe bekam.

Trotz ihrer vom heißen Wasser erhitzten Haut fröstelte Sophie. Sie trat aus der Dusche, wickelte sich das Handtuch um, nahm ein weiteres für ihr Haar aus dem Regal und huschte in ihr Schlafzimmer. Zehn Minuten später kam sie in alten Jeans und einem weiten T-Shirt wieder heraus und suchte nach dem Fremden, der in ihr Haus eingedrungen war.

Costas stand in der Küche und trank starken schwarzen Kaffee. Die Ähnlichkeit der jungen Frau mit Fotini war überwältigend. Doch mittlerweile hatte er festgestellt, dass sie in vielem anders war. Die junge Frau war zierlicher und schlanker, ihr Gesicht schmaler und mit ausgeprägteren Wangenknochen. Costas schaute nach draußen in den Garten, ohne ihn wirklich wahrzunehmen, und nahm gedankenverloren einen weiteren Schluck von dem Kaffee, der eigentlich noch viel zu heiß war. Im Geiste sah er sie vor sich, wie sie ihm die Tür aufgemacht hatte, Fotini so ähnlich, dass er völlig erschrocken war. Und dann sah er, wie er sie festgehalten hatte, während das Wasser über ihren verführerischen Körper lief. Er fühlte noch immer ihre schmale Taille, die Rundung ihrer Hüften. BH und Slip waren vom Wasser durchsichtig geworden.

Costas hatte sie sofort haben wollen, mit einer wilden und schmerzenden Begierde, die ihm verriet, dass er schon viel zu lange ohne Frau war. Allein ihre zarte glatte Haut zu spüren hatte in ihm den unwiderstehlichen Drang geweckt, sie nackt unter sich zu fühlen. Wären die Umstände doch nur anders, nur für ein oder zwei Stunden. Nur lange genug, um sich ein einziges Mal in ihr zu verlieren, um nur ein einziges Mal die Verantwortung und die Sorgen, die ihn drückten, in der Glückseligkeit zu vergessen, die er bei ihr finden würde.

Ärgerlich versuchte Costas, seine Erregung zu bekämpfen. Ganz gleich, wie groß die Verlockung war, er würde sich nicht von seinem Vorhaben ablenken lassen.

Er hörte Schritte und drehte sich schnell um. Die Frau kam herein, jetzt deutlich sicherer auf den Beinen. Mit dem bis auf die Schultern fallenden, glatt gekämmten Haar und in den lässigen Sachen sah sie wie sechzehn aus. Aber ihr Blick und die dunklen Schatten unter den Augen straften diesen Eindruck Lügen.

Costas runzelte die Stirn, denn statt der jungen Frau in Jeans und T-Shirt sah er sie schon wieder vor sich, wie sie fast nackt mit verführerisch durchscheinenden Dessous vor ihm unter der Dusche stand. Er hatte sie ausgezogen, sie berührt. Dieses Bild hatte sich seinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt.

„Hier ist Kaffee“, sagte er schroff und zeigte auf den Tisch.

Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und nahm den Becher, den er für sie vorbereitet hatte, in beide Hände. „Danke.“

„Ich muss sofort mit Christina Liakos sprechen“, erklärte Costas noch einmal ungeduldig den Anlass seines Besuchs. „Wie kann ich mich mit ihr in Verbindung setzen?“

„Können Sie nicht. Und sie heißt nicht mehr Liakos. Ihr Name ist Paterson. Wer sind Sie?“

„Costas Palamidis.“ Er machte eine Pause, wartete auf ihre Reaktion, doch ihre Miene blieb ausdruckslos. „Ich habe eine dringende Angelegenheit mit Mrs. Paterson zu besprechen.“

„Palamidis“, murmelte sie. „Ich kenne den Namen …“

Aber offensichtlich hatte die Feierei der vergangenen Nacht ihr Erinnerungsvermögen getrübt. Costas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. So kam er nicht weiter. „Hören Sie, ich komme gerade aus Athen und muss unbedingt mit Mrs. Paterson sprechen.“ Dass es für ihn um Leben und Tod ging, verschwieg er. Es war zu privat, als dass er es einer Fremden erzählen wollte.

„Athen? Dann waren Sie also der Typ am Telefon!“

Er sah, wie sich ihre Verwirrung jäh in Wut verwandelte. Sophie setzte ihren Becher so hart auf dem Tisch auf, dass der Kaffee überschwappte.

„Sie haben die Nachrichten auf den Anrufbeantworter gesprochen.“

„Nachrichten, auf die ich niemals einen Rückruf erhalten habe …“

„Jetzt weiß ich, wer Sie sind!“ Ihr Stuhl kippte um, als sie aufsprang. „Sie Mistkerl! Ich will, dass Sie gehen. Sofort!“

Costas blieb ungerührt stehen. Die junge Frau schien nicht zurechnungsfähig zu sein. Aber sie war nun einmal seine einzige Spur zu Christina Liakos. Und um sie zu erreichen, würde er sogar mit dem Teufel Geschäfte machen. „Ich gehe nirgendwohin. Ich bin gekommen, weil ich mit Christina Liakos sprechen will – oder Paterson, wie sie jetzt heißt. Und ich bleibe hier, bis ich genau das tun kann.“

Erstaunt beobachtete er, wie ihr zorniger Blick plötzlich leer wurde, als würde sie unter Schock stehen. Dann verzerrte sich ihr Gesicht vor Qual. Ein überreiztes Lachen erfüllte ihn mit bösen Vorahnungen.

„Tja, da werden Sie lange warten müssen, Mr. Palamidis. Ich habe meine Mutter gestern beerdigt.“

2. KAPITEL

Durch einen Schleier brennender Tränen starrte Sophie in ihren Kaffeebecher. Wenn sie gewusst hätte, wer ihr Besucher war, hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Wie konnte er es wagen, am Tag nach der Beerdigung ihrer Mutter hier aufzutauchen? Wütend versuchte Sophie, die Tränen zu unterdrücken. Er sollte sie auf gar keinen Fall weinen sehen. Ihr Kummer war so groß, dass sie ihn sowieso mit niemandem teilen konnte, und schon gar nicht mit einem so gefühllosen und rücksichtslosen Mann wie ihm. Sophie unterdrückte den Impuls aufzuspringen, ihn anzuschreien und mit ihren Fäusten auf ihn einzuschlagen.

Aber was würde es nützen? Ihre Mutter war tot. Und nichts konnte sie wieder zurückbringen.

Sophie holte mühsam Atem und blickte auf. Seine dunklen Augen hatten sich geweitet vor Verwirrung. Nein, nicht Verwirrung. Vor Entsetzen. Costas Palamidis sah aus, als habe er gerade den größten Schock seines Lebens erlitten. Er war blass geworden, sein Gesicht wirkte verzerrt, und Sophie konnte sehen, wie sein Kiefermuskel zuckte.

„Es tut mir leid“, brachte er schließlich gepresst hervor. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Sie nicht gerade heute belästigt.“

„Sie wären zu keiner Zeit willkommen gewesen“, entgegnete Sophie unverblümt. Der Mann besaß tatsächlich die Unverfrorenheit, ihr jetzt noch sein Beileid auszudrücken, jetzt, wo alles zu spät war? Wieso hatten sie sich nicht früher gemeldet, als ihre Mutter noch lebte?

„Wie bitte?“

„Ich will Ihre Entschuldigung nicht, und ich will Ihr Beileid nicht. Ich will überhaupt nichts von Ihnen.“

Er runzelte die Stirn. „Ich verstehe, dass Sie trauern …“

„Nichts verstehen Sie“, fuhr Sophie ihn an. „Sie widern mich an mit Ihrer überheblichen Miene. Verlassen Sie sofort mein Haus, und ich will Sie nie mehr wiedersehen.“

„Wenn ich könnte, würde ich gehen, aber ich kann nicht. Ich bin wegen einer wichtigen Familienangelegenheit hier.“

„Familienangelegenheit?“ Ihre Stimme überschlug sich bei dem Wort. Wie konnte er nur so herzlos sein? „Ich habe keine Familie.“ Keine Geschwister. Keinen Vater. Und jetzt auch keine Mutter mehr.

Er kam näher. So nahe, dass Sophie die Wärme seines Körpers spürte. Aber sie blieb unbeweglich sitzen. Dies war ihr Haus, ihr Territorium. Sie würde nicht klein beigeben.

