Das heiße Begehren des Wikingers

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Wer ist die schöne Fremde in seinem Zelt? Die elegante Safira mit dem rabenschwarzen Haar hat sich in das Lager von Wikinger Rurik geschlichen und verlangt seinen Schutz auf der Reise nach Paris. Ist sie eine Spionin? Eine Sklavin? Nur eines weiß Rurik sicher: Safira entfacht sein Begehren wie keine andere! Leidenschaftliche Nächte verbringen sie auf der Reise miteinander, und Rurik lernt auch ihre anregende Gesellschaft, ihren Mut und ihre Entschlossenheit zu schätzen. Doch wenn Rurik von seinen Männern als Anführer respektiert werden will, dann braucht er an seiner Seite eine echte Wikingerin – keine zarte parisische Schönheit wie Safira …


  • Erscheinungstag 14.06.2025
  • Bandnummer 416
  • ISBN / Artikelnummer 9783751532082
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Gina Conkle

Das heiße Begehren des Wikingers

Gina Conkle

Gina Conkle schreibt sinnliche, meist in der georgianischen Ära angesiedelte Liebesromane. Ihre erfrischende Art, das Genre des historischen Liebesromans mit originellen Dialogen und erotischem Prickeln zu würzen, macht ihre Bücher so beliebt. Ihre Schriftstellerkarriere begann in Südkalifornien, und trotz des vielen Sonnenscheins begeistert sie sich mehr für Bücher als für den Strand und zieht Steinburgen solchen aus Sand vor.

1. KAPITEL

930 n. Chr.

Ein sächsischer Außenposten an der nördlichen Grenze

des Landes der Nordmänner

Rurik lächelte grimmig in der Dunkelheit, als er ein Messer mit Knochengriff in seinen Stiefelschaft steckte. Die Nornen hatten mit dem Faden gegeizt, als sie sein Schicksal gesponnen hatten, aber jetzt waren seine Tage der Mühsal vorbei. William Langschwert, der Lehensherr von Rouen, hatte versprochen, ihn zum Landbesitzer zu machen, eine herausragende Ehrung für einen Wikinger von niederer Geburt.

Er musste es nur bis zum Mittsommerfest nach Rouen schaffen.

Das Quietschen von Türangeln durchschnitt die Stille und eine Gestalt in einem Umhang schlich durch die Festhalle. Ruriks Haut kribbelte vor Anspannung, während seine Hand über dem Messergriff verharrte. Im Feuerschein war der Umriss der Gestalt zu sehen, die durch den grob gewebten Vorhang in seinen Alkoven schlüpfte. Ein Knie versank in dem Fell. Das Bett knarzte und ein schwarzer Umhang wurde beiseitegeschlagen, sodass verführerische Kurven in einer grauen Wolltunika zum Vorschein kamen, die einer Leibeigenen gehörten.

Eine Frau, die seine Lenden erleichterte. Sie hätte gestern Nacht kommen sollen.

„Heute Morgen hatte ich nicht mit Gesellschaft gerechnet.“ Er streichelte die glatte Haut an ihrem Arm. „Ich habe keine Zeit für …“

Sie schlug ihm auf die Hand. „Behalt deine Finger bei dir, Wikinger. Ich bin nicht hier, um deine, deine … wie nennt ihr das noch? Trostfrau zu werden.“

In den scharfen Dialekt der Nordmänner mischte sich bei ihr eine Art Singsang. Er schmeichelte seinem Ohr und faszinierte ihn auf die gleiche Weise wie die Geste, mit der sie seine Hand abgewehrt hatte. Sklavinnen, Leibeigene, die niedersten der Arbeiterinnen wagten es eigentlich nicht, einen Krieger zu schlagen.

Belustigt lehnte er sich zurück. „Frilla. So nennt man eine Trostfrau bei den Wikingern.“

Sie reckte stolz das Kinn. „Ich bin keine Frilla. Ich habe wichtige Neuigkeiten für dich.“

Der Stoff ihres Umhangs kräuselte sich. Hatte sie eine Waffe darunter verborgen?

Die vertraute, kampfbereite Anspannung brachte das Blut in seinen Adern zum Kochen. Er musterte mit zusammengekniffenen Augen den Schatten, der ihr Gesicht verbarg. „Wer bist du?“

Sie rückte näher. „Das ist nicht wichtig, ich …“

Er zog das Messer aus seinem Stiefel und stürzte sich auf sie. Er brauchte nicht lange, um die Frau auf die Felle niederzuringen. Was auch immer sie noch sagen wollte, verlor sich in entsetztem Jaulen. Die Kapuze rutschte ihr vom Kopf. Der Alkoven quietschte bei dem Handgemenge und die schweren Felle wurden um seine morgendliche Besucherin herum durcheinandergeworfen. Er rammte seinen Unterarm gegen ihre Brust und sah die Frau mit zusammengekniffenen Augen an, aber er konnte ihre Züge in dem schwachen Licht nicht erkennen.

„Ich frage dich noch einmal: Wer bist du?“

Ihre kurz geschnittenen Fingernägel kratzten über seine Armschienen. „Hör auf!“

Die Leibeigene zappelte unter ihm wie eine ins Wasser gefallene Katze. Er zuckte mit den Hüften zurück und entging so gerade noch einem Knie in seinen Sack. Sein Blut rauschte in seinen Ohren, als er sein Bein über ihre peitschenden Gliedmaßen schwang und sie mit dem Oberschenkel festhielt.

„Ich bin Sothrams Sklavin. Er ist dein Feind“, stöhnte sie, „nicht ich.“

Er hob das Messer. „Hat er dich hergeschickt, um mich zu überfallen?“

„Nein! Ich hasse den Mann. Steck das Messer weg … wenn du wissen willst, wie der Sachse dich betrügen will.“

„Das Messer bleibt, wo es ist“, sagte er Nase an Nase mit ihr. „Und du wirst mir jetzt verraten, was Sothram vorhat.“

Hinter ihrem zerzausten schwarzen Haar konnte er ihre Augen funkeln sehen. Ihre Glieder waren steif vor Wut. Das würde er sich zunutze machen und wachsam bleiben. Ein Mann musste beim schwachen Geschlecht wachsam bleiben. Auf seinen Reisen hatte er von hübschen Frauen gehört, die tödliche Geschäfte betrieben, indem sie unglückliche Reisende an einen geheimen Ort gelockt hatten. Das Ende solcher Geschichten war immer grausam. Der Mann wurde von Räubern überfallen und bewusstlos geschlagen oder – schlimmer noch – getötet.

Genau das war Leif passiert, einem der Vergessenen Söhne. Sein Verlust war wie eine Wunde, die nicht heilen wollte.

Sie sah wütend zu ihm auf und rammte ihm beide Handballen in die Schultern. „Ich weiß, dass du einer unbewaffneten Frau nichts antust, Rurik von Birka. Dein Ruf eilt dir voraus.“

Er lächelte zögernd. Diese Katze hatte Feuer, das musste er ihr lassen. Sie wand sich heftig und stemmte sich mit dem ganzen Körper gegen ihn. Es war alles still in der Festhalle, vom Knarzen des Betts und ihren Füßen, die zwischen den Pelzen herumstrampelten, abgesehen. Er überzeugte sich mit einem schnellen Blick davon, dass niemand hinter den groben Vorhängen lauerte.

Warum sollte er vor dem langen Ritt, den er vorhatte, nicht ein bisschen Spaß haben?

„Warum hörst du nicht auf damit? Du kannst mich nicht abschütteln.“

„Geh von mir runter“, knurrte sie. „Ich bin unbewaffnet.“

„Woher soll ich wissen, ob du die Wahrheit sagst? Ich muss dich durchsuchen.“

„Riesenbestie.“ Sie biss die Zähne zusammen und grub die Fingernägel in seine lederbewehrten Schultern.

