Der Boss und die Eiskönigin

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Penny hat ein delikates Geheimnis. Um jeden Preis will sie es für sich behalten, viel zu viel hängt davon ab! Aber das wird schwierig, als ihr Boss, der charmante Dr. Ethan Lewis, ihr tief in die Augen schaut. Ausgerechnet Ethan … Ahnt er, was sie vor ihm verbirgt?


  • Erscheinungstag 22.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716523
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Aber die Patienten, die mochten sie.

Chefnotarzt Ethan Lewis blickte von seinen Notizen auf, als eine junge Frau eine ältere Dame im Rollstuhl zum Dienstzimmer schob. Die Dame im Rollstuhl trug noch ihr Patientenarmband, hielt die Medikamententüte für frisch Entlassene und eine Süßigkeitenbox in den Händen und fragte nach Penny Masters.

„Ich denke, Frau Doktor macht Mittagspause“, erklärte Lisa, die Stationsschwester. „Ich schaue aber mal, ob ich sie finde.“

„Ach nein, stören Sie sie nicht. Meine Mutter wollte ihr nur das hier als Dankeschön geben. Sie war ja ganz wunderbar, als Mum eingeliefert wurde.“

„Ist doch kein Problem“, sagte Lisa und griff zum Haustelefon. „Ich denke mal, sie ist in ihrem Büro.“

Ja, klar, dachte Ethan für sich. Während andere im Pausenraum lunchen, verzieht Penny sich ins Büro, arbeitet Liegengebliebenes auf. Schon den ganzen Tag wollte er mit ihr sprechen. Mal locker etwas bereden, sie um einen Gefallen bitten. Doch locker reden, wie Ethan langsam merkte, war mit Penny gar nicht möglich. Seit mehr als drei Monaten arbeitete er in der Notaufnahme des Peninsula Hospital. Die stark ausgelastete Strandklinik sicherte die medizinische Versorgung einiger Küstenvororte Melbournes. Im Team der Notaufnahme waren fast alle nett und kollegial und kamen gut mit Ethans entspannter Art zurecht.

Fast alle.

Er sah Penny herüberkommen. Mustergültig, wie gewohnt. Zierlich und schlank. Das glatte blonde Haar ordentlich zusammengebunden. Und zum knielangen blauen Wickelkleid trug sie trendige, flache Schuhe. Eine Art weibliches Business-Outfit, was auf der Station eher unüblich war – die meisten Kollegen, Ethan eingeschlossen, bevorzugten bequeme und praktische Krankenhauskluft. Penny achtete immer auf Schick und schlüpfte für alles und jeden in Handschuhe und OP-Kittel.

„Mrs Adams, freut mich, dass Sie wieder so gut aussehen“, sprach Penny ihre ehemalige Patientin gleich mit dem richtigen Namen an. Und ohne dass man ihn ihr hatte nennen müssen, wie Ethan feststellte. Penny wusste ihn. Ansonsten jedoch lächelte sie zwar freundlich, aber rein professionell. Gab auch nicht die Hand. Blieb allerdings stehen und erkundigte sich, wenn auch mehr beruflich interessiert, nach dem Befinden ihrer Patientin, als sie hörte, dass die Tochter noch Fragen zu den Medikamenten ihrer frisch entlassenen Mutter hatte. Also ging sie alle Mittel mit ihr durch, erklärte alle einfach und verständlich.

„Vielen Dank, nun hab ich’s verstanden“, sagte Mrs Adams’ Tochter. „Ich wollte bloß nicht dauernd bei der Schwester nachfragen.“

„Nein, bitte fragen Sie immer unbedingt.“

Ja, die Patienten, die liebten Penny.

Die störte es überhaupt nicht, dass sie peinlich pingelig war und unglaublich stur auf ihren Behandlungsplänen beharrte.

Es waren die Kollegen, die sich mit ihr herumärgerten. Wollte Penny bei einem Patienten viertelstündliche Kontrollgänge, ließ sie keine Entschuldigung gelten, wenn sie versäumt wurden. Orderte Penny Schmerzmittel, interessierte es sie nicht, dass man eventuell am Medikamentenwagen anstehen musste. Oder gerade keiner die korrekte Dosierung checken konnte. Ihr Patient brauchte ja alles sofort.