„Sie haben eine Familie in Griechenland.“

Eine Familie in Griechenland. Wie viele Jahre hatte sie das gehört? Es war das Mantra ihrer Mutter, einer Frau, die sich in einem fremden Land ein völlig neues Leben hatte aufbauen müssen. Einer Frau, die sich nicht hatte einschüchtern lassen, nicht einmal durch die Zurückweisung ihres Vaters. Was für eine Ironie! Ihre Mutter hatte ein Vierteljahrhundert darauf gewartet, bestätigt zu bekommen, dass sie eine Familie in Griechenland hatte. Jetzt, nur Tage nach ihrem Tod, wurden die Worte ihrer Tochter angeboten.

Sophie fing hysterisch an zu lachen.

„Schluss damit!“, befahl er und packte sie an den Schultern.

Aufgeschreckt blickte Sophie ihn an und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Schließlich ließ er sie los. „Ich habe keine Familie“, wiederholte sie.

„Im Moment sind Sie aus dem Gleichgewicht. Aber Sie haben einen Großvater und …“

„Was fällt Ihnen ein!“, sagte Sophie scharf. „Wie können Sie die Unverschämtheit besitzen, ihn in diesem Haus zu erwähnen?“ Sophie hatte die vergangenen Tage nur überstanden, indem sie ihren Blick konsequent nach vorne gerichtet hatte. Die Vergangenheit lag endgültig hinter ihr und mit ihr die sogenannte Familie.

Niemand, nicht einmal der grausame Patriarch der Familie Liakos konnte ihrer Mutter noch etwas anhaben. Und ausgerechnet jetzt erschien ein Handlanger der Liakos’ und rührte alles wieder auf. All den Kummer, die zerstörten Hoffnungen, den schwelenden Hass. Sophie zitterte am ganzen Körper. Diesmal nicht vor Schwäche. „Ich habe in meinem Leben keinen Platz für einen Mann, der seine Tochter verstoßen hat! Der sie Jahr für Jahr ignoriert hat, als würde sie nicht existieren. Nicht einmal als sie im Sterben lag hatte er genug Mitgefühl, um Kontakt mit ihr aufzunehmen!“

Der Grieche konnte die Verblüffung in seinen Augen nicht verbergen. Also war dies neu für ihn. Und seinem Stirnrunzeln nach zu urteilen war es keine erfreuliche Neuigkeit.

„Trotzdem müssen wir reden.“ Er hob abwehrend die Hand, als Sophie erneut Luft holte. „Ich bin nicht der Abgesandte Ihres Großvaters. Ich bin in eigener Sache hier.“

Irritiert hielt Sophie inne und runzelte misstrauisch die Stirn. In eigener Sache? Was sollte das bedeuten? War das ein Trick?

Sie überlegte kurz. Ihre Mutter war an einer Virusgrippe erkrankt, und nachdem die Ärzte Sophie mitgeteilt hatten, dass es keine Möglichkeit gäbe, den Infekt zu bekämpfen, hatte sie ihren Stolz heruntergeschluckt und sich dazu überwunden, zum Telefon zu greifen, um mit Petros Liakos Kontakt aufzunehmen – dem Despoten der Familie, der mit seiner Tochter, Sophies Mutter, seit ihrer Heirat jeden Kontakt ablehnte. Flehentlich hatte sie darum gebeten, dass er sich melden und mit ihrer Mutter sprechen möge. Unmittelbar nachdem sie ihrem Großvater die Nachricht hinterlassen hatte, dass seine Tochter krank sei, waren die ersten Anrufe von Costas auf ihrem Band gewesen.

Petros Liakos hatte sich nie gemeldet.

Wieder überwältigte sie der Hass, der brennende Schmerz, und Sophie verfluchte den arroganten Besucher dafür, dass er sie dazu brachte, alles noch einmal zu durchleben.

„Ich wusste von Ihrer Mutter, aber nicht, wo sie sich aufhält oder wie ich mich mit ihr in Verbindung setzen kann. Ich musste dringend mit ihr Kontakt aufnehmen. Als Sie bei Petros anriefen, konnte ich an Ihre Telefonnummer kommen. Ich habe die ganze Woche über angerufen.“

Ihr Anrufbeantworter war voll gewesen mit den Nachrichten des unbekannten Griechen. Aber Sophie hatte nicht darauf reagiert. Wozu auch? Zum Zeitpunkt seiner Anrufe war ihre Mutter bereits tot, und sie hatte die Vorbereitungen für ihre Beerdigung getroffen. Für eine Aussöhnung zwischen der Familie und ihrer Mutter war es zu spät. Und Sophie hatte nicht die Absicht, jemals zu vergessen, wie ihre Mutter von den Liakos’ behandelt worden war.

Die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter waren entschiedener geworden, eindringlicher. Irgendwann hatte Sophie sie alle gelöscht. Lediglich ein einziges Mal konnte Mr. Palamidis sie zu Hause erreichen, und Sophie erinnerte sich, wie sie mit großer Genugtuung das Gespräch wegdrückte, kaum dass er seinen Namen genannt hatte.

Und nun stand er vor ihr. Sophie sah ihn an und spürte erneut die außergewöhnliche Kraft, die er ausstrahlte und der sie sich kaum entziehen konnte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Wenn er behauptete, nicht im Auftrag ihres Großvaters zu kommen, warum war er dann hier?

„Wer sind Sie?“, flüsterte Sophie. „Was wollen Sie?“

Costas wünschte, er könnte gehen, um die junge Frau in ihrer Trauer nicht weiter zu behelligen. Offenbar war sie einem Nervenzusammenbruch nahe. Er hatte sie nur widerwillig losgelassen – aus Sorge, sie würde um sich schlagen. Sie wirkte wie eine Furie, begierig nach Rache. Und jetzt sah sie ungeheuer verletzlich aus. Er spürte ihren Kummer und bemühte sich um einen beherrschten Gesichtsausdruck, denn er wusste, dass sie sein Mitleid nicht würde sehen wollen.

Nicht zum ersten Mal bereute er, sich mit den Liakos’ eingelassen zu haben. Es gab nichts als Ärger mit ihnen. Immer hatten sie ihm Schwierigkeiten bereitet. Und diese junge Frau mit dem bitteren Zug um den Mund schien das gleiche Los zu teilen.

Insgeheim verfluchte Costas dieses entsetzliche Unglück. Doch er konnte nicht weggehen. Er musste die Sache zu Ende bringen, auch wenn es bedeutete, seine Probleme einer unglücklichen jungen Frau aufzuzwingen. Natürlich fühlte er sich schuldig. Er war verpflichtet, ihre Trauer zu respektieren und müsste ihr Zeit geben. Aber Zeit war genau der Luxus, den er nicht besaß. Er brauchte diese Frau. Sie war seine einzige Hoffnung darauf, die immer näher rückende entsetzliche Katastrophe noch abzuwenden.

Und als wäre die Situation nicht schon verfahren genug, kam zu seiner Bestürzung etwas anderes dazu, was alles nur noch schwieriger machte. Und gefährlich. Er konnte es kaum glauben, aber es war auch nicht zu leugnen: Vom ersten Augenblick an, von dem Moment an, als sie ihm die Tür geöffnet hatte, begehrte er diese Frau wie noch keine andere zuvor in seinem Leben. Ausgerechnet sie! Genau das hatte ihm gerade noch gefehlt! In seiner Lage war sinnliche Begierde völlig unpassend, besonders, da sie in Trauer war und ihn für einen Unmenschen hielt.

Besonders, da sie eine aus der Familie Liakos war.

Und dennoch konnte er den Blick nicht von ihr reißen. Die Schönheit ihrer feinen Gesichtszüge raubte ihm den Atem. Ihre großen goldbraunen Augen. Die vollen Lippen. Unter dem T-Shirt zeichneten sich ihre üppigen Brüste ab. Es war unglaublich! Fast konnte er sie in seinen Händen spüren, fest, rund und verführerisch. Ihre abgetragenen Jeans saßen wie eine zweite Haut, brachten die langen schlanken Beine zur Geltung.

Costas verwünschte sich selbst. Wo blieb sein Ehrgefühl? Sein Respekt vor ihrer Trauer?

„Wer sind Sie?“, flüsterte sie wieder, und er sah ihr an, dass sie Angst hatte.

„Mein Name ist Costas Vassilis Palamidis“, stellte er sich ihr noch einmal vor. „Ich lebe auf Kreta und bin ein seriöser Geschäftsmann. Ich muss mit Ihnen reden. Können wir uns vielleicht irgendwo anders unterhalten, Miss Paterson?“ Er blickte sich in der Küche um und begriff, dass das schmutzige Geschirr und die Essensreste nicht von einer Wochenendorgie, sondern von der Trauerfeier stammten.

Ihr diese Sache jetzt aufzudrängen war grausam. Aber er hatte keine Wahl. Mitgefühl bedeutete Verzögerung, und die konnte er sich nicht leisten.

