Der Kuss des falschen Prinzen

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"Hier kommt ein zärtlicher Gruß von Luis." Mit diesen leisen Worten raubt Sebastian ihr einen heißen Kuss - den Lady Sabrina mit einer schallenden Ohrfeige erwidert. Was fällt dem Bruder ihres Verlobten denn ein, wo sie schon bald Prinz Luis heiraten wird? Doch kurz vor der Hochzeit erschüttert ein Skandal das kleine Königreich Vela. Nicht Luis, sondern Sebastian ist der legitime Thronfolger, mit dem Sabrina nun eine Vernunftehe im Namen der Krone eingehen soll. Sie - die Braut des Playboy-Prinzen, dessen Kuss immer noch in ihrer Seele brennt?


  • Erscheinungstag 10.04.2018
  • Bandnummer 0008
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710088
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Behutsam schloss Sabrina ihre Schlafzimmertür, aus Rücksicht auf ihre beiden Mitbewohnerinnen, die eine Nachtschicht in der Notaufnahme hinter sich hatten. Sie stand schon an der Haustür, Toastscheibe in einer Hand und ihre übergroße Tasche in der anderen, da klingelte ihr Handy.

Leise fluchte sie. Gleich darauf noch einmal, weil der Toast bei ihrem Versuch, an das Handy zu kommen, mit der Butterseite auf dem Teppich landete. Warum passierte das eigentlich immer?

Sie stellte die Tasche ab, hob genervt den Toast auf und spähte auf den Handybildschirm. Die Laborantin rief an. Höchstwahrscheinlich mit den Ergebnissen, die das gesamte Forschungsteam sehnlichst erwartete.

Nach einem kurzen Telefonat warf Sabrina den Toast in den Mülleimer und öffnete lächelnd die Haustür. Die Resultate erfüllten ihre Hoffnungen nicht, sondern übertrafen sie! Aufgeregt schwang sie ihre Tasche über die Schulter und schnappte sich einen Apfel aus der Obstschale, um ihren knurrenden Magen zu besänftigen. Bevor sie rückwärts aus der Tür trat.

Zuerst hörte sie, dass etwas nicht stimmte. Draußen war es viel zu laut. Aus allen Richtungen schienen Stimmen ihren Namen zu rufen.

Sie ließ den Apfel fallen, fuhr herum und wurde von einem Blitzlichtgewitter geblendet. Instinktiv hob sie eine Hand vor die Augen und drehte den Kopf, um den Mikrofonen auszuweichen, die man ihr vor die Nase hielt.

Ihr Herz hämmerte. Sie wollte umkehren, doch dafür war es zu spät. Im Nu hatten die Reporter sie Richtung Straße gedrängt und umzingelt.

„Lady Sabrina … Lady Sabrina … Lady Sabrina! Wann findet die Hochzeit statt?“

„Vor oder nach der Wiedervereinigung der Insel?“

„Wann hat Prinz Luis um Ihre Hand angehalten?“

„Ist es eine Zweckehe?“

„Welche Botschaft senden Sie mit Ihrer Hochzeit jungen Frauen, Dr. Summerville?“

Sie kam sich vor wie bei einem Überfall, weil die Paparazzi wieder und wieder ihren Namen riefen und sie mit Fragen bombardierten. Ihr ganz persönlicher Albtraum. Sabrina hatte Platzangst, war vor Schreck wie gelähmt, konnte kaum noch atmen und keinen klaren Gedanken fassen. Hilflos schloss sie die Augen und wartete mit gesenktem Kopf darauf, dass sich der Boden unter ihr auftat.

Doch das geschah nicht.

Stattdessen packte jemand sie am Handgelenk und schob ihr einen Arm um die Taille. Plötzlich war sie nicht mehr von Reportern umringt. Jemand zog sie in die entgegengesetzte Richtung. Jemand mit genügend Kraft, um es spielend zu schaffen und ihren panischen Versuch, den Entführer zu schlagen, wie einen Witz aussehen zu lassen.