Penny begleitete Mrs Adams und ihre Tochter zum Ausgang, wechselte einige Worte und kam dann zurück.

„Na, was hast du denn gekriegt?“, empfing Schwester Jasmine, die gleichzeitig auch Pennys echte Schwester war, sie neugierig.

Penny blickte auf die Packung in der Hand. „Macadamianüsse in Schokolade.“ Sie streifte das Zellophan ab. „Die lass ich hier. Da kann sich jeder bedienen.“

Besonders nett ist sie ja nicht zu ihrer Schwester, dachte Ethan, als Penny die Schokonüsse auf den Tisch legte und wieder zur Tür ging. Hätte man es ihm nicht gesagt – er wäre nie darauf gekommen, die beiden könnten überhaupt miteinander verwandt sein.

Jasmine war dunkelhaarig und kurvenreich, Penny blond und ganz schlank.

Jasmine lächelte, gab sich freundlich, kollegial. Penny dagegen war zugeknöpft und auf Abstand bedacht. Ethan war nur nicht bereit, sich an ihre unausgesprochenen Distanzregeln zu halten.

„Kann ich mal kurz mit Ihnen reden, Penny?“, rief er ihr hinterher.

„Eigentlich mach ich gerade Mittagspause“, rief sie zurück.

So langsam war Ethan nun doch anzumerken, dass er im Sternzeichen Stier geboren war. Seine braunen Augen funkelten gereizt, und wären die sprichwörtlichen Hörner tatsächlich unter seinem dichten schwarzen Haar versteckt gewesen, so hätte Penny jetzt einen Blick darauf erhaschen können. Es brauchte zwar einiges, damit Ethan derart aus der Ruhe geriet – aber Penny schaffte es allmählich. Dass es Probleme geben würde, war Ethan allerdings klar, noch bevor er die Stelle antrat. Denn außer ihm hatten sich noch zwei Stationsärzte um den Chefposten beworben.

Jed, Jasmines frisch angetrauter zweiter Ehemann.

Und Penny.

In Anbetracht dieser starken Konkurrenz war Ethan einigermaßen erstaunt gewesen, als man ihm den Job anbot. Okay, Jed wechselte an eine große Cityklinik. So viel wusste Ethan mittlerweile. Penny aber blieb, und ja, die Situation war schwierig. Immer wieder sagte er sich, dass Pennys Selbstwertgefühl wohl angekratzt war und sie noch Zeit brauchte, bis sie ihn in der Funktion akzeptierte, die sie eigentlich angestrebt hatte.

Tja, nun wurde es mal Zeit. Irgendwann musste Penny sich mit der Tatsache abfinden, dass er der Boss war. Als Penny sich wieder in die Pause verabschieden wollte, kehrte Ethan erstmals entschlossen den Vorgesetzten heraus.

„Gut.“ Er sah ihr in die kühlen blauen Augen. „Sowie Sie aber damit fertig sind, richten Sie es bitte ein, zu mir zu kommen, ja? Ich muss mit Ihnen sprechen.“

Sie zuckte nur einmal kurz, ehe sie nachfragte: „Und in welcher Angelegenheit?“

Nein, so was wie locker reden, das war mit Penny nicht möglich. „Nächstes Wochenende hab ich Bereitschaft. Wäre es möglich, dass Sie mich Sonntagnachmittag ein paar Stunden vertreten? Ich möchte mit meinem Cousin zu einem Footballspiel und …“

„Ich habe schon etwas vor“, unterbrach ihn Penny, noch bevor er es näher erklären konnte. „Sorry“ fügte sie nicht hinzu.

Das machte Penny nie.

Sie wandte sich zum Gehen. Und Ethan spannte den Kiefer an und rang, was ihm selten passierte, um Fassung. Es juckte ihn in den Fingern, sie auf die Schulter zu tippen, ihr zu sagen, dass er nicht bloß fragte, weil seine Mannschaft am Wochenende spielte, sondern weil sein Cousin auf der Warteliste für Herztransplantationen stand.