Seine Brust bebte vor Lachen. „Du bist in mein Bett gekommen. Wenn du willst, dass ich mir anhöre, was du zu sagen hast, machen wir es so, wie ich es sage, oder gar nicht.“

Sie hielt inne. „Du willst mich nicht … anfassen?“

„Ich will wissen, was du weißt. Keine Gefälligkeiten.“

In der Ferne krähte ein Hahn. Die Zeit verging leise und zäh, während die Anspannung langsam aus ihren schlanken Beinen wich, die zwischen seinen lagen. Er konnte den Blick der Frau nicht ganz erkennen, aber er konnte ihn spüren. Er fühlte, wie sie ihn musterte und überlegte, was sie von ihm zu halten hatte. Sie gab langsam nach. Er genoss Augenblicke wie diesen: die Höhlung der Lenden einer Frau unter ihm, ein nacktes Knie an der Innenseite seines Schenkels, zerwühlte und warme Bettfelle, Haar ausgebreitet, sodass er es berühren konnte … Zärtliche Sinnlichkeit war Freyjas Geschenk in seinem harten Leben. Er war jederzeit bereit, sie sich zu nehmen, wenn er konnte.

Die Leibeigene nickte fast unmerklich.

„Schon besser.“ Er steckte das Messer in die Scheide. „Jetzt kann nichts mehr passieren.“

„Wir müssen über meine Belohnung sprechen, Wikinger. Für die Neuigkeiten, die ich habe.“

„Ein Kuss und eine Münze. Für eine Leibeigene ist das Lohn genug.“

„Das sehe ich anders.“

Ein solcher Hochmut, der auch noch mit einem Akzent vorgetragen wurde, der seinem Ohr schmeichelte. Wer ist diese Frau? Er schob mit der freien Hand den Vorhang zur Seite. In einer Lampe aus Speckstein, die von der Decke hing, flackerte eine Flamme und ließ einen Lichtstreifen auf ebenholzschwarzes Haar und bernsteinfarbene Augen fallen. Die Leibeigene von gestern Abend. Sie hatte in Sothrams Festhalle am Rand gestanden und ihn aus ihrer dunklen Ecke verstohlen beobachtet.

„Ich verhandle nicht mit dir, Liebchen.“

„Das solltest du aber, wenn du dein Leben und das deiner Männer retten willst.“

Er schlotterte nicht gerade vor Angst, aber eine einfache Frau konnte hilfreiche Kunde bringen.

„Dein Mut ist bemerkenswert, aber du solltest wissen, wann ein Mann die Oberhand hat.“ Er ließ den Vorhang los und fing an, in den Fellen zu wühlen. Er wollte kein Risiko eingehen.

Sie versetzte ihm einen Schlag auf die Schulter. „Dafür haben wir keine Zeit, Wikinger.“

„Ich muss sichergehen, dass du unbewaffnet bist.“

Die zarten weiblichen Laute betörten ihn. Ihr Widerstand wurde mehr von Erschöpfung gebrochen als von seinem Willen. Er legte eine Hand flach an ihre Rippen und fuhr mit dem Daumen über eine Seite ihrer Brust. Die Leibeigene erstarrte. Ihr Herz hämmerte unter dem Unterarm, mit dem er ihren Brustkorb festhielt. Ihr Umhang war offen, nur ein dünner Wollstoff trennte ihre Haut von seiner Hand. Er konnte ihre Körperwärme spüren. Frauen musste man genießen, ihre Sanftheit aufnehmen.

Er ließ sich Zeit, als er mit den Fingern über jede Rippe fuhr, ehe er die süße Kerbe ihrer Taille fand. Sie riss die goldenen Augen weit auf, als er seine Hand weiter nach unten gleiten ließ, um ihre Hüfte zu umfassen.

„Was ist dein Preis für deine wertvollen Neuigkeiten?“

Sie senkte die pechschwarzen Wimpern wie ein unterwürfiges Mädchen, aber er ließ sich nicht hinters Licht führen. Ihr Körper unter ihm war steif. Sie ertrug seine Berührung gerade so.

„Ich will, dass du mich mitnimmst. Ihr wollt doch nach Süden, oder nicht?“

„Nach Rouen.“

„Bringt mich sicher nach Paris, damit ist deine Schuld bei mir beglichen.“

„Wie gütig von dir“, spottete er. „Aber Paris liegt leider überhaupt nicht auf meinem Kurs.“

Sie hob den Kopf, schwieg aber weiter. Aus der Nähe konnte er die duftend pfeffrige Wärme ihrer Haut riechen. Das Aroma war ebenso einladend wie fremd. Sie benahm sich wie eine verwöhnte Prinzessin an einem Hof im Osten, nicht wie eine Sklavin in Lumpen.

Das jahrelange Leben mit dem Schwert war ihm eine Warnung – hör zu.

„Du verlangst ziemlich viel für eine Leibeigene, aber erzähl. Wie will Sothram mich betrügen?“

„Dein Wort, Wikinger.“

Er strich ihr Haar zurück, das weich war wie Seide. Die Götter hatten diese Frau zum Vergnügen eines Mannes geschaffen. Hier ging es um mehr, als mit bloßem Auge zu sehen war. Sie war zu hübsch für Sothrams Außenposten, ihre Haut zu weich und ihr Haar zu üppig für einen Menschen, der die Härte des Lebens zu spüren bekommen hatte. Die meisten Frauen unter den Leibeigenen trugen das Haar auf Schulterlänge, ein Zeichen ihrer Stellung. Wenn diese Frau sprach, konnte er gleichmäßige weiße Zähne erkennen. Seine morgendliche Besucherin war von klein auf behütet worden, war im Luxus aufgewachsen. Eine Frau von hohem Wert. Das allein konnte die lästige Leibeigene schon wertvoll machen.

Er überlegte kurz, ob er einfach rundheraus ablehnen sollte, aber ehe er sich versah, hatte sein verräterischer Mund sich bereits geöffnet. „Ich sorge für deine sichere Überfahrt.“ Er verzog das Gesicht, sobald er die Worte über die Lippen gebracht hatte.

Eine Frau bedeutete Verzögerungen. Er musste in fünf Tagen in Rouen sein und außerdem hatte er es seinen Männern geschworen – keine Frauen. Keiner von ihnen hatte auf der Fahrt eine Frau im Schlepptau. Doch die schwarzhaarige Maid beruhigte sich unter ihm, ihr majestätischer Blick wurde weicher.

„Hab Dank, Wikinger. Ich schulde dir wirklich großen Dank.“

Ihre Reaktion darauf, dass sie unter seiner Obhut stand, traf ihn tief in seinem Inneren, ein sanftes Samenkorn, das nach fruchtbarer Erde suchte. Sie sah ihn aus ihren goldenen Augen an, die offen und schön wie polierter Bernstein waren. Ihr Blick war unerschrocken und neugierig. Das hier war eine Frau, bei der man verweilen, der man ein Bett aus den feinsten Fellen bereiten musste, und er wollte derjenige sein, der das tat, ein Drang, der ihm gar nicht passte.

„Was hast du mir zu sagen?“, fragte er barsch.

Sie öffnete nur eine Handbreit von seinem Mund entfernt die Lippen. „Gestern hast du zwei Bündel Hermelin eingetauscht, aber während du geschlafen hast, haben Sothrams Männer die Pelze ausgetauscht.“ Sie erhob triumphierend die Stimme. „Deine Bündel haben jetzt eine einzelne Schicht Hermelin an der Oberseite, aber darunter nur wertlose Lumpen.“

Er rollte von der Leibeigenen herunter und half ihr auf. Dann schob er den Vorhang zur Seite, um in dem kleinen Schuppen nachzusehen, den der Sachse als Lager benutzte. Seine Besitztümer lagen unberührt auf dem Boden, neben zerbrochenen Fässern und Eimern, die repariert werden mussten. Es waren jede Menge Gerüchte über Sothram im Umlauf. Manche stimmten, andere nicht. Doch das hier war der letzte südliche Außenposten im Heiligen Römischen Reich, wenn man mit wertvollem Hermelin handeln wollte, und er lag auf dem Weg nach Rouen.

