Der spanische Milliardär und die Tänzerin

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"Da du mein Kind unter dem Herzen trägst, muss nur noch eins beschlossen werden: das Datum unserer Hochzeit." "Natürlich heiraten wir!" Der spanische Milliardär Javier Casillas ist ein Mann von Ehre. Zwar hat er nur ein paar heiße Stunden mit der schönen Tänzerin Sophie verbracht: süß, leidenschaftlich und ohne an das Morgen zu denken. Aber das Kind, das Sophie nun erwartet, wird seinen Namen tragen. Auch wenn er selbst keine Sekunde an Liebe glaubt! Doch Javier hat seine kühle Rechnung ohne Sophies Warmherzigkeit gemacht. Sie hat sich und ihrem Baby ein zärtliches Versprechen gegeben, das Javier zutiefst erschüttert …


  • Erscheinungstag 26.02.2019
  • Bandnummer 2376
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712013
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Während er mit zusammengebissenen Zähnen mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte, hielt Javier Casillas den Blick starr auf den Boden gerichtet. Natürlich fühlte er aller Augen auf sich ruhen, wie schon den ganzen Abend über in der Privatloge, die er mit seinem Zwillingsbruder teilte.

Aber da er freiwillig hergekommen war, durfte er sich nicht beklagen. Zwar sorgte seine anrüchige Familiengeschichte dafür, dass er ohnehin ständig im Rampenlicht stand und von widerwärtigen Pressefritzen verfolgt wurde, doch die letzten zwei Monate waren noch mal etwas ganz anderes gewesen.

Sollen sie doch gaffen, die sensationslüsternen Geier, dachte er grimmig. Sie würden exakt dasselbe von ihm bekommen wie immer. Nichts.

Und erst recht verwehrte er ihnen während der Ballettaufführung die Genugtuung, irgendeine Gefühlsregung an seinem Gesicht ablesen zu können. Doch innerlich fraßen ihn Wut und Frustration fast auf, während er Freya beobachtete, die Frau, die er hatte heiraten wollen.

Sie tanzte wie eine Göttin und genoss unter enthusiastischem Beifall die Ballettperformance ihres Lebens, während er nur nach Hause wollte, um mit aller Kraft auf seinen Boxsack einzuschlagen.

Der heutige Abend war der Höhepunkt eines langjährigen Traumes, den er und sein Zwillingsbruder Luis realisiert hatten. Vor zehn Jahren waren sie endlich in der Lage gewesen, dieses ehrwürdige, in die Jahre gekommene Theatergebäude zu erwerben, in dessen Ballettschule ihre Mutter, eine berühmte Primaballerina, das Tanzen gelernt hatte. Sie tauften es in Compania de Ballet de Casillas um und machten es zu einer der bedeutendsten Ballett-Companys in Europa. Inzwischen waren auch die geplante Grundsanierung und Umwandlung in ein beeindruckendes State-of-Art Theatre erfolgreich abgeschlossen, und heute fand der Premierenabend statt, aufmerksam verfolgt von der internationalen Presse.

Doch anstatt sich auf das exklusive Interieur des Theaters und die Ballettaufführung zu konzentrieren, richtete sich der Focus auf ihn und seine Ex-Verlobte.

Javier fluchte lautlos in sich hinein. Maldita sea! Offenkundig wusste die ganze Welt, dass Freya ihn für seinen ältesten Freund verlassen hatte.

Aber dass Benjamin Guillem ihm als Schachzug innerhalb eines privaten Rachefeldzuges seine Verlobte gestohlen hatte und dass Freya offenkundig nur zu glücklich gewesen war, sich von ihm in sein verdammtes Chateau nach Frankreich entführen zu lassen, interessierte offenbar niemanden.

Die beiden hatten einander wahrlich verdient!

Er jedenfalls ließ sich nicht erpressen und wollte seine Verlobte nicht zurück. Freya bedeutete ihm nichts, das hatte sie nie getan.

Der lange Korridor im Souterrain des Theaters, durch den man zur Aftershow-Party gelangte, führte nach rechts, doch als Javier sich mit seinen Gästen, die er an diesem Abend in die Privatloge eingeladen hatte, dorthin wenden wollte, legte sich eine Hand auf seine Schulter, die ihn in die entgegengesetzte Richtung dirigierte.