Aber brachte es ihm wirklich was, bei Penny die Mitleidskarte zu ziehen? Das konnte er sich doch schenken. Ethan sammelte sich kurz – lächelte sogar, als Penny abmarschierte.

„Na, hast du sie ausgespielt?“, würde Phil fragen, wenn er ihn am Abend anrief.

„Nein.“

„Gut. Heb sie dir für Frauen auf, die du rumkriegen willst“, würde er erwidern.

Ja, es war ein makabres Spiel. Aber eins, das Phil durchhalten und sie gelegentlich zusammen lachen ließ.

Nein, für Penny zückte er sicher nicht die Mitleidskarte.

„Sonntag bringen wir unsere Mutter zum Flughafen.“ Jasmine sprang auf, um sich von den Schokonüssen zu nehmen, und lieferte die Erklärung nach, die Penny nicht gegeben hatte. Als ob sie es für ihre schwierige Schwester noch irgendwie geradebiegen wollte. Doch Penny war nicht schwierig – sie war ein Eisblock! „Schon ewig so geplant.“

„Kein Problem.“ Ethan widmete sich wieder seinem Schriftkram, während Jasmine sich schnell eine zweite Handvoll Schokonüsse einsteckte und hinausging.

„Sie könnten vielleicht Gordon fragen“, schlug Schwester Lisa vor, als sie mit Ethan allein im Zimmer war. Denn Ethan hatte ihr vor ein paar Tagen von seinem Cousin erzählt.

„Mal sehen“, antwortete Ethan. Gordon hatte drei Söhne und wurde bald wieder Vater. „Der braucht sein Wochenende mit der Familie genauso wie Penny.“ Ethan konnte sich eine gewisse Schärfe nicht verkneifen, als er ihren Namen aussprach.

„Sie wissen es nicht, oder?“ Lisa war zwar gerade dabei, den Pflegedienstplan aufzustellen, hatte aber auch den frostigen Wortwechsel zwischen Penny und Ethan mitbekommen. Und da sie beide Seiten kannte, konnte Lisa auch beide verstehen. „Vor einigen Monaten wurde die Mutter von Jasmine und Penny mit Herzstillstand bei uns eingeliefert. Und die beiden hatten gerade Dienst.“

Ethan verzog das Gesicht. Für alle Kollegen in der Notaufnahme war es das Katastrophenszenario überhaupt: einen guten Freund oder nahen Verwandten behandeln zu müssen. „Konnten Sie die beiden denn raushalten?“

„Schwerlich! Na ja, wir schafften es, Jasmine bei der Reanimation außen vor zu lassen. Zumindest sie hat es damit nicht so krass mitbekommen wie Penny.“ Lisa legte ihren Stift hin und erzählte Ethan, was an jenem Tag passiert war.

„Als die Sanitäter Mrs Masters hereinrollten, zog Penny sich gerade für den OP um“, begann Lisa. „Ähm, Sie wissen ja, was für eine Prozedur das immer bei ihr ist.“ Lisa verdrehte die Augen. „Penny allein verbraucht fast unser halbes Kontingent an Kitteln. Na ja, jedenfalls brüllt sie normalerweise immer gleich ihre Anweisungen. Das haben Sie bestimmt schon mitgekriegt. Deshalb wusste ich auch sofort, dass etwas nicht stimmte. Penny stand nämlich nur wie erstarrt da. Rief nach Jed – er war an dem Tag der zweite Stationsarzt –, der versorgte aber einen anderen Patienten. Und dann erfuhr ich von Penny, dass die eingelieferte Frau ihre Mutter war. Und irgendwie schaffte sie es, sich zusammenzureißen. Begann mit der Reanimation, als hätte sie irgendeine Fremde vor sich. Hörte erst auf, als Professor Dr. Dean, den wir zwischenzeitig alarmiert hatten, sie ablöste. Und sie bat mich dann, Jasmine nicht dazuzuholen.“

Lisa lächelte schief. „Bis dahin wusste ich nicht mal, dass Penny und Jasmine Schwestern waren. Penny hält ihr Privatleben gern aus der Arbeit heraus.“

„Hab ich bereits mitbekommen.“

„Diese Kreuzfahrt ist eine große Sache für die Mutter. Verstehen Sie jetzt, warum Penny nicht tauschen konnte?“

„Ja“, antwortete Ethan und machte sich nachdenklich wieder an seine Aktenarbeit. Das eigentliche Problem lag doch woanders: Warum hatte Penny ihm das nicht erzählt?

