Cora Collection Band 56

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DU KÜSST SO TEUFLISCH GUT von SUSAN MALLERY
Als Jack am Lake Tahoe eintrifft, steht plötzlich Meri vor ihm. Als Teenager war sie in ihn verliebt, während er sie kaum beachtet hat. Doch aus der kleinen Schwester seines besten Freundes ist eine hinreißende junge Frau geworden. Immer wieder berührt sie ihn wie zufällig. Findet Meri ihn noch immer so anziehend wie er sie jetzt?

NUR EINE HEISSE NACHT IN HOLLYWOOD? von DEBBI RAWLINS
Sex mit der besten Freundin? Gunner sagt nicht Nein, als es in einer heißen Nacht in Hollywood immer stärker zwischen Mallory und ihm knistert. Ein Fehler? Danach geht Mallory ihm plötzlich aus dem Weg …

IST ES VIELLEICHT LIEBE? von TANYA WRIGHT
„Warum hast du mich nie geküsst?“ Bei Micahs Frage fährt Josh um ein Haar gegen die Leitplanke! Wie kommt seine beste Freundin denn auf diese verrückte Idee? Hatte sie in der Bar einen Drink zu viel? Denn ein Kuss könnte wunderbar sein – oder aber das Ende ihrer Freundschaft …


  • Erscheinungstag 02.09.2022
  • Bandnummer 56
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508780
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery, Debi Rawlins, Tanya Wright

CORA COLLECTION BAND 56

1. KAPITEL

Vor elf Jahren …

Ausgerechnet am Nachmittag ihres siebzehnten Geburtstags lag Meredith Palmer auf ihrem Bett und weinte bitterlich. Ihr ganzes Leben war ein einziges Desaster. Nie würde es besser werden. Eigentlich sollten doch gerade die Collegejahre die beste Zeit des Lebens sein. Aber offensichtlich nicht für sie.

Am besten, sie stürzte sich gleich aus dem Fenster ihres Zimmers im Studentenwohnheim, dann war wenigstens alles ein für alle Mal vorbei. Allerdings wohnte sie nur im dritten Stock, da würde sie wohl am Leben bleiben und als Krüppel enden.

Langsam richtete sie sich auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. „Bei der Entfernung zum Boden und der Geschwindigkeit des Aufpralls …“, überlegte sie halblaut und schniefte leise, „und je nachdem, wie ich aufkomme …“ Sie griff nach einem Stück Papier und einem Stift. „Wenn ich mit den Füßen zuerst lande, was unwahrscheinlich ist, aber immerhin sein kann, dann würde der Aufprall …“

Sie notierte schnell ein paar Zahlen. Die Knochendichte spielte eine Rolle und natürlich der Untergrund, ob weiche Rasenfläche oder harter Beton …

Frustriert warf sie Papier und Stift zur Seite und ließ sich wieder auf das Bett fallen. „Ich bin wirklich nicht ganz normal“, stöhnte sie. „Anstatt es einfach zu tun, stelle ich mathematische Berechnungen an. Vollkommen blödsinnig. Kein Wunder, dass ich keine Freunde habe.“

Sie schluchzte. Es war aussichtslos. Sie war nun einmal ganz anders als die anderen und würde es immer bleiben. Ein einsames Leben lag vor ihr.

Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, und presste das Gesicht nur umso fester in das Kissen. „Geh weg!“

„Ich denke nicht daran.“

Oh, diese Stimme! Sie kannte sie nur zu gut. Ihr Besitzer war der Traum ihrer schlaflosen Nächte, der Held ihrer romantischen und sexuellen Fantasien. Groß, dunkel und mit mitternachtsblauen Augen …

Meri stöhnte tief auf. „Ich will nicht mehr leben. Kann mich nicht einfach jemand umbringen?“

„Das wird nicht passieren.“ Jack setzte sich auf die Bettkante und legte Meri seine warme große Hand auf den Rücken. „Aber, Mädchen, was ist denn los? Heute ist doch dein Geburtstag.“

„Ja, und das ist furchtbar. Ich hasse mein Leben, es ist schrecklich. Ich bin schrecklich. Und außerdem bin ich fett und hässlich, und das wird sich nie ändern.“

Sie hörte, wie Jack tief Luft holte. Er war so wunderbar. Nicht nur, dass er hinreißend aussah, er hatte immer Zeit für sie. Er redete mit ihr, als sei sie eine vollkommen normale Person. Nach ihrem Bruder Hunter war er für sie der wichtigste Mensch auf der Welt.

„Du bist nicht schrecklich“, sagte er leise.

Natürlich fiel ihr sofort auf, dass er nicht sagte, sie sei nicht fett. Mit ihren 1 Meter 60 war sie nicht besonders groß und wog sicher mindestens dreißig Pfund zu viel. Außerdem hatte er nicht widersprochen, als sie meinte, sie sei hässlich. Jack war nett, aber leider log er nie.

Ihre Nase war einfach zu groß, und mit der Zahnspange und der unreinen Haut konnte sie nun wirklich keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Eher würde ein Zirkus sie für seine Freakshow engagieren.

„Ich bin abartig“, stieß sie dumpf hervor, das Gesicht immer noch im Kissen vergraben. Durch die Heulerei waren ihre Augen verquollen, und den Anblick wollte sie Jack nicht auch noch zumuten. „Ich wollte mich umbringen, und stattdessen fing ich an zu berechnen, wie sich der Sturz … ach, ist ja auch egal. Auf alle Fälle bin ich nicht normal.“

„Du hast recht, Meri. Du bist nicht normal. Aber das ist ja gerade das Besondere an dir. Du bist viel besser als die normalen Menschen. Du bist ein Genie. Im Vergleich mit dir sind wir anderen Idioten.“

Er war kein Idiot, er war absolut vollkommen.

„Seit ich zwölf bin, bin ich nun schon auf dem College. Da müsste ich doch allmählich mal fertig sein. Ich meine, wenn ich wirklich intelligent wäre.“

„Aber du hast doch schon mindestens zwei Abschlüsse gemacht und bist schon bei deiner Doktorarbeit.“

„Und wenn schon …“ Sie drehte sich auf die Seite. Ihr Herz zog sich zusammen, wie immer, wenn sie ihn ansah. Schnell schlug sie die Hände vors Gesicht. „Ich muss irgendwie mein Gehirn abschalten.“

„Aber warum denn? Damit du so bist wie wir alle?“

„Ja.“ Sie nahm die Hände herunter und sah ihn an. „Ich möchte so sein wie alle anderen auch, ein ganz normales Mädchen.“

Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Tut mir leid, aber du wirst immer etwas Besonderes sein.“

Oh, sie liebte ihn so! Wenn sie doch mehr für ihn sein könnte als die kleine Schwester seines besten Freundes. Wenn er sie als Frau betrachten könnte, als die wunderschöne Frau, nach der er sich sehnte. Wie gern würde sie ihm gestehen, dass sie ihn liebte und ihn immer lieben würde.

„Ich habe keine Freunde“, sagte sie stattdessen. „Ich bin immer die jüngste gewesen, viel jünger als die anderen in meinem Semester. Die betrachten mich als eine Art Wunderkind und warten nur darauf, dass ich ausgebrannt bin und nichts mehr bringe.“

„Das wird aber nicht passieren.“

„Ich weiß. Aber da ich hier auf der Uni vollkommen isoliert bin und mir außerdem seit dem Tod meiner Mutter ein weibliches Vorbild fehlt, werde ich nie ein normales Mitglied der Gesellschaft sein. Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß. Wie gesagt, ich bin eben eine Außenseiterin und werde es immer bleiben.“ Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. „Ich werde nie einen Freund haben“, schluchzte sie.

„Aber natürlich! Du bist doch noch so jung. Hab Geduld.“

„Nein, ich werde immer allein bleiben. Und selbst wenn jemand mal aus Mitleid mit mir ausgeht, muss er schon betrunken oder vollkommen zugedröhnt sein, damit er mich küsst, geschweige denn mit mir schläft. Ich werde als Jungfrau ster… sterben.“

„Aber nein!“ Jack zog sie hoch und nahm sie in die Arme. „Was für ein Unsinn. Das ist wirklich kein schöner Geburtstag für dich.“

„Das kann man wohl sagen.“ Sie schmiegte sich an ihn. Wie wohl sie sich in seinen starken Armen fühlte. Und er roch so gut. Wenn er jetzt noch verrückt nach ihr wäre, dann wäre das die Gelegenheit …

Aber anstatt ihr ewige Liebe zu schwören und ihr die Kleider vom Leib zu reißen, tätschelte er ihr nur kurz den Rücken und ließ sie dann los. „Ich weiß, Meri, du bist momentan in einer sehr schwierigen Lage. Du bist viel zu jung für deine Kommilitonen, und für die Jugendlichen deines Jahrgangs bist du zu erwachsen.“

Sie wollte schon einwenden, dass sie doch nur vier Jahre jünger sei als er und deshalb gut zu ihm passe. Aber sie wusste, dass Jack so jemanden wie sie nicht nötig hatte, denn bei ihm standen die Frauen Schlange. Und alle waren sie jung und hübsch und schlank. Oh, wie sie diese Frauen hasste!

„Diese Phase wird vorbeigehen. Du wirst sehen, in ein paar Jahren sieht alles besser aus.“

„Das glaube ich nicht. Ich werde immer anders sein als die anderen. Ich werde nie dazugehören.“

Er strich ihr kurz über die Wange. „Quatsch. Es wird sich alles regeln. Davon bin ich fest überzeugt.“

„Aber wenn du dich nun irrst? Wenn ich doch als Jungfrau sterben muss?“

Er lachte leise. „Das wird bestimmt nicht geschehen. Versprochen.“

„Du willst mich doch nur trösten.“

„Kann sein.“ Er beugte sich vor, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie geküsst. Auf den Mund! Sie spürte seine warmen weichen Lippen auf ihren, und dann war schon alles vorbei.

Das durfte nicht sein. „Nein, nicht so!“, stieß sie atemlos hervor und packte ihn beim Sweatshirt. „Jack, bitte. Ich möchte, dass wir zusammen sind!“

Mit einem Ruck machte er sich frei. Gerade noch hatte er auf ihrem Bett gesessen, in der nächsten Sekunde stand er bereits an der Tür.

Sie wurde knallrot vor Scham. Warum hatte sie das bloß gesagt? Sie würde alles dafür geben, die Worte zurücknehmen zu können. Wie wahnsinnig peinlich. Nie würde sie diesen Augenblick vergessen. Er durfte nicht wissen, was sie für ihn empfand. Sicher hatte er geahnt, dass sie irgendwie in ihn verknallt war. Aber jetzt hatte er Gewissheit.