„Draußen vielleicht?“ Costas zeigte in den Garten. Nur raus aus der klaustrophischen Enge dieses Hauses, raus aus der Atmosphäre von Kummer und Verlust.

Offensichtlich war sie nicht überzeugt. Sie musterte ihn argwöhnisch.

„Es war eine sehr lange Reise, und ein bisschen frische Luft würde mir guttun. Ihnen alles zu erklären wird eine Weile dauern.“

„Gleich um die Ecke ist ein Park. Wir gehen dorthin“, sagte sie schließlich.

Sie sah so schwach aus, als wenn sie es nicht einmal bis zur Haustür schaffen würde, geschweige denn ein Stück die Straße hinunter. „Das ist doch sicher zu weit. Wir könnten …“

Ihre Wangen röteten sich, und Sophie hob herausfordernd das Kinn. „Sie sind derjenige, der reden will, Mr. Palamidis. Dies ist Ihre Chance. Machen Sie damit, was Sie wollen.“

Der zornige Gesichtsausdruck stand ihr gut. Costas bedauerte, dass er in Anbetracht der Umstände keine Gelegenheit haben würde, sie besser kennenzulernen. „Natürlich, Miss Paterson. Das passt mir großartig.“ Wenn sie unterwegs zusammenbrach, würde er sie eben zurücktragen müssen.

Fünf Minuten später setzte sich Sophie auf die verwitterte Parkbank und unterdrückte mühsam ein Stöhnen. Mr. Palamidis hatte recht gehabt. Sie hätte zu Hause bleiben sollen, statt eine Kraft vorzutäuschen, die sie nicht besaß.

Aber die frische Herbstluft tat ihr gut. Und sie waren jetzt in einer öffentlichen Grünanlage. Sie hätte es nicht ertragen, mit diesem Mann, der den Raum um sich herum so übermächtig beherrschte, weiter allein in ihrem Haus zu sein. Es war nicht nur seine Größe. Es lag daran, wie er sie durcheinanderbrachte. Der Mann strahlte eine Kraft und Autorität aus, der sie sich nicht entziehen konnte. Verstohlen musterte sie ihn. Er stand einige Meter entfernt und telefonierte. Sophie bemerkte, dass er von seinem perfekt geschnittenen Haar bis hin zu seinen glänzenden handgenähten Schuhen den Inbegriff dezenten Reichtums verkörperte.

Schließlich wandte er den Kopf und sah sie an. Sofort stieg ihr die Hitze in die Wangen. Sein Blick war völlig ausdruckslos.

Also warum fing ihr Puls an zu rasen?

„Ich bitte um Entschuldigung, Miss Paterson.“ Er klappte das Handy zu und setzte sich neben sie. „Der Anruf war sehr wichtig für mich.“

„Mein Name ist Sophie“, sagte sie schnell, um ihre Nervosität zu überspielen.

Er nickte. „Ich bin Costas, wie du weißt. Unter den gegebenen Umständen können wir auf das förmliche Sie wohl verzichten. Ist dir bekannt, dass deine Mutter eine Schwester hatte?“

„Ja. Sie und meine Mutter waren Zwillinge.“

„Deine Tante hatte eine Tochter, Fotini. Vor einigen Jahren haben Fotini und ich geheiratet, was bedeutet, dass ich mit dir verwandt bin.“

„Mein angeheirateter Cousin“, flüsterte Sophie und fragte sich, warum sie seinen Gesichtsausdruck so beunruhigend fand. Sie hatte diesen Mann immer nur beherrscht erlebt, doch seine angespannten Züge und der düstere Blick sagten ihr, dass er mit heftigen Gefühlen zu kämpfen hatte. „Ist deine Frau auch hier in Sydney?“

„Fotini ist im vergangenen Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“

Jetzt verstand Sophie seine starre Miene. Er trauerte noch immer und versuchte, sich seinen Schmerz nicht anmerken zu lassen. „Das tut mir leid.“ Wie würde sie sich in einem Jahr fühlen? Alle behaupteten, der Schmerz wäre später leichter zu ertragen, die glücklichen Erinnerungen an ihre Mutter würden den Kummer irgendwann verdrängen. Sophie betrachtete den Mann neben ihr. Seine Wunden schien die Zeit nicht geheilt zu haben.

„Danke“, sagte er steif. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wir haben ein kleines Mädchen, Eleni.“

Sophie hörte die Liebe aus seiner Stimme heraus, sah, wie ein flüchtiges Lächeln über seinen Mund huschte. Sofort erhellte sich seine düstere Miene, und Sophie erblickte verwundert ein Gesicht, das … gut aussehend, attraktiv war? Nein, viel mehr. Es war unwiderstehlich. Es war ein Gesicht, in dem sich jede Frau stundenlang verlieren konnte und das zu den wundervollsten, sinnlichsten und verrücktesten Fantasien anregte.

Bestürzt rang Sophie nach Atem und wandte sich ab.

„Also hast du wirklich eine Familie in Griechenland“, sagte Costas. „Du hast Cousins. Die kleine Eleni. Und mich …“

Nein! Niemals könnte Sophie diesen Mann als Verwandten ansehen. Sie runzelte die Stirn. Der Gedanke war einfach zu absurd. Und zu beunruhigend.

„Und da ist dein Großvater Petros Liakos.“

„Ich will nicht über ihn sprechen.“

„Ob du willst oder nicht, du musst Bescheid wissen“, erklärte Costas.

Sophie weigerte sich, seinen Blick zu erwidern, und beobachtete stattdessen einige Zaunkönige, die in diesem Moment aus einem Strauch aufflogen.

„Deinem Großvater geht es nicht gut.“

„Bist du deswegen gekommen?“ Erneut stieg Wut in ihr auf. „Weil der Alte krank ist und schließlich doch noch seine Familie braucht? Warum sollte ich mich um einen Mann sorgen, der meiner Mutter mit seinem Egoismus das Herz gebrochen hat? Du hast den weiten Weg umsonst gemacht.“

„Nein, deswegen bin ich nicht hier. Aber der Zustand deines Großvaters ist ernst. Er hatte einen schweren Schlaganfall und liegt im Krankenhaus.“

Betroffen stellte Sophie fest, dass ihr diese Neuigkeit nicht gleichgültig war. Dass es ihr leidtat. Aber sie presste die Lippen zusammen. Sie würde sich nicht erlauben, Mitleid mit dem Mann zu haben, der ihre Mutter verstoßen hatte, nur weil sie sich nicht seinem Willen unterwerfen wollte. Er hatte es nicht verdient.

„Hast du verstanden?“, fragte Costas.

„Natürlich!“, entgegnete Sophie ungehalten. „Und was soll ich jetzt tun? Nach Griechenland fliegen und seine Hand halten? Fünfundzwanzig Jahre lang hat er so getan, als würde meine Mutter nicht existieren. Nur weil sie aus Liebe heiraten wollte, statt eine antiquierte arrangierte Ehe einzugehen! Er hat sie völlig aus seinem Leben ausgeschlossen. Es war ihm auch völlig gleichgültig, dass er eine Enkeltochter hat. Aber wahrscheinlich ist er enttäuscht gewesen, denn was zählt schon ein Mädchen? Nicht einmal als seine eigene Tochter im Sterben lag, hat er es für nötig befunden, auch nur ein einziges Mal anzurufen und mit ihr zu sprechen.“ Vor Zorn und Verzweiflung kamen Sophie die Tränen. Sie wandte das Gesicht ab, zog ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche und putzte sich die Nase. „Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie viel es meiner Mutter bedeutet hätte, sich mit ihm zu versöhnen?“

„Dein Großvater ist ein Traditionalist“, sagte Costas. „Er hält viel von den alten Sitten: von der absoluten Autorität des Familienoberhauptes, gehorsamen Kindern und den Vorteilen einer Heirat, von der beide Familien profitieren.“

Sophie blickte in sein strenges Gesicht und vermutete, dass er die Dinge ähnlich sah. Costas Palamidis trug seine männliche Autorität mit einer Selbstverständlichkeit vor sich her, die Sophie zugleich ärgerte und verunsicherte. „Hast du auch so in die Familie Liakos eingeheiratet? Die Clans Palamidis und Liakos haben entschieden, dass eine Fusion vorteilhaft ist?“

Zorn loderte in seinen Augen auf, und ihr schauderte bei dem Gedanken daran, zu was Costas Palamidis fähig wäre, wenn sie seinen Unwillen auf sich ziehen würde.

„Beide Familien haben der Ehe ihren Segen gegeben“, erwiderte er beherrscht.