Er hörte auf zu schreiben, nahm ein paar Schokonüsse – und dann kam er drauf: Genau wie er hatte auch Penny die Mitleidskarte nicht ausspielen wollen.

1. KAPITEL

„Hast du mal daran gedacht, ein paar aus dem Team einzuweihen?“

Penny schloss entnervt die Augen, ohne auf ihre Schwester einzugehen. Unmöglich! Das war ja wohl das Allerletzte, wenn nun auch noch die Kollegen erfuhren, dass sie sich einer In-vitro-Fertilisation unterzog.

Und zwar schon wieder.

Es war schlimm genug, dass ihre Mutter und ihre Schwester davon wussten. Die Privatsphäre ging Penny nämlich über alles. Und Jasmine, die ihr bald wieder jeden Abend ihre Injektion verabreichen würde, hatte Penny sich überhaupt nur deswegen anvertraut, weil ihr Spritzen wirklich panische Angst machten.

Okay, ohne Jasmines Hilfe war sie praktisch aufgeschmissen. Und Penny fand es schon auch großartig, wie ihre Mum und ihre Schwester sie unterstützten.

Dennoch gab es Momente, in denen sie wünschte, sich nie darauf eingelassen zu haben, auf diese Art ein Baby zu bekommen. Momente, in denen sie nicht mehr darüber sprechen wollte. Nicht mehr hören wollte, dass die beiden ihr ganz fest die Daumen drückten. Es ihr einfach zu viel war, sie ständig auf dem Laufenden zu halten. Und richtig gehasst hatte sie dieses Mitleiden, als es nicht klappte. Natürlich wollten beide Penny da trösten und sie verstehen. Was sie gar nicht konnten – sie hatten ja ihre Babys gekriegt.

„Es wäre aber vielleicht wirklich keine so schlechte Idee, ein paar Leute wissen zu lassen, was du gerade durchmachst“, riss Jasmine sie wieder aus ihren Gedanken, und Penny blieb kurz stehen.

Die beiden Schwestern hatten ihre Mutter am Flughafen von Melbourne auf die lang ersehnte, große Auslandsreise verabschiedet und spazierten nun in der Abendsonne ganz in der Nähe des Strandabschnitts entlang, an dem sie auch beide wohnten. Penny in einem der dort vor ein paar Jahren neu gebauten schicken Townhouses mit einem wunderbaren Blick auf die Bucht. Jasmine etwas weiter hinten, zusammen mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Jed und ihrem kleinen Sohn Simon aus Jasmines erster Ehe. Das junge Paar suchte gerade intensiv nach einem neuen Haus, das irgendwo auf halbem Weg zwischen der City, wo Jed jetzt arbeitete, und dem Peninsula Hospital liegen sollte.

„Nein …“, widersprach Penny und lief weiter. „Selbst meine besten Freundinnen verstehen es nicht richtig. Coral findet mich egoistisch. Bianca sagt zwar, dass ich es machen soll, wenn es das ist, was ich will, aber …“ Penny schluckte. „Nein, wenn ich es nicht mal mit denen bereden kann, wie soll das dann mit den Kollegen gehen?“