„Jack, ich …“

Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Meri, aber es geht nicht. Du bist Hunters kleine Schwester. Da könnte ich nie … ich meine, ich sehe in dir etwas ganz anderes.“

Das überraschte sie nicht. Warum sollte er sich auch mit einem unansehnlichen Mädchen wie ihr abgeben, wenn die schönsten Frauen sich ihm an den Hals warfen. „Ist schon klar, verstehe. Geh jetzt bitte.“

Er griff nach der Türklinke, drehte sich dann aber noch einmal nach ihr um. „Ich möchte, dass wir Freunde bleiben, Meri. Du bist eine gute wertvolle Freundin für mich, die ich nicht verlieren möchte.“ Mit diesen vernichtenden Worten verließ er den Raum.

Meri saß auf der Bettkante und starrte vor sich hin. Wann würde endlich dieser brennende Schmerz nachlassen? Wann würde sie sich endlich nicht mehr als Außenseiterin fühlen? Wann würde sie endlich aufhören, Jack zu lieben? Wann würde sie endlich mit anderen zusammen sein können, ohne sich zu wünschen, der Boden tue sich unter ihr auf und verschlinge sie?

Unwillkürlich langte sie unter das Bett und zog eine Plastikschachtel hervor, in der sie Süßigkeiten aufbewahrte. Sie holte sich einen Schokoriegel heraus und wickelte ihn aus.

Schlimmer konnte es nicht kommen. Sie hatte keinerlei Hoffnung mehr, dass sich jemals etwas zum Besseren wenden könnte.

Sie biss ab. Kaute hastig und schluckte. Der Zucker und das Fett würden sie trösten. Zumindest tat es dann nicht mehr so weh. Sie würde sich nicht mehr so einsam fühlen und nicht mehr so sehr darunter leiden, dass Jack Howington III. sie zurückgewiesen hatte. Dieser Mistkerl.

Warum liebte er sie nicht? Sie war doch ein guter Mensch. Aber sie war nicht blond und zierlich und hatte keine tolle Figur so wie die Mädchen, mit denen er ins Bett ging.

„Ich bin zu intelligent“, flüsterte sie, „das schreckt die Männer ab.“

Doch noch während sie es aussprach, wusste sie, dass das nicht ganz stimmte. Nicht nur ihr außergewöhnlicher IQ war schuld daran, dass sich kein junger Mann für sie interessierte. Auch ihr Aussehen hatte viel damit zu tun. Immer wieder hatte sie sich mit Essen getröstet, vor allem, seit ihre Mutter vor vier Jahren gestorben war. Als ihr Vater den Vorschlag machte, sich vielleicht die Nase operieren zu lassen, hatte sie ihren Vater angeschrien. Wenn er sie wirklich lieben würde, hatte sie ihn empört und verletzt angefahren, dann würde er dieses Thema nie wieder anschneiden. Aber eigentlich hatte sie nur Angst gehabt, Angst davor, sich zu verändern, aber auch Angst davor, dieselbe zu bleiben.

Schwerfällig stand sie auf und starrte die Tür an, durch die Jack verschwunden war. „Ich hasse dich, Jack“, sagte sie dumpf, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. „Ich hasse dich, und das werde ich dich spüren lassen. Warte nur, bis ich so hübsch bin, dass du einfach mit mir schlafen musst. Und danach werde ich dich verlassen und dir das Herz brechen. Du wirst schon sehen!“

Elf Jahre später

Jack Howington III. war zwei Tage durchgefahren. Er hätte auch mit seinem Privatjet fliegen und sich dann am Flugplatz ein Auto mieten können, um zum Lake Tahoe zu fahren. Denn einen Wagen brauchte er in dem Monat, den er in Hunters Landhaus verbringen musste. Aber er hatte diese zwei Tage genutzt, um sich über so einiges klar zu werden.

Seine Assistentin war außer sich gewesen, dass sie ihn zwei Tage lang nicht erreichen konnte, aber er hatte es genossen, ohne Fax, Telefon und Computer zu sein. Schon lange hatte er nicht diese Art der Ruhe empfunden, sein Leben in den letzten Jahren war mehr als hektisch gewesen. Und selbst wenn er allein war, hatte er sich nicht wirklich entspannen können, denn die Vergangenheit ließ ihn nicht los.

Eine lange Einfahrt führte zu dem großen Haus, das offenbar ganz aus Holz gebaut war. Durch die Bäume, die das Haus umgaben, schimmerte der blaue See. Große Steinstufen führten zu einer schweren Holztür.

Jack parkte den Mercedes dicht vor dem Haus und stieg aus. Die Lodge war erst kürzlich erbaut worden, zehn Jahre nach dem Tod des Freundes. Aber Jack hatte das Gefühl, als habe Hunter detaillierte Anweisungen hinterlassen. Er hatte wohl eine sehr genaue Vorstellung davon gehabt, wie das Haus einmal aussehen sollte. Alles hier erinnerte Jack an Hunter, was einerseits gut, andererseits aber auch traurig war.

Es ist ja nur ein Monat, versuchte er sich zu beruhigen, während er sein Gepäck aus dem Kofferraum nahm. Nach diesem Monat, so hatte der Freund testamentarisch hinterlassen, würde die Lodge zu einem Erholungsheim für Krebspatienten umgebaut. Außerdem sollten zwanzig Millionen aus seinem Nachlass der Stadt oder irgendeiner wohltätigen Vereinigung übergeben werden, die für das Heim zuständig war. So genau erinnerte Jack sich nicht mehr, die Einzelheiten hatten ihn nicht weiter interessiert. Er wusste nur, dass der Freund ihn um einen letzten Gefallen gebeten hatte, nämlich diesen einen Monat hier zu verbringen. Und da Jack ihn oft genug enttäuscht hatte, musste er ihm diesen letzten Wunsch einfach erfüllen.

Er ging auf das Haus zu und blieb abrupt stehen, als sich die Eingangstür öffnete. In dem Brief des Testamentsvollstreckers war Jack eine ruhige Zeit zugesichert worden, außerdem ein gut ausgestattetes Büro und eine Haushälterin.

Hört sich gut an, hatte Jack damals gedacht. Als aber jetzt die kleine zierliche Frau auf die oberste Treppenstufe trat, war er nicht mehr so sicher. Neben Hunter, der sein Gewissen belastete, aber schon lange tot war und deshalb keine Gefahr mehr darstellte, war sie der letzte Mensch, dem er in seinem Leben hatte wiederbegegnen wollen.

„Hallo, Jack“, sagte sie.

„Meredith.“

Sie sah ihn aus großen blauen Augen erstaunt an. „Du hast mich erkannt?“

„Sicher. Warum denn nicht?“

„Wir haben uns doch schon ewig nicht mehr gesehen und uns beide ziemlich verändert.“

„Ich würde dich überall wiedererkennen.“ Über die Jahre hatte er zwar versucht, ihre Spur nicht zu verlieren, denn das wenigstens war er Hunter schuldig. Schließlich hatte er dem Freund versprochen, auf dessen kleine Schwester aufzupassen. Allerdings hatte er sich mit ihr nicht persönlich in Verbindung gesetzt und sie auch schon lange nicht mehr gesehen. Das erleichterte ihm die Situation. Er war immer regelmäßig über ihren Werdegang informiert worden und war deshalb auch nicht erstaunt über ihr Aussehen. Sie wirkte irgendwie anders, sehr viel weiblicher, als er sie in Erinnerung hatte. Er wusste, dass sie vorübergehend in Kalifornien bei JPL arbeitete, einem Unternehmen, das sich mit der Entwicklung von Raketenantriebsstoffen beschäftigte. Was genau sie da getan hatte, war ihm nicht klar. Und vor allem hatte er keine Ahnung gehabt, dass sie auch hier sein würde.

Sie murmelte irgendetwas vor sich hin. „Gut zu wissen“, sagte sie dann lauter.

Ihre Augen waren immer noch so blau, wie er sie in Erinnerung hatte. Hunters Augen hatten die gleiche Farbe gehabt und auch die gleiche Form. Auch ihr Lachen war ähnlich, doch davon abgesehen hatten die Geschwister nicht viel gemein.

Er hatte Meredith schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte Mal wahrscheinlich bei Hunters Beerdigung. Und davor …

Entsetzlich, er wollte nicht an ihr herzergreifendes Geständnis denken, damals, als sie siebzehn gewesen war, und vor allem nicht daran, wie ungeschickt, ja, brutal er darauf reagiert hatte. Aber seitdem war viel Zeit vergangen, versuchte er sich zu beruhigen.

Sie ist jetzt wirklich eine erwachsene Frau, stellte er fest, als sie die Stufen herunterkam und vor ihm stehen blieb. Der Babyspeck war weg, und sie hatte sich zu einer hübschen und attraktiven Frau entwickelt, die selbstbewusst war und zu wissen schien, wo ihr Platz in dieser Welt war.

Unter anderen Umständen wäre er durchaus an ihr interessiert gewesen. Aber bei Meri war das anders. Schließlich hatte er sein Wort gegeben.

„Offenbar hast du auch einen Brief von dem Anwalt bekommen“, sagte sie lächelnd. „Denn sonst wärst du wohl nicht hier. Du musst einen Monat hierbleiben. Nach dieser Zeit werden das Haus und das Geld in einer feierlichen Zeremonie der Stadt übergeben. Dazu sind auch die anderen, die alle schon einen Monat hier verbracht haben, eingeladen. Und nach eurem Wiedersehen kannst du Hunter’s Landing verlassen, bist also wieder ein freier Mann.“ Sie warf einen kurzen Blick auf seinen Koffer und die Tasche mit dem Laptop. „Du reist ja mit erstaunlich leichtem Gepäck.“

„Ja, man ist beweglicher.“

Sie neigte leicht den Kopf und sah ihn skeptisch an. Diese Geste erinnerte ihn sehr an die Meri von früher. Das junge Mädchen hatte er immer sehr gern gehabt. Aber er hatte nicht damit gerechnet und auch nicht die Absicht gehabt, die Frau, zu der sie geworden war, kennenzulernen.

Er blickte sie langsam von oben bis unten an und runzelte die Stirn. Bildete er sich das nur ein, oder war ihre Shorts nicht viel zu kurz? Nicht, dass sie es sich nicht leisten konnte, bei den Beinen. Außerdem musste er zugeben, dass ihm der Anblick gefiel. Aber dies war Meredith, Hunters kleine Schwester. Und musste die Bluse wirklich so durchsichtig sein?

„Ich wohne übrigens auch hier“, sagte sie mit leiser tiefer Stimme.

Bei jeder anderen Frau hätte er das als Einladung verstanden. Aber nicht bei Meredith, da durften ihm diese Gedanken nicht kommen. „Warum denn das?“, fragte er barsch.

„Ich bin die Haushälterin, die dir versprochen worden ist. Ich bin hier, um dir das Leben … angenehmer zu machen.“

„Ich brauche keine Haushälterin!“

„Tut mir leid, du hast keine Wahl. Ich gehöre zum Haus dazu, bin also Teil des ganzen Deals.“

„Das ist doch lächerlich.“ Was soll das? fragte er sich. Er wusste, dass sie zu einem Think Tank in Washington gehörte und momentan in der Forschung von JPL arbeitete. Und hier wollte sie also die Haushälterin spielen?