Das beantwortete ihre Frage nicht. Aber seine Miene war Antwort genug. Costas Palamidis war ein starker Mann, der seine Gefühle fest im Zaum hielt. Und er würde sich ganz sicher niemals mit etwas begnügen, das er nicht selbst gewählt hatte. Die Vorstellung, dass ein anderer für ihn eine Braut aussuchte, war einfach lachhaft. Natürlich bekam er immer genau das, was er wollte. Sicher ist ihre Cousine Fotini charmant und bildschön gewesen – und vermutlich hingerissen von ihrem ebenso arroganten wie gut aussehenden Ehemann. Zweifellos hatte sie ihm auf den leisesten Wink gehorcht und sich all seinen Wünschen gefügt, wie es eine brave, traditionelle griechische Ehefrau wohl tun sollte.

„Danke, dass du mir das mit meinem Großvater gesagt hast, doch es ist zu spät, Brücken zu bauen“, erklärte Sophie schließlich. „Ich habe niemals zur Familie Liakos gehört, und ich halte es für sinnlos, jetzt so zu tun, als wäre es anders.“ Sie war selbstständig, tüchtig, emanzipiert und brauchte keine Familie in Griechenland. Schließlich hatte sie einen großen Freundeskreis. Ihr Studium war abgeschlossen, und bald würde sie anfangen, als Sprachtherapeutin zu arbeiten. Sie hatte ein Leben, das sie weiterführen konnte.

Und dennoch wollte Sophie in diesem Moment nichts lieber, als sich in Costas’ Arme zu schmiegen, sich die Augen auszuweinen und von ihm trösten zu lassen.

Was war nur los mit ihr?

Diese Schwäche wird vorübergehen, dachte Sophie, während sie sich fest auf die Lippe biss.

„So einfach ist es nicht, sich von seiner Familie loszulösen“, widersprach Costas.

„Was meinst du damit?“ Sophie blickte ihn an, nahm seine nervöse Spannung wahr und schreckte zurück. Plötzlich wurde ihr wieder bewusst, wie viel größer und stärker er war.

„Mach nicht so ein Gesicht“, stieß er ungeduldig hervor. „Ich beiße nicht.“

Sophie konnte nicht anders: Sofort stellte sie sich vor, wie er seinen Kopf neigen und mit seinem Mund, seinen Lippen langsam ihren Hals liebkosen und zärtlich zubeißen würde.

Woher kamen nur diese absurden Gedanken und Bilder? Ihr Herz schlug schneller, und Sophie wandte sich von Costas ab. Er brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht.

„Sophia …“

„Sophie“, verbesserte sie. Gegen die ursprüngliche Version hatte sie sich gewehrt, sobald sie begriffen hatte, dass der Name zur Welt der weit entfernten Familie gehörte, die ihre Mutter so schlecht behandelt hatte.

„Ich bin nach Sydney gekommen, weil deine Mutter der einzige Mensch zu sein schien, der vielleicht helfen kann.“

„Warum sie?“

„Weil sie eine Verwandte ist.“ Costas seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Meine Tochter ist sehr krank. Sie braucht eine Knochenmarktransplantation. Und wenn ich nicht schnell eine passende Spenderin finde, wird Eleni sterben.“ Sophie bemerkte, wie Costas um Fassung rang. „Ich hatte gehofft, dass deine Mutter als Spenderin geeignet sein könnte.“

Entsetzt sah Sophie ihn an. Ihr wurde klar, dass diese eindrucksvolle Selbstbeherrschung zumindest teilweise auf das Bedürfnis zurückzuführen sein musste, seine unerträglichen Qualen und Ängste unter Kontrolle zu halten. „Du selbst bist nicht kompatibel?“ Eine überflüssige Frage, schalt sie sich. Wenn er seiner Tochter helfen könnte, wäre er nicht hier.

Sein ganzer Körper schien sich plötzlich zu verkrampfen. „Nein.“

„Und niemand in deiner Familie …?“

„Von meinen Verwandten ist keiner geeignet und von deinen auch nicht.“

Und wie wahrscheinlich ist es dann, dass ich es bin?, dachte Sophie.

Vielleicht hatte Costas ihre Gedanken gelesen. Seine Stimme klang heiser, als er weitersprach. „Mit der Datenbank potenzieller Spender hatten wir ebenfalls kein Glück. Aber deine Mutter und ihre Schwester waren eineiige Zwillinge. Deshalb besteht bei dir immerhin die Möglichkeit.“

Was er von ihr erwartete – die Hoffnung, die er in sie setzte –, belastete Sophie noch stärker als der Schmerz durch den Verlust ihrer Mutter. Wie verzweifelt musste er sein: Er war nach Australien geflogen, ohne zu wissen, ob er Christina Liakos antreffen würde. Und wie beunruhigt, nachdem sie auf seine Nachrichten nicht reagiert oder einfach aufgelegt hatte. Kein Wunder, dass er so zornig nach ihrer Mutter verlangt hatte!

Eine Vorahnung ließ Sophie frösteln. All seine Erwartungen und seine ganze düstere Energie lagen nun auf ihren Schultern. Costas Palamidis brauchte sie.

3. KAPITEL

Während die junge Frau die Neuigkeit verarbeitete, bemühte sich Costas, ruhig und geduldig neben ihr zu sitzen. Sophie war seine letzte Chance. Er wusste, dass die Erfolgsaussichten nicht besonders groß waren. Und das machte ihm Angst.

Er würde alles tun, um seine Tochter zu retten. Könnte er doch nur mit ihr tauschen! Ohne zu zögern würde er Elenis Krankheit in seinem Körper aufnehmen. Aber trotz seiner Bemühungen, seines Einflusses musste Costas sich der Erkenntnis beugen, dass seine Befehlsgewalt hier endete. Er hatte die beste medizinische Behandlung verlangt, internationale Spezialisten konsultiert und Elenis Verwandtschaft unter Druck gesetzt, damit auch bei wirklich jedem getestet wurde, ob er als Knochenmarkspender infrage kam. Alles vergebens. Costas war machtlos – ein für ihn ebenso neues wie unerträgliches Gefühl.

Wenn man den Ärzten glauben konnte, war die junge Frau neben ihm die einzige Hoffnung, die ihm und seiner Tochter noch geblieben war.

Warum sagte Sophie Paterson nichts? Warum beantwortete sie nicht seine unausgesprochene Frage?

Costas dachte an das Telefonat, das er gerade geführt hatte. Um Christina Liakos ausfindig zu machen, war in Athen ein Privatdetektiv engagiert worden. Jetzt endlich hatte er sich gemeldet. Viel zu spät, wie Costas ärgerlich dachte. Diese Informationen hätten ihm vor seiner Reise nach Sydney vorliegen müssen, dann wäre sein Besuch anders verlaufen. Costas zuckte innerlich zusammen bei der Erinnerung daran, wie er vor der Tür gestanden und verlangt hatte, mit Christina Liakos zu sprechen. Costas wusste nun, dass Sophia Dimitria Paterson dreiundzwanzig Jahre alt war und soeben ihre Ausbildung zur Sprachtherapeutin abgeschlossen hatte. Sophia hatte keine Geschwister. Mit fünf Jahren war ihr Vater bei einen Berufsunfall gestorben. Um sich und ihre Tochter ernähren zu können, hatte Christina bei zwei Arbeitsstellen als Putzfrau gearbeitet. Costas überlegte, wie sich der vermögende Petros Liakos wohl fühlen würde, wenn er erfuhr, dass seine Tochter rund um die Uhr geschuftet hatte, damit etwas zu essen auf den Tisch kam. Was für ein Gegensatz zu dem verwöhnten Leben, das ihre Familie in Griechenland führte.

Von dem Privatdetektiv wusste Costas, dass Sophie während ihres Studiums als Serviererin gearbeitet hatte. Sie ging gern auf Partys, war aufgeschlossen und sehr beliebt, besonders bei jungen Männern.

Gebildet, aber arm. Dem Bericht zufolge hatte Sophie Paterson von ihrer Mutter beträchtliche Schulden geerbt.

Verdammt, warum sagte sie nichts? Sie musste doch begriffen haben, was er von ihr wollte. Wartete sie darauf, überredet zu werden? Aber welche Argumente sollte er noch ins Feld führen? Was würde sie überzeugen? Ein Bündel Geldscheine? Costas warf ihr einen prüfenden Blick zu. Sie schien nicht dieser Typ zu sein. Andererseits wusste er aus eigener Erfahrung, wie habgierig und verschlagen Frauen sein konnten.