Die Leibeigene hockte auf den Fersen und rieb sich den Nacken. „Er glaubt, dass du die Bündel nicht überprüfst. Sothrams Männer haben sie in Wolltuch eingewickelt. Er wird sagen, dass er das nur aus gutem Willen tut, um das Hermelin zu schützen.“

„Und unterwegs bemerke ich dann seinen Betrug, kehre zurück, um Rache zu nehmen, und bekomme zurück, was mir gehört.“ Er schob Fenrir in die Scheide, das Schwert, das nach dem monströsen Wolf aus der Sage benannt war. „Jetzt erzähl mir etwas, das mir nützlich ist.“

„Hör mir zu. Noch vor Sonnenaufgang sind vier Bogenschützen aufgebrochen. Sothram weiß, dass du die Straße nach Süden nehmen willst. Seine Männer werden dir in den Bäumen auflauern.“ Sie seufzte. „Das hat er schon einmal getan, Wikinger.“

Sothram hielt ihn für einen geistlosen Krieger. Er lächelte kühl; das würde er sich zunutze machen. Das wertvolle Hermelin sollte auf dem Markt zum Midsommarblot verkauft werden, der Erlös zwischen ihm und seinen Männern gleichmäßig verteilt. Mit seinem Anteil konnte er den ersten Tribut an William Langschwert bezahlen. Aber diese Frau reizte ihn.

„Warum erzählst du mir das? Was bist du für Sothram?“

Sie richtete sich auf. „Ich bin seine Seherin. Wenn du mich mitnimmst, ist das eine große Kränkung für ihn.“

„Ich ziehe das Hermelin vor. Leichter mitzunehmen. Redet nicht.“

Sie presste die vollen Lippen aufeinander. Die Maid war es gewöhnt, dass Männer sie erwählten. Von ihrer Dreistigkeit abgesehen störte ihn noch etwas anderes an ihr. Eine Leibeigene mochte flehen, schmeicheln oder verhandeln, aber niemals fordern. Nicht von ihm.

„Du bist keine Seherin.“

„Guck dir einfach die Bündel an“, fauchte sie. „Ich sage die Wahrheit. Dann werde ich dir sagen, wo er deine Felle versteckt hat, und du wirst mich mitnehmen.“

Sie streckte die Hand nach dem Vorhang aus und wollte gehen, doch er packte ihr Handgelenk.

„Nicht so schnell. Sag mir die Wahrheit. Wer bist du?“

Sie ballte die Hand in seiner zur Faust. „Du hast mir dein Wort schon gegeben, Wikinger.“

„Und wenn es mir passt, breche ich es auch.“

Er hielt sie fest, um sie daran zu erinnern, dass er die Macht über sie hatte. Ihr Körper bebte vor Verzweiflung und Wut wie bei einem Zankteufel, der bereit war, ihn anzuspringen. Sie hatte etwas zu verbergen.

Oder schreckte sie vor seiner Berührung zurück?

Sie schlug die dichten schwarzen Wimpern nieder, sodass er ihren Blick nicht erkennen konnte. „Es ist, wie du sagst, ich bin keine Seherin. Ich bin beim letzten Vollmond widerrechtlich an Sothram verkauft worden. Ich gehöre hier nicht hin.“

„Wozu das falsche Spiel? Du musst doch gewusst haben, dass er das herausfindet.“ Er ließ sie los und die Maid rieb sich den Arm.

„Das ist nicht von Bedeutung.“

Ihr feiner Akzent war federleicht und faszinierend. Im Licht, das durch den Bettvorhang hereinfiel, dämmerte ihm die Wahrheit, eine Geschichte, so alt wie die Menschheit. Männer hatten ihre Bedürfnisse und Frauen ihre Waffen. Er war durch den heißen Sand im Land der Abbasiden gereist, wo er Zeuge der Listen gewisser Frauen geworden war. Lügen waren ein bevorzugtes Mittel des schönen Geschlechts.

Log er denn nicht auch zu seinem eigenen Vorteil?

Die Frau hatte zugegeben, dass sie keine Seherin war. Er hingegen enthielt den Männern, die er schon seit seiner Kindheit in Birka kannte, die Wahrheit vor. So viel Vertrauen hatte sie zu ihm. Das Schicksal hatte es in letzter Zeit nicht gut mit ihr gemeint. Die blauen Flecken an ihrem Hals waren frisch, Zeichen eines grausamen Herrn. Männer konnten brutal sein. Er hatte es oft genug erlebt.

„Du hast Sothram weisgemacht, dass deine Kräfte verschwinden, wenn ein Mann seine niederen Bedürfnisse an dir befriedigt. Eine bequeme Lüge. Du bist nicht die Erste, die sie gebraucht.“ Er hob das Schwert in seiner Scheide von den Fellen auf und hängte es sich über den Rücken. „Was sollte ich sonst noch wissen?“

„Du verschwendest Zeit, Wikinger.“

„Und du benimmst dich wie eine Frau von hoher Geburt. Wer bist du? Eine weggelaufene Ehefrau?“

„Das kann ich dir jetzt nicht erklären.“ Sie schob den Vorhang zur Seite, um nach der Tür zu sehen. „Während wir hier miteinander sprechen, steht Sothram auf. Er merkt, dass etwas im Busch ist, wenn seine Männer mich hier finden.“ Sie berührte sein Knie mit den Fingerspitzen. „Bitte. Du musst mir vertrauen.“

Die einfache Berührung schlug einen Funken, über den er hinweggehen musste. Die Last, die eine Frau bedeutete, vor allem eine hübsche Schwindlerin, würde ihn ausbremsen. Doch in dem Augenblick, in dem ihre Hand sein Knie berührte, flackerten unzählige Entscheidungen durch seinen Kopf.

Eine wertvolle Frau zu besitzen konnte sich noch als … nützlich erweisen.

„Lass dich nicht sehen“, sagte er, während er sein Schwert festschnallte. „Wenn meine Männer sich versammeln, gehst du leise zu den Eichen hinüber, die hinter Sothrams Hof stehen.“

„In Ordnung.“ Umhang und Rock klebten an ihrem Knie, als sie aus dem Bett stieg.

Er steckte einen Finger in einen Riss im Vorhang und sah ihr hinterher. Die Leibeigene schlich über den Lehmboden. Dabei umspielte der zerfetzte Saum ihrer Gewänder ihre schlanken Waden. Sie öffnete die verwitterte Tür um einen Spalt. Die geheimnisvolle Frau spähte nach draußen, ehe sie ihre Kapuze aufsetzte und so schnell verschwand, wie sie gekommen war.

Sie glaubte, dass er sich um sie kümmern würde.

Er stieg in einen Stiefel und zerrte heftig an den ledernen Riemen, um sie festzuschnüren. Nichts durfte ihm in die Quere kommen. Kein betrügerischer Händler und auch keine gerissene Frau.

Er schlenderte aus seiner Hütte, dabei legte sich der Morgentau auf seine Haut. Ein einzelner Wächter lehnte an der Wand des Erdkellers. Der Mann nickte ihm grüßend zu, ehe er aus seinem Blickfeld verschwand.

Wollte er Sothrams andere Männer warnen gehen?

Rurik ging gelassenen Schrittes weiter zur Scheune, wo sein Stellvertreter schlief. Der Blick, den er zu zwei verwitterten Nebengebäuden schweifen ließ, verriet ihm, dass sonst niemand hier war. Sothram gab sich keine große Mühe mit der Siedlung. Die strohgedeckten Dächer waren grau vor Schimmel. Der Palisadenzaun stand schief. Das Tor wurde von keinem Krieger bewacht. Hier gab der diebische Sachse sein Geld nicht aus.

In der Scheune auf einem Heuhaufen lag der Sohn von Vellefold, ein Streithammer so lang wie sein Bein war an sein Handgelenk gebunden.