„Tz, tz …“, sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Wie kannst du so etwas sagen? Es ist Hunters Wunsch. Sind wir nicht beide seinetwegen hier?“

Die Geschichte kaufte er ihr nicht ab. Eine Wissenschaftlerin mit ihren Qualitäten sollte einen Monat lang für ihn kochen und putzen? Das konnte doch nicht in Hunters Sinn gewesen sein. Aber auch die anderen Freunde hatten hier auf Hunters Wunsch hin einen Monat verbracht. Vielleicht wollte er auch seine Schwester hier haben? Das war immerhin möglich. Wahrscheinlich passte es ihr auch nicht, diesen Monat hier gemeinsam mit ihm verbringen zu müssen. Ganz sicher hatte sie sein Verhalten an ihrem siebzehnten Geburtstag nicht vergessen.

Er hatte sie sehr verletzt. Das war zwar nicht seine Absicht gewesen, aber es war nun einmal geschehen. Und hinterher hatte er nicht gewusst, wie er sie hätte trösten können. Dann war Hunter gestorben, und seit seinem Tod war sowieso alles anders.

Vielleicht aber bildete er sich das alles nur ein. Vielleicht war es Meri vollkommen egal, was damals geschehen … oder eben nicht geschehen war.

„Lass uns reingehen.“

Die große Eingangshalle, die sie nun betraten, hatte einen Steinboden. Eine breite Holztreppe führte in die oberen Stockwerke. Der Raum wirkte eindrucksvoll, aber nicht überladen. Wahrscheinlich hätte Jack sich ein solches Haus nie gebaut, aber er war froh, dass er es nicht mit üppigen Vorhängen und Fransen und Schalen voll getrockneter Blüten zu tun hatte.

„Dein Schlafzimmer ist im ersten Stock.“

Er blickte sich um. „Dann schläfst du hier unten?“

„Nein. Mein Zimmer ist auch im ersten Stock, gleich neben deinem. Wir sind nur durch eine Wand getrennt.“ Unter halb geschlossenen Lidern sah Meri Jack schmachtend an. Sie wollte, dass er gleich wusste, woran er war. Schließlich hatte er sie vor elf Jahren so schnöde abgewiesen. Das konnte sie auch und auf jeden Fall noch besser.

Bevor er noch reagieren konnte, wandte sie sich ab und ging auf die Treppe zu. „Oben unter dem Dach ist ein Büro“, warf sie ihm über die Schulter hinweg zu, „das kannst du gern benutzen. Es hat Internetanschluss und ein Fax. Ich werde mich im Esszimmer ausbreiten. Wenn ich arbeite, brauche ich Platz. Denn ich gehöre zu den Leuten, die sehr … engagiert sind, wenn sie sich mal auf etwas einlassen.“

Sie betonte das letzte Wort derartig stark, dass sie fast losgeplatzt wäre vor Lachen. Die ganze Sache fing an, ihr riesigen Spaß zu machen. Sie hätte Jack schon vor Jahren für das bestrafen sollen, was er ihr damals angetan hatte.

Als sie die Treppe hinaufstieg, schwang sie bewusst verführerisch mit den Hüften und beugte sich etwas vor, damit die sowieso schon kurze Shorts noch etwas höher rutschte. Auch bei dem knappen Top brauchte man nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was darunter war. Sie hatte fast zwei Tage in verschiedenen Boutiquen zugebracht, um das richtige Outfit zu finden, aber das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen.

Die Shorts war so knapp geschnitten, dass man den Ansatz ihres Pos sehen konnte. Das war vielleicht etwas ordinär, aber sehr wirksam. Die hohen dünnen Absätze der Sandaletten ließen ihre Beine endlos lang erscheinen, ein alter Trick von kleinen Frauen, wie sie eine war. Natürlich hatte sie sich auch geschminkt, und die lang herunterhängenden Ohrringe berührten beinahe die fast nackten Schultern.

Wenn ihre Kollegen aus dem Entwicklungslabor sie so sehen würden, wären sie wahrscheinlich schockiert. Normalerweise trug sie nur Hosenanzüge und darüber meist einen Kittel. Aber in diesem Monat würde sie sich so aufreizend wie möglich zurechtmachen und jede Minute genießen.

Oben im Flur blieb sie so plötzlich stehen, dass Jack gegen sie stieß. Um sein Gleichgewicht zu halten, streckte er die Arme vor. Meri, die damit gerechnet hatte, drehte sich lächelnd zu ihm um, sodass er unabsichtlich ihre linke Brust berührte.

Er erstarrte und zog sich so schnell zurück, dass er fast gefallen wäre. Hm, auch nicht schlecht, dachte Meri. Jack Howington III. als hilfloses Häufchen auf dem polierten Holzfußboden …

„Pardon …“, murmelte er.

„Aber, Jack“, sagte sie mit honigsüßer Stimme, „war das ein Annäherungsversuch? Ich muss schon sagen, das war ein bisschen plump. Ich hätte dir mehr zugetraut.“

„Das war kein Annäherungsversuch.“

„Nein?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn herausfordernd an. „Warum denn nicht? Bin ich nicht dein Typ?“

„Was soll das, Meri? Worum geht’s hier eigentlich?“

„Ach, Jack, das ist kompliziert. Wo soll ich nur anfangen?“

„Am besten am Anfang. Normalerweise macht man das so.“

Beim Anfang? Aber was war der Anfang? Vielleicht die Empfängnis, als aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen ein Mädchen mit einem außergewöhnlichen IQ entstand? Oder der Tag, an dem Meri begriff, dass sie immer eine Außenseiterin bleiben würde? Oder der Nachmittag vor elf Jahren, den sie nie vergessen würde? Als der Mann, den sie liebte, sie so grausam zurückgewiesen hatte?

„Wir müssen hier nun mal diesen Monat gemeinsam verbringen“, sagte sie leichthin. „Warum sollten wir uns die Zeit nicht auf angenehme Weise vertreiben und auch ein bisschen Spaß haben?“

Er wich zurück. „Was ist los mit dir? Das sieht dir gar nicht ähnlich.“

„Woher weißt du das so genau? Du hast mich doch schon lange nicht mehr gesehen. Ich bin jetzt erwachsen.“ Langsam drehte sie sich einmal um die eigene Achse. „Gefällt dir nicht, was du hier vor dir siehst?“

„Du siehst sehr gut aus, und das weißt du auch. Also, was soll das Ganze?“

Was es sollte? Sie wollte, dass er vor ihr auf Knien lag, dass er sich nach ihr verzehrte. Sie würde einmal nachgeben und ihn dann fallen lassen. Das war ihr Plan, immer schon.

„Ich werde nicht mit dir schlafen“, sagte er entschieden. „Du bist Hunters Schwester. Ich habe ihm versprochen, auf dich aufzupassen. Das bedeutet, dich zu beschützen, aber nicht, mit dir ins Bett zu gehen.“

Sie hatte sich fest vorgenommen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, aber sie konnte sich einfach nicht zurückhalten. „Mich beschützen? Dass ich nicht lache! Zwei Sekunden nach Hunters Beerdigung warst du schon wie vom Erdboden verschluckt und mit dir all deine Freunde. Von denen hatte ich auch nichts anderes erwartet, wohl aber von dir. Hunter hatte mir gesagt, dass du immer für mich da sein würdest, was auch geschehe, aber das war nicht so. Du warst weg. Ich war noch sehr jung, Jack. Mein Vater war ein hoffnungsloser Fall, ich war allein und hatte keine Freunde, und du warst verschwunden. Weil das für dich einfacher war, als sich der Verantwortung zu stellen.“

Er stellte sein Gepäck ab. „Deshalb bist du also hier? Um mir Vorwürfe zu machen?“

Er hatte ja keine Ahnung. „Das ist nur ein Teil des Vergnügens.“

„Würde es dir helfen, wenn ich mich entschuldige?“

„Nein.“ Nichts konnte etwas an der Tatsache ändern, dass er sie im Stich gelassen hatte, so wie jeder, den sie bisher geliebt hatte.

„Meri, ich weiß, dass zwischen uns nicht alles so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen. Aber da wir hier nun einen ganzen Monat lang zusammengesperrt sind, müssen wir irgendwie eine Möglichkeit finden, miteinander auszukommen.“

„Du meinst, wir sollten Freunde werden?“ Sie musste daran denken, wie er ihr damals seine Freundschaft angeboten hatte, gleich, nachdem er sie als Frau zurückgewiesen hatte.

„Wenn du willst.“

Sie atmete einmal tief durch. „Nein, Jack. Entweder wir werden ein Liebespaar oder gar nichts.“

2. KAPITEL

Als Meri am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich sehr viel besser. Sie hatte Jack am Abend zuvor etwas zum Essen hingestellt und war dann in ihr Zimmer geflohen. Im angrenzenden Badezimmer hatte sie sich erst einmal ein heißes Bad eingelassen und lange Zeit einfach nur geweint. Eine ganze Menge Tränen hatte sie für ihren Bruder vergossen, den sie sehr geliebt hatte. Aber am meisten hatte sie sich selbst bedauert. Was für ein Schwächling war sie gewesen. Was hatte sie alles mit sich machen lassen. Aber sie hatte auch einiges ertragen müssen.

Nach Hunters Tod war ihr Vater zu nichts mehr zu gebrauchen gewesen. Nach einem Jahr fing er an, sich neunzehnjährige Freundinnen zuzulegen, und so war es bis heute geblieben.

Sie war ganz auf sich gestellt gewesen, und sie hatte es überlebt. Kam es darauf nicht im Leben an? Dass man sich Hilfe da holte, wo man sie bekam, und schließlich das erreichte, was man wollte?

Sie stellte das Radio an und begann sich zur Musik zu bewegen. Sie war noch nie in einer Disco gewesen. Sie hatte zu viel damit zu tun, sich durchs Leben zu kämpfen. Während sie die Hüften schwenkte, bürstete sie sich das Haar und flocht sich zwei Zöpfe. Dann zog sie ein knappes Tanktop über ihren Sport-BH und schlüpfte in Joggingshorts. Tennisschuhe ergänzten ihr Outfit – und schon war sie fertig.

Während sie immer noch den Discosound vor sich hinsummte, ging sie die breite Treppe hinunter und spielte in Gedanken noch einmal ihren nächsten Schachzug durch.