Costas konnte nicht länger stillsitzen. Er brauchte ein Ventil für seine Anspannung und sprang ungeduldig auf. „Wenn du Geld willst, es ist mehr als genug da, um dir die Entscheidung zu erleichtern.“ Er kannte unzählige Menschen, die ihre Integrität und erst recht ihr Knochenmark für einen Bruchteil seines Geldes verkaufen würden. Sophie war eine Liakos. Und Costas wusste genau, wozu diese Familie fähig war. Dennoch widerte ihn der Gedanke an, dass Sophie käuflich sein konnte. Enttäuscht wandte er sich ab.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Sophie zu ihm auf. Ihr war durchaus klar, über wie viel Reichtum die Familie ihres Großvaters verfügte. Und deren Vermögen schien nichts zu sein im Vergleich zu dem, was Costas Palamidis besaß.

„Dein Großvater hat ein Vermächtnis für Eleni beiseitegelegt. Geld und Aktien“, sagte Costas knapp. Er wollte es nun hinter sich bringen. Sie würden eine Vereinbarung treffen und die Sache damit erledigen. Costas spürte eine Bewegung, hörte Sophie scharf einatmen und wusste, dass sie angebissen hatte. „Wenn du eine passende Spenderin bist und das Verfahren durchführst, werde ich dafür sorgen, dass dieses Vermächtnis an dich geht. Ich garantiere dir, dass von deinem Großvater keine Einwände kommen werden. Ich habe es nicht schätzen lassen, aber es handelt sich auf jeden Fall um einen siebenstelligen Betrag.“

„Ist das alles?“

„Wie bitte?“ Costas drehte sich um. Sie stand neben ihm mit gerötetem Gesicht und funkelnden Augen. Wieder durchflutete ihn das Verlangen nach ihr. Jetzt fühlte er sich jedoch beschmutzt davon. Er war anspruchsvoll. Frauen, die nur hinter dem Geld der Männer her waren, hatten ihn noch nie gereizt.

„Ist das dein letztes Angebot?“

Er ignorierte ihre Worte. „Willigst du ein, dich testen zu lassen und meine Bedingungen zu akzeptieren?“

„Ich willige in nichts ein, du arroganter Narr.“

Betroffen erkannte Costas, dass in ihren Augen nicht Habgier, sondern Wut brannte.

„Vielleicht hältst du dich für etwas Besseres, aber du bist bloß ein Heuchler.“ Sophie strich sich das üppige Haar zurück und baute sich vor ihm auf. Sie reichte ihm kaum bis zur Schulter. „Wer gibt dir das Recht, mich wie ein herzloses habgieriges Miststück zu behandeln?“ Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. „Glaubst du, ich lasse mich dafür bezahlen, einem kranken Kind zu helfen? Ich wette, deinen Verwandten in Griechenland hast du kein Geld angeboten.“

Sie wären zutiefst beleidigt gewesen. Sophie Paterson dagegen … Als Cousine seiner verstorbenen Frau gehörte sie zwar auch zur Familie, war aber dennoch eine unbekannte Größe.

„Bestimmt nicht!“, fuhr Sophie ihn an. „Die echten Verwandten deiner Tochter würdest du nicht so brüskieren.“ Sie hob eine Hand und drohte ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger. „Aber wir Australier … wir waren niemals vornehm genug. Von uns erwartest du das Schlimmste.“

Sophies Stimme war lauter geworden vor Empörung, doch Costas sah Tränen in ihren Augen schimmern. Er schämte sich, ein Gefühl, an das er nicht gewöhnt war und das er überhaupt nicht mochte. „Das reicht!“ Ärgerlich ergriff er ihre Hand und drückte sie an seine Brust. Sofort begann sein Herz zu rasen, er kämpfte gegen den Impuls, Sophie an sich zu ziehen und zu küssen. Allein bei dem Gedanken daran breitete sich Hitze in seinem ganzen Körper aus.

Wut. Schuldgefühle. Begierde. Sie steigerten sich zu einem so wilden Verlangen, dass ihm fast schwindlig wurde. Erstaunt schaute er Sophie an. Normalerweise hatte er kein Problem damit, sein Verlangen zu dämpfen. Aber so etwas wie dies hatte er noch nie empfunden.

In was war er da hineingeraten?

Sophie blickte in Costas’ funkelnde dunkle Augen, und ihre Wut verschwand. Sie sahen einander an, die ungeheure Spannung zwischen ihnen war fast mit Händen zu greifen.

„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte er schließlich. „Du hast so lange geschwiegen. In meiner verzweifelten Lage habe ich den falschen Schluss gezogen. Ich habe oft mit Menschen zu tun, die von materiellem Reichtum nicht so … unbeeindruckt sind wie du. Ich bedauere, dich gekränkt zu haben.“

Die Wärme seines Körpers umhüllte sie. Unter ihren Fingern spürte sie seinen Herzschlag. Völlig gebannt, gelang es ihr nicht, Costas’ forschendem Blick auszuweichen. Das war gefährlich. Sie musste dem ein Ende bereiten. Sofort.

„Ich nehme deine Entschuldigung an“, erwiderte sie. „Es war ein Missverständnis.“

„Danke, Sophie“, flüsterte er rau.

Dann küsste er ihr die Hand. Völlig unerwartet. Die Berührung durchfuhr ihren Körper wie ein Stromschlag, elektrisierte sie. Sophies Augen weiteten sich vor Erstaunen. Einen Moment lang spiegelten sich ihre Empfindungen in seinem Gesicht. Dann wurde Costas’ Miene wieder ausdruckslos und unnahbar. Sophie spürte noch immer die glühenden Empfindungen, die er mit einer einfachen Berührung in ihr hervorgerufen hatte. Und das versetzte sie in Angst.

Schnell entzog sie ihm die Hand. Costas trat zurück, und Sophie stieß erleichtert den unbewusst angehaltenen Atem aus. Er war ihr als rücksichtsloser und kalter Macho begegnet, daran gewöhnt, mit Reichtum und Macht umzugehen und, nach dem, was er gesagt hatte, mit Leuten, die sie selbst lieber mied. Inzwischen aber stand ein verzweifelter Vater vor ihr, der um das Leben seiner Tochter kämpfte, und der auf Sophie eine sexuelle Anziehungskraft ausübte, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Irgendetwas an diesem Mann wirkte so ungeheuer faszinierend, brachte sie aus dem Gleichgewicht. Und sie begriff es nicht. Er war überhaupt nicht ihr Typ. Arrogante, herrische, dominante Männer waren nicht ihr Stil. Warum also fühlte sie sich so zu ihm hingezogen?

Sophie konnte es sich nicht erklären. Und das erfüllte sie mit tiefer Sorge. Dennoch würde sie ihm seine Bitte nicht mehr abschlagen können. Sophie begriff, dass sie in großen Schwierigkeiten war.

„Und du wirst helfen?“, fragte Costas drängend.

„Natürlich. Wie könnte ich die Krankheit deiner Tochter ignorieren?“

„Dann werde ich alle Vorbereitungen treffen“, sagte er. „Kannst du morgen so weit sein?“

„Ja, sicher.“

„Gut.“ Er umfasste ihren Ellbogen und zog Sophie mit sich zurück zu ihrem Haus. „Ich organisiere unseren Flug.“

„Wie bitte?“

„Unseren Flug.“ Costas warf ihr einen ungeduldigen Blick zu. „Ich rufe dich nachher an und sage dir Bescheid, wann ich dich abhole. Wir fahren zusammen zum Flughafen.“

„Ich verstehe nicht.“ Sophie runzelte die Stirn. „Geht es nicht nur um einen Bluttest oder so etwas?“

„Ja, ein Bluttest. Und wenn der positiv ist, wird der Arzt eine Knochenmarksprobe entnehmen.“

„Warte!“ Sie blieb stehen und stemmte so fest die Füße auf den Boden, dass Costas auch anhalten musste. „Die Tests können doch bestimmt hier in Sydney gemacht werden?“

„Können sie, aber wenn du jetzt mitkommst, könnte, falls du als Spenderin geeignet bist, die Transplantation sofort durchgeführt werden.“

Sophie war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Costas sich auf etwas versteifte, was noch gar nicht erwiesen war. Es stand nicht fest, dass sie als Elenis Spenderin infrage kam. „Du betrachtest vieles als selbstverständlich. Es wäre einfacher, wenn ich nach Griechenland komme, sobald die Testergebnisse vorliegen.“ Das war noch früh genug, den Verwandten ihrer Mutter zu begegnen. Allein bei der Vorstellung schnürte sich ihr der Magen zu.

Ungestüm verstärkte er den Druck seiner Hand um ihren Arm und zog Sophie an sich. Sein Blick war so unnachgiebig, so wild entschlossen, dass ihr einen Moment lang der Atem stockte.

Sophie erkannte, dass er sie niemals freilassen würde.