Kein anderer als sein Zwillingsbruder hätte es gewagt, ihn auf diese Weise zu berühren. „Was ist?“, fragte Javier und starrte ihn argwöhnisch an.

„Ich muss mit dir reden“, antwortete Luis knapp.

Angesichts des ungewohnt scharfen Tons sträubten sich Javiers Nackenhaare. Seit Luis’ überstürztem Trip in die Karibik herrschte zwischen ihnen ungewohnt dicke Luft.

Wie Luis überhaupt auf die absurde Idee verfallen konnte, seine Heirat mit Benjamins Schwester würde den angeschlagenen Ruf ihres Familiennamens retten, war Javier immer noch unbegreiflich. Glücklicherweise kam sein Bruder quasi in letzter Minute zur Vernunft und kehrte als unverheirateter Mann nach Madrid zurück, doch ihr Verhältnis zueinander war immer noch angespannt.

Luis wartete, bis sie außer Hörweite waren. „Dir war klar, dass wir Benjamin damals bewusst reingelegt haben, nicht wahr?“, fragte er dann inquisitorisch.

Die schwelende Wut, die Javier den ganzen Abend über nur mühsam in Schach gehalten hatte, brach sich bei Erwähnung seines Erzfeindes Bahn.

Vor sieben Jahren hatten er und sein Bruder Benjamin dazu gebracht, in ein Projekt zu investieren, das sie in Paris planten: den Bau eines Wolkenkratzers, der später als Tour Mont Blanc bekannt wurde. Der Grundstückseigner hatte ihnen völlig unerwartet, trotz einer beträchtlichen Anzahlung, ein Ultimatum gestellt – Zahlung der Restsumme bis Mitternacht, sonst bekäme ein anderer Interessent den Zuschlag. Sie konnten die Summe nicht aufbringen, Benjamin schon …

„Wir haben ihn nicht reingelegt“, widersprach Javier eisig. „Nur ein Narr unterschreibt einen Vertrag, ohne ihn vorher gründlich durchzulesen.“

„Du hättest ihn wegen der veränderten Bedingungen warnen müssen“, konterte Luis im selben Ton. „Du hast es nicht einfach nur vergessen, oder?“

Man konnte Javier Casillas einiges unterstellen und anlasten, aber nicht, dass er ein Lügner war.

Luis hatte damals das entscheidende Gespräch mit Benjamin geführt und ihm zwanzig Prozent des Gesamtvolumens als Rendite für seine Investition zugesagt. Ihr Anwalt, der den Vertrag in Rekordzeit aufsetzte, war derjenige, der die Casillas-Brüder darauf hinwies, dass sie die ganze Arbeit leisten würden, weshalb Benjamins Gewinnbeteiligung nicht mehr als fünf Prozent betragen sollte.

Ein Einwand, der Javier einleuchtete und dem er zugestimmt hatte.

Der Vertrag wurde entsprechend geändert, Javier hatte ihn Benjamin gemailt, in Erwartung, er würde das verdammte Ding lesen und sich melden und verhandeln, sollten ihm die neuen Bedingungen nicht zusagen.

„Also gut …“ Luis holte tief Luft. „Jahrelang habe ich mir eingeredet, es sei ein Versehen gewesen.“

Javier presste die Lippen zusammen. Luis hatte ihn tatsächlich gebeten, Benjamin über die Vertragsänderung zu informieren, wenn er ihm das Dokument per E-Mail zuschicken würde. Doch dieser Forderung hatte er weder zugestimmt noch ihr entsprochen – wofür sein Bruder ihm eigentlich dankbar sein müsste.

Immerhin hatte Benjamins Versäumnis, den Vertrag vor Unterzeichnung noch einmal gründlich zu lesen, sie um zweihundertfünfundzwanzig Millionen Euro reicher gemacht. Benjamin selbst erhielt einen beachtlichen Profit von fünfundsiebzig Millionen, allein dafür, dass er ihnen das Geld geliehen hatte.

Dass er dennoch die Dreistigkeit besaß, sie deswegen zu verklagen, war unerträglich! Und als Gipfel der Dreistigkeit hatte er sich dann auch noch geweigert, das Gerichtsurteil zu akzeptieren, als der Richter den Fall zu ihren Gunsten entschied, und ihm aus Rache seine Verlobte gestohlen!