Jack war in der Küche. Sie ging auf ihn zu und strahlte ihn an. „Guten Morgen“, sagte sie und griff an ihm vorbei nach der Kaffeekanne. Dabei berührte sie ihn fast. „Wie hast du geschlafen?“

Seine dunklen Augen musterten sie kurz und sahen dann an ihr vorbei. „Gut.“

„Ich auch.“

Sie goss sich einen Kaffee ein, nahm einen Schluck und blickte Jack dann über den Rand des Bechers hinweg an. „So“, sagte sie, „wir haben also einen ganzen Monat. Das ist eine lange Zeit. Was wollen wir damit anfangen?“

„Nicht, was du vorhattest.“

„Hast du das nicht schon mal gesagt? Wiederholst du dich immer? Früher warst du sehr viel wortgewandter. Damals war ich allerdings jünger, und da ist man leicht zu beeindrucken und bewundert ältere Männer sowieso immer.“

Er verschluckte sich fast an seinem Kaffee. „Ältere Männer?“

„Tja, inzwischen ist schon einiges an Zeit vergangen. Du musst doch jetzt fast vierzig sein, oder?“

„Ich bin zweiunddreißig, das weißt du ganz genau.“

„Tatsächlich, du bist erst zweiunddreißig? Dann ist das Leben mit dir wohl nicht immer gut umgegangen, was?“ Das war gemein, und sie wusste es. Aber ihn zu ärgern, machte einfach zu viel Spaß. In Wirklichkeit sah Jack fantastisch aus, absolut fit und sehr sexy. Mit ihm zu schlafen musste ein Vergnügen sein.

„Hast du es aufgegeben, mich zu verführen?“, fragte er leise und drohend.

„Keineswegs. Aber es macht auch viel Spaß, dich zu ärgern.“

„Ich schlafe nicht mit dir.“

Sie blickte sich in der Küche um und sah ihn dann eher abwesend an. „Entschuldige, hast du was gesagt? Ich habe nicht zugehört.“

„Du bist unmöglich. Die reinste Nervensäge.“

„Aber doch eine ziemlich hübsche Nervensäge“. Sie strich sich langsam über die Brüste, während sie ihn herausfordernd ansah. „Okay, anderes Thema. Zieh dich um. Ich zeige dir das Fitnesscenter hier ganz in der Nähe. Du kannst auch für nur einen Monat Mitglied werden. Dann können wir immer zusammen Sport machen.“

„Was? Gibt es denn hier im Haus keine Fitnessgeräte?“

„Leider nicht. Hunter hat wohl nicht an alles gedacht. Wie gut, dass du mich hast.“

Er starrte sie wütend an. „Du glaubst wohl, du kannst mich hier herumkommandieren?“

„Allerdings.“

Vorsichtig setzte er seinen Kaffeebecher ab, machte einen Schritt auf sie zu und sah ihr in die Augen. „Sei vorsichtig, Meri. Du spielst mit dem Feuer und weißt nicht, wie du damit umgehen sollst. Du kannst bei dieser Sache nicht gewinnen.“

Er forderte sie heraus? War er verrückt geworden? Sie hatte immer gewonnen, und so würde es auch diesmal sein. Allerdings fing ihre Haut an zu kribbeln, als sie seinen Blick auf sich fühlte. Er war sicher kein Mann, der mit sich spaßen ließ.

Aber er ist auch nur ein Mann, sagte sie sich schnell. Je eher sie ihn ins Bett bekam, desto eher konnte sie ihr altes Leben wieder aufnehmen.

Jack folgte Meri in das große Fitnesscenter, von dem aus man einen Blick auf den See hatte. Die Räume waren hell und sauber. Nur wenige Menschen trainierten hier. Wahrscheinlich hat gegen Mittag kaum jemand Zeit, dachte Jack, während er die verschiedenen Geräte musterte und sich in Gedanken seinen Übungsplan zusammenstellte.

Zu Hause in Dallas hatte er seinen eigenen Trainingsraum, der nach seinen Bedürfnissen eingerichtet war. Aber dies hier würde auch gehen.

„Wir können ja zusammen trainieren“, sagte Meri fröhlich, während sie sich dicht vor ihn hinstellte und ihn frech angrinste. „Das macht bestimmt Spaß.“

Sie versuchte, ihn aus der Fassung zu bringen, das war ihm sonnenklar. Aber er würde nicht reagieren, das hatte er sich fest vorgenommen, egal, was sie tat oder sagte. Meri bewegte sich auf dünnem Eis, das war ihr nur nicht bewusst. Er hatte sich vielleicht nicht so um sie gekümmert, wie er es hätte tun sollen. Aber er hatte versucht, sie zu schützen. Und das würde er auch weiterhin tun.

„Wollen wir erst ein paar Aufwärmübungen machen?“, fragte sie. „Vielleicht auf dem Laufband? Ich gebe dir auch einen Vorsprung.“

„Den brauche ich nicht.“ Er ging zu den Laufbändern, ohne sich nach ihr umzusehen.

„Das glaubst aber auch nur du.“

Sie trat auf das Laufband direkt neben seinem und stellte es an. Er tat das Gleiche und kümmerte sich nicht darum, wie schnell sie das Band eingestellt hatte. „Du bist doch früher nie ins Fitnesscenter gegangen“, bemerkte er, als er nach wenigen Minuten das Laufband schneller stellte und anfing zu joggen.

Meri stellte ihr Band auf die gleiche Geschwindigkeit wie seins. „Das stimmt. Ich habe lieber gegessen als Sport gemacht. Essen war mein einziger Freund, was nicht weiter verwunderlich war.“

Wir waren Freunde“, sagte er. Das hatte er eigentlich nicht sagen wollen, auch wenn es die Wahrheit war. Er hatte Meri sehr gern gehabt. Sie war Hunters kleine Schwester und gehörte für ihn irgendwie mit zur Familie.

„Essen war der einzige Freund, auf den ich mich verlassen konnte“, sagte Meri und stellte ihr Laufband schneller. Sie atmete etwas schwerer, aber schien überhaupt nicht zu schwitzen. „Es verschwand nicht einfach, wenn ich es am dringendsten brauchte.“

Eins zu null für sie. Sie hatte recht, er war gleich nach Hunters Beerdigung abgehauen. Der Verlust des Freundes und sein schlechtes Gewissen Meri gegenüber hatten ihn so sehr bedrückt, dass er geflüchtet war. Ein paar Monate später hatte er an das Versprechen gedacht, das er dem Freund gegeben hatte, und einen Privatdetektiv engagiert. Alle zwei bis drei Monate erhielt er einen Bericht über Meris Leben. Ein Jahr später, mit einer eigenen Firma, hatte er auch seine eigenen Leute gehabt, die Meris Spur verfolgten. Er erfuhr, dass sie sich zu einer Schönheit entwickelt und offensichtlich ihr Leben selbst in die Hand genommen hatte.

„Leider hat es auch hässliche Nebenwirkungen, wenn Essen der beste Freund ist“, fuhr sie fort. „Dennoch konnte ich nicht aufhören, mich mit Essen zu trösten. Erst als ich neue Freunde fand, konnte ich diese schädliche Angewohnheit abstellen.“ Sie grinste Jack kurz von der Seite her an. „Okay, die Therapie mag auch eine Rolle gespielt haben.“

„Du hast eine Therapie gemacht?“ Jack war überrascht, davon hatte er nichts gewusst.

„Ja, sogar ein paar Jahre lang. Ich habe mich besser kennengelernt. Ich habe herausgefunden, dass ich zu intelligent bin und auch ein bisschen verrückt, aber ich kann damit jetzt umgehen.“

„Du bist nicht verrückt“, warf er sofort ein. Sehr intelligent, ja, das war sie, wahrscheinlich sogar genial.

„Das kannst du gar nicht beurteilen“, sagte sie. „Aber ich mag mich jetzt so, wie ich bin. Ich akzeptiere die guten und die schlechten Seiten an mir.“

Verstohlen betrachtete er ihre schlanke Gestalt mit den Kurven an den richtigen Stellen. Das Gute schien durchaus zu überwiegen …

Die nächsten fünf Minuten liefen sie schweigend nebeneinander her. Als Meri die Geschwindigkeit ihres Bandes erhöhte, tat Jack nicht nur sofort das Gleiche an seinem Band, sondern stellte auch einen steileren Winkel ein.

„Du hältst dich wohl für unbesiegbar“, stieß sie keuchend hervor. Ihr Atem kam jetzt schnell und hart.

„Du kannst nicht gewinnen“, gab er zurück. „Ich habe längere Beine und mehr Muskelmasse.“

„Das bedeutet, dass du mehr Gewicht mit dir herumschleppen musst.“

Sie rannte noch drei Minuten weiter, dann verlangsamte sie das Tempo und blieb schließlich stehen. Sie wischte sich den Schweiß vom Gesicht und trank in großen Zügen aus der mitgebrachten Wasserflasche. Danach drückte sie wieder auf „Start“, lief aber jetzt sehr viel langsamer.

Jack fuhr die Geschwindigkeit auch herunter. Als das Band hielt, stieg er ab und blickte Meri anerkennend an. „Du bist gut in Form.“

„Ja, ich weiß. Wollen wir jetzt zu den Gewichten gehen? Ich kann gut mit Hanteln umgehen. Das wird auch etwas für dich sein, denn da kommt dir dein muskulöser Oberkörper zugute. Aber im Verhältnis gesehen, stemme ich sicher genauso viel wie du. Soll ich dir die Berechnungskurve mal aufzeichnen?“

Er lachte. „Nein, danke. Du suchst ja nur schon im Voraus nach einer Entschuldigung.“

Sie grinste. „Du willst nur nicht zugeben, dass ich recht habe.“ Sie holte sich verschiedene Hanteln und setzte sich auf eine Bank. „Erst muss ich meine Hände noch trocknen. Mir wäre beinahe mal eine Hantel aus der Hand gerutscht und auf mein Gesicht gefallen.“

„Du solltest vorsichtiger sein.“

„Ja, vor allem, da ich für meine neue Nase viel Geld bezahlt habe. Du hast noch gar nichts gesagt. Wie findest du sie?“

Er hatte nichts von der Nasenoperation gewusst. Vielleicht sah sie mit der kleineren Nase etwas hübscher aus, aber er konnte keinen großen Unterschied entdecken. „Okay.“

„Nur ‚okay‘? Meine Nase war riesig, und nun sieht sie normal aus.“

„Du machst dir zu viele Gedanken darum, dass du nicht der Norm entsprichst. Warum willst du unbedingt so sein wie jeder? Das ist doch kein erstrebenswertes Ziel.“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Was weißt du schon von der Norm? Du hast selbst nie dazugehört. Du bist reich geboren und bist immer noch reich.“

„Du doch auch.“

„Ja, aber hier geht es nicht um mich. Für Männer gibt es ganz andere Anforderungen, denen sie genügen müssen. Wenn du Geld hast, wirst du auch als totaler Losertyp dein Mädchen kriegen. Für Frauen ist das anders. Glücklicherweise konnte ich mir die Operation leisten.“

Sie stand auf, drehte sich vor dem großen Spiegel zur Seite und betrachtete sich im Profil. „Manchmal denke ich, nachdem ich so viel abgenommen habe, ich sollte mir vielleicht auch noch die Brüste vergrößern lassen. Was meinst du?“

Sosehr er sich auch bemühte, sie nicht anzusehen, er konnte nicht widerstehen. Unwillkürlich wandte er den Kopf zur Seite und betrachtete ihre Brüste. Meri hob ihr Top an und gab den Blick auf ihren Sport-BH frei. „Findest du sie in Ordnung, Jack?“

Ein junger Mann kam vorbei und grinste. „Sie sind super, Schätzchen.“

Meri zog das Top wieder herunter und lächelte den jungen Mann an. „Danke.“

Jack hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.