Costas sah in ihre goldbraunen Augen und befahl sich, ruhiger zu werden, geduldig zu sein und vor allem, sich nicht davon beeindrucken und mitreißen zu lassen, wie gut es sich anfühlte, diese Frau zu berühren. Ihren Körper an seinem zu spüren.

Sie war Elenis letzte Chance. Und sie litt selber unter dem Verlust ihrer Mutter.

Es war absolut indiskutabel, in dieser Situation etwas mit ihr anzufangen.

Aber sie fühlte sich so richtig an. Ihr Duft war betörend, das seidige Haar, ihr geschmeidiger Körper. Er wünschte …

Nein. Hier ging es nicht darum, was er begehrte. Hier ging es um das, was Eleni von ihr brauchte. Nur das spielte eine Rolle. Nichts anderes. Costas ließ Sophie los und trat zurück.

„Es ist besser, wenn du mich begleitest.“ Er konnte und wollte seine schlimmsten Befürchtungen nicht in Worte fassen. Costas hatte erfahren, wie es ist, an die Grenzen seiner Macht zu kommen. Nun bot sich ihm mit Sophie die letzte Chance, das Leben seiner Tochter noch zu retten. Niemals würde er sie jetzt noch aus den Augen lassen. Was, wenn auch ihr etwas passierte? Sie ihre Meinung ändern und nicht nach Griechenland kommen würde?

„Ich könnte in eine Klinik hier in Sydney gehen …“

„Wenn ich vorher anrufe und dem Arzt Bescheid gebe, kannst du den ersten Test schon am Tag nach unserer Ankunft machen“, unterbrach er sie. Und dann zwang er sich, es auszusprechen: „Dies ist die letzte Chance für meine Tochter.“ Sein Blick ging ins Leere. Er dachte an die kleine Eleni, die ihre Krankheit ertrug, ohne zu klagen. So tapfer. So unschuldig. Womit hatte sie das verdient? Konnte Sophie denn nicht verstehen, dass er jetzt handeln wollte? Schnellstmöglich?

Costas spürte eine leise Berührung und zuckte zusammen. Sophie sah ihn an. In ihren Augen konnte er sehen, dass sie verstand, wie verzweifelt er war. Die vergangenen Monate waren ein einziger Albtraum gewesen, und Costas hatte keinen, mit dem er seine Sorgen, seine Wut und seine Verzweiflung hätte teilen können. Bis zu diesem Moment war ihm gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ihm das fehlte. Und jetzt bot ihm diese junge Frau Mitgefühl und Verständnis an.

Einen Moment lang geriet er in Versuchung, danach zu greifen. Aber er brauchte niemanden. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, allein zu leben.

„Ich verspreche, sofort nach Athen zu kommen, wenn ich kompatibel bin“, sagte Sophie. Das Wissen um seine Qual ließ ihre Stimme heiser klingen.

„Nein! Du musst jetzt mitkommen. Und auch falls du … als Spenderin nicht geeignet bist, verspreche ich, dass dein Aufenthalt so angenehm wie möglich sein soll. Es werden dir keine Nachteile daraus erwachsen. Selbstverständlich bist du mein Gast. Du hast keine dringenden Verpflichtungen, oder?“

Sophie hatte noch etwas Zeit, bevor sie ihre erste Anstellung antreten würde. Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Betrachte es als einen Kurzurlaub.“ Die überzeugenden Worte, ihr schmeichelnder Klang zeigten Wirkung. Es war der Tonfall, mit dem Costas bei Frauen immer erreichte, was er wollte. Er spürte, wie Sophies Ablehnung ins Wanken geriet.

„Ich zahle für mich selbst.“ Störrisch presste sie die Lippen zusammen.

So viel Stolz! Costas wusste, dass sie sich den Flug nach Athen niemals leisten konnte und sich das Geld für die Reise würde leihen müssen. „Du besuchst Griechenland, um meiner Tochter zu helfen. Es wird mir eine Freude sein, dich bei uns wohnen zu lassen.“

Schließlich nickte Sophie. „In Ordnung. Ich fliege mit dir nach Griechenland. Und ich werde darum beten, dass die Tests so ausfallen, wie du hoffst.“

Ihre Stimme klang unendlich traurig. Vermutlich dachte Sophie daran, dass ihre Mutter nicht hatte gerettet werden können. Er umfasste wieder ihren Arm. Diesmal war seine Berührung sanft, fast fürsorglich, denn Costas ahnte, wie sehr Sophie litt. Langsam begleitete er sie ins Haus. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte er sich ruhiger und leichter, war die Anspannung von ihm gewichen.

Alles würde gut gehen.

Sie würden Eleni retten.

4. KAPITEL

Die Schiebetüren öffneten sich. Sophie trat aus dem Flughafengebäude.

Sie war hier, auf Kreta.

Von Rührung ergriffen, atmete sie zittrig ein. Sie würde doch nicht etwa weinen? Diese Insel war für sie wirklich nicht von Belang.

Aber ihrer Mutter hatte sie so viel bedeutet. Trotz der schmerzlichen Erfahrungen war ihre Mutter Optimistin geblieben. Es bereitete ihr Freude, zusammen mit Sophie Pläne für eine Reise nach Kreta zu schmieden. Und obgleich sie noch weit davon entfernt waren, sich ein solches Unternehmen leisten zu können, lagen die Pässe bereits in der Schublade. Selbst wenn sie ihre Familie nicht besuchen könnten, auf Kreta würde es noch viele andere Dinge zu sehen geben, hatte ihre Mutter immer gesagt.

Sophie wusste, wie viel Christina ihre griechische Heimat bedeutet hatte. Und sie waren noch so weit davon entfernt gewesen, das notwendige Geld für die Reise aufbringen zu können. Wie gerne hätte Sophie ihre Mutter mit den Flugtickets überrascht. Es wäre das Erste gewesen, was sie von ihrem Gehalt als Sprachtherapeutin gekauft hätte. Nun war es zu spät dafür.

„Geht es dir gut, Sophie?“ Costas umfasste ihren Arm.

Seine Berührung, der Klang dieser tiefen Stimme ließen Sophie erbeben, ein heißer Schauer durchlief ihren Körper. Seit ihrem ersten Treffen in Sydney hatte Costas gewissenhaft darauf geachtet, Abstand zu halten. Und Sophie war inzwischen zu der Überzeugung gekommen, dass sie sich ihre heftige Reaktion auf ihn nur eingebildet hatte.

Umso mehr traf es sie jetzt, dass eine simple Geste von ihm erneut eine derartige Wirkung auf sie hatte. Wie schaffte er es nur, sie so aus der Ruhe zu bringen?

„Ich bin okay“, erwiderte sie mühsam, ohne ihn anzusehen. „Vielleicht ein bisschen müde.“

„Du kannst dich bald ausruhen.“ Er ließ sie los.

Befreit atmete Sophie auf.

„Wir fahren gleich los. Bis zu meinem Haus an der Küste ist es nicht weit.“ Costas zeigte auf eine große, schwarz glänzende Limousine, die direkt vor dem Ausgang des Terminals stand.

Was für ein Auto! Aber das war eigentlich vorherzusehen, dachte Sophie. Sie hatte eine andere Welt betreten, die der Reichen und Privilegierten. Und Costas spielte offenbar ganz oben mit: erst die beflissene Hilfsbereitschaft des Bodenpersonals im Flughafen, dann die VIP-Behandlung durch den Zoll, und im Flugzeug hatte Sophie verblüfft festgestellt, dass die ganze erste Klasse für sie allein reserviert war. Inzwischen wusste sie, dass ihm die Fluggesellschaft gehörte. Tja, da war natürlich mancherlei machbar.

Und dieses Leben hatte ihre Mutter für ihre Liebe aufgegeben! Kein Wunder, dass Petros Liakos entsetzt über eine Liaison zwischen seiner Tochter und einem mittellosen Australier gewesen war.

Langsam ging Sophie auf das Auto zu. Bei dem Gedanken, was ihr hier bevorstand, bekam sie plötzlich Angst. Wie sollte sie jemals Costas’ Erwartungen gerecht werden? Was, wenn sie nicht helfen konnte?

Trotz ihrer Zweifel und Ängste wusste Sophie, dass sie niemals fähig gewesen wäre, ihm seine Bitte abzuschlagen. Sie hatte die Verletzlichkeit gespürt, die sich hinter seinem aggressiven Auftreten und der dominanten Ausstrahlung verbarg. Er umgab sich mit diktatorischer Strenge, aber Sophie erkannte, wie verwundbar ihn die Liebe zu seiner Tochter und seine Angst um sie machten. Viel zu gut konnte sie nachvollziehen, wie er sich fühlte.