Rurik stieß Björns Stiefel mit den Zehen an. „Björn. Es gibt Ärger.“

Er öffnete ein Auge. „Wehe, wenn nicht, wenn du mich so früh weckst.“ Der Riese setzte sich auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. „Was ist los?“

Rurik erzählte ihm, was er von der Leibeigenen erfahren hatte, während Björn leichtfüßig aufstand. Vor dem Scheunentor war das Gerede der Jungen zu hören, die die gesattelten Schlachtrösser des Sohns aus einer anderen Scheune geholt hatten und sie zu einer ausladenden Eiche führten. Ein kleinerer Junge folgte ihnen mit zwei Packpferden, die hoch beladen waren – mit den in Wolltuch gewickelten Fellen.

Björn sah blinzelnd zu, wie sich Sothrams Männer auf dem Hof zu schaffen machten. „Du glaubst dieser Frau?“

Rurik stellte sich neben ihn und zählte die Kämpfer des Sachsen. Es waren fünf. „Ich traue Sothram nicht.“

„Ich hole die Männer.“

Björn verschwand durch eine Hintertür. Rurik lehnte sich an einen Holzbalken und hakte beide Daumen in seinen Gürtel. Einer von Sothrams Männern murmelte etwas hinter vorgehaltener Hand und mehrere Augenpaare richteten sich auf das offen stehende Scheunentor. Gut. Er wollte die Aufmerksamkeit der Männer auf sich ziehen, damit sie sich nicht um Björn kümmerten.

Auf dem Hof versammelten sich die Hühner um ein kleines Mädchen, das Körner für sie ausstreute. Sothram kam mit gerötetem Gesicht aus der Festhalle und sprach mit einem drahtigen Mann, der mit Pfeil und Bogen bewaffnet war. Es roch nach feuchter Erde und dem Qualm von eben gelöschten Fackeln. Rotwangige Milchmädchen schlurften in die Scheune, dabei klapperten ihre Eimer.

„Morgen“, brummte er.

Die Mädchen gingen kichernd an ihm vorbei, um sich um die meckernden Ziegen zu kümmern. Aus dem Augenwinkel nahm er vor dem Tor eine Bewegung wahr. Eine Gestalt in einem schwarzen Umhang stürmte auf die Scheune zu.

„Nicht so schnell.“ Der Händler packte den Eindringling und schüttelte ihn heftig. „Was hast du denn heute Morgen vor?“

Die Kapuze rutschte herunter und gab den Blick auf den Kopf einer Frau frei, der hin und her geschleudert wurde wie der einer Stoffpuppe. Die Leibeigene. Sie hämmerte mit beiden Fäusten auf Sothram ein, doch der war so kräftig, dass ihre Schläge die gleiche Wirkung hatten wie Motten, die gegen einen Felsen prallten.

„Lass mich los, du – du …“

Rurik verließ stirnrunzelnd die Scheune. „Sothram.“

Der Sachse sah ihn an. „Rurik.“

Die Leibeigene wand sich, um sich zu befreien, das Gesicht in Ruriks Richtung. Sie riss in stummem Flehen die Augen auf, doch dann gruben sich Sothrams Wurstfinger in ihre Arme.

Sie jaulte vor Schmerz. „Hör auf!“

„Hast du was mit deiner Leibeigenen vor?“, rief Rurik. „Oder sollen wir unsere Geschäfte zu Ende bringen?“

„Die schleicht ständig hier herum. So einer kann man nicht trauen. Ein Mann muss in seinem Haus für Ordnung sorgen.“

„Deine Frauenprobleme gehen mich nichts an.“ Hinter Sothram waren fünf Krieger in Schwarz aus dem Nebel aufgetaucht. „Meine Männer und ich sind bereit aufzubrechen.“

Der Sachse ließ die Frau los. Sie richtete sich auf und wickelte sich in ihren fadenscheinigen Umhang ein. Rurik hoffte, dass sie unauffällig weiter zu den Bäumen gehen würde, aber sie holte mit einem Fuß in einem abgetragenen Stiefel aus und trat in die Erde, sodass sie in Sothrams Richtung spritzte.

„Abscheuliches Schwein“, sagte sie unter dem Gejohle von Sothrams Männern.

Sie hatte schlecht gezielt, sodass Sothrams Schienbein kaum Erde abbekommen hatte, aber die Beleidigung wog schwer. Der dicke Mann brüllte und wollte sie packen. Hühner und Enten stoben in alle Richtungen auseinander. Die Leibeigene schoss mit weit aufgerissenen Augen über den Hof und warf sich in Ruriks Arme. Ein paar von Sothrams räudigen Landsknechten kamen um die Ecke der Scheune geschlichen. Jetzt waren acht von ihnen auf dem Hof.

„Was soll das?“ Der Sachse sah ihn finster an. „Gib sie mir, sie ist mein rechtmäßiges Eigentum.“

Sie musste tun, was Rurik ihr sagte. Seine Anweisungen waren ganz einfach gewesen: Geh unauffällig zu den Bäumen hinüber. Er sah sich um, während er die Frau mit einem Arm an sich drückte. Drei seiner Männer verteilten sich hinter Sothrams Männern. Björns eiserner Helm glänzte im schwachen Licht der Morgensonne. Sein Stellvertreter legte eine Hand auf das Packpferd und nickte grimmig.

„Aber natürlich.“ Ruriks Stimme hallte laut über den Hof. „Du kannst sie behalten.“

Die Leibeigene starrte ihn an. Es war zum Lachen, wie schnell ihr hübscher Mund zänkisch werden konnte.

„Du, du …“, stotterte sie und ihr Nordisch verwandelte sich in einen Wortschwall, den er nicht verstand.

Er konnte ihre Sprache zwar nicht verstehen, aber es war anzunehmen, dass diese Kätzin ihm Schlimmeres an den Kopf warf als abscheuliches Schwein. Er hatte nicht vor, die Frau zurückzulassen, aber er würde auch keine Erklärungen abgeben. Er unterdrückte ein Grinsen und drückte sie fester an sich. Das war eine Möglichkeit, sie zu zähmen.

„Zuerst müssen wir über meine Felle sprechen.“

„Was?“ Sothram bleckte die Zähne. „Hans hat das Hermelin gestern Abend verpackt, um sie vor Nässe zu schützen, und das ist der Dank dafür?“

„Wie ich gesagt habe, Wikinger.“ Die dumpfen Worte kamen aus seiner Rippengegend.

„Du hörst dir an, was so eine zu sagen hat?“ Sothram brüllte vor Lachen. „Ich sollte sie dir überlassen. Sie ist das Silber nicht wert, das ich für sie bezahlt habe. Sie hat die Zunge einer überheblichen Schlange, das kannst du mir glauben.“

„Ich brauche keine Frau. Ich brauche meine Felle. Die habe ich eingetauscht.“

„Du hast sie bekommen, schön eingepackt noch dazu.“ Sothram spuckte auf den Boden und tastete nach seinem Messer. „Wird Zeit, dass du verschwindest.“

Sothrams Männer kamen näher, doch die des Sohnes waren schneller. Ruriks Blut rauschte. Er schob die Leibeigene hinter sich. Er stürzte sich auf den Sachsen. Sein Schwert klirrte, als er es aus der Scheide zog. Die Klinge des Händlers schaffte es nicht ans Tageslicht.

Rurik packte den Mann an seinem Hemd und hielt ihm Fenrirs Spitze zwischen die Speckfalten an seinem Hals. „Ich verschwinde, wenn ich meine Felle habe.“

Zu Ruriks Linker klirrte Metall. Männer landeten auf der Erde und stöhnten vor Schmerzen. Das Holz der Pfeile, die Björn über sein Knie brach, splitterte. Ihre zerbrochenen Schäfte wurden wie Zweige verstreut. Die Söhne standen mit Streitäxten über Sothrams gefallenen Männern. Von den acht rührten fünf sich nicht mehr. Die anderen drei waren auf die Knie gefallen.

Zu seiner Rechten schrie eine rundliche Frau. Sothrams Ehefrau. Sie rannte kreischend auf den Hof. Dabei wackelte ihr Bauch und sie flatterte wild mit den Händen. Zwei ausgezehrte Leibeigene folgten ihr mit in Wolltuch gewickelten Ballen in den Armen. Rurik lächelte kühl. Weiches, weißes Hermelin, der Pelz der Könige, baumelte aus den offenen Enden. Er brauchte die Hilfe der hochmütigen Leibeigenen überhaupt nicht. Seine Pelze kamen zu ihm.