„Gerade Stationsschwester Lisa wäre wirklich gut.“

„Lisa ist leitende Krankenschwester. Ich bin keine Krankenschwester.“

„Sie wird aber wohl ein bisschen auf dich achten können.“

„Auf mich muss man nicht achten.“

Jasmine war sich da nicht so sicher. Sie merkte doch, dass Penny die Behandlung mitnahm. Und wollte ihr so gern helfen. Auch wenn sie sich nie besonders nahegestanden hatten – Penny war ja immer die große Schwester gewesen, die auf die jüngere aufpasste. Die die kleine beschützte, wenn ihre Eltern sich wieder mal fürchterlich stritten. Die alles dafür tat, als ihr Vater sie verließ, dass Jasmine nicht mitbekam, wie schlecht es ihrer Mum ging. Und als diese in der Notaufnahme eingeliefert wurde, handelte Penny wieder so – und ersparte es Jasmine, auf dieselbe Weise von dem bedrohlichen Zustand der Mutter zu erfahren wie sie.

„Ich meine, für dich ist das alles noch etwas neu, Jasmine“, ergänzte Penny. „Aber ich lebe seit Jahren damit. Ich weiß schon ewig, dass ich Fruchtbarkeitsprobleme habe.“

„Wie lange habt ihr’s denn versucht, Vince und du?“

Penny hörte Jasmines Unsicherheit heraus. Sie arbeiteten beide an ihrer Beziehung zueinander. Doch es gab immer noch Themenbereiche, über die sie, wenn überhaupt, nur selten sprachen.

„Zwei Jahre“, antwortete Penny.

Im ersten hatten sie es wirklich ernsthaft gewollt. Im zweiten unzählige Untersuchungen und Arztbesuche hingenommen. Und dann war ihre Beziehung der Belastung nicht mehr gewachsen gewesen.

„Wir haben uns aber nicht nur deswegen getrennt“, räumte Penny ein. „Auch wenn es sicher dazu beigetragen hat.“ Sie lächelte schief. „Die IVF hätten wir nie durchgestanden. Die bringt nicht gerade das Beste in einem zum Vorschein.“

„Wie fühlst du dich diesmal?“, wollte Jasmine wissen.

„Schrecklich“, gestand Penny. „Ich habe Hitzewallungen.“

„So richtige?“

„Ja. Diesen Teil hatte ich ganz vergessen. Ich meine, die ganze Zeit denkst du, das vergisst du nie, und dann passiert es doch.“

Jasmine wollte ihrer Schwester beipflichten, da drehte Penny um, wollte zurück.

Penny wusste nämlich, dass Jasmine ihr genau das auch eingestehen wollte, wenn auch aus völlig anderen Gründen: Jasmines Brüste waren sichtlich größer geworden. Und obwohl sie am Flughafen nichts gegessen hatten, wollte Jasmine nicht, dass Penny beim Lieferservice anrief und etwas zum Abendessen bestellte. Hatte sogar die Nase gerümpft und eher für einen kleinen Strandspaziergang plädiert.

Jasmine war schwanger.

Penny wusste es einfach.

„Also, ich kann darauf verzichten, dass mir die ganze Abteilung ständig auf den Bauch starrt und neugierig auf meine Babykugel lauert“, regte Penny sich über das auf, was bei ihr und Jasmine genau umgekehrt war. Angestrengt hatte sie versucht, einfach wegzuschauen. Aber die Anzeichen waren langsam so unübersehbar, dass Penny wünschte, Jasmine rückte endlich damit heraus und erzählte es ihr.

„So wäre es nicht.“

„Und ob“, blaffte Penny. „Und natürlich wollen alle ihre Meinung kundtun. Philosophieren, ob es richtig ist, weil ich ja ohne Partner bin.“ Sie schnaubte verärgert. Die Entscheidung hatte sie sich auch nicht leicht gemacht, ganz und gar nicht. Aber sie war jetzt vierunddreißig. Und weit und breit kein Mr Right in Sicht. Und selbst wenn er noch auftauchte, wäre es mit ihren Fruchtbarkeitsproblemen ein Krampf, schwanger zu werden.