„Hier bitte.“ Costas zeigte auf die hintere Tür des Wagens. Ein junger Mann in Uniform hielt sie für Sophie auf. In diesem Moment ertönte das diskrete Summen eines Telefons. Costas runzelte die Stirn, als er die angezeigte Nummer sah. „Entschuldige mich kurz“, sagte er. „Ein Anruf aus dem Haus.“

Sophie sah die Anspannung, den grimmigen Zug um seinen Mund. Costas entfernte sich ein paar Schritte und nahm den Anruf entgegen. Er erwartete schlechte Nachrichten. Auf einmal lächelte er, seine finstere Miene erhellte sich und drückte eine Zärtlichkeit aus, die Sophie den Atem raubte. Für einen Augenblick konnte Sophie den Mann sehen, der sich hinter der Fassade von rücksichtsloser Überlegenheit und Emotionslosigkeit verbarg. Das Bild war so intim, dass Sophie sich wie eine Voyeurin vorkam. Sie drehte sich weg und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Chauffeur zu. Dieses Gespräch war viel zu persönlich, als dass sie ihn dabei beobachten durfte.

Costas lauschte seiner Tochter, sah den leuchtend blauen Himmel, der durch kein Wölkchen getrübt wurde und spürte, wie erleichtert er war, endlich wieder zu Hause zu sein. Und er kam nicht mit leeren Händen, sondern brachte neue Hoffnung mit, in Gestalt von Sophie.

Eleni erzählte ihm von den Kätzchen, die sie am Vortag gesehen hatte. Eine Katze im Haus zu haben wäre doch gut, weil sie die Mäuse fangen könnte. Diese charmante Taktik seiner Tochter brachte Costas zum Lachen. Mit einem glücklichen Lächeln versprach er, bald da zu sein und verabschiedete sich. Er brannte darauf, loszufahren, und eilte zum Auto zurück. Dort wartete Sophie auf ihn. Sie war noch nicht eingestiegen, sondern stand an der offenen Tür und unterhielt sich mit Yiorgos. Der Chauffeur hatte seine professionelle Zurückhaltung aufgegeben, war nahe an Sophie herangetreten und sprach mit lebhaften Gesten auf sie ein.

Plötzlich warf sie den Kopf zurück und fing an zu lachen. Der ungetrübte und fröhliche Klang ihrer Stimme traf Costas auf eine merkwürdige Art. Er hatte sie noch nie so fröhlich gehört und blieb stehen, um sie anzuschauen. Ihr von Kummer gezeichnetes Gesicht hellte sich auf, und Costas konnte sehen, wie sie vor der Krankheit ihrer Mutter gewesen sein musste. Sorglos, glücklich … umwerfend attraktiv. Ihre sprühende Schönheit weckte tief verschüttete Gefühle in ihm.

Yiorgos redete weiter auf sie ein, und Sophie lächelte ihn bewundernd an. Unvermittelt fühlte Costas einen heftigen Stich, er atmete scharf ein. Ein Gefühl von Unbehagen traf ihn bis ins Mark.

Was war das?

Eifersucht?

Nein, unmöglich! Er kannte Sophie kaum. Hatte keinen Anspruch auf sie. Kein Interesse an einer persönlichen Beziehung. Der Gedanke war lächerlich.

Costas steckte sein Handy in die Hosentasche und ging weiter. „Fertig?“, fragte er schroff.

Sofort nahm Yiorgos Haltung an. Sophies Lächeln verschwand, und sie sah weg.

Wütend fragte sich Costas, warum er so enttäuscht war. Er hatte doch erreicht, was er wollte: die Chance, Eleni zu retten. Das allein war wichtig. Er brauchte weder das Lächeln noch die Gesellschaft dieser Frau. Aber seine körperliche Reaktion auf sie war beunruhigend. Besonders für einen Mann wie ihn, der sich nur auf sich selbst verließ; der eher zweifelte als vertraute; der sich lieber beherrschte statt sich einer Leidenschaft hinzugeben.

Costas wartete, bis Sophie im Auto saß, dann nahm er neben ihr auf den Rücksitz Platz. Während der Fahrt wies er Sophie auf die Sehenswürdigkeiten von Heraklion hin, erzählte von seiner Geburtsstadt. Detailliert, informativ und völlig unpersönlich, ohne sie auch nur ein einziges Mal anzuschauen. Er wollte Distanz aufbauen, sich auf seine Rolle als Gastgeber beschränken. Nur so würde er die kommenden Tage mit ihr in einem Haus verbringen können.

Sophie hörte zu, wie Costas das geschäftige Treiben im Hafen beschrieb und über Geschichte und Kultur Heraklions berichtete. Er liebte seine Heimat wirklich. Trotz seines Engagements war eine Wandlung mit ihm vorgegangen. Er wich ihrem Blick aus, sein Ton blieb sachlich wie der eines Fremdenführers.

Hatte sie ihn durch irgendetwas beleidigt oder gekränkt? Aber Sophie fiel nichts ein, was ihr sein verändertes Benehmen erklären konnte.

Aber was auch immer der Grund war, mit diesem distanzierten Costas Palamidis wurde sie besser fertig als mit dem Mann, dem sie in Sydney gegenübergestanden hatte. Dessen Leidenschaft sie geängstigt und gleichzeitig fasziniert hatte. Gegen seine starke Persönlichkeit und seine dunklen Emotionen war sie machtlos gewesen. Sophie redete sich ein, froh über seine Reserviertheit zu sein.

Wenige Minuten später fuhren sie vor einer großen und modernen Villa vor. Noch nie zuvor hatte Sophie so ein Haus gesehen, geschweige denn betreten. Ein einziger Blick zeigte ihr, dass Costas zu den Superreichen der Welt gehörte.

Die imposante Haustür ging auf, und eine grauhaarige Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm kam heraus. Sobald sie anhielten, stieg Costas aus dem Auto. Durch die getönte Scheibe beobachtete Sophie, wie er über den Kies auf die beiden zulief und das zerbrechlich aussehende Mädchen in die Arme nahm. Es konnte höchstens drei oder vier Jahre alt sein, war sehr blass. Der kahle Kopf zeugte von seiner schweren Behandlung. Bei dem Anblick schnürte es Sophie die Kehle zu, und sie bemühte sich, ihre aufsteigenden Tränen herunterzuschlucken. Bitte lass mich der Kleinen helfen können!, dachte sie.

Yiorgos öffnete die Tür auf ihrer Seite.

Als Sophie aus dem Auto stieg, wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie war. Es lag nicht nur an dem langen Flug. Auch die hohen Erwartungen, die in sie gesetzt wurden, zehrten an ihr. Langsam ging sie auf das Haus zu, denn sie mochte das Wiedersehen Costas’ mit seiner Familie nicht stören.

Doch er schien sie bereits gehört zu haben, denn Costas drehte sich um und kam auf sie zu. Bewegt blieb Sophie stehen. Jetzt, da er seine Tochter im Arm hielt, sah er ganz anders aus. Jünger, vitaler und unglaublich sexy. Seine Augen strahlten vor Liebe, und seine Gesichtszüge wirkten sanft und empfindsam. Beunruhigt erkannte Sophie, dass dieser neue Costas sie sogar aus zehn Metern Entfernung völlig aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

Eleni starrte sie lange an, dann zappelte sie in Costas’ Armen und streckte die Arme nach Sophie aus.

„Mamá!“,rief das kleine Mädchen unmissverständlich.

5. KAPITEL

Dass Eleni sie für ihre Mutter hielt, hatte Sophie einen Schock versetzt. Dankbar trank sie den heißen Kaffee, den man ihr brachte. Er war zu süß für ihren Geschmack, aber in dieser Situation genau das, was sie brauchte. Angestrengt lauschte sie den leisen Worten aus der Eingangshalle. Mrs. Palamidis sprach auf dem Weg nach draußen mit ihrem Sohn.

Zum ersten Mal verwünschte sich Sophie dafür, dass ihr Griechisch so schlecht war. Ihre Mutter hatte sie als Kind immer wieder in Sprachkurse geschickt. Aber nachdem Sophie alt genug gewesen war, um den Bruch zwischen ihrer Mutter und der Familie in Griechenland zu begreifen, hatte sie sich geweigert, weiter daran teilzunehmen. Jetzt hätte sie viel darum gegeben, zu verstehen, was Mrs. Palamidis zu Costas sagte. Und was er antwortete.

Seine Mutter war ruhig und verständnisvoll mit dieser peinlichen Situation umgegangen. Mitfühlend hatte sie Sophie in ein elegantes Wohnzimmer geführt und sich für den Irrtum entschuldigt. Costas war mit seiner Tochter noch oben gegangen, um sie für den längst überfälligen Mittagsschlaf ins Bett zu bringen.