Javier fluchte lautlos in sich hinein.

Und dann wurde er in den Augen der Öffentlichkeit auch noch als der Schuft angesehen? Er ballte seine Hände zu Fäusten.

„Warum sollte ich das vorsätzlich geplant haben?“, fragte er kalt.

„Das frag dein Gewissen. Ich weiß nur, dass Benjamin unser Freund war. Jahrelang habe ich dich verteidigt und für dich gekämpft …“

„Für uns gekämpft“, korrigierte Javier kalt. „Immerhin stehen wir auf derselben Seite. Hast du das vergessen?“ Ihre brüderliche Loyalität war das Band, auf das sie sich inmitten ihrer familiären Heimsuchungen immer hatten verlassen können. „Oder hängen deine überraschenden Gewissensbisse mit dieser verdammten Frau zusammen?“

Seit er Benjamins Schwester, Chloe Guillem, im Publikum entdeckt hatte, wurde Javier das beklemmende Gefühl einer üblen Vorahnung nicht mehr los.

Chloe hatte sie beide genauso dreist betrogen und vorgeführt wie ihr Bruder. Sie half Benjamin bei seinem perfiden Plan, ihm die Verlobte zu stehlen, und war zweifelsohne auch der Grund für die zunehmende Spannung zwischen ihm und Luis.

Javier blieb keine Zeit, irritiert zu blinzeln, als er plötzlich eine harte Hand an seinem Hemdkragen spürte. „Solltest du jemals wieder in dieser Weise von Chloe sprechen, bin ich mit dir fertig! Hast du das verstanden?“

„Da du sie immer noch vor mir verteidigst, würde ich sagen, wir sind bereits fertig miteinander, Bruder …“ Javier spuckte ihm das Wort förmlich ins Gesicht.

Das war der Moment, in dem Javier erkannte, dass mehr zwischen Luis und Chloe passiert sein musste, als er bisher angenommen hatte. Sein Bruder hatte schon immer ein Faible für das andere Geschlecht gehabt, doch bisher wäre er nie auf die Idee gekommen, dass er wegen einer dieser Schönheiten seine Loyalität verlieren könnte.

Maldita sea! Wenn Luis trotz allem, was sie ihnen angetan hatte, an dieser kleinen Hexe hing, dann konnte er getrost aus seinem Leben verschwinden!

Sie starrten einander an wie zwei Todfeinde kurz vor dem ultimativen Duell. So lange und eindringlich, bis die Spannung nahezu unerträglich wurde.

Dann lockerte Luis seinen Griff und trat zurück.

Javier musterte finster seinen Bruder, mit dem er vom Mutterleib an alles geteilt hatte, den er beschützt und mit dem er gekämpft hatte, um immer wieder zu einer untrennbaren Einheit zu verschmelzen. Sie waren wie zwei Seiten einer Medaille: die unbesiegbaren Casillas-Zwillinge.

Jetzt starrte er ihm hinterher, während Luis davoneilte, als könne er nicht schnell genug von ihm wegkommen, und kurz darauf mit einer zierlichen Blondine zusammenstieß, die offensichtliche Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.

Javier ballte die Hände zu Fäusten und spürte, wie sein verhärtetes Herz sich zusammenkrampfte. In den fünfunddreißig Jahren ihres gemeinsamen Lebens hatte keiner von ihnen dem anderen je den Rücken gekehrt …

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, und als sich sein Blick langsam wieder klärte, sah er die Frau auf sich zukommen, die sein heimtückischer Bruder fast zu Fall gebracht hätte. Die Frau, die er selbst zuletzt vor zwei Monaten gesehen hatte, als er sie kalten Herzens aus der Tür seiner Villa geleitete …

Wie paralysiert starrte er in ihr blasses herzförmiges Gesicht und die weit aufgerissenen lichtblauen Augen, in denen aufrichtige Besorgnis stand.

Sein Wut-Level steigerte sich bedenklich. „Was hast du hier verloren? Du solltest auf der Aftershow-Party sein!“ Sophie Johnson war Mitglied des Ballet-Corps und hatte damit die vertragliche Verpflichtung, an der Party teilzunehmen.