Sothrams Brust hob und senkte sich mit mühsamen, übel riechenden Atemzügen. Der Händler sah seine Frau mit zusammengekniffenen Augen an. „Sag ihnen, sie sollen die Felle aufladen, Hilda, und hör auf zu kreischen.“

Die hohläugigen Männer beeilten sich, die Ballen aufzuschneiden. Lumpen verteilten sich zu ihren Füßen, während sie sich abmühten, die Hermelinfelle auf die gehorsamen Packpferde zu laden. Auf dem Hof herrschte Stille, vom Keuchen der Männer, die geschlagen auf der Erde knieten, abgesehen.

Rurik packte das Hemd des Händlers fester. „Weißt du, was ich mit Männern wie dir mache?“

Die Knopfaugen des Sachsen wurden riesig. „Wa-was?“

„Ich mache diese Welt zu einem besseren Ort.“ Seine Stimme war leise und tödlich. „Einem Ort, an dem es einen Betrüger weniger gibt.“

Er hob das Schwert hoch zum Todesstoß, doch dann hörte er nackte Füße auf der Erde. Eine kleine Gestalt stürzte sich auf ihn.

„Nein!“ Ein Mädchen trommelte mit beiden Fäusten auf seinen Schenkel. „Lass Vater in Ruhe.“

Sothrams Frau schrie auf, wiegte sich auf den nackten Füßen vor und zurück und stopfte sich den Zipfel ihrer Schürze in den Mund. Das rundgesichtige Kind wollte sich zwischen Rurik und Sothram schieben. Es konnte nicht älter als fünf oder sechs Jahre sein.

Schlanke Finger legten sich auf seine linke Schulter. Die Leibeigene mit den bernsteinfarbenen Augen. „Bitte, Wikinger. Ich verabscheue diesen Mann, aber lass ihn am Leben.“

Rurik, den Arm immer noch hoch zum Todesstoß erhoben, musterte die Sklavin. „Ich hätte gedacht, dass dein Blutdurst von allen am größten ist.“

Sie erbleichte und legte dieselbe Hand, mit der sie vorhin sein Knie berührt hatte, auf seine Schwerthand, um das Töten zu unterbinden.

„Steck deine Waffe wieder ein. Du hast, was dir gehört, und deinen Männern ist nichts passiert.“ Ein Augenblick verging und ihre Stimme wurde sanfter nur für seine Ohren. „Selbst ein Krieger wie du muss doch wissen, dass die Kraft deiner Hand nicht immer die Lösung ist.“

Der kultivierte Akzent der Frau traf eine verdeckte Stelle tief in seinem Inneren, ein Flüstern, eine Bewegung wie das Rascheln der Blätter in einem Wald. Kraft und Blutvergießen waren sein Leben, eine Sprache, die er verstand. Töten oder getötet werden. So einfach war das Leben. Aber es war nicht zu leugnen, dass die Frau eine seltsame Saat in ihm gesät hatte. Vielleicht hatte sie eine übersinnliche Gabe, denn ihre Gesellschaft erschütterte ihn.

Rurik ließ Sothram los, ohne die Sklavin aus den Augen zu lassen. Die Frau blieb ihm zugewandt und wich ihm nicht aus. Der Sachse stolperte rückwärts und schnappte nach Luft. Seine Ehefrau packte das kleine Mädchen, rannte zurück zur Festhalle und knallte die Tür hinter sich zu. Eine unheimliche Stille legte sich über Rurik und brachte den ungewöhnlichen, pfeffrigen Duft der Frau mit. Warum zeigte sie Schwäche? Die meisten hätten blutdürstig nach Rache geschrien, nicht für einen anderen um Gnade gefleht, vor allem nicht, wenn der so gemein war wie Sothram.

Fenrir funkelte in seiner Hand, die hungrige Klinge war leer ausgegangen. Er beschrieb mit dem Schwert einen großen, langsamen Halbkreis, bis seine Spitze den Boden berührte.

„Bitte“, murmelte sie, „lass uns von hier verschwinden.“

Seine Benommenheit schwand. „Ja. Wir reiten ab.“ Er zeigte auf einen der männlichen Leibeigenen und erhob die Stimme. „Du da. Sattle noch ein Pferd für die Maid. Ihr Reittier und ihre Freilassung sind Sothrams Wiedergutmachung für seine Beleidigung gegen mich und meine Männer.“ Er zeigte auf den anderen Leibeigenen. „Sammle die Lumpen ein. Wenn du damit fertig bist, hol meine Sachen und lade sie auf mein Pferd.“

Der erste junge Mann rannte zur Scheune hinüber, während der andere sich hinkniete, um die herabgefallenen Lumpen aufzuheben. Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch den Morgennebel. Enten watschelten auf den Hof, zwei von ihnen flatterten mit den Flügeln und stritten quakend um einen Bissen, der auf der Erde lag.

Die Frau mit dem rabenschwarzen Haar sah ihn immer noch an. „Ich danke dir, Wikinger. Für einen Augenblick dachte ich, du wolltest mich zurücklassen.“

„Und ich dachte, dass du unauffällig zu den Bäumen gehst. Für eine Leibeigene hast du ziemliche Schwierigkeiten, Befehle zu befolgen.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Ich war auf dem Weg zur Scheune, weil du dort warst.“

„Weil du nicht geglaubt hast, dass ich unsere Vereinbarung einhalte?“

„Weil es am sichersten war, wenn ich bei dir bleibe.“

Kluge Frau. Das Vertrauen zwischen ihnen hing an einem seidenen Faden und sie ging kein Risiko ein. Daraus konnte er ihr keinen Vorwurf machen. Er war ein umherziehender Wikinger, der seine Fertigkeiten an den verkaufte, der ihm das meiste Geld dafür bot. Die Söhne verfolgten den Wortwechsel. Björn und Erik grinsten. Die beiden wussten genau, dass er kein Beschützer der Frauen war.

„Ich hatte nicht vor, Ärger zu machen, aber ich schrecke auch nicht davor zurück. Du hast gesehen, wie er mich festgehalten hat.“ In ihrem akzentgefärbten Nordischen lag eine Spur von Hochmut. „Der Sachse hat nur das bekommen, was er verdient.“

Er lächelte zögernd. Sie hatte Temperament. Im richtigen Maße konnte ihre Gesellschaft unterhaltsam sein. Niemand konnte ihr die Attacke auf Sothrams Schienbein übel nehmen. Er war bereit gewesen, ihr viel Schlimmeres anzutun. Aber sein Wort war Gesetz. Das musste sie begreifen.

Er stieß Fenrirs Spitze tiefer in die Erde. „Wenn ich dich mitnehmen soll, musst du tun, was ich sage.“

Die Leibeigene legte sich in aller Ruhe den Umhang wieder um. „Dann gehe ich jetzt zu den Bäumen hinüber.“

Sie folgte dem unebenen Pfad über den Hof und sah sich über die Schulter hinweg nach ihm um. Die ausgefransten Säume ihrer Gewänder spielten um die glatte Haut ihrer Waden. So wie sie ging, mit gleichmäßigen, anmutigen Schritten, konnte er beinahe hören, wie sie in dünn besohlten Schuhen über polierte Steinböden tänzelte.

Vor seinem inneren Auge erschienen Bilder von ausländischen, hochgeborenen Frauen, die ihre seidenbedeckten Köpfe verdrehten, um ihn von oben bis unten zu mustern. Einige verhöhnten ihn, das Lasttier, das gedungene Schwert, das nichts als Verachtung verdient hatte. Andere flüsterten ihm parfümierte Einladungen zu, weil sie sich nach Grobheit in ihren Betten sehnten. Wie wenig sie von ihm wussten. Das war ohne Bedeutung. Er hatte seine Lust an ihnen befriedigt und ihre Körper bis zum letzten lustvollen Schrei erfüllt, ehe er sie erschöpft in ihren mit Fellen übersäten Betten zurückgelassen hatte.