Aber jetzt war Mrs. Palamidis gegangen. Sophie würde mit Costas allein sein. Und später mit ihm und Eleni. Dieser Moment, als die Kleine ihr aufgeregt Mamá zugerufen hatte … Sophie fröstelte bei der Erinnerung. Fassungslos hatte sie zu Costas geschaut, seine gequälte Miene wahrgenommen und erkannt, dass auch er an seine verstorbene Frau dachte. Sophie war erschüttert.

Warum hatte er ihr nicht gesagt, dass sie ihrer Cousine so ähnlich sah? Hatte er befürchtet, sie würde sich dann weigern, nach Griechenland zu kommen?

Es gab kein Entrinnen. Costas’ Entschlossenheit, seine Tochter zu retten. Das kostbare Erbgut, das Sophie mit Eleni verband. Die unheimliche Ähnlichkeit mit einer Toten. Familiäre Bande, die eine halbe Welt überbrückten und sich trotz der Hochmütigkeit eines alten Mannes nicht leugnen ließen.

Sophies Augen füllten sich mit Tränen, als sie daran dachte, wie wichtig ihrer Mutter der Kontakt mit ihrer Familie gewesen war. Es wäre für sie selbstverständlich gewesen, dass Sophie sofort nach Griechenland flog – auch wenn dadurch alte Wunden wieder aufgerissen würden. Das Leben eines Kindes stand auf dem Spiel – was bedeuteten da schon dumme Familienstreitigkeiten. Zwangsläufig musste sie an ihren Großvater denken, der sich in einem Krankenhaus auf dieser Insel von seinem Schlaganfall erholte. Aber so weit reichte ihr Mitgefühl nicht. Sie wollte nichts wissen von dem Mann, der ihre Mutter verstoßen hatte.

Sophie nahm eine Bewegung auf der anderen Seite des großen Wohnzimmers wahr und sah auf. Costas stand an der Tür. „Deine Mutter ist gegangen?“

„Ja. Meine Eltern leben ein paar Kilometer von hier entfernt.“

Also waren sie allein. Costas und sie. Der Gedanke machte Sophie nervös.

Langsam ging Costas durch das Zimmer bis zu dem Sofa, auf dem sie saß. Er stellte sich direkt neben sie, und Sophie musste sich zusammennehmen, um nicht unwillkürlich zur Seite zu rücken. Als er spöttisch die Augenbrauen hochzog, wusste sie, dass er ihr Unbehagen bemerkt hatte. Dann runzelte er die Stirn und setzte sich auf ein Ledersofa ihr gegenüber.

„Ich entschuldige mich dafür, dass deine Ankunft so … schwierig war“, sagte er langsam. „Wenn ich geahnt hätte, wie Eleni auf dich reagieren würde, hätte ich meine Mutter gebeten, sie vorzubereiten.“

Er hatte sie in eine entsetzliche Lage gebracht, aber sein Bedauern schien echt zu sein, und Sophies Verärgerung verschwand. „Schon gut“, erwiderte sie. „Ich war nur so überrascht.“

„Mehr als das, dessen bin ich sicher. Du bist kreidebleich geworden, als Eleni dich Mamá genannt hat. Ich hätte …“

„Jetzt ist es ja vorbei“, unterbrach ihn Sophie. „Du hast es ihr doch erklärt? Sie glaubt nicht länger …?“

„Nein. Ich habe ihr klargemacht, dass du ihrer Mutter so ähnlich siehst, weil ihr Cousinen seid. Eleni hat verstanden, dass du ein ganz besonderer Gast bist, der um die halbe Welt gereist ist, um sie zu besuchen. Ich wundere mich, dass sie trotz ihrer Aufregung eingeschlafen ist. Sie brennt darauf, mit dir zu spielen.“

„Aber es wäre wohl …“

„Hast du Angst davor, ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen?“, fragte Costas missbilligend. „Eleni ist ein recht einsames kleines Mädchen. Wegen ihrer Krankheit hat sie kaum Kontakt zu anderen Kindern. Und jetzt ist sie natürlich neugierig auf dich. Ist das denn zu viel verlangt?“

„Ich wollte nur sagen, dass ich ja bald wieder abreise und es besser wäre, ihren normalen Tagesablauf nicht durcheinanderzubringen.“

Tatsächlich ging es um mehr. Sophie wollte Abstand halten zu Eleni. Was sollte werden, wenn sie das kleine Mädchen lieb gewinnen, aber als Spenderin nicht geeignet sein würde? Wie sollte sie mit diesem Schmerz umgehen? Und was, wenn Eleni sie allen Erklärungen zum Trotz weiterhin als Mutter betrachtete? Sie konnte und wollte nicht den Platz einer Toten übernehmen. Und dabei dachte sie weniger an Eleni als vielmehr an ihren Vater. Sophie warf ihm einen Blick zu und stellte fest, dass er sie gespannt beobachtete. Da war es wieder. Dieses Gefühl, dass eine unwiderstehliche Macht sie zu ihm hinzog, als würde ihr eigener Wille außer Kraft gesetzt, sobald er in ihrer Nähe war. Und Sophie war nicht dazu gerüstet, sich dieser Anziehungskraft zu entziehen. Das beunruhigte und ängstigte sie mehr, als sie sich eingestand.

„Eine kleine Störung ihres Alltags wird Eleni sicher nicht schaden. Wir müssen es doch ausnutzen, dass du bei uns bist, Sophie.“ Sein Blick fiel auf ihren Mund, verweilte dort einen Moment zu lange. Dann sah Costas ihr tief und eindringlich in die Augen.

Sophies Herz schlug schneller, und sie konnte kaum noch atmen. Die Luft im Zimmer war wie elektrisiert. Sie beugte sich vor und stellte ihre Tasse auf den Couchtisch zwischen ihnen. Ihre Hand zitterte. Schnell stand sie auf, fest entschlossen, das Gespräch auf ein einfaches unverfängliches Thema zu lenken. „Du hast ein wunderschönes Haus.“

„Freut mich, dass es dir gefällt, Sophie.“

Durch ein gewaltiges Panoramafenster fiel der weiche goldene Sonnenschein eines wunderbaren Spätnachmittags und tauchte das Zimmer in diffuses Licht. Sophie konnte Costas’ Gesicht nur undeutlich sehen, meinte aber, spöttische Belustigung darin zu erkennen. Aber nein. Costas konnte unmöglich erraten haben, dass es sie gleichzeitig ängstigte und erregte, mit ihm allein zu sein.

Sie ging zu der geschwungenen Glasscheibe, die so groß war, dass sie eine ganze Wand einnahm. Vermutlich war es ein teures architektonisches Meisterwerk. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagte Sophie und bemerkte, wie schwach und atemlos sie klang. „Es ist modern und ausgefallen und passt sich dennoch der Umgebung an.“ Großartig, Sophie!, dachte sie selbstkritisch. Diese scharfsinnige Bemerkung über sein Haus hat ihm sicher noch gefehlt. Wahrscheinlich war der Bau in jeder renommierten Architekturzeitschrift groß besprochen worden.

„Ein Schulfreund hat das Haus entworfen“, erwiderte Costas. „Er kennt mich gut und wusste, was ich wollte. Das hat ihm die Aufgabe leichter gemacht.“

Vor Sophie erstreckte sich ein alter, von einer Trockenmauer umgebener Olivenhain, der zum Meer hin abfiel. Dahinter glitzerte das Wasser einer kleinen Bucht, die an beiden Seiten von felsigen Landspitzen eingeschlossen war. Es war ein friedlicher verlockender Anblick. Nirgendwo waren andere Häuser zu sehen. Wenn man so reich wie Costas Palamidis war, brauchte man dieses Paradies wohl nicht mit Nachbarn zu teilen.

„Das ist ein schwerer Seufzer“, sagte Costas plötzlich direkt hinter ihr. „Geht es dir wirklich gut?“

Einen Moment lang war Sophie wie erstarrt, dann drehte sie sich zu ihm um. „Ja. Ich bin nur müde.“

„Natürlich. Es war eine lange Reise. Komm, ich zeige dir dein Zimmer.“

Seine Stimme klang so kühl und gleichgültig. Hatte sie sich den brennenden Blick von vorhin nur eingebildet? Sophie musterte ihn verstohlen, während sie aus dem Wohnzimmer in die Eingangshalle traten. Seine Miene war streng und beherrscht, er sah so hart und unerbittlich aus wie bei ihrer ersten Begegnung in Sydney. Der schnelle Wechsel von glühender Leidenschaft zu kühler Reserviertheit brachte Sophie völlig aus der Fassung. Bei diesem Mann würde sie sich niemals sicher sein können.

Autor

Annie West
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