Der italienische Tycoon und die Tänzerin

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Eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm stürmt in die Konferenz und behauptet, ihr verwaister Neffe sei Rafa Vieris Sohn! Eine Lüge, weiß der italienische Tycoon. Er hat Ivy Bennetts Schwester nicht gekannt. Aber um neugierigen Reportern zu entkommen, schlägt er vor, dass Ivy und der Junge den DNA-Test auf seinem Castello abwarten. Doch Rafas Plan misslingt: Erst wird das Verlangen zwischen ihm und der unkonventionellen Tänzerin unzähmbar, dann behauptet die Presse, er würde sein uneheliches Kind verleugnen! Es gibt nur eine Lösung: Er und Ivy müssen heiraten …


  • Erscheinungstag 08.08.2023
  • Bandnummer 2609
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518710
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das war er, der große Wurf! Der Vertrag, mit dem er seinen Gegnern beweisen konnte, dass er ein würdiger Nachfolger seines Vaters war.

Rafa Vieri erlaubte sich ein kurzes zufriedenes Lächeln. Mit diesem Geschäft würde er die Position von Vieri Azioni als größte Finanzholding in Europa festigen.

Er ließ seinen Blick über die Vorstandriege schweifen, die an dem Konferenztisch aus poliertem Mahagoniholz saß. Der weißhaarige Mann ihm gegenüber war Carlo Landini, Chef der renommiertesten Privatbank Italiens, der Banca Landini. Rafa hatte seinen ganzen Charme und jede Menge Überzeugungsarbeit eingesetzt, um Carlo Landini davon zu überzeugen, die Mehrheitsbeteiligung seiner Bank an Vieri Azioni zu verkaufen.

Einige der Vorstandsmitglieder hatten nach dem unerwarteten Tod von Rafas Vater vor zwei Monaten Zweifel an seiner Eignung als Geschäftsführer geäußert, weil ihm der Ruf anhaftete, ein Playboy zu sein. Und dann gab es da noch die unschöne Scheidung von seiner Ex-Frau, die sich in aller Öffentlichkeit abgespielt hatte. Deswegen hatte sich Rafa in letzter Zeit wie ein Ausbund an Tugendhaftigkeit verhalten. Ebenso wichtig war es, Carlo Landini zu zeigen, dass er seinen alten Lebensstil aufgegeben hatte, den er als professioneller Basketballspieler in Amerika gepflegt hatte, bevor er vor achtzehn Monaten nach Italien zurückgekehrt war, um an der Seite seines Vaters bei Vieri Azioni zu arbeiten.

Rafa wusste, dass Carlo gehofft hatte, die Banca Landini seinem einzigen Sohn zu vererben. Leider war Patrizios lebloser Körper auf seiner Jacht auf den Bahamas auf gefunden wurden, es kursierten Gerüchte, dass er an einer Überdosis Kokain gestorben war. Einen Skandal hatte man erfolgreich zu verhindern gewusst, doch durch Patrizios Tod stand Carlo plötzlich ohne Nachfolger da. Daher überraschte es nicht, dass Carlo sich nun wünschte, die jahrhundertealte ehrwürdige Bank seiner Familie zumindest in moralisch einwandfreie Hände zu geben.

Rafa räusperte sich. „Wollen wir fortfahren?“

Der ältere Mann nickte. „Ich bin bereit, den Vertrag zu unterzeichnen. Sie haben mich davon überzeugt, Rafa, dass die Banca Landini unter der Leitung von Vieri Azioni sicher und erfolgreich weitergeführt wird.“

Carlo nahm den Stift in die Hand, hielt aber unvermittelt inne, als die Tür zum Sitzungssaal mit einem lauten Geräusch aufflog.

Was zum Teufel? Abrupt wandte Rafa sich der Quelle der Störung zu und sah eine junge Frau, die in den Raum geplatzt war.

Seine Verwirrung schlug in Zorn um. Er hatte seine Assistentin angewiesen, das Meeting nur zu unterbrechen, wenn das Gebäude abbrannte.

Wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht blieb die junge Frau stehen, als sich alle Blicke im Saal auf sie richteten. Das Auffälligste an ihr war das leuchtend pink gefärbte Haar, das überhaupt nicht zu ihrem orangefarbenen T-Shirt passte. Außerdem waren die Jeans an den Knien zerrissen. Vervollständigt wurde der bizarre Anblick von einem Baby in einer Trage vor ihrer Brust, allerdings war alles, was man von dem Kind sehen konnte, ein Büschel dunkler Haare und zwei Beinchen.