Ihre Wangen röteten sich, und auf der Stirn zeigte sich eine steile Falte. „Ich habe die Company bereits vor zwei Monaten verlassen.“

Allein ihre vertraute, rauchige Stimme zu hören, ließ sein Herz schmerzhaft im Hals klopfen. Rein optisch verkörperte Sophie die süße Unschuld, doch ihre Stimme ließ einen unweigerlich an dunkelroten Samt und schummeriges Licht denken.

Sie hatte die Company verlassen …?

Javier schluckte trocken. Er hatte während der Aufführung kaum auf die Bühne geschaut. „Was, zur Hölle, willst du dann überhaupt hier?“, fragte er kalt, obwohl er es wusste. Der Druck in seiner Brust sagte ihm genug.

Er sah, wie sie mühsam schluckte. Und er sah die sanfte Mulde an ihrer gewölbten Kehle, die er so leidenschaftlich geküsst hatte …

„Ich muss mit dir reden.“

„Zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, wie du dir wohl selbst ausrechnen kannst.“ Außerdem war sie der letzte Mensch, den er sehen und mit dem er sprechen wollte. Jetzt, da sein Leben um ihn herum in Stücke zu brechen drohte.

„Perdón!“ Er nickte knapp und ließ sie einfach stehen, kam aber keine zwei Schritte weit.

„Es ist wichtig, Javier.“

Der Druck in seiner Brust nahm zu, während ihn unwillkommene Erinnerungen überschwemmten. Javier schob die Brauen zusammen und wandte sich ihr halb zu. „Nein“, sagte er hart. „Nicht hier und nicht jetzt. Geh nach Hause.“

„Aber …“

„Hörst du schlecht? Ich sagte Nein!“

Sein harscher Ton ließ sie zurückweichen. Hilflos und mit zusammengebissenen Zähnen, verzweifelt bemüht, die blöden Tränen zurückzuhalten. Oh nein, sie wollte nicht weinen! Das hatte sie in den letzten zwei Monaten mehr als genug getan. Mit weichen Knien wankte sie zu einem Stuhl in der Nähe, ließ sich darauf fallen, presste die gewölbte Hand auf den Mund und atmete zwischen gespreizten Fingern tief ein und aus. Das war ihr schon als Kind in der Ballettschule beigebracht worden, um einen drohenden Zusammenbruch zu verhindern.

Hand in Hand schlenderte ein glamouröses Paar an ihr vorbei und musterte sie mit einem versteckten Seitenblick.

Sophie zwang sich zu dem Lächeln, das für derartige Gelegenheiten herhalten musste, doch ihre Wangenmuskulatur war wie eingefroren.

Dumme Pute! Wie hast du dich nur in diesen Schuft verlieben können?

Alle Geschichten über Javier Casillas, den kaltherzigen Bastard, hatten sich schlussendlich als wahr erwiesen.

Selber schuld, dass du dir eingebildet hast, er sei eine geschundene Seele, die gerettet werden will!

Als Javier Casillas vor fast einem Jahr der Ballettkompanie einen Besuch abstattete, reichte ein flüchtiger Blick, und ihr Atem stockte, während ihr Herz ganz weit wurde. Nie zuvor hatte Sophie etwas Ähnliches erlebt.

Neben ihren anmutig durchtrainierten Ballettkollegen wirkte Javier wie eine Naturgewalt. Ein Bild von Mann, enorm groß und breitschultrig, mit einer Präsenz, die jeden dazu veranlasste, sich nach ihm umzudrehen.

Dabei konnte man ihn nicht mal im landläufigen Sinn attraktiv nennen. Dafür waren Nase und Kinn viel zu herrisch, der Blick aus topasbraunen Augen zu misstrauisch und unverhüllt. Allerdings besaß er ein Charisma, das jedes augenscheinliche Manko in etwas absolut Faszinierendes verwandelte.

Monatelang hatte Sophie sich nach der ersten zufälligen Begegnung die Augen nach ihm ausgeschaut. Und wenn er ihr tatsächlich einmal über den Weg lief, was angesichts seiner unzähligen Verpflichtungen nur selten geschah, setzte ihr Herz vor Aufregung jedes Mal einen Schlag aus.