In der Kinderwunsch-Sprechstunde war Penny auch gewesen. Mehrmals. Und nach einigen langen Beratungen hatte sie immer stärker das Gefühl, als würde ihre Zeit knapp. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn es ein ‚Ende gut, alles gut‘ gibt, erzähle ich es allen. Von meinen Versuchen muss keiner wissen.“

„Aber die Behandlung ist so anstrengend. Wenn sie nur eine Ahnung …“

Penny ließ Jasmine nicht ausreden. „Du gehst doch auch nicht in den Pausenraum und verkündest, dass du die Pille abgesetzt und in der Nacht Sex mit Jed hattest.“ Jasmine lachte auf, Penny redete weiter. „Nein, du fütterst die Haie, wenn du was hast, und lässt dich nicht selbst fressen.“ Penny hielt inne, wartete, dass ihre Schwester sich ihr anvertraute, doch Jasmine wechselte das Thema.

„Ist es nicht einfach unglaublich, dass Mum es endlich auf ihre Kreuzfahrt geschafft hat?“ Sie lächelte. „Obwohl … noch sitzt sie ja im Flieger.“

„Danach auf dem Schiff. Das schafft sie schon.“ Für Penny stand es außer Frage.

„Und wenn was passiert, mitten auf dem Meer?“

„Es gibt ein medizinisches Team an Bord“, antwortete Penny, aber das beruhigte ihre Schwester natürlich nicht. „Jasmine, willst du dir den ganzen nächsten Monat alle möglichen schlimmen Szenarien ausmalen, während es Mum sicher so gut geht wie nie?“

„Vermutlich“, gab Jasmine zu. „Ich dachte ja wirklich, wir würden sie verlieren.“

„Haben wir aber nicht“, widersprach Penny zu Recht.

Nachdem Louise Masters mit Herzinfarkt in die Notaufnahme kam, begann zwar eine extrem schwierige Zeit – doch es wurde alles wieder gut. Es machte aber auch allen Beteiligten noch mal sehr eindringlich bewusst, wie schnell es vorbei sein konnte, das Leben. Dass man absolut jeden Tag genießen sollte.

Weshalb ihre Mutter jetzt bald durchs Mittelmeer schipperte. Weshalb Jasmine auf ihr Herz gehört und Jed, Pennys damaligen Assistenzarztkollegen, in ihr Leben ließ. Und weshalb Penny momentan mit hochrotem Gesicht am Strand entlanglief, weil ihr diese verflixten Hitzewallungen immer wieder Schweißperlen auf die Stirn trieben. Was Jasmine allerdings nicht bemerkte. Ihre Gedanken waren abgeschweift.

„Wie findest du eigentlich Ethan, unseren neuen Oberarzt?“, wollte sie von Penny wissen. Die gab nur keine Antwort, regte vielmehr an, sehr zur Freude des kleinen Simon, der natürlich mitgewollt hatte, noch kurz barfuß durch die seichten Wellen zu spazieren.

Also nahmen sie Simon in ihre Mitte, hielten ihn an der Hand und schwangen ihn hoch über dem Wasser. Und endlich spürte Penny, wie sie ruhiger wurde. Die Hitze aus ihrem Gesicht wich. Ihr Herz nicht mehr so raste …

Und in dem Moment fragte Jasmine noch mal nach, wie sie Ethan fand.

„Ach, der hält sich doch für den Traum aller Frauen.“

„Es stimmen ihm aber auch so manche zu“, meinte Jasmine. Ethan war zwar noch nicht lange da. Doch nicht wenige Herzen schmachteten und seufzten schon. „Und er hat Humor.“ Jasmine grinste.

„Find ich überhaupt nicht“, widersprach Penny. Allerdings drängelte sie sich auch nicht zum Tratschen ins Schwesternzimmer oder wartete auf den neuesten Klatsch im Pausenraum. Penny konnte Gerede nicht leiden und weigerte sich, da mitzumachen. Obwohl das eine, das konnte sie jetzt Jasmine mal stecken. „Er denkt offenbar …“, platzte Penny heraus, „… er hätte mich bei der Stellenbesetzung ausgestochen.“ Sie grinste.