„Nun mach doch nicht so ein böses Gesicht.“ Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich genieße es einfach, eine Frau zu sein.“

„Du spielst immer noch deine Spielchen mit mir“, sagte er düster und entzog ihr seinen Arm. „Aber ich werde dich in Zukunft vollkommen ignorieren.“

„Wenn du meinst, dass du das schaffst …“, meinte sie schmunzelnd. „Aber lass uns das Thema wechseln. Wir wollen über dich sprechen. Männer sprechen normalerweise sehr gern von sich selbst.“

Er griff nach zwei Hanteln und setzte sich auf die Bank. „Oder wir konzentrieren uns auf unser Work-out.“

„Dabei können wir uns doch unterhalten.“ Sie hatte sich lang hingelegt und drückte abwechselnd zwei schwere Hanteln hoch. „Was hast du denn in den letzten zehn Jahren getrieben? Du warst beim Militär, sogar bei einer Spezialeinheit, soviel ich weiß.“

„Ja.“

„Und dann hast du eine Firma gegründet, die mit Unternehmen zu tun hat, deren Geschäfte sie in unsichere Gegenden der Welt führen.“

„Ja.“ Offenbar hatte nicht nur er Nachforschungen angestellt.

„Und du sollst mit deiner Firma sehr erfolgreich sein.“

„Ich bin ganz zufrieden.“ Fünfhundert Millionen hatte er im letzten Jahr umgesetzt. Seine Finanzberater beschworen ihn, an die Börse zu gehen. Aber Jack wollte seinen Einfluss auf die Firma nicht verlieren. Geld hatte er sowieso genug.

„Bist du verheiratet?“, fragte sie.

Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie hatte sich wieder hingesetzt und trainierte jetzt ihren Bizeps. Ihre honiggoldene Haut glänzte vom Schweiß, ihr Gesicht war leicht gerötet. Offenbar konzentrierte sie sich total auf das, was sie gerade tat.

Ob sie so auch im Bett war? Sich hundertprozentig auf den Sex konzentrierte?

Schnell schob er diesen unerwünschten Gedanken beiseite. Meri konnte für ihn nie mehr sein als Hunters kleine Schwester. Und wenn sie nackt um ihn herumtanzte und ihn anflehte, sie zu nehmen. Es würde nicht geschehen.

„Jack? Willst du die Frage nicht beantworten?“

Welche Frage? Ach so, ja. „Nein, ich bin nicht verheiratet.“

„Du bist aber auch nicht schwul, oder? Hunter war da immer nicht so sicher.“

Er ging nicht darauf ein. Wenn er sie einfach ignorierte, würde sie sicher bald mit der blöden Fragerei aufhören.

Sie lachte leise. „Entschuldige, das sollte ein Witz sein. Also, du bist nicht verheiratet, aber du hast eine feste Freundin?“

„Nein.“

„Auch früher nicht?“

„Es gab eine Menge Frauen in meinem Leben.“

Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Du weißt genau, wie ich das meine. Ich denke an eine Beziehung, bei der man nicht nur Körperflüssigkeiten austauscht. Warst du jemals verliebt?“

„Nein.“ Die Frauen hatten zwar meistens versucht, mehr daraus zu machen, aber er hatte sie erfolgreich abgewehrt.

„Ich auch nicht. Das finde ich richtig tragisch, denn ich möchte mich gern so richtig verlieben. Einmal war ich nahe dran. Damals dachte ich, ich sei verliebt, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Ich habe Probleme, mich wirklich auf jemanden einzulassen, habe immer Angst, ihn wieder zu verlieren. Das war mit meiner Mutter so und dann mit Hunter. Ist es nicht seltsam, dass man eine bestimmte Verhaltensweise nicht ändern kann, auch wenn man genau weiß, woher sie kommt?“

Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte. In seiner Welt sprach man nicht über Gefühle.

„Du hast doch auch einen Bruder verloren, als du noch ziemlich jung warst“, fing sie wieder an. „Das hat dich sicher auch schwer getroffen.“

Er wollte nicht darüber nachdenken und noch weniger darüber sprechen. Abrupt stand er auf. „Ich gehe jetzt duschen.“

Auch Meri stand auf. Sie trat dicht an ihn heran. „Wollen wir zusammen duschen?“, fragte sie leise.

Kurz sah er sie vor sich, wie sie nackt vor ihm stand und das Wasser ihr über den schlanken Körper lief. Wie sie sich wohl anfühlte, wenn er sie berührte? Unwillkürlich krümmte er leicht die Finger, als bedecke er ihre Brüste mit den Händen. Schluss jetzt! Er würde sie nicht gewinnen lassen. Es wurde Zeit, dass er mal andere Seiten aufzog.

Er machte einen Schritt auf sie zu und drängte sie gegen die Bank, sodass sie sich hinsetzen musste. Dann hockte er sich vor sie hin und sah sie ernst an.

„Du solltest wirklich mit diesen Spielchen aufhören“, sagte er leise und drohend. „Ich bin nicht einer von deinen Intellektuellen, die ihre Weisheit aus Büchern haben. Ich habe Dinge gesehen und Situationen überlebt, die du dir noch nicht einmal vorstellen magst. Du bist sehr intelligent, aber darum geht es hier nicht. Wenn du so weitermachen willst, bitte. Aber irgendwann wirst du die Konsequenzen dafür tragen müssen. Ist dir das klar, Mädchen?“

„Ich bin kein Mädchen mehr.“

Er griff nach ihrem Pferdeschwanz und zog gerade so stark daran, dass sie den Kopf nach hinten legen musste. Dann legte er ihr die andere Hand auf den Hals und strich ihr über die Kehle.

Sie war ihm ausgeliefert, und ihre Augen weiteten sich. Er sah, dass sie gegen ihre Furcht ankämpfte, aber da war auch noch etwas anderes. Etwas Sexuelles.

Das spürte er genau, denn auch er empfand diese verzehrende Spannung. Heiß stieg das Begehren in ihm auf, bis er nur noch daran denken konnte, was er alles mit ihr machen wollte.

Dann grinste sie. „Na, allmählich lasse ich dich wohl nicht mehr so kalt, was?“

Er ließ sie sofort los. „Du hast zu viel Fantasie, mein Kind.“

Später in ihrem Zimmer ließ Meri sich auf das Bett fallen und atmete ein paarmal tief durch. Bei Jacks Berührung hatte sich plötzlich etwas verändert. Er hatte bedrohlich gewirkt und konnte sicher auch gefährlich sein.

Schnell sprang sie wieder auf und verscheuchte den beunruhigenden Gedanken. „Das kann mich gar nicht beeindrucken“, sagte sie laut, während sie sich ein leichtes Sommerkleid überzog. „Ich bin hart im Nehmen.“ Ziemlich wenigstens.

Jack hatte recht. Die Dinge, die er durchgemacht hatte, konnte sie sich kaum vorstellen. Sie hatten sich beide in den vergangenen Jahren verändert, äußerlich, aber sicher auch innerlich. Hatte der Jack von heute noch irgendetwas mit dem jungen Mann von damals gemein, den sie gleichzeitig geliebt und gehasst hatte?

Während sie noch darüber nachdachte, hörte sie das dumpfe Vibrieren eines Lastwagenmotors. Sie blickte auf die Uhr. Genau pünktlich!

„Es ist da! Es ist da!“, jubelte sie, stürzte aus dem Zimmer und rannte die Treppe hinunter. „Jack, los, komm mit, und sieh dir das an. Es ist wahnsinnig cool!“

Schnell stieß sie die schwere Holztür auf und lief zum Lastwagen. „Waren Sie auch vorsichtig? Sie waren doch vorsichtig, oder? Es ist sehr teuer und empfindlich, und ich bin schon so gespannt, wenn es aufgebaut ist. Sie können es doch aufbauen und entsprechend einstellen? Sie wissen doch, wie? Sie haben das doch gelernt, oder?“

Der Mann hinter dem Steuer kletterte schwerfällig aus der Fahrerkabine. Er hatte ein Clipboard in der Hand und schüttelte jetzt langsam den Kopf. „Sie sind Wissenschaftlerin, was?“

„Ja. Woher wissen Sie das?“

„Kein normaler Mensch kann wegen eines Teleskops so außer sich geraten.“ Er wies auf das Auto, das hinter dem Lastwagen stand. „Er kann es einstellen. Ich liefere nur aus.“

Jack kam aus dem Haus und lief auf Meri zu. „Ein Teleskop?“

„Ja, es ist einfach super. Es war sehr teuer, aber sehr gute Teleskope sind nun mal teuer. Du wirst deinen Augen nicht trauen, wenn du hindurchsiehst. Es ist unglaublich, was man alles sehen kann, vor allem hier in der klaren Luft. Wann geht denn die Sonne unter?“ Sie blickte in den Himmel. Das würde wohl noch etwas dauern.

Jack starrte sie verblüfft an. „Du hast ein Teleskop gekauft?“

„Ja.“

„Aber es gibt hier bereits eins.“

Sie rümpfte die Nase. „Das ist doch kein Teleskop, das ist ein Spielzeug. Dieses hier ist ein fantastisches Instrument.“

„Aber du bist doch nur einen Monat hier.“

Vielleicht sogar kürzer, wenn ihre Rechnung aufging. „Ich weiß, aber ich muss unbedingt die Sterne beobachten.“

„Und du hast vor, es hierzulassen?“

„Ja. Die Menschen, die sich hier später von ihrer Krankheit erholen werden, können sich auch daran freuen.“ Aufmerksam beobachtete sie, wie die Ladefläche des Lastwagens sich senkte. „Ich werde eine kurze Bedienungsanleitung aufschreiben. Man braucht eigentlich nur einzutippen, was man sehen will, alles andere geht automatisch. Aber ich brauche das Programm natürlich nicht. Ich finde auch so alles, was ich will.“

„Daran zweifle ich nicht.“

Sie sah ihn stirnrunzelnd an. „Was?“

„Nichts.“

Was meinte er damit? Aber sie wusste, er würde es ihr nicht sagen, wenn sie fragte. „Hunter hätte große Freude daran gehabt“, sagte sie leise. Sicher hätte er sich zuerst über sie lustig gemacht, aber dann hätte man ihn kaum mehr von dem Teleskop weglocken können.