Natürlich war es nur eine unsinnige Schwärmerei, die nirgendwo hinführen konnte … Javier Casillas war immerhin Miteigner der Ballett Company, ein Businesstycoon mit einem Vermögen, das ihn himmelweit außerhalb ihrer Reichweite katapultierte. Dazu eine arrogante, distanzierte Erscheinung, die einem gleichermaßen Furcht und Bewunderung einflößte. Und jemand, der keinen einzigen Blick an sie verschwendete …

Dafür schaute er Freya an, und nicht nur einmal.

Ihre älteste und engste Freundin und zugleich der Grund dafür, dass Sophie hier in Madrid in der Ballett-Company tanzte, die Freya zum Star gemacht hatte. Freya war wunderschön, eine hinreißende, beseelte Ballerina, die jedem, der sie tanzen sah, das Herz stahl.

Ihre heimlichen Gefühle für Javier hatte Sophie nie mit der Freundin geteilt. Sie waren zu überwältigend und zu aussichtslos, um sie jemandem anzuvertrauen.

Javiers Heiratsantrag und Freyas Akzeptanz hatten sie am Boden zerstört.

Monatelang hatte sie sich in stummer Verzweiflung gesuhlt, wild entschlossen, ihre ernsthaften Bedenken ob der geplanten lieblosen Ehe für sich zu behalten und stattdessen sogar die Trauzeugin für ihre Freundin zu spielen, obwohl es ihr das Herz brach.

Dann, eine Woche vor dem großen Tag, war Freya mit Benjamin Guillem davongelaufen und hatte Javier quasi vor dem Altar stehen lassen. Der anschließende Medienrummel war die reine Hölle gewesen …

Sophie schluckte mühsam. Als sie sich damals mit klopfendem Herzen auf den Weg zu Javier machte, wollte sie nur hilfreich sein und das Richtige tun. Freya hatte sie im gemeinsamen Apartment angerufen und gebeten, ihre Sachen für sie zusammenzupacken. Darunter fand Sophie eine Kopie von Freyas und Javiers Ehevertrag und eine Mappe mit weiteren juristischen Dokumenten. Da sie nicht wusste, was sie damit tun sollte, beschloss sie, die Unterlagen Javier zu überlassen. Der wollte sicher nicht, dass Unbefugte derart private Dokumente in die Finger bekamen.

Sein Zuhause war eine versteckt liegende Villa und glich eher einem Palast denn einem Heim. Sophie musste sich über eine Gegensprechanlage mit Kamera anmelden, bevor sich die elektrischen Tore des Anwesens langsam öffneten und sie einließen.

Sie erinnerte sich noch sehr gut daran, wie sie mit zuckendem Herzen und zitternden Knien die lange Auffahrt bewältigte, voller Mitleid für Javier Casillas. Er mochte Freya vielleicht nicht geliebt haben, war aber sicher zutiefst erschüttert darüber, dass sie ihn für seinen ältesten Freund und auf eine so öffentliche Art und Weise verlassen hatte.

Die ganze Welt wusste davon und gab ohne zu zögern Javier die Schuld an der geplatzten Hochzeit, ohne den eigentlichen Hintergrund zu kennen, der auch für Sophie im Dunkeln lag. Außer der Bitte, ihre Sachen zu packen, gab es für sie von der Freundin keinen Aufschluss über deren Motive. Dass es Freya aber offensichtlich nichts ausmachte, Javier als verkapptes Monster dastehen zu lassen, krampfte Sophies Herz zusammen. Ebenso wie die abscheulichen Gerüchte, die plötzlich wieder über die Casillas-Zwillinge kursierten.

Da sie davon ausgegangen war, jemand vom Personal würde ihr öffnen, überraschte es sie, an der Haustür gleich Javier gegenüberzustehen.

Was dann folgte, war noch unerwarteter. Und der Moment, in dem Sophie sich eingestehen musste, dass er seinen zweifelhaften Ruf nicht ganz zu Unrecht trug …

Sie schluckte erneut und seufzte.

Hätte Javier in den darauf folgenden zwei Monaten eisigen Schweigens auch nur einen Gedanken an sie verschwendet, wüsste er, dass sie seine Ballett-Company und Madrid verlassen hatte und nach England zurückgekehrt war. In der vergeblichen Hoffnung, er könnte versuchen sie ausfindig zu machen, hinterlegte sie in der Company ihre neue Adresse. Doch er hatte ihren stillen Abgang von seiner Ballett-Bühne offenkundig nicht einmal bemerkt.