„Weiß er denn nicht von dir, dass du abgesagt hast?“

„Gott, nein!“, antwortete Penny. „Ich vermute mal, dass er es bei Jed weiß. Weil der ja den Job am Melbourne Central wollte. Doch stell dir mal vor, er erfährt, dass er eigentlich nur dritte Wahl war!“

„Er hätte es ja von Dean erfahren können, oder?“

„Dean würde nie über andere Bewerber sprechen – du kennst ihn.“ Penny verdrehte die Augen. Prof. Dr. Dean hatte sie jahrelang in die Mangel genommen. Er war ein ziemlicher Chauvi und hatte schon Vorbehalte, Penny überhaupt zur Stationsärztin zu befördern. Penny war sich ziemlich sicher, dass es daran lag, weil sie eine Frau war. Sie hatte ein paar Bemerkungen aufgeschnappt. Von wegen, dass man Frauen erst ausbildete und sie danach doch nur schwanger wurden. Aber Penny hatte sich bewährt. Und auch wenn Ethan vielleicht anders dachte – die Oberarztstelle war ihre gewesen. Und Penny hatte sie nur deshalb nicht angenommen, weil sie es einfach zu viel fand, obendrein auch noch die IVF anzugehen. Und sie war auch zunehmend froh deswegen.

„Ethan ist doch toll, oder?“ Jasmine knuffte sie. „So sexy.“

„Jasmine!“

„Was? Darf ich nicht mehr feststellen, dass jemand umwerfend aussieht? Bloß, weil ich verheiratet bin?“

Penny gab sich schulterzuckend geschlagen. Ja, Ethan Lewis sah umwerfend aus. Er hatte dichtes, seidig schwarzes Haar, das immer wirkte, als dürfe es gern noch einen Tag so lässig unfrisiert bleiben. Und bemerkenswert braune Augen. Er war sehr groß und breitschultrig und fiel allein deswegen auf. Er war auch ein kleiner Chauvi. Aber das störte offenbar keine Frau.

„Das Problem mit Ethan ist …“, erklärte Penny, „er weiß, wie toll er ist, und nutzt es dummerweise aus. Jemand sollte ihm mal auf die Stirn stempeln: ‚Kein Nestbauer!‘. Das hätte die Krankenschwester von der Intensiv, die dauernd bei uns auf der Station aufkreuzt und ihn sprechen will, vielleicht gewarnt. Und diese Physiotherapeutin bestimmt auch.“

„Na ja, zumindest tut er nicht so, als wäre er an was Ernstem interessiert“, warf Jasmine ein. „Ich habe mich neulich mal mit ihm unterhalten. Und mich dabei entschuldigt, weil ich immer wieder auf Simon kam. Aber er hat nur gelacht und gemeint, dass er mir da gerne zuhöre. Fast so, als hätte er selbst Kinder. Er ist echt nett.“ Jasmine seufzte. „Du solltest dir eine Affäre mit ihm gönnen.“

Sie hob ihren kleinen Sohn hoch, der langsam müde wurde. „Ja, das sollte sie, stimmt’s, Simon?“

„Lass Simon da raus.“ Penny lächelte ihren Neffen liebevoll an. „Und du, hör mir ja nicht auf deine Mummy.“

Simon lächelte zurück. Und weil er ganz vernarrt war in seine Tante, streckte er ihr die Ärmchen entgegen, damit sie ihn nahm, was sie auch tat.

„Du bist überhaupt an allem schuld“, bemerkte sie scherzhaft, meinte es aber ernst. Denn seit sie ihre Schwester schwanger gesehen und als glückliche Mutter erlebt hatte, war Pennys Gefühlswelt so durcheinandergeraten, dass sie unbedingt auch ein eigenes Baby wollte.