Die Gedanken an den Bruder waren schön und schmerzhaft zugleich. Sie hatte so viele wunderbare Erinnerungen, aber gleichzeitig wurde ihr immer wieder bewusst, dass er nicht mehr da war. Das war eine Wunde, die nie heilen würde.

„Ich denke jeden Tag an ihn. Wie schön wäre es, wenn er hier wäre. Denkst du auch manchmal an ihn, Jack?“

Er wandte sich ab. „Nein. Ich denke nie an ihn.“

Sie wusste, das war gelogen. Hunter und Jack waren sehr eng befreundet gewesen, hatten sich wie Brüder verbunden gefühlt. Das konnte Jack nicht vergessen haben.

Einerseits tat er ihr leid, weil er seine Gefühle verleugnete. Auf der anderen Seite ärgerte sie sich darüber. Der Ärger überwog.

„Die meisten Menschen werden reifer mit dem Alter“, sagte sie spitz. „Schade, dass das bei dir nicht der Fall ist. Du hast nicht nur dein Versprechen nicht gehalten, du bist auch ein Lügner.“

3. KAPITEL

Jack verschwand einige Stunden in dem Büro oben unterm Dach, um zu arbeiten. Als Erstes rief er seine Assistentin in Dallas an.

„In Afghanistan werden mehr Straßen gebaut“, teilte Bobbi Sue ihm mit. „Man denkt an einen Vertrag mit uns über achtzehn Monate. Aber normalerweise dauern diese Sachen länger. Und dann hat Schwester Helena angerufen. Sie erwarten eine neue Großlieferung von Medikamenten.“

Jacks Unternehmen übernahm Schutzfunktionen in gefährlichen Teilen der Welt. Seine Leute sorgten zum Beispiel dafür, dass die Bautrupps in Ruhe arbeiten und dann das Land wieder verlassen konnten, aber auch, dass die Lastwagenkonvois für die Krankenhäuser nicht überfallen wurden. Diese Aufgaben waren sehr gefährlich, erforderten eine sehr genaue Planung, und ihre Ausführung wurde überdurchschnittlich gut bezahlt. Aber die Auftraggeber waren bereit, fast jede Summe für eine einigermaßen sichere Arbeitsatmosphäre zu zahlen.

Die Gewinne des Unternehmens kamen Organisationen zugute, die sich um Gegenden in der Welt kümmerten, in denen Armut und Hunger herrschten und für die selten etwas getan wurde. Jack Howington konnte sich keine andere Arbeit vorstellen. Denn die Howington-Stiftung für die Armen der Welt, die bereits sein Großvater gegründet hatte, hatte seine Moralvorstellungen geprägt.

Und obwohl viele ihn für verrückt erklärten, konnte er dieses Pflichtbewusstsein nicht abschütteln. Er war einfach der Meinung, dass es besser war, etwas Sinnvolles mit seinem Geld anzufangen, als es einfach zu verschleudern.

Es gab immer wieder Neider, die bemängelten, dass es für jemanden wie ihn, der einen Treuhandfonds von einer Milliarde Dollar geerbt hatte, leicht wäre, großzügig zu sein. Aber sie wussten nicht, dass er dieses Geld nie angerührt hatte. Denn er hatte sich geschworen, dass er es selbst aus eigener Kraft schaffen würde.

„Setzen Sie einen Vertrag für Ron auf“, wies er seine Assistentin an, „mit den üblichen Klauseln. Und sagen Sie Schwester Helena, sie soll uns die günstigsten Daten für den Transport schicken und wir würden versuchen, den Zeitplan einzuhalten.“

„Aber sie will möglichst bald los, auf alle Fälle noch in den nächsten Wochen, während Sie Urlaub am Lake Tahoe machen.“

„Ich mache keinen Urlaub.“

„Ein Monat in einem schicken Haus ohne Arbeit? Das hört sich für mich sehr nach Urlaub an.“

„Ich arbeite hier.“

„Aber sicher!!“

Bobbi Sue war manchmal etwas vorlaut und nahm sich allerlei heraus. Aber Jack nahm es hin, weil sie so gut war in ihrem Job. Vom Alter her hätte sie seine Mutter sein können, ein Umstand, den sie mit schöner Regelmäßigkeit erwähnte. Und wie eine Mutter beschwor sie ihn immer wieder, doch endlich eine Familie zu gründen.

„Dann muss jemand anderes sich um Schwester Helena kümmern“, sagte er. „Fragen Sie Wade, ob er Zeit hat.“ Wade war einer seiner besten Männer.

„Mach ich. Sonst noch etwas?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Eine Sache wäre da noch. Ich habe über Hunter’s Landing im Internet nachgelesen. Der Ort liegt ziemlich dicht an etlichen Kasinos.“

„Das weiß ich.“

„Dann sollten Sie auch mal ein paar Kasinos aufsuchen. Spielen Sie, gehen Sie gut essen, reden Sie mit Leuten, amüsieren Sie sich. Sie sind einfach zu oft allein.“

Er musste an Meri denken, deren Schlafzimmer direkt neben seinem lag. „Momentan nicht.“

„Soll das heißen, dass Sie eine Freundin haben?“

„Nein.“

Bobbi Sue seufzte. „Sie sollten heiraten.“

„Und Sie sollten sich nicht um Sachen kümmern, die Sie nichts angehen.“

„Okay. Vorübergehend.“ Sie lachte leise und legte auf.

Jack blickte auf den Bildschirm des Computers, aber er hatte erstaunlicherweise keine Lust, etwas zu tun. Ruhelos ging er in dem großen Raum hin und her, doch nicht einmal der atemberaubende Blick auf den See konnte seine Aufmerksamkeit fesseln. Also ging er nach unten, um sich der Frau zu stellen, die offenbar eine ausgesprochen schlechte Meinung von ihm hatte.

Eigentlich sollte es ihm egal sein, was sie von ihm hielt. Aber hier ging es um Hunter.

Meri saß in der Küche auf der Arbeitsplatte und löffelte Eis direkt aus einer riesigen Packung.

„Lunch?“

„So was Ähnliches. Ist nicht sehr gesund, aber mir war im Augenblick nach Sahne und Zucker.“

Jack wies auf den winzigen Löffel, den sie in der Hand hatte. „Was ist das denn?“

Sie wedelte mit dem Löffelchen. „Den benutze ich nur zum Eisessen. Ich versuche, Essen möglichst nicht mehr zur Kompensation für andere Dinge einzusetzen. Aber manchmal ist Eis die einzige Rettung. Dann benutze ich den kleinen Löffel, damit es länger dauert. Und meistens höre ich dann relativ bald auf. Von diesen Tricks, um mein Gewicht zu halten, habe ich eine ganze Menge auf Lager.“

„Und jetzt brauchtest du Trost?“

Sie leckte das Löffelchen ab, und Jack wurde ganz heiß, als er sie dabei beobachtete. Diese kleine flinke Zunge … „Du hast dich unmöglich benommen“, sagte sie leise.

Er hatte ihr wehgetan. Hunter war immerhin ihr Bruder, und es schmerzte zu hören, dass er von seinen Freunden vergessen war.

Er lehnte sich gegen den Tresen, unschlüssig, was er tun sollte. Sein erster Impuls war zu verschwinden. Gefühle waren ihm gleichgültig, sollten es zumindest sein. Aber er hatte die Pflicht, sich um Meri zu kümmern. Auf keinen Fall wollte er die Situation für sie verschlimmern. Vielleicht sollte er ein kleines Zugeständnis machen.

„Ich will nicht über Hunter nachdenken“, gab er zu. „Ich habe mir die größte Mühe gegeben, ihn aus meinem Gedächtnis zu streichen. Aber ich kann es nicht. Ich muss dauernd an ihn denken.“

Sie betrachtete ihn misstrauisch. „Das glaube ich nicht.“

„Mir egal.“

„Gut. Wenn du versucht hättest, mich zu überzeugen, hätte ich gewusst, dass du mir nur etwas vormachst. Danke.“

Er schüttelte irritiert den Kopf. Was sollte das? War sie immer so kompliziert gewesen?

„Hast du viel geschafft?“, fragte sie und blickte auf ihre Armbanduhr. „Ich leider nicht“, sagte sie dann, ohne seine Antwort abzuwarten. „Es gibt einfach zu viel zu tun, und ich sollte mich unbedingt auf eine Sache konzentrieren. Aber das ist nicht einfach. Das Teleskop, das Haus hier, du, mein Plan, dich zu verführen, wie soll ich das alles unter einen Hut bringen?“

„Hör doch endlich auf mit dem Quatsch!“

„Was meinst du? Das Teleskop? Oder den Plan, dich zu verführen?“ Sie lachte. „Nein, damit höre ich auf keinen Fall auf. Denn da mache ich Fortschritte. Zum Beispiel im Fitnessstudio, da bin ich dir ganz schön unter die Haut gegangen.“ Sie hielt ihm den Eisbehälter hin. „Willst du was, schöner Mann?“

Sie machte sich über ihn lustig. Sie war selbstbewusst, furchtlos und entschlossen – alles gute Eigenschaften, aber nicht in dieser Lage. Sie hatte recht, er wollte die Situation beherrschen. Und da fiel ihm nichts anderes ein als …

Er nahm ihr den Behälter mitsamt dem Löffel aus der Hand und stellte ihn auf den Tresen. Dann strich er über ihre Wangen und küsste sie.

Er nahm sich einfach, was er wollte. Es wurde Zeit, dass sie begriff, mit wem sie es hier zu tun hatte. Und dass sie ihren Plan nicht bis zum Ende durchdacht hatte.

Kurz wurde sie steif in seinen Armen und hielt vor Überraschung die Luft an. Das nutzte er und zwang sie, die Lippen zu öffnen. Ihr Mund war kühl vom Eis, und sie schmeckte nach Schokolade. Er versuchte, die Zartheit ihrer Haut, die erregende Weichheit ihres Mundes und die Hitze, die ihn durchfuhr, zu ignorieren.

Doch sie stieß ihn leicht zurück und blickte ihm in die Augen. „Das ist alles?“, fragte sie. Dann legte sie ihm die Arme um den Nacken, zog ihn an sich und erwiderte seinen Kuss mit einer Leidenschaft, die ihn total überraschte.

Sie öffnete den Mund weit und ließ ihn ein, während sie gleichzeitig die Beine spreizte. Jack drängte sich zwischen ihre Schenkel und spürte ihre Erregung.

Sofort wurde er hart, und ein wildes Verlangen überfiel ihn, Verlangen nach einer Frau, die er nicht haben konnte. Verdammt.

Doch war seine Reaktion auf eine attraktive Frau nicht etwas völlig Normales? Dass es Meri war, die er begehrte, war mehr oder weniger Zufall. Er war lange mit keiner Frau zusammen gewesen, denn die kurzen Bettgeschichten hatten ihn gelangweilt. Kein Wunder also, dass er so auf sie reagierte. Er hatte doch auch Bedürfnisse. Das war es, nichts anderes.