Sophie selbst hatte die letzten zwei Monate dazu genutzt, sich dieser Realität zu stellen, sie zu akzeptieren und genügend emotionale Stärke anzutrainieren, um Javier selbstsicher und gelassen erneut gegenübertreten zu können.

Sie würde es morgen noch einmal versuchen, und jeden weiteren Tag, bis er bereit war, ihr zuzuhören …

Erst als Sophie sicher war, sich auf den Beinen halten zu können, erhob sie sich von ihrem Notsitz und atmete tief durch. Dann zwang sie sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, um den Weg zurückzugehen, den sie gekommen war. Die breiten Korridore des Theaters waren inzwischen so gut wie menschenleer.

Endlich erreichte sie die kunstvoll geschwungene und mit einem roten Teppich belegte Treppe, die ins Foyer führte. Als unerwartet Javier neben ihr auftauchte, schrak sie zusammen und musste sich am goldfarbenen Geländer festhalten.

„Warum jetzt?“, fragte er brüsk. „Warum hier und ausgerechnet an diesem Abend? Warum hast du nicht versucht, mich privat zu erreichen?“

Sophie hob ihr Kinn, entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Nach dem, wie du mich im Privaten behandelt hast, wusste ich nicht, ob du überhaupt gewillt sein würdest, mich zu sehen und mit mir zu sprechen.“

Immerhin hatte er es an jenem Abend fertiggebracht, sich innerhalb von Sekunden aus einem Zustand glühender Leidenschaft in einen gefühllosen Eisklotz zu verwandeln, der sie ohne Erklärung quasi vor die Tür setzte.

Javiers Augen verdunkelten sich, als er sie emotionslos von Kopf bis Fuß musterte. Nur auf der Wange zuckte ein Muskel. „Du bist von mir schwanger?“

Wie es ihr gelang, die Fassung zu wahren, anstatt in einen Tränenstrom auszubrechen, wusste Sophie später selbst nicht zu sagen. „Ja“, brachte sie erstickt hervor. „Wir bekommen ein Baby.“

2. KAPITEL

In seinen Ohren rauschte es dumpf, ein blutroter Nebel trübte seinen Blick.

In der Sekunde, als er Sophie gesehen hatte, wusste Javier, warum sie hier war. Trotzdem weigerte sich sein Hirn, das Unvermeidliche zu akzeptieren: In wenigen Monaten würde er Vater sein.

Doch die Mutter war absolut inakzeptabel: Ein naives, viel zu emotionales, mitfühlendes Wesen, das etwas in ihm entfacht hatte, was nie zum Leben hätte erwachen dürfen …

Kinder waren auf jeden Fall geplant gewesen. Nicht umsonst hatten sein heimtückischer Bruder und er den Nachnamen ihrer Mutter angenommen, sobald sie den ihres Vaters auf legalem Weg loswerden konnten. Und diesen Namen wollte Javier an die nächste Generation weitergeben. Sein ganzes Erwachsenenleben hatte er darauf gewartet, die richtige Frau für sein Vorhaben zu finden.

Freya. Die wunderschöne, perfekte Freya, die ihm ebenso attraktive, perfekte Erben schenken sollte, hatte ebenso wenig Begierde in ihm entfacht, wie sie auch nur einen Funken Leidenschaft für ihn empfand. Also Perfektion in jeder Hinsicht.

Javier hatte die tödliche Wirkung von Leidenschaft selbst erfahren, als sein Zwillingsbruder und er durch das gefährliche Blut ihres Vaters, das auch in seinen Adern floss, ihre Mutter verloren.

Er schluckte mühsam.

Sophie, die ihn stumm beobachtet hatte, seufzte, zog eine Visitenkarte aus der Tasche und hielt sie ihm mit diesen zarten, feingliedrigen Fingern hin, die auf seiner Haut einen Flächenbrand entfachten, sobald sie ihn berührte.