Jasmine schüttelte den Kopf und lächelte ihren Sohn an. „Und du, sag deiner Tante Penny mal, dass sie auf mich hören und ein bisschen Spaß haben soll. Und zwar bevor sie zu todmüde dazu ist und knöcheltief in vollen Windeln steckt.“ Jasmine sah wieder zu ihrer Schwester. „Nur diese eine wilde Affäre, ehe du schwanger wirst!“

„Ich hatte noch nie eine wilde Affäre und fange ganz sicher nicht jetzt damit an. Du hattest auch noch nie eine IVF, stimmt’s?“ Penny klang bitter. „Glaub mir, Ethan Lewis und Sex und wilde Affären sind das Allerletzte, woran ich gerade denke.“ Auf einmal musste Penny irgendwie doch lachen. „Stell dir mal vor, ich würde es machen und zwölf Wochen später verkünden, dass ich schwanger bin!“

„Oh, das Gesicht würde ich gerne sehen.“ Jasmine fand die Vorstellung auch lustig, wie der eingefleischte Junggeselle Ethan Lewis so vermeintlich plötzlich jeden Moment Vater wurde. „Er würde tot umfallen!“

2. KAPITEL

„Wo zum Teufel ist das Röntgengerät?“, blaffte Penny nachmittags darauf Jasmine so barsch an, wie sie es mit jedem tat. Bei der Arbeit herrschte eine rein professionelle Atmosphäre, und auf Gefühle wurde keine Rücksicht genommen.

Sie versorgten einen Patienten mit kongestiver Herzinsuffizienz, also einer verminderten Pumpfähigkeit des Herzens, und hatten Probleme, ihn zu stabilisieren, da er nicht auf die übliche Behandlung ansprach. Bei der Einlieferung bekam John Douglas kaum noch Luft, sein Herz raste bedrohlich, und in der Lunge hatte sich Wasser angesammelt. Mit derartigen Notfällen hatte Penny oft zu tun, und eigentlich war es für sie Routine. Diesmal allerdings kam erschwerend hinzu, dass John Nierenpatient war und regelmäßig in einem großen Citykrankenhaus zur Dialyse ging. In seinem Fall mussten die Medikamente höher dosiert werden. Um wie viel, das wollte Penny jetzt abklären.

„Ich möchte nur, dass Sie sich etwas vorbeugen, John“, bat Penny und horchte erneut den Brustkorb ab. Das Messgerät zur Sauerstoffsättigung schlug Alarm. Und dann kam Vanessa, eine weitere Krankenschwester. Sie brachte die Ergebnisse der Blutgasanalyse des Patienten, die Penny bestätigten, dass es wirklich nicht gut aussah. Die Sanitäter hatte sie bereits angepiept und gebeten, dringend zu kommen. Nun überlegte sie, auch schon den speziellen Crash-Alarm für den Herzstillstand auszulösen. Noch war es bei John zwar nicht so weit, konnte aber jede Sekunde passieren.

„Gib ihm noch vierzig Milligramm“, rief sie Jasmine zu, nahm ihr das Zögern nicht übel. „Er ist Nierenpatient. Braucht also mehr Diuretika.“

Sie checkte gerade vorsichtshalber, um ihre eigenen letzten Bedenken auszuräumen, die Dosierung gewissenhaft im Handbuch für Arzneiverordnungen, als Ethan auf sie zukam.

„Probleme?“, fragte er, und Penny versorgte ihn rasch mit allen wichtigen Infos.

„Der Patient spricht nicht darauf an. Und die Sanis sind auch nicht von der schnellen Sorte. Ich werde jetzt das Herzalarm-Team ausrufen.“

„Warten Sie kurz.“ Ethan überflog das Medikamentenblatt. Unlängst erst hatte er im Rahmen einer Rotation im Dialyse-Zentrum einer großen Cityklinik assistiert und wusste Bescheid über die Dosierungen. „Der Bolus ist noch zu niedrig und muss erhöht werden“, kommentierte er, nachdem er den Patienten schnell untersucht hatte.

Ethan bekam mit, wie Penny rot anlief, als er die Weiterversorgung übernahm. „Penny, bei meiner früheren Arbeit …“, fing er an. Aber eigentlich war keine Zeit für Erklärungen. Er wollte auch nicht den Patienten gefährden, nur weil er sich um Pennys Ego kümmern musste. Sie kochte vor Wut. Das konnte er sehen. Und er war versucht, ihr mit dem Finger über die flammenden Wangen zu streichen, um auszuprobieren, ob es dann zischte …

Autor

Carol Marinelli
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