Er trat zwei Schritte zurück. „Nicht schlecht.“

„Es war sehr viel besser als ‚nicht schlecht‘, das weißt du ganz genau.“

„Wenn du das unbedingt glauben willst, bitte.“

„Du machst es mir nicht gerade leicht“, sagte sie und sah ihn lächelnd an. „Aber das macht nichts, im Gegenteil. Umso süßer wird mein Sieg sein.“ Sie griff nach dem Eisbehälter und verschloss ihn wieder. „Ich habe genug gehabt.“

„Dann ist dein Bedarf an Fett und Zucker gestillt?“

„Ich brauche keinen Trost mehr. Meine schlechte Laune ist weg.“

Typisch Frau, dachte er. Dann lehnte er sich gegen den Tresen. „Weil ich dich geküsst habe?“

„Weil es dir gefallen hat“, sagte sie, als sie zum Gefrierschrank ging.

Dagegen konnte er nichts sagen.

Sie stellte den Eisbehälter wieder zurück und schloss die Tür mit einem Hüftschwung. „Erzähl mir von deinen Frauen.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“

„Es ist nicht so einfach, jemanden zu finden, was?“ Sie lehnte sich an den Tisch und sah Jack an. Diesmal blickten ihre Augen nicht spöttisch oder herausfordernd. „Für Menschen wie uns, meine ich. Es ist schwer, den Richtigen zu treffen. Wegen des Geldes, meine ich.“

Sie kamen beide aus sehr wohlhabenden Familien. Beide waren in dem Bewusstsein erzogen worden, bei der Partnerwahl sehr vorsichtig sein zu müssen. Zu groß sei die Gefahr, dass jemand sich nur wegen des Geldes für sie interessierte.

Und sofort fiel Jack das Gespräch zwischen Hunter und Meredith ein, bei dem er Zeuge hatte sein müssen. Der Freund hatte es so gewollt, damit er sicher sein konnte, dass seine Schwester auch zuhörte. „Die Männer werden sehr schnell herausbekommen, wer du bist und dass deine Familie Geld hat“, hatte Hunter gesagt. „Du musst sehr wachsam sein und darfst nicht nur deinem Herzen vertrauen, sondern musst auch deinen Verstand einschalten.“

Meri war damals sechzehn gewesen. Sie war unruhig auf ihrem Stuhl hin und her gerutscht, war dann schließlich aufgestanden und hatte den Bruder verzweifelt angesehen. „Aber wer will mich denn haben, wenn nicht wegen meines Geldes? Ich bin nicht hübsch, ich werde nie hübsch sein. Ich habe eine Zahnspange und eine große Nase und …“, sie lachte verächtlich, „bin leider übermäßig intelligent. Solche Mädchen heiratet man nicht aus Liebe. Ich werde mir einen Mann kaufen müssen.“

Hunter hatte den Freund ratlos angesehen, aber auch Jack wusste nicht, was er dazu sagen sollte, wie er Meri trösten konnte. Sie waren selbst noch zu jung gewesen, hatten kaum Erfahrungen gemacht, um einer Sechzehnjährigen zu sagen, wie sie ihr Leben führen sollte.

„Für mich ist es einfacher als für dich“, sagte er leise und versuchte, die Erinnerung an Hunter und dessen Gespräch mit Meri zu verdrängen und daran, dass er beide hängen gelassen hatte. „Die Frauen, mit denen ich ausgehe, wissen nicht, wer ich bin.“

„Das ist interessant. Ich spreche nie über meine Familie, aber irgendwie kriegen die es immer raus. Ich bin jetzt schon so weit, dass ich über die Männer, mit denen ich ausgehen will, vorher Nachforschungen anstellen lasse. Ich hasse das.“

„Und dennoch ist es richtig.“ Sie war nicht die Einzige, die über die Männer Erkundigungen einzog. Denn auch Jack fühlte sich verpflichtet zu wissen, mit wem sie sich einließ. Wenn er den Eindruck hatte, es sei etwas Ernstes, setzte er sogar seinen Privatdetektiv auf den Mann an.

Sie sah auf die Uhr.

„Hast du noch eine Verabredung?“, fragte er.

„Nein, eher eine Überraschung.“

„Noch eine?“

„Allerdings.“ Sie lachte. „Aber um auf dich und deine Frauen zurückzukommen, es wartet wirklich keine süße kleine Frau auf dich in Dallas?“

„Ich habe dir doch schon gesagt, ich habe nichts übrig für süße kleine Frauen.“

„Natürlich nicht. Du liebst die Herausforderung, ich weiß. Deshalb bist du ja auch von mir so angetörnt.“

Offenbar hatte der Kuss sie nicht eingeschüchtert. Zumindest hatte sie ihren Plan nicht aufgegeben. Und da er keine Lust hatte, ihr in den nächsten dreieinhalb Wochen aus dem Weg zu gehen, musste er selbst einen Plan machen. Er hatte bisher immer das erreicht, was er wollte, und das würde auch jetzt so sein.

„Aber ich erwarte etwas mehr von den Männern in meinem Leben“, fuhr sie fort. „Ich bin wahrscheinlich anspruchsvoller geworden. Ich suche nach jemandem, der einen normalen IQ und viel Humor hat, auf keinen Fall ein zweites Genie. Wer weiß, was für Missgeburten ich sonst zur Welt brächte.“

Er lachte leise. „Dann willst du also deine eigene Gentechnikerin sein?“

„So ungefähr. Ich habe eine Liste der Charaktereigenschaften aufgestellt, die wichtig für mich sind, habe auch schon ein Computerprogramm für diesen Zweck entwickelt. Aber das schien mir dann doch irgendwie zu berechnend zu sein. Eine Liste ist besser. Außerdem brauche ich kein Extraprogramm, um zu wissen, dass Andrew ein toller Typ ist.“

„Andrew?“

„Ja. Wir gehen schon eine Weile miteinander aus. Die Ergebnisse meiner Nachforschungen waren sehr positiv, und ich habe den Eindruck, die Sache wird ernst.“

Andrew? Jack runzelte die Stirn. Warum wusste er nichts über diesen Mann? „Wie ernst denn?“

„Ich werde ihn wahrscheinlich heiraten“, meinte Meri, hob dann plötzlich den Kopf und rannte zur Küchentür. „Hast du gehört? Sie sind da!“

Ihn heiraten?

Kopfschüttelnd folgte Jack Meri zur Haustür, die sie weit aufriss. Ein Shuttlebus hielt, die Tür wurde aufgeschoben.

„Wer ist da?“, fragte Jack hinter ihr, aber Meri achtete nicht auf ihn. Sie hüpfte von einem Bein auf das andere, lief dann die wenigen Stufen hinunter und warf sich in die Arme der ersten Person, die aus dem Auto stieg. Der Mann war klein, dünn und trug eine Brille mit dicken Gläsern. Er wirkte in keiner Hinsicht bedrohlich, und trotzdem hätte Jack ihn am liebsten erschlagen.

„Endlich seid ihr da!“, jubelte Meri und umarmte den Mann wieder. „Ihr habt mir so gefehlt.“

Er machte sich behutsam von ihr frei. „War doch nur eine Woche, Meri.“

„Stimmt.“ Meri lachte und umarmte den nächsten Besucher mit der gleichen Begeisterung.

Okay, dann ist der dünne Mann mit der Brille nicht Andrew, dachte Jack. Gut zu wissen.

Nacheinander stiegen acht Personen aus, die Meri alle strahlend begrüßte. Dann wandte sie sich zu Jack um. „Hört mal alle her. Das ist Jack. Jack, das ist mein Team.“

„Team? Was für ein Team?“

Sie grinste. „Würdest du mir glauben, wenn ich sage, mein Poloteam?“

Die Neuankömmlinge sahen blass und schmal aus, nicht gerade sportlich. Wahrscheinlich hatte keiner von ihnen je ein echtes Pferd gesehen, geschweige denn, darauf gesessen. „Nein.“

„Ist es auch nicht. Das sind meine Mitarbeiter bei JPL. Wir arbeiten daran, dass der Antriebsstoff für Raketen die Umwelt weniger belastet und trotzdem effizienter wird. Ich könnte dir das Ganze jetzt technisch genau erklären, aber ich möchte dich nicht langweilen.“

„Das ist sehr nett. Aber was wollen sie alle hier?“

„Keine Panik, bitte. Sie werden nicht alle hier wohnen, lediglich Colin und Betina. Die anderen haben sich in umliegenden Hotels eingemietet.“

Die Vorstellung, dass überhaupt jemand außer ihm und Meri noch in der Lodge wohnte, behagte Jack gar nicht. Er musste sich unbedingt auf seine Arbeit konzentrieren. Andererseits, wenn Meri von ihren Mitarbeitern in Anspruch genommen war, wurde das Leben hier für ihn einfacher.

„Aber warum sind sie überhaupt hier?“, fragte er unwillig.

„Wir wollen zusammen arbeiten. Da ich hier nicht weg kann, sind sie eben hergekommen.“ Meri stieß Jack leicht in die Seite und flüsterte: „Wahrscheinlich wirst du es nicht glauben, aber normalerweise ist es sehr lustig mit ihnen.“

Jack musterte die acht, die mit leicht zusammengekniffenen Augen in den Himmel starrten und nicht sehr glücklich aussahen. „Hm, schwer vorzustellen.“

Meri ging auf die Älteste der Gruppe zu, eine etwas füllige Blonde, die sehr stilvoll angezogen war. Lächelnd hakte sie sie unter und führte sie zu Jack. „Dies ist meine Freundin Betina. Ohne sie wären wir verloren, denn sie steht mit beiden Beinen auf der Erde und kümmert sich um alles, was wir Wissenschaftler so leicht vergessen. Sie ist meine beste Freundin und dafür verantwortlich, dass ich einigermaßen normal geworden bin.“

Jack streckte die Hand aus und fragte sich, wie gut diese Betina Meri wohl wirklich kannte. Laut sagte er: „Willkommen. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

Betina nahm seine Hand und schüttelte sie kurz. „Und ich Sie. Endlich.“

Endlich?

Meri sah die Freundin mit einem triumphierenden Lächeln an. „Habe ich es dir nicht gesagt?“

Gesagt? Was hatte sie ihr gesagt? Doch Jack kam nicht mehr dazu zu fragen, denn die Gruppe betrat das Haus. Er stand nur da, sah ihr sprachlos hinterher und fragte sich, seit wann er sein Leben nicht mehr im Griff hatte.