Aber diese Frau mit den Bernsteinaugen …

Wer war sie? Eine geflohene Ehefrau? Eine Lieblingskonkubine, die von einem Rivalen entführt und bei Nacht und Nebel verkauft worden war?

Er umfasste Fenrirs Griff fester. Er würde ihre Rätsel lösen, Stück für Stück, Berührung für Berührung, und sich nehmen, was er wollte.

2. KAPITEL

Wenn man einer Frau nur den Bruchteil eines Augenblicks gönnte, konnte das einen Mann verändern. Das war das Problem mit dem schönen Geschlecht. Sie waren Diebe, die einem Mann die Konzentration raubten. Er durfte nicht zulassen, dass sich die schwarzhaarige Maid in seinen Gedanken breitmachte, aber das tat sie. Was im Hof des Sachsen als Nächstes geschah, kam so schnell wie ein einziger Atemzug.

Zuerst war ein monströser Schrei zu hören.

„Rurik! Hinter …!“ Björns Warnung wurde jäh unterbrochen.

„Arrh!“ Sothram stürzte sich auf Rurik und schwang dabei ein Messer.

Der metallische Geschmack der Schlacht schoss Rurik in den Mund. Ein weiterer Schrei zerriss die Stille. Die Leibeigene. Sie zeigte auf ihn. Aus dem Augenwinkel sah er eine gefährliche Klinge blitzen. Er drehte sich um – zu spät.

Er hörte ein dumpfes Geräusch, bei dem ihm übel wurde, und ein brennender Schmerz fuhr durch seine Schulter.

Sothram zog das Messer heraus und hob es, um noch einmal zuzustechen.

Rurik biss die Zähne zusammen und schwang Fenrir hoch durch die Luft. Er traf den Sachsen mit der flachen Seite an der Schläfe. Blut und Schweiß spritzten auf die Erde. Der Händler ließ sein Messer fallen, ein rotes Rinnsal ergoss sich aus seinen Haaren auf seine Wange. Sothram taumelte einen Schritt und verdrehte dann die Augen, ehe er mit all seinem Gewicht zu Boden ging.

Rurik stand über dem Sachsen, Blut bildete einen Tropfen an Fenrirs Spitze. Mit der Klinge des Schwerts berührte er die Lebensader des Mannes an dessen Hals. Er holte tief Luft, sehnte sich danach, ihn zu töten, ein Drang, der ihm so natürlich erschien wie sein Herzschlag.

Es wäre so einfach gewesen. Ein Streich …

Selbst ein Krieger wie du muss doch wissen, dass die Kraft deiner Hand nicht immer die Lösung ist.

Die Worte der Leibeigenen verfolgten ihn. Die Tränen in den Augen des kleinen Sachsenmädchens hatten ihm auch einen Stich versetzt, weil die Welt nicht gut zu vaterlosen Mädchen war.

Er schnitt eine Grimasse und knurrte leise vor sich hin, während er sein Schwert am Hemd des Händlers abwischte. Sothram hatte keinen weiteren Tag verdient, aber seine Tochter verdiente einen Vater, auch wenn der ein Betrüger war. Als er sein Schwert in die Scheide steckte, durchfuhr ein stechender Schmerz Ruriks Nacken. Er schlug mit einer Hand auf seine Schulter. Zwischen seinen Fingern sickerte eine feuchte Wärme hindurch. Sothram aus den Augen zu lassen war ein Fehler gewesen, wie ihn sonst nur ein Grünschnabel machte.

Missmutig sah er seine blutbefleckte Hand an.

Merk dir eins, wenn du überleben willst: Gute Krieger sind immer auf der Hut. Die besten führen den ersten Schlag. Mit diesen weisen Worten hatte er Rurik mit einer Faust zu Boden gestreckt. Er war damals acht Jahre alt gewesen. Hatte den ganzen Vormittag flachgelegen.

Vlad war gut darin gewesen, jemandem eine Lektion zu erteilen, die er nicht vergaß.

Er hörte die Schritte von jemandem, der auf den Hof kam. Die Leibeigene streckte die Hand nach ihm aus. „Deine Schulter.“

„Tu, was man dir sagt“, sagte er scharf. „Geh zu den Bäumen.“

Ihre Hand zuckte zurück. Mit brennend roten Wangen drehte sie sich um und rannte zu den Pferden. Rurik ließ seine Männer nicht aus den Augen, die über Sothrams gedemütigten Kämpfern standen, und fuhr sich mit einer Hand über die Brust.

Erik riss den Kopf eines Sachsen an den Haaren nach oben und hielt dem Mann die Streitaxt an den Hals. „Und?“

„Heute wird hier niemand sterben.“

Erik riss die dunklen Augen auf, aber sein Befehl wurde von niemandem infrage gestellt. Björn kam auf ihn zu, dabei klirrten die Eisenringe an seinem Halspanzer.

„Ihr habt ihn gehört, Männer.“ Der Riese von Vellefold gab schnelle Befehle. „Gunnar. Thorvald. Fesselt diese Trottel hier in der Scheune und verbrennt ihre Pfeile und Bogen. Die anderen Waffen könnt ihr in den Brunnen werfen.“ Björn wandte sich den beiden anderen zu. „Erik. Thorfinn. Bringt unseren Gastgeber in sein Bett und seht nach, ob seine Dame noch Vorräte übrig hat.“

Die Männer setzten sich in Bewegung. Erik und Thorfinn hievten den Sachsen an Armen und Beinen hoch. Die Tür der Festhalle wurde einen Spaltbreit geöffnet. Sothrams Ehefrau und Tochter spähten durch die Öffnung. Beiden liefen Tränen über die Wangen.

„Bezahlt einen gerechten Preis für den Proviant“, verkündete Rurik, während er den Rest des Blutes von seinen Fingern an seiner Brust abwischte. „Und Erik, überlass Thorfinn das Reden. Sothrams Dame hat schon genug Schrecken erlebt. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie einen Narren zum Mann hat.“

Erik verzog das finstere Gesicht zu so etwas wie einem Grinsen. Der Hüne Thorfinn, der jede Aufgabe mit dem gleichen Ernst anging, nickte, während er und Erik Sothram in seine Festhalle schleppten.

Björn schulterte seinen Streithammer und überquerte den Hof. „Merkwürdiger Morgen.“

„Wir sind nicht zum ersten Mal angegriffen worden.“

„Das ist wahr. Aber du hast noch nie einem Feind den Rücken zugekehrt. Nicht, wenn er noch nicht tot oder gefesselt war. Und du hast auch noch keinen Mann wie Sothram verschont. Bist du …“ Björn zeigte mit einem Nicken auf die Leibeigene. „… vielleicht irgendwie abgelenkt?“

Rurik baute sich breitbeinig auf und verschränkte die Arme. Seine Schnittwunde schmerzte und es juckte ihn in den Fingern, seinen Fehler kein zweites Mal zu machen. „Den Männern geht es gut. Ich habe unsere Pelze. Wo liegt das Problem?“

„Gar kein Problem.“ Björn baute sich genauso breitbeinig vor ihm auf. „Du hast noch nie eine Frau mitgenommen. Das ist gegen unsere Gesetze. Wird den Männern nicht gefallen.“

„Ich kenne unsere Gesetze. Die Männer werden es überleben.“

Nah der Scheune waren die ersten Flammen zu sehen. Thorvald nährte die Glut mit zerbrochenen Pfeilen und Bogen. Einer von Sothrams jungen Leibeigenen kam aus dem Nebengebäude, in dem Rurik geschlafen hatte. Er hatte Ruriks schwarz-roten Schild in der einen Hand, ein zusammengerolltes Schlaffell und lederne Satteltaschen in der anderen – Ruriks ganzer weltlicher Besitz.