„Das ist das Hotel, in dem ich wohne“, sagte sie leise. „Nimm dir Zeit, alles zu verarbeiten, und komm zu mir, sobald du bereit bist zu reden.“

„Worüber?“, knurrte er grob und starrte die Visitenkarte an. Was ihn betraf, gab es ohnehin nur einen Weg, mit dieser Situation zu verfahren. Also, warum über etwas reden, das für ihn eine ausgemachte Sache war? Was er momentan brauchte, war ein hartes Workout, um den Kopf wieder klar zu kriegen, ehe er noch explodierte.

Abrupt wandte er sich um und hatte kaum die Treppe erreicht, als ihn die Ungeheuerlichkeit dessen, was Sophie ihm gerade eröffnet hatte, wie ein Blitzeinschlag traf. Sie jetzt einfach stehen zu lassen, würde ihn zu einem noch weitaus größeren Monster machen, als es ihm die ganze Welt ohnehin unterstellte.

„Wir werden ein Baby haben, Javier“, sagte Sophie, die ihm gefolgt war, mit ruhiger, fester Stimme. „Ich würde sagen, da gibt es eine Menge zu bereden und …“

Mit einem unterdrückten Fluch wandte er sich ihr zu. „Nicht für mich. Da du mein Kind unter dem Herzen trägst, muss nur noch eins entschieden werden.“

„Und das wäre?“

„Das Datum unserer Hochzeit.“

Sophie blinzelte, schluckte heftig und blinzelte erneut. „Hochzeit?“

„Das Kind wird meinen Namen tragen. Und wenn du dir, wovon ich ausgehe, eine angemessene finanzielle Unterstützung von meiner Seite erhoffst, sagst du Ja.“

Maldita sea! Sophie war unglaublich naiv und zudem noch Jungfrau gewesen, als sie sich im Taumel der Leidenschaft gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen hatten. Wer konnte schon sagen, was sie jetzt von ihm erwartete? Sollte sie sich tatsächlich romantische Illusionen gemacht haben, war es an der Zeit, diese endgültig zu zerstreuen.

Auch, wenn sie das vielleicht anders sah, er tat ihr damit einen Gefallen.

Zu Javiers Überraschung kräuselte ein kleines Lächeln ihre weichen Lippen. „Du brauchst keine so bedrohliche Miene aufzusetzen“, sagte sie leichthin. „Ich will ja deine Frau werden.“

„Du … willst …?“

Er hatte also richtig getippt! Javier lachte, aber es war kein schöner Laut. Was für eine kleine, raffinierte Hexe! Trotz aller Naivität und aufgesetzter Süße schien sie auf jeden Fall rechnen zu können.

Doch anstatt in sein Lachen einzustimmen, runzelte Sophie die Stirn. „Unser Kind hat nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen, verdient es aber, beide Elternteile zu kennen und von ihnen geliebt zu werden“, sagte sie ruhig.

„Wenn das so ist, warum hast du dann so lange damit gewartet, mich zu informieren? Du weißt es ja wohl schon länger.“

Sie lächelte schwach. „Ich spürte die Veränderung in meinem Körper bereits nach einer Woche und habe den Test an dem Tag gemacht, an dem meine Periode fällig gewesen wäre. Also weiß ich es seit sechs Wochen, und technisch gesehen bin ich in der zehnten Schwangerschaftswoche. Ich brauchte einfach Zeit, um meinen Kopf und mein Herz klar zu kriegen, bevor ich dich wiedersehen konnte.“

„Nicht etwa um zu recherchieren, wie viel du rein finanziell aus dieser Situation herausschlagen kannst?“, spottete er brutal.

Er hatte noch keine Frau ohne sichtbare oder unsichtbare Dollarzeichen in den Augen getroffen. Dass er inzwischen mehr Geld besaß, als er in diesem Leben ausgeben konnte, war schon angenehm, doch das größere Geschenk eines solchen Bankkontos bestand in dem Druck, den man damit auf andere ausüben konnte.

Er hatte sein Vermögen bedenkenlos dazu benutzt, Freya zu kaufen, und sie war damit mehr als einverstanden gewesen.

Die kühle, perfekte Primaballerina.

„Du kannst ruhig zugeben, dass du mich deswegen heiraten willst.“

Sophie zuckte mit keiner Wimper. „Ich möchte nur das Beste für unser Kind.“

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
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