Meri saß im Schneidersitz auf dem Bett, während die Freundin auspackte. „Er ist doch einfach hinreißend, findest du nicht?“

Betina lächelte. „Ja, er sieht sehr gut aus, wenn man auf große dunkle Typen mit einschüchternder Ausstrahlung steht. Aber er schien nicht sehr glücklich über unsere Ankunft zu sein.“

„Wahrscheinlich nicht. Ich hatte ihm auch nichts davon gesagt.“ Sie klatschte vergnügt in die Hände. „Es war einfach wunderbar, zumal ich ihm noch kurz vorher gesagt hatte, ich würde möglicherweise Andrew heiraten. Das war ein doppelter Schock für ihn. Herrlich!“

„Aber, Meri.“ Betina trug ihr Schminktäschchen in das angeschlossene Badezimmer. „Du weißt doch genau, dass du Andrew nicht heiratest. Du willst Jack nur ärgern.“

„Ja, und das macht mir einen Heidenspaß.“ Meri ließ sich rückwärts auf das Bett fallen. „Warum sollte ich ihn nicht ärgern? Er verdient es, er war gemein zu mir.“

„Das ist doch schon ewig her. Damals war er noch auf dem College, und in dem Alter sind Männer nicht gerade übermäßig sensibel. Eigentlich sind sie das nie … Für seine Reaktion darauf, dass du ihm deine Gefühle offenbart hast, verdient er schon eine gewisse Strafe. Aber du übertreibst es, Meri.“

Meri liebte Betina wie eine Schwester, manchmal sogar wie eine Mutter. Die Freundin war nur zwölf Jahre älter als sie, hatte aber ungleich mehr Lebenserfahrung.

Betina war Assistentin des Projektmanagers in dem Thinktank gewesen, für den Meri anfangs gearbeitet hatte. In Meris zweiter Woche war Betina in ihr Labor gekommen und hatte die Tür fest hinter sich zugemacht. „Haben Sie eigentlich irgendeine Art von Humor? Können Sie sich auch mal amüsieren?“, fragte sie die neue Mitarbeiterin. „Ich weiß, dass Sie in Ihrem Fach ein Genie sind, aber wenn Sie hier mit den Leuten zurechtkommen wollen, müssen Sie Humor haben, so wie in jeder menschlichen Beziehung.“

Meri hatte nicht gewusst, was sie dazu sagen sollte. Sie war achtzehn Jahre alt und hatte fürchterliche Angst davor, allein in einer fremden Stadt zu leben. Geld war nicht das Problem, denn sie wurde sehr gut bezahlt und hatte außerdem das Geld aus ihrem Treuhandfonds. Das letzte Drittel ihres Lebens hatte sie am College verbracht und hatte keine Ahnung, wie man außerhalb des Campus lebte. Wie richtete man eine Wohnung ein? Was musste man bedenken, wenn man sich ein Auto kaufte? Wie und wann bezahlte man seine Rechnungen?

„Ich weiß nicht, ob ich Humor habe“, sagte sie nachdenklich. „Was ist mit Sarkasmus?“

Betina hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt. „Sarkasmus ist sogar sehr gut.“

Seit dem Augenblick waren sie befreundet.

Betina war gerade dreißig geworden und lebte schon seit zehn Jahren allein. Sie hatte Meri beigebracht, wie man allein klarkam, und hatte ihr zugeraten, sich eine Wohnung in einer hübschen Gegend von Washington zu kaufen.

Auch nach der Schönheitsoperation hatte sie sich um Meri gekümmert, hatte ihr Kleidungstipps gegeben und ihr einen Trainer gesucht, der für Meri ein Fitnessprogramm zusammenstellte. Auch in Liebesdingen fragte Meri sie oft um Rat.

„Warum ist es ein Fehler, wenn ich mich an ihm rächen will?“ Meri richtete sich wieder auf und sah die Freundin an. „Er verdient es.“

„Weil du das Ganze nicht bis zu Ende durchdacht hast. Du wirst in Schwierigkeiten kommen, und davor möchte ich dich bewahren. Denn deine Beziehung zu Jack ist ganz anders, als du glaubst.“

„Wie kommst du darauf? Ich weiß genau, was ich Jack gegenüber empfinde. Ich war mal fürchterlich in ihn verknallt, er hat mich verletzt, und das hat mich lange Jahre davon abgehalten, mich ernsthaft auf jemand anderen einzulassen. Wenn ich mit ihm schlafe, werde ich schnell herausfinden, dass er auch nur ein Mann ist wie jeder andere. Dann bin ich geheilt. Und außerdem drehe ich sozusagen den Spieß um, wenn ich ihn sitzen lasse. Dann ist er derjenige, der leidet.“

Betina setzte sich neben sie und fuhr sich durch das kurze Haar. Sie blickte Meri ernst an. „Du warst nicht in Jack verknallt. Du hast ihn geliebt, und du liebst ihn immer noch. Du bist ihm gefühlsmäßig eng verbunden, und wenn du mit ihm schläfst, wird alles nur noch komplizierter. Ich bin ziemlich sicher, dass du es sein wirst, die leidet.“

Meri schüttelte heftig den Kopf und nahm Betinas Hände. „Ich liebe dich, und ich bewundere dich. Aber in diesem Fall bist du vollkommen auf dem Holzweg.“

„Ich hoffe es.“

„Mach dir keine Sorgen, ich weiß, was ich tue. Aber jetzt zu etwas anderem.“ Meri zwinkerte der Freundin zu. „Colin schläft gleich nebenan. Was werdet ihr denn nachts so machen?“

Betina wurde rot. „Nicht so laut“, flüsterte sie. „Er könnte dich hören.“

„Ach was! Und wenn die ganze Welt explodiert, er lässt sich nicht stören, wenn er ein Problem am Wickel hat. Ich habe vorhin durch die angelehnte Tür geschaut, da hatte er bereits seinen Laptop vor sich stehen. Er hört uns nicht. Findest du es nicht gut, dass ich nur euch zwei hier im Haus untergebracht habe?“

„Ja, schon.“ Betina wirkte unsicher, was für sie sehr ungewöhnlich war. „Ich weiß, es muss bald irgendetwas geschehen. Er ist so ein netter Mann. Und ich mag ihn wirklich. Aber ich fürchte, ich bin nicht sein Typ.“

Meri stöhnte. „Unsinn, er hat gar keinen Typ. Er ist ein absoluter Kopfmensch. Meinst du, dass er viel mit Frauen ausgeht?“

„Er sollte, intelligent und witzig und wunderbar, wie er ist.“

Dich hat es aber erwischt, dachte Meri glücklich. Sie war absolut sicher, dass Colin von Betina auch sehr beeindruckt war. Normalerweise zögerte Bettina nicht lange, wenn sie ein Mann interessierte, aber mit Colin war es irgendwie anders. Er verunsicherte sie.

„Er hat Angst, zurückgewiesen zu werden“, sagte Meri. „Das kann ich nur zu gut verstehen.“

„Ich würde ihn doch nicht zurückweisen“, erwiderte Bettina sofort. „Aber das mit uns wird nichts. Ich bin zu alt für ihn und viel zu dick.“

„Du bist nur sechs Jahre älter als er, und du bist überhaupt nicht dick. Deine Kurven sind genau an den richtigen Stellen. Männer mögen das.“

„Aber nicht Colin. Er spricht ja kaum mit mir.“

„Weil er gehemmt ist. Er spricht doch sonst mit jedem.“ In Betinas Gegenwart bekam Colin kein Wort heraus. Wenn das kein gutes Zeichen war …

Als die Freundin ihr das erste Mal von ihrem Interesse an Colin erzählte, hatte er Meri leidgetan. Denn ganz sicher würde Betina ihn fallen lassen, wenn sie genug von ihm hatte. So hatte sie es bisher mit allen Männern gemacht. Und das würde Colin das Herz brechen. Aber dann hatte Betina ihr gestanden, dass sie für ihn sehr viel mehr empfand, und hatte sogar von Liebe gesprochen.

Also hatte Meri sich überlegt, wie sie der Freundin helfen könne. Die Lodge jetzt bot die ideale Gelegenheit. „Ihr seid ganz allein auf dieser Etage. So könnt ihr ganz in Ruhe und ohne Druck miteinander reden.“

Betina legte der Freundin den Arm um die Schulter. „Was ist das denn? Normalerweise ist es doch mein Job, dich aufzurichten.“

„Ich weiß. Es gefällt mir, auch einmal die weise und reifere Freundin zu sein. Bisher konnte ich die Rolle nicht oft spielen.“

„Du machst das aber schon ganz gut.“

Meri umarmte die Freundin. „Ich bin wirklich froh, dass ich dich habe.“

„Ich auch.“

Als er Schritte auf der Treppe hörte, sah Jack auf. Sekunden später öffnete sich die Bürotür, und Meri trat ein.

Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt einen engen Rock und ein kurzes Top. Das Haar fiel ihr in Locken auf die Schultern, und sie hatte sich geschminkt. Auch sonst war sie sehr hübsch, aber jetzt sah sie aufreizend sexy aus. 

Jack hatte sich im Internet nach diesem Andrew erkundigt und schnell herausgefunden, dass er kein Wissenschaftler war, sondern in Washington für einen Lobbyisten arbeitete. Also war er einige Tausend Meilen entfernt. Eigentlich sollte Jack das egal sein. Er hatte auch nur nachgesehen, weil er Meri vor eventuellen Enttäuschungen bewahren wollte. Schließlich hatte er das Hunter versprochen.

Obwohl er im Internet nichts Negatives über diesen Andrew gefunden hatte, war er irgendwie verärgert darüber, dass sie diesen Mann heiraten wollte.

„Wir gehen zum Essen aus“, sagte sie und blieb vor dem Schreibtisch stehen. „Und auch wenn du es nicht glaubst, wir haben normalerweise viel Spaß miteinander. Willst du nicht mitkommen?“

„Danke, nein.“

„Soll ich dir irgendetwas mitbringen?“

„Nein, es ist genug hier.“

Sie drehte sich um und ging zur Tür, blieb aber stehen, als er ihr hinterherrief: „Du hättest mir sagen sollen, dass du verlobt bist.“

Langsam drehte sie sich um. „Warum denn? Du willst doch sowieso nicht mit mir schlafen. Da kann es dir doch egal sein, ob ich verlobt bin oder nicht.“

„Ist es mir aber nicht. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich dich nicht geküsst.“

„Nein? Dann bin ich aber froh, dass du es nicht gewusst hast.“ Ihre blauen Augen funkelten vor Vergnügen. „Und jetzt? Wie fühlst du dich jetzt? Übt die Tatsache, dass ich zu jemand anderem gehöre, vielleicht einen besonderen Reiz auf dich aus? Verbotene Früchte und so?“

„Nein. Tut mir leid.“

„Es tut dir überhaupt nicht leid. Und um ehrlich zu sein, wir sind noch gar nicht richtig verlobt, zumindest nicht offiziell. Wenn es so wäre, hätte ich nie versucht, dich zu verführen.“ Sie grinste.

Autor

Susan Mallery

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