„Die Leibeigene hat eine fremde Sprache gesprochen“, sagte Björn. „Stammt sie aus einem Wüstenreich?“

Rurik sah zu den Bäumen hinüber, wo die Maid einem Pferd über das Maul strich. Mit dem Blick folgte sie Gunnar, der einen bewusstlosen Mann in die Scheune zerrte. Das glänzende, glatte schwarze Haar fiel ihr bis zur Taille hinab. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit vollen Lippen und eine seidige Haut, auch wenn sie mit ihrer starken Nase keine Schönheit war.

Hatte ein grausamer ausländischer Ehemann ihren Trotz sattgehabt und sie verkauft? Er konnte sich bessere Methoden vorstellen, um den Hochmut der Frau zu brechen.

„Ich weiß nur, dass sie stolz ist und nicht auf mich gehört hat, als ich ihr befohlen habe, bei den Bäumen zu warten.“

Und meine Hilfe bedeutet ihr viel. Das würde er für sich behalten.

„Wohin will sie denn?“

„Nach Paris.“

„Es ist lange her, dass wir das letzte Mal dort waren.“

Ich habe ihr für ihre Warnung eine sichere Reise versprochen.“ Er sah seinen Stellvertreter an und fügte mit eisiger Stimme hinzu: „Sorg dafür, dass die Männer das wissen.“

Björns Augenbrauen verschwanden hinter dem Rand der Augenöffnungen in seinem Helm. Der unausgesprochene Anspruch war klar – die Frau gehörte Rurik. Kein anderer durfte sie anfassen.

„Ich sage es den Männern, wenn ich ihnen erkläre, dass wir über Paris nach Rouen reiten werden.“

„Nein.“ Ruriks Lächeln wurde schmaler. „Wir machen uns wie geplant auf den Weg nach Rouen. Ich habe ihr eine sichere Reise versprochen. Wohin habe ich nie gesagt. Sag den Männern, sie sollen mitspielen, wenn sie etwas von Paris sagt.“

Die Hühner kehrten pickend auf den Hof zurück. Die Flammen zischten, als Thorvald Öl in das Inferno goss. Von der blutbefleckten Erde und den brennenden Pfeilen und Bogen abgesehen musste jeder Besucher dies hier für einen verschlafenen Außenposten halten.

„Du willst … die Frau behalten?“ Björn sah sich auf dem Hof um, während er mit leiser Stimme sprach.

„Fürs Erste. Wenn es mir gefällt.“ Rurik trat auf einen kleinen Stein, den er in die weiche Erde grub. „Sie könnte eine schöne Belohnung bringen, wenn man sie ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückbringt, allerdings behauptet sie, sie sei eine Leibeigene.“

Björn schnaubte. „Wenn sie eine Leibeigene ist, bin ich der König von Paris.“

„Leibeigene oder nicht, wir können nicht sicher sein, dass sie einem reichen Mann gehört oder dass er sie zurückkaufen will.“

„Die Wahrheit herauszufinden ist dann deine Aufgabe.“ Björn grinste breit. „Und du solltest die Ware prüfen, ehe du sie zurückbringst, das kann dir niemand verwehren.“

Die Wahrheit herausfinden

Rurik sah blinzelnd in die Ferne. Die Täuschung nagte an ihm wie ein Wurm in seinem Inneren. Er jonglierte schon mit Wahrheit und Lüge, seitdem er sich in Hedeby mit Wilhelm Langschwerts Halbbruder Ademar getroffen hatte. Dass ein mächtiger Jarl Ruriks Gefolgschaft suchte, war an sich keine Überraschung für ihn. Das Angebot des Jarls aber schon – fruchtbare Ländereien, die so groß waren, dass man zwei Tage brauchte, um einmal um sie herumzureiten.

Land kostete Blut und Gewalt … Männer wie er bekamen es nicht geschenkt.

Ademar hatte nichts von Ländereien für die Vergessenen Söhne gesagt – so hatten Rurik und seine Männer sich seit ihrer Kindheit in Birka genannt. Rurik hatte jahrelang an der Seite dieser Männer gekämpft, sie hatten einander beigestanden, jede Belohnung und jeden Handel miteinander geteilt. Er war ihr Anführer, aber er nahm sich nie den Anteil eines Anführers. Kein einziges Mal. Er konnte sein Recht anführen, Landmann zu werden. Aber die Männer würden nicht bleiben. Die Söhne waren auf Ruhm aus wie die meisten Wikinger, sie plünderten und zogen von einem Königreich ins nächste. So hatte Vlad es auch gehalten. Er war gegangen und nie zurückgekommen … erbärmlicher Vater, der er gewesen war.

Vlad zog die Gesellschaft von Kriegern der seiner Kinder vor.

Rurik hatte inzwischen einen anderen Blick auf das Leben.

Ruhm wurde durch Land begründet. Genau wie eine Familie. Wikinger, die ihren Samen in Wikingererde säten. Er würde ein Vater sein, der blieb. Er würde die Ländereien nehmen und vor dem Jarl von Rouen einen Eid leisten, der die Söhne auseinanderriss, aber er würde nicht teilen. Weder das Land noch die Frau. Nicht, solange er nicht mit ihr fertig war.

Erik und Thorfinn verließen die Festhalle mit zwei ledernen Taschen. Die Vorräte. Thorvald und Gunnar, denen der leichte Sieg zu Kopf gestiegen war, amüsierten sich über einen Scherz. Gunnar warf einen Armvoll Waffen in den Brunnen auf dem Hof. Das schadete dem Wasser nicht und wenn Sothrams verschlagene Männer sich befreit hatten, würden sie viel Zeit damit verbringen, nach den wertvollen Äxten, Messern und Schwertern zu angeln, anstatt den Söhnen hinterherzujagen.

Rurik fuhr sich mit einer Hand über den Mund und lächelte. Sothram und die Frau mit den Bernsteinaugen hatten zur Hälfte recht. Er war ein Barbar, der von der Macht seiner Hand lebte, aber er hatte das eine oder andere darüber gelernt, wie man seinen Kopf benutzte.

„Diese Leibeigene“, sagte Björn, „hat die auch einen Namen?“

Rurik musterte die schwarzhaarige Frau, die hochaufgerichtet auf einem Felsen saß. „Ich habe sie nicht gefragt.“

Der Riese von Vellefold lachte so laut, dass die anderen zu ihm herüberblickten. „Du kannst wirklich mit Frauen umgehen.“ Er machte sich auf den Weg in die Scheune. Die Hühner stoben gackernd zur Seite, als er blaffte: „Männer. Neuer Plan.“

Der, den sie Rurik nannten, nahm seinen Männern zwei Ledertaschen ab. Er hängte sich die Taschen über die Schulter und machte sich mit langen Schritten auf den Weg zu ihr. Die anderen Männer versammelten sich um das Feuer, das in der Nähe der Scheune brannte. Sie alle waren mehr oder weniger blond, von dem Schwarzhaarigen, den sie Erik nannten, abgesehen. Sein Gesicht trug den Stempel Roms.

Für die Vergessenen Söhne gab es keinen gemeinsamen Namen. Kämpfer? Abenteurer? Händler? Sie hatte gehört, dass es sieben gab, aber sie zählte nur sechs. Sie waren ähnlich gekleidet – von Kopf bis Fuß in Schwarz. Auf ihren Lederwesten schimmerten eiserne Nieten, jeder der Männer trug den gleichen teuflischen Wolf auf der Brust. Aber es wäre dumm gewesen, zu behaupten, dass Kleider Leute machten.

Diese Krieger waren von einem harten Leben geschmiedet worden. Ihre langen Glieder trugen starke Muskeln. Ihre Blicke waren wild und unerschrocken, sie waren Männer, die sich zuerst nahmen, was sie wollten, und dann um Erlaubnis baten.

„Nordmänner“, sagte sie tonlos.

Warum waren sie alle so riesig?

Und grob.

Sie rieb sich die Hüfte. Ruriks Hand hatte dort einen Abdruck hinterlassen, der sich fast wie ein Brandzeichen anfühlte, eine einzelne seiner Berührungen war ein Befehl. Es hatte funktioniert. Sie hatte sich gefügt. Doch er war trotzdem sanft gewesen, als ob die Liebkosung ihn nährte. Jetzt waren diese starken Hände damit beschäftigt, mit vernarbten, beweglichen Fingern Taschen auf ein Packpferd zu binden.