Erinnerungen an Lola als Baby blitzten in Rafas Kopf auf. Plötzlich wurde ihm flau. Seit dem allerersten Moment, als er sie in seinen Armen gehalten hatte, war er verzaubert gewesen. Seine Prinzessin, sein kleines Mädchen – zumindest hatte er das geglaubt.

Bis seine lügende und betrügende Ex-Frau seine Welt aus den Angeln gehoben hatte.

Mit derselben Rücksichtslosigkeit, die ihn zu einem Champion auf dem Basketballplatz gemacht und ihm in jüngster Zeit den Ruf eines gnadenlosen Geschäftsmannes eingebracht hatte, schob Rafa seine Vergangenheit zurück in eine Kiste mit der Aufschrift „Nicht öffnen“.

Seine sonst so unerschütterliche Assistentin eilte in den Saal.

„Miss Bennett, dies ist eine private Besprechung. Sie müssen sofort gehen!“, rief sie aufgelöst.

„Giulia, was ist hier los?“, fragte Rafa wütend.

„Es tut mir leid“, erwiderte die Assistentin verzweifelt. „Ich habe Miss Bennett erklärt, dass Sie keine Zeit haben. Soll ich den Sicherheitsdienst rufen?“

„Nein, Sie können mich nicht rauswerfen.“ Die Frau rannte durch den Saal und blieb vor Rafa stehen. „Rafael Vieri, ich möchte Ihnen Ihren Sohn vorstellen.“

Ivy hörte, wie die Herren im Anzug fassungslos nach Luft schnappten. Sie hatte gehofft, mit Berties Vater unter vier Augen sprechen zu können. Aber die Aussicht, von Sicherheitsleuten aus dem Saal geführt zu werden, hatte sie in Panik versetzt.

„Soll das ein Witz sein?“

Beim Klang seiner harten Stimme lief es ihr eiskalt über den Rücken.

„Bestimmt nicht!“

Es ärgerte sie, dass er so tat, als sei er schockiert. Immerhin hatte ihre Schwester ihm geschrieben und mitgeteilt, dass er Vater wurde. Aber er hatte nicht geantwortet. Gemma hatte Ivy nicht viel über den Mann erzählt, mit dem sie eine kurze Affäre gehabt hatte – was schon ein bisschen seltsam war, weil sie einander immer alles anvertraut hatten. Gemma hatte bloß gesagt, dass Rafael Vieri Geschäftsführer eines Finanzunternehmens in Rom namens Vieri Azioni war.

Natürlich hatte Ivy sich Sorgen gemacht, wie er darauf reagieren würde, wenn sie mit Bertie vor ihm stand. Aber was hätte sie sonst tun können – jetzt, da Gemma tot war?

Der Gedanke an ihre Schwester ließ Trauer in ihrem Herzen aufwallen. Eigentlich waren sie nur Halbschwestern gewesen, weil sie lediglich denselben Vater hatten. Aber trotz des Altersunterschieds von zehn Jahren hatten sie einander sehr nahegestanden.

Die Empfangsdame war gerade mit jemand anderem beschäftigt gewesen und hatte Ivy nicht einmal angesehen, als sie vorhin die Zentrale von Vieri Azioni betreten hatte. Also hatte sie ungesehen den Aufzug betreten können und war zu der Etage gelangt, in der sich das Büro befand. Dort angekommen, hatte eine elegant gekleidete Frau ihr mitgeteilt, dass Signor Vieri gerade beschäftigt sei. Ivy hatte die Stimme der Frau wiedererkannt, denn sie hatte nur wenige Tagen zuvor mit ihr telefoniert, um einen Termin mit Rafa zu vereinbaren.

„Ich erinnere mich an Sie, Miss Bennett“, hatte die Frau gesagt. „Sie wollten nicht verraten, weshalb Sie Signor Vieri treffen möchten.“

In diesem Moment hatte das Telefon der Frau geklingelt, und während sie abgelenkt war, hatte Ivy ihre Chance genutzt und war in den Sitzungsaal geschlüpft, aus dem sie Stimmen vernommen hatte. Jetzt fühlte sie sich sehr unwohl dabei, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller zu stehen. Rafa Vieri betrachtete sie, als könne er nicht recht glauben, was er sah. Vermutlich liegt es an den pinken Haaren, dachte Ivy. An einem trüben regnerischen Tag in England hatte sie sich spontan die Haare gefärbt, um sich inmitten der ganzen Traurigkeit ein wenig aufzuheitern.

Unwillkürlich errötete sie, als sie wahrnahm, wie sein Blick über ihre alten Jeans und die Turnschuhe wanderte. Als sie vor drei Monaten die Vormundschaft für ihren kleinen Neffen übernommen hatte, hatte sich ihr Leben unwiderruflich verändert, seither hatte sie weder die Zeit noch die Energie besessen, an sich selbst zu denken. Jeden Morgen zog sie ihre zerrissene Jeans an und kümmerte sich um Bertie. Und in den meisten Nächten weinte sie sich in den Schlaf und trauerte um Gemma.

Im Internet hatte sie gelesen, dass er einsfünfundneunzig groß war. In der Profi-Basketball-Liga war seine Größe nicht außergewöhnlich – viele der Spieler maßen über zwei Meter –, aber er überragte Ivy um einiges. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um sein Gesicht zu sehen. Auf den Fotos lag immer ein verruchtes sexy Lächeln auf seinen Lippen. Aber vor allem der sinnliche Schimmer in seinen grauen Augen hatte Ivy verstehen lassen, weshalb Gemma von ihm hingerissen gewesen war.

Und in natura wirkte Rafa noch viel umwerfender, fesselnder, faszinierender. Obwohl er nicht lächelte und seine Augen hart und kompromisslos wie Stahl blickten, reagierte ihr Körper auf die unwiderstehliche Anziehungskraft, die von ihm ausging. Auf einmal schien ihre Haut zu spannen, Hitze breitete sich in ihrem Inneren aus. Ein erotisches Kribbeln pulsierte in ihr, was sie verwirrte. Wie konnte sie sich nur vom Vater des Babys ihrer verstorbenen Schwester angezogen fühlen? Alles daran war falsch!

Als Rafa sie endlich aus seinem durchdringenden Blick entließ, atmete sie langsam aus. Er drehte sich um, weil ein älterer Mann, der am Konferenztisch gesessen hatte, aufstand.

„Rafa, was soll diese Unterbrechung? Hier ist wohl kaum der richtige Ort, um Ihre privaten Angelegenheiten zu regeln. Vielleicht sollte ich unsere Abmachung noch einmal überdenken?“

„Ich entschuldige mich für die Störung, Carlo“, entgegnete Rafa ruhig. „Wir werden eine kurze Pause machen.“ Damit legte er eine Hand auf Ivys Arm. Die Berührung wirkte wie ein Stromstoß, der ihren ganzen Körper durchfuhr.

„Sie kommen mit mir“, befahl er knapp und dirigierte sie in Richtung Tür. Neben der Sprechanlage blieb er kurz stehen. „Giulia“, sprach er in das Gerät, „servieren Sie den Champagner und die Kanapees, während ich mich um die Situation kümmere.“

Mit wachsender Nervosität ging Ivy neben Rafa den Korridor entlang. Seine erste Reaktion auf seinen Sohn war nicht gerade vielversprechend gewesen. Aber sie brauchte seine Hilfe. Ihr Vermieter hatte ihr die Wohnung gekündigt, ihr blieben nur noch zwei Wochen, um auszuziehen. Deshalb hatte sie ihre Trauer um Gemma verdrängt und von ihren letzten Ersparnissen einen Flug nach Rom und zwei Nächte im billigsten Hotel gebucht, das sie finden konnte. Um Bertie zu seinem Vater zu bringen.

„Hier rein“, knurrte Rafa und schob sie in sein Büro.

Es war ein ausgesprochen maskuliner Raum, ganz in Marmor und Chrom gehalten. Ein Schreibtisch mit Glasplatte stand im schrägen Winkel vor raumhohen Fenstern, aus denen sich ein wunderbarer Panoramablick auf Rom bot. Ihr Hotel lag nur zwanzig Minuten Fußmarsch von hier entfernt.

In diesem Moment regte Bertie sich. Bald würde er aufwachen und Hunger haben. Ivy hatte alle notwendigen Utensilien, die sie für einen vier Monate alten Säugling brauchte, in ihren Rucksack gepackt. Ein Gefühl von Zärtlichkeit überkam sie, als sie auf den Jungen hinunterblickte. Sie liebte das Baby ihrer Halbschwester von ganzem Herzen und war fest entschlossen, ihr Bestes für ihn zu geben. Doch das war schwer, weil es keine Familie gab, die sie unterstützen konnte. Gemmas Mutter war vor vielen Jahren gestorben, ihr Vater war von Ivys Mutter bereits wieder geschieden und hatte eine neue Familie gegründet. Er hatte Bertie einmal gesehen, aber keinerlei Interesse an seinem Enkel. Das Gleiche galt für Ivys Mutter, die ihrer Stieftochter nie nahegestanden hatte und somit auch mit Gemmas Baby nichts zu tun haben wollte.

Rafa folgte ihr ins Büro und schlug die Tür hinter sich zu. Er sah grimmig und abweisend aus. Ivys Mut sank.

Trotzdem musste sie ihn davon überzeugen, Bertie als seinen Sohn anzuerkennen.

Sie hob die Hand, um sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen und erblickte den winzigen tätowierten Schmetterling auf der Innenseite ihres Handgelenks. Für Gemma waren Schmetterlinge Symbole der Hoffnung gewesen, weil sie aus ihrem Kokon schlüpfen und frei davonfliegen konnten. Als bei Ivy im Teenageralter Krebs diagnostiziert worden war, hatte Gemma ein Mobile mit Schmetterlingen über ihrem Bett im Krankenhaus aufgehängt und ihr gesagt, sie solle sich eine Zukunft vorstellen, in der sie von der Krankheit befreit war, die in ihrem Körper wütete.

Das Schmetterlingstattoo war ein Andenken an ihre Schwester. Ivy atmete tief ein. Ein Gefühl von Ruhe überkam sie.

Rafa starrte die Frau mit den verrückten Haaren an, die durch ihr plötzliches Auftauchen eines der wichtigsten Geschäfte seines Lebens gefährdete. Gerade hob sie das Baby aus der Trage. Wäre das Kind nicht gewesen, hätte Rafa jemanden vom Sicherheitsdienst angewiesen, diese Miss Bennett aus dem Gebäude zu begleiten.

Das Quengeln des Babys weckte weitere schmerzliche Erinnerungen in ihm. Er dachte an die Nächte, die er damit verbracht hatte, im Kinderzimmer auf und ab zu gehen und sein Baby in seinen Armen in den Schlaf zu wiegen. Damals hatte er geglaubt, alles zu besitzen, was er sich nur wünschen konnte, aber sein Glück hatte sich als Illusion erwiesen, weil Tiffany ihn getäuscht hatte. Als er erfuhr, dass Lola gar nicht seine Tochter war, hatte es sich angefühlt, als reiße man ihm das Herz aus der Brust.

Diesen Schmerz wollte er nie wieder erleben. Nach der Scheidung hatte er sich geschworen, nie wieder einer Frau zu vertrauen und auf gar keinen Fall Kinder zu haben.

Rafa umrundete den Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl sinken. Er versuchte, irgendeinen Sinn in dieser Situation zu entdecken, die ihm immer mehr wie die unglaubwürdige Handlung eines jener sehr schlechten Filme vorkam, in denen seine Ex-Frau mitgespielt hatte.

„Sind Sie Schauspielerin? Kommen Sie von der Versteckten Kamera?“

Vielleicht erlaubte sich jemand einen Scherz mit ihm. Konnte es sein, dass ein Konkurrent Miss Bennett dafür bezahlte, das Treffen mit Carlo Landini zu sabotieren?

Ihre Augen weiteten sich. Rafa fiel auf, dass diese Augen erstaunlich schön waren – groß und dunkelbraun, umrahmt von unglaublich langen Wimpern.

„Ich bin keine Schauspielerin. Früher war ich Tänzerin auf einem Kreuzfahrtschiff, aber jetzt, mit Bertie, kann ich diesen Job nicht mehr ausüben.“ Sie stellte ihren Rucksack auf den Schreibtisch. „Ich muss sein Fläschchen vorbereiten“, erklärte sie und kramte eine Babyflasche und eine Packung Säuglingsnahrung hervor. Das strampelnde Baby hielt sie geübt gegen die Schulter gedrückt, während sie mit der freien Hand den Deckel der Packung abschraubte und die Milch in die Flasche umfüllte.

„Ich bin Ivy Bennett. Gemmas Schwester.“ Erwartungsvoll schaute sie Rafa an. „Sie müssen sich an sie erinnern. Sie hat Ihnen vor vier Monaten geschrieben.“

„Ich kenne niemanden namens Gemma. Und Ihnen bin ich auch noch nie begegnet“, murmelte er, ganz in die Betrachtung des Babys versunken. Er wollte abweisend klingen, doch in seiner Stimme lag eine ärgerlich heisere Note.

Er lehnte sich zurück und musterte die junge Frau. Sie war zierlich und schlank. Die eng anliegende Jeans betonte ihre schmalen Hüften. Das knallige Haar war kurz geschnitten und unterstrich ein herzförmiges Gesicht. Sie entsprach nicht dem Typ glamouröses Supermodel, auf das Rafa normalerweise stand, aber ihre elfenhafte Schönheit strahlte etwas aus, das seine Aufmerksamkeit erregte. Unwillkürlich fragte er sich, was wohl ihre natürliche Haarfarbe war. Wahrscheinlich mittelbraun, so wie ihre Wimpern. Sein Blick verweilte auf den vollen sinnlichen Lippen. Unvermittelt spürte er eine Woge der Lust in sich aufsteigen.

Enthaltsamkeit passt nicht zu mir, entschied er. Vermutlich war der Verzicht auf Sex in den letzten Monaten der Grund für seine seltsame Reaktion auf diese zerbrechlich wirkende junge Frau mit diesem grauenhaften Sinn für Mode. Kurz vor dem tödlichen Herzinfarkt seines Vaters hatte er eine Affäre beendet. Der Schock, die Trauer und die Verantwortung, die mit seiner neuen Rolle bei Vieri Azioni einhergingen, hatten dazu geführt, dass er weder Zeit noch Lust auf Dates gehabt hatte.

Ivy Bennett hatte gesagt, sie habe als Tänzerin gearbeitet. Ihre durchtrainierte Figur sah er als Hinweis, dass zumindest dieser Teil stimmte.

Vor seinem inneren Auge blitzte ein Bild auf, wie sie unter ihm lag und ihre kleinen Brüste sich gegen seinen Oberkörper schmiegten. Warum, verfluchte er sich selbst, musste seine Libido ausgerechnet jetzt zum Leben erwachen? Ihre Blicke trafen sich. Im Sekundenbruchteil, bevor sie die Lider senkte, sah er Verlangen in ihren Augen aufblitzen. Rafa erkannte immer, wenn eine Frau ihn begehrte. Seit seinen Teenagertagen verfügte er über diese Fähigkeit, aber heutzutage ließ er sich nicht mehr so leicht von einer Einladung in den funkelnden Augen einer Frau verführen.

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Bertie füttere, während wir uns unterhalten?“

Der Anblick des hungrig trinkenden Babys versetzte Rafa wieder zurück in die Vergangenheit. Nach Lolas Geburt hatte er versucht, so viel Zeit wie möglich mit ihr zu verbringen. Während der Vorsaison war er nach den Trainingseinheiten immer nach Hause geeilt, um sie zu baden und abends zu füttern. Die eigentliche Basketballsaison dauerte sechs Monate, in denen die Mannschaften durch Amerika reisten. Der straffe Zeitplan von Heim- und Auswärtsspielen ließ sich nur schlecht mit einem Familienleben vereinbaren, Tiffany hatte sich beklagt, dass sie sich einsam fühlte.

Lange war sie allerdings nicht allein geblieben, schoss es ihm durch den Kopf.

Er musterte Ivy aus schmalen Augen. Sie war hübsch, aber unbestreitbar eine Lügnerin.

„Wir haben nichts zu besprechen, Miss Bennett. Sie wissen verdammt gut, dass ich nicht der Vater des Babys bin. Ich verlange, dass Sie diese falsche Behauptung zurücknehmen. Sie können sich glücklich schätzen, wenn ich Sie nicht wegen Verleumdung verklage.“

Ihre schönen braunen Augen weiteten sich. „Ich bin nicht Berties Mutter. Aber Sie sind ganz sicher sein Vater. Er ist das Baby meiner Schwester. Gemma hat auf dem Kreuzfahrtschiff gearbeitet, auf dem Sie einer der Passagiere waren. Als sie Ihnen von ihrer Schwangerschaft geschrieben hat, haben Sie nicht geantwortet. Es ist die alte Geschichte“, fuhr sie mit Bitterkeit in der Stimme fort. „Die Männer haben den Spaß, und die Frauen bekommen die Kinder.“

„Das reicht“, schnauzte Rafa sie an. „Ich war noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff. Ehrlich gesagt, wäre es die Hölle für mich, mit hundert anderen Menschen auf einem Schiff mitten auf dem Meer gefangen zu sein.“

Ivy zog die Nase kraus, wodurch sie irgendwie noch niedlicher wirkte. Seit wann empfinde ich niedlich als erregend?, überlegte Rafa verwirrt. Er war wütend auf sich selbst, weil er die ungebetenen Reaktionen seines Körpers nicht kontrollieren konnte.

„Gemma hat mir erzählt, dass sie Rafael Vieri an Bord der Ocean Star während einer Reise zu den karibischen Inseln kennengelernt hat. Normalerweise arbeiten wir auf demselben Schiff, aber ich hatte gerade einen Job auf dem Schwesterschiff, der Ocean Princess. Gemma arbeitete als Reiseleiterin.“ Ivy verzog das Gesicht. „Es hat mich ganz schön überrascht, dass sie sich auf eine Beziehung mit Ihnen eingelassen hat, weil das eigentlich verboten ist. Sie muss Sie wirklich gemocht haben, um dafür ihre Karriere zu riskieren.“

„Noch einmal: Ich habe Ihre Schwester nicht auf einem Kreuzfahrtschiff kennengelernt.“ Sein Unmut wuchs. „Vielleicht hat sie einen Passagier getroffen, der genauso heißt wie ich? Rafael und Vieri sind in Italien recht gebräuchliche Namen.“

Rafa war nach seinem Vater benannt worden, aber die Möglichkeit, dass sein Vater, ein ausgemachter Workaholic, wochenlang nicht ins Büro kam, um sich auf einer Kreuzfahrt zu vergnügen, war so lächerlich, dass Rafa die Idee sofort wieder verwarf.

„Sie haben Gemma erzählt, Sie besitzen in Italien ein erfolgreiches Unternehmen namens Vieri Azioni. Daher wusste ich, wo ich Sie finde.“ Ivy legte das Baby über ihre Schulter und streichelte über seinen Rücken, bis es ein Bäuerchen von sich gab.

„Sein richtiger Name ist Roberto“, erklärte sie, als ihr auffiel, wie Rafa das Kind anstarrte. „Gemma hat ihm einen italienischen Namen gegeben, weil er doch zur Hälfte Italiener ist. Aber irgendwie hat sich Bertie durchgesetzt.“

„Sein italienisches Erbe stammt nicht von mir. Roberto, Bertie oder wie auch immer er heißt, ist nicht mein Kind“, erwiderte Rafa barsch. Wenn er Sex hatte, achtete er fast zwanghaft darauf, sich zu schützen, damit es nicht zu einer ungewollten Schwangerschaft kam.

„Geben Sie mir mein Handy“, fuhr sie unbeirrt fort. „Ich zeige Ihnen ein Bild von Gemma, um Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.“

Er war sich zu neunundneunzig Prozent sicher, nicht mit dieser Gemma geschlafen zu haben. Trotzdem konnte es nicht schaden, sich das Foto anzusehen. Vielleicht bestand eine winzige Chance, dass er sie getroffen hatte … wenn auch nicht in der Karibik. Vor dreizehn Monaten war er in ein Penthouse in der Nähe des berühmten Kolosseums gezogen. Jeden Tag arbeitete er lange und hart bei Vieri Azioni, um seinem Vater zu beweisen, dass er sich für die Firma engagierte … und um den Vorstand zu überzeugen, dass er der bessere CEO war als der stellvertretende Vorsitzende. Allerdings bestand sein Leben nicht nur aus Arbeit. Gelegentlich verbrachte er eine Nacht mit einer Frau, die er in einer Bar oder einem Club kennenlernte. In der Hafenstadt Civitavecchia legten die großen Kreuzfahrtschiffe an. Mit dem Zug dauerte es keine dreißig Minuten bis Rom.

Konnte das Schiff von Ivys Schwester dort vor Anker gegangen sein, bevor es in die Karibik weitergefahren war? Falls ja, hätte er Gemma durchaus begegnet sein können.

Rafa wandte den Blick von dem Baby ab, das satt und zufrieden in Ivys Armen döste. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass er mit Ivys Schwester Sex hatte, würde er einen Vaterschaftstest verlangen.

Er nahm das Handy und reichte es ihr. Sekunden später betrachtete er das Bild einer attraktiven Rothaarigen auf dem Display.

„Diese Frau habe ich noch nie gesehen.“ Seine anfängliche Erleichterung schlug in Wut um. Irgendetwas ging hier vor, und er war nicht in der Stimmung für Spielchen. „Ich weiß nicht, was das alles soll, Miss Bennett. Warum bringt ihre Schwester ihr Baby nicht selbst nach Italien?“

„Gemma ist tot.“ Tränen schimmerten in Ivys braunen Augen. „Sie ist gestorben, als Bertie fünf Wochen alt war. Ich habe ihr versprochen, den Vater ihres Babys zu finden.“

„Warum?“ Er ignorierte das schlechte Gewissen, dass er Ivy so harsch anging, aber die ganze Geschichte klang einfach zu erfunden.

„Ich dachte, Sie sollten wissen, dass Sie einen Sohn haben.“ Sie zögerte. „Und ich hatte gehofft, Sie würden Bertie … finanziell unterstützen.“

„Sie wollen Geld?“ Obwohl er genau das erwartet hatte, verspürte er Enttäuschung in sich aufsteigen, weil die hübsche englische Rose mit ihrer zurückhaltenden Sinnlichkeit letztlich doch so berechenbar war. „Endlich kommen wir zur Wahrheit.“

„Ich will kein Geld für mich.“ Rote Flecken bildeten sich auf ihren Wangen. „Ein Baby großzuziehen, ist teuer. Seit dem Tod meiner Schwester kann ich nicht mehr als Tänzerin auf dem Kreuzfahrtschiff arbeiten. Bisher habe ich von meinen Ersparnissen gelebt, aber das Geld ist fast aufgebraucht.“

Sie biss sich auf die Unterlippe, was Rafas Blick auf ihren sinnlichen Mund lenkte. Absicht?, fragte er sich.

„Wenn Sie nichts mit Ihrem Sohn zu tun haben wollen, nehme ich ihn mit nach England und werde ihm eine gute Mutter sein, wie ich es meiner Schwester versprochen habe. Aber ich habe Recherchen über Sie angestellt und weiß, dass Sie wohlhabend sind. Sie haben eine Verantwortung für Bertie und könnten es sich leisten, einen Treuhandfond für ihn einzurichten.“

Rafa lachte. „Sie müssen mich wirklich für einen Idioten halten, Miss Bennett. Ich bin neugierig … Hat Ihre Schwester Sie angelogen oder war es Ihre Idee, mir das Kind anzuhängen, um Geld von mir zu bekommen?“

Er ignorierte, dass Ivy fassungslos nach Luft rang.

„Sie haben zugegeben, Nachforschungen über mich angestellt zu haben. Sie sind nicht die erste Frau, die versucht, einem Mann ein Kind anzuhängen.“

„So ist das nicht.“ Ivy stand auf. Bertie war eingeschlafen, weshalb sie ihn vorsichtig auf dem Sofa ablegte. „Meine Schwester hat mir versichert, dass Sie der Vater sind. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass Sie in Bezug auf den Brief lügen.“

„Es gab keinen Brief“, knurrte er verärgert. „Hören Sie endlich auf damit, Miss Bennett, das Kind ist nicht von mir. Und wenn Sie die Behauptung noch einmal wiederholen, müssen Sie mit ernsthaften rechtlichen Konsequenzen rechnen.“

Er schaute zur Tür, die gerade von seiner Assistentin geöffnet wurde. „Was gibt es, Giulia?“

„Landini und sein Team wollen gehen.“

Rafa fluchte. „Versuchen Sie, sie noch ein paar Minuten hinzuhalten. Ich bin hier fast fertig.“ Er bedachte Ivy mit einem finsteren Blick. „Ich werde Carlo erklären, dass alles nur ein Missverständnis war.“

Giulia nickte. „Ich hatte gehofft, Sandro Florenzi würde die Wogen glätten, während Sie beschäftigt sind, aber er hat den Sitzungsaal gleich nach Ihnen verlassen, weil er Migräne bekam.“

Rafa runzelte die Stirn. Es war bekannt, dass der stellvertretende Geschäftsführer gelegentlich unter Migräneanfällen litt, aber der Zeitpunkt war mehr als ungünstig. Er schaute wieder zu Ivy hinüber. Die Hitze, die sie in seinem Inneren entfachte, machte ihn wütend.

Autor

Chantelle Shaw
Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs. Chantelle Shaw entdeckte die Liebesromane von Mills & Boon,...
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