Benommen registrierte Sabrina, dass sie auf der Straße stand. Sie wollte sich losreißen. Im nächsten Moment verfrachtete man sie wie einen Kartoffelsack auf die Rückbank eines großen, luxuriös wirkenden Wagens.

Niemand wird direkt vor Journalisten und Hunderten von Kameras entführt, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie rappelte sich hoch und bekam gerade noch mit, wie jemand einen Fotoapparat in Richtung der Paparazzi schleuderte. Ein Mann stieg neben ihr ein, knallte die Tür zu und sperrte den Lärm aus.

„Seien Sie so gut und fahren Sie los, Charlie“, sagte er fast gelangweilt.

Der Mann auf dem Fahrersitz tat genau das – mit quietschenden Bremsen und minimalem Respekt vor den Reportern, die sich um das Auto scharten.

Im Rückspiegel traf Sabrinas Blick flüchtig den des bulligen Fahrers. Sie schaute zur Seite. Auch der tätowierte Drache auf seinem stämmigen Nacken war nicht vertrauenerweckend.

Sie kannte sich aus mit den Prozessen, die den Körper dazu brachten, Adrenalin auszuschütten. Hätte Examensfragen dazu beantworten können. Um genau zu sein, hatte sie das sogar getan. Allerdings erlebte sie erst jetzt, wie überwältigend der menschliche Kampf-oder-Flucht-Impuls war.

Aus Selbsterhaltungstrieb stemmte sie sich mit aller Macht gegen die Autotür und drückte hektisch jeden Knopf in Sicht. Als die Tür nicht nachgab, schluchzte sie auf. Sie hämmerte gegen die Fensterscheibe, eher verzweifelt als in der Hoffnung, jemanden auf sich aufmerksam zu machen. Schließlich fuhren sie schnell, und die Fenster waren getönt.

„Falls Sie die Scheibe einschlagen möchten, sollte ich Ihnen sagen, dass sie kugelsicher ist. Aber Sie haben einen bemerkenswerten rechten Haken, cara, und ich schätze mich glücklich, weil Sie keine hohen Absätze tragen.“

Sabrina ließ die geballten Fäuste an der Scheibe sinken und lehnte ihre Stirn gegen das kühle Glas. Dann holte sie tief Luft und drehte sich zu ihrem Entführer um. Den Kampf um eine offene Tür mochte sie verloren haben, nicht jedoch den Kampf, ihre Angst hinter einer coolen, verächtlichen Maske zu verbergen … So verächtlich jedenfalls, wie man dreinschauen konnte, wenn einem Tränen über das Gesicht liefen und die Wimperntusche mutmaßlich verlaufen war.

„Ich bin nicht Ihre cara, ich bin nicht Ihre Irgendwas, aber wenn Sie mich nicht freilassen, werde ich Ihr schlimmster Albtraum sein. Sie stoppen auf der Stelle diesen Wagen und lassen mich raus, oder ich …“ Ihre Stimme versagte, als sie den Mann erkannte. Sein linker Arm ruhte auf der gepolsterten Rückenlehne; in der rechten Hand hielt er ein Handy.

Er lächelte spöttisch und sah aus wie ein gefallener Engel. Sabrina hatte immer vermutet, dass der Teufel attraktiv sein musste. Wo blieb sonst die Versuchung?

Nicht, dass sie auch nur ansatzweise versucht gewesen wäre!

Seine stahlblauen Augen glitzerten belustigt. Prinz Sebastian neigte den Kopf und tippte eine Fingerspitze leicht auf Sabrinas Kinn.

Entgeistert wich sie zurück. Erst war sie heilfroh gewesen, weil man sie nicht entführte, sondern rettete. Doch angesichts des amüsierten Blickes ihres künftigen Schwagers verwandelte sich die Erleichterung in Abneigung. Sein dunkelgrauer Anzug war exzellent geschnitten. Das offene Jackett betonte seine breite Schultern. Darunter trug er ein weißes T-Shirt statt Hemd und Krawatte, wobei das T-Shirt eng genug saß, um die Muskeln seines durchtrainierten Oberkörpers erahnen zu lassen. Sabrinas Kopfhaut prickelte allerdings nicht wegen seiner Kleidung, sondern weil unter der lakonischen Fassade etwas Explosives steckte. Was Härte betraf, konnte Sebastian Zorzi es mit dem kugelsicheren Glas aufnehmen.

Natürlich wusste sie, dass sich die Brüder nicht ähnelten. Viele Geschwister taten es nicht. Sie und Chloe glichen sich ja auch kein bisschen.

Doch die Zorzi-Prinzen sahen nicht nur unterschiedlich aus, sondern waren in jeder Beziehung gegensätzlich. Es ging über Haarfarbe, Statur und sogar das Lächeln hinaus – vor allem über das Lächeln! Wenn der eine Bruder lächelte, fühlte man sich sicher, beim anderen hingegen … Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand das Wort „sicher“ in den Mund nahm, um Sebastian zu beschreiben!

„Genau, Lady Sabrina, ich bin der Rettungstrupp.“ Er hob sein Handy an das rechte Ohr. Seine Finger waren lang, mit geraden Kuppen. Geschickte, definitiv starke Hände.

„Ja, ich habe sie. Sie ist …“ Die dunklen Wimpern hoben sich, und er musterte seine Begleiterin. Derart eindringlich, dass die ein Stückchen zur Seite rückte. „Unverletzt. Ordentlich mitgenommen, aber sie trägt ihre vornehme Nase immer noch ziemlich hoch … Also ja, sie ist okay – wenn man so etwas mag.“

Sein Unterton legte nahe, dass er selbst es nicht mochte. Sabrina war heilfroh, denn sie wusste, was für Frauen er bevorzugte.

Er stand auf einen ganz bestimmten Typ.

Und der hatte nichts mit einem hohen Intelligenzquotienten zu tun.

Schwer zu glauben, dass alle großen, langbeinigen Blondinen, die ihm die Medien andichteten, dumm waren. Mit einem für sie ungewöhnlichen Mangel an Nächstenliebe vermutete Sabrina, dass sie nur so taten, als wären sie begriffsstutzig. Manche Männer konnten nicht mit einer Frau umgehen, die sie intellektuell forderte, und das schwarze Schaf der Familie Zorzi schien so ein Mann zu sein!

Aber egal, welche Indiskretionen er beging, alle Welt schien ihm zu verzeihen. Und nicht nur das: Die Leute mochten ihn, obwohl er keine Autoritäten akzeptierte.

Das war ihr stets ein Rätsel gewesen. Als sie jetzt auf engem Raum neben dem Prinzen saß, verstand sie es besser. Er brauchte keine Charmeoffensive zu starten, sondern bloß zu atmen!

Man musste die sinnliche Schockwelle, die man in seiner Nähe spürte, aus erster Hand erleben, um daran zu glauben. Nun hatte Sabrina es getan und hielt die Geschichten, die über ihn kursierten, nicht mehr für übertrieben.

Es war nicht ungewöhnlich, dass sie sich nie kennengelernt hatten. Jahrelang war die Beziehung zwischen den beiden königlichen Familien Velas ausgesprochen kühl, wenn nicht gar eisig gewesen.

Inzwischen sah es anders aus. Die beiden Familien waren nicht länger Feinde, sondern beste Freunde und Verschworene, vereint für ein gemeinsames Ziel.

Allerdings fehlte Sebastian bei jedem Termin, an dem beiden Familien teilnahmen. Nur ein einziges Mal war sie im selben Raum wie er gewesen. Damals hatte er den Saal mit der jungen Ehefrau eines ältlichen Diplomaten durch den Hinterausgang verlassen, bevor Sabrina und er einander vorgestellt werden konnten.

Hätte sie ihn damals getroffen, wäre sie vielleicht auf die Aura der rauen Männlichkeit gefasst gewesen, die ihn wie ein Kraftfeld umgab. Urwüchsiger, purer Sex-Appeal ließ ihre Haut kribbeln und ihr Herz rasen. Ihre Arme und Beine fühlten sich schwach an. Dieser Zustand gefiel ihr nicht, wobei sie vermutete, dass sie damit allein auf weiter Flur stand. Viele, wenn nicht gar die meisten Frauen hätten nichts an seinem sinnlichen Mund und den wie gemeißelten Gesichtszügen ausgesetzt. Jeder Medizinstudent im zweiten Jahr, ja sogar jeder halbwegs vernünftige Mensch weiß, dass meine Symptome Nachwirkungen des Schocks sind, tröstete sich Sabrina.

„Ob jemand uns hat wegfahren sehen?“, wiederholte Sebastian die Frage des Anrufers. „Allerhand Leute, würde ich sagen.“ Schadenfroh sah er Sabrina an, die abrupt aufhörte, ihre Haare mit den Handflächen zu glätten. „Ich habe nicht gezählt, aber nein, sie hat nichts Zitierfähiges gesagt, abgesehen von den Flüchen. Ich habe ein paar hinzugelernt!“ Er schnitt eine Grimasse und hielt das Handy weg vom Ohr. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er es wieder heranzog. „Natürlich ist das nicht mein Ernst. Sie war der Inbegriff einer Prinzessin mit angeborener Coolness“, besänftigte er seinen Gesprächspartner. Dann steckte er das Handy in die Innentasche seines Jacketts.

Sabrina wusste nach wie vor nicht genau, was sich gerade abspielte. Doch ihr Bedürfnis dahinterzukommen, war geringer als das, Kontra zu geben. „Bevor Sie nächstes Mal jemandem angeborene Coolness unterstellen, sollten Sie vielleicht Ihren eigenen Stammbaum konsultieren.“

Er lachte leise, und sie bekam zu ihrem Entsetzen eine Gänsehaut. „Verstanden. Wobei Ihnen sicher bewusst ist, dass meine genetische Herkunft zeitweise infrage gestellt wurde.“

Sie senkte den Blick, obwohl Sebastian kein Anzeichen jener Verlegenheit zeigte, die sie fühlte. Selbstverständlich wusste sie, worauf er anspielte. Sämtliche Zeitungen hatten über die Affäre der früheren Königin berichtet, als ihre Briefe an den Geliebten nach dessen Tod veröffentlicht worden waren.

Für den Fall, dass jemand die reißerischen Schlagzeilen übersehen hatte, war kurz darauf ein Buch von der Ex-Frau des Geliebten erschienen. Außerdem hatte das damalige Kindermädchen das Geburtsdatum des zweiten Sohnes der Königin mit den Daten der Briefe verglichen und ihren Verdacht einem Boulevardblatt mitgeteilt.

Während dieser Zeit hatte die Familie Zorzi demonstrativ Solidarität bekundet. Schön und zart war die Königin an der Seite ihres Ehemannes aufgetreten, neben ihnen die beiden Prinzen mit blanken Gesichtern und nach hinten gekämmten Haaren.

„Heute glaubt das niemand mehr“, meinte Sabrina betreten.

Er warf ihr einen sarkastischen Blick zu. „Oh, viele Leute glauben es, cara, und noch mehr wünschen, es wäre wahr.“ Er zuckte die Schultern. „Einschließlich mir selbst.“

„Sie wünschen sich, ein Bastard zu sein?“, fragte sie verdutzt. „Entschuldigung, ich …“ Das Blut schoss ihr in die Wangen, obwohl er nicht die Spur verärgert wirkte.

„Sagen wir, ich schätze mich beim Aufwachen nicht besonders glücklich, dass Zorzi-Blut in meinen Adern fließt.“

„Nun, Luis ist stolz auf sein Erbe.“

„Mein Bruder verzeiht leichter als ich.“

„Wem?“

In seinem Blick lag kein Spott mehr, als er Sabrina anschaute. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. „Ich genieße diese tiefgründige Unterhaltung zwar, aber sollten Sie jetzt nicht andere Fragen stellen?“

Verwirrt schüttelte sie den Kopf.

„Zum Beispiel: Was ist eben passiert?“

Prompt kam sie sich wie ein Dummkopf vor. „Was ist denn eben passiert?“

Wieder lachte er leise, und diesmal klang es in ihren Ohren grausam. „Willkommen zum Rest Ihres Lebens, cara.“

„Ich verbringe den Rest meines Lebens nicht mit Ihnen.“ Nicht mal eine weitere Sekunde, wenn es nach ihr ging.

„Ich Pechvogel.“

„Warum die Kameras? Die Reporter? Ich verstehe nicht.“

„Wirklich nicht? Mir wurde gesagt, Sie seien klug. Tja, kluge Leute sind wohl nicht unbedingt schnell von Begriff“, räumte er ein, während Sabrina erneut rot anlief, diesmal vor Wut. „Etwas ist durchgesickert.“

Dummerweise konnte sie angesichts seiner blauen Augen nur an die undichte Stelle in ihrem Bad letzten Winter denken. Für die Reparatur hatte der Vermieter einen geschlagenen Monat gebraucht.

Sebastian seufzte so resigniert, dass es ihr Fass zum Überlaufen brachte: „Sicher bestürmt man Sie jeden Tag mit Kameras und Mikrofonen, aber mich nicht! Wie wäre es, wenn wir so tun, als besäßen Sie ein Minimum an Feingefühl? Ich bin traumatisiert und, wie Sie schon sagten, nicht sonderlich schnell von Begriff!“

Eine angespannte Stille folgte.

Das amüsierte Funkeln in seinem Blick verschwand, doch seine direkte Art war unverändert. „Jemand aus dem engsten Kreis hat die Story verkauft – Hochzeit, Wiedervereinigung, den gesamten Masterplan.“

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, den tennisballgroßen Kloß in ihrer Kehle zu schlucken. „Warum sollte jemand das tun?“

„Oh, ich weiß nicht, vielleicht wegen Geld?“

Sabrina nagte an ihrer Unterlippe. Sie nahm ihm übel, wie mühelos er es schaffte, dass sie sich linkisch und naiv fühlte.

„Keine Sorge. Sie waren es nicht, wie wir wissen“, ergänzte Sebastian.

Sie riss die Augen auf und wurde blass, wodurch die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken stärker auffielen. „Was?“

„Zuerst kam mir der Gedanke, Sie könnten die Dinge vorantreiben wollen. Weil Sie es möglicherweise satthaben, auf Luis’ Antrag zu warten.“

„Warum zur Hölle sollte ich so etwas tun? Ich meine …“ Sie hielt seinem forschenden Blick nicht länger stand. Nein, er konnte nicht sehen, was in ihrem Kopf ablief. Wie zum Teufel sollte er auch? Im Moment wusste sie es ja nicht mal selbst.

„Offenbar habe ich einen Nerv getroffen … Interessant.“

„Ich bin kein wissenschaftliches Experiment!“

Er lächelte schwach, derart hinreißend, dass ihr der Atem stockte, obwohl sie den Mann nicht leiden konnte.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass dies schlechtes Timing ist?“, fragte er.

„Keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“ Schlechtes Timing war das mulmige Gefühl in ihrer Magengrube.

„Sie brauchen sich nicht zu schämen. Vermutlich haben Sie einen Freund im Hintergrund, dem Sie die Neuigkeit schonend beibringen wollen? Weiß der Typ, dass Sie schon vor Jahren zum Opfer für die Wiedervereinigung auserkoren wurden?“

„Ich bin kein Opfer!“

„Verzeihung, dann halt willige Leidtragende. Was schätzen Sie, wie viele Barrel Öl gibt es für die Hochzeit mit meinem Bruder?“

Sie biss die Zähne zusammen. „Ich bin keine Leidtragende …“

„Und die Ölvorkommen in Ihrem steinigen kleinen Königreich haben nichts mit dem plötzlichen Wunsch zu tun, unsere schöne Insel zu vereinigen? Entschuldigung, genau genommen nicht plötzlich. Wie alt waren Sie, als man Sie in den Plan eingeweiht hat? Mit der Euphorie um eine königliche Hochzeit die Traditionalisten auf beiden Seiten der Grenze zum Schweigen zu bringen, die den guten alten Zeiten nachtrauern, in denen wir einander hassten.“ Er ließ seine muskulösen Schultern etwas tiefer in die lederne Rückenlehne sinken und legte den Kopf in den Nacken. „Bestimmt ist es ein großartiges Gefühl, ein eigenes Kapitel in dem Vertrag zu bekommen, auf den sich zwei Staaten erst nach zehn Jahren einigen konnten.“

„Eine wichtige Tatsache haben Sie vergessen … Meiner Familie sind die männlichen Erben ausgegangen. Und nur fürs Protokoll: Einige Menschen sind leichter zu hassen als andere“, sagte Sabrina ungehalten und ehrlich zugleich.

Sebastian hob den Kopf wieder und lächelte sein verboten attraktives Lächeln. „Na los.“ Er warf ihr sein Handy zu, das sie reflexartig fing. „Ich stelle mich taub.“

Mit zusammengepressten Lippen warf sie es zurück. „Danke, aber ich habe mein eigenes Handy – und keinen Freund.“ An der Uni hatte sie ein paar Mal Dates gehabt. Nichts Ernstes. Dann hatte ihre beste Freundin innerhalb eines Monats einen Kommilitonen kennengelernt, sich verliebt und verlobt. Sabrina glaubte zwar nicht, so überwältigt von einem Mann sein zu können. Aber sie hatte sich schon gefragt, was wäre, wenn …?

Wollte sie ihren Seelenverwandten finden, nur um ihn später verlassen zu müssen? Die Wut, die sie sich damals nicht eingestanden hatte, meldete sich jetzt zu Wort. Und zwar laut.

„Ich gehe nicht aus. Das tut man in der Hoffnung, Schmetterlinge im Bauch zu spüren und zu überlegen, ob dieser Mann der Richtige ist, stimmt’s? Warum sollte ich das tun?“ Sie brach ab und blickte zu Boden, ebenso bestürzt über ihren bitteren Ausbruch wie über ihre Wahl des Zuhörers. „Außerdem war ich bis über beide Ohren mit meiner Arbeit beschäftigt.“

„Die Sie aufgeben werden, wie ein braves Mädchen, das unbedingt gefallen will. Jetzt verstehe ich, warum niemand auf die Idee gekommen ist, Sie könnten die undichte Stelle sein. Alle halten Sie für jemanden, der in seinem Leben noch keine einzige Regel gebrochen hat.“

Sein geringschätziger Unterton traf sie, auch wenn die Behauptung auf deprimierende Weise zutraf. Sabrina war immer brav gewesen, und sie wollte sich nicht dafür entschuldigen. „Aus Ihrem Mund klingt das wie eine Sünde.“

„Im Gegensatz zu … Tugend?“ Er war drauf und dran, seine Frage selbst zu beantworten, da überlegte er es sich anders und meinte seltsam tonlos: „Der Schuldige – und, mea culpa, es ist einer von uns – wurde überführt, und während wir sprechen, bekommt er die Folgen seiner Tat zu spüren.“

„Die Folgen?“

„Keine Sorge.“ Er lächelte nur mit den Lippen, nicht mit den Augen. „Trotz der schlechten Presse haben wir seit ungefähr einem Jahrhundert niemanden mehr hingerichtet. Und Daumenschrauben finden wir nicht effektiv, deshalb haben wir den Mann nur entlassen.“

„Er hat seinen Job verloren?“

Sebastian schnaubte. „Sie machen sich Gedanken über das Schicksal eines Menschen, der Sie den Wölfen da hinten zum Fraß vorgeworfen hat? Wow, Sie müssen sich noch eine dicke Haut zulegen, bevor Sie ein Mitglied unserer Familie werden, Schätzchen! Der Kerl steht nicht mit leeren Händen da, falls Sie das beruhigt. Mit seinen Internas aus dem Palast schafft es garantiert in die Bestsellerliste.“

Die Farbe, die in ihr Gesicht zurückgekehrt war, wich jetzt wieder. „Das ist ja schrecklich!“

„Aber kaum eine Sensation.“ Er wirkte sehr entspannt. „Es ist auch nicht gerade das bestgehütete Geheimnis, dass meine Stiefmutter einen heißen Draht zu einem Schönheitschirurgen hat. Oder dass mein Vater dazu neigt, mit dem erstbesten Gegenstand zu werfen, wenn man ihm in die Quere kommt.“

Ein Außenstehender könnte nicht zynischer über die Königsfamilie reden als dieser Eingeweihte, schoss es Sabrina durch den Kopf. „Was passiert als Nächstes?“

„Als Nächstes müssen Sie für Ihr Brautkleid Maß nehmen lassen.“ Sebastians Blick glitt über ihren Körper.

Sie lächelte gezwungen und hatte alle Mühe, nicht auf seinen bewusst unverschämten Blick zu reagieren. Schweißperlchen bildeten sich über ihrer Oberlippe, während sie gegen den Impuls ankämpfte, ihre schamlos aufgerichteten Brustspitzen mit den Händen zu verdecken.

„Größe 36, richtig? Oder vielleicht oben 38 und unten 36?“ Er musterte ihre Beine, die sie an den Knöcheln gekreuzt hatte. Erst jetzt merkte sie, dass sie einen Unterschenkel rhythmisch am anderen rieb.

Sofort hörte sie damit auf, und Sebastian sah ihr wieder ins Gesicht. „Ich bin neugierig – ist Ihnen je die Idee gekommen, Nein zu sagen?“

„Nein?“, echote sie. Hatte irgendeine Frau je Nein zu ihm gesagt? Sehr unwahrscheinlich.

Sie geriet noch mehr durcheinander, als er ihr tief in die Augen sah und wissen wollte: „Oder sind Sie tatsächlich damit zufrieden, eine Schachfigur zu sein?“

„Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen.“

„Wirklich nicht? Gleich erzählen Sie mir noch, dass Sie Luis lieben und er der Einzige für Sie ist.“

Mit zusammengepressten Lippen legte sie sich sorgfältig eine Antwort auf seine spöttische Frage zurecht. „Ihnen werde ich gar nichts erzählen …“ In der nächsten Sekunde verdarb sie alles und platzte heraus: „Ich erwarte nicht, dass jemand wie Sie es versteht.“

Er beugte sich vor. „Was genau versteht jemand wie ich nicht?“

Sabrina schüttelte den Kopf, doch dadurch fühlte sie sich nicht weniger in die Enge getrieben, und seine testosterongeladene Aura machte sie nicht weniger nervös.

„Pflicht“, brachte sie hervor.

Sebastian lachte ironisch und klatschte betont langsam Beifall. „Natürlich, Pflicht.“

„Warum ist das witzig?“

„Tut mir leid“, sagte er, klang aber nicht so. „Soll ich von Ihrem Opfer beeindruckt sein? Oh, ich finde es nicht witzig, cara, sondern tragisch, wie enthusiastisch Sie sich zur Märtyrerin erklären. Ich würde es ja einer Gehirnwäsche zuschreiben, aber vermutlich waren Sie schon immer das brave kleine Mädchen.“

Sie atmete scharf aus. „Ich bin erwachsen geworden, anders als manche Leute, und ich halte mich nicht für eine Märtyrerin!“ Ihre Stimme bebte, genau wie ihr Körper, weil seine Worte in ihr einen Sturm der Gefühle entfesselten.

Im Leben – zumindest in ihrem – war es nun mal so, dass man viele Dinge nicht bestimmen konnte. Aber hier und jetzt musste sie sich nichts gefallen lassen!

„Machen Sie sich ruhig lustig über die Begriffe Pflicht und Dienen. Ich bin lieber ein braves Mädchen, wie Sie es nennen, als ein egoistischer, immer nach einem Kick suchender, genusssüchtiger Nichtsnutz. Hat es je einen Moment gegeben, in dem Sie nicht sich selbst und Ihr Vergnügen über alles andere gestellt haben?“

Gewiss bildete sie sich nur ein, dass etwas wie Bewunderung in seinem Blick aufflackerte, bevor er den Kopf neigte, als müsste er überlegen. „Wahrscheinlich nicht.“

„Nun, nicht jeder von uns kann sich den Luxus erlauben, ein egozentrischer Verschwender zu sein, selbst wenn wir es wollten.“

„Genießen Sie es ruhig, sich moralisch überlegen zu fühlen. Wenn Sie in ein paar Jahren die Krone tragen, werden Sie hoffentlich immer noch finden, dass sie es wert war, so viel aufzugeben.“

„Ich habe nichts aufgegeben.“

„Was ist mit Ihrer Arbeit? Warum haben Sie Zeit, Mühe und Geld verschwendet, um Ärztin zu werden, wenn Sie den Beruf nie ausüben wollten?“

Sie wich seinem Blick aus. „Forschung ist wichtig.“

„Sicher, aber die Forschung wird ohne Sie auskommen müssen, denn ich soll Sie in der Botschaft abliefern. In unserer.“

„Ich bin kein Paket, sondern ein Mensch!“

„Mit Gefühlen, selbstverständlich – wo sind bloß meine Manieren? Eine Schulter zum Ausweinen.“ Er beugte sich etwas näher zu ihr, sodass ihr der warme, männliche Geruch seines Körpers und ein Hauch Eau de Cologne in die Nase stiegen. „Bitte sehr.“

„Ich brauche keine Schulter, und wenn ich eine bräuchte …“

„Wäre meine nur zweite Wahl“, vollendete er ihren Satz mit einem übertriebenen Seufzer. „Ich verstehe vollkommen. Sie sparen sich für den Mann mit der Krone auf.“

Sabrina ballte die Hände zu Fäusten und funkelte ihn an. „Sie sind ein wirklich furchtbarer Mann, wissen Sie das?“

„Und Sie sind eine sehr schöne Frau.“ Er betrachtete sie ungläubig. „Warten Sie mal, werden Sie etwa …?“ Er legte ihr einen Finger unter das Kinn und hob ihren Kopf ein wenig an. „Ja, Sie werden rot!“

„Ich werde nicht rot.“ Aus heiterem Himmel kam ihr ein Gedanke, der Sebastians unmögliches Benehmen und das verwegene Glitzern in seinen Augen erklären würde. „Haben Sie Alkohol getrunken?“

„Seit mindestens zwei Stunden nicht mehr.“ Er redete lauter, damit der Fahrer ihn verstehen konnte. „Charlie, wann sind wir aufgebrochen?“

„Um vier Uhr morgens, glaube ich, Sir“, antwortete der tätowierte Mann mit einem gebildeten Akzent.

„Tatsächlich? Tja, ich bin absolut nüchtern … Vielleicht nicht absolut“, gab Sebastian zu. „Da sind wir schon.“ Der Wagen stoppte vor der Botschaft. „Fast hätte ich es vergessen: Luis schickt Ihnen liebe Grüße. Und dies hier.“

Er beugte sich vor, und Sabrina war vor Schock wie versteinert, als seine Lippen ihre berührten. Gleich darauf ließ der Schock nach und verwandelte sich in etwas anderes, während Sebastian ihren Mund langsam und sinnlich erforschte. Sie wusste nicht, warum sich ihre Arme wie von selbst um seinen Nacken schlangen, doch genau das taten sie. Nie zuvor hatte sie etwas wie diese Explosion lustvollen Verlangens erlebt, sie sich nie auch nur ausgemalt.

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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