Safira stand auf und der Blick des Wikingers traf sie für einen Wimpernschlag, sodass ein Schauer ihre Haut überlief. Zwischen ihnen lagen nur wenige Schritte, aber er schwieg, während er die Lederriemen verknotete.

War das ein Spiel der Willenskraft? Wer zuerst das Wort ergriff?

Sie räusperte sich, aber er ging um das Packpferd herum, ohne sich um sie zu kümmern. Verfluchter Mann. Das sonnengebleichte Haar hing, von einem ledernen Band gehalten, dick wie ein Fuchsschwanz über das Schwert auf seinem Rücken. Er streckte die Arme, während er beiläufig seine Kraft unter Beweis stellte, als Rurik einen Sattel zurechtrückte. Seine festen Muskeln bewegten sich mit geschmeidiger Anmut, aber der Wikinger war mehr als nur ein Kraftpaket. Geschulte Kraft ballte sich unter seiner gegerbten Haut zusammen, seine Sehnen spielten in den nackten Schultern, die unter seiner Weste hervorsahen. Oben auf einer Schulter war das zerschnittene Leder mit Blut getränkt.

„Das sollte sich jemand ansehen.“

„Was ansehen?“ Er duckte sich unter dem Hals des Pferdes hindurch, aber sie hatte im Profil trotzdem sein flüchtiges Lächeln gesehen.

Er wusste, dass sie ihn beobachtet hatte, und er hatte gewartet.

Sie verdrehte die Augen, weil sie das Wort ergreifen musste, ehe sie zu seinem schwarzen Streitross ging und über den Sattel spähte. „Ich rede von der Wunde in deinem Nacken, Wikinger.“

„Dafür haben wir keine Zeit.“

Seine Stimme hatte einen sanften Klang, ganz anders als das dröhnende Organ von Björn oder Thorvald, war aber trotzdem tief und angenehm. Er gab Befehle. Björn sorgte dafür, dass sie ausgeführt wurden. Bei diesen eng verbundenen Kriegern herrschte strenge Disziplin. Sie hatte gehört, dass sie umherzogen und kämpften und nie lange an einem Ort blieben. Für Rurik war sie wahrscheinlich nur eine Ware, die nach Paris befördert werden musste.

War es nicht das Beste so?

Sie trommelte mit den Fingern auf den Sattel und sagte unvermittelt: „Was Sothram über mich sagt, ist nicht wahr.“

„Wie zum Beispiel?“ Er sah sie an. Seine Augen hatten die Farbe eines im Sturm aufgepeitschten Sees. Sein Blick war hart, unnachgiebig, klug.

Unter ihrem Gewand bekam sie eine Gänsehaut. Rurik, ein grober Krieger aus dem Land aus Eis, versengte sie. Die Frauen in Sothrams Haus hatten flüsternd von ihm erzählt, dem ehemals verarmten Wikingerjungen aus Birka, der jetzt ein Mann war, dessen Kampfkunst überall respektiert wurde. Er kam aus der niedersten Schicht, hatte sich aber durch Willenskraft erhoben.

Und sie setzte ihr Vertrauen – zum größten Teil wenigstens – in ihn.

„Raus damit, Süße“, sagte er. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

„Ich meine, dass Sothram behauptet hat, ich hätte die Zunge einer überheblichen Schlange.“

Rurik stützte sich mit beiden Unterarmen auf das Pferd, das zwischen ihnen stand. „Wir werden sehen.“

„Es gibt nichts zu sehen. Ich teile meine Gedanken, wann immer sie … hilfreich sind.“

Er lachte trocken, dabei verrieten seine breiten Wangenknochen, dass er slawisches Blut in den Adern hatte. „In der Kürze der Zeit, die ich dich kenne, hat sich mir überheblich aufgedrängt. Oder stolz. Nicht hilfreich.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, seine verächtliche Haltung brannte wie Feuer in ihrem Bauch. „Vergiss nicht, dass ich dir geholfen habe, deine Pelze zu retten, und dich davor gewarnt habe, dass Sothram vorhatte, dich und deine Männer zu töten.“

Ruriks Wundwinkel zuckten unter seinen Bartstoppeln. „Es war nicht ganz selbstlos, dass du zu mir gekommen bist. Diese Vereinbarung ist von Nutzen für dich.“

Sie ließ ihre Fersen zu Boden sinken und wandte den Blick ab. Er hatte recht. Er war ihr Weg in die Freiheit. Ohne den Schutz des Kriegers war es so gut wie unmöglich, nach Hause zu kommen.

„Du solltest wenigstens wissen, dass ich den Mund halte, wenn ich mich in einem Thema nicht auskenne.“

„Es wäre das erste Mal“, sagte er und kam um das Pferd herum, um sich vor ihr aufzubauen. „Eine Frau, die den Mund halten kann. Du hast die ganze Reise Zeit, das zu beweisen.“

Der Wikinger nahm ihr die Luft zum Atmen. Zwischen Tieren und dem Mann eingeklemmt konnte sie nirgendwohin ausweichen. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und war sich sehr bewusst, dass sie eine Frau war, die mit einem Mann allein war.

Sie streichelte sein Pferd. „Dir liegt nichts an Gesprächen?“

„Mir sind Frauen lieber, die schweigen.“

„Wie das Hermelin“, sagte sie schlicht. „Lässt sich leicht befördern. Sagt nichts.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Wir verstehen uns.“

Der Wind spielte mit Ruriks Haar und sie sah, dass ein Stück von seinem linken Ohr fehlte. Der geifernde Wolf, der in seine Brust geschnitzt war, war mit Blut beschmiert. Das wilde Wesen mit den weit aufgerissenen Augen fesselte ihre Aufmerksamkeit, so wie ein Schlangenbeschwörer eine Viper aus ihrem Korb lockte.

Das Zeichen des Wolfs.

Ehe man sie entführt hatte, hatten besorgte Gerüchte in Paris die Runde gemacht, über Wölfe, die sich William Langschwert angeschlossen hatten, dem Grafen von Rouen, wie die Franken ihn nannten, dem Jarl und Häuptling der Wikinger. Es hieß, dass William Langschwert, der Sohn von Rollo, nach mehr Land dürstete. Die Bewohner der Pariser Zitadelle hatten Angst, dass der Sohn den Weg seines Vaters weitergehen würde, dass er die Christen überfallen und von ihnen ein Danegeld in Gold und Silber verlangen würde, damit er sie in Ruhe ließ.

Stand sie gerade vor Langschwerts neuem Lieblingswolf? Einem Mann, der eines Tages kommen und ihr Haus anzünden würde?

Rurik hatte noch etwas zu ihr gesagt, aber sie hörte kein einziges Wort, bis zu: „… du könntest das Bett mit mir oder mit einem von meinen Männern teilen.“

Sie hob ruckartig den Kopf. „Was hast du gesagt?“

Sie blinzelte flatternd. Hielt er sie doch für eine Frilla, wie er heute Morgen gesagt hatte? Sie hatte den Ausdruck gelernt, den die Wikinger dafür benutzten, und wusste um die Leere, die er enthielt. Konkubine. Trostfrau. Ein namenloses, gesichtsloses Objekt fleischlicher Lust. Das würde sie nicht zulassen. Rurik hatte ihre Vereinbarung so dargestellt, als ginge es nur um praktische Fragen, doch er kniff die Augen zusammen, ernst, unnachgiebig – die Augen eines Jägers, ehe er zuschlug.

Sie fröstelte und bekam eine Gänsehaut. Es bestand kein Zweifel daran, wer seine Beute war.

Aus der Scheune war das Gelächter von Männern zu hören. Die Krieger beendeten ihre Auseinandersetzung und waren auf dem Weg zu ihnen. Ihr Magen zog sich heftig zusammen. Sklavinnen waren Freiwild für die Lust der Wikinger.

Sie musste unberührt nach Hause zurückkehren. Das Wohlergehen von vielen hing davon